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Anerkennung der PTBS als Arbeitsunfall: abgelehnt wegen psychischer Vorbelastung

Eine Heilpädagogin forderte die Anerkennung der PTBS als Arbeitsunfall, nachdem sie in einer Wohngruppe einen gewalttätigen Angriff abwenden musste. Ihr Versuch, die Situation professionell zu deeskalieren, wurde jedoch überraschend als Argument gegen die notwendige Trauma-Anerkennung gewertet.

Zum vorliegenden Urteil Az.: L 5 U 29/16 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Landessozialgericht Mecklenburg‑Vorpommern
  • Datum: 10.02.2021
  • Aktenzeichen: L 5 U 29/16
  • Verfahren: Berufungsverfahren
  • Rechtsbereiche: Gesetzliche Unfallversicherung, Arbeitsunfallrecht, Sozialrecht

  • Das Problem: Eine Betreuerin erlitt psychische Schäden, nachdem sie bei einem Streit zwischen zwei Bewohnerinnen eingegriffen hatte, bei dem eine Verletzung durch eine Schere entstand. Sie klagte, weil die gesetzliche Unfallversicherung den Vorfall nicht als Arbeitsunfall anerkennen wollte.
  • Die Rechtsfrage: Führt die psychische Belastung durch das Eingreifen in eine gewalttätige Auseinandersetzung zwingend zur Anerkennung einer Posttraumatischen Belastungsstörung als Arbeitsunfall?
  • Die Antwort: Nein, die Berufung wurde zurückgewiesen. Das Ereignis erfüllte die strengen medizinischen Kriterien für ein Trauma nicht. Die psychischen Probleme der Klägerin sind überwiegend auf vorbestehende Anfälligkeit und Konflikte am Arbeitsplatz zurückzuführen.
  • Die Bedeutung: Für die Anerkennung einer psychischen Erkrankung als Arbeitsunfall muss der Vorfall selbst als Trauma im juristischen Sinne beweisbar sein. Vorbestehende psychische Probleme oder andere Belastungen können verhindern, dass der Vorfall als Wesentliche Ursache gilt.

Der Fall vor Gericht


Warum wurde professionelles Handeln zum juristischen Verhängnis?

Eine Sozialarbeiterin wird ohne spezielle Einarbeitung in eine neue, hoch anspruchsvolle Wohngruppe für junge Frauen mit Borderline-Störung geworfen. Wenige Tage später explodiert die Situation: Zwei Bewohnerinnen geraten aneinander, eine hält eine Schere in der Hand, es kommt zu einer stark blutenden Wunde am Unterarm. Die Betreuerin reagiert professionell. Sie drängt sich zwischen die Streitenden, versorgt die Wunde, ruft den Notarzt. Ihr Handeln war vorbildlich. Genau dieses professionelle Handeln wurde ihr Jahre später vor dem Landessozialgericht zum Verhängnis.

Was macht einen psychischen Schock zum Arbeitsunfall?

Tätlicher Angriff mit Schere sorgt für PTBS
Symbolbild: KI

Die Heilpädagogin war nach dem Vorfall nicht mehr dieselbe. Sie entwickelte massive Ängste, Schlafstörungen und Flashbacks. Ihre Ärzte diagnostizierten eine Posttraumatische Belastungsstörung – kurz PTBS. Sie meldete den Vorfall bei der zuständigen Unfallkasse. Sie wollte ihn als Arbeitsunfall anerkennen lassen. Ein Arbeitsunfall, wie ihn das Gesetz in § 8 des Siebten Sozialgesetzbuches (SGB VII) definiert, ist ein zeitlich begrenztes Ereignis, das von außen auf den Körper einwirkt und zu einem Gesundheitsschaden führt. Die Kasse lehnte ab. Der Streit landete vor Gericht.

Die entscheidende Frage war nicht, ob der Vorfall stattgefunden hatte. Das war unstrittig. Die Frage war, ob dieser Vorfall die rechtlich wesentliche Ursache für die psychische Erkrankung der Frau war. Die Gerichte müssen hier nach der „Theorie der wesentlichen Bedingung“ prüfen. Im Klartext: Das Ereignis bei der Arbeit muss für die Entstehung der Krankheit nicht nur irgendein Anlass gewesen sein, sondern der ausschlaggebende Faktor. Andere mögliche Ursachen dürfen keine gleichwertige oder sogar größere Rolle gespielt haben.

Wieso widersprachen sich die Gutachter so fundamental?

Der Fall wurde zu einer Schlacht der Gutachten. Ärzte und Therapeuten der Klägerin bestätigten die PTBS. Ein von der Unfallkasse beauftragter Nervenarzt verneinte sie. Das Sozialgericht in der ersten Instanz schloss sich dem Gutachter der Kasse an und wies die Klage ab. Die Frau ging in Berufung. Das Landessozialgericht holte ein weiteres psychiatrisches Gutachten ein. Dieses bestätigte wiederum eine PTBS. Die Unfallkasse konterte mit einer psychologischen Stellungnahme, die das Gegenteil behauptete.

Der Kern des Streits war eine scheinbar technische Frage: Erfüllte das Ereignis das sogenannte A-Kriterium der internationalen Diagnose-Kataloge (ICD-10, DSM-IV)? Dieses Kriterium verlangt für eine PTBS ein Ereignis von außergewöhnlicher, katastrophaler Bedrohung. Es muss eine Situation sein, die bei fast jedem Menschen tiefe Verzweiflung auslösen würde – Beispiele sind schwere Unfälle, Vergewaltigungen oder Kriegserlebnisse. Der vom Gericht bestellte psychosomatische Gutachter, Dr. E., argumentierte überzeugend: So schlimm der Vorfall war, er erreichte diese Schwelle nicht. Die Verletzung am Unterarm war nicht lebensbedrohlich. Die Klägerin selbst habe nie angegeben, sich in Lebensgefahr gefühlt zu haben.

Wie konnte richtiges Handeln die Diagnose widerlegen?

Hier kam das professionelle Eingreifen der Heilpädagogin ins Spiel. Ihr Verhalten – das Auseinanderbringen der Kontrahentinnen, die Erste Hilfe, der Anruf beim Notarzt – wertete das Gericht als starkes Indiz. Es sprach gegen eine initiale Reaktion von intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen. Genau eine solche Reaktion fordert das A-Kriterium aber für die Diagnose einer PTBS. Die Klägerin hatte funktioniert, statt in Schockstarre zu verfallen. Ihr kompetentes Handeln untergrub die formale Voraussetzung für die Krankheit, auf die sie sich berief.

Das Gericht sah noch einen zweiten, gewichtigeren Grund, den Arbeitsunfall abzulehnen. Die Akten zeigten ein klares Bild. Die Heilpädagogin litt schon vor dem Vorfall an Angststörungen und psychosomatischen Beschwerden. Sie befand sich bereits wegen Konflikten am Arbeitsplatz in Therapie. Nach dem Vorfall mit der Schere eskalierte die Situation mit ihrem Arbeitgeber. Sie fühlte sich alleingelassen. Es gab keine psychologische Nachsorge. Stattdessen drohten strukturelle Veränderungen und Gehaltskürzungen.

Diese Konflikte mit dem Arbeitgeber wurden in den Behandlungsberichten und Therapiesitzungen zum zentralen Thema. Das Gericht kam zu dem Schluss: Die psychische Destabilisierung der Frau war ein Multifaktorielles Geschehen. Ihre vorbestehende Verletzlichkeit und der zermürbende Streit mit dem Arbeitgeber waren mindestens ebenso wichtige – wenn nicht sogar die dominierenden – Ursachen für ihre Krankheit. Der Vorfall vom 16. August 2010 war ein Auslöser. Er war aber nicht die rechtlich wesentliche Bedingung. Die Berufung der Klägerin wurde zurückgewiesen.

Die Urteilslogik

Die Anerkennung psychischer Folgeschäden in der gesetzlichen Unfallversicherung scheitert, wenn das traumatische Arbeitsereignis nicht die rechtlich wesentliche Ursache darstellt.

  • Priorität der wesentlichen Bedingung: Die Unfallversicherung übernimmt die Haftung für psychische Schäden nur, wenn das berufliche Ereignis die dominierende Ursache für die Erkrankung darstellt; vorbestehende Verletzlichkeiten oder nachfolgende arbeitsplatzbezogene Konflikte, die den Gesundheitsschaden gleichwertig erklären, schließen die Anerkennung aus.
  • Strenger Schwellenwert für Traumata: Eine psychische Störung gilt nur dann als Arbeitsunfall, wenn das auslösende Ereignis objektiv die Schwelle einer außergewöhnlichen, katastrophalen Bedrohung erreicht, welche typischerweise bei fast jedem Menschen tiefe Verzweiflung hervorrufen würde.
  • Indizwirkung professionellen Handelns: Die Tatsache, dass ein Betroffener unmittelbar nach einem kritischen Vorfall professionell, ruhig und zielgerichtet reagiert, kann als Indiz gegen die anfänglich geforderte Reaktion intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen gewertet werden, die formal für die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung notwendig ist.

Der Anspruch auf Entschädigung verlangt, dass die Ursachenkette zwischen Vorfall und Krankheit klar und dominant auf das versicherte Ereignis zurückzuführen ist.


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Experten Kommentar

Viele glauben, wenn am Arbeitsplatz ein Schockerlebnis passiert, dann zahlt die Kasse automatisch die psychischen Folgen. Dieses Urteil zeigt jedoch, dass die Beweislast bei der Anerkennung der PTBS als Arbeitsunfall extrem hoch ist und Gerichte die Kausalkette penibel prüfen. Hier war das Dilemma doppelt: Die professionelle, funktionierende Reaktion der Betreuerin schwächte formal die nötigen Trauma-Kriterien. Vor allem aber wurde der anschließende, zermürbende Konflikt mit dem Arbeitgeber als gleichwertige, wenn nicht sogar dominierende Ursache für die Erkrankung eingestuft. Wer bereits vorbelastet war, muss nachweisen, dass der Unfall die gesamte Entwicklung beherrscht, andernfalls lehnt die Kasse ab.


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Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Wann gilt eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) als Arbeitsunfall?

Die Anerkennung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als Arbeitsunfall ist juristisch komplex und an sehr hohe Voraussetzungen geknüpft. Das auslösende Ereignis muss die Schwelle einer außergewöhnlichen, katastrophalen Bedrohung erreichen. Dieses Ereignis muss zudem gemäß § 8 SGB VII als die rechtlich wesentliche Ursache für den Gesundheitsschaden nachgewiesen werden. Die Unfallkasse prüft dabei streng die objektive Schwere des Vorfalls.

Der Gesetzgeber fordert für einen Arbeitsunfall ein zeitlich begrenztes Ereignis, das von außen auf den Körper einwirkt. Bei psychischen Erkrankungen muss dieses Ereignis zusätzlich das sogenannte A-Kriterium der internationalen Diagnose-Kataloge (ICD/DSM) erfüllen. Dieses Kriterium verlangt eine Situation, die bei fast jedem Menschen tiefe Verzweiflung und Hilflosigkeit auslösen würde, beispielsweise tatsächliche Lebensgefahr. So wird sichergestellt, dass die Anerkennung nur bei extremen Stressoren erfolgt, die über normale Arbeitsbelastungen hinausgehen.

Dabei spielt die subjektive Empfindung des Traumas keine entscheidende Rolle. Gerichte fokussieren objektiv auf die potenzielle Lebensgefahr oder die Intensität der Bedrohung. Das Trauma muss nach der „Theorie der wesentlichen Bedingung“ der ausschlaggebende, dominierende Faktor für die Entstehung der PTBS sein. Es darf kein zufälliger Anlass sein, der lediglich eine bereits bestehende psychische Verletzlichkeit zur Entfaltung bringt.

Um erfolgreich zu sein, dokumentieren Sie präzise, inwiefern Ihr Vorfall objektiv die gleiche Intensität einer katastrophalen Bedrohung erreichte, wie sie das A-Kriterium definiert.


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Schließt eine psychische Vorerkrankung die Anerkennung einer PTBS als Arbeitsunfall aus?

Die psychische Vorerkrankung schließt die Anerkennung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als Arbeitsunfall nicht automatisch aus. Allerdings erschwert sie den Nachweis der Kausalität erheblich. Die zuständige Unfallkasse wird in den Akten nach früheren Diagnosen suchen, um die Entstehung der PTBS auf eine vorbestehende Verletzlichkeit zurückzuführen. Eine Vorerkrankung wird dann zum massiven Problem, wenn sie als gleichwertige oder sogar dominierende Ursache gewertet wird.

Das zentrale Problem liegt in der juristischen Kausalitätsprüfung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung. Gerichte berücksichtigen, ob die psychische Destabilisierung ein „multifaktorielles Geschehen“ ist. Wenn die betroffene Person bereits an Angststörungen oder psychosomatischen Beschwerden litt, könnte die Kasse argumentieren, diese Anamnese sei eine gleichwertige Ursache. Spielt die Vorerkrankung eine gleichgewichtige Rolle, verneint das Gericht die wesentliche Kausalität des Arbeitsunfalls.

Um erfolgreich zu sein, muss belegt werden, dass das Arbeitsereignis trotz früherer Anamnese den Gesundheitszustand dominierend verschlechterte. Konkret: Das Gericht muss überzeugt werden, dass die spezifische PTBS ohne das Ereignis bei der Arbeit nicht entstanden wäre. Ihr aktueller Krankheitswert und die Symptomatik müssen klar von den vorbestehenden, behandelten Ängsten abgrenzbar sein. Geschieht dies nicht, kann die Unfallkasse die alten Akten leicht instrumentalisieren, um die gesamte Kausalitätskette zu zerstören.

Bitten Sie Ihren behandelnden Therapeuten oder den Gutachter, in seinem Bericht explizit die Abgrenzbarkeit der spezifischen PTBS-Symptomatik von Ihrer früheren Anamnese festzuhalten.


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Wie weise ich die rechtlich wesentliche Ursache für meine PTBS nach (Theorie der wesentlichen Bedingung)?

Der Nachweis der rechtlich wesentlichen Ursache erfordert mehr als nur einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Ereignis und Diagnose. Sie müssen vor Gericht belegen, dass das Ereignis bei der Arbeit der ausschlaggebende Faktor für die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) war. Dazu müssen Sie die juristische Gleichwertigkeit anderer Stressoren konsequent ausschließen. Das Arbeitsereignis muss dominierend sein, und andere mögliche Ursachen dürfen keine gleichwertige oder größere Rolle gespielt haben.

Die Gerichte wenden die Theorie der wesentlichen Bedingung an, um bloße Anlässe von dominierenden Ursachen zu trennen. Das bedeutet, private oder andere nicht arbeitsbedingte Belastungen, etwa familiäre Konflikte oder gesundheitliche Vorbelastungen, dürfen keine gleichwertige Bedeutung für die psychische Destabilisierung besitzen. Konkret muss der Gutachter bestätigen, dass die arbeitsbedingte Einwirkung in ihrer kausalen Bedeutung überlegen ist. Sie beweisen die Dominanz des Unfalls, indem Sie alle konkurrierenden Faktoren als nachrangig einstufen.

Ein wichtiger Beweisaspekt ist die zeitliche Komponente. Die psychische Destabilisierung muss unmittelbar nach dem Ereignis einsetzen, nicht erst Wochen später durch nachfolgenden Konfliktstress. Stellen Sie sicher, dass Ihr Gutachten die „wesentliche Bedingung“ als juristischen Maßstab versteht und nicht nur die medizinische Kausalität prüft. Wenn Sie nachfolgende Probleme mit dem Arbeitgeber als Hauptursache beschreiben, riskiert man, dass das Gericht diese Streitigkeiten als eigenständige, die Kausalität überlagernde Faktoren wertet.

Erstellen Sie für Ihren Anwalt eine detaillierte Aufstellung aller privaten und nicht arbeitsbedingten Stressoren, damit der Gutachter deren untergeordnete Rolle im Prozess der PTBS-Entstehung klar belegen kann.


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Warum kann mein professionelles Handeln bei einem Trauma das formale PTBS-Kriterium widerlegen?

Ihr kompetentes Eingreifen kann das A-Kriterium einer PTBS formell widerlegen, weil Gerichte argumentieren, dass rationales Funktionieren gegen die geforderte initiale Reaktion von intensiver Furcht spricht. Dieses Verhalten, das Erste Hilfe oder einen Notruf umfasst, wird kontraintuitiv gegen Sie verwendet. Sie müssen belegen, dass das Handeln nicht Rationalität, sondern die Unterdrückung von Entsetzen war.

Das A-Kriterium verlangt für die Diagnose eine sofortige, überwältigende psychische Reaktion, die durch das Ereignis ausgelöst wird. Wenn das Gericht sieht, dass Sie ruhig agieren, Wunden versorgen oder Kontrahenten trennen, deutet es dies als starkes Indiz gegen eine lähmende Schockstarre. Gerichte schließen daraus, dass keine tiefgreifende Hilflosigkeit oder psychische Destabilisierung eintrat. Ihr vorbildliches Verhalten untergräbt somit die juristische Voraussetzung der Krankheit, da Sie primär auf die Hilfeleistung fokussiert waren.

Um dieser Argumentation entgegenzuwirken, müssen Sie die Beweisführung auf die innere Wahrnehmung fokussieren. Bei der Schilderung des Vorfalls dürfen Sie sich nicht auf die Abfolge der Hilfsmaßnahmen beschränken. Beschreiben Sie stattdessen präzise die Empfindung akuter Lebensgefahr oder die körperlichen Schockreaktionen, die während der Hilfeleistung stattfanden. Nur wenn Sie die unterdrückte Panik belegen, können Sie das Urteil entkräften, dass Sie ausschließlich rational gehandelt haben.

Stellen Sie sicher, dass Ihr Gutachter das professionelle Handeln als bewusste Überwindung der lebensbedrohlichen Furcht darstellt.


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Werden Konflikte mit dem Arbeitgeber nach einem Unfall als Ursache für meine psychische Erkrankung gewertet?

Ja, juristisch gesehen stellen Konflikte mit dem Arbeitgeber nach einem Trauma oft eine eigene Gefahr dar. Fehlende psychologische Nachsorge, drohende Gehaltskürzungen oder strukturelle Streitigkeiten gelten als unabhängige und zermürbende Stressoren. Diese Konflikte können die Kausalität des ursprünglichen Arbeitsunfalls überlagern oder sogar durchbrechen.

Gerichte wenden die Theorie der wesentlichen Bedingung an. Sie prüfen, ob der Unfall tatsächlich der dominierende Faktor für die psychische Destabilisierung war. Folgebelastungen, die durch den Arbeitgeber verursacht werden – beispielsweise der Kampf um Rehabilitation – werden dabei als eigenständige Stressoren bewertet. Stellt das Gericht fest, dass diese nachfolgenden Streitigkeiten gleichwertige oder dominierende Ursachen für die Krankheit sind, lehnt es die Anerkennung des Arbeitsunfalls ab.

Dieses Problem entsteht häufig, wenn die zermürbende Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber zum zentralen Thema der Therapie wird. Konkret: Wenn Gutachter und Therapeuten sich überwiegend darauf konzentrieren, wie sehr die fehlende Unterstützung den Betroffenen belastet, liefert dies der Unfallkasse einen Beweis. Das Gericht argumentiert dann, der ursprüngliche Vorfall sei nur ein Auslöser gewesen, aber die spätere, anhaltende Auseinandersetzung sei die juristisch wesentliche Ursache.

Sorgen Sie dafür, dass Ihr Gutachter die psychische Destabilisierung klar zeitlich zuordnet und belegt, dass der Unfall die dominierende Ursache war.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


**Bildtyp:** Editorial-Foto

**Hauptmotiv:** Schreibtisch mit Büromaterialien

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- SOZIALRECHT GLOSSAR
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**Bildbeschreibung:** Das Bild zeigt eine büroähnliche Umgebung mit einem Schreibtisch. Auf dem Tisch liegen ein geöffnetes Buch, eine Lupe und Kugelschreiber. Ein Ordner mit der Aufschrift "BEWILLIGT" und ein Aktenkorb mit beschrifteten Unterlagen sind ebenfalls sichtbar.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

A-Kriterium

Das A-Kriterium ist eine formale Anforderung aus internationalen Diagnose-Katalogen (ICD/DSM), welche die objektive Schwere eines Ereignisses als Voraussetzung für die Anerkennung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) festlegt. Juristen wenden dieses Kriterium an, um sicherzustellen, dass nur katastrophale Bedrohungen als Auslöser für einen entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall gelten, der über die normale psychische Belastung des Berufsalltags hinausgeht.

Beispiel: Im vorliegenden Fall verneinte das Gericht die Erfüllung des A-Kriteriums, weil die Verletzung am Unterarm der Bewohnerin objektiv nicht als lebensbedrohlich eingestuft werden konnte.

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Arbeitsunfall

Ein Arbeitsunfall beschreibt im Sozialrecht (nach § 8 SGB VII) ein zeitlich begrenztes Ereignis, das von außen auf den Körper einwirkt und ursächlich zu einem nachweisbaren Gesundheitsschaden führt. Die gesetzliche Unfallversicherung gewährt bei einem anerkannten Arbeitsunfall Leistungen, um die gesundheitlichen Folgen von Gefahren abzusichern, die typischerweise mit der beruflichen Tätigkeit verbunden sind.

Beispiel: Obwohl der Vorfall mit der Schere unstrittig während der Dienstzeit stattfand, verweigerte die Unfallkasse die Anerkennung als Arbeitsunfall, da die Kausalitätskette zur PTBS nicht dominierend war.

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Multifaktorielles Geschehen

Juristen sprechen von einem multifaktoriellen Geschehen, wenn eine psychische Erkrankung nicht auf eine einzige Ursache zurückzuführen ist, sondern durch das Zusammenwirken mehrerer, gleichrangiger Faktoren entstanden ist. Wenn die Erkrankung ein multifaktorielles Geschehen ist, entfällt die juristisch wesentliche Ursache des Arbeitsereignisses, da dieses seine Dominanz gegenüber anderen privaten oder arbeitsplatzbedingten Stressoren verliert.

Beispiel: Da die Heilpädagogin bereits vor dem Ereignis unter Angststörungen litt und später unter dem zermürbenden Streit mit dem Arbeitgeber, wertete das Gericht die psychische Destabilisierung als multifaktorielles Geschehen.

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Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine schwere psychische Erkrankung, die als verzögerte Reaktion auf ein traumatisches Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung auftritt und sich durch Symptome wie Flashbacks und Schlafstörungen manifestiert. Im Sozialrecht wird die PTBS nur dann als Berufskrankheit oder Arbeitsunfall anerkannt, wenn das auslösende Ereignis objektiv die extrem hohen Anforderungen des A-Kriteriums erfüllt.

Beispiel: Die Ärzte der Klägerin diagnostizierten nach dem Vorfall mit der Schere eine PTBS und meldeten den Vorfall bei der zuständigen Unfallkasse.

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Theorie der wesentlichen Bedingung

Die Theorie der wesentlichen Bedingung ist der zentrale juristische Maßstab im Sozialrecht, der festlegt, wann eine Ursache für einen Gesundheitsschaden als rechtlich relevant und damit entschädigungspflichtig gilt. Nach dieser Theorie muss das versicherte Ereignis (der Arbeitsunfall) nicht nur irgendein Anlass, sondern der ausschlaggebende Faktor für die Entstehung der Krankheit sein; konkurrierende Ursachen dürfen keine gleichwertige Rolle spielen.

Beispiel: Mithilfe der Theorie der wesentlichen Bedingung prüfte das Landessozialgericht, ob der Vorfall am 16. August 2010 oder die nachfolgenden Konflikte mit dem Arbeitgeber die dominierende Ursache für die Erkrankung waren.

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Wesentliche Ursache

Die wesentliche Ursache beschreibt denjenigen Faktor, der nach Abwägung aller Einflussgrößen als der dominierende und rechtlich relevante Grund für den eingetretenen Gesundheitsschaden betrachtet wird. Nur wenn ein Arbeitsunfall die wesentliche Ursache für eine Erkrankung darstellt, muss die Unfallkasse die Kosten tragen; das Gesetz trennt somit bloße Auslöser von den dominierenden Bedingungen der Krankheitsentstehung.

Beispiel: Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die vorbestehende Verletzlichkeit und der Streit mit dem Arbeitgeber, nicht der Vorfall selbst, die juristisch wesentliche Ursache für die psychische Destabilisierung der Sozialarbeiterin waren.

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Das vorliegende Urteil


Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern – Az.: L 5 U 29/16 – Urteil vom 10.02.2021


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