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Anerkennung der Berufskrankheit BK 2108: Belastung reicht nicht ohne Nachweis

Ein Fliesenleger forderte die Anerkennung der Berufskrankheit BK 2108, nachdem seine Lendenwirbelsäulen-Belastung den Schwellenwert extrem überstieg. Trotz dieser massiven Beanspruchung stellte das Gericht die entscheidende Frage: Reicht die hohe Belastung ohne den exakten medizinischen Nachweis aus?

Übersicht

Zum vorliegenden Urteil Az.: L 6 U 49/22 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
  • Datum: 06.02.2025
  • Aktenzeichen: L 6 U 49/22
  • Verfahren: Berufung
  • Rechtsbereiche: Sozialrecht, Unfallversicherungsrecht, Berufskrankheitenrecht

  • Das Problem: Ein Fliesenleger wollte seine bandscheibenbedingte Lendenwirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit anerkennen lassen. Die Unfallversicherung lehnte dies ab, obwohl seine berufliche Belastung die Richtwerte deutlich überstieg.
  • Die Rechtsfrage: Kann eine Bandscheibenerkrankung als Berufskrankheit anerkannt werden, wenn die Belastung im Beruf sehr hoch war, die radiologischen Befunde jedoch nicht die strengen medizinischen Mindestanforderungen erfüllen?
  • Die Antwort: Nein, die Berufung wurde zurückgewiesen. Das Gericht entschied, dass trotz hoher Belastung die Ursächlichkeit nicht nachweisbar ist, da die notwendigen schweren anatomischen Schäden fehlen.
  • Die Bedeutung: Hohe körperliche Belastung allein reicht für die Anerkennung dieser Berufskrankheit nicht aus. Betroffene müssen zusätzlich den Nachweis eines spezifischen, schweren Schadens (z. B. Chondrose Grad II oder Bandscheibenvorfall) nach festen medizinischen Kriterien erbringen.

Warum ein harter Job allein nicht für die Anerkennung der Berufskrankheit BK 2108 genügt

Ein Leben lang als Fliesenleger und selbstständiger Unternehmer schwere Lasten gehoben, gebückt gearbeitet, den Rücken ruiniert – für einen Handwerker schien der Fall klar: Seine chronischen Schmerzen in der Lendenwirbelsäule mussten eine Folge seines Berufs sein. Er beantragte die Anerkennung einer Berufskrankheit. Doch obwohl die Berufsgenossenschaft eine außergewöhnlich hohe berufliche Belastung bestätigte, lehnte sie die Anerkennung ab. Der Fall landete vor Gericht und zog sich über Jahre hin. In seinem Urteil vom 6. Februar 2025 (Az.: L 6 U 49/22) erklärte schließlich auch das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, warum der Zusammenhang zwischen Schwerstarbeit und Leiden nicht so offensichtlich ist, wie er scheint. Die Entscheidung offenbart eindrücklich die strengen Kriterien, die zwischen einer allgemeinen Erkrankung und einer entschädigungspflichtigen Berufskrankheit unterscheiden.

Was stand im Mittelpunkt des jahrelangen Rechtsstreits?

Ein medizinischer Gutachter deutet auf das leuchtende MRT-Bild einer Lendenwirbelsäule und erklärt dem älteren Patienten die Befunde.
Schwere Arbeit allein genügt oft nicht für die Anerkennung der Berufskrankheit BK 2108. | Symbolbild: KI

Der 1962 geborene Kläger hatte jahrzehntelang einen körperlich fordernden Beruf ausgeübt. Im November 2017, nachdem er seine Tätigkeit bereits eingeschränkt hatte, meldete er den Verdacht auf eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule, bekannt unter der Ziffer 2108 der Berufskrankheiten-Verordnung (BK 2108). Die zuständige Berufsgenossenschaft, die Beklagte in diesem Verfahren, leitete eine Untersuchung ein.

Die Präventionsabteilung der Beklagten bestätigte, was der Kläger in seinem Berufsleben gespürt hatte: Mithilfe des sogenannten Mainz-Dortmunder-Dosis-Modells errechnete sie eine kumulative Belastungsdosis von 28,3 Megawattstunden (MNh). Dieser Wert überstieg den für eine mögliche Anerkennung relevanten Orientierungswert deutlich. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen waren damit erfüllt.

Die medizinische Bewertung führte jedoch zu einem Konflikt. Die beratenden Ärzte der Berufsgenossenschaft, allen voran der Nuklearmediziner Dr. A., sahen in den MRT-Bildern von 2016 zwar degenerative Veränderungen, aber keine, die das spezifische Krankheitsbild einer BK 2108 erfüllten. Sie diagnostizierten vorrangig altersbedingten Verschleiß der kleinen Wirbelgelenke (Spondylarthrose) und knöcherne Anbauten an den Wirbelkörpern (Spondylose). Der für eine Anerkennung oft entscheidende Knorpelschaden der Bandscheiben (Chondrose) erreichte aus ihrer Sicht nicht den erforderlichen Schweregrad.

Der Kläger war anderer Meinung und zog auf eigenen Wunsch einen orthopädischen Gutachter, Dr. B., hinzu. Dieser kam zu einem gegenteiligen Ergebnis. Er sah sehr wohl eine bandscheibenbedingte Erkrankung, stellte Bandscheibenvorwölbungen (Protrusionen) mit Kontakt zu den Nervenwurzeln fest und stufte das Krankheitsbild so ein, dass ein beruflicher Zusammenhang wahrscheinlich sei.

Gestützt auf die Einschätzung ihres eigenen Mediziners lehnte die Berufsgenossenschaft die Anerkennung per Bescheid im Mai 2018 und nachfolgendem Widerspruchsbescheid im August 2019 ab. Der Fliesenleger klagte daraufhin vor dem Sozialgericht Magdeburg, das die Klage jedoch abwies. Unbeirrt legte der Mann Berufung beim Landessozialgericht ein, reichte ein aktuelleres MRT von 2023 ein und beharrte auf der Richtigkeit des von ihm beauftragten Gutachtens.

Welche Hürden stellt das Gesetz für die Anerkennung als Berufskrankheit auf?

Eine Krankheit wird nur dann als Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII anerkannt, wenn sie in der Liste der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) aufgeführt ist und nachweislich durch die berufliche Tätigkeit verursacht wurde. Die BK 2108 erfasst „bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten“.

Die entscheidende Herausforderung für Betroffene liegt im Kausalitätsnachweis. Es genügt nicht, dass eine Erkrankung während eines belastenden Berufs auftritt. Der Kläger muss zur vollen Überzeugung des Gerichts beweisen, dass die beruflichen Einwirkungen die wesentliche Ursache für seine Erkrankung waren. Für diesen Nachweis hat sich in der Rechtsprechung und medizinischen Wissenschaft ein standardisiertes Prüfschema etabliert: die sogenannten „Konsensempfehlungen„.

Diese Empfehlungen sind eine Art medizinischer Fahrplan für Gutachter und Richter. Sie definieren genau, welche medizinischen Befunde vorliegen müssen, um mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf einen beruflichen Ursprung schließen zu können. Für die BK 2108 ist dabei vor allem der Zustand der Bandscheiben in den untersten beiden Segmenten der Lendenwirbelsäule (L4/L5 und L5/S1) entscheidend. Die Empfehlungen verlangen hierfür den Nachweis eines fortgeschrittenen Bandscheibenverschleißes (mindestens eine Chondrose Grad II) oder eines echten Bandscheibenvorfalls (Prolaps), bei dem Bandscheibengewebe den Faserring durchbricht. Einfache Vorwölbungen (Protrusionen) oder ein leichter Verschleiß (Chondrose Grad I) gelten bei Menschen über 50 oft als altersüblich und reichen für eine Anerkennung in der Regel nicht aus.

Warum scheiterte der Fliesenleger trotz nachgewiesener Schwerstarbeit?

Das Landessozialgericht folgte der Argumentation der Vorinstanz und der Berufsgenossenschaft und wies die Berufung zurück. Die Richter zerlegten den Fall entlang der strengen Kriterien der Konsensempfehlungen und machten deutlich, warum die hohe Arbeitsbelastung allein nicht ausreichte, um die fehlenden medizinischen Beweise zu ersetzen.

Die unbestrittene Grundlage: Eine extrem hohe Belastung

Zunächst stellte das Gericht einen Punkt klar, der für den Kläger sprach: Die arbeitstechnischen Voraussetzungen waren zweifellos erfüllt. Die errechnete Belastungsdosis von 28,3 MNh belegte eine außergewöhnliche berufliche Einwirkung auf seine Lendenwirbelsäule. Das Gericht unterstellte zu seinen Gunsten sogar, dass eine bandscheibenbedingte Erkrankung vorliegt, auch wenn die Ärzte der Beklagten dies bezweifelt hatten. An diesen Punkten scheiterte der Anspruch also nicht.

Der entscheidende Maßstab: Fehlender Nachweis für den geforderten Schädigungsgrad

Das Herzstück der Urteilsbegründung war die Analyse der medizinischen Bildgebung im Licht der Konsensempfehlungen. Das Gericht konzentrierte sich dabei auf das MRT aus dem Jahr 2016, da es zeitlich am nächsten zur Aufgabe der schweren Tätigkeit lag und somit den Zustand der Wirbelsäule am Ende der maßgeblichen Belastungsphase am besten widerspiegelte.

Die Richter kamen nach Auswertung aller Befunde zu dem Schluss, dass die entscheidenden Kriterien nicht erfüllt waren. Weder das MRT von 2016 noch andere Aufnahmen zeigten zur Überzeugung des Gerichts eine Chondrose des Grades II. Auch ein eindeutiger Bandscheibenvorfall (Prolaps) ließ sich nicht nachweisen. Zwar waren Bandscheibenvorwölbungen (Protrusionen) sichtbar, doch diese allein genügen nach den Konsensempfehlungen nicht, um einen berufsbedingten Schaden mit der geforderten Wahrscheinlichkeit zu belegen. Es fehlte der objektiv messbare, anatomische Beweis für einen Schaden, der über altersüblichen Verschleiß hinausgeht.

Warum das Gutachten des Klägers das Gericht nicht überzeugte

Der Kläger hatte seine Hoffnung auf das Gutachten von Dr. B. gesetzt, der die Protrusionen als „prolapstypisch“ bewertete und einen beruflichen Zusammenhang bejahte. Das Gericht folgte dieser Einschätzung jedoch nicht. Es kritisierte, dass der Gutachter seine Schlussfolgerung nicht ausreichend mit den präzisen Definitionen der Konsensempfehlungen untermauert hatte. Beispielsweise hatte er nicht dargelegt, ob die Vorwölbungen die dort festgelegten Kriterien für einen Vorfall erfüllten, etwa durch eine nachweisbare Durchbrechung des Faserrings der Bandscheibe. Seine Bewertung blieb für das Gericht eine Interpretation, die den strengen, objektiven Anforderungen des Beweisstandards nicht genügte.

Warum spätere Befunde und klinische Symptome nicht zählten

Auch das vom Kläger vorgelegte neuere MRT aus dem Jahr 2023 konnte das Ruder nicht herumreißen. Das Gericht betonte, dass für die Beurteilung der Ursächlichkeit der Zustand direkt nach Ende der Belastung maßgeblich ist. Spätere Veränderungen können auch auf den natürlichen Alterungsprozess zurückzuführen sein und nicht mehr eindeutig der beruflichen Tätigkeit zugeordnet werden.

Der Antrag des Klägers, wegen seiner Taubheitsgefühle ein zusätzliches neurologisches Gutachten einzuholen, wurde ebenfalls als nicht entscheidungserheblich abgelehnt. Die Richter argumentierten, dass selbst wenn neurologische Ausfälle nachgewiesen würden, dies nichts an der grundlegenden Voraussetzung ändert: Ohne den radiologischen Nachweis des spezifischen Bandscheibenschadens (Chondrose Grad II oder Prolaps) ist die Kausalkette nach den Konsensempfehlungen unterbrochen. Die Symptome können die fehlende anatomische Grundlage nicht ersetzen.

Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil ziehen?

Die Entscheidung des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt ist ein prägnantes Beispiel für die hohe Beweislast im Sozialrecht und verdeutlicht drei zentrale Prinzipien bei der Anerkennung von Berufskrankheiten.

Erstens zeigt der Fall den fundamentalen Unterschied zwischen Belastung und Beweis. Eine nachweislich extrem hohe körperliche Belastung am Arbeitsplatz ist zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Anerkennung einer BK 2108. Sie öffnet lediglich die Tür für eine medizinische Prüfung. Die eigentliche Entscheidung hängt am Ende von objektiven, messbaren medizinischen Befunden ab, die einen spezifischen Schädigungsgrad belegen. Das subjektive Empfinden von Schmerz und der offensichtliche Zusammenhang zur Arbeit genügen vor Gericht nicht.

Zweitens unterstreicht das Urteil die entscheidende Rolle der medizinischen Bildgebung zum richtigen Zeitpunkt. Für die rechtliche Bewertung ist der Zustand der Wirbelsäule maßgeblich, der zeitnah nach dem Ende der schädigenden Einwirkung dokumentiert wurde. Später auftretende oder sich verschlimmernde Befunde können ihre Beweiskraft verlieren, da sie nicht mehr eindeutig der beruflichen Ursache zugeordnet werden können und der natürliche Alterungsprozess als konkurrierende Erklärung an Gewicht gewinnt.

Drittens wird die überragende Bedeutung der „Konsensempfehlungen“ als faktischer Rechtsstandard deutlich. Diese medizinisch-wissenschaftlichen Leitlinien sind für die Gerichte mehr als nur eine Orientierung; sie bilden das Rückgrat der richterlichen Entscheidungsfindung. Wer eine Berufskrankheit anerkannt bekommen möchte, muss nachweisen, dass sein Krankheitsbild die in diesen Empfehlungen klar definierten Kriterien erfüllt. Ohne diesen Nachweis bleibt, wie im Fall des Fliesenlegers, der Weg zur Anerkennung versperrt – selbst wenn die berufliche Last noch so schwer war.

Die Urteilslogik

Die Anerkennung von Wirbelsäulenschäden als Berufskrankheit trennt rigoros zwischen harter Arbeit und juristisch haltbarem Nachweis.

  • Berufliche Belastung ist kein medizinischer Beweis: Die nachgewiesene überdurchschnittliche Belastung am Arbeitsplatz (kumulative Belastungsdosis) erfüllt lediglich die arbeitstechnische Vorbedingung, ersetzt jedoch niemals den objektiv festgestellten, spezifischen medizinischen Schaden.
  • Medizinische Leitlinien schaffen den Rechtsstandard: Gerichte stützen die Kausalitätskette ausschließlich auf die in den Konsensempfehlungen festgelegten Befunde, indem sie strikt den Nachweis einer fortgeschrittenen Chondrose (Grad II) oder eines manifesten Bandscheibenvorfalls verlangen.
  • Der Beweiszeitpunkt entscheidet über die Kausalität: Für die Bewertung der Ursächlichkeit ist der anatomische Zustand der Wirbelsäule unmittelbar nach Beendigung der schädigenden Tätigkeit maßgeblich; spätere Befunde verlieren an Beweiskraft, da die natürliche Alterung als konkurrierende Ursache in Betracht kommt.

Nur wenn die radiologischen Befunde die strengen anatomischen Kriterien der Fachliteratur erfüllen, gelingt der Sprung von der allgemeinen Abnutzung zur entschädigungspflichtigen Berufskrankheit.


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Experten Kommentar

Wer jahrzehntelang körperlich schwer gearbeitet hat, denkt, der Zusammenhang zwischen kaputtem Rücken und Job sei unumstößlich. Doch dieses Urteil liefert die harte Wahrheit: Die nachgewiesene Schwerstarbeit (28,3 MNh) öffnet lediglich die Tür zur Prüfung. Der Anspruch scheitert, wenn die MRT-Bilder nicht präzise die strengen Kriterien der medizinischen „Konsensempfehlungen“ – etwa den Nachweis einer Chondrose Grad II – erfüllen. Es geht im Sozialrecht nicht um subjektive Symptome, sondern um den radiologisch messbaren, spezifischen anatomischen Schaden. Für Betroffene bedeutet das: Ohne den richtigen Befund zur richtigen Zeit bleibt die Anerkennung der Berufskrankheit unerreichbar.


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Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Warum reicht eine extreme Arbeitsbelastung (z.B. 28,3 MNh) allein nicht aus, um die Berufskrankheit BK 2108 anerkannt zu bekommen?

Die hohe arbeitstechnische Belastung, oft errechnet mithilfe des Mainz-Dortmunder-Dosis-Modells (MNh-Wert), ist lediglich die erste Hürde im Anerkennungsverfahren. Obwohl ein Wert von beispielsweise 28,3 Megawattstunden eine außergewöhnliche Beanspruchung belegt, ersetzt er nicht den obligatorischen medizinischen Beweis. Die Anerkennung der BK 2108 scheitert, wenn der erforderliche anatomische Schaden fehlt, da die Belastungsdosis nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung ist.

Die rechtliche Logik im Sozialrecht trennt streng zwischen der beruflichen Einwirkung und der medizinischen Folge. Sie müssen beweisen, dass die beruflichen Einwirkungen die wesentliche Ursache für die Erkrankung sind, nicht nur eine mögliche. Gerichte nutzen hierfür die standardisierten Konsensempfehlungen, welche einen objektiven Nachweis des Schadens verlangen. Diese Leitlinien definieren genau, welche Befunde vorliegen müssen, um den Schaden sicher vom normalen, altersüblichen Verschleiß abzugrenzen.

Der Fall des Fliesenlegers verdeutlicht diese strenge Anforderung: Trotz der bestätigten Schwerstarbeit von 28,3 MNh blieb ihm die Anerkennung versagt. Die Richter entschieden, dass die hohe Belastungsdosis die fehlenden Befunde nicht ausgleichen konnte. Die radiologischen Bilder zeigten keine Chondrose Grad II oder einen eindeutigen Prolaps, welche die Konsensempfehlungen fordern. Ohne den spezifischen, anatomischen Nachweis eines fortgeschrittenen Schadens bleibt die Kausalkette formal unterbrochen.

Fordern Sie sofort bei der Berufsgenossenschaft die genaue arbeitstechnische Berechnung an, die in Ihrem Fall (gemäß Mainz-Dortmunder-Dosis-Modell) durchgeführt wurde, um zumindest die erste Hürde objektiv belegen zu können.


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Welche spezifischen medizinischen Beweise (Krankheitsbilder) verlangen die „Konsensempfehlungen“ für eine erfolgreiche Anerkennung der BK 2108?

Die Konsensempfehlungen verlangen klare, objektive und radiologisch nachweisbare Befunde, die einen fortgeschrittenen Schaden der Bandscheiben belegen. Diese Schäden müssen spezifisch die untersten Segmente der Lendenwirbelsäule betreffen, da diese am stärksten belastet werden. Nur durch den Nachweis dieser Kriterien kann die Berufsgenossenschaft feststellen, dass der Verschleiß über das normale, altersübliche Maß hinausgeht.

Der Fokus liegt dabei fast immer auf den Segmenten L4/L5 und L5/S1, da diese Bereiche die höchsten axialen Belastungen beim Heben und Tragen aufnehmen. Die geforderte Mindestanforderung für eine Anerkennung ist der Nachweis einer Chondrose Grad II. Hierbei handelt es sich um einen fortgeschrittenen Knorpelschaden der Bandscheibe, der klar von leichtem oder altersbedingtem Verschleiß abgegrenzt werden muss. Fehlt dieser spezifische Befund, kann die Anerkennung selbst bei nachgewiesener Schwerstarbeit scheitern.

Alternativ oder ergänzend muss ein echter Bandscheibenvorfall (Prolaps) nachgewiesen werden. Dies ist anatomisch definiert als ein Schaden, bei dem das Bandscheibengewebe den äußeren Faserring nachweislich durchbrochen hat. Eine bloße Vorwölbung (Protrusion), bei der der Faserring intakt bleibt, erfüllt diese strenge Kausalitätsanforderung für die Berufskrankheit 2108 in der Regel nicht. Die Gerichte benötigen diesen eindeutigen Nachweis, um eine wesentliche berufliche Ursache der Erkrankung zu bejahen.

Prüfen Sie Ihre radiologischen Befunde explizit daraufhin, ob die Begriffe ‚Chondrose Grad II‘ oder ‚Prolaps‘ in den Segmenten L4/L5 oder L5/S1 erwähnt sind.


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Warum wurden im Fall des Fliesenlegers die späteren MRT-Bilder von 2023 vom Gericht nicht berücksichtigt?

Gerichte lehnen spätere MRT-Aufnahmen oft als nicht maßgeblich ab, weil der Zustand der Wirbelsäule zeitnah zum Ende der beruflichen Belastung entscheidend ist. Im Fall des Fliesenlegers war das früheste MRT von 2016 das relevante Beweismittel. Spätere Befunde verlieren ihre Beweiskraft, da es zunehmend schwieriger wird, eine eindeutige Kausalkette zur früheren beruflichen Tätigkeit aufrechtzuerhalten.

Die Beweislast verlangt vom Kläger, die ursächliche Verbindung zwischen der schweren Arbeit und dem diagnostizierten Schaden zweifelsfrei zu belegen. Diese Kausalkette ist umso fragiler, je mehr Zeit zwischen der schädigenden Einwirkung und der Dokumentation des Schadens vergeht. Nach Beendigung der belastenden Tätigkeit gewinnt der natürliche Alterungsprozess des Körpers juristisch an Gewicht. Die medizinische Bildgebung, die Jahre nach dem Ende der Schwerstarbeit erstellt wird, wird deshalb häufig als durch den Alterungsprozess verfälscht betrachtet.

Konkret diente das MRT von 2016 dem Gericht als Ankerpunkt, da es den Zustand der Wirbelsäule am Ende der maßgeblichen Belastungsphase am besten widerspiegelte. Hätte das MRT von 2023 klarere oder stärkere Schäden gezeigt, wären diese Veränderungen vor Gericht wahrscheinlich dem altersüblichen Verschleiß zugeschrieben worden. Die Richter folgten der Prämisse, dass neue oder sich verschlimmernde Befunde nicht automatisch bedeuten, dass die Ursache weiterhin die berufliche Tätigkeit ist.

Wenn Sie Ihre körperlich belastende Tätigkeit reduzieren oder einstellen müssen, lassen Sie innerhalb von sechs Monaten eine MRT-Untersuchung der Lendenwirbelsäule durchführen, um den relevanten Ausgangszustand gerichtsverwertbar zu dokumentieren.


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Was ist der Unterschied zwischen einer Bandscheibenvorwölbung (Protrusion) und einem Bandscheibenvorfall (Prolaps) im Kontext der BK 2108-Anerkennung?

Juristisch ist die Unterscheidung zwischen einer Bandscheibenvorwölbung (Protrusion) und einem Bandscheibenvorfall (Prolaps) entscheidend für die Anerkennung der Berufskrankheit BK 2108. Eine Protrusion gilt oft als altersüblich und reicht in der Regel nicht aus, um den geforderten Schädigungsgrad zu belegen. Nur der echte Prolaps, der spezifische anatomische Kriterien erfüllt, kann vor Gericht als wahrscheinlicher berufsbedingter Schaden anerkannt werden.

Die Regel: Gerichte stützen sich auf die strengen Definitionen der sogenannten Konsensempfehlungen, um die Kausalität zu prüfen. Bei einer Vorwölbung wölbt sich die Bandscheibe lediglich vor, aber der äußere Faserring (Annulus fibrosus) bleibt intakt. Gutachter interpretieren diesen Befund häufig als normale degenerative Veränderung, die nicht zwingend auf die berufliche Belastung zurückzuführen ist.

Nur wenn das Bandscheibengewebe diesen Faserring nachweislich durchbricht, handelt es sich um einen Prolaps. Dieser anatomisch messbare Durchbruch gilt als Beweis für einen fortgeschrittenen Schaden, der über den gewöhnlichen altersbedingten Verschleiß hinausgeht. Im Fall des Fliesenlegers scheiterte die Anerkennung, weil sein Gutachter die Vorwölbungen nur als „prolapstypisch“ einstufte, ohne den expliziten Nachweis der Durchbrechung des Faserrings zu liefern.

Weisen Sie Ihren Gutachter an, in seinem Bericht explizit zu begründen, ob die diagnostizierte Vorwölbung die strengen Kriterien des Prolaps (Durchbrechung des Faserrings) erfüllt, um die juristische Angriffsfläche zu minimieren.


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Helfen neurologische Symptome wie Taubheitsgefühle, wenn der radiologische Nachweis eines Bandscheibenschadens fehlt?

Nein, neurologische Symptome, so real und messbar sie auch sein mögen, ersetzen juristisch keinen fehlenden anatomischen Schaden. Gerichte folgen strikt den Konsensempfehlungen zur BK 2108, welche eine feste Reihenfolge der Beweiskette vorschreiben. Die Kausalkette kann nur dann beginnen, wenn der objektive radiologische Befund eines Primärschadens vorliegt. Symptome können diese notwendige anatomische Grundlage nicht nachträglich schaffen.

Für die Anerkennung der Berufskrankheit BK 2108 müssen Betroffene zwingend zuerst den anatomischen Primärschaden objektiv nachweisen. Dies umfasst mindestens den Befund einer fortgeschrittenen Chondrose Grad II oder eines echten Bandscheibenvorfalls (Prolaps). Neurologische Ausfälle wie Taubheitsgefühle, Lähmungen oder ausstrahlende Schmerzen gelten als Folgeschäden dieser Verletzung. Sie sind zwar wichtige Anzeichen für die Schwere der Erkrankung, aber ohne den Nachweis des Primärschadens sind sie juristisch irrelevant.

Selbst bei eindeutigen und dokumentierten neurologischen Ausfällen hilft dies dem Kläger nicht weiter, wenn die Bildgebung keinen spezifischen Bandscheibenschaden zeigt, der über den altersüblichen Verschleiß hinausgeht. Gerichte lehnen solche Anträge ab, da die berufliche Kausalkette ohne den anatomischen Befund als unterbrochen gilt. Ein vorhandener Folgeschaden kann die fehlende Voraussetzung des primären, berufsbedingten Schadens nicht beweisen.

Dokumentieren Sie alle neurologischen Ausfälle penibel, aber konzentrieren Sie Ihre juristischen Ressourcen darauf, den anatomischen Primärschaden im Bildmaterial nachzuweisen.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


**Bildtyp:** Editorial-Foto

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- SOZIALRECHT GLOSSAR
- Fachbegriffe einfach erklärt.
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- BEWILLIGT

**Wesentliche Bildelemente:** Buch, Lupe, Kugelschreiber

**Bildbeschreibung:** Das Bild zeigt eine büroähnliche Umgebung mit einem Schreibtisch. Auf dem Tisch liegen ein geöffnetes Buch, eine Lupe und Kugelschreiber. Ein Ordner mit der Aufschrift "BEWILLIGT" und ein Aktenkorb mit beschrifteten Unterlagen sind ebenfalls sichtbar.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

BK 2108

Die Berufskrankheit BK 2108 ist die spezifische Bezeichnung für bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule, die nachweislich durch langjähriges, schweres Heben oder Tragen im Beruf verursacht wurden.
Das Sozialgesetzbuch (SGB VII) erkennt diese spezifischen Schäden an, um Arbeitnehmer, deren Gesundheit durch eindeutige berufliche Einwirkungen zerstört wurde, finanziell zu entschädigen.

Beispiel: Obwohl der Fliesenleger eine außergewöhnlich hohe Belastung nachweisen konnte, verweigerte das Landessozialgericht die Anerkennung der BK 2108, da die medizinischen Kriterien nicht erfüllt waren.

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Chondrose Grad II

Chondrose Grad II bezeichnet im Kontext der Berufskrankheit 2108 einen fortgeschrittenen Knorpelschaden der Bandscheibe, der zwingend nachgewiesen werden muss, um den Schaden vom normalen, altersüblichen Verschleiß abzugrenzen.
Dieser objektiv messbare Befund dient als medizinischer Mindeststandard, weil die Gerichte damit feststellen können, dass der berufsbedingte Verschleiß das altersübliche Maß wesentlich überschritten hat.

Beispiel: Das Gericht lehnte die Anerkennung ab, weil die MRT-Bilder zur Überzeugung der Richter keine Chondrose Grad II zeigten und somit der erforderliche anatomische Beweis fehlte.

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Kausalitätsnachweis

Beim Kausalitätsnachweis müssen Betroffene vor Gericht beweisen, dass die berufliche Einwirkung die wesentliche Ursache für die Erkrankung war, und nicht nur ein möglicher Auslöser oder eine von vielen Ursachen.
Das Sozialrecht verlangt diese strenge Beweiskette, um sicherzustellen, dass nur die Krankheiten entschädigt werden, die direkt aus der spezifischen, schädigenden Tätigkeit resultieren und nicht dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen sind.

Beispiel: Im vorliegenden Fall scheiterte der Kausalitätsnachweis, weil die objektiven medizinischen Befunde der Lendenwirbelsäule nicht mit den anatomischen Mindestanforderungen der Konsensempfehlungen übereinstimmten.

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Konsensempfehlungen

Konsensempfehlungen sind wissenschaftlich fundierte, medizinische Leitlinien, die Gutachter und Richter im Sozialrecht nutzen, um standardisiert zu prüfen, ob ein spezifisches Krankheitsbild mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Belastung verursacht wurde.
Dieses Prüfschema ist faktisch der rechtliche Maßstab für den Kausalitätsnachweis und soll eine einheitliche und objektive Beurteilung komplexer medizinischer Zusammenhänge gewährleisten.

Beispiel: Die Richter zerlegten den Fall des Fliesenlegers entlang der strengen Kriterien der Konsensempfehlungen, um festzustellen, ob seine Bandscheibenvorwölbungen den geforderten Schädigungsgrad erreichten.

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Mainz-Dortmunder-Dosis-Modell (MNh)

Das Mainz-Dortmunder-Dosis-Modell (MNh) ist ein Berechnungsverfahren, mit dem Berufsgenossenschaften objektiv die kumulative Belastungsdosis durch Heben, Tragen und Vibrationen auf die Lendenwirbelsäule über die gesamte Dauer der Berufstätigkeit bestimmen.
Die Berechnung liefert den MNh-Wert als numerischen Beweis für die arbeitstechnischen Voraussetzungen, welche die erste notwendige Hürde im Anerkennungsverfahren zur BK 2108 darstellen.

Beispiel: Mithilfe des Mainz-Dortmunder-Dosis-Modells errechnete die Berufsgenossenschaft beim Kläger eine Dosis von 28,3 Megawattstunden, was die außergewöhnlich hohe berufliche Belastung bestätigte.

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Prolaps

Ein Prolaps (Bandscheibenvorfall) ist der anatomisch definierte Schaden, bei dem das Bandscheibengewebe den äußeren Faserring der Bandscheibe nachweislich durchbricht und der daher als schwerwiegender, berufsbedingter Schaden anerkannt werden kann.
Juristen trennen den Prolaps von der milderen Protrusion (Vorwölbung), weil nur der Durchbruch des Faserrings einen Schaden belegt, der in der Regel über den altersüblichen Verschleiß hinausgeht.

Beispiel: Im Urteil argumentierte das Landessozialgericht, dass die bloßen Protrusionen des Klägers keinen eindeutigen Prolaps darstellten, da die Durchbrechung des Faserrings nicht belegt war.

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Das vorliegende Urteil


Landessozialgericht Sachsen-Anhalt – Az.: L 6 U 49/22 – Beschluss vom 06.02.2025


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