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Anerkennung Hauterkrankung als Berufskrankheit – Voraussetzungen

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt – Az.: L 6 U 4/16 – Urteil vom 19.04.2018

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten, ob bei der Klägerin eine Berufskrankheit nach der Nummer 5101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BK 5101) festzustellen ist.

Die Klägerin ist 1960 geboren und war in dem Universitätsklinikum L. als Medizinisch-technische Laboratoriumsassistentin (MTLA) beschäftigt. Nach dem Bericht der Hautärztin Dr. H. vom 15. Februar 2009 hatte sie dabei Umgang mit Fotochemikalien, Entwickler, Fixierer und Lösungsmitteln. Dabei seien teilweise Handschuhe getragen worden. Bei einer Testung am 2. Februar 2009 habe die Klägerin auf Diazolidinylharnstoff reagiert. Es beständen Rötungen an den Fingern, Oberarmen und Bauch. Nach den Angaben der Klägerin trete dies arbeitsabhängig auf und bessere sich an den Wochenenden. Als Diagnose stellte die Ärztin ein irritativ-toxisches Handekzem bei Sensibilisierung gegenüber Diazolidinylharnstoff und atopischer Disposition. Eine Sensibilisierung gegenüber Formaldehyd sei bekannt; diese Testung sei daher nicht wiederholt worden.

Das Dr. N. Hautschutzzentrum berichtete im Weiteren, dass die Klägerin seit Winter 2005 an einer Hauterkrankung leide. Zu diesem Zeitpunkt sei die Klägerin seit 16 Jahren als MTLA und vor allem im Forschungsbereich Molekularbiologie tätig gewesen. Bei Ekzembeginn habe ein beruflicher und privater Stress bestanden. 2009 sei sie innerbetrieblich in die Analytik (Forschung) umgesetzt worden. Hierbei habe sie unter anderem Proteine auf Röntgenfilme aufbringen müssen und sei kurzzeitig Entwickler- und Fixierlösungen ausgesetzt gewesen. Ein direkter Hautkontakt habe nicht bestanden. Nach intensiver Exposition zu Entwicklerchemikaliendämpfen beim Zerlegen einer Maschine habe die Klägerin ein Wiederauftreten der Erkrankung festgestellt. Auch habe sie Umgang mit chemischen Dämpfen ohne direkten Hautkontakt. Im Allergiepass von 2007 seien diverse Substanzen eingetragen. Relevant sei nach Angaben der Klägerin nur Formaldehyd. Es liege ein atopisches Ekzem vor, das durch unspezifische Reize und die bei der Arbeit benutzten Stoffe getriggert worden sei. Die Sensibilisierung gegenüber Formaldehyd sei wahrscheinlich berufsbedingt. Die psychische Beteiligung spiele eine große Rolle.

Bei einer Arbeitsplatzbegehung im Juli 2009 konnte festgestellt werden, dass alle Laborräume eine funktionsfähige Raumlüftung sowie spezielle Abzüge und Sicherheitswerkbänke aufwiesen. Auch die Lagerräume und Schränke wurden abgesaugt. Im Fotolabor sei ein Entwicklerautomat vorhanden gewesen, der mit einer Raumabsaugung ausgestattet gewesen sei, die nach den Herstellerangaben die doppelte Leistungsfähigkeit wie vorgeschrieben habe. Insgesamt würden alle Hautschutzvorsorgemaßnahmen eingehalten. Es bestehe generell kein direkter Hautkontakt, sondern allenfalls eine inhalative Aufnahme von Spuren der verwendeten Entwickler- und Fixierlösungen (geringste Konzentrationen), die über die Raumlüftung und Abzüge nicht unmittelbar und vollständig abgeführt würden. Als Ursache für Hauterscheinungen komme Formaldehyd kaum in Frage. In der Analytik seien keine Desinfektionsmittel erforderlich.

Anerkennung Hauterkrankung als Berufskrankheit - Voraussetzungen
(Symbolfoto: Von Fuss Sergey/Shutterstock.com)

Unter dem 29. April 2009 stufte das Dr. N. Hautschutzzentrum die Erkrankung der Klägerin als Verschlimmerung eines atopischen Ekzems mit Sensibilisierung gegenüber Formaldehyd ein. Es handele sich zwar um eine beruflich verschlimmerte Hautkrankheit, diese sei aber nicht schwer oder wiederholt rückfällig.

Die Beklagte holte das Gutachten des Facharztes für Dermatologie und Venerologie Prof. Dr. J. vom 14. März 2011 ein. Bei seinen Testungen waren die bisherigen multiplen Hautreaktionen nicht reproduzierbar. Der Gutachter betonte hierzu, das bei der Klägerin ehemals positiv getestete Formaldehyd weise nach gängigen Studien die geringste Reproduzierbarkeit innerhalb der Standard-Allergene aus. Allerdings zeige die Untersuchung auch eine deutliche Minderung der Barrierefunktion der Haut, die hinweisgebend auf eine atopische Disposition sei. Dementsprechend lautete die Diagnose von Prof. Dr. J. auf einen Zustand nach atopischem Handekzem bei generalisierter atopischer Dermatitis.

Mit Bescheid vom 27. April 2011 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Erkrankung der Haut als BK 5101 ab und stützte sich zur Begründung vor allem auf das Gutachten von Prof. Dr. J … Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und verwies auf die Einschätzung ihrer behandelnden Ärzte. Seit der Arbeitsplatzkarenz sei eine deutliche Besserung eingetreten. Mit Widerspruchsbescheid vom 31. August 2011 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und wiederholte und vertiefte ihre bisherigen Ausführungen.

Hiergegen hat die Klägerin am 26. September 2011 Klage am Sozialgericht Magdeburg erhoben und betont, sie sei vor den ersten Hauterscheinungen im Jahre 2005 erscheinungsfrei gewesen. Mit Urteil vom 15. Dezember 2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich zur Begründung im Wesentlichen auf das Gutachten von Prof. Dr. J. gestützt.

Gegen die ihr am 21. Dezember 2015 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 14. Januar 2016 Berufung eingelegt und ausgeführt, Prof. Dr. J. betone selbst, dass insbesondere bei Formaldehyd eine geringe Reproduzierbarkeit der allergischen Reaktionen bekannt sei. Es stehe aufgrund der Testungen der sie behandelnden Ärzte fest, dass sie gegenüber Formaldehyd allergisch reagiere. Dies hätten Untersuchungen durch Dr. A. und Privatdozent Dr. S. bestätigt.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 15. Dezember 2015 und den Bescheid der Beklagten vom 27. April 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2011 aufzuheben und bei ihr ab 2. Februar 2009 eine Berufskrankheit nach der Nummer 5101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung festzustellen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat Beweis erhoben gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Einholung eines Gutachtens von Dr. W … Dieser hat unter dem 31. März 2017 ausgeführt, die Klägerin habe bei seiner Untersuchung allergisch auf Formaldehyd sowie einige weitere Stoffe reagiert. Allerdings hat der Sachverständige ebenfalls Hinweise auf eine gestörte Hautbarriere gefunden. Zusammenfassend hat er ausgeführt, dass leider der kausale Zusammenhang der Sensibilisierung gegen Formaldehyd und der Triggerung von Ekzemen durch die Arbeit nicht eindeutig sei. Die Klägerin beschreibe verschiedene Arbeitsabläufe, bei denen ein Kontakt zu Formaldehyd oder Formaldehydfreisetzern zumindest nicht auszuschließen sei. Daher werde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von einer Sensibilisierung im beruflichen Kontext ausgegangen. Damit liege eine beruflich bedingte und auch wiederholt rückfällige Hauterkrankung vor.

Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass der Sachverständige selbst betont habe, dass im Nachhinein keine Feststellung möglich sei, ob die gestörte Hautbarriere oder Kontakte zu Berufsstoffen die wesentliche Ursache sei. Es sei auch nicht nachgewiesen, in welcher Höhe die Klägerin überhaupt bei ihrer beruflichen Tätigkeit Formaldehyd ausgesetzt gewesen sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Hierüber konnte der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 SGG entscheiden. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG beschwert, denn dieser Bescheid entspricht der Sach- und Rechtslage. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer BK 5101.

Berufskrankheiten sind Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats bezeichnet hat und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 36 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII). Die Feststellung einer Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII setzt voraus (vgl. Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 9 SGB VII, Rn. 3; Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheiten-Verordnung, E § 9 SGB VII, Rn. 14), dass in der Person des Versicherten zunächst die arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind, das heißt, dass er in seinen versicherten Tätigkeiten schädigenden Einwirkungen der streitigen Berufskrankheit ausgesetzt gewesen ist, die geeignet gewesen sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die schädigenden Einwirkungen einschließlich ihrer Art und ihres Ausmaßes im Sinne des sogenannten „Vollbeweises“, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, bewiesen sein (BSG, 27.6.2006, B 2 U 5/05 R; BSG, 2.4.2009, B 2 U 9/08 R; LSG Nordrhein-Westfalen, 9.11.2016, L 17 U 620/15, Rn. 40, alle zit. nach juris).

Dies ist hier nicht der Fall, worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat. Diesem Beweismaßstab des „Vollbeweises“ genügt es nicht, wenn Dr. W. von einer beruflich bedingten Hauterkrankung ausgeht, weil „aufgrund der Beschreibungen der Klägerin“ ein Kontakt zu Formaldehyd oder Formaldehydfreisetzern „zumindest nicht auszuschließen“ sei. Das Dr. N. Hautschutzzentrum hat unwidersprochen ausgeführt, dass ein direkter Hautkontakt nicht bestanden hat. Dies haben die Ermittlungen der Beklagten objektiviert. Insbesondere bei der Arbeitsplatzbegehung im Jahre 2009 konnte ein Hautkontakt von Berufsstoffen generell ausgeschlossen werden; auch im Übrigen wurden alle Hautschutzvorsorgemaßnahmen eingehalten. Es ist lediglich zur inhalativen Aufnahme von Spuren von Entwickler- und Fixierlösungen in geringen Konzentrationen gekommen, die trotz Raumlüftung und Abzügen nicht unmittelbar und vollständig abgeführt wurden. Insbesondere Formaldehyd wurde nicht verwandt.

Es ist auch insbesondere im vorliegenden Fall nicht möglich, aus der Art der Erkrankung zwingend auf eine entsprechende Exposition zu schließen. Selbst wenn man eine Exposition mit Schadstoffen zu Gunsten der Klägerin unterstellen würde, läge keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine berufliche Verursachung der Hauterkrankung vor. Dies ist nur der Fall, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände mehr für als gegen den geltend gemachten Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann. Die bloße Möglichkeit einer Verursachung genügt dagegen nicht (vgl. BSG, 12.4.2005, B 2 U 27/04 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 15; Urteil des Senats vom 12.6.2014, L 6 U 60/12, juris Rn. 41).

Allein ein zeitliches Zusammentreffen der Verschlimmerung einer schon bestehenden Hauterkrankung mit der Berufsausübung kann den Nachweis einer relevanten Einwirkung nicht ersetzen. Ein solcher ist aber nicht erkennbar. Zudem war die Klägerin zum Zeitpunkt der ersten Hauterscheinungen im Jahre 2005 bereits seit 16 Jahren als MTLA tätig; eine zeitliche Korrelation mit dem Beginn der Arbeitstätigkeit und der Exposition ist damit nicht erkennbar. Aber auch das Ende der beruflichen Tätigkeit im Labor führte nicht zu einer Besserung. Die Klägerin hat gegenüber Prof. Dr. J. berichtet, nach der Umsetzung in die Poststelle und damit Vermeidung von jeglichen Laborchemikalien seien die Hauterscheinungen durchgehend weiter vorhanden gewesen.

Dagegen besserten sich nach den Angaben der Klägerin im Dr. N. Hautschutzzentrum ihre Hauterscheinungen im Jahre 2007 nach „Ausmisten“ im häuslichen Bereich. Dies lässt auch andere Ursachen als naheliegend erscheinen. Hinzu kommt, dass sowohl Prof. Dr. J. als auch Dr. W. eine deutliche Minderung der Barrierefunktion der Haut festgestellt haben. Auch Dr. H. hat unter anderem eine atopische Disposition diagnostiziert, also eine genetisch determinierte Bereitschaft zu einer allergischen Reaktion. Ausschließlich eine solche Erkrankung konnte Prof. Dr. J. feststellen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183 S. 1, 193 Abs. 1 SGG. Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht (§ 160 Abs. 2 SGG). Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage.

 

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