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Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Impfschaden

Hessisches Landessozialgericht – Az.: L 1 VE 34/14 – Urteil vom 22.09.2016

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 20. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Gesundheitsstörungen der Klägerin als Impfschaden zu entschädigen sind.

Die 2009 geborene Klägerin wurde ausweislich des Impfbuches am 8. Mai 2009, 5. Juni 2009 und 17. Juli 2009 mit dem Sechsfach-Impfstoff Infanrix hexa gegen Diphterie, Tetanus, Keuchhusten, Poliomyelitis, Haemophilus influenzae und Hepatitis B sowie mit Prevanar gegen Pneumokokken geimpft.

Die Klägerin stellte durch ihre Eltern am 27. September 2010 einen formlosen Antrag auf Anerkennung eines Impfschadens. Auf dem Antragsformular wurde unter dem 1. November 2010 angegeben, dass seit dem 5. Juni 2009 Entwicklungsprobleme, eine Schädigung des Hirns und ein Anfallsleiden bestünden. Dies sei auf die Impfungen vom 5. Juni 2009 und 8. Mai 2009 zurückzuführen. Die Impfung am 17. Juli 2009 werde nicht damit in Zusammenhang gebracht. Als Komplikationen seien Krämpfe sowie extremes Schreien aufgetreten. Im weiteren Verlauf sei es zu weiteren Krämpfen, stark vermehrtem Schlafbedürfnis, Teilnahmslosigkeit („ohne Reaktionen – Spielt nicht mehr, kein Lachen mehr vorhanden“), starrer Blick („bewegt, dreht usw. sich nicht mehr und liegt nur noch auf dem Rücken – weint beim Krampfen“) gekommen.

Der Beklagte holte Berichte der die Klägerin behandelnden Ärzte, die Herstellerinformationen über die verwendeten Impfstoffe sowie eine Stellungnahme des Paul-Ehrlich-Institutes (PEI) ein und zog die Schwerbehindertenakte der Klägerin bei.

Der Kinderarzt Dr. E. vermerkte bei der U4-Untersuchung am 8. Mai 2009 und der U5-Untersuchung am 17. Juli 2009, dass die Klägerin altersgemäß entwickelt sei. Im Rahmen der U6-Untersuchung am 22. April 2010 beschrieb Dr. E.: „statomotor. leichte Verzögerung, sitzt aktiv, dreht, kein Krabbeln“. Die Klägerin könne sich nicht zum Stehen hochziehen. Ein koordiniertes Krabbeln auf Händen und Knien fehle. Als gesicherte Diagnose benannte er BNS-Epilepsie. Bei der U7-Untersuchung beschrieb er wiederum eine altersgemäße Entwicklung und führte als gesicherte Diagnose „BNS-Krämpfe“ auf. Im Befundbericht vom 31. Januar 2011 gab Dr. E. zur Vorsorgeuntersuchung U5 am 17. Juli 2007 an: „regelrechte Entwicklung. Keine Klagen der Eltern. Am 24. Juli 2009 hätten sie über eine „Beugung des Rumpfes“ berichtet und es sei eine Überweisung in die Neuropädiatrie erfolgt.

Vom 30. Juli 2009 bis 25. August 2009 wurde die Klägerin in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Klinikums F… stationär behandelt. In dem Bericht vom 3. September 2009 wird erwähnt, die Eltern der Klägerin hätten von Auffälligkeiten mit anhaltenden Unruhezuständen und zunehmenden Stuhlunregelmäßigkeiten im Laufe der drei Wochen vor der stationären Aufnahme berichtet. Die Klägerin ziehe alle 3 bis 6 Stunden unvermittelt Arme und Beine an und weine anschließend sehr heftig. Bis zum Beginn dieser Auffälligkeiten habe sich die Klägerin bezüglich des sozialen Kontaktes, der Motorik und des Gewichtsverlaufes nach Angaben der Eltern unauffällig entwickelt. Die EEG-Diagnostik habe eine Hypsarrhytmie entsprechend bei einem BNS-Krampfgeschehen gezeigt. Das Kontroll-EEG am 1. September 2009 habe keine epilepsietypischen Spitzenpotenziale ergeben. Auch das EEG vom 8. September 2009 habe keine epilepsietypischen Potenziale gezeigt. Diagnostiziert wurde eine BNS-Epilepsie (West-Syndrom). Erneute stationäre Behandlungen der Klägerin im Klinikum F… erfolgten in den Zeiträumen 10. bis 18. August 2010, 27. August 2010 bis 2. September 2010, 28. Oktober bis 13. November 2009. Darüber hinaus befand sich die Klägerin am 17. Juni 2010 sowie am 29. Juli 2010 in der Sprechstunde der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Klinikums F…. Als aktuelle Diagnosen benannte der Oberarzt Dr. F.: „Im aktuellen EEG weiterhin keine sicheren Zeichen einer erhöhten cerebralen Erregbarkeit. Deutliche statomotorische und psychomentale Entwicklungsstörung mit einem derzeitigen posturalen Entwicklungsalter um den 7. Lebensmonat. Sekundäre, leichte Mikrocephalie“.

In der Zeit vom 30. November 2009 bis 3. Februar 2010 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung im Epilepsie-Zentrum Bethel (Krankenhaus Mara, Bielefeld). Im Befundbericht vom 9. Februar 2010 wurden als Diagnosen aufgeführt: West-Syndrom, Entwicklungsverzögerung, Rumpfhypotonie, Microcephalie. Zur Anfallsanamnese ist angegeben, dass es am 5. Juni 2009 am Abend nach der zweiten Impfung zu einem ersten Anfall gekommen sei. In der zusammenfassenden Beurteilung wurde festgestellt, dass das West-Syndrom bislang unklarer Ätiologie sei.

Vom 18. August bis 27. August 2010 wurde die Klägerin in der Neuropädiatrie der Universitätskinderklinik in G… stationär behandelt. Dort wurde diagnostiziert: Verdacht auf arzneimittelinduzierte Panzytopenie und Valproatintoxikation, BNS-Epilepsie, kombinierte Entwicklungsstörung, Dysphagie, Koordinationsstörung, Somnolenz.

Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) stellte das Vorliegen der Voraussetzungen für die Pflegestufe II fest. Mit Bescheid vom 24. November 2010 wurde bei der Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 wegen Störungen der körperlichen und geistigen Entwicklung sowie Hirnanfallsleiden festgestellt.

In einer internistischen Stellungnahme vom 8. August 2011 (G./Dr. K., Ärzte für Innere Medizin, Sozialmedizin) wurde ausgeführt, dass trotz umfangreicher Untersuchungen eine eindeutige Ursache der bei der Klägerin bestehenden Leiden nicht festgestellt werden könne. Keine der untersuchenden Kliniken habe die Möglichkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen Impfung und nachfolgendem Anfallsleiden diskutiert. Zwar würden vom Hersteller Krampfanfälle als seltene Nebenwirkung angegeben. Dennoch könne nach den vorliegenden Unterlagen ein Kausalzusammenhang wenig wahrscheinlich gemacht werden. Im Alter zwischen drei Monaten und fünf Jahren seien neurologische Erkrankungen extrem häufig. In diesem Alter trete auch das beschriebene Anfallsleiden überdurchschnittlich häufig auf. Es würden vielfältige Ursachen diskutiert. Trotz umfangreicher Diagnostik sei bei der Klägerin eine eindeutige Krankheitsursache nicht festgestellt worden. Nach der vorliegenden Literatur habe bisher auch kein Fall eines West-Syndroms als Impfschaden unzweifelhaft nachgewiesen und damit als Schädigungsfolgen anerkannt werden können.

Mit Bescheid vom 16. August 2011 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin unter Bezugnahme auf diese Stellungnahme ab. Ein Kausalzusammenhang zwischen der Gesundheitsstörung und den Impfungen am 8. Mai 2009 und 5. Juni 2009 sei nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu begründen.

Hiergegen hat die Klägerin Widerspruch erhoben und zur Begründung insbesondere auf ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 20. Juli 2005 hingewiesen.

Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Impfschaden
(Symbolfoto: Olha Povozniuk/Shutterstock.com)

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Gegenstand des von der Klägerin benannten Urteils sei die Impfung mit einem noch nicht zugelassenen, in der Testphase befindlichen Impfstoffes. Der vorliegend verwendete Impfstoff sei hingegen nach Prüfung durch das PEI zugelassen worden, weshalb es sich grundsätzlich um eine öffentlich empfohlene Impfung mit einem zugelassenen Impfstoff handele. Der Impfstoff könne als sicher gelten. Nach Auskunft des PEI lägen nur insgesamt 35 Verdachtsmeldungen vor, wovon nur eine ein Krampfleiden mit Entwicklungsverzögerung betreffe. Bei diesem Kind habe jedoch gleichzeitig noch eine Stoffwechselerkrankung vorgelegen, welche am ehesten als Ursache in Betracht gekommen sei. Bei der Klägerin sei bereits der zweite Schritt der Kausalkette nicht nachgewiesen. Eine besondere Impfreaktion sei nirgendwo erwähnt. Auch vom behandelnden Kinderarzt sei kein Verdachtsfall an das PEI gemeldet worden. Bei dem Auftreten des ersten Krampfanfalles am Abend der zweiten Impfung handele es sich nicht um eine besondere, über das übliche Maß hinausgehende Reaktion, sondern um eine davon unabhängige, schicksalhaft in enger zeitlicher Nähe zur zweiten Impfung aufgetretene Erkrankung. Gegen die Annahme einer besonderen Impfreaktion spreche auch, dass die erste Impfung offenbar gut vertragen und selbst nach Auftreten des ersten Krampfanfalles noch eine dritte Impfung verabreicht worden sei. Ein ursächlicher Zusammenhang mit den drei Impfungen im Jahr 2009 sei somit durch keinerlei medizinische Fakten zu erhärten.

Am 8. November 2011 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Gießen Klage erhoben. Mit Beschluss vom 9. Januar 2012 hat das Sozialgericht Gießen sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Fulda verwiesen.

Das Sozialgericht Fulda hat gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten von Prof. Dr. J. (ehemaliger Direktor der Landeskinderklinik N…-K…) eingeholt. Dieser hat unter dem 23. Juli 2012 ausgeführt, dass mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit das BNS-Anfallsleiden samt Begleit- und Folgeerscheinungen in den Rahmen der vor sämtlichen Impfungen belegten Hirnentwicklungsstörungen gehöre. Es lasse sich nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit belegen, dass das Anfallsleiden von ursächlich oder wesentlich teilursächlich oder gelegenheitsursächlich mit einer oder mehreren der aufgeführten Impfungen im Zusammenhang stehe. Die Erkrankung der Klägerin sei schicksalsbedingt. Bereits am 8. Mai 2009 sei anlässlich der Vorsorgeuntersuchung U4 eine pathologische Verlaufskurve des Kopfumfanges im Sinne eines Absinkens dokumentiert worden. Dies sei ein Anzeichen von gegenüber der Norm vermindertem Hirnwachstum. Die Verlaufskurve des Kopfumfanges eines einzelnen Kindes spiegele das Gehirnwachstum wider. Zur Verlaufskurve hat der Sachverständige ausgeführt: Geburt 35 cm (nahe 75. Perzentile für Mädchen), 5 Wochen 37 cm (nahe 50. Perzentile), 3 Monate 39,5 cm (nahe 25. Perzentile), 5 Monate 41 cm (zwischen 25. und 10. Perzentile), 14 Monate 44,5 cm (3. Perzentile), 17 Monate 44,5 cm (unter 3. Perzentile). Ein normales Hirnwachstum liege dann vor, wenn die Verlaufskurve des Kopfumfanges des Kindes innerhalb des Perzentilenkorridors bleibe, in den es mit der Geburt eingetreten sei. Eine fortgesetzte Abweichung der Verlaufskurve des Kopfumfanges eines Kindes nach unten in niedrigere Perzentilenkorridore signalisiere ein vermindertes Hirnwachstum. Dies gelte selbstverständlich schon dann, wenn diese absteigende individuelle Verlaufskurve den Streubereich interindividueller Messergebnisse noch nicht unterschritten habe. Zur Feststellung eines verminderten Hirnwachstums sei nicht die Unterschreitung der Kurve der 3. Perzentile notwendig. Die Klägerin sei mit der Geburt bei der 75. Perzentile gestartet. Schon die nächste Messung weiche nach unten ab und auch der dritte Wert liege nur noch bei der 25. Perzentile. Nach der Impfung falle die Kurve der Klägerin weiter ab, bis unter die 3. Perzentile und damit in den Bereich des Mikrozephalus. Eine Hirnentwicklungsstörung sei daher zweifelsfrei schon vor Beginn der Impfserie festzuhalten. Das MRT vom August 2010 zeige eine Volumenabnahme der weißen und der grauen Substanz insbesondere des Großhirns sowie Weiterung der inneren und äußeren Liquorräume. Das verminderte Hirnwachstum bzw. der Verlust an Hirnsubstanz ergebe sich bereits aus der Verlaufskurve des Kopfumfangs. Die Erweiterung der Liquorräume sei als e vacuo-Phänomen im Sinne einer Platzhalterfunktion für Defizite an Hirnsubstanz einzuordnen. Diese Platzhalterfunktion habe jedoch offensichtlich nicht ausgereicht, um die Verlaufskurve des Kopfumfanges der Klägerin nicht zunehmend weiter abfallen zu lassen bis in den Bereich der Mikrozephalie. Dies sei bekannt bei BNS-Anfallsleiden. Die Lumbalpunktion am 4. August 2009 habe Zellzahl und Eiweißwert noch im oberen Grenzbereich sowie Liquorglukose und Laktat im Normalbereich ergeben. Eine Encephalopathie oder Encephalitis lasse sich mit solchen Werten nicht belegen. Das BNS-Leiden sei schon vor der 3. Impfung am 17. Juli 2009 manifest gewesen. Das West-Syndrom betreffe etwa 8 % aller kindlichen Epilepsie. Betroffen seien überwiegend Säuglinge zwischen dem 2. und 8. Lebensmonat. In der Mehrzahl handele es sich um cerebral vorgeschädigte Kinder. Der Sachverständige hat sich detailliert mit den vom PEI mitgeteilten Verdachtsfällen von Impfreaktionen, bei denen ein Anfallsleiden im Zusammenhang mit Kombinationsimpfung Sechsfach-Impfstoff und Prevenar berichtet worden sei, auseinandergesetzt. Er hat angeführt, dass dem PEI nicht die gesamten Krankenakten pro Fall zur Verfügung stünden. Daher sei es nur ausnahmsweise in der Lage, die Wahrscheinlichkeit im einzelnen Fall einzuordnen. In acht Fällen habe das PEI das West-Syndrom genannt. Lediglich in zwei Fällen werde der Zusammenhang als möglich bezeichnet. Eine Studie von Bellmann u.a. habe ergeben, dass innerhalb der ersten postvakzinalen Woche gegenüber der Normerwartung gehäuft West-Syndrome beobachtet worden seien. In den anschließenden drei Wochen sei jedoch gegenüber der Normerwartung ein vermindertes Auftreten zu sehen. Insgesamt über 28 Wochen sei die Häufigkeit des Auftretens von West-Syndrom nicht höher als die Normerwartung bei nicht geimpften Säuglingen gewesen. Dies bedeute, dass die Impfungen lediglich in der Lage gewesen seien, in einem Teil der eo ipse für die nächsten vier Wochen anstehenden Manifestationen von West-Syndrom diese Manifestation gelegenheitsursächlich einige Tage vorzuverlegen. Die Impfungen seien jedoch nicht in der Lage, ein West-Syndrom zu erzeugen. Es sei seither nicht möglich, die Impfung als Ursache oder wesentliche Teilursache von BNS zu konstatieren. Es sei allenfalls theoretisch denkbar, dass in einem Einzelfall zwischen Impfung und Erkrankung ein teilursächlicher oder gar vollursächlicher Zusammenhang gestanden haben könnte. Hierfür sei allerdings ein zweifelsfreier Nachweis einer postvakzinalen Encephalopathie notwendig. Dies fehle bei der Klägerin, da Krampf und Schreien nicht genügten. Da die Hirnentwicklungsstörung der Klägerin schon vor der 1. Impfung am 8. Mai 2009 belegt sei, bedürfe daher das spätere BNS-Anfallsleiden und seine Begleiterscheinungen und Folgeerscheinungen keiner weiteren kausalen Begründung. Darüber hinaus bestehe zwischen der 2. Impfung am 5. Juni 2009 und dem Auftreten des BNS-Anfallsleidens um den 10. Juli 2009 ein Intervall, das die äußerste hierfür akzeptierte postvakzinale Inkubationszeit von 28 Tagen überschreite. Die These, das BNS-Anfallsleiden habe unmittelbar an die 2. Impfung vom 5. Juli 2009 angeschlossen, sei durch die Angaben der Eltern am 30. Juli 2009 in der Kinderklinik F… widerlegt (Anfallsbeginn um den 10. Juli 2009). Ebenso widerspreche die in der Klagebegründung vom 2. November 2011 vorgetragene Datierung dieser These. Das latente Anfallsleiden sowie die cerebrale Mehrfachbehinderung der Klägerin stünden nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in ursächlichem Zusammenhang mit den Impfungen. Das Leiden der Klägerin sei vielmehr mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf eine bereits vor den Impfungen sich klar abzeichnende Hirnentwicklungsstörung, dazu auf eine wahrscheinliche genetische Anfallsdetermination zurückzuführen. Die heutige Erkrankung der Klägerin sei schicksalsbedingt. Weitere Gutachten auf anderen Fachgebieten seien nicht erforderlich.

In der vom Beklagten veranlassten sozialmedizinisch-nervenärztlichen Stellungnahme vom 12. September 2012 hat L. darauf verwiesen, dass auch nach dem Gutachten von Prof. Dr. J. ein ursächlicher Zusammenhang nicht herzustellen sei.

Auf Antrag der Klägerin hat das Sozialgericht ein Gutachten gemäß § 109 SGG von Dr. M. eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 14. September 2013 ausgeführt, dass bei der Klägerin das West-Syndrom mit der geforderten Wahrscheinlichkeit durch die drei streitgegenständlichen Impfungen ausgelöst worden sei. Die Erkrankung sei vorliegend nicht schicksalsbedingt. Für eine Vorschädigung finde sich kein plausibler Hinweis. Für den Zeitpunkt 5. Mai 2009 könne von einer erkennbaren Abweichung des Kopfwachstums nicht ausgegangen werden. Dies habe sich erst nach dem 6. Lebensmonat der Klägerin geändert. Sowohl die Wachstumskurve des Kopfes als auch die vom Kinderarzt dokumentierte Entwicklung würden nicht auf eine Vorschädigung vor Beginn der Impfserie hinweisen. Der dramatische Verlauf sei nach der dritten Kombinationsimpfung aufgetreten. Bereits nach der ersten Impfung sei es bei der Klägerin zu einer entzündlichen Veränderung im Gehirn gekommen, die allerdings erst nach den nächsten Impfungen klinisch auffällig geworden sei. Nach Dr. M. komme bei der Klägerin auch eine akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) in Betracht. Weitere Gutachten zur Klärung des Sachverhalts halte er derzeit für nicht erforderlich.

In seiner Stellungnahme vom 1. Oktober 2013 hat Prof. Dr. J. erneut ausgeführt, dass die Perzentilenkurve der Klägerin bereits vor der ersten streitigen Impfung pathologisch gewesen sei. Dr. M., der chirurgisch und nicht neuropädiatrisch bzw. entwicklungsneurologisch ausgebildet sei, würde ein völlig ungeeignetes Diagramm verwenden und beurteile fachfremd den stetigen Abstieg der Perzentilenkurve. Ausschlaggebend sei nicht, dass und wann die dritte Perzentile unterschritten und damit ein Mikorzephalus diagnostiziert werde. Entscheidend sei vielmehr, dass die Verlaufskurve des Kopfumfanges nicht dem Perzentilenkorridor folge, in den das Kind bei Geburt eingetreten sei, sondern vielmehr, dass sie kontinuierlich absteige in immer niedrigere Perzentilenkorridore und damit von Anfang an eine gestörte Hirnentwicklung (Hirnwachstum) anzeige. Dies sei bereits mit Beginn des stetigen Perzentilenverlustes belegt, was aus dem Diagramm nach Prof. N. ersichtlich sei. Diese Hirnentwicklungsstörung sei die wesentliche Ursache des ab Juli 2009 aufgetretenen West-Syndroms. Bei diesem handele es sich entgegen der Auffassung von Dr. M. um ein symptomatisches und nicht um ein kryptogenes. Soweit Dr. M. auf einen postencephalitischen bzw. postencephalopathischen Liquorbefund hinweise, hat Prof. Dr. J. ausgeführt, dass Zellen und Eiweiß im Liquor nach Encephalititis/Encephalopathie erhöht sein könnten, Glukose im Liquor sei hingegen zumeist deutlicher erhöht. In dem Liquorbefund der Klägerin vom 30. Juli 2009 sei der Liquorzucker normal gewesen und altersbezogen habe auch die Zahl der Liquorzellen im Normbereich gelegen. Das Liquoreiweiß sei nur randständig erhöht gewesen. Allein im Gefolge von gehäuften Krampfanfällen (wie nicht zuletzt bei West-Syndrom) könne der Liquoreiweißwert erhöht sein. Dies sei nicht geeignet, eine vorangegangene postvakzinale Encephalitis/Encephalopathie zu diskutieren oder gar zu belegen. Der Intervall von bis zu drei Tagen – in sehr seltenen Ausnahmefällen bis zu sieben Tagen – bei neurologischen Zwischenfällen nach Keuchhustenimpfung sei völlig korrekt, da dieser Impfschaden nicht immunologisch, sondern toxisch vermittelt sei. Für die übrigen im Impfling nicht vermehrungsfähigen sogenannten Todimpfstoffe gelte nach wie vor eine Spanne postvakzinaler Inkubationszeit von bis zu zwei Wochen, seltener bis zu vier Wochen. Nur für den Sonderfall des Guillan-Bayrré-Syndrom bzw. Polyneuritis würden bis zu sechs Wochen akzeptiert. Die Todesfälle im Zusammenhang mit dem Sechsfach-Impfstoff Hexavac hätten sich Stunden bis maximal zwei Tage nach der Impfung ereignet. Eine Impfung als Ursache oder wesentliche Teilursache des West-Syndroms anzusehen, sei nach den Untersuchungen von Bellmann u.a. – wie bereits im Gutachten dargestellt – nicht möglich.

In seiner Stellungnahme vom 3. November 2013 hat Dr. M. erneut angeführt, dass von einem Abknicken der Kopfumfangskurve bei der Klägerin nicht gesprochen werden könne. Am Tag der Geburt sei der Kopfumfang nicht bestimmt worden. Bei der U2 sowie der U3 habe Kopfumfang mit 35 cm bzw. 37 cm etwas unterhalb der 50. Perzentile gelegen, bei der U4 (Kopfumfang mit 39,5 cm) etwa auf der 25. Perzentile. Ein Wert von 40 cm hätte auf der 50. Perzentile gelegen. Beim Messen des Kopfumfangs bestünden gewisse Toleranzgrenzen, hier handele es sich um 0,5 cm. Der Kinderarzt habe keine Auffälligkeiten notiert. Zudem hat Dr. M. darauf verwiesen, dass die Impfstoffe Infanrix hexa und Prevenar aufgrund der immunologischen Wirkung der Adjuvantien eine autoimmun vermittelte Entzündung des Gehirns verursachen könnten. Darüber hinaus hat der Sachverständige auf das ASIA-Syndrom hingewiesen.

Prof. Dr. J. hat daraufhin unter dem 21. November 2013 nochmals die Pathologie der Kopfwachstumskurve der Klägerin erläutert und auf seine Ausführungen im Gutachten Bezug genommen. Darüber hinaus sei zwischen den Impfbegleitstoffen (Aluminiumverbindungen) und den Impfstoffen nicht zu trennen, da insgesamt die Folgen der Impfung zu betrachten seien. Die beiden wichtigsten entscheidenden Argumente gegen einen (teil-)ursächlichen Zusammenhang zwischen den angeschuldigten Impfungen und dem Leiden der Klägerin seien die vor der Impfserie und vor dem Beginn des Anfallsleiden nachweisbare Hirnentwicklungsstörung sowie die mit den Untersuchungen von Bellmann u.a. auszuschließende Möglichkeit, eine Impfung als Ursache eines West-Syndroms zu konstatieren.

Dr. M. hat sich daraufhin in seiner Stellungnahme vom 2. Februar 2014 erneut zur Kopfwachstumskurve der Klägerin geäußert und betont, dass eine Entwicklungsstörung des Gehirns vor der ersten Impfung nicht vorgelegen habe. Ferner hat er darauf verwiesen, dass die Verursachung von Krampfleiden wie einem West-Syndrom – im Gegensatz zu der Auffassung von Prof. Dr. J. – durch eine Impfung möglich sei. Die Untersuchungen von Bellmann u.a. seien von 1983. Deren Ergebnisse seien wissenschaftlich nicht gerechtfertigt und kritisiert worden.

Dr. O. hat in ihren Stellungnahmen vom 27. Februar 2014 und 10. März 2014 ausgeführt, dass aufgrund der graphischen Darstellung der Wachstumskurve nachvollziehbar sei, dass es bereits ab der 5. Woche bei der Klägerin zu einem Absinken des Perzentilenwertes gekommen sei. Entgegen der Auffassung von Dr. M. könne aufgrund der dokumentierten Untersuchungen eine Impf-Enzephalitis nicht dargelegt werden. Ob es sich bei den Wirkungen der den Impfstoffen beigesetzten Aluminiumsverbindungen um direkte systemisch-toxische Wirkungen oder um eine abnorme Aktivierung des Immunsystems mit autoimmunentzündlichen Schäden handele, sei nicht relevant, da der Nachweis einer entzündlichen Reaktion des Gehirns im Sinne einer ADEM bei der Klägerin nicht habe erbracht werden können.

Unter dem 15. Mai 2014 hat das Robert-Koch-Institut mitgeteilt, dass die Kriterien zur Abgrenzung einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, welche im epidemiologischen Bulletin 25/2007 veröffentlicht worden seien, nach wie vor Gültigkeit hätten.

In seiner Stellungnahme vom 4. Juni 2014 hat Prof. Dr. J. ausgeführt, dass der Kopfumfang der Klägerin im Alter von drei Monaten (U4) bereits 1,5 cm – und nicht 0,5 cm, wie von Dr. M. angenommen – geringer als der Normwert gewesen sei. Denn die Norm wäre nicht 40 cm, sondern – weil die Klägerin bei Geburt im 75. Perzentilen-Korridor angetreten sei – 41 cm gewesen. Zudem habe bereits bei der U3 ein Perzentilenabstieg vorgelegen. Ein einmaliger Perzentilenverlust würde toleriert. Weiterer Perzentilenverlust hingegen signalisiere eine Entwicklungsstörung des Gehirns. Von einem „normalen Kopfumfang“ werde gesprochen, wenn er im Bereich des Perzentilen-Korridors liege, in den das Neugeborene bei Geburt eingetreten sei. Ferner sei er, Prof. Dr. J., durchaus der Ansicht, dass im Anschluss an impfbedingte Encephalitiden/Encephalopathien Anfallsleiden resultierten bzw. bei vorgegebener genetischer Disposition realisiert werden könnten. Bei der Klägerin sei jedoch keine Encephalitide/Encephalopathie nachgewiesen. Ferner habe ein sehr spezielles Anfallsleiden vorgelegen, für welches angesichts der bekannten Forschungen von Bellmann u.a. im Falle zeitlicher Syntropie mit Impfung allenfalls eine gelegenheitsursächliche Verknüpfung akzeptiert werden könne. Im Übrigen müsse zwischen Krampfanfall und Krampfleiden unterschieden werden. Selbst wenn der erste – tatsächlich postvakzinale – isolierte Krampfanfall als Beginn eines Anfallsleidens angesehen werden sollte, so sei speziell im Falle des BNS-Anfallsleidens allenfalls von gelegenheitsursächlicher Verknüpfung zu sprechen. Ferner sei fast obligatorische gängige Erfahrung, dass sich ein Anfallsleiden in den ersten Monaten zunehmend nach Zahl und Auffälligkeit der Anfälle etabliere. Im Übrigen könne zwar ein passageres Absinken der Verlaufskurve des Kopfumfanges durch einen Messfehler vorgetäuscht werden. Er werde aber widerlegt durch anschließend weiteres Absinken der Verlaufskurve, wie im Fall der Klägerin. Fortgesetzter Perzentilenverlust der Verlaufskurve sei nie normal und schon gar nicht in dem hier vorliegenden signifikanten Ausmaß. Dr. M. bewege sich mit seiner abweichenden Einschätzung auf fachfremden Gebiet. Der in engem Anschluss an die 2. Impfung aufgetretene Krampfanfall sei mit größter Wahrscheinlichkeit einer der bekannten, keineswegs seltenen, in aller Regel folgenlosen sogenannten Fieberkrämpfe in enger zeitlicher Anbindung an unterschiedliche Impfstoffe. Bei der Klägerin handele es sich hingegen um ein spezifisches Anfallsleiden (West-Syndrom), das sich nach Ursache, Symptomatik und Verlauf grundsätzlich von einem postvakzinalen Einzelanfall unterscheide. Die Hirnentwicklungsstörung sei bei der Klägerin vorausgegangen, das Anfallsleiden sei die Folge. Dies sei bei 90 % der BNS-Leiden der Fall. Eine postvakzinale Enzephalitis/Encephalopathie im Anschluss an die Impfung vom 5. Mai 2009 hätte mit erheblicher Wahrscheinlichkeit die erste Kernspintomographie dargestellt. Das MRT sei jedoch als unauffällig befundet worden. Auch die übrigen Untersuchungen und die Verlaufsschilderung hätten keinerlei Anhalt für eine postvakzinale Enzephalitis/Encephalopathie ergeben. Das Unterstellen einer solchen Erkrankung sei reine Spekulation. Über die Ätiologie des BNS-Anfallsleidens (West-Syndrom) bestehe in der medizinischen Wissenschaft keine Unsicherheit. Die Voraussetzungen für die Anwendung der sogenannten Kann-Versorgung seien nicht gegeben.

In seiner Stellungnahme vom 26. Juni 2014 hat Dr. M. daraufhin angeführt, dass er nach wie vor die von Prof. Dr. J. vorgelegte Kurve nicht nachvollziehen könne. Gewisse Spielräume gebe es bei Messungen des Kopfumfangs natürlich immer und eine gewisse Ungenauigkeit sei nicht auszuschließen. Prof. Dr. J. fordere zudem zu Unrecht für die Diagnose einer Enzephalitis einen Nachweis erhöhter Zellzahlen und erhöhter Eiweißkonzentration im Hirnwasser (Liquor). Bei immunologischen verursachten Hirnentzündungen wie der ADEM seien Normalbefunde im Liquor jedoch nicht selten. Für die postvakzinale Enzephalitis nach Anwendung inaktiver Impfstoffe gebe es keinen spezifischen Nachweis. Die Diagnose könne nur durch Ausschluss anderer Ursache und die Bewertung des Erkrankungsverlaufs gestellt werden. Im Übrigen seien die Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Kausalitätsbewertung von unerwünschten Wirkungen derzeitig weltweit wissenschaftlicher Standard. In Bezug auf eine Kann-Versorgung hat Dr. M. angegeben, dass die genauen pathophysiologischen Abläufe bei einer postvakzinalen ADEM-Erkrankung wissenschaftlich noch nicht geklärt seien. Ebenso sei offen, warum einige Menschen mit einer so schweren Erkrankung auf Impfungen reagierten.

In der von dem Beklagten vorgelegten Stellungnahme des Arztes für Innere Medizin, Sozialmedizin G. vom 13. August 2014 hat sich dieser den Ausführungen von Prof. Dr. J. angeschlossen und ausgeführt, dass Dr. M. keine fundierten Belege vorgebracht habe, welche die Sichtweise von Prof. Dr. J. widerlegen oder auch nur in Zweifel ziehen könnten.

Mit Schreiben vom 1. September 2014 hat das Sozialgericht dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin mitgeteilt, dass es die von beiden Sachverständigen erstellten Gutachten für klar und eindeutig erachtet und eine Erläuterung nicht notwendig sei. Eine Ladung sei daher nicht beabsichtigt. Offene Fragen könnten binnen 4 Tage formuliert werden. Daraufhin hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin unter dem 12. September 2014 mitgeteilt, dass aus Sicht der Klägerin die Sachverständigen nicht geladen werden müssten.

Mit Urteil vom 20. Oktober 2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es fehle an der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Eine unübliche Impfreaktion – ein Impfschaden – sei nicht nachgewiesen. Das Sozialgericht hat auf die Ausführungen der Stiko im Epidemiologischen Bulletin 25/2007 verwiesen. Darüber hinaus hat es sich dem Gutachten von Prof. Dr. J. angeschlossen. Er habe bei der Klägerin anhand der Perzentilenkurve das Vorliegen einer Hirnentwicklungsverzögerung, welche wiederum zu den BNS-Anfällen geführt habe, nachvollziehbar aufgezeigt. Der Sachverständige Prof. Dr. J. habe überzeugend dargelegt, dass die Erkrankung der Klägerin schicksalsbedingt sei. Auch eine Kann-Versorgung sei nicht begründet, da nach den Ausführungen des Sachverständigen über die Ätiopathologie des BNS-Anfallsleiden keine Unsicherheit bestehe. Bereits vor der Impfung habe ein Hirnschaden vorgelegen. Über dessen Ursache bestehe zwar Ungewissheit. Dies sei jedoch nicht der Grund der fehlenden Kausalität. Im Übrigen überzeuge die Auslegung der Perzentilenkurve von Dr. M. nicht; die Auslegung von dem erfahrenen Neuropädiater Prof. Dr. J. sei überzeugender. Zudem lege Dr. M. die Zusammenhangserfordernisse der WHO und nicht die des Infektionsschutzgesetzes zugrunde.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 23. Oktober 2014 zugestellte Urteil am 24. November 2014 vor dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, dass ein pharmazeutisches Gutachten über die Wirkstoffe Infarix hexa und Prevenar hätte eingeholt werden müssen. Das Sozialgericht hätte die pharmakologische Betrachtung des Impfstoffeexperten Dr. M. nicht als fachfremde Beurteilung abtun dürfen, wenn dieser die Perzentilenverlaufskurve nicht als Beweis für eine angeborene Hirnschädigung bewerte. Dr. M. habe nachvollziehbar dargelegt, dass bei der Klägerin eine postvakzinale Enzephalitis vorliege, welche auf den Adjuvantien der Impfstoffe Infarix hexa und Prevenar resultiere. Auch habe er überzeugend ausgeführt, dass es gerade bei Impfstoffen zu Komplikationen kommen könne, die eben nur einzelfallartig verzeichnet würden und um deren Aufbereitung sich die medizinische Wissenschaft nicht wirklich bemühe. Insoweit stehe das Institut der Kann-Versorgung zur Verfügung. Richtig sei, dass hierzu eine gefestigte medizinische Lehrmeinung existieren müsse. Dies dürfe allerdings nicht so verstanden werden, dass – wenn keine bis kaum eine Lehrmeinung existiere – dieses Krankheitsbild nicht kausal auf die Impfung zurückzuführen sein könne. Diese erhöhten Anforderungen seien vielmehr so zu verstehen, dass es eben keine widersprüchliche bzw. keine überwiegende Gegenmeinung geben dürfe. Ein pharmakologisches Gutachten sei zur Frage einzuholen, inwieweit eine Wechselwirkung bzw. eine Nebenwirkung des applizierten Impfstoffes mit der Immunabwehr des Körpers bestehe und inwieweit dies Auswirkungen auf rheumatische Erkrankungen haben könne bzw. diese verursache. Dr. M. sei im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu dessen gutachterlichen Ausführungen zu befragen. Dies könne darüber Aufschluss geben, inwieweit die Kausalitätskriterien auch nach der VersMedV aus Sicht dieses Sachverständigen vorlägen. Im Übrigen hätte bereits das Sozialgericht Dr. M. vor einer abschließenden Entscheidung hören müssen. Dies sei verfahrensfehlerhaft nicht geschehen. Zwar sei mit Schreiben vom 12. September 2014 mitgeteilt worden, dass aus Sicht der Klägerin die Sachverständigen nicht geladen werden müssten. Dem sei jedoch die Mitteilung des Sozialgerichts vorangegangen, dass die von beiden Sachverständigen erstellten Gutachten klar und eindeutig seien, weitere Fragen nicht offen stünden und eine Erläuterung nicht notwendig sei. Das Sozialgericht habe jedoch nicht erkennbar gemacht, wie es zu entscheiden gedenke. Aus der Urteilsbegründung sei jedoch ersichtlich, dass das Sozialgericht aus dem Gutachten von Dr. M. Kausalitätskriterien herausgelesen habe, welche weder unter eine Ist- noch unter eine Kann-Versorgung subsumiert werden könnten. Es müsse geklärt werden, ob Dr. M. auch die Kausalitätskriterien nach der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) für gegeben halte. Ferner gelte, dass vor der mündlichen Verhandlung keine konkreten Einzelfragen preisgegeben werden müssten. Auch dies habe das Sozialgericht verkannt, zumal es eine Frist von lediglich vier Tagen gesetzt habe.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 20. Oktober 2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 16. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin unter Anerkennung eines West-Syndroms bzw. eines hirnorganischen Anfallsleidens sowie einer cerebralen Mehrfachbehinderung als Folge der Sechsfach-Schutzimpfung und der Pneumokokkenimpfung vom 8. Mai 2009, 5. Juli 2009 und 17. Juli 2009 Beschädigtenversorgung ab September 2010 zu gewähren hilfsweise, den Sachverständigen Dr. M. zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens sowie seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahmen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung anzuhören.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen seien nicht im Sinne der wesentlichen Bedingung kausal ursächlich auf die Impfungen zurückzuführen. Dies habe auch das Gutachten von Prof. Dr. J. ergeben. Zudem hat der Beklagte auf Teil C Nr. 1 a und b und Nr. 3 a und b der VersMedV verwiesen. Hiernach genüge für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung auch gleichzeitig Schädigungsfolge sei, versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Dies sei gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als dagegen spreche. Es genüge nicht, dass ein einzelner Wissenschaftler eine Arbeitshypothese aufgestellt oder einen Erklärungsversuch unternommen habe. Lediglich Dr. M. habe in dem vorliegenden Fall einen kausalen Sachzusammenhang im Sinne einer wesentlichen Bedingung bestätigt und sich dabei nicht auf die im sozialen Entschädigungsrecht geltende Kausaltheorie der wesentlichen Bedingungen entsprechend dem Bundesversorgungsgesetz und der VersMedV bezogen, sondern einen Kausalzusammenhang aufgrund der Kriterien der WHO bestätigt, welche hier jedoch nicht anzuwenden seien. Darüber hinaus habe Dr. O. mit Stellungnahme vom 27. Februar 2014 zu den Aluminiumverbindungen bereits festgestellt, dass ein Nachweis einer entzündlichen Reaktion des Gehirns im Sinne einer ADEM bei der Klägerin nicht habe erbracht werden können. Folglich seien auch mögliche Wirkungen dieser Zusatzstoffe bei dem hiesigen Sachverhalt nicht relevant. Die Beiziehung eines pharmakologischen Gutachtens sei aufgrund der bereits vorliegenden zahlreichen Stellungnahmen und Gutachten, welche sich durchaus auch mit dem Impfstoff selbst, dessen Zusammensetzung und mögliche Nebenwirkungen auseinandersetzten, nicht zielführend. Bezüglich der Kann-Versorgung hat der Beklagte darauf verwiesen, dass hierfür Schädigungsfaktoren vorhanden sein müssten, welche wegen der Ungewissheit in der medizinischen Wissenschaft nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit als Ursache der Gesundheitsstörung gewertet werden könnten. Dies sei vorliegend nicht gegeben. Eine mündliche Anhörung von Dr. M. sei nicht erforderlich. Es sei nicht ersichtlich, weshalb dieser die VersMedV nicht bereits seinem Gutachten zu Grunde gelegt habe.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 14. Juni 2016 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass weder die Anhörung des Sachverständigen Dr. M. in der mündlichen Verhandlung, noch die Einholung eines pharmakologischen Gutachtens beabsichtigt ist.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Zu Recht haben das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 20. Oktober 2014 abgewiesen und der Beklagte den Entschädigungsantrag der Klägerin vom 27. September 2010 mit Bescheid vom 16. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2011 abgelehnt.

Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG gilt, dass jemand, der durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, aufgrund dieses Gesetzes angeordnet wurde, gesetzlich vorgeschrieben war oder aufgrund der Verordnungen zur Ausführung der internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG erhält, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt.

Nach § 2 Nr. 11, 1. Halbsatz IfSG ist ein Impfschaden die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung. Als anspruchsbegründende Tatsachen müssen die schädigende Einwirkung (die Impfung), die gesundheitliche Schädigung (Impfkomplikation) und der Impfschaden (Dauerleiden) im Vollbeweis nachgewiesen sein, das heißt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw. mit einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt werden können, dass kein vernünftiger Mensch noch Zweifel hat (BSG, Urteil vom 7. April 2011, B 9 VJ 1/10 R, juris). Für den Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis (Impfung) und der Primärschädigung (Impfkomplikation) sowie zwischen dieser und den Schädigungsfolgen genügt es allerdings, wenn die Kausalität wahrscheinlich gemacht ist, § 61 Satz 1 IfSG (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.). Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind. Bei der jeweils vorzunehmenden Kausalbeurteilung sind im sozialen Entschädigungsrecht die bis Ende 2008 in verschiedenen Fassungen geltenden „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ (AHP) anzuwenden und zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts handelt es sich bei den schon seit Jahrzehnten von einem Sachverständigenbeirat beim zuständigen Bundesministerium (jetzt beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales <BMAS>) erarbeiteten und ständig weiterentwickelten AHP insbesondere um eine Zusammenfassung medizinischen Erfahrungswissens und damit um sog. antizipierte Sachverständigengutachten (s. nur BSG, SozR 4-3250 § 69 Nr. 9). Die AHP sind in den Bereichen des sozialen Entschädigungs- und des Schwerbehindertenrechts generell anzuwenden und wirken dadurch wie eine Rechtsnorm („normähnlich“). Für den Fall, dass sie nicht mehr den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft wiedergeben, sind sie allerdings nicht anwendbar (BSG a.a.O.). Verwaltung und Gerichte haben insoweit auf andere Weise den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zu ermitteln.

Die AHP enthalten unter den Nrn. 53 bis 142/143 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen, wobei die Nr. 56 Impfschäden im Allgemeinen und die Nr. 57 Schutzimpfungen im Einzelnen zum Inhalt haben. Die detaillierten Angaben zu Impfkomplikationen (damals noch als „Impfschaden“ bezeichnet) bei Schutzimpfungen in Nr. 57 AHP 1983 bis 2005 sind allerdings Ende 2006 aufgrund eines Beschlusses des Ärztlichen Sachverständigenbeirats „Versorgungsmedizin“ beim BMAS gestrichen und durch folgenden Text ersetzt worden (Rundschreiben des BMAS vom 12. Dezember 2006 – IV.c.6-48064-3; vgl. auch Nr. 57 AHP 2008):

„Die beim Robert-Koch-Institut eingerichtete STIKO entwickelt Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß der Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden). Die Arbeitsergebnisse der STIKO werden im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht und stellen den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar.

Die Versorgungsmedizinische Begutachtung von Impfschäden (§ 2 Nr. 11 IfSG und Nr. 56 Abs. 1 AHP) bezüglich Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Kann-Versorgung ist jedoch ausschließlich nach den Kriterien von §§ 60 f IfSG durchzuführen. Siehe dazu auch Nr. 35 bis 52 (Seite 145 bis 169) der AHP.“

Die seit dem 1. Januar 2009 an die Stelle der AHP getretene Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) ist eine allgemein verbindliche Rechtsverordnung, die indes, sofern sie Verstöße gegen höherrangige, etwa gesetzliche Vorschriften aufweist, jedenfalls durch die Gerichte nicht angewendet werden darf (BSG, Urteil vom 23. April 2009, B 9 SB 3/08 R, m.w.N., juris). Anders als die AHP 1983 bis 2008 enthält die VersMedV keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern (s. BMAS <Hrsg>, Einleitung zur VersMedV, S. 5), sodass insoweit entweder auf die letzte Fassung der AHP von 2008 zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten genutzt werden müssen.

Alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, sind auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Sozialen Entschädigungsrecht, insbesondere im Impfschadensrecht, und Schwerbehindertenrecht (s. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1997, 9 RVi 1/95, SozR 3-3850 § 52 Nr. 1 S. 3, Urteil vom 24. April 2008, B 9/9a SB 10/06 R, SozR 4-3250 § 69 Nr. 9 RdNr. 25) sowie im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, B 2 U 1/05 R, BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17; Urteil vom 27. Juni 2006, B 2 U 20/04 R, BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr. 7). Ein bestimmter Vorgang, der unter Umständen vor Jahrzehnten stattgefunden hat, muss, wenn über ihn erst jetzt abschließend zu entscheiden ist, nach dem heutigen Stand der medizinischen Wissenschaft beurteilt werden. So kann auch die vor Jahrzehnten bejahte Kausalität aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden als fehlend erkannt werden, mit der Folge, dass Anerkennungen unter Umständen zurückzunehmen oder nur aus Gründen des Vertrauensschutzes (§ 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – SGB X -) zu belassen sind (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010, B 9 V 1/10 R, juris).

Unter Beachtung vorstehender Grundsätze und der durchgeführten Beweiserhebungen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass bei der Klägerin infolge der Impfungen am 8. Mai 2009, 5. Juni 2009 und 17. Juli 2009 keine Impfkomplikation eingetreten ist, die zu einem Impfschaden geführt hat, welcher durch diese Impfungen verursacht worden ist.

Aufgrund der überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. J. in seinem Gutachten sowie in seinen ergänzenden Stellungnahmen geht der Senat davon aus, dass die Klägerin bereits vor den angeschuldigten Impfungen an einer Hirnentwicklungsstörung gelitten hat, welche die wesentliche Ursache für das bei der Klägerin vorliegende West-Syndrom ist. Wie der Sachverständige dargelegt hat, ist dieser Vorschaden anhand der Perzentilenkurve der Klägerin belegt. Die Verlaufskurve des Kopfumfanges ist kontinuierlich in immer niedrigere Perzentilen-Korridore abgestiegen. Der Ansicht von Dr. M., für den 8. Mai 2009 (Zeitpunkt der 1. Impfung) könne noch nicht von einem erkennbaren Abweichen des Kopfwachstums ausgegangen werden, ist hingegen nicht zu folgen. Prof. Dr. J. hat die erhobenen Befunde ausgewertet und anhand der Daten zum Kopfumfang überzeugend dargelegt, dass bereits bei der U3 am 12. März 2009 ein Perzentilenabstieg vorgelegen hat. Er hat darauf hingewiesen, dass Dr. M. ein völlig ungeeignetes Diagramm verwendet und als ausgebildeter Chirurg fachfremd beurteilt hat. Prof. Dr. J. hingegen verfügt als ehemaliger Direktor einer Landeskinderklinik über klinische und wissenschaftliche Erfahrung aus über 40 Jahren kinderklinischer Tätigkeit – insbesondere auch in den Bereichen Entwicklungsneurologie, Neuropädiatrie, Immunologie – und ist seit 1971 als Gutachter mit Impfschadensfragen befasst.

Mit Prof. Dr. J. geht der Senat zudem davon aus, dass eine postvakzinale Encephalitis/Encephalopathie bei der Klägerin nicht vorgelegen hat. Eine postvakzinale Encephalitis/Encephalopathie wäre mit erheblicher Wahrscheinlichkeit durch die erste Kernspintomographie dargestellt worden. Das entsprechende MRT ist jedoch, wie Prof. Dr. J. ausgeführt hat, insoweit unauffällig. Auch die übrigen Untersuchungen und Verlaufsschilderungen haben keinen Anhalt für eine solche Erkrankung ergeben. Soweit Dr. M. ausführt, dass es für die postvakzinale Encephalitis nach Anwendung inaktiver Impfstoffe keinen spezifischen Nachweis gebe und die Diagnose allein durch Ausschluss anderer Ursachen und die Bewertung des Krankheitsverlaufs gestellt werden könne, kann dies eine andere Bewertung nicht begründen. Denn andere Krankheitsursachen sind keineswegs ausgeschlossen. Wie bereits ausgeführt, hat Prof. Dr. J. überzeugend dargelegt, dass das bei der Klägerin vorliegende West-Syndrom ursächlich auf die Hirnentwicklungsstörung zurückzuführen ist. Darüber hinaus ist, wie Prof. Dr. J. überzeugend ausgeführt hat, aufgrund der Studie von Bellmann u.a. davon auszugehen, dass die Impfungen lediglich in der Lage seien, ein West-Syndrom gelegenheitsursächlich einige Tage vorzuverlegen. Als Ursache oder wesentliche Teilursache könnten sie hingegen nicht konstatiert werden. Für einen theoretisch denkbaren, hiervon abweichenden Einzelfall müsste eine postvakzinale Encephalopathie nachgewiesen sein, was vorliegend jedoch gerade nicht der Fall ist. Aus diesen Gründen kommt es zudem auf die Wirkung der in den Impfstoffen enthaltenen Adjuvantien vorliegend nicht an. Auch der Nachweis einer entzündlichen Reaktion des Gehirns im Sinne einer von Dr. M. vorgebrachten ADEM konnte bei der Klägerin nicht erbracht werden, wie Dr. O. in ihrer Stellungnahme vom 27. Februar 2014 dargelegt hat.

Bei dieser Sachlage liegen auch die Voraussetzungen für einen Anspruch nach der so genannten Kann-Versorgung gemäß § 61 Satz 2 IfSG nicht vor. Eine Versorgung ist nach diesen Vorschriften mit Zustimmung des zuständigen Ministeriums zu gewähren, wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Für die Kann-Versorgung wird nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen u.a. vorausgesetzt, dass ein ursächlicher Einfluss der im Einzelfall vorliegenden Umstände in den wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als theoretisch begründet in Erwägung gezogen wird (vgl. Teil C 4. B bb). Dabei reicht allein die theoretische Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs nicht aus. Die Frage der Kausalitätsvoraussetzung stellt sich vielmehr für die Kann-Versorgung ebenso wie für einen Rechtsanspruch. Zwischen beiden bestehen bezüglich der Kausalität lediglich graduelle Unterschiede. Darüber hinaus müssen alle Umstände gegeben sein, die sonst einen Versorgungsanspruch begründen. Auf die konkrete Feststellung des Verursachungsfaktors kann nicht verzichtet werden. Es genügt insbesondere nicht die Ungewissheit darüber, welche Umstände konkret und im Einzelnen für die Krankheit kausal waren, denn sonst würde es an der Bestimmung der haftungsausfüllenden Kausalität und somit an der Grundvoraussetzung für den Versorgungsanspruch selbst fehlen (vgl. BSG, Urteil vom 19. August 1981, 9 RVi 5/80 m.w.N., juris, Rn. 27). Fehlt es somit schon am Nachweis einer unmittelbaren Impfkomplikation oder ist die Wahrscheinlichkeit der Kausalität schon aus anderen Gründen zu verneinen, so liegen die Voraussetzungen der Kann-Versorgung nach § 61 S. 2 IfSG nicht bloß deshalb vor, weil daneben auch die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft ungewiss ist (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 27. Juni 2007, L 4 VJ 37/04, juris, Rn. 30 und Urteil vom 19. März 2015, L 1 VE 9/09). Vielmehr ist erforderlich, dass durch eine nachvollziehbare wissenschaftliche Lehrmeinung Erkenntnisse vorliegen, die für einen generellen, in der Regel durch statistische Erhebungen untermauerten Zusammenhang sprechen, somit also die „gute Möglichkeit“ des Zusammenhangs besteht, die sich in der wissenschaftlichen Medizin nur noch nicht so weit zur allgemeinen Lehrmeinung verdichtet hat, dass von gesicherten Erkenntnissen gesprochen werden kann (BSG, Urteil vom 12. Dezember 1995, 9 RV 17/94; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 1. Februar 2011, L 6 (7) VJ 42/03; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25. September 2012, L 7 VJ 3/08).

Diese Voraussetzungen sind zur Überzeugung des Senats im Hinblick auf die Ausführungen von Prof. Dr. J. im vorliegenden Fall nicht gegeben. Über die Ätiologie des BNS-Anfallsleiden bzw. des West-Syndroms besteht hiernach in der medizinischen Wissenschaft keine Unsicherheit.

Den Beweisanträgen der Klägerin war nicht zu folgen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Anhörung von Dr. M. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Zwar umfasst der Anspruch auf rechtliches Gehör grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger (BVerfG, Kammerbeschluss vom 3. Februar 1998, 1 BvR 909/94). Das Gericht kann den nach § 118 Abs. 1 SGG, § 411 Abs. 4 ZPO gestellten Antrag jedoch ablehnen, wenn er zu spät (§ 411 Abs. 4 ZPO) gestellt worden ist (vgl. BSG, Beschlüsse vom 5. Mai 1998, B 2 U 305/97 B und 24. Juli 2012, B 2 U 100/12 B; vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 11. Aufl., § 118 Rn. 12g). Vorliegend hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Anhörung des Sachverständigen Dr. M. im erstinstanzlichen Verfahren nicht beantragt, sondern vielmehr mit Schreiben vom 12. September 2014 nach der durch das Sozialgericht vorgenommenen Fristsetzung die Anhörung der Sachverständigen ausdrücklich als nicht erforderlich bezeichnet. Ein Verfahrensfehler des Sozialgerichts, der dennoch einen Anspruch auf Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat begründen könnte (vgl. hierzu BSG, Beschlüsse vom 12. April 2005, B 2 U 222/04 B und 24. April 2008, B 9 SB 58/07 B), ist nicht ersichtlich.

Insbesondere ist insoweit rechtlich nicht relevant, dass – so der Prozessbevollmächtigte der Klägerin – das Sozialgericht vor der Entscheidung nicht erkennbar gemacht hat, wie es entscheiden werde. Eine Entscheidung in der Hauptsache wird grundsätzlich nach mündlicher Verhandlung und Beratung durch die Kammer bzw. den Senat getroffen. In diesem Rahmen sind auch die eingeholten Gutachten vom Gericht rechtlich zu würdigen. Die Fristsetzung durch das Sozialgericht für die Benennung von Fragen an den Sachverständigen ist rechtlich ebenfalls irrelevant, da der Prozessbevollmächtigte der Klägerin – ohne dies zu beanstanden – mit Schreiben vom 12. September 2014 mitgeteilt hat, dass die Sachverständigen nicht geladen werden müssen.

Darüber hinaus kommt es vorliegend auf die Frage, ob Dr. M. auch nach der VersMedV die Kausalitätskriterien für gegeben erachtet, nicht an. Aufgrund der Ausführungen von Prof. Dr. J. ist – wie dargelegt – von einem Impfschaden aufgrund der für das West-Syndrom ursächlichen Hirnentwicklungsstörung, die bereits vor den Impfungen vorlag, nicht auszugehen. Dies wird hingegen von Dr. M. bestritten, ohne dass dies für den Senat nachvollziehbar erscheint. Damit ist es unbeachtlich, ob Dr. M. unter Anwendung der Kausalitätskriterien nach der VersMedV zu einer von seinem Gutachten bzw. seinen Stellungnahmen abweichenden Auffassung gelangt.

Ein pharmazeutisches Gutachten war bereits deshalb nicht einzuholen, weil vorliegend aufgrund der für die Erkrankung der Klägerin ursächlichen Hirnentwicklungsstörung die pharmazeutische Wirkung der Impfstoffe nicht von Bedeutung ist. Darüber hinaus ist auch von den Sachverständigen die Einholung eines weiteren Gutachtens für nicht erforderlich beurteilt worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

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