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Anerkennung eines Arbeitsunfalls im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements

Anerkennung von Arbeitsunfällen: Eine Fallstudie

Bei diesem bemerkenswerten Fall geht es um die rechtliche Anerkennung eines Arbeitsunfalls im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsprogramms. Die Klägerin, eine Angestellte der Stadt T., hatte während eines von ihrem Arbeitgeber angebotenen Kurses „Rücken-Fit“ einen Unfall erlitten. Sie suchte daraufhin nach Anerkennung und Unterstützung durch ihren Arbeitgeber und die Beklagte, eine Versicherung. Die Hauptproblematik in diesem Fall lag darin, dass die Kurszeit für die Teilnehmer nur dann als Arbeitszeit angerechnet wird, wenn diese mindestens 80% der Kursstunden belegen.

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Die Verletzung und die nachfolgende Behandlung

Im Juli 2019 vollführte die Klägerin während der Aufwärmphase des Kurses einen Ausfallschritt und rutschte weg. Dies führte zu einer starken Anspannung der Beugemuskulatur und einem heftigen Schmerz in der linken Gesäßhälfte. Nach ärztlicher Untersuchung und Berichterstattung wurde ein Muskelabriss im linken Sitzbein festgestellt. Aufgrund anhaltender Schmerzen wurde sie im Universitätsklinikum B. operiert und erhielt danach eine häusliche Krankenpflege sowie eine stationäre Weiterbehandlung.

Die Ablehnung der Anerkennung als Arbeitsunfall

Die Beklagte lehnte im Oktober 2019 die Anerkennung des Ereignisses vom Juli als Arbeitsunfall ab. Sie stützte ihre Entscheidung auf die Tatsache, dass die Klägerin nicht die erforderliche 80-prozentige Kursbelegung erreicht hatte. Dies hätte bedeutet, dass ihre Teilnahme an dem Kurs als Arbeitszeit angerechnet worden wäre. Die Beklagte argumentierte, dass in diesem Fall die privaten Interessen der Klägerin an der Teilnahme am Kurs überwiegen würden.

Der Widerspruch der Klägerin und die anschließende Untersuchung

Die Klägerin legte gegen die Entscheidung der Beklagten Widerspruch ein. Sie klagte erneut über Schmerzen im linken Gesäßbereich, aber eine erneute Muskelverletzung konnte ausgeschlossen werden. Die Beklagte nahm weitere Untersuchungen bei der Stadt T. vor, insbesondere in Bezug auf das betriebliche Gesundheitsmanagement und das „Stolberger-Fit-Programm“, unter dessen Dach der Kurs „Rücken-Fit“ angeboten wird.

Die endgültige Entscheidung des Gerichts

Die Stadt T. korrigierte schließlich ihre vorherige Auskunft und stellte klar, dass die Klägerin ohne den Unfall eine 80-prozentige Kursbelegung erreicht hätte. Trotz dieser neuen Information hielt das Gericht seine Entscheidung aufrecht und wies die Klage der Klägerin ab. Die Kosten des Verfahrens wurden nicht erstattet.


Das vorliegende Urteil

SG Aachen – Az.: S 6 U 136/20 – Urteil vom 07.05.2021

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin ist bei der Stadt T. als Amtsvormund abhängig beschäftigt. Nachdem sie bereits in der Zeit vom 05.02.2019 bis Ende Mai 2019 an dem von ihrer Arbeitgeberin im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsmanagements außerhalb der Arbeitszeit angebotenen Kurses „Rücken-Fit“ teilgenommen hatte, belegte sie auch die in der Zeit vom 04.06.2019 bis 09.07.2019 stattfindende Kursverlängerung. Am 02.07.2019 vollführte sie während der Aufwärmphase einen Ausfallschritt und rutschte weg, wodurch es zu einer starken Anspannung der Beugemuskulatur kam. Unvermittelt verspürte sie einen heftigen Schmerz in der linken Gesäßhälfte.

Die Beklagte zog den Bericht des Durchgangsarztes Dr. G. vom 05.07.2019 bei, der von einem proximalen Muskelabriss im linken Sitzbein spricht. Ferner wertete sie die Unfallanzeige der Stadt T. vom 04.07.2019 aus und ermittelte, dass die Teilnahme am Gesundheitskurs „Rücken-Fit“ bei Erreichen eines Belegungsanteils von mindestens 80% der angebotenen Stunden als Arbeitszeit gutgeschrieben wird.

Nachdem die Klägerin sich am 17.07.2019 einer transossären Refixation des Musculus semitendinosus unterzogen hatte, zog die Beklagte den OP-Bericht des Universitätsklinikums B. – Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie – vom 17.07.2019 bei und wertete einen Verlaufsbericht des Facharztes für Chirurgie Prof. Dr. I. vom 12.07.2019 sowie einen Bericht des Radiologen Dr. N. vom 04.07.2019 aus.

Am 25.07.2019 stellte sich die Klägerin wegen persistierender Schmerzen im Krankenhaus T. vor. Daraufhin übernahm die Beklagte eine häusliche Krankenpflege für einen Zeitraum von zunächst sieben Wochen. Anschließend erfolgte eine berufsgenossenschaftliche stationäre Weiterbehandlung (BGSW) der Klägerin im T.-Bad in B..

Nachdem die Stadt T. mitgeteilt hatte, die Klägerin habe eine Belegung von 80% mit der Folge einer Gutschrift als Arbeitszeit nicht erreicht, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14.10.2019 eine Anerkennung des Ereignisse vom 02.07.2019 als Arbeitsunfall ab. Zur Begründung führte sie aus, mangels Anrechnung der Zeit des Kurses „Rücken-Fit“ auf das Arbeitszeit- oder Weiterbildungskonto der Klägerin überwögen private Interessen für eine Teilnahme.

Auf den Widerspruch der Klägerin vom 23.10.2019 zog die Beklagte den Entlassungsbericht der T.-Bad GmbH vom 22.10.2019 bei. Nachdem die Klägerin erneut über Schmerzen im linken Gesäßbereich geklagt hatte, konnte eine Re-Ruptur des Musculus semitendinosus ausgeschlossen werden. Die Beklagte zog einen weiteren Bericht des Universitätsklinikums B. – Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie – vom 27.11.2019 bei und führte bei der Stadt T. weitere Ermittlungen zu dem angebotenen betrieblichen Gesundheitsmanagement durch. Hierbei stellte sich heraus, dass das „Stolberger-Fit-Programm“ in dessen Rahmen der Kurs „Rücken-Fit“ angeboten wird, von der G. GmbH, B., organisiert und durchgeführt wird. Die Stadt T. teilte unter dem 13.02.2020 mit, entgegen ihrer ursprünglichen Auskunft hätte die Klägerin ohne den Vorfall vom 02.07.2019 eine 80-prozentige Belegung erreicht, weil sie den vorherigen Kurs vom 05.02.2019 bis Ende Mai 2019 durchgehend belegt habe.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.08.2020 zurück. Zur Begründung führte sie aus, angesichts der Organisation und Durchführung des „T.-Fit-Programms“ durch die G. GmbH fehle es auch an einer unternehmensbezogenen Organisation. Schließlich sei auch an einer Regelmäßigkeit zu zweifeln, weil der Kurs „Rücken-Fit“ lediglich auf wenige Monate angelegt gewesen sei.

Hiergegen richtet sich die am 10.09.2020 erhobene Klage.

Die Klägerin führt aus, bei einer Belegung von weiteren Kursen sei eine Teilnahme von mehr als sechs Monaten gegeben. Sie habe indessen seit 2018 bereits vor dem Kurs „Rücken-Fit“ weitere im Rahmen des T.-Fit-Programms“ angebotene Kurse belegt. Überdies sei der Personalrat der Stadt T. seit 2017 in einer Steuerungsgruppe „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ mit zwei Mitgliedern vertreten. Dies dokumentiere, dass die Stadt T. die Organisation und Durchführung des Betriebssports nicht aus der Hand gegeben habe.

Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 14.10.2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.08.2020 aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 02.07.2019 um einen Arbeitsunfall handelt.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihrer bisherigen Auffassung fest.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist zulässig. Mit einer Feststellungsklage kann über § 55 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hinaus auch die Feststellung begehrt werden, dass ein Unfall ein Arbeitsunfall ist (BSG, Urteil vom 02.04.2009 – B 2 U 30/07 R = juris, Rdnr. 11 m.w.N.; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Lei-therer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 55 Rdnr. 13b). Ein Feststellungsinteresse der Klägerin folgt bereits daraus, dass nach Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall in Zukunft Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen sein könnten.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Sie hat keinen Anspruch auf Anerkennung des Ereignisses vom 02.07.2019 als Arbeitsunfall.

Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungs-schutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirken-de Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Voraussetzung für einen Arbeitsunfall ist demnach, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzuordnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammen-hang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haf-tungsbegründende Kausalität, siehe statt vieler BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 26/04 R = juris m.w.N.; BSG, Urteil vom 04.09.2007 – B 2 U 28/06 R = juris).

Im vorliegenden Fall fehlt es an der Ausübung einer versicherten Tätigkeit durch die Klägerin am 02.07.2019.

Als Versicherungstatbestand kommt im vorliegenden Fall lediglich § 2 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) in Betracht. Danach sind Beschäftigte kraft Gesetzes in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert.

Zwar erfolgte eine Teilnahme am Kurs „Rücken-Fit“ im vorliegenden Fall nicht unmittelbar im Rahmen der Beschäftigung der Klägerin, zumal jener Kurs nicht während, sondern außerhalb der Arbeitszeit stattfand.

Es besteht jedoch Einigkeit, dass ausnahmsweise auch weitere Tätigkeiten unter § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII fallen, wenn sie in einem engen sachlichen Zusammenhang mit der Beschäftigung stehen. Zu diesen Tätigkeiten gehört unter bestimmten Voraussetzungen auch die Teilnahme am Betriebssport. Denn sportliche Betätigungen des Beschäftigten können nicht nur dessen persönlichen Interessen dienen, sondern wesentlich auch denen des Unternehmens, weil sie die Gesunderhaltung der Beschäftigten und die Wiederherstellung ihrer Arbeitskraft unterstützen und deshalb den Unternehmen und der ihnen dienenden versicherten Tätigkeit zuzurechnen sind (siehe statt vieler etwa LSG Hamburg, Urteil vom 17.02.2015 – L 3 U 31/12 = juris, Rdnr. 19).

Zur Abgrenzung des unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehenden Betriebssports von anderen sportlichen Aktivitäten hat die höchstrichterliche Rechtsprechung folgende Kriterien aufgestellt: Der Sport muss Ausgleichs- und nicht Wettkampfcharakter haben; er muss regelmäßig stattfinden; der Teilnehmerkreis muss im Wesentlichen auf Angehörige des Unternehmens bzw. der Unternehmen, die sich zu einer Betriebssportgemeinschaft zusammengeschlossen haben, beschränkt sein; Übungszeit und Übungsdauer müssen in einem dem Ausgleichszweck entsprechenden Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit stehen; die Übungen müssen im Rahmen einer unternehmensbezogenen Organisation stattfinden (BSG, Urteil vom 02.07.1996 – 2 RU 32/95 = juris, Rdnr. 18 ff.; BSG, Urteil vom 26.10.2004 – B 2 U 38/03 R = juris, Rdnr. 15; BSG, Urteil vom 13.12.2005 – B 2 U 29/04 R = juris, Rdnr. 12).

Die Teilnahme der Klägerin am Kurs „Rücken-Fit“ erfüllt jedoch nicht diese zusätzlichen Voraussetzungen des Betriebssports.

Zwar steht die Ausgleichsfunktion der sportlichen Betätigung im Rahmen des von der Stadt T. angebotenen Kurses „Rücken-Fit“ für die Kammer außer Zweifel. Es ist ferner davon auszugehen, dass der Teilnehmerkreis im Wesentlichen auf Beschäftigte der Stadt T. beschränkt war.

Es fehlt jedoch an einer unternehmensbezogenen Organisation und im Übrigen auch am Merkmal der Regelmäßigkeit.

Der versicherte Betriebssport muss im Rahmen einer unternehmensbezogenen bzw. betriebsbezogenen Organisation stattfinden. Hierfür genügt es, dass bestimmte organisatorische Aufgaben der sportlichen Betätigung durch die Betriebsleitung den Betriebsangehörigen selbst überlassen werden. Selbst die Organisation der Betriebsangehörigen im Rahmen eines eingetragenen Vereins steht der Anerkennung als Betriebssport nicht grundsätzlich entgegen, solange der Verein nicht ein vom Unternehmen kaum beeinflusstes Eigendasein führt (BSG, Urteil vom 25.02.1993 – 2 RU 19/92 = juris, Rdnr. 18).

Im vorliegenden Fall indessen wurde die Organisation und Durchführung des T.-Fit-Programms, zu denen auch der von der Klägerin belegte Kurs „Rücken-Fit“ gehörte, von der Stadt T. vollständig auf die G. GmbH übertragen. Zwar mag es mittlerweile der Lebenswirklichkeit entsprechen, dass betriebliche Fitnessprogramme zunehmend aus der betriebseigenen Organisation ausgegliedert und meist auf privatrechtlich organisierte externe Anbieter übertragen werden. Angesichts dessen, dass der maßgebliche Versicherungstatbestand nach wie vor „Beschäftigung“ lautet und der Gesetzgeber sich selbst im Zuge von Änderungen der übrigen Tatbestände des § 2 Abs. 1 SGB VII nicht zu einer Erweiterung jenes Versicherungstatbestandes bzw. einer Abänderung des Wortlauts oder einer Positivierung des Betriebssports entschlossen hat (ähnlich BSG, Urteil vom 13.12.2005 – B 2 U 29/04 R = juris, Rdnr. 13), ist an dem begrenzenden Merkmal einer unternehmensbezogenen Organisation jedoch grundsätzlich festzuhalten.

Unter Berücksichtigung der mittlerweile geänderten Lebenswirklichkeit ist nach Auffassung der Kammer entscheidend für das Merkmal einer unternehmensbezogenen Organisation, dass der Arbeitgeber auf eine dem Ausgleichszweck entsprechende Gestaltung der sportlichen Übungen Einfluss nehmen kann, etwa durch das Bereitstellen von Sportstätten oder Geräten oder das Mitwirken eines betriebsangehörigen Sportlehrers (so im Ergebnis auch Hessisches LSG, Urteil vom 23.06.2003 – L 11/3 U 1472/00 = juris, Rdnr. 36). Die bloße Finanzierung der sportlichen Betätigung in Form der Vergütung der angebotenen Sportkurse des externen Anbieters reicht demgegenüber nicht aus (Ziegler, in: Becker/Franke/Molkentin, Sozialgesetzbuch VII, 5. Auflage 2018, § 8 Rdnr. 90).

Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben fehlt es im vorliegenden Fall an einer unternehmensbezogenen Organisation. Denn die Stadt T. hatte die Organisation und Durchführung des Kurses „Rücken-Fit“ im Wesentlichen in die Hand der G. GmbH, B., gelegt. Eine über die bloße Finanzierung hinausgehende Einflussnahme organisatorischer Art im beschriebenen Sinne hat demgegenüber nicht stattgefunden.

Soweit die Klägerin demgegenüber meint, eine solche Einflussnahme sei durch dadurch gegeben, dass die Stadt T. seit 2017 in der Steuerungsgruppe betriebliches Gesundheitsmanagement vertreten ist, vermag sich das Gericht dieser Auffassung nicht anzuschließen. Denn auch die Steuerungsgruppe betriebliches Gesundheitsmanagement nimmt auf die konkrete Durchführung und Organisation des T.-Fit-Programms keinen Einfluss. Ausreichend hierfür ist nach Auffassung der Kammer nämlich nicht, dass die Stadt T. letztendlich den Anbieter der Fitnessprogramme auswählen kann (dies kann sie, freilich in den Grenzen des Wettbewerbsrechts, schon allein dadurch, dass sie aufgrund der Finanzierung des Programms entscheiden kann, wen sie mit der Durchführung betraut). Vielmehr kommt es darauf an, dass sie Einfluss auf die konkrete Durchführung nimmt – sei es, dass sie Vorgaben hinsichtlich bestimmter anzubietender Rückenübungen macht, sei es, dass sie die sportlichen Schwerpunkte der einzelnen Kurse selbst bestimmen kann.

Eine solche Einflussnahme ist jedoch nicht ersichtlich. Die Stadt T. finanziert zwar die Ausführung durch die Firma G. GmbH. Organisation und Durchführung liegen indessen im Wesentlichen in der Hand der G. GmbH. Dies ergibt sich namentlich aus der von der Klägerin im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Broschüre zum T.-Fit-Programm. Danach handelt es sich um ein Angebot der G. GmbH, welche u.a. die Anmeldungen entgegen nimmt, die Anzahl der zugelassenen Teilnehmer pro Kurs festlegt und die Trainer/innen beauftragt. Hieran vermag auch der von der Klägerin im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens vorgelegte schriftliche Vertrag zwischen der Kupferstadt T. und der G. GmbH nichts zu ändern. Das Gericht verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass die G. GmbH nach § 3 jenes Vertrages gehalten ist, an den quartalsmäßig bei der Stadt T. stattfindenden Sitzungen der Steuerungsgruppe Betriebliches Gesundheitsmanagement teilzunehmen und überdies monatlich den Sachstand des übergeordneten betrieblichen Gesundheitsmanagements an die Stadt T. zu melden. Eine Einflussnahme der Stadt T. auf die konkrete Art der Durchführung des Kurses „Rücken-Fit“ im genannten Sinne ergibt sich jedoch hieraus nicht. Selbst das in § 4 Satz 1 jenes Vertrages vorgesehene Vorschlagsrecht der Stadt T. bzgl. Trainer/innen, Vorträge, Workshops und Kurse ermöglicht eine solche Einflussnahme letztendlich nicht. Denn die Vorschläge sind nach § 4 Satz 2 des Vertrages nur „nach Möglichkeit“ in das Programm einzubinden, eine Nichtberücksichtigung ist schon mit schriftlicher Begründung möglich, welche der Stadt T. zuzuleiten ist (§ 4 Satz 3 des Vertrages). Abgesehen davon, dass sich ein solches Vorschlagsrecht nicht auf Inhalte der einzelnen Kurse erstreckt, verbleibt das letzte Wort selbst im Hinblick auf die Auswahl der Trainer/innen, Vorträge, Workshops und Kurse damit bei der G. GmbH.

Überdies fehlt es auch an dem Merkmal der Regelmäßigkeit. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung müssen die betriebssportlichen Ausgleichübungen regelmäßig erfolgen (siehe etwa BSG, Urteil vom 13.12.2005 – B 2 U 29/04 R = juris, Rdnr. 15 ff.; G. Wagner, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. (Stand: Mai 2021), § 8 Rdnr. 102). Allerdings hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass in Rechtsprechung und Literatur bislang nicht geklärt ist, ob nur das Angebot zum Betriebssport regelmäßig bestehen muss oder ob darüber hinaus zu fordern ist, dass eine Teilnahme regelmäßig erfolgt (in letzterem Sinne Ziegler, in: Becker/Franke/Molkentin, Sozialgesetzbuch VII, 5. Auflage 2018, § 8 Rdnr. 88). Einigkeit besteht jedenfalls insoweit, dass das jeweilige Angebot immer planbar für einen bestimmten Zeitraum im Voraus zu erfolgen hat, da ansonsten der beabsichtigte Ausgleichs- und Trainingseffekt nicht zu erzielen ist (Keller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, Stand 2/2021, § 8 Rdnr. 68). Insoweit wird in der Literatur von einem Zeitraum von mindestens sechs Monaten ausgegangen (Keller, a.a.O., Rdnr. 68).

Es kann dahin stehen, ob ein Zeitraum von mindestens sechs Monaten ausreichend ist, um das Merkmal der Regelmäßigkeit zu erfüllen. Denn jedenfalls genügt das Angebot eines vorab auf die Zeit vom 04.06.2019 bis 09.07.2019 begrenzten Kurses „Rücken-Fit“ nicht den an die Regelmäßigkeit zu stellenden Anforderungen. Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin darauf, dass sie bereits an dem zuvor in der Zeit vom 05.02.2019 bis Ende Mai 2019 angebotenen Kurs „Rücken-Fit“ bzw. seit 2018 an weiteren im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements der Stadt Stolberg angebotenen Kursen teilgenommen hat. Denn im Interesse der Rechtssicherheit muss für die Beschäftigten bereits zu Beginn der Teilnahme an dem ersten Kurs fest stehen, ob sie unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen, oder nicht. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass ein gleichsam sukzessives Erwerben eines Unfallversicherungsschutzes durch eine (wiederholte) Teilnahme von Kursen nicht in Betracht kommt. Aus diesem Grund hält es die Kammer für geboten, jeden Kurs einzeln zu betrachten und dem Umstand, dass die Klägerin bereits den vorherigen Kurs in der Zeit vom 05.02.2019 bis Ende Mai 2019 durchgehend besucht hat, keine Bedeutung zuzumessen.

Selbst wenn man jedoch den vorherigen, von der Klägerin in der Zeit vom 05.02.2019 bis Ende Mai 2019 durchgehend besuchten Kurs in die Bewertung miteinbeziehen wollte, weil die Stadt T. diesen Kurs im Hinblick auf die 80-prozentige Belegung offenbar mitberücksichtigt, so wäre der Mindestzeitraum von sechs Monaten nicht erreicht.

Eine weitergehende Einbeziehung sämtlicher von der Klägerin seit 2018 besuchter Kurse des T.-Fit-Programms hält das Gericht demgegenüber schon deshalb nicht für angezeigt, weil es sich um völlig unterschiedliche Kurse handelt, deren Inhalte von „Kraft und Ausdauer“ über „Feldenkrais“ und „Faszientraining“ bis hin zu „Nordic Walking“ reichen.

Schließlich führt der Umstand, dass ab einer Belegungsquote von 80% der angebotenen Kurstermine die Zeit als Arbeitszeit angerechnet wird, zu keiner abweichenden Einschätzung. Denn auch insoweit gilt, dass im Interesse der Rechtssicherheit ein sukzessives Erwerben eines Unfallversicherungsschutzes durch eine häufige bzw. wiederholte Teilnahme an Kursen nicht in Betracht kommt. Es ist daher allein der von der Klägerin belegte Folgekurs „Rücken-Fit“ vom 04.06.2019 bis 09.07.2019 in den Blick zu nehmen. Dass die Klägerin die 80%-Quote gleichwohl lediglich deshalb erreicht hat, weil sie den vorherigen Kurs vom 05.02.2019 bis Mai 2019 durchgehend besucht hat, wie die Stadt T. unter dem 13.02.2020 mitgeteilt hat, muss demgegenüber jedenfalls für die Frage nach einer Versicherung in der gesetzlichen Unfallversicherung außer Betracht bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

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