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Anerkennung einer Innenohrschwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 BKV

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg – Az.: L 3 U 118/16 – Urteil vom 18.10.2022

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 07. Juli 2016 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung von Hörstörungen als Berufskrankheit nach dem Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) i. V. m. der Berufskrankheitenverordnung (BKV) nach Nummer 2301 der Anlage 1 zur BKV (BK 2301) – Lärmschwerhörigkeit.

Der 1940 geborene Kläger absolvierte von September 1954 bis September 1956 im VEB eine Lehrausbildung zum Stahlbauschlosser, während derer er die Hälfe der Zeit praktisch ausgebildet wurde und dabei u. a. an einem Schmiedelehrgang teilnahm sowie mit dem Kaltrichten von Blechen und Profilen beschäftigt gewesen ist. Während seiner nachfolgenden Tätigkeit als Werkzeugschlosser (9/1956 bis 9/1957) sowie seiner theoretischen und praktischen Ausbildung als Ingenieur von September 1957 bis Juli 1961 war er keinen Lärmbelastungen ausgesetzt. Von 1961 bis 1965 war der Kläger als Ingenieur für Energietechnik unter anderem für das Inbetriebsetzen von Dampfmaschinen, Verdichtern und Kompressoren sowie deren Kontrolle bei laufendem Betrieb verantwortlich. Seinen Wehrdienst leistete der Kläger von Oktober 1966 bis Mai 1968. Dabei hatte er unter anderem Flugzeuge des Typs MIG zu betanken. Von Juni 1968 bis April 1970 arbeitete er in der Anlagenprojektierung, ohne dabei wesentlichen Lärmeinwirkungen ausgesetzt gewesen zu sein. Anschließend bis zum 31. August 1979 war der Kläger wieder als Ingenieur für Konstruktions-, Fertigungs- und Montagetechnik tätig und arbeitete vom 01. Dezember 1979 bis zum 30. Mai 1991 erneut als Ingenieur für Energietechnik sowie bei einem anderen Arbeitgeber nachfolgend bis zum 30. September 1994. Auch hierbei kam der Kläger wieder erheblich in Kontakt mit Verdichtern, Kompressoren und Turbinen. Von Dezember 1994 bis Mai 1998 war der Kläger als (selbständiger) beratender Ingenieur in einer Müllverbrennungsanlage keinen Lärmeinwirkungen ausgesetzt. Ab Juni 1998 bis zum Bezug der Altersrente seit September 2000 war der Kläger arbeitsuchend.

Im Rahmen einer arbeitsdienstlichen Untersuchung wurde am 10. Dezember 1979 ein Tonaudiogramm erstellt.

Innenohrschwerhörigkeit
(Symbolfoto: ANDRANIK HAKOBYAN/Shutterstock.com)

Am 24. Juli 2009 erstellte der Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (HNO) Dr. P, den der Kläger zu diesem Zwecke einmalig aufsuchte, ein Tonschwellenaudiogramm. Danach fiel die Hörleistung in Bezug auf die Luftleitung rechts im Frequenzbereich von 6 kHz auf bis zu 85 dB ab und stieg dann bei 8 kHz wieder auf 65 dB an. In Bezug auf das linke Ohr fiel die Hörkurve ebenfalls im Bereich von über 2 kHz steil ab und zwar nahezu gradlinig bis zu einer Frequenz von 8 kHz auf bis zu 85 dB. Im November 2013 stellte sich der Kläger erstmalig bei dem Facharzt für HNO Dr. F vor. Dieser diagnostizierte eine Schwerhörigkeit. Seit Dezember 2013 ist der Kläger durch die gesetzliche Krankenversicherung beidseitig mit Hörgeräten versorgt. Unter dem 11. Dezember 2013, eingegangen bei der Beklagten am 17. Dezember 2013, zeigte Dr. F den Verdacht der streitgegenständlichen Berufskrankheit an und reichte ein Tonschwellenaudiogramm vom 19. November 2013 mit ein. Danach ergab sich ein prozentualer Hörverlust von 30% rechts und 35% links.

Daraufhin nahm die Beklagte Ermittlungen in arbeitstechnischer und medizinischer Hinsicht auf. Auf den entsprechenden am 05. Januar 2014 ausgefüllten Fragebögen der Beklagten machte der Kläger detaillierte Angaben zu seiner beruflichen Tätigkeit und den Lärmeinwirkungen. Zudem gab er an, dass er konkrete Zeitpunkte, ab dem sich die Schwerhörigkeit erstmals bemerkbar gemacht habe bzw. ab dem sie im jetzigen Ausmaß bestehe, nicht benennen könne. Die Präventionsabteilung der Beklagten ermittelte in ihrer Stellungnahme Arbeitsplatzexposition vom 24. Januar 2014 die Lärmeinwirkungen für den Zeitraum vom 01. Juli 1961 bis zum Ende der beruflichen Tätigkeit des Klägers. Unter Auswertung der Angaben des Klägers sei danach von einer lärmgefährdenden Tätigkeit auszugehen. Unter Berücksichtigung aller Zeiträume, in denen der äquivalente Dauerschallpegel über 85db(A) gelegen habe, ergebe sich eine effektive Lärmdosis (ELD) von über 40 Jahren. Bezogen auf einen äquivalenten Dauerschallpegel je Arbeitsschicht im Sinne eines Tageslärmexpositionspegels (LEX,8h) von 100 db(A) ergebe sich eine effektive Lärmdosis (ELD100) von 11,1 Jahren. Die für die BK 2301 relevante Lärmbelastung habe am 31. Oktober 1994 geendet. Der Gewerbearzt Dr. S führte in der von ihm eingeholten Stellungnahme vom 03. Juni 2014 aus, dass die Anerkennung der BK 2301 nicht vorgeschlagen werden könne, da ein Ursachenzusammenhang zwischen der Erkrankung und der beruflichen Tätigkeit nicht habe nachgewiesen werden können.

Mit Bescheid vom 04. Juli 2014 lehnte die Beklagte die Anerkennung der streitgegenständlichen Berufskrankheit ab. Die bei dem Kläger bestehende Innenohrschwerhörigkeit könne nicht auf die berufliche Lärmexposition zurückgeführt werden, da sich eine Lärmschwerhörigkeit nach Ende der Exposition weder verschlimmern noch entwickeln könne. Die Lärmexposition beim Kläger habe 1994 geendet, für diesen Zeitpunkt würden aber keine Befunde oder Audiogramme vorliegen. Der Kläger habe sich auch erst im Jahr 2010 wegen der Schwerhörigkeit bei einem Arzt vorgestellt.

Den vom Kläger hiergegen mit Schreiben vom 27. Juli 2014 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. September 2014 zurück. Da keine Befunde vorliegen würden, aus denen eine zeitnahe Entstehung des Hörverlustes zum Ende der beruflichen Lärmeinwirkungen hervorgehe, sei ein Zusammenhang nicht wahrscheinlich.

Mit seiner am 24. Oktober 2014 bei dem Sozialgericht Berlin (SG) eingegangenen Klage hat der Kläger sein Ziel der Anerkennung der BK 2301 weiterverfolgt. Es seien bei den Ermittlungen der Beklagten nicht die Zeit der Lehrausbildung von 1994 bis 1996 (gemeint wohl 1954 bis 1956) berücksichtigt worden. Der Kläger hat begehrt, die Beklagte unter Änderung des Bescheids vom 04. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. September 2014 zu verpflichten, bei ihm die Berufskrankheit nach Nummer 2301 der Anlage 1 der BKV festzustellen, und zu verurteilen, die gesetzlich zustehenden Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen. Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat sich auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden berufen. Selbst ein Ende der Lärmexposition erst 1996 unterstellt, bestehe weiterhin eine Befundlücke von 34 Jahren.

Das Sozialgericht hat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Facharztes für HNO Dr. G vom 18. Dezember 2015 nach Untersuchung des Klägers am 10. Dezember 2015. Bei der Untersuchung habe der Kläger angegeben, seit ca. 20 Jahren eine Schwerhörigkeit bemerkt zu haben. Nach dem von Dr. G erstellten Tonschwellenaudiogramm lag ein nahezu deckungsgleicher Verlauf der Luft- und Knochenleitungskurve vor. Die Hörkurve rechts verlief bis zu einer Frequenz von 2 kHz zwischen 10 und 40 dB(A) und fiel dann steil auf 65 dB(A) bei 4 kHz bzw. auf bis zu 70 dB(A) (Luftleitung) bei 6 kHz ab und stieg bei 8 kHz noch einmal auf bis zu 50 dB(A) an. Dr. G hat ausgeführt, dass nach Aktenlage von einer erheblichen beruflich bedingten Geräuscheinwirkung, die geeignet gewesen sei, eine lärmbedingte Innenohrschwerhörigkeit hervorzurufen, auszugehen sei. Die Hörkurve rechts passe in das Bild einer C5-Senke. Das Tonschwellenaudiogramm aus dem Jahr 1979 sei nicht eindeutig, zeige aber bereits einen Abfall bis 50 dB(A) im Hochtonbereich. Es müsse davon ausgegangen werden, dass eine leichte Innenohrschwerhörigkeit bestanden habe, die sich durch die Arbeit im Lärm verschlechtert habe. Um diese Vermutung zu untermauern, fehlten jedoch Audiogramme aus den achtziger und neunziger Jahren. Erst im Jahr 2009 habe der Kläger ein Folgeaudiogramm erhalten, das minimal besser sei als die Ergebnisse in der jetzigen Untersuchung. Eine wesentliche Verschlimmerung zwischen 2009 und 2015 könne damit ausgeschlossen werden. Es seien keine anlagebedingten Faktoren vorhanden, die eine Schwerhörigkeit verstärkten. Insgesamt hat Dr. G einen prozentualen Hörverlust von 25% rechts und von 30% links im Sinne einer geringgradigen Schwerhörigkeit festgestellt. Es liege, ein Zusammenhang unterstellt, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 15 vom Hundert vor.

Die Beklagte hat zu dem Gutachten mit Schriftsatz vom 11. Januar 2016 Stellung genommen und gemeint, die Schlussfolgerung eines Zusammenhangs sei mangels Verlaufsdokumentation nicht überzeugend. Es handele sich um Spekulationen. Der Kläger hat in seiner Stellungnahme vom 04. Februar 2016 ausgeführt, dass er 1979 und damit zum Zeitpunkt des Audiogrammes bereits 25 Jahre lärmexponiert tätig gewesen sei. Es habe zur damaligen Zeit keine Reihenuntersuchungen gegeben, dies dürfe ihm nun nicht angelastet werden. Seine Schwerhörigkeit habe sich seit 1994 bis 2014 nicht verschlechtert, auch die Beklagte gehe davon aus, dass sich eine Lärmschwerhörigkeit nach Expositionsende nicht mehr verschlechtere. Die 2013 und 2014 gefertigten Audiogramme entsprächen daher dem Zustand von 1994.

Nachdem die Beteiligten dieser Verfahrensweise zugestimmt haben, hat das SG die Klage nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 07. Juli 2016 abgewiesen. Die Leistungsklage sei bereits unzulässig, weil die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid keine Regelung über konkrete Leistungen getroffen, vielmehr allein das Vorliegen einer Berufskrankheit verneint und daran anknüpfend angegeben habe, dass Ansprüche auf Leistungen nicht bestünden. Bei dieser Formulierung handele es sich um eine bloße Leerformel. Aus der nachstehenden Begründung im Bescheid werde ersichtlich, dass letztlich nur eine Entscheidung über das Nichtvorliegen der Berufskrankheit ergangen sei. Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Der Bescheid vom 04. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. September 2014 sei rechtmäßig und verletzte den Kläger nicht in seinen Rechten. Die begehrte Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der BKV setze voraus, dass zum einen die arbeitstechnischen Voraussetzungen in Form einer adäquaten Lärmexposition gegeben seien und dass zum anderen das typische Krankheitsbild dieser Berufskrankheit vorliege und dieses im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen sei. Danach müssten die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit ausreiche. Der Versicherungsfall sei nach Nr. 4.3.3 Abs. 2 der „Empfehlungen für die Begutachtung der beruflichen Lärmschwerhörigkeit (BK-Nr. 2301) – Königsteiner Empfehlung“ – dann eingetreten, wenn eine lärmbedingte Hörstörung objektiv messbar sei, auch ohne dass ein messbarer Grad der MdE vorliege. Es bestünden zwar keine Zweifel daran, dass der Kläger an einer Innenohrschwerhörigkeit leide. Es sei aber nicht zu erkennen, dass diese Erkrankung nach der sozialrechtlichen Theorie der wesentlichen Bedingung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Lärmexposition zurückzuführen sei. Nach der gutachterlichen herrschenden Literatur, wie sie beispielsweise in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Berufskrankheit und Arbeitsunfall, 8. Auflage, 2010 zum Ausdruck komme, sei von einer lärmbedingten Innenohrschwerhörigkeit nur dann auszugehen, wenn sich diese in der Zeit der Lärmbelastung entwickelt habe. Als gehörschädigend sei dabei ein dauernder Lärmpegel von 90 dB(A) oder mehr anzusehen. Hier habe die relevante Lärmbelastung spätestens 1996 geendet. Insofern müsse für die Anerkennung der Berufskrankheit feststehen, dass die Gesundheitsschädigung zu diesem Zeitpunkt bereits vorgelegen habe. Es fehle jedoch an einem Nachweis einer lärmtypischen Innenohrschwerhörigkeit bei Tätigkeitsaufgabe. So liege erst ein Tonaudiogramm aus dem Jahr 2010 sowie ein solches von 1979 vor. Dazwischen, dies räume auch der Kläger ein, sei kein Besuch beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt erfolgt. Insofern könne der Gesundheitszustand bei Arbeitsaufgabe nicht festgestellt werden. Die Kammer verkenne dabei nicht, dass es auch ausreichen würde, wenn bereits 1979 eine lärmtypische Schwerhörigkeit festgestellt worden wäre. Zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger bereits einer erheblichen Lärmbelastung ausgesetzt gewesen. Dr. G lege selbst hinsichtlich des Befunds aus dem Jahr 1979 dar, dass dieser nicht eindeutig sei, auch wenn sich ein Abfall im Hochtonbereich zeige. Eine Lärmschwerhörigkeit sei demnach auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesichert. Die Kammer folge insofern nicht den Ausführungen von Dr. G, der wohl letztlich mangels anlagebedingter Faktoren einen Zusammenhang annehme. Dabei werde nicht ersichtlich, dass der Sachverständige sich mit den Maßstäben der gesetzlichen Unfallversicherung umfassend auseinandergesetzt habe. So könne nicht aus der Lärmexposition unmittelbar auf einen Zusammenhang geschlossen werden. Dafür fehle es an einer ärztlichen Dokumentation.

Der Kläger hat gegen das seiner Prozessbevollmächtigten am 18. Juli 2016 zugestellte Urteil am 01. August 2016 Berufung eingelegt, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Die Beklagte habe selbst aufgrund der Arbeitsplatzexposition vom 24. Januar 2014 festgestellt, dass er eine lärmgefährdende Tätigkeit ausgeübt habe. Mithin hätte sie die BK 2301 anerkennen müssen, weil kein Zweifel daran bestehe, dass er an einer Innenohrschwerhörigkeit leide. Bereits aus dem im Jahr 1979 erstellten Tonaudiogramm ergebe sich ein Abfall der Hörkurve im Hochtonbereich. Aus den festgestellten Einschränkungen folge eine MdE i.H.v. 30 vom Hundert. Das SG habe sich – ohne selbst über eigene Sachkunde zu verfügen – in unzulässiger Weise über das gerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten hinweggesetzt.

Der Kläger hat ergänzend vorgetragen, dass er das Tonaudiogramm bei dem Facharzt für HNO P veranlasst habe, weil er, nachdem im Bekanntenkreis nun auch die Letzten mit Hörgeräten versorgt worden waren, zu seiner Information wissen wollte, ob dies auch bei ihm notwendig sei. Weder habe ein akuter Anlass für die Vorstellung bei dem Arzt bestanden noch sei eine Behandlung erfolgt. Bei dem Facharzt für HNO Dr. F habe er sich nicht bereits im Jahr 2010, sondern erstmalig im November 2013 vorgestellt.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 07. Juli 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 04. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2014 aufzuheben und bei ihm eine Berufskrankheit nach der Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV festzustellen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält an dem angegriffenen Bescheid fest. Sie hat eine überarbeitete Stellungnahme Arbeitsplatzexposition vom 16. September 2022 eingereicht, die die Ausbildungszeit des Klägers von September 1954 bis September 1956 einschließt und hierfür einen Wochenlärmexpositionspegel von LEX,40h i.H.v. 89 dB(A) annimmt sowie Spitzenschallpegel von bis zu 137 dB(C) für möglich hält. Insgesamt ergebe sich danach eine ELD100 von 11,3 Jahren.

Der Senat hat Befundberichte von Dr. F vom 26. Mai 2017 und von Dr. P vom 06. Juni 2017 eingeholt. Dr. P teilte darin mit, dass der Kläger neben den Hörstörungen über beidseitige permanente Ohrgeräusche (rechts mehr als links) geklagt habe, die seit Monaten bestünden.

Darüber hinaus hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens der Fachärztin für HNO Dr. H vom 23. Oktober 2019 nach Untersuchung des Klägers vom selben Tag. Der Kläger hat im Rahmen der Untersuchung angegeben, dass er bereits während seiner Ausbildung als Stahlbauschlosser von 1954 bis 1956 lärmexponiert gearbeitet habe, er habe Bleche richten müssen, so dass er auch am Wochenende unter Vertäubungen gelitten habe. Auf keiner seiner Arbeitsstellen sei der Lärm gerichtet von einer Seite gekommen, sondern er sei in verschiedenen Frequenzbereichen von allen Seiten auf ihn eingeströmt. Ihm sei seine Schwerhörigkeit erst 1994 aufgefallen. Zuvor sei er immer mit seinen Arbeitskollegen unterwegs gewesen, die ebenfalls laut sprachen, so dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben habe. Erst über die Jahre sei er immer wieder darauf angesprochen worden, dass er schlechter höre, und habe sich deshalb im Jahr 2009 bei Dr. P vorgestellt. Dass er sich erst vier Jahre später ein Hörgerät habe verordnen lassen, habe daran gelegen, dass er ein gutes Kassenmodell hätte haben wollen und sich daher lange bei Freunden und Bekannten informiert habe. Subjektiv sei für ihn seit 1994 das Hören unverändert. Das im früheren Befundbericht beschriebene Ohrgeräusch sei nicht durchgängig, sondern nur zeitweilig rechtsseitig ein leises hochfrequentes Rauschen. Das von Dr. H im Rahmen ihrer Untersuchung gefertigte Tonschwellenaudiogramm zeigt eine Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits mit einer Minderung im Tieftonbereich um ca. 25 dB und Schrägabfällen ab 0,5 kHz, links (vor allem im Hochtonbereich ab 3,5 kHz) ausgeprägter als rechts. Im Ergebnis entspreche dies einem prozentualen Hörverlust von 40% beidseits. Aufgrund des Akteninhalts ist die Sachverständige davon ausgegangen, dass eine jahrzehntelange lärmexponierte Tätigkeit vorgelegen habe. Nach der Tabelle von Lüpke liege das Risikomaß von 4 bis 5 vor, d.h., die Entstehung einer entschädigungspflichtigen Lärmschwerhörigkeit sei möglich bis wahrscheinlich. Die Auswertung des Tonaudiogramms aus dem Jahr 1979 sei schwierig, da vier Kurven übereinander gezeichnet worden seien. Davon ausgehend, dass die besseren Kurven die Knochenleitung beträfen, zeigten diese einen Verlauf zwischen 25 und 30 dB im Tief- und Mitteltonbereich, eine Seite (vermutlich die rechte) zeige einen Abfall bei 3 kHz mit einem Maximum zwischen 4 und 6 kHz. Vermutlich die linke Seite zeige eine Senke bei 6 kHz bis max. 50 dB. Die Innenohrkurven verliefen damit nicht symmetrisch, wie bei Lärmschäden gefordert, und zeigten auch keine Akzentuierung bei 4 kHz links. Rechts sei die Senke im Bereich von 4 bis 6 kHz zumindest bei 4 kHz betont. Zusätzlich sei aber auch die Hörminderung in den tieferen Frequenzbereichen mit 25 bis 30 dB nach den DIN ISO-Kurven nicht zweifelsfrei einer lärmbedingten Schwerhörigkeit zuzuordnen. Das am 27. Juli 2009 gefertigte Tonaudiogramm zeige eine Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits mit Schrägabfall beidseits und nur rechts mit einem angedeuteten punctum maximum bei 4 bis 6 kHz. Auch zu diesem Zeitpunkt sei die Hörkurve nicht ganz symmetrisch und auch in der Ausprägung vor allem bei 1 kHz am äußersten Rand des denkbaren lärmexponierten Schädigungsausmaßes. Das Ergebnis entspreche einem Hörverlust von 30% beidseits. Das dann 2013 gefertigte Audiogramm zeige eine überwiegende Schallempfindungsschwerhörigkeit mit einem prozentualen Hörverlust von 30% rechts und 20% links. Aus dem Audiogramm aus dem Jahr 2015 ergebe sich eine Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits mit Abfall ab 0,25 kHz mit punctum maximum bei 6 kHz beidseits. Insgesamt ergebe sich daraus ein prozentualer Hörverlust von 30% rechts und 40% links. In dem aktuellen Tonaudiogramm und auch im Sprachaudiogramm habe sich eine Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits mit Schrägabfällen ab 0,5 kHz gezeigt, die im Ergebnis einem prozentualen Hörverlust von 40 beidseits entsprechen würden. Im Ergebnis sei daher seit 2009 das Hörvermögen beidseits schlechter geworden. Dies könne zum Beispiel altersbedingt, microangiopathisch (bei Hypertonus) oder unklarer Genese sein. Zusammenfassend sei eine lärmbedingte Schwerhörigkeit möglich. Es lasse sich jedoch keine ausreichende Wahrscheinlichkeit ableiten. Das Audiogramm aus dem Jahr 1979 sei von schlechter Qualität und auch nicht eindeutig bzw. typisch für eine lärmbedingte Schwerhörigkeit. Welches Ausmaß diese Störung im Jahr 1994 gehabt habe, sei – unabhängig von der Genese – nicht ermittelbar. Auch aus den 15 Jahre nach Ende der Lärmexposition gefertigten Audiogrammen lasse sich aufgrund des asymmetrischen Kurvenverlaufes und einer eher atypischen Einbeziehung der mittleren Frequenzen sowie des fortschreitenden Hörverlustes keine ausreichende Wahrscheinlichkeit für eine Lärmschwerhörigkeit im Jahre 1994 ableiten.

Der Senat hat außerdem auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Facharztes für Neurologie sowie für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S vom 24. August 2021, das aufgrund der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie nach Aktenlage und aufgrund telefonischer Befragung des Klägers vom 27. November 2020 erstellt worden ist. Der Kläger habe dabei angegeben, dass seiner Familie seit seiner Berentung im Jahre 1996 immer wieder die Schwerhörigkeit aufgefallen sei und diese ihm eine Versorgung mit Hörgeräten empfohlen hätte. Im Laufe der beruflichen lärmbelastenden Tätigkeit habe sich auch ein Tinnitus, erst episodisch dann im Laufe der Jahre zunehmend dauerhaft entwickelt. Dr. S hat eine leicht- bis mittelgradige Hypakusis beidseits im Sinne einer lärmbedingten Innenohrschwerhörigkeit sowie einen leichtgradigen Tinnitus beidseits festgestellt. Es sei mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die lärmbedingte Innenohrschwerhörigkeit im Sinne der erstmaligen Entstehung ursächlich auf die von 1954 bis 1994 ausgeübten Tätigkeiten zurückzuführen sei. Auch bezüglich des Tinnitus werde schon über ein sehr frühes Auftreten in der ersten Lehrzeit ab 1954 berichtet. Ausgiebige Voruntersuchungen hätten gezeigt, dass ein Innenohrschaden vorliege mit einer C5-Senke rechts, die für eine Lärmschädigung typisch sei. Den Ausführungen von Dr. H in deren Gutachten vom 23. Oktober 2019 sei größtenteils nicht zu folgen. Sie seien kausal und medizinisch-neurologisch nicht nachzuvollziehen. Einerseits halte die Gutachterin aufgrund der lärmexponierten Tätigkeit des Klägers die Entstehung einer entschädigungspflichtigen Lärmschwerhörigkeit für möglich bis wahrscheinlich. Andererseits führe sie aus, dass das Hörvermögen beidseits schlechter geworden sei und dies auch durch alternative Ursachen bedingt sein könne. Es sei jedoch nie ganz ausgeschlossen, dass eine vorbestehende Lärmschädigung im Verlauf der Jahre noch schlimmer werde. Es könne auch das Schicksal der weiteren Nervenzellenschädigung seinen Lauf nehmen und sich dann über die Jahre auf dem Boden der bereits bestehenden Nervenzellenschädigung eine weitere schleichende Schädigung bzw. schleichende Progredienz einstellen, ohne dass weitere schädigende Faktoren auf das Nervensystem einwirkten. Ein solcher Verlauf sei kein Gegenargument für eine relevante Lärmschädigung des Innenohrs. Ebenso könne aus neurologischer Sicht die Spekulation um das Vorliegen einer altersbedingten Microangiopathie und einer arteriellen Hypertonie und den Zusammenhang mit der bei dem Kläger bestehenden Schwerhörigkeit nicht nachvollzogen werden. Ebenso sei es nicht haltbar, die Asymmetrie der C5-Senke rechts zu links als Gegenargument anzuführen. Denn in der Natur des Menschen sei im Hinblick auf seine Anatomie und seine physiologischen und neurophysiologischen Funktionen nie eine genaue Symmetrie zu erwarten. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger durch seine berufliche Lärmbelastung von ca. 40 Jahren einen berufsgenossenschaftlich relevanten Hörschaden davongetragen habe, sei doch deutlich höher anzusiedeln als das Argument der Sachverständigen im Hinblick auf die fehlende frühe Dokumentation durch Audiogramme. Aus neurologischer Sicht gebe es keine anderweitigen Ursachen für die Schädigung. In Bezug auf das konkurrierend von Dr. H angenommene Alter hat Dr. S ausgeführt, dass es ausreichend viele Menschen im betagten und hochbetagten Alter gebe, die keine Schwerhörigkeit hätten.

Die Beklagte ist dem Gutachten des Dr. S entgegengetreten. Der Gutachter habe als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Psychotherapie den aktuellen medizinischen Wissensstand zum Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit völlig ignoriert, indem er sowohl eine asymmetrische Schwerhörigkeit als auch ein Fortschreiten der Schwerhörigkeit nach Beendigung der Exposition als völlig normal ansehe. Er ersetze die fehlenden Befunde über die Entwicklung der Schwerhörigkeit sowie der Ohrgeräusche allein durch die Angaben des Klägers.

In ihrer vom Senat zum Gutachten des Dr. S eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 04. Januar 2022 hat Dr. H ausgeführt, dass in den HNO-ärztlichen Standardwerken bei einem chronischen Lärmschaden nach Ende der Lärmexposition nicht von einem Fortschreiten der Schwerhörigkeit ausgegangen werde. Es sei daher maßgeblich, wie die Hörfähigkeit am Ende der Lärmbelastung gewesen sei. Mit den 15 Jahre zuvor bzw. 15 Jahre danach erstellten Audiogrammen liege eine sehr große Dokumentationslücke vor. Allein aus dem Vorliegen eines Innenohrschadens könne noch nicht auf eine Lärmschwerhörigkeit geschlossen werden. Es gebe viele Ursachen für eine Schallempfindungsschwerhörigkeit. Als konkurrierende Ursachen kämen unter anderem Alterung, Microzirkulation, toxische Einflüsse z.B. durch Medikamente (Antibiotika wie hier z.B. bei Myokarditis oder ASS) in Frage. Das Audiogramm von 1979 sei schwer auswertbar, da beide Ohrseiten in eine Tabelle eingetragen seien, es könne sich aber auch um zwei Messzeitpunkte handeln. Es könne eine Seitenasymmetrie vermutet werden, es sei aber auch eine kombinierte Schwerhörigkeit denkbar, die nicht lärmgeschuldet sei. Gehe man von einer Eintragung beider Seiten aus, zeige die bessere Seite sicher keine C5-Senke, die Hinweis auf eine beginnende Lärmschwerhörigkeit sein könnte. Es lasse sich aber auch eine kombinierte Schwerhörigkeit nicht zweifelsfrei ausschließen. Die sich aus dem Audiogramm ergebende Asymmetrie sei bei allseitigem Lärm nicht zu erwarten. Sie hat zudem auf eine Hörminderung in den tiefen und mittleren Frequenzen verwiesen, die bei reiner lärmbedingter Schwerhörigkeit nicht typisch sei. Es spreche daher mehr gegen als für einen kausalen Zusammenhang der 1979 festgestellten Hörminderung mit der beruflichen Tätigkeit. Aus den seit 2009 gefertigten Audiogrammen lasse sich eine beidseitige Verschlechterung ableiten. Wie die Genese der Hörminderung von 1994 bis 2009 gewesen sei, lasse sich nicht feststellen.

Der Kläger hält das Gutachten der Sachverständigen Dr. H sowie deren ergänzende Stellungnahme für unbrauchbar. Sie widerspreche sich, indem sie einerseits ausführe, die Lärmexposition sei in jedem Fall ausreichend gewesen, um eine Lärmschwerhörigkeit hervorzurufen, dann im Ergebnis aber eine ausreichende Wahrscheinlichkeit der Verursachung verneine. Nach der Tabelle von Lüpke sei zudem nicht das Risikomaß von 4 bis 5, sondern von 5 zu Grunde zu legen. Auch die Aussage, das Hörvermögen habe sich von 2009 bis 2019 verschlechtert, lasse sich anhand der Audiogramme nicht belegen. Es hätten zu den von Dr. H benannten Audiogrammen auch zwei von der Firma F erstellte vorgelegen, die er zur Begutachtung mitgebracht habe, aber unberücksichtigt geblieben seien. Die Messungen mit den Geräten aus dem Jahr 1979 seien mit den neueren Messungen (ISO-Kurven) nicht vergleichbar. Sie seien auch ungenauer. Der Kläger hat nachfolgend zwei Audiogramme, die 2013 und 2018 von der Firma F erstellt worden sind, sowie Kopien seiner Sozialversicherungsausweise an das Gericht übersandt.

Zu den weiteren Einzelheiten hinsichtlich des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der von der Beklagten übersandten Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.

Das SG Berlin hat die Klage mit seinem Urteil vom 07. Juli 2016 zu Recht abgewiesen. Der in zulässiger Weise gestellte Anfechtungs- und Feststellungsantrag bezüglich der Anerkennung des Ohrenleidens des Klägers als Berufskrankheit BK 2301 hat keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 04. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung einer BK nach der Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV (Lärmschwerhörigkeit).

Berufskrankheiten sind gemäß § 9 Abs. 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehört nach Nr. 2301 der Anlage 1 der BKV auch die Lärmschwerhörigkeit.

Die Feststellung einer Berufskrankheit setzt voraus, dass zum einen die arbeitstechnischen Voraussetzungen in der Person des Klägers gegeben sind und dass zum anderen das typische Krankheitsbild dieser Berufskrankheit vorliegt und dieses im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist. Die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht jedoch die bloße Möglichkeit ausreicht. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und Erkrankungen im Recht der Berufskrankheiten gilt, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. zum Kausalitätsbegriff in der gesetzlichen Unfallversicherung die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts <BSG>, Urteile vom 04. Dezember 2014 – B 2 U 18/13 R -, Rn. 16 ff., vom 13. November 2012 – B 2 U 19/11 R -, Rn. 20 ff., vom 31. Januar 2012 – B 2 U 2/11 R -, Rn. 16 ff., vom 02. April 2009 – B 2 U 29/07 R -, Rn. 15 ff., vom 27. Juni 2006 – B 2 U 20/04 R -, Rn. 18 ff. und vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, Rn. 13 ff., alle zitiert nach juris; siehe auch: Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Kap. 1.7, S. 21 f.). Die Nichterweislichkeit bzw. die tatsächliche Unaufklärbarkeit der anspruchsbegründenden Tatsachen – einschließlich der Kausalkette – geht nach den Regeln der objektiven Beweislast zulasten des Versicherten (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015 – B 2 U 8/14 R -, Rn. 25, juris m.w.N.).

Die BK 2301 setzt arbeitstechnische Voraussetzungen in Form einer adäquaten Lärmexposition und das typische Krankheitsbild dieser BK voraus, das heißt, eine Innenohrschwerhörigkeit bzw. einen Tinnitus, sowie dass dieses im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich auf die berufliche Lärmexposition zurückzuführen ist (haftungsbegründende Kausalität). Tatsächliche Erfahrungswerte, wann eine Lärmexposition als geeignet anzusehen ist, eine Schwerhörigkeit hervorzurufen, wie sich medizinisch ein lärmtypisches Bild zeigt sowie dafür, welche weiteren Einzelheiten im Zusammenhang mit der BK 2301 bedeutsam sind, werden in der sog. Königsteiner Empfehlung (Update 2020, https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/2559) niedergelegt, die in regelmäßigen Abständen auch an neue Erkenntnisse angepasst wird. Außerdem hat der Verordnungsgeber ein Merkblatt zu der hier in Rede stehenden BK herausgegeben (Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 01. Juli 2008 – Az. lVa4-45222.2301, GMBL. Nr. 39 vom 05. August 2008, BI. 798-800). Hiervon ausgehend sind nach den Empfehlungen für die Begutachtung der beruflichen Lärmschwerhörigkeit – Königsteiner Empfehlung – und den Darlegungen hierzu etwa in Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, 9. Auflage 2017, S. 344 ff. und in Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohrenarztes, 8. Auflage 2019, S. 281 ff. für die Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit folgende Kriterien zu prüfen:

1. Es muss eine adäquate Lärmexposition bei der beruflichen Tätigkeit vorgelegen haben.

2. Es muss sich um eine reine Innenohrschwerhörigkeit mit beidseits annähernd symmetrischem Hörverlust und typischer C5-Senke (umschriebene Hochtonsenke bei 4000 Hz, in fortgeschrittenen Stadien Steilabfall oder Übergang in einen Schrägverlauf) handeln.

3. Die Schwerhörigkeit muss sich während der Lärmarbeit entwickelt haben, sie darf nach Beendigung der Lärmexposition nur im Rahmen der altersentsprechenden Entwicklung fortgeschritten sein.

4. Das Ausmaß und die Entwicklung der Hörstörung müssen in einem adäquaten Verhältnis zur Lärmeinwirkung stehen.

Dabei geht der Senat – unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren – von einer adäquaten Lärmexposition aus. Eine gehörschädigende (Dauer-)Lärmeinwirkung wird nach den aktuellen Erkenntnissen der herrschenden medizinischen Wissenschaft ab einer Lärmeinwirkung von mehr als 85 dB(A) als äquivalenter Dauerschallpegel bei einem 8-Stunden Tag über viele Arbeitsjahre angenommen (Merkblatt zur BK 2301, vom 01. Juli 2008, a.a.O, S. 1; Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohrenarztes, 8. Auflage 2019, S. 262; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, S. 347). Hat die Lärmexposition durchweg unter 85 dB(A) gelegen, ist eine Lärmschwerhörigkeit ausgeschlossen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, S. 347; Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohrenarztes, 8. Auflage 2019, S. 281).Nach der aktuellen Königsteiner Empfehlung ist die effektive Lärmdosis (ELD) zu berechnen. Sie ergibt sich aus der Anzahl der Belastungstage pro Jahr, dem Tageslärmexpositionspegel LEX,8h und der Expositionsdauer in Jahren.

Die Präventionsabteilung der Beklagten hat in ihrer am 16. September 2022 ergänzten Stellungnahme (allein) unter Zugrundelegung der im Verwaltungsverfahren und im Klageverfahren von dem Kläger getätigten Angaben zu seiner beruflichen Tätigkeit für die Zeiträume vom 01. September 1954 bis zum 30. September 1956 einen Wochenlärmexpositionspegel von LEX,40h i.H.v. 89 dB(A), vom 01. Juli 1961 bis zum 30. April 1965 einen LEX,8h i.H.v. 99 dB(A), vom 01. Juni 1968 bis zum 31. August 1979 i.H.v. 93 dB(A), vom 01. Dezember 1979 bis zum 30. Mai 1991 i.H.v. 99 dB(A) und vom 01. Juni 1991 bis zum 31. Oktober 1994 i.H.v. 87 dB(A) ermittelt und daraus eine effektive Lärmdosis ELD100 von 11,3 Jahren errechnet. Danach war der Kläger über Jahrzehnte hinweg einer Lärmexposition von weit über LEX,8h 85 dB(A) ausgesetzt. Sie war damit geeignet, eine Lärmschwerhörigkeit hervorzurufen. Hiervon gehen auch die Sachverständigen Dr. G, Dr. H und Dr. S in ihren im gerichtlichen Verfahren erstellten Gutachten aus.

Der Kläger leidet – ebenfalls nach den übereinstimmenden gutachterlichen Einschätzungen – auch an einer Innenohrschwerhörigkeit. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Lärmbelastung des Klägers und der bei ihm bestehenden Schwerhörigkeit ist jedoch für den Senat nicht überwiegend wahrscheinlich. Es fehlt an dem für die Lärmschwerhörigkeit typischen symmetrischen Verlauf der Hörkurven beider Ohren, auch lässt sich die typische C5-Senke nicht beidseits feststellen. Darüber hinaus kann aufgrund des langen zeitlichen Ablaufs zwischen der Beendigung der lärmbelastenden Tätigkeit und der erst im Jahr 2009 erhobenen Befunde nicht festgestellt werden, dass sich die Schwerhörigkeit während der beruflichen Tätigkeit des Klägers entwickelt hat. Während oder kurz nach dem Ende der Lärmexposition wurden keine Befunde erhoben, die das typische Schadensbild eine Lärmschwerhörigkeit aufweisen. Die letzte vom Kläger als lärmbelastend angegebene Tätigkeit endete laut den in der im gerichtlichen Verfahren eingeholten Auskunft der Krankenversicherung des Klägers vom 16. Oktober 2017 dokumentierten Beschäftigungszeiten am 30. September 1994. Es liegen keine Befunde vor, die zur Überzeugung des Senats auf das Bestehen bzw. die Entwicklung einer lärmtypischen Innenohrschwerhörigkeit während der beruflichen lärmbelastenden Tätigkeit des Klägers schließen lassen.

Insbesondere lässt das im Jahr 1979 erstellte Audiogramm keinen Schluss auf eine zum damaligen Zeitpunkt schon bestehende oder beginnende Lärmschwerhörigkeit zu. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger nach eigenen Angaben schon über 20 Jahre lang lärmbelastend gearbeitet. Nach den vom Präventionsdienst der Beklagten angestellten Berechnungen in seiner Stellungnahme vom 24. Januar 2014, überarbeitet am 16. September 2022, war bereits zu diesem Zeitpunkt eine Lärmbelastung mit einer effektiven Lärmdosis von ELD100 = 4,1 Jahren erreicht, die die Entwicklung einer Lärmschwerhörigkeit ohne weiteres möglich erscheinen lässt. Nach den Ausführungen der HNO-ärztlichen Sachverständigen Dr. H sind die Aufzeichnungen aus 1979 aber nicht verwertbar bzw. zeigen allenfalls einseitig (vermutlich für die rechte Seite) das typische Bild einer C5-Senke. Den Ausführungen der Sachverständigen schließt sich der Senat an. In dem kaum leserlichen Audiogramm von 1979 sind vier Hörkurven eingezeichnet. Eine Bezeichnung, für welches Ohr die Messungen erfolgt sind, ergibt sich daraus nicht. Bei der Frage, ob eine lärmtypische Hochtonsenke oder ein nicht lärmtypischer Hochtonabfall besteht, ist die Luftleitungskurve zugrunde zu legen (Königsteiner Merkblatt, S. 22). Eine der wohl als Luftleitungskurven durchgezeichneten Linien zeigt in den niedrigen bis mittleren Frequenzen einen Hörverlust von ca. 20 bis 25 dB(A), ab einer Frequenz von 2 kHz bis 4 kHz einen Schrägabfall bis auf 65 dB(A) Hörverlust und danach wieder einen leichten Anstieg. Die andere durchgezeichnete Linie weist hingegen bereits in den unteren Frequenzen bis zu einer Frequenz von 4 kHz einen Hörverlust in Höhe von ca. 30 dB(A) aus, danach folgt ein Steilabfall bis zu einer Frequenz von 6 kHz mit einem Hörverlust von 50 dB(A), nachfolgend ist wieder ein Anstieg bis zu einem Hörverlust von 30 dB(A) bei einer Frequenz von 8 kHz verzeichnet. Diese Aufzeichnungen entsprechen nicht dem Schadensbild einer Lärmschwerhörigkeit. Insoweit folgt der Senat der Bewertung der Sachverständigen Dr. H Sie hat überzeugend ausgeführt, die Innenohrkurven verliefen nicht – wie bei Lärmschäden gefordert – symmetrisch; auch zeige sich keine Akzentuierung bei 4 kHz links. Diese Ausführungen sind nachvollziehbar und entsprechen den wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Lärmschwerhörigkeit. Danach befindet sich bei der beginnenden Lärmschwerhörigkeit eine umschriebene Hochtonsenke bei 4 kHz (so genannte C5-Senke) bzw. 3 bis 6 kHz, in fortgeschrittenen Stadien ein Steilabfall oder ein Übergang in einen Schrägverlauf im Bereich der mittleren Frequenzen. Die Hochtonsenke bleibt andeutungsweise oft noch lange erkennbar. Eine Lärmschwerhörigkeit bzw. eine lärmbedingte Senkenbildung ist durch eine Knickbildung am Übergang von den mittleren zu den hohen Frequenzen und durch einen Wiederanstieg der Kurve im ganz hohen Frequenzbereich gekennzeichnet. Nach jahrzehntelanger und sehr hoher Lärmbelastung ohne Gehörschutz sind zwar auch Hörverluste im Tieftonbereich von max. 20 bis 30 dB(A) denkbar. Aber auch in diesen Fällen muss das Tonaudiogramm lärmtypisch sein (Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohrenarztes, 8. Auflage 2019, S. 292). Eine Zackenbildung im Audiogramm ist keine typische Hochtonsenke. Arbeitsgeräusche können in der Regel keine Zackenbildung hervorrufen (Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohrenarztes, 8. Auflage 2019, S. 294). Das Audiogramm von 1979 weist keine Symmetrie auf. Der Kläger hat auch auf konkrete Frage im Rahmen der Begutachtung keine einseitige lärmbedingte Belastung geschildert. Zudem ist in einer der Kurven eine Zackenbildung, aber nicht eine Senke zu erkennen, die mit ihrem Tiefpunkt bei 6 kHz zudem nicht den typischen Frequenzbereich der Lärmschädigung betrifft. Dieser Bewertung stehen auch die Ausführungen des Dr. G in seinem Gutachten vom 18. Dezember 2015 nicht entgegen. Auch er vermag von dem Tonschwellenaudiogramm aus dem Jahr 1979 nicht auf eine zu diesem Zeitpunkt schon bestehende oder beginnende Lärmschwerhörigkeit zu schließen. Das Audiogramm sei nicht eindeutig, es sei schwierig, daraus etwas abzuleiten. Es zeige bereits einen Abfall bis 50 dB(A) im Hochtonbereich, so dass vom Bestehen einer leichten Innenohrschwerhörigkeit auszugehen sei, die sich durch die Arbeit im Lärm verschlechtert habe. Um diese Vermutung zu untermauern fehlten nach Auffassung des Sachverständigen jedoch Audiogramme aus den achtziger und neunziger Jahren. Letztlich hat Dr. G auf dem Audiogramm von 1979 vermerkt, dass es seiner Meinung nach nicht auswertbar und unklar sei. Auch aus den Ausführungen des Dr. S in seinem neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachten ergibt sich nichts, was der von Dr. H vorgenommenen Bewertung des Tonaudiogramms von 1979 entgegen stünde. Danach zeige sich in dem Audiogramm von 1979 eine rechts zu links asymmetrische Hochtonschwerhörigkeit.

Am Ende der beruflichen Tätigkeit des Klägers oder in engem zeitlichen Zusammenhang dazu gibt es keine Befundunterlagen, die zu diesem Zeitpunkt eine lärmbedingte Schädigung des Innenohrs des Klägers belegen.

Die Schwerhörigkeit muss sich während der Lärmarbeit entwickeln (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 349). Dass die im Jahr 2009 und bei nachfolgenden Untersuchungen festgestellte und gegenüber dem möglichen Befund von 1979 verschlechterte Schwerhörigkeit beim Klägers bereits am Ende seiner beruflichen Tätigkeit vorlag, steht nicht zur Überzeugung des Senats fest. Die ab dem Jahr 2009 erstellten Audiogramme lassen keinen sicheren Rückschluss auf eine Lärmschädigung im Laufe oder am Ende der beruflichen Tätigkeit des Klägers zu. Insoweit folgt der Senat ebenfalls den Ausführungen von Dr. H in ihrem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme.

Gegen einen Rückschluss auf eine berufliche Schädigung spricht schon der erhebliche zeitliche Abstand zum Ende der beruflichen Lärmexposition. Für die Zeit nach dem Ende der lärmbelastenden beruflichen Tätigkeit 1994 bis zum Jahr 2009 liegen keine Brückenbefunde vor. Unabhängig davon, ob die ab dem Jahr 2009 festgestellten Hörminderungen die Typik einer Lärmschwerhörigkeit aufweisen, lässt sich schon nicht feststellen, dass diese Hörminderungen bereits am Ende der lärmbelastenden beruflichen Tätigkeit im Jahr 1994 bestanden haben. Der Kläger hat insoweit zwar im gerichtlichen Verfahren angegeben, dass die Schwerhörigkeit bereits im Jahr 1994 nahezu das jetzige Ausmaß bzw. das zum Zeitpunkt der Hörgeräteversorgung bestehende Ausmaß erreicht hätte und seine Familie ihn nach seiner Berentung im Jahr 1996 (tatsächlich wurde der Kläger im Jahr 2000 berentet) immer wieder auf seine Schwerhörigkeit angesprochen habe. Die Erkrankung – hier die Schwerhörigkeit – muss aber zur vollen Überzeugung des Senats bereits am Ende der beruflichen Exposition vorgelegen haben. Die volle Überzeugung (vgl. § 128 SGG) vermochte der Senat auf Grund dieser Schilderungen des Klägers aber nicht zu gewinnen. Maßgeblich für die fehlende Überzeugungsbildung insoweit ist, dass das Gehör eine sehr subjektive Wahrnehmung ist und – wie der Kläger selbst geschildert hat – er eine Verschlechterung zunächst nicht bemerkt hat. Dass das Gehör des Klägers bereits im Jahr 1994 geschädigt war, ergibt sich bereits aus dem Tonschwellenaudiogramm aus dem Jahr 1979. Welches Ausmaß der Gehörsverlust aber im Jahr 1994 erreicht hatte und welchen Verlauf die Hörkurven (typische C5-Senke, symmetrischer Verlauf der Hörkurven) zu diesem Zeitpunkt nahmen, lässt sich aus den Schilderungen des Klägers naturgemäß nicht ableiten. Hinzu kommt, dass der Kläger bei seiner Befragung im Rahmen des Verwaltungsverfahrens am 05. Januar 2014 einen Zeitpunkt, zu dem der Gehörsverlust bemerkt wurde oder seit dem er im jetzigen (damaligen) Ausmaß bestanden hat, nicht zu benennen vermochte. Ebenso erscheint es für den Senat bei lebensnaher Betrachtung nicht ausgeschlossen, dass sich das Hörvermögen seit 1994 verschlechtert hat, schließlich hat sich der Kläger objektivierbar erst mit dem Arztbesuch bei Dr. P im Jahr 2009 ernsthaft mit der Frage der Notwendigkeit einer Hörgeräteversorgung beschäftigt.

Dabei verkennt der Senat nicht, dass – worauf der Kläger zu Recht hinweist – auch der Umstand, dass eine reine Lärmschwerhörigkeit nach Ende der Lärmbelastung nicht mehr zunimmt und daher der Befund einer reinen Lärmschwerhörigkeit auch Jahre später noch darauf hindeuten könnte, dass die Schwerhörigkeit in ähnlichem Maße bereits bei der Beendigung der Tätigkeit vorgelegen hat. Aber auch dieses Argument vermag den Senat nicht im Sinne des Vollbeweises zu überzeugen, denn es liegt – wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt – schon kein eindeutiges Bild einer reinen Lärmschwerhörigkeit vor. Zudem ist auf Grund des auch damals nicht unerheblichen Alters des Klägers (1994 war der Kläger 54 und 2009 bereits 69 Jahre alt) nicht ausgeschlossen, dass sich das Gehör degenerativ verändert hat. Es liegt nach Auffassung des Senats mit den ab dem Jahr 2009 erhobenen Befunden nicht das typische Bild einer Lärmschwerhörigkeit vor. Der Senat schließt sich auch insoweit den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. H in ihrem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme an. Danach lasse sich aus den 15 Jahre nach Ende der Lärmexposition gefertigten Audiogrammen aufgrund des asymmetrischen Kurvenverlaufes und einer eher atypischen Einbeziehung der mittleren Frequenzen keine ausreichende Wahrscheinlichkeit für eine Lärmschwerhörigkeit im Jahre 1994 ableiten. Die im Jahr 2009 – als am zeitnächsten gefertigten – Audiogramme weisen von rechts zu links einen unterschiedlichen Verlauf auf. Beide lassen eine Senkenbildung nicht erkennen. Dabei liegt eine Senkenbildung nur dann vor, wenn die Kurve bei einer bestimmten Frequenz eine Knickbildung zeigt und die Kurve nach Erreichen des maximalen Hörverlust wieder ansteigt. Bei der geringgradigen Lärmschwerhörigkeit stellt die 1000-Hz-Frequenz meist die Grenzfrequenz der Knickbildung dar. Mit zunehmendem Alter kann eine Hochtonsenke im Bereich der ganz hohen Frequenzen verstrichen sein (Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohrenarztes, 8. Auflage 2019, S. 293). Nach diesen Maßstäben zeigen die Kurven weder für rechts noch für links eine Senke auf. Rechts ist eine Zacke bei einer Frequenz von 6 kHz und links ein Schrägabfall ab einer Frequenz von ca. 250 bis 500 Hz bis zu 8 kHz zu erkennen. Die Kurven sind in ihrem Verlauf auch nicht symmetrisch. Das weitere Argument der Sachverständigen Dr. H zur eher untypischen Einbeziehung der mittleren Frequenzen betrifft die Frage, ob beruflicher Lärm zu Hörverlusten im mittleren oder auch im tiefen Frequenzbereich führen kann. Dies wird kontrovers diskutiert. Bei jahrzehntelanger und sehr hoher Lärmexposition, die weit über dem Grenzwert liegt, sind auch gewisse Hörverluste im Bereich der mittleren und tiefen Frequenzen denkbar. Erfahrungsgemäß liegt die Hörverlustkurve im Tieftonbereich jedoch nicht schlechter als 20 bis 30 dB. Dies ergibt sich auch aus dem Hörverlustverteilungsmodell ISO 1999 (Liedtke, Effektive Lärmdosis basierend auf Hörminderungsäquivalenzen nach ISO 1999, Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Umweltmedizin, Sonderdruck Heft 11, 2010, Abbildung Seite 4; Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohrenarztes, 8. Auflage 2019, S. 289 und 309). Aus diesem Modell folgt aber auch, dass regelmäßig ein leichter Abfall des Hörvermögens erst ab einer Frequenz von 500 Hz zu erwarten ist. Die Annahme der Gutachterin, dass die Einbeziehung der mittleren Frequenzen eher ungewöhnlich sei, ist daher nicht zu beanstanden und spricht eher gegen als für eine lärmbedingte Schädigung.

Aus den vom Kläger am Tag vor der mündlichen Verhandlung eingereichten Audiogrammen der Firma Fielmann aus den Jahren 2013 und 2018 ergibt sich keine abweichende Beurteilung. Die erst 19 bzw. 24 Jahre nach Beendigung der lärmbelastenden Tätigkeit erstellten Audiogramme rechtfertigen – wie auch die weiteren ab 2009 erstellten Audiogramme schon allein auf Grund des gegenüber 2009 eingetretenen weiteren Zeitablaufs – keinen Schluss auf die Art und das Maß der Hörschädigung im Jahr 1994. Sie weisen zudem einen ähnlichen wie den von Dr. G im Audiogramm vom 10. Dezember 2015 festgestellten Verlauf auf und sind daher nicht geeignet, bei der Begutachtung durch Dr. H nicht berücksichtigte neue Tatsachen zu belegen.

Soweit der Kläger kritisiert, dass Dr. H fehlerhaft davon ausgehe, dass nach der Tabelle von Lüpke (Diagramm zur Ermittlung des Risikomaßes nach von Lüpke bei einheitlicher Lärmeinwirkung, abgedruckt in: Liedtke, Effektive Lärmdosis basierend auf Hörminderungsäquivalenzen nach ISO 1999, Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Umweltmedizin, Sonderdruck Heft 11, 2010) das Risikomaß von 4 bis 5 vorliege, wonach die Entstehung einer entschädigungspflichtigen Lärmschwerhörigkeit möglich bis wahrscheinlich sei, ist dem vom Ansatz her zuzustimmen. Unter Zugrundelegung der Tabelle von Lüpke ergibt sich bei der vom Präventionsdienst ermittelten ELD100 von 11,3 Jahren, dass die Entwicklung einer Lärmschwerhörigkeit nicht möglich bis wahrscheinlich (4 bis 5), sondern wahrscheinlich (5) ist. Diese fehlerhafte Zuordnung durch die Sachverständige vermag aber für den Senat die Überzeugungskraft des Gutachtens im Übrigen nicht zu mindern und führt auch nicht zur Anerkennung der BK 2301. Das Risikomaß nach von Lüpke hat nie Eingang in die Königsteiner Empfehlung gefunden. Es gilt heute als überholt (Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohrenarztes, 8. Auflage 2019, S. 277). Ein neueres mathematisches Modell zur Berechnung der zu erwartenden Hörverluste für Gruppen ohne Lärmbelastung und für einheitlich lärmbelastete Gruppen enthält die Norm ISO 1999. Das Berechnungsmodell beruht auf den Erhebungen der Hörverluste von 45.000 Lärmarbeitern, die nie persönlichen Gehörschutz getragen hatten (vgl. allgemein zur ISO 1999: Effektive Lärmdosis basierend auf Hörminderungsäquivalenzen nach ISO 1999, Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Umweltmedizin, Sonderdruck Heft 11, 2010). Zwar wären auch nach der Berechnung nach dem Hörverlustverteilungsmodell nach der ISO 1999 (Berechnungstool unter: https://www.dguv.de/ifa/praxishilfen/praxishilfen-laerm/gefaehrdungsbeurteilung-und-unterweisung/software-berechnung-von-hoerschwellenverschiebungen/index.jsp#:~:text=Berechnung%20der%20H%C3%B6rschwellenverschiebung,-Bild%20vergr%C3%B6%C3%9Fern&text=Die%20Norm%20ISO%201999%20enth%C3%A4lt,und%20f%C3%BCr%20einheitlich%20l%C3%A4rmbelastete%20Gruppen) erhebliche lärmbedingte Hörverluste zum Ende der lärmbelastenden Tätigkeit des Klägers mit dessen Angaben zur Lärmbelastung und den darauf beruhenden Berechnungen des Präventionsdienstes der Beklagten in Einklang zu bringen. Das Ergebnis der Einordnung in die Tabelle nach von Lüpke oder die Berechnung nach der ISO 1999 ist aber für die fehlende Anerkennung der BK 2301 im konkreten Fall nicht maßgeblich. Die Sachverständige und ihr folgend auch der Senat sehen eine Lärmschwerhörigkeit schon auf Grund des fehlenden Nachweises eines lärmtypischen Schädigungsbildes am Ende der Lärmexposition nicht als gegeben an (Nr. 2. und 3. der oben aufgeführten Kriterien für die Anerkennung der BK 2301). Dabei geht der Senat ebenso wie die Sachverständige ohne weiteres von einer für eine Lärmschädigung des Gehörs des Klägers ausreichenden Einwirkung aus. Auf die Frage, ob auf Grund dieser Einwirkungen eine Schädigung möglich bis wahrscheinlich oder aber wahrscheinlich ist, kommt es aber wegen des fehlenden Nachweises eines lärmtypischen Schädigungsbildes nicht mehr an. Aus dem gleichen Grunde brauchte der Senat auch nicht der Frage nachzugehen, wie hoch die Lärmbelastung während des Wehrdienstes bei der NVA tatsächlich gewesen ist und welche Ausfallzeiten etwa wegen Arbeitsunfähigkeit und Rehabilitationsaufenthalten von den in der Stellungnahme Arbeitsplatzexposition (zuletzt vom 16. September 2022) berücksichtigten Zeiten in Abzug zu bringen sind. Die dadurch zu erwartenden (geringen) Änderungen bei der Berechnung der Lärmbelastung könnten angesichts des fehlenden typischen Schädigungsbildes nicht zur Anerkennung der BK 2301 führen.

Dieses Gesamtergebnis vermag weder das Gutachten des Dr. G noch das des Dr. S zu erschüttern. Im Ergebnis schließen beide Gutachter auf Grund der Lärmexposition auf eine auch lärmbedingte Schädigung. Mit den konkreten Anforderungen an das audiometrische Bild einer Lärmschwerhörigkeit setzten sie sich aber im Einzelnen nicht auseinander. Der Schluss allein von einer geeigneten Einwirkung auf eine auch dadurch bedingte Schädigung ist im Recht der Unfallversicherung allgemein nicht gerechtfertigt (vgl. BSG, Urteil vom 18. November 1997 – 2 RU 48/96 –, juris). Insbesondere im Bereich der Hörschäden ist das Fehlen oder der Nachweis schicksalhafter Vorerkrankungen kein Beweis für die Lärmgenese einer Schwerhörigkeit. Eine Innenohrschwerhörigkeit kann eine Vielzahl endogener Ursachen haben (vgl. Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohrenarztes, 8. Auflage 2019, S. 305). Es muss eine anderweitige Ursache der Erkrankung oder des Beschwerdebildes nicht festgestellt werden (Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohrenarztes, 8. Auflage 2019, S. 306, 317). Die ELD kann daher kein alleiniges Kriterium für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs sein (Königsteiner Empfehlung, S. 28), vielmehr ist weitre Grundvoraussetzung die Entwicklung einer lärmtypischen Innenohrschwerhörigkeit während der Lärmexposition.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

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