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Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls

 

Landessozialgericht Schleswig-Holstein – Az.: L 8 U 2/19 – Urteil vom 02.05.2022

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Itzehoe vom 28. November 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung psychischer Gesundheitsstörungen als weitere Folge eines anerkannten Arbeitsunfalls und daraus resultierender Leistungen (Verletztengeld und Verletztenrente).

Der 1968 geborene Kläger war am 6. Juli 2013 als Selbstständiger (im ergänzenden Leistungsbezug nach dem SGB II) auf einer Baustelle mit dem Reinigen eines Eisenträgers von Sand beschäftigt, als ihm ein etwa 10 kg schwerer Metallgegenstand auf den Kopf fiel. Dabei bewegte er sich reflexartig ausweichend zur Seite, so dass sein Helm herunterfiel und der Gegenstand seinen Kopf traf.

Der Kläger wurde anschließend im Neurozentrum in der A aufgenommen. Dort wurde eine Kopfplatzwunde festgestellt, Paresen gab es nicht. Der Kläger berichtete, ihm sei nach dem Unfall kurz schwindelig gewesen. Der neurologische Untersuchungsbefund und die Elektroenzephalographie waren unauffällig. Die cranielle Computertomographie zeigte keine knöcherne Verletzung, allerdings eine kleine Hyperdensität im Bereich des Foramen Monroi rechts, die zunächst nicht eindeutig als Blutung oder kleine Verkalkung identifiziert werden konnte, bei Entlassung am 9. Juli 2013 jedoch als kleine unspezifische Verkalkung bewertet wurde. Der Kläger berichtete den behandelnden Ärzten davon, jeweils vor dem Einschlafen immer wieder das Unfallereignis vor Augen ablaufen zu sehen, verbunden mit Todesangst (D-Arztbericht W, Bericht A vom 9. Juli 2013). Der D-Arzt P hielt über die Untersuchung am 10. Juli 2013 fest, dass der Kläger am Kopf parietal knapp rechts der Mittellinie eine knapp pfenniggroße Schorfkruste habe, wach und orientiert sei und es keinen Hinweis für ein höhergradiges Schädelhirntrauma gebe. Es gab keine Sensibilitätsstörungen, jedoch Druck- und Bewegungsschmerzhaftigkeit im Bereich der seitlichen Hals- und Nackenmuskulatur und der Schultermuskulatur. Die Ärzte diagnostizierten am 9. Juli 2013 eine Schädelprellung ohne eindeutige Hirnbeteiligung (Bericht A vom 9. Juli 2013) bzw ein Schädelhirntrauma mit milder Verlaufsform und eine HWS-Distorsion (D-Arzt P am 10. Juli 2013). Die radiologische CT-Verlaufskontrolle des Schädels am 30. Juli 2013 zeigte keine Fraktur, keine Blutung und im Übrigen unauffällige Verhältnisse insbesondere epidural, subdoral und subarachnoidal. Reizlose Verhältnisse zeigten sich auch um das Foramen Monroi (beidseitige Öffnung, welche die beiden Seitenventrikel mit dem Ventriculus tertius (III. Ventrikel) verbindet). Die neurologische Untersuchung am 12. August 2013 zeigte keine neurologischen Auffälligkeiten und eine unauffällige Elektroenzephalographie (Bericht G/B vom 13. August 2013).

Ab Ende Juli 2013 berichtete der Kläger den behandelnden Ärzten – weiterhin – von Angstzuständen (ua Berichte P vom 31. Juli 2013, 16. August 2013, 26. September 2013; G/G1 vom 14. August 2013; G/B vom 13. August 2013, 15. Januar 2014; G2/S vom 24. August 2013; Bericht Reha-Zentrum N vom 14. Dezember 2013). Das Auftreffen des Gegenstandes habe er wie eine Explosion erlebt, er sei zunächst völlig desorientiert gewesen und habe nur noch gezittert. Aus dem Krankenhaus hätte er sich gern früher selbst entlassen, allerdings sei ihm gesagt worden, er könne an einer Hirnschwellung oder Hirnblutung sterben, wodurch er und seine Familie sehr geängstigt worden seien. Den „Einschlag“ und die „Explosion“ sowie den „schlimmen Krankenhausaufenthalt“ erlebe er immer wieder, so dass er Schlafstörungen habe. Er könne sich nicht vorstellen, diese gefährliche Tätigkeit wiederaufzunehmen. G/B beschrieben, insgesamt zeige sich das Bild einer Anpassungsstörung nach einem Unfall mit Schädelprellung oder möglicher Gehirnerschütterung, das Denken sei eingeengt auf Zukunftsängste und körperliche Beschwerden (Bericht vom 13. August 2013). G/G1 hielten eine ausgeprägte Grübelneigung mit getriggerten Vorstellungsbildern vom Unfall bzw. von der Zeit im Krankenhaus fest. Ferner seien situationsbezogene Ängste im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz nicht völlig auszuschließen (Bericht vom 14. August 2013). Der Kläger berichtete ferner über anhaltende Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen, die auch in seinen linken Arm strahlen würden, sowie – neben den Schlafstörungen – von einem anhaltenden Schwächegefühl (siehe Berichte der behandelnden Ärzte a.a.O., P vom 11. November 2013). Der Kläger erhielt ab 21. August 2013 erweiterte ambulante Physiotherapie und ab 29. August 2013 psychologische Betreuung (Bericht Reha-Zentrum N vom 26. September 2013; Berichte Dipl.-Psych. W1 vom 23. September 2013, November 2013), die er zunächst als entlastend schilderte (Bericht P vom 12. September 2013) allerdings beklagte der Kläger im Verlauf weiterhin eine allgemeine Kraftlosigkeit und Antriebslosigkeit mit allumfassenden Ängsten und anhaltenden Schlafstörungen, die verhaltenstherapeutisch sowie durch Strukturierung und Aktivierung zu überwinden angestrebt wurde (Bericht Reha-Zentrum N vom 14. Dezember 2013).

In seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 30. Dezember 2013 fasste der Facharzt für Neurologie/Psychiatrie S1 zusammen, dass der Kläger ein leichtgradiges, unkompliziertes gedecktes Schädel-Hirn-Trauma mit kurzfristiger Bewusstlosigkeit ohne Hirnsubstanzverletzung erlitten habe und erstmals am 12. August 2013 eine Anpassungsstörung diagnostiziert worden sei, der Kläger jedoch auch von erheblichem finanziellem und wirtschaftlichem Druck berichtete. Bei der Gemengelage sei die psychische Symptomatik dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen. Unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit habe maximal bis 16. Juli 2013 bestanden. Eine stationäre Behandlung sei nicht zu Lasten der Beklagten abzurechnen. Diese Einschätzung bestätigte er am 21. Januar 2014, da sich während der stationären Erstaufnahme weder auf neurologischem noch auf psychiatrischem Fachgebiet eine Auffälligkeit gezeigt habe.

Der Dipl.-Psych. W1 widersprach dieser Einschätzung im Januar 2014. Auch aufgrund von Sprachproblemen und der äußerst freundlichen, aber dadurch herunterspielenden Art des Klägers sei die Schwere der Symptome erst im Laufe der Behandlung erkennbar geworden.

G berichtete am 22. Dezember 2013 über die von dem Kläger geschilderten anhaltenden Ängsten, Überforderung, anhaltenden Schlafstörungen, Vertrauensverlust in andere Menschen, Angst zu Sterben und lautem Schreien auch unter der Dusche. Er diagnostizierte eine Anpassungsstörung und empfahl eine stationäre Behandlung.

Mit Bescheid vom 22. Januar 2014 erkannte die Beklagte den Unfall vom 6. Juli 2013 als Arbeitsunfall an, bei dem es zu einem leichtgradigen unkomplizierten gedeckten Schädel-Hirn-Trauma gekommen sei. Unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit erkannte sie vom 6. Juli 2013 bis 16. Juli 2013 an. Für die über den 16. Juli 2013 hinaus ärztlich behandelte psychotische Symptomatik werde eine Entschädigung nicht gewährt, weil sie nicht Folge des Unfalls vom 6. Juli 2013 sei. Die erstmals am 12. August 2013 diagnostizierte psychische Symptomatik sei keine Unfallfolge, die lebensgeschichtlichen Faktoren – erheblicher finanzieller und arbeitstechnischer Druck – seien am ehesten geeignet, die aktuelle psychische Symptomatik zu bewirken. Mit weiterem Bescheid vom 22. Januar 2014 entschied die Beklagte, dass der Kläger keinen Anspruch auf Verletztengeld habe. Die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit ende innerhalb der zweiwöchigen Wartefrist am 16. Juli 2013. Von einer Rückforderung des für den Zeitraum 21. Juli 2013 bis 6. Januar 2014 gezahlten Verletztengeldes sehe sie jedoch ab.

Am 28. Januar 2014 – Eingang 10. Februar 2014 – teilte der Kläger handschriftlich zu dem Unfall vom 6. Juli 2014 mit, mit diesem Bescheid nicht einverstanden zu sein. Er halte die Beschwerden weiterhin für unfallbedingt. In der Akte vorgeheftet ist der Bescheid vom 22. Januar 2014 betreffend den Anspruch auf Verletztengeld. Beide Schriftstücke weisen einen bildtechnischen Rahmen auf.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. März 2014 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 22. Januar 2014, der einen Anspruch auf Verletztengeld ablehnte, zurück, da unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit nur bis zum 16. Juli 2013 bestanden habe.

Mit der am 29. April 2014 bei dem Sozialgericht Itzehoe eingegangenen Klage hat der Kläger die Gewährung von Verletztengeld bis zum Ende der Heilbehandlung und die Zahlung einer Verletztenrente ab dem 13. Januar 2014 begehrt. Der anerkannte Arbeitsunfall sei für die wirtschaftlichen Folgen – und damit den Bezug von Leistungen nach dem SGB II – ebenso verantwortlich wie für die dadurch verursachte seelische Erkrankung. Diese sei vom Unfallversicherungsschutz als Kleinunternehmer erfasst. Er hat auf die Berichte des Diplom-Psychologen W1 und die Befundberichte der behandelnden Ärzte des Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhauses verwiesen, die seine Einschränkungen beschreiben. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Beklagte die Anpassungsstörung in den allgemeinen lebensgeschichtlichen Umständen des Klägers begründet sehe. Gegen die Ablehnung einer Verletztenrente wird ein weiteres Verfahren unter dem Aktenzeichen S 9 U 34/18 geführt.

Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass nur der Bescheid über die Ablehnung eines Anspruchs auf Verletztengeld streitgegenständlich sei und sie noch nicht über einen Anspruch auf Verletztenrente entschieden habe, und im Übrigen an ihrer Einschätzung festgehalten.

Das Sozialgericht hat Befund- und Behandlungsberichte bei den den Kläger behandelnden Ärzten T und K eingeholt, die berichtet haben, der Kläger habe Gedankenkreisen, gedrückte Stimmung, Traurigkeit, Unruhe, Affektlabilität, eingeschränkte Konzentrations- und Leistungsfähigkeit, verminderten Antrieb, Freudlosigkeit, belastende starke Albträume und Grübelzwang geschildert.

S2 hat im November 2014 in seinem Gutachten für die DRV Bund beschrieben, es liege eine massive Fehlverarbeitung des erlittenen Unfalls mit depressiver Verstimmung und Ängsten vor, aber keine posttraumatische Belastungsstörung. Der Unfall stelle lediglich den pathogenetischen Nukleus dar, um das sich alle weiteren schicksalsgeprägten Probleme deutlich tendenzgerichtet herumranken. Der Leidensdruck des Klägers sei erkennbar, einem Gespräch über unfallunabhängige Faktoren bei der Aufrechterhaltung seiner Beschwerden sei er nicht zugänglich. Die Symptomatik aufrechterhaltende Faktoren dürften eine narzisstische Kränkung und ausgeprägte Versorgungswünsche sein. Die Beklagte bewilligte dem Kläger eine Rente wegen Erwerbsminderung auf Zeit.

In seinem im Auftrag des Sozialgerichts Itzehoe erstellten Gutachten vom 29. November 2017 hat der Neurologe und Psychiater B1 als durch den Unfall am 6. Juli 2013 verursacht eine persönlichkeitsgetragene Anpassungsstörung mit obsessiven Zügen als Ausdruck einer Fehlverarbeitung des Unfallereignisses festgestellt. Letztlich drehe sich sein gesamtes Denken, Fühlen und Erleben nahezu vollständig um das Unfallgeschehen bzw. die kompromisslos stereotyp vorgetragene Behauptung, dass man ihm damals im Krankenhaus unmissverständlich zu verstehen gegeben habe, dass sein Leben an einem seidenen Faden hinge. Davon habe er sich nicht freimachen können. Alternativen Überlegungen gegenüber sei er nicht aufgeschlossen, Zweifel an dieser Darstellung erlebe der Kläger als heftigen Angriff und Diskreditierung seiner Person. Andererseits habe er nach eigenen Angaben von 2014 bis 2016 eine Kinder-Fußballmannschaft aufgebaut und durchaus positive Erfahrungen gemacht. Symptombeeinflussende Vorerkrankungen seien nicht nachgewiesen. Die Dauer der Behandlungsbedürftigkeit lasse sich rückblickend nicht festlegen.

In seinem auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG eingeholten Gutachten hat der Facharzt für Nervenheilkunde, Psychiatrie und Psychotherapie H ausgeführt, dass der Sturz des Gegenstandes auf den Kopf des Klägers zu einer Commotio cerebri im Sinne einer kurzfristigen vorübergehenden Funktionsstörung ohne bleibende Auswirkungen geführt haben dürfte. Es sei aber nicht davon auszugehen, dass der Sturz Auslöser einer nachhaltigen organisch begründeten Störung des Gehirns sein könne. Der Kläger habe die Ereignisse anders erlebt. Möglicherweise sei ihm erläutert worden, dass es noch zu einer Schwellung des Gehirns kommen könne, völlig unwahrscheinlich sei aber, dass ihm der drohende Tod vorhergesagt worden sei. Möglich seien sprachliche Missverständnisse oder eine Fehlinterpretation der Äußerungen durch die eigene Angst. Der Unfall erfülle aber nicht die Kriterien für eine Posttraumatische Belastungsstörung. Die katastrophisierende Haltung des Klägers sei nicht auf eine bekannte psychische Erkrankung zurückführbar, allerdings habe der Kläger über zwei Verkehrsunfälle an Abhängen in der Türkei, eine Messerstichverletzung nach einer Auseinandersetzung, einer Verwicklung seines Bruders in eine tödliche Messerstecherei und dem Scheitern seiner ersten Ehe mit Diebstahl durch die Schwiegerfamilie und diversen gescheiterten selbständig ausgeübten Erwerbstätigkeiten berichtet. Diese Summe der belastenden Ereignisse sei geeignet, die eigene Kompensationsfähigkeit bezüglich neuer belastender Erfahrungen zu reduzieren. Der weitere Krankheitsverlauf werde durch die psychische Erkrankung der Ehefrau ungünstig beeinflusst. Ferner habe der Kläger von bis vor kurzem praktiziertem Cannabiskonsum berichtet, der Psychosen auslösen könne. Diagnostisch habe der Kläger eine rezidivierende depressive Störung auf dem Boden einer Anpassungsstörung, ferner einen schädlichen Konsum von Cannabinoiden und Alkohol. Die andauernde psychische Fehlverarbeitung sei nicht auf das Unfallereignis selbst zurückzuführen, sondern der Persönlichkeit des Klägers, seiner Lebensgeschichte und den noch andauernden situativen Belastungen zuzurechnen. Durch den Unfall selbst habe der Kläger eine leichte Prellmarke am Schädel, eine HWS-Distorsion und eine Gehirnerschütterung erlitten. Unfallbedingte Heilbehandlungsbedürftigkeit habe allenfalls bis zum 31. Juli 2013 bestanden.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28. November 2018 abgewiesen. Hinsichtlich des Begehrens nach Verletztengeld fehle es – selbst bei mit dem Gutachten von H unterstellter Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit bis zum 31. Juli 2013 – an einer Beschwer des Klägers, da die Beklagte auch für diesen Zeitraum Verletztengeld gezahlt habe, jedoch mit Bescheid vom 22. Januar 2014 verbindlich einen Rückforderungsverzicht erklärt habe. Über die in dem streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten anerkannten Unfallfolgen hinaus seien keine weiteren Unfallfolgen festzustellen. Weder die geltend gemachte Posttraumatische Belastungsstörung noch eine andere Unfallfolge auf psychiatrischem Fachgebiet sei als Unfallfolge festzustellen. Nach beiden Diagnosesystemen – ICD-10-GM-2017 und DSM-IV-TR fehle es vorliegend an den Voraussetzungen für eine Diagnosestellung. Das Ereignis sei auch nicht geeignet, ein Trauma im Sinne einer PTBS anzunehmen. Die Ausführungen von B1 und H, dass die depressive Symptomatik mit völligem Rückzug nicht durchgehend bestanden habe und bei dem Kläger eine andauernde – aber nicht unfallbedingte – Fehlverarbeitung vorliege, seien nachvollziehbar. Eine richtunggebende Verschlimmerung sei auch nicht anzunehmen.

Gegen den am 4. Dezember 2018 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 2. Januar 2019 eingegangene Berufung des Klägers. Bei der Entscheidung sei sein türkischer Hintergrund zu berücksichtigen, was die bisherigen Gutachter nicht getan hätten.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 28. November 2018 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Januar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 21. Juli 2013 bis zum Ende der gesetzlichen Anspruchsdauer Verletztengeld zu zahlen sowie ab dem 13. Januar 2014 eine Verletztenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat einen Befund- und Behandlungsbericht von K über einen stationären Aufenthalt im Frühjahr 2019 eingeholt, in dem der Kläger über anhaltende Schlafstörungen, Albträume sowie Intrusionen und Flashbacks bezogen auf erlebte Traumata aus der Vergangenheit berichtete und in dem ua von Verhaltens- und psychischen Störungen durch Cannabinoide und Alkohol als Diagnosen berichtet wird.

In seinem auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG eingeholten Gutachten vom 11. November 2020 (nebst ergänzender Stellungnahme vom 11. September 2011 und ergänzender Ausführungen im Termin zur mündlichen Verhandlung am 2. Mai 2022) hat der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie A1 festgehalten, dass der Kläger von nach dem Unfall am 6. Juli 2013 anhaltenden Todesängsten und Vertrauensverlust in Menschen berichtet habe, da er eine Absicht seiner Kollegen vermute. Der Kläger habe von anhaltendem mehrmals wöchentlichem Drogenkonsum und gelegentlichem Alkoholkonsum berichtet. Bei dem Kläger liege seit mindestens 1997 eine psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol: Schädlicher Gebrauch (ICD-10: F10.1) und seit mindestens 2013 eine psychische und Verhaltensstörung durch Cannabinoide: Abhängigkeitssyndrom (ICD-10: F63.0) vor. Ferner liege eine seit mindestens 2013 rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode mit psychotischen Symptomen vor. Als Verdachtsdiagnose komme eine seit mindestens 2013 bestehende posttraumatische Belastungsstörung in Betracht (ICD-10: F43.1). Schließlich bestehe eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und emotional-instabilen Anteilen. Eine Aussage eines Arztes, der Kläger würde sterben oder querschnittsgelähmt bleiben, sei angesichts des Befundes der Computertomographie vom 6. Juli 2013 erstaunlich. Der Sachverständige A1 hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass eine PTBS eine mögliche Folge des Unfalls sei bzw. der Verdacht auf eine PTBS bestehe. Der Kläger habe durch den Unfall etwas Grauenhaftes erlebt, seine körperliche Unversehrtheit sei bedroht und stark verletzt worden. Er habe sich vollkommen machtlos, schutzlos und ausgeliefert gefühlt; diese Gefühle seien auch nach dem Gespräch mit dem Krankenhausarzt verstärkt worden. Der Kläger habe Entsetzen und extreme (Todes-)Angst verspürt. Das Ereignis sei geeignet, eine PTBS hervorzurufen. Der Kläger zeige Vermeidungsverhalten (Baustellen und rote Fahrzeuge), habe Intrusionen und eine vegetative Übererregung. Begünstigende Faktoren wie z.B. zwanghafte oder abhängige Persönlichkeitszüge oder Persönlichkeitsstörung in der Vorgeschichte könnten die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren seien weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Der Kläger habe eine ganz erhebliche Vulnerabilität in seiner Persönlichkeit, die sehr leicht ansprechbar gewesen sei. Es könne angenommen werden, dass der Kläger nach dem Unfall unter erheblichem finanziellen und arbeitstechnischen Druck gestanden habe, die als krankheitsverstärkende Einflussfaktoren eine Rolle spielten. Für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit stellt er auf die aktenkundigen Berichte ab (6. Juli 2013 bis 13. Januar 2014 sowie Dauer der stationären Behandlungen). Die unfallbedingte MdE sei mit 30 bis 40 vH zu veranschlagen, wofür er die Versorgungsmedizinverordnung zugrunde gelegt habe. Seine von vorangehend eingeholten Gutachten abweichende Einschätzung zur PTBS begründet er damit, dass das Risiko einer PTBS sich erhöhe, wenn der Unfall mit Absicht herbeigeführt worden sei – der Kläger habe insoweit angegeben, dass die Kollegen den Unfall möglicherweise mit Absicht verursacht hätten. Ferner korreliere die Schwere des Ereignisses nicht unbedingt mit der Schwere der Folgesymptome. Auf das gleiche Ereignis könnten Menschen unterschiedlich reagieren. Risikofaktoren bei dem Kläger seien mangelnde Bewältigungsstrategien und Abwehrmechanismen. Der Kläger habe das Unfallgeschehen und die Folgen für ihn sehr bildlich, weitschweifig, ohne Schwerpunktsetzung und mit längeren Sätzen geschildert. Von anderen Ereignissen und über seine Ehe habe der Kläger nur mit knappen Sätzen berichtet. Einen Verifikationstest zur Erfassung der Depression habe er nicht durchgeführt, weil dieser nur die letzten drei Wochen erfasse.

Der Kläger stützt sein Begehren ergänzend auf das Gutachten des Sachverständigen A1.

Die Beklagte reicht zu diesem Gutachten ergänzend eine beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Neurologie / Psychiatrie M vom 12. Juli 2021 zur Akte, der ausführt, das zur Diskussion gestellte Ereignis sei nicht geeignet, eine PTBS zu verursachen, da es sich um kein so katastrophales und das Weltbild erschütterndes Ereignis gehandelt habe, das bei fast jedem eine tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde. Er merkt ferner eine fehlende Beschwerdeevaluierung auch mit testpsychologischer Untermauerung an, da die Angaben des Klägers recht akzentuiert seien. Zwar komme es nicht nur auf die objektive Schwere eines Ereignisses an, sondern auch auf das subjektive Wahrnehmen des Betroffenen. Allerdings sei für psychotraumatologisch minderschwere Ereignisse zu verlangen, dass eine außergewöhnliche psychische Erstreaktion im Sinne von Verzweiflung, dissoziativen Zuständen etc dokumentiert sei, was nicht vorliege. Viele Aussagen des Klägers seien unplausibel und inkonsistent. Führend seien unfallunabhängige Kontextfaktoren.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge vorgelegen. Sie waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG) eingelegt worden. Sie ist jedoch unbegründet.

1. Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 22. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. März 2014, mit dem die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Verletztengeld abgelehnt hat.

Soweit der Kläger in diesem Verfahren einen Anspruch auf Verletztenrente ab dem 13. Januar 2014 geltend macht, ist die Klage unzulässig, da die Beklagte in dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 22. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. März 2014 nicht über einen Anspruch auf Verletztenrente entschieden hat. Es fehlt an den für eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage erforderlichen Voraussetzungen eines Verwaltungsaktes und eines Widerspruchsverfahrens (vgl § 78 Abs. 1 und 3 SGG).

Für den geltend gemachten Anspruch auf Verletztengeld fehlt es – wie bereits das Sozialgericht ausgeführt hat – an einer Beschwer des Klägers für den Zeitraum bis einschließlich 6. Januar 2014, da die Beklagte – aus ihrer Sicht ohne Vorliegen bis zu diesem Tag anhaltender zu entschädigender Unfallfolgen – Verletztengeld gezahlt hat, jedoch gleichwohl von einer Rückforderung abgesehen hat. Soweit der Kläger mit dieser Klage einen Anspruch über den 6. Januar 2014 hinaus geltend macht, da er an über diesen Tag hinaus anhaltenden Unfallfolgen leide, kann er dieses Begehren im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 iVm Abs. 4 SGG) geltend machen. Denn Ermächtigung und Anspruchsgrundlage erfassen nicht nur die abschließende Entscheidung über den Leistungsanspruch. Ermächtigung und Anspruch betreffen auch die Entscheidung über jene Elemente des Anspruchs, die Grundlagen für jede aktuelle oder spätere Anspruchsentstehung gegen denselben Unfallversicherungsträger aufgrund eines bestimmten Versicherungsfalls sind (vgl BSG, Urteil vom 5. Juli 2011, B 2 U 17/10 R – Rn 17).

Der Bescheid der Beklagten vom 22. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. März 2014, mit dem sie einen Anspruch des Klägers auf Verletztengeld – insbesondere über den 6. Januar 2014 hinaus – abgelehnt hat, ist rechtmäßig. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Sie ist zulässig, jedoch unbegründet.

2. Der Kläger hat – insbesondere über den 6. Januar 2014 hinaus – keinen Anspruch auf Verletztengeld. Verletztengeld wird nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) erbracht, wenn Versicherte infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig sind oder wegen einer Maßnahme der Heilbehandlung eine ganztägige Erwerbstätigkeit nicht ausüben können. Zwar hat der Kläger am 6. Juli 2013 einen Versicherungsfall erlitten <a)> und die behandelnden Ärzten haben nach dem Unfall Arbeitsunfähigkeit attestiert <b)>, jedoch sind bei dem Kläger vorliegende psychische Gesundheitsstörungen <c)> nicht auf den Arbeitsunfall zurückzuführen <d)>.

a) Der Kläger hat am 6. Juli 2013 einen – von der Beklagten mit Bescheid vom 22. Januar 2014 anerkannten – Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII erlitten, als er auf einer Baustelle während der Ausübung seiner selbständigen Tätigkeit von einem herabfallenden Gegenstand am Kopf getroffen wurde.

b) Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte überhaupt nicht oder nur auf die Gefahr hin, seinen Zustand zu verschlimmern, fähig ist, seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit nachzugehen (so st RSpr seit BSG, Urteil vom 19. Juni 1963 – 3 RK 37/59 – Rn 20). Dem Kläger wurde von dem behandelnden Arzt P bis zum 22.Februar 2014 Arbeitsunfähigkeit attestiert (Zwischenbericht vom 16. Januar 2014). Der Arzt T teilte mit, der Kläger habe über eine fortlaufend durch einen BG-Arzt attestierte Arbeitsunfähigkeit berichtet (Bericht vom 22. April 2017).

c) Die vom Kläger als einen Anspruch auf Verletztengeld begründend geltend gemachte Posttraumatische Belastungsstörung steht nicht zur Überzeugung des Senats (§ 128 SGG) fest. Hinsichtlich des Beweismaßstabs gilt dabei, dass das „Unfallereignis“ und der „Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden“ sowie die Tatsachen, die den inneren Zusammenhang der Verrichtung im Zeitpunkt des Unfalls zur versicherten Tätigkeit begründen, im Wege des Vollbeweises – also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – für das Gericht feststehen müssen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, B 2 U 1/05 R, Rn 20; Urteil vom 31. Januar 2012, B 2 U 9/11 R, Rn 28). Dafür ist zwar keine absolute Gewissheit erforderlich; verbliebene Restzweifel sind bei einem Vollbeweis jedoch nur solange unschädlich, wie sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 9. Dezember 2020, L 3 U 42/19, Rn 21; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Dezember 2019, L 3 74/18, Rn 69; BSG, Urteil vom 24. November 2010, B 11 AL 35/09 R, Rn 21; BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016, B 9 V 3/15 R, Rn 26). Dabei sind Gesundheitsstörungen im Bereich psychischer Störungen durch Einordnung in eines der gängigen Diagnosesysteme (zB ICD-10, DSM V) unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen exakt zu beschreiben (BSG, Urteil vom 26. November 2019 – B 2 U 8/18 R, Rn 19)

Es steht nicht im Vollbeweis fest, dass der Kläger an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) nach ICD-10 F 43.1 erkrankt ist. Der Senat legt seiner Entscheidung die ICD-10 zugrunde. Die ICD-11 ist noch nicht anzuwenden, da die endgültige Fassung in der deutschen Übersetzung – validiert durch die medizinischen Fachgesellschaften – noch nicht vorliegt (https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/_node.html, Stand 22. April 2022).

Bei der Prüfung, ob eine Posttraumatische Belastungsstörung vorliegt oder nicht, ist die Leitlinie der AWMF „Teil III Begutachtung bei Kausalitätsfragen im Sozial-, Zivil- und Verwaltungsrecht“, Stand 1. Dezember 2019, zugrunde zu legen. Nach dem ICD-10-Katalog (F 43.1) setzt die Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde, voraus. Dazu gehören durch Naturereignisse oder von Menschen verursachte Katastrophen, schwere Unfälle oder Zeuge eines gewaltsamen Todes anderer oder selbst Opfer von Folterung, Terrorismus, Vergewaltigung oder anderen Verbrechen zu sein (A-Kriterium, Leitlinie a.a.O. Seite 19 4.2.2). Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z. B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten (B-Kriterium). Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten (C-Kriterium: Vermeidungsverhalten). Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf (D-Kriterium). Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden.

Der Senat ist bereits nicht davon überzeugt, dass das von dem Kläger am 6. Juli 2013 erlebte Unfallereignis das A-Kriterium erfüllt. Bei dem Herabfallen eines Gegenstandes und Auftreffen desselben auf einen menschlichen Körper handelt es sich nicht regelhaft um ein Ereignis außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Diese Überzeugung stützt der Senat auf die Gutachten der Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie B1 und H (verwertet als Sachverständigenbeweis, §§ 118 Abs. 1 SGG, 402 ZPO) und die beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie M (verwertet als Parteivortrag der Beklagten), die ein katastrophenartiges oder vergleichbares Ereignis nicht feststellen bzw. das Vorliegen eines solchen explizit verneinen. Diese Einschätzung überzeugt den Senat auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger durch den Aufprall nur eine leichte Prellmarke ohne Schädelfraktur oder Hirnblutungen erlitten hat. Dass das herabfallende Metallteil den Kläger unvorbereitet traf, reicht nicht aus, um ein katastrophengleiches Ereignis anzunehmen. Ein absichtsvolles Handeln der Kollegen steht für den Senat nicht im Vollbeweis fest. Der Kläger schilderte solches erstmals bei dem Sachverständigen A1. Keiner der den Kläger behandelnden Ärzte und untersuchenden Gutachter hat eine solche Schilderung zuvor festgehalten. Der Kläger berichtete vormals nur, Sicherheitslücken moniert zu haben. Auch seine regelmäßig wiederholte Aussage, die Ärzte hätten ihm den drohenden Tod oder eine bleibende Querschnittlähmung angekündigt, ist nach der Einschätzung der Sachverständigen (B1, H, A1) nicht glaubhaft. Gegen die Darstellung des Klägers, ihm sei bleibende Querschnittlähmung in Aussicht gestellt worden, spricht, dass er dem Gutachter A1 (Seite 11) schilderte, er habe sich die Anschlüsse der medizinischen Instrumente abgerissen und sei aus dem Zimmer gelaufen. Das spricht bereits gegen aufgetretene Lähmungserscheinungen, die dem Kläger von den Krankenhausärzten als möglicherweise anhaltend in Aussicht gestellt worden sein könnten. Die stereotype Schilderung des Klägers zeigt vielmehr auf, dass er auf den Aufenthalt im Krankenhaus und von ihm erinnerte Aussagen der behandelnden Ärzte fokussiert ist, ohne dass diese auf einer plausibel wahrnehmbaren Tatsachengrundlage beruhen. Sie können keine Grundlage für die Annahme sein, der Kläger habe ein Ereignis katastrophenartigen Ausmaßes erlebt. Im Übrigen haben die behandelnden Ärzte und Gutachter zwar die Schilderungen des Klägers aufgenommen, er erinnere sich und habe Todesangst und Albträume. Eine testpsychologische Validitätsprüfung fand allerdings nicht statt. Die kontinuierliche akzentuierte Wiedergabe der – fast obsessiv anmutenden – Schilderungen des Klägers umfassen nicht, immer wieder zu empfinden, dass Gegenstände auf seinen Kopf fallen oder er durch ein plötzliches Ereignis an den Unfall erinnert wird. Der Kläger scheint vielmehr die aus seiner Sicht bedrohlichen Aussagen der Krankenhausärzte in seiner Erinnerung aufrechtzuerhalten und sich an ein Gefühl erlebter Todesangst im Krankenhaus zu erinnern. Er schilderte, einmal ein Arbeitsgespräch auf einer Baustelle nicht wahrgenommen haben zu können und auch sonst Baustellen zu vermeiden. Körperliche Reaktionen des Klägers wie Hypervigilanz (erhöhte Wachsamkeit oder Wachheit) oder erhöhte Schreckhaftigkeit auf Reize (D-Kriterium) werden nicht beschrieben. Ferner war er bereits 2014 in der Lage, eine Kinder-Fußballmannschaft aufzubauen und bis 2016 zu betreuen, was ihm nach eigenen Schilderungen gegenüber den Gutachtern auch Freude bereitete und daher gegen eine durchgehende Handlungsunfähigkeit des Klägers spricht. Eine anhaltende emotionale Betäubung und Abgestumpftheit (B-Kriterium) lässt sich darin auch nicht erkennen.

Der Einschätzung des Sachverständigen A1, es reiche für die Diagnose einer PTBS aus, dass der Kläger das Ereignis subjektiv als lebensbedrohlich wahrgenommen habe, vermag sich der Senat angesichts der oben geschilderten Kriterien einer PTBS nicht anzuschließen. Diesen lässt sich nicht entnehmen, dass die subjektive Wahrnehmung für die Annahme einer PTBS ausreicht. Der Sachverständige A1 gibt in seinem Gutachten überdies im Wesentlichen die Merkmale einer PTBS ohne konkreten Bezug zum Kläger wieder und grenzt bei der Diagnostik der vom Kläger geschilderten Symptome und der Kausalität nicht zwischen der Eignung des Unfallereignisses für die Entstehung einer PTBS und der Persönlichkeitsstruktur des Klägers ab. Sofern behandelnde Ärzte des Psychiatrischen Zentrums – Rehabilitation und Pflege in R eine PTBS diagnostizierten (Bericht vom 24. April 2017) beschränkten auch diese sich auf die Wiedergabe der Schilderungen des Klägers und der Symptome Schlafstörungen, eingeengtes Denken und depressive Symptomatik, ohne dass sie das Ereignis vom 6. Juli 2013 als katastrophenartiges Ereignis einordneten. Die den Kläger im Reha-Zentrum H1 ab August 2013 behandelt habenden Ärzte beschrieben eine Anpassungsstörung (Bericht vom 14. Dezember 2013).

Bei dem Kläger besteht vielmehr – wie bereits das Sozialgericht herausgearbeitet hat – eine andauernde psychische Fehlverarbeitung der Ereignisse am und um den 6. Juli 2013, die nicht durch das Unfallereignis begründet wurde, sondern der Persönlichkeit des Klägers, seiner Lebensgeschichte (mehrere Unfälle, berufliche Misserfolge, belastende Ehe) und dem missbräuchlichen Konsum von Cannabis geschuldet ist und zu einer rezidivierenden depressiven Störung auf dem Boden einer als Diagnose festzuhaltenden Anpassungsstörung (F43.2: Anpassungsstörung: Zustände von subjektiver Bedrängnis und emotionaler Beeinträchtigung, die im Allgemeinen soziale Funktionen und Leistungen behindern und während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung oder nach belastenden Lebensereignissen auftreten) führte. Diese Überzeugung stützt der Senat auf die Einschätzung von G (Bericht vom 22. Dezember 2013, verwertet als Urkundsbeweis – § 118 Abs 1 SGG iVm § 418 ZPO) und die überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen B1 und H, die nachvollziehbar eine durch die narzisstische Persönlichkeitsstruktur des Klägers und diverse Ereignisse in der Lebensgeschichte des Klägers herabgesetzte Kompensationsfähigkeit bezüglich neuer belastender Erfahrungen herausgearbeitet haben. Diese führte bei dem Kläger zu der anhaltenden depressiven Symptomatik.

d) Die andauernde Fehlverarbeitung auf dem Boden einer Anpassungsstörung ist nicht auf den Arbeitsunfall zurückzuführen, sondern ist vorbestehend und damit unfallunabhängig als Summe narzisstischer Persönlichkeitsmerkmale und herabgesetzter Kompensationsfähigkeit entstanden und wird durch nicht dem Unfall anzulastende situative Lebensumstände aufrechterhalten. Angesichts der aufgezeigten zeitlichen Abläufe kommt es auf die im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Beweismaßstäbe für die Kausalität zwischen dem Unfallereignis und der psychischen Erkrankung – die hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl hierzu stRspr BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, B 2 U 1/05 R, Rn 19 – 20 mwN) – nicht an.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

4. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

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