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Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Folgen eines Arbeitsunfalls

Hessisches Landessozialgericht – Az.: L 3 U 166/13 – Urteil vom 27.03.2018

I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 22. August 2013 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Folgen eines Arbeitsunfalls und die Gewährung einer Rente.

Der 1953 geborene Kläger erlitt am 20. Mai 1966 einen Unfall. Er befand sich mit seinem Fahrrad auf dem Heimweg vom Schulunterricht, der als polytechnischer Unterricht in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, einer LPG, in C-Stadt in der ehemaligen DDR stattgefunden hatte. Nach dem damals dort gültigen Recht handelte es sich um einen Arbeitsunfall. In § 1 der Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen vom 15. März 1962 wurden Unfälle bei gesellschaftlichen Tätigkeiten, die in der Anlage zur Verordnung genannt sind, Arbeitsunfällen gleichgestellt. In Nr. 6 der Anlage zur genannten Verordnung findet der polytechnische Unterricht in Betrieben und Lehrwerkstätten besondere Erwähnung. Auf einem beim Gesundheitsamt des Landratsamtes D-Stadt noch vorhandenen Krankenblatt der chirurgischen Abteilung (wahrscheinlich: Poliklinik B…) notierte der behandelnde Arzt Dr. D. am 20. Mai 1966: „Nach dem Schulunterricht in E-Stadt auf dem Heimweg als Radfahrer mit einem Omnibus zusammengefahren und sofort bewusstlos liegengeblieben. Sofortige Einweisung ins Krankenhaus. Diagnose: Contusio cerebri. Stationäre Behandlung vom 20. Mai bis 7. Juni 1966.“ Eine „Beratung“ ist für den 24. Juni 1966 und 18. August 1966 notiert. Weiterhin wird vermerkt, dass am 19. Mai 1967 und am 14. April 1968 ein Unfallgutachten erstellt wurde. Dokumentiert ist auch eine Schutzimpfung gegen Tetanus am 20. Mai 1966. Auf einer kurzen Bescheinigung bestätigte der Allgemeinmediziner Dr. E. am 16. Dezember 1969: „Aufgrund einer Wirbelsäulenerkrankung ist oben genannter Patient (A., A.) geb. 1953, vom Sport und von vormilitärischer Ausbildung zu befreien.“ In einem „Medizinischen Nachweisblatt“ (Poliklinik B…?) wurden am 9. November 1976 Schmerzen paravertebral und im HWS-Bereich, fraglich Epitaxis (Nasenbluten) und eine Skoliose im Thorako-lumbal-Bereich dokumentiert. Es wurde mit Procain-Quaddeln behandelt. Am 12. November 1976 hatten sich die Beschwerden nicht gebessert. Deshalb führte man Röntgenaufnahmen der Halswirbelsäule durch. Am 15. November 1976 notierte man „weiterhin Beschwerden im Rücken, Kopfschmerzen, Rhino …(Nasentropen?)“. Ein Facharzt für Orthopädie aus der Poliklinik Weimar teilte am 19. Januar 1968 in einem Kurzbrief mit: „Es handelt sich um eine hochgradige S-förmige Torsionsskoliose, offenbar infolge unvollständiger Sakralisation von L5. Der Befund ist so erheblich, dass schwere Belastung in jedem Fall vermieden werden muss. Therapeutisch sind insbesondere alle Maßnahmen zur Rückenmuskelkräftigung wahrzunehmen.“ In einem Brief des Medizinischen Versorgungsbereiches F-Stadt vom 8. Dezember 1980 wird ausgeführt: „Nachdem sie nur einen Tag bei uns gearbeitet haben, (18. November 1980) und ihnen die Arbeit als Hausmeister und Heizer zu schwer ist, wird hiermit ihrem mündlich gestellten Antrag auf Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit Wirkung ab 19. November 1980 stattgegeben.“ In einem ärztlichen Gutachten der NVA vom 7. Dezember 1976 und 15. Dezember 1976 wird unter Anamnese ausgeführt: „Als Kind Appendektomie, Masern, 1968 schweres Schädelhirntrauma nach Verkehrsunfall ohne Fraktur, EM (?) von 20 Prozent seit 1968. Somit nie ernstlich krank gewesen. Seit 1968 häufig Kopfschmerzen, die besonders nachts auftreten, Schwindel, Schmerzen im Bereich der HWS und BWS und zwischen beiden Schulterblättern, besonders nach längerem Stehen, aber auch im Sitzen.“ Der Blutdruck des Klägers wird mit 120/80 mmHg angegeben. Weiter heißt es: „(?-) jähriger Patient ohne kardiopulmonale Insuffizienzzeichen in Ruhe. (?) und (?) gut durchblutet, kein Ikterus, kein Exanthem. Kopf: Frei beweglich (?) nicht druckempfindlich. Sinnesorgane ohne Befund. Mund: OK Teilprothese, UK Gebiss (?), saniert. Rachenring und Tonsillen reizlos. Hals ohne Befund. (?) Thorax: Bewegungsschmerz im Bereich der HWS, ausgeprägte S-förmige Skoliose, besonders im thorako-lumbalen Bereich mit Gegenkrümmung der LWS und Rippenbuckel rechts. Cor und Pulmo physikalisch unauffällig. Abdomen: „Ohne Befund. Extremitäten: Senk-Spreiz-Knickfüße beiderseits. ZNS (?) ohne Befund.“ Es wurde eine ausgeprägte S förmige Thorako-Lumbalskoliose mit sekundären degenerativen Veränderungen in der oberen LWS und der BWS (?) am 9. Dezember 1976 von dem Facharzt für Innere Medizin Dr. G. diagnostiziert. Als Einschränkungen für die weitere Dienstdurchführung wurde notiert: „bei auftretenden Beschwerden kurzfristige Befreiung von bestimmten Ausbildungen – ? (schweres Heben und Tragen, Sprungübungen).“ Als notwendige Maßnahmen zur Verbesserung des Gesundheitszustandes und zur Rehabilitation wurden „physikalische ggf. medikamentöse Behandlung und eine neurologische Diagnostik (EEG) zur Festlegung weiterer (?) empfohlen. Bei Vorliegen des neurologischen Befundes sollte eine Nachuntersuchung stattfinden. Unterschrieben wurde dieses Dokument am 15. Dezember 1976 von Dr. I. (?), Facharzt für Allgemeinmedizin. Der Facharzt für Orthopädie Dr. H. attestierte dem Kläger unter dem 22. September 1986: „Indikation für Beschädigtenausweis Stufe I ist gegeben. Diagnose: Thorsionsskoliose Stadium II mit Bandscheibenschädigung.“

Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Folgen eines Arbeitsunfalls
(Symbolfoto: Syda Productions/Shutterstock.com)

Wegen des Unfalls vom 20. Mai 1966 beantragte der Kläger mit Schreiben vom 17. Juli 2004 bei der Beklagten eine Unfallrente. Er gab hierzu u.a. an, er habe bei dem Unfall eine schwere Gehirnerschütterung erlitten, in deren Folge er eine Woche im Koma gelegen und die Ärzte seinen Eltern keine Hoffnung für seine Überlebenschancen gegeben hätten. So schwer sei die Gehirnerschütterung gewesen. Nach dem Unfall habe er starke Wirbelsäulenprobleme „und auch mit dem Kopf“ gehabt, so dass er vom Sport und der vormilitärischen Ausbildung befreit worden sei. Außerdem sei er ein Jahr verspätet infolge einer Rückstellung zur Armee eingezogen worden, habe dort nur Innendienst verrichtet und sei vorzeitig nach einem halben Jahr entlassen worden. Seine Lehre als Schäfer habe er nur unter Vorbehalt der Ärztekommission in F-Stadt begonnen. Er habe die Lehre als Schäfer abgeschlossen. Danach habe er als Schäfer an verschiedenen Arbeitsstellen gearbeitet. Wegen gesundheitlicher Beschwerden habe es immer längere Pausen gegeben.

Die Beklagte lehnte zunächst mit Bescheid vom 23. Juli 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2004 die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab. Das daraufhin vor dem Sozialgericht Kassel erhobene Klageverfahren (Az.: S 3 U 2179/04) wurde durch Vergleich beendet. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 30. Juni 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2005 erneut die Feststellung eines Arbeitsunfalls ab. Das Sozialgericht Kassel hob in dem unter dem Aktenzeichen S 9 U 190/05 geführten Klageverfahren diese Bescheide auf und stellte fest, dass es sich bei dem Unfall des Klägers vom 20. Mai 1966 um einen versicherten Arbeitsunfall handelt. Die Beklagte nahm daraufhin wieder Ermittlungen auf.

Im Verwaltungsverfahren und den Klageverfahren trug der Kläger zu den Unfallfolgen vor: Infolge des Unfalls bestünden an mehreren Körperstellen und am Kopf Narben. Der unfallbedingte Nasenschiefstand sei damals nicht gerichtet worden, weil er im Koma gelegen habe. Als er aus dem Krankenhaus entlassen worden sei, habe er noch viele neurologische Probleme und eine Menschenscheu gehabt. Er sei erst ab dem 1. September 1966 wieder in die Schule gegangen und habe dort große gesundheitliche Probleme gehabt, wie Kopfschmerzen, Schwindel, ihm sei schlecht geworden und schwarz vor Augen, grelles Licht habe er meiden müssen, er habe Probleme in geschlossenen Räumen gehabt und immer wieder frische Luft benötigt. Nach dem Unterricht sei er richtig fertig gewesen und auch oft nach Hause geschickt worden. Bei Beschreibungen mit Blut und Operationen sei ihm schwarz vor Augen geworden und er sei umgefallen. Dies sei bis heute so. Nach dem Unfall sei im Krankenhaus auch ein Wirbelsäulenschaden festgestellt worden (Schreiben vom 12. Januar 2009, Blatt 114 der V-Akte). Auf Veranlassung seines Bevollmächtigten Rechtsanwalt J. gab der Kläger eine Beschreibung seiner unfallbedingten Verletzungen und führte am 20. Mai 2009 aus: Durch den Aufprall auf den Bus sei er auf einen Schrotthaufen vor einer Schmiede geschleudert worden. Dabei habe er sich, neben einem schweren Schädelhirntrauma, mehrere Frakturen im Bereich der Wirbelsäule – BWS, LWS und dazwischen -, der linken Körperseite, der linken Kopfseite mit Nase, dadurch Schiefstand der Nase nach rechts, am linken und rechten Knie, der linken Hüfte zugezogen. Die linke Körperseite sei heute noch voller Narben. Er habe auch eine Fraktur im Bereich der linken Schienbeinmitte/Wade erlitten und am linken Fußknöchel und am äußeren linken Ellenbogengelenk. Auch das Daumengelenk rechts sei verletzt worden sowie das linke Schulterblatt und die linke Hüfte. Nach dem Unfall seien Maßnahmen wie orthopädisches Turnen, Massagen, Lichtkasten, Gipsbett notwendig gewesen. Es sei eine Links-Rechts-Skoliose festgestellt worden. Er habe Probleme mit den Knien, dem Genick und Kopfschmerzen gehabt. Beschwerden im Knie habe er auch heute noch. Fahrradfahren sei ihm nicht mehr möglich. Auch längeres Sitzen oder Stehen sowie schweres Heben und Tragen. Durch den Nasenschiefstand sei die Nasenatmung behindert, es bestehe ein Schnarchen, ein Schlafapnoe-Syndrom, eine chronische Sinusitis und chronische Bronchitis. Durch die Verletzung des Hirns habe er nach dem Unfall Veränderungen und Beeinträchtigungen im seelischen Bereich erfahren. Bei Sonnenstrahlung habe er Kopfschmerzen bekommen und Druck vor den Augen und Schwarzsehen. Er vertrage kein grelles Licht oder angestrahlte weiße Wände, keine geschlossenen Räume, sauerstoffarme Luft, Schilderungen mit Blut und Operationen, ihm werde dann schwarz vor Augen und er falle um. Seit dem Unfall habe er ein ungutes Gefühl bei Menschen und Menschansammlungen, er vermeide Kontakte. Bei Aufregung habe er bis heute Händezittern, Herzstechen, Schwindelgefühl und es werde ihm schlecht. Dem Sozialgericht Kassel übersandte er per Telefax im August 2006 in dem Verfahren S 15 U 190/05 ein von ihm verfasstes Schreiben vom 21. November 1990. Darin führt der Kläger aus „…Ich war fünf Tage ohne Bewusstsein. Im Krankenhaus wurde mein Wirbelsäulenschaden festgestellt. Ich konnte jahrelang keine Sonne vertragen und nach oben schauen, ohne dass mir dabei schwindelig wurde und ich Kopfschmerzen bekam.“

In einer „Eidesstattlichen Erklärung“ vom 13. Februar 2005 führte die Schwiegermutter des Klägers, K., aus: „Außer der schweren Gehirnerschütterung wurden Schäden an der Wirbelsäule festgestellt und später konnte er nicht mehr so gut Fahrradfahren, da er mit den Knien Probleme hatte (nach kurzen Strecken taten diese ihm weh). Nach dem Unfall konnte er nicht nach oben schauen oder auf einen Stuhl oder anderes steigen, ohne dass ihm schwindelig wurde. Auch beim Laufen war er noch zum Teil Jahre danach unsicher, wobei er sich erst immer festhalten musste. Dadurch war es ihm sowieso nicht möglich, weite Strecken zu gehen. Auch bekam er oft Kopfschmerzen, auch bei Sonne oder hellem Licht, was zurzeit jetzt noch auftritt. Auch muss er bis heute in die Natur zur Beruhigung bei Aufregungen, bei denen ihm die Hände zittern, verbunden mit Brustschmerzen. Er kann sich auch nicht lange in geschlossenen Räumen aufhalten und muss nachts das Fenster immer offen halten. Nachts ist er oft munter, wegen der Schmerzen im Bewegungsapparat, im Genick und Kopf.“ Des Weiteren legte der Kläger der Beklagten einen Brief seiner Mutter vom 26. Januar 1984 vor, den diese an L. gerichtet hatte. Darin wird mitgeteilt, dass der Kläger nach der 10. Klasse den Beruf des Schäfers erlernte und er nach seiner Lehre nach Thüringen ging und dort gearbeitet habe. Nach ein paar Jahren habe sein Rücken nicht mehr mitgemacht und er sei nach Hause gekommen. Er wohne nun in der Nähe der Eltern, habe immer wieder versucht zu arbeiten, aber es sei nicht mehr gegangen. Die Mutter des Klägers bat den Staatsratsvorsitzenden L. um Hilfe, dass der Kläger mit seiner Familie in F-Stadt eine Wohnung und Arbeit findet.

Die Beklagte hat im Verwaltungsverfahren ärztliche Berichte beigezogen. Der Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. I. berichtet in Arztbriefen aus dem Jahre 2002 und 2003 über eine bei dem Kläger vorliegende Septumdeviation und Nasenmuschelhyperplasie, weswegen er dem Kläger eine CPAR-Maske verordnet hatte und dem Kläger empfohlen hatte, eine operative Korrektur vornehmen zu lassen. Weiter teilt er mit, dass im Schlaflabor ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom festgestellt worden ist. Die orthopädische Gemeinschaftspraxis Dres. M. diagnostizierte in Berichten vom 7. Oktober 2003 ein chronisches vertebragenes Schmerzsyndrom bei ausgeprägter rechtskonvexer Thorakalverbiegung mit erheblichen degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, eine Gonarthrose beidseits und eine Coxarthrose beidseits. Es bestünden Bewegungsbehinderungen im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule mit ausstrahlenden Schmerzen in das linke Bein, Einschränkungen bei längerem Sitzen, Stehen und Gehen und eine Schmerzhaftigkeit und Bewegungsbehinderung seitens beider Hüftgelenke. Auch dies führe zu einer Geh- und Stehbehinderung und Beschwerden beim Treppensteigen. Der Orthopäde Dr. N. diagnostizierte bei dem Kläger in einem für das Sozialgericht Kassel am 20. Oktober 2006 erstellten Gutachten in dem Verfahren S 6 SB 869/03 eine rechts-links konvexe thorako-lumbale Skoliose mit degenerativen Veränderungen der Wirbelkörper, einen chronischen Spannungskopfschmerz bei degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule, eine innenseitig betonte Arthrose beider Kniegelenke, eine Arthrose beider Hüftgelenke, ein Beckentiefstand rechts von einem Zentimeter, Senk-Spreiz-Fußbildung beidseits und einen Zustand nach Schädelverletzung 1966. Der Arzt O. schreibt in einer ärztlichen Bescheinigung vom 24. September 2001: „Bei oben genanntem Patienten bestehen schwere orthopädische Leiden sowie eine ausgeprägte depressive Verstimmung. In den letzten Monaten hat sich die Depression deutlich gebessert. Bei einem erneuten Wohn- und Ortswechsel würde die gesamte Konfliktproblematik wieder eskalieren.“ Hintergrund dieses Attestes war ein Konflikt mit dem Sozialamt des Werra-Meisner-Kreises wegen einer von den Eheleuten A. bewohnten Wohnung. Die Eheleute A. sollten in eine kleinere und preiswertere Wohnung umziehen. In einem amtsärztlichen Gutachten vom 9. November 2000 wird zum psychischen Befund des Klägers ausgeführt: „Die Stimmung wirkt etwas gedrückt, im mnestischen Bereich fallen deutliche Unschärfen hinsichtlich des Langzeitgedächtnisses auf (Aussage wie „Wochen bis Monate, ungefähr, weiß ich nicht genau“ und dergleichen kommen häufig vor). Das Kurzzeitgedächtnis scheint nicht wesentlich beeinträchtigt, keine sonstigen inhaltlichen oder formalen Denkstörungen, keine Hinweise für Halluzinationen oder Wahn, im Rahmen der hiesigen Untersuchung keine Zeichen von Vigilanzbeeinträchtigung.“ Der Orthopäde P. teilt in einem Bericht vom 26. August 1992 mit, der Kläger habe sich wegen langsam zunehmender Ellenbogenschmerzen rechts vorgestellt. Ferner klage er über seit der Kindheit bestehende LWS-BWS-Schmerzen. Der Patient meine, infolge einer schweren Gehirnerschütterung mit Koma im Kindesalter. Alle großen Gelenke der unteren Extremitäten seien frei beweglich, der neurologische Status in der orientierenden Untersuchung sei regelrecht. Nach Röntgenuntersuchung der Wirbelsäule und des linken Ellenbogengelenkes wurde eine thorako-lumbale Wirbelsäulenskoliose mit beginnender Degeneration, eine lumbosakrale Übergangsstörung und eine Epikondilitis radialis humeri rechts diagnostiziert. Des Weiteren befindet sich in den Akten ein Bericht des Chefarztes Dr. Q. und der Oberärztin Dr. R. der Radiologischen Abteilung des St. Ansgar-Krankenhauses in Höxter vom 7. April 1992 über eine Computertomografie des Schädels am 6. April 1992. In der Beurteilung wird ausgeführt: „Unauffällige altersentsprechende Computertomografie des Schädels ohne Nachweis eines Substanzdefektes, einer Blutung oder Raumforderung, computertomografisch keine Hinweise für posttraumatische Läsionen.“

Der Beratungsarzt der Beklagten und Facharzt für Chirurgie MR Doz. Dr. S. gelangte nach Durchsicht der Unterlagen einschließlich bildgebender Dokumente zu der Beurteilung, neben der Gehirnerschütterung seien keine weiteren Erstkörperschäden des Ereignisses vom 20. Mai 1966 vollbeweislich gesichert. Die Röntgenaufnahmen der Halswirbelsäule vom 28. September 2006 bildeten einen erheblichen umformenden Verschleiß der gesamten mittleren und unteren Halswirbelsäule mit ausgeprägten Spondylophyten, Retrospondylophyten und eine massive Einengung der Nervenaustrittsöffnungen bei vorliegender Streckfehlhaltung ab. Residuen abgelaufener Frakturen seien nicht zu erkennen. Die Röntgenaufnahmen der Lendenwirbelsäule vom gleichen Tage bildeten eine schwere Spondylose und Osteochondrose aller Lendenwirbelsäulenabschnitte ab. Strukturelle Posttraumafolgen fänden sich nicht. In der Draufsicht bestehe eine ganz erhebliche Torsionsskoliose, die gegenläufig aus der Brustwirbelsäule einlaufe. Die Röntgenaufnahmen der Brustwirbelsäule ebenfalls vom 28. September 2006 zeigten eine hochgradige Torsionsskoliose ohne Residuen von Posttraumafolgen. Die Beckenübersichtsaufnahme zeige einen umformenden Verschleiß beider Hüftgelenke. Die Röntgenaufnahmen beider Kniegelenke zeigten keine Residuen abgelaufener Frakturen, auch nicht an der Kniescheibe. Im Auftrag der Beklagten erstattete der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. T. ein neurologisches Gutachten vom 19. Juli 2010. Die Untersuchung fand in der Wohnung des Klägers statt, weil der Kläger mitgeteilt hatte, er könne seine Frau nicht verlassen und deshalb keinen Termin außer Haus wahrnehmen. Der Kläger legte eine ärztliche Bescheinigung des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. U. vom 1. Dezember 2009 vor, in der ausgeführt wird: „Herr A. leidet seit Jahren unter einer schweren Depression. Des Weiteren beschreibt Herr A. eine Angstproblematik. Insbesondere wenn Herr A. sich in größeren Gruppen befindet oder in für ihn als „stressig“ empfunden Situationen, kommt es zu starkem Angstempfinden bis hin zu Panikattacken. Diese werden auf der körperlichen Ebene begleitet von Schweißausbrüchen, Herzrasen, Beklemmungsgefühlen in der Brust, Schwindelsymptomen und Blutdruckanstieg. Herr A. erlitt im Alter von 13 Jahren einen schweren Verkehrsunfall. Infolge dieses Unfalles lag Herr A. eine Woche im Koma. Seit dieser Zeit leide er intermittierend unter den oben beschriebenen Symptomen mit wechselnder Intensität und Ausprägung. In den letzten drei Jahren habe sich die Symptomatik bezüglich der Panikattacken und auch der depressiven Stimmungslage eher verstärkt. Der Patient sollte zurzeit Aufregungen meiden bzw. Tätigkeiten, die mit psychischer Belastung einhergehen.“

Laut Gutachten des Prof. Dr. T. gab der Kläger zu seinen aktuellen Beschwerden u.a. an, seit dem Unfallereignis vertrüge er keine Aufregung. Bis heute komme es in solchen Situationen zum Zittern der Hände, zu Herzstichen, Übelkeit, Lichtscheuheit und Raumangst, unbekannte Menschen führten zu Unbehagen; Menschenansammlungen vertrage er nicht. Er könne auch nicht längere Zeit in der Sonne sein. Sehr oft leide er unter Rücken- und Kopfschmerzen. Früher habe er auch in größerem Maße Schmerztabletten eingenommen. Nachdem man bei ihm eine Leberschädigung festgestellt habe, habe er sämtliche Medikamente vermieden und nehme nur noch reine Naturpräparate. Zum psychischen Befund führte der Sachverständige aus, der Kläger könne dem Gespräch gut folgen und auch bei Zwischenfragen klare Antworten geben. Die Stimmung wirke ausgeglichen, jedenfalls nicht vital depressiv. Die Psychomotorik sei ungestört, der Antrieb möglicherweise leicht eingeschränkt. Denk- und Wahrnehmungsstörungen seien nicht feststellbar. Auffällige Persönlichkeitsmerkmale seien die nachvollziehbar dargestellten Phobien des Untersuchten im Sinne von Klaustro- und Agoraphobie. Auch die von ihm geschilderte Neigung zu Panikattacken sei zumindest glaubhaft. In der Untersuchungssituation komme es zu massiven Blutdruckanstiegen, obwohl alles in einer freundlichen entspannten Atmosphäre erfolge. Schweißausbrüche träten auf und damit im Zusammenhang auch eine allgemeine Unsicherheit. Zusammenfassend bestehe eindeutig eine soziale Phobie kombiniert mit einer ausgeprägten psychovegetativen Instabilität und einer mutmaßlichen Neigung zu Panikreaktionen. Es sei der Minimental-Status-Test durchgeführt worden. Hierbei habe der Kläger 30 von 30 möglichen Punkten erreicht. Es hätten also keine Normabweichung bestanden, auch die orientierende Prüfung der Merkfähigkeit sei normal ausgefallen. Das craniale Computertomogramm aus dem St. Ansgar-Krankenhaus Höxter vom 6. April 1992 zeige eine unauffällige Hirnmorphologie, auch der Weite der inneren und äußeren Liquorräume. Unter Berücksichtigung der Vorgeschichte sei eine links frontobasale Hypodensität als Kontusionsfolge interpretierbar; anderenfalls handele es sich um einen deutlich erweiterten kortikalen Sulcus. Eine eindeutige Unterscheidung sei nicht möglich. Der Sachverständige gelangte zu der Beurteilung, bei dem Kläger habe wahrscheinlich ein Schädelhirntrauma ersten bis zweiten Grades vorgelegen. Ein schweres Schädelhirntrauma zweiten oder dritten Grades sei unwahrscheinlich. Das craniale CT von 1992 weise keine ausgeprägten morphologischen Defekte auf. Andererseits habe nach dem Unfall eine primäre Bewusstlosigkeit bestanden, die ganz offensichtlich länger angehalten habe, als es für eine einfache Gehirnerschütterung (Schädelhirntrauma ersten Grades) üblich sei. Ein Schädelhirntrauma ersten Grades habe man auch damals nicht länger als zwei bis drei Tage stationär behandelt. Bei 18-tägiger stationärer Behandlung müsse die Schädigung schon ausgeprägter sein. Es sei von einer leichten Form der contusio cerebri auszugehen. Möglicherweise mit frontobasaler Läsion. In der Folgezeit hätten nach den Angaben des Klägers eine Änderung seines Wesens mit Rückzugstendenzen, Angst (vor allem Höhenangst), Vermeidung von Personengruppen und Menschenansammlungen, Schwierigkeiten im Schulunterricht – der erst einige Wochen später begann, weil zwischenzeitlich etwa 8 Wochen Ferien waren – bestanden. In Fächern, in denen er zuvor gut folgen konnte, hätten sich jetzt Schwierigkeiten ergeben. Er habe jeweils gegen Ende der Unterrichtsstunde Aufmerksamkeitsprobleme gehabt und sich täglich dem Unterrichtsende entgegengesehnt. Häufig sei es während des Unterrichts zu Kopfschmerzen und panikähnlichen Reaktionen mit Schweißausbrüchen, Schwarzwerden vor Augen, manchmal auch Schwindel- und kurzen Kollapszuständen gekommen, insbesondere bei Anforderungen, die von ihm als Stress empfunden wurden. Es sei davon auszugehen, dass bei dem Kläger als psychische Reaktionsform (möglicherweise hirnorganisch unterlegt) nach dem Trauma eine Anpassungsstörung aufgetreten sei, die in typischer Weise mit Angst, Neigung zu Depressionen und Somatisierung einher gegangen sei und sich in der Zwischenzeit fixiert habe. Dass hierfür eine bestimmte Persönlichkeitsdisposition Voraussetzung sei, sei außer Zweifel, so dass anlagebedingte Faktoren eine wesentliche Mitverantwortung aufwiesen. Es lasse sich nicht mit Sicherheit festlegen, dass der Unfall eine Conditio sine qua non für die weitere Entwicklung gewesen sei. Es sei davon auszugehen, dass anlagebedingte, konditionierte bzw. behaviorale Faktoren zu mehr als 50 % für die Entwicklung der Anpassungsstörung und schließlich der Persönlichkeitsstörung des Klägers verantwortlich gewesen seien. Bei der Bewertung des aktuellen psychischen Befundes sei davon auszugehen, dass eine ausgeprägte phobische Symptomatik mit Klaustrophobie und Agoraphobie vorliege. Des Weiteren eine Neigung zu panischen Reaktionen. Bereits in der Untersuchungssituation seien unerwartet massive Blutdruckanstiege und Schweißausbrüche aufgetreten, die zumindest für eine deutliche psychovegetative Instabilität sprächen. Eine ausgeprägte depressive Verstimmung sei nicht nachzuweisen. Zur Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers führte der Sachverständige aus: „Die Einschränkung der Erwerbsfähigkeit des Untersuchten ergibt sich derzeit einerseits durch seine ausgeprägten Beeinträchtigungen seitens des Skelettsystems und andererseits auf der Basis der phobischen Reaktion. Eine Differenzierung zum jeweiligen Anteil vorgenannter Komponenten ist wieder hypothetisch. Zweifelsfrei besteht eine hypochondrische Verarbeitung der morphologisch fassbaren Veränderungen des Skelettsystems. Dieses wäre allerdings wieder als Symptom der Anpassungsstörung zu bewerten. Eine sichere Aussage kann zu dieser Frage nicht gemacht werden. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gehen wir davon aus, dass die Einschränkung der Erwerbsfähigkeit als Unfallfolge mit maximal 30 % zu bewerten ist.“

Der Kläger legte weitere ärztliche Berichte und Bescheinigungen vor. U.a. von dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. V. und dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. U. Diesbezüglich wird auf Blatt 388 f. und Blatt 401 der Verwaltungsakte verwiesen. Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. W. nahm am 20. August 2010 Stellung zu dem Gutachten des Prof. Dr. T. Sie äußerte die Auffassung, aufgrund der Dauer der stationären Behandlung könne nicht auf die Schwere des Schädelhirntraumas geschlossen werden. Früher und insbesondere zu DDR-Zeiten seien die stationären Behandlungen häufig deutlich länger gewesen und seien mit heutigen Aufenthaltsdauern nicht mehr zu vergleichen. Zu bemerken sei, dass der Kläger seine Schule fortgesetzt und erfolgreich den Abschluss der 10. Klasse absolviert habe. Allein die Angaben des Klägers im Hinblick auf Beschwerden oder Verhaltensauffälligkeiten reichten zur Annahme eines hirnorganischen Psychosyndroms nicht aus. Der Sachverständige gehe von einer ausgeprägten ängstlichen Symptomatik mit Klaustro- und Agoraphobie sowie einer Neigung zu panischen Reaktionen aus. Es habe eine psychovegetative Instabilität, aber keine depressive Verstimmung bestanden. Der Sachverständige diagnostiziere eine leichte Wesensänderung, andererseits bestehe aber auch eine Persönlichkeitsakzentuierung. Trotzdem gehe er von einer Anpassungsstörung aus, dies sei nicht mehr nachvollziehbar.

Die Beklagte teilte dem Kläger durch Bescheid vom 22. September 2010 mit, seine Erwerbsfähigkeit sei durch die Folgen des Versicherungsfalls nicht um wenigstens 20 v.H. gemindert. Unstreitig sei, dass er bei dem Ereignis eine Gehirnerschütterung als unfallbedingten Gesundheitsprimärschaden erlitten habe. Konkrete Informationen zum Schweregrad der damaligen Gehirnerschütterung lägen aber nicht vor. Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe stets gesagt, er habe für fünf bis sieben Tage im Koma gelegen, was durch schriftliche Zeugenaussagen bestätigt werde. Das Schädelhirntrauma habe zu einer Wesensänderung seiner Person geführt. Er leide seit dem Vorfall unter einem Spannungskopfschmerz, einer ausgeprägten depressiven Stimmung sowie einer Phobie vor Menschenansammlungen mit entsprechender Kontaktscheu. Außerdem habe er bereits vorgetragen, dass er auch an der Wirbelsäule verletzt worden sei und sich noch Operationsnarben dort befänden. Eine Skoliose sei schon vor der Musterung festgestellt worden. Diese sei nicht degenerativer Natur, sondern Verletzungsfolge.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2011 zurück. Es müsse vermutet werden, dass die Zeugen vom „Koma“ nur gehört hätten. Medizinische Unterlagen, die dieses belegten, gebe es nicht. Bewiesen sei nur die Contusio cerebri. Welche Folgen diese gehabt habe, sei rein spekulativ. In den medizinischen Erstangaben fänden sich keine Hinweise auf eine Verletzung der Wirbelsäule. Beschwerden seien erstmals 1978 dokumentiert. Die benannten Zeugen seien medizinische Laien und könnten daher den genauen Zustand des Klägers nicht nachweisen. Dem Gutachten des Prof. Dr. T. könne nicht gefolgt werden, da er spekuliere bzw. allein auf die Angaben des Klägers abstelle.

Der Kläger hat hiergegen am 4. März 2011 beim Sozialgericht Kassel Klage erhoben. Er hat eine weitere schriftliche Erklärung seiner Schwiegermutter K. vom 12. Dezember 2011 vorgelegt und vorgetragen, aus der Zeugenaussage ergebe sich, dass die Zeugin Berichte der behandelnden Ärzte aus dem fraglichen Unfallhergang unmittelbar wahrgenommen habe. Dabei seien als Unfallfolgen von Seiten der Ärzte gegenüber seiner Mutter geschildert worden: Das linke Bein, die linke Hüfte, die Wirbelsäule und auch die Nase erlitten Frakturen. Verletzungen im Bereich des linken Beines waren insbesondere das linke Kniegelenk und der linke Knöchel. Die Zeugin K. schilderte glaubhaft, dass der Kläger zumindest sieben Tage lang bewusstlos gewesen sei und er sich nach dem Unfall weder an die Phase des Unfalls noch an sein Leben davor habe erinnern können. Weiterhin werde bestätigt, dass der Kläger zumindest drei Monate stationär sich im Krankenhaus habe aufhalten müssen. Die im Bereich der Wirbelsäule erfolgten Frakturen hätten zu der Torsionsskoliose geführt. Die bei dem Kläger im Jahr 2004 im Bereich des linken Beines diagnostizierte Gonarthrose mit fortgeschrittenen Knorpelveränderungen medial und retropatellar vom Grad 3 seien Folge der Frakturen. Auch das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom, das auf eine Einengung der oberen Atemwege durch eine Septumderviation und eine Nasenmuschelhyperplasie zurückzuführen sei, sei auf den Unfall zurückzuführen. Das schwere Schädelhirntrauma habe zu einer wesentlichen Wesensänderung geführt. Der Kläger sei zum Einzelgänger geworden und habe sich überwiegend in der freien Natur aufgehalten. Dies zeige sich auch daran, dass er später für längere Zeit den Beruf des Schäfers ergriffen habe. Die Befundberichte der Dr. FF., Oberärztin in der Kreisklinik Hofgeismar, vom 20. und 26. Juni 2012 hinsichtlich einer Schädel-CT-Aufnahme und Röntgenaufnahmen der BWS- und LWS seien ein Beleg für die Unfallfolgen. Bei dem Kläger sei im Bereich der Großhirnrinde links ein frontobasaler Parenchymdefekt von 1,3 x 1,7 cm festzustellen. Auch das Ventrikelsystem sei davon betroffen, da die äußeren Liquorräume links frontalbasal – erweitert seien. Dieser Befund sei typisch für einen narbig umgewandelten Parenchymdefekt nach einer Hirnkontusion und/oder intracraniellen Blutung. Die bei ihm immer noch vorhandenen Schwindelbeschwerden, zum Beispiel beim Hochsteigen von Treppen oder auch nur das Hochsteigen auf einen Stuhl, seien auf diese Verletzung zurückzuführen. Dr. FF. komme zu dem Ergebnis, dass die Skoliose und die übrigen reaktiven degenerativen Veränderungen als Folge einer posttraumatischen Entwicklungsstörung zu erklären seien. Als heute noch sichtbare Unfallfolgen bestünden jeweils eine große Narbe im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule sowie eine große Narbe am linken Schulterblatt; an der linken Gesichtshälfte befänden sich gleichfalls mehrere Narben, die Nase sei nach rechts verbogen, außerdem befänden sich zwei Narben am linken Knie und eine große Narbe direkt über dem linken Knöchel. Nach dem Krankenhausaufenthalt sei ihm auch für die Zeit zu Hause ein „Gipsbett“ verordnet worden, auch sei er zum orthopädischen Turnen über ein Jahr bestellt worden und habe Massagen erhalten. Später sei ihm nach Abschluss der Schule ein Korsett mit Leder am Rücken verordnet worden.

Das Sozialgericht hat durch Gerichtsbescheid vom 22. August 2013 die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat gegen diesen seinen Prozessbevollmächtigten am 26. August 2013 zugestellten Gerichtsbescheid am 4. September 2013 per Telefax Berufung eingelegt.

Der Kläger hat eine weitere schriftliche „Zeugenaussage K.“ vom 23. November 2013 vorgelegt sowie eine schriftliche Aussage der ehemaligen Nachbarn Y. und Z. X. vom 22. Juni 2010, zu deren Inhalt wird auf Blatt 164 ff. und 169 der Gerichtsakte verwiesen. Des Weiteren hat der Kläger ärztliche Bescheinigungen des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. U. vom 23. Februar 2012 und vom 22. Dezember 2017 vorgelegt. Im Attest vom 23. Februar 2012 wird ausgeführt, der Kläger sei voll zurechnungsfähig und betreue seine Ehefrau über 30 Jahre in allen Belangen des täglichen Lebens. In den frühen 80iger Jahren habe die Familie einen Ausreiseantrag aus der DDR in den Westen gestellt. Seitdem sei das Ehepaar erheblichen Repressalien von Seiten der Staatsmacht der DDR ausgesetzt gewesen. Vermutlich habe sich infolge dessen bei den Eheleuten eine ausgeprägte Soziophobie herausgebildet. Besonders in Stresssituationen im Zusammenhang mit Gerichtsterminen, Begutachtungen oder Ähnlichem komme es zur psychovegetativen Dekompensation bis hin zu Panikattacken und Blutdruckentgleisungen. Im Attest vom Dezember 2017 wird ausgeführt, die Gesamtsituation habe sich in den vergangenen Jahren verschlechtert. Insbesondere bei Stress beklage der Kläger retrosternale Beschwerden im Sinne einer instabilen Angina pectoris und es komme zu hypertensiven Blutdruckentgleisungen. Der Kläger sei zu DDR-Zeiten Stasi-Repressalien ausgesetzt gewesen und habe als Jugendlicher ein Schädelhirntrauma erlitten. Möglicherweise sei hier die Ursache zu suchen für die ausgeprägten psychovegetativen Beschwerden und erheblichen Einschränkungen. Aufgrund der zahlreichen Vorerkrankungen und der auch weiterhin bestehenden psychischen Labilität halte er den Kläger für nicht „prozessfähig“.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 22. August 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 22. September 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Februar 2011 aufzuheben, als Gesundheitserstschäden des Unfalls vom 22. Mai 1966 Frakturen an der Wirbelsäule, am linken Knie, am linken Knöchel, an der linken Hüfte und am Nasenbein sowie als Arbeitsunfallfolgen eine Torsionsskoliose, degenerative Veränderungen an den ehemals verletzten Gelenken, ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom bei Septumdeviation und Nasenmuschelhyperplasie sowie eine hirnorganisch bedingte Wesensänderung und zentral vegetative Störungen nach schwerem Schädelhirntrauma festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente nach einer MdE von 100 vom Hundert zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Nach Aufforderung seitens des Senats übersandte der Leitende Arzt CC. des Zentrums für Arbeitsmedizin und Arbeitssicherheit GmbH von ihm am 26. Oktober 2010 gefertigte Fotoaufnahmen Narben am Körper des Klägers betreffend. Die Pass- und Meldebehörde der Stadt F-Stadt teilte in einer Auskunft vom 11. Dezember 2017 mit, dass die Schwiegermutter des Klägers K. am 17. Oktober 2017 verstorben ist. Der Senat hat die bei dem Kreis Höxter geführten Schwerbehindertenakten des Klägers sowie die Gerichtsakten des Verfahrens S 10 SB 130/13 / L 3 SB 32/15 zum Verfahren beigezogen. Auch im Verfahren S 10 SB 130/13 hat der Kläger ärztliche Bescheinigungen des Dr. U. vom 20. November 2012 und vom 24. Februar 2014 vorgelegt. Im ersten Attest wird ausgeführt: „Seit diesem Unfallereignis leidet Herr A. unter rezidivierenden migräneartigen Kopfschmerzen, neigt immer wieder zu depressiven, ängstlich agitierten Verstimmungen. Auch der Geruchssinn sei seit dieser Zeit nicht mehr vorhanden. Herr A. ist in der ehemaligen DDR aufgewachsen und hatte bereits in den frühen 80iger Jahren einen Ausreiseantrag in die BRD gestellt. Seit dieser Zeit war er zahlreichen Repressalien der Stasi ausgesetzt und wurde zum Teil wochenlang verhört. Seit diesen Tagen leidet Herr A. verstärkt unter einer ausgeprägten Angststörung mit depressiven Anteilen. Besonders bei Anlässen, die in irgendeiner Form mit Behörden zu tun haben oder verhörähnlichen Situationen neigt er zur psychischen Dekompensation im Sinne einer Panikattacke mit hypertensiven Entgleisungen. Vermutlich leidet Herr A. unter einer posttraumatischen Belastungsstörung als Folge der Stasi-Unterdrückung. Denkbar wäre aber auch, dass die neurophysiologische Regulationsfähigkeit durch die auch radiologisch nachweisbare traumatische Gehirnschädigung der Jugendzeit stark eingeschränkt ist. Aktuell halte ich den Patienten – um gesundheitlichen Schaden von ihm abzuwenden – für nicht prozessfähig.“ Im zweiten Attest werden ebenfalls die Repressalien von Seiten der Staatsmacht der DDR beschrieben und ausgeführt: „Vermutlich infolge dessen hat sich bei den Eheleuten eine ausgeprägte Soziophobie herausgebildet. Besonders in Stresssituationen im Zusammenhang mit Gutachtensterminen, Begutachtungen oder Ähnlichem kommt es zur psychovegetativen Dekompensation bis hin zu Panikattacken und Blutdruckentgleisungen. So kam es im Rahmen einer Konsultation bei mir erneut zum Gespräch über möglicherweise anstehende psychologische/gesundheitliche Begutachtungen. Im Rahmen dessen entwickelte Herr A. eine Panikattacke mit psychischer und auch hypertensiver Dekompensation. Aufgrund der umfangreichen vorausgegangenen Untersuchungen und Begutachtungen halte ich eine erneute Einbestellung zur Begutachtung für unnötig.“ In dem Verfahren wurde von dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. DD. ein Gutachten nach Aktenlage erstellt, weil seitens des Klägers und seines Hausarztes auch eine Begutachtung in häuslicher Umgebung oder in der Praxis des Hausarztes nicht für zumutbar erachtet wurde. Dr. DD. ist zu der Beurteilung gelangt, bei dem Kläger liege ein hirnorganisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma (F07.2) vor. Es bestünden Funktionsbeeinträchtigungen sowohl in der affektiven Schwingungsfähigkeit, der subjektiven Konzentrations- und Gedächtnisleistung sowie in der allgemeinen Stressbelastbarkeit. Es bestünden durchaus Anpassungsschwierigkeiten, die in der Biographie des Klägers deutlich würden, aber auch in seinem jetzigen Verhalten im Prozess und in der Vermeidung und Haltung der Untersuchung gegenüber. Kognitive Leistungsstörungen könnten nicht objektiviert werden, auch keine anderen neurologischen Ausfälle. Hinsichtlich des weiteren Inhalts wird auf das Gutachten in der Gerichtsakte S 10 SB 130/14 S. 146 – 162 Bezug genommen. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. EE., die den Kläger seit August 2013 behandelt hat, hat in einem Bericht vom 12. November 2013 ausgeführt, der Kläger klage über Schmerzen in den Knien, im Rückenbereich, über Unruhezustände und einen erheblichen Leistungsknickpunkt. Auch belasteten ihn Angstzustände so sehr, dass er sich zurückziehen müsse. In seinem alltäglichen Leben sei er erheblich eingeschränkt, er könne keine Menschenansammlungen ertragen, müsse sich immer zurückziehen, nur in der Natur fühle er sich sicher und wohl.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte, die zum Verfahren beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Schwerbehindertenakten und die Gerichtsakten S 10 SB 130/13 / L 3 SB 32/15, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

An der Prozessfähigkeit des Klägers bestehen für den Senat keine Zweifel. Prozessunfähig ist eine Person, die sich nicht durch Verträge verpflichten kann (§ 71 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG -), also eine Person, die nicht geschäftsfähig im Sinne des § 4 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – ist, weil sie sich in einem nicht nur vorübergehenden, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet (§ 104 Nr. 2 BGB) und deshalb nicht in der Lage ist, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen (Lange in juris PK-BGB, 8. Auflage 2017, § 104 Rdnr. 12 ff. m.w.N.). Prozessfähigkeit ist die Fähigkeit, einen Prozess selbst oder durch einen selbstbestellten Prozessbevollmächtigten zu führen, Verfahrenshandlungen (Prozesshandlung) selbst oder durch einen selbstbestellten Vertreter wirksam vorzunehmen und entgegenzunehmen.

Weder das Vorbringen des Klägers im Laufe des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens noch die ärztlichen Befundberichte und die über den psychischen Gesundheitszustand des Klägers erstellten ärztlichen Gutachten lassen den Schluss zu, dass bei dem Kläger ein krankhafter Zustand seiner Geistestätigkeit vorliegt, der seine freie Willensbestimmung dauerhaft oder vorübergehend ausschließt. Die Aussage des Dr. U., er halte den Kläger für nicht „prozessfähig“, bezieht sich offenkundig nicht auf dessen Geschäftsfähigkeit und Fähigkeit zur freien Willensbildung, d.h. auf dessen Geschäfts- und Prozessfähigkeit im Rechtssinne. Dr. U. wollte mit dieser Bezeichnung lediglich zum Ausdruck bringen, dass es dem Kläger wegen der bei ihm in Stresssituationen auftretenden Zuständen psychovegetativer Dekompensation bis hin zu Panikattacken und Blutdruckentgleisungen nicht zumutbar ist, Gutachtens- und Gerichtstermine wahrzunehmen.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der von ihm geltend gemachten Gesundheitsstörungen als Gesundheitserstschäden und Arbeitsunfallfolgen und keinen Anspruch auf Rente gemäß §§ 547, 548 Abs. 1, 580, 581 Abs. 1 Nr. 2 Reichsversicherungsordnung – RVO -.

Da sich der Unfall des Klägers vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) am 1. Januar 1997 ereignet hat, gelten gemäß § 212 SGB VII hier noch die Regeln der Reichsversicherungsordnung (RVO). Nach § 547 RVO gewährt der Träger der Unfallversicherung nach Maßgabe der folgenden Vorschriften an Leistungen auch Verletztenrente. Der Verletzte erhält eine Rente, wenn die zu entschädigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert (§ 580 Abs. 1 RVO). Die Gewährung einer Verletztenrente setzt voraus, dass infolge des Arbeitsunfalls die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens 1/5 gemindert ist (§ 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO). Gemäß § 548 Abs. 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeit erleidet. Der Begriff des Unfalls ist in der RVO nicht definiert. Rechtsprechung und Schrifttum haben den Unfall als ein von außen her auf den Menschen einwirkendes, körperlich schädigendes, plötzliches, d.h. zeitlich begrenztes Ereignis definiert. Ähnlich auch die Definition in § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII. Danach sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. In der gesetzlichen Unfallversicherung müssen die der Kausalitätsbeurteilung zu Grunde liegenden Tatsachen, d.h. die versicherte Tätigkeit, das Unfallereignis, der primäre Gesundheitsschaden bzw. Gesundheitserstschaden sowie geltend gemachte weitere Gesundheitsschäden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein, während für den Nachweis des Kausalzusammenhangs eine hinreichende Wahrscheinlichkeit genügt. Der sogenannte Vollbeweis, d.h. die mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, ist erfüllt, wenn eine Tatsache in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung, zu begründen (vgl. BSG, Urteil vom 29. März 1963 – 2 RU 75/61 = BSGE 19, 52; BSG, Urteil vom 22. September 1977 – 10 RV 15/77 = BSGE 45/1; BSG, Urteil vom 15. Dezember 1999 – B 9 VS 2/98 R = Breithaupt 2000, 390 f.; BSG, Urteil vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B = Breithaupt 2001, 967; BSG, Urteil vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B 4; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG, 12. Auflage 2017, § 128 Rdnr. 3 b m.w.N.). Um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zu bejahen, muss absolut mehr für als gegen die jeweilige Tatsache sprechen (BSG, Urteil vom 8. August 2001 – B 9 U 23/01 R in juris). Es muss also unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit sich ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden und nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (BSG, Urteil vom 8. August 2001 – B 9 U 23/01 R in juris). Die Anforderungen an die hinreichende Wahrscheinlichkeit sind grundsätzlich höher als diejenigen an die Glaubhaftmachung (BSG, Urteil vom 8. August 2001 a.a.O.), für die eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gegeben sein muss. In Abgrenzung zu der hinreichenden Wahrscheinlichkeit wird unter überwiegender Wahrscheinlichkeit die gute Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, verstanden, wobei gewisse Zweifel bestehen bleiben. Das Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit ist durch seine Relativität gekennzeichnet (BSG, Urteil vom 8. August 2001 a.a.O.; BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 4 R 29/06 R – BSGE 98, 48; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Auflage 2017, § 128 Rdnr. 3d).

Es ist nicht mit der hier erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass der Kläger die von ihm als Gesundheitserstschäden geltend gemachten Frakturen bzw. Schäden an der Wirbelsäule, an Gelenken und der Nase erlitten hat. Der den Kläger nach dem Unfall auf der chirurgischen Abteilung behandelnde Arzt Dr. D. hat in der Notiz vom 20. Mai 1966 den Unfallhergang kurz geschildert und als Diagnose lediglich eine „Contusio cerebri“ angegeben. Es gibt keine Hinweise darauf, dass diese Angaben unvollständig sind. Auf dem betreffenden Krankenblatt befinden sich auch Notizen über weitere Unfälle des Klägers und zwar vom 16. Dezember 1955, 3. Dezember 1968 und 5. Juni 1971. Dr. D. hat die dabei erlittenen Verletzungen jeweils konkret geschildert. Dass er ausgerechnet bezüglich des Unfallereignisses vom 20. Mai 1966 wesentliche schwerere Verletzungen, insbesondere eine Verletzung der Wirbelsäule, unerwähnt gelassen hat, ist äußerst unwahrscheinlich. Auch das am 7. Dezember 1976 erstellte „Ärztliche Gutachten der NVA“ erwähnt im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall lediglich, dass der Kläger ein schweres Schädelhirntrauma erlitten habe, hinzugefügt wird „ohne Fraktur“. Der Beratungsarzt Dr. S., der anlässlich seiner beratungsfachärztlichen Stellungnahme vom 4. Januar 2010 Röntgenaufnahmen der Halswirbelsäule, Lendenwirbelsäule, Brustwirbelsäule, des rechten Kniegelenkes und des linken Kniegelenkes befundet hat, ist jeweils zu der Beurteilung gelangt, dass Residuen struktureller Posttraumafolgen sich im Bereich der Wirbelsäule nicht finden ließen und auch die Röntgenaufnahmen der Kniegelenke keine Befunde aufwiesen, die auf eine abgelaufene Fraktur oder abgelaufene Frakturen hindeuteten. Auch der Sachverständige Dr. N., der im Auftrag des Sozialgerichts Kassel in dem Verfahren S 6 SB 869/03 ein orthopädisches Gutachten vom 20. Oktober 2006 erstellt und ebenfalls die Röntgenbefunde vom 28. September 2006 ausgewertet hat, hat bei dem Kläger posttraumatische Veränderungen weder im Bereich der Wirbelsäule noch des Beckens bzw. der Hüftgelenke noch im Bereich der Kniegelenke festgestellt. Im Bereich der Wirbelsäule beschreibt er die bestehende rechts-links bikonvexe thorako-lumbale Skoliose mit degenerativen Veränderungen der Wirbelkörper. Weiterhin beschreibt er eine mediale Gonarthrose beider Kniegelenke, links stärker ausgeprägt als rechts und eine Arthrose beider Hüftgelenke. Die Oberärztin Dr. FF., Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie an den Kreiskliniken Kassel in Hofgeismar, führt zwar in ihrem Bericht vom 20. Juni 2012 über eine Röntgenuntersuchung der Brust- und Lendenwirbelsäule vom 19. Juni 2012 aus, die Skoliose der Wirbelsäule und die reaktiven degenerativen Veränderungen ließen sich als Folge einer posttraumatischen Entwicklungsstörung der Wirbelsäule im Wachstumsalter erklären. In der Befundbeschreibung finden sich jedoch keine Angaben zu posttraumatischen Veränderungen an der Wirbelsäule, insbesondere den Wirbelkörpern. Auch andere in den Akten sich befindende röntgenologische Befundbeschreibungen geben keine Hinweise auf posttraumatische Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule des Klägers. Anhand von Röntgenaufnahmen der rechten Hand vom 22. November 2012 diagnostiziert Dr. FF. in ihrem Bericht vom 23. November 2012 eine Rhizarthrose im Daumensattelgelenk rechts. Auch diesbezüglich wird „posttraumatisch“ als Ursache genannt. Befunde, die auf eine ursprüngliche traumatische Schädigung hindeuten, nennt sie jedoch nicht. Die nach dem Unfall erfolgten Behandlungen mit Gipsbett, Krankengymnastik und Massagen lassen nicht den Schluss zu, der Verkehrsunfall habe zu Verletzungen im Bereich der Wirbelsäule des Klägers geführt. Eine Skoliose, d.h. eine Wirbelsäulenverkrümmung, tritt meistens im Wachstumsalter auf. Die mit Abstand häufigste Form der Skoliose ist die idiopathische Skoliose, d.h. ihre Ursache ist unbekannt. Zu dieser Gruppe gehören ca. 80 bis 90 % der Betroffenen. Zur Verformung der Wirbelsäule kommt es während der Wachstumsschübe vor und in der Pubertät. Wirbelsäulenverkrümmungen werden heute mit einem individuell angefertigten Korsett aus leichtem Kunststoff behandelt und mit Krankengymnastik (vgl. https://www.apotheken-umschau.de/skoliose). Früher wurde die Skoliose auch mit Gipsbett behandelt (https://www.skoliosenet.de/fileabmin/user_upload/skoliosenet. Flyer/Skoliosenet_Aerzte-Ratgeber.pdf). Auch das Vorhandensein von Narben an verschiedenen Stellen des Körpers kann nicht beweisen, dass das Unfallereignis vom 20. Mai 1966 zu strukturellen Verletzungen an Wirbelsäule und Gelenken geführt hat. Da folglich nicht nachgewiesen ist, dass der Verkehrsunfall bei dem Kläger auch Verletzungen im Bereich der Wirbelsäule, der Gelenke und der Nase verursacht hat, können weder die bei dem Kläger bestehende Skoliose mit den degenerativen Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule noch die arthrotischen Veränderungen an den Gelenken als Arbeitsunfallfolgen anerkannt werden. Dies gilt auch für die bei dem Kläger diagnostizierte Septumdeviation und Nasenmuschelhyperplasie. Denn eine unfallbedingte Verletzung der Nase ist nicht aufgrund ärztlicher Dokumente nachgewiesen.

Aufgrund ärztlicher Dokumentation ist nachgewiesen, dass der Kläger bei dem Verkehrsunfall am 20. Mai 1966 ein Schädelhirntrauma erlitten hat. Welche Befunde nach dem Unfallereignis und in den Jahren danach erhoben worden sind, ist nicht dokumentiert. Die in den Jahren 1967/1968 erstellten Unfallgutachten liegen nicht vor. Nach Auswertung des am 6. April 1992 im St. Ansgar-Krankenhaus Höxter erstellten Computertomogramms äußerte Prof. Dr. T. die Vermutung, einer links frontobasal bestehenden Hypodensität als Contusionsfolge. Unter Berücksichtigung der vorliegenden Informationen gelangte er zu der Beurteilung, mit Wahrscheinlichkeit habe bei dem Kläger infolge des Unfalls ein Schädelhirntrauma I. bis II. Grades, eine leichtere Form der Contusio cerebri, vorgelegen. Die Vermutung des Prof. Dr. T. wird gestützt durch den von der Oberärztin Dr. FF., Kreiskliniken Kassel in Hofgeismar, aufgrund eines Schädel-CT vom 26. Juni 2012 erhobenen Befundes. Die Ärztin beschreibt in ihrem Bericht vom gleichen Tage einen links frontobasal bestehenden Parenchymdefekt. Sie äußert die Auffassung, der Befund sei typisch für einen narbig umgewandelten Parenchymdefekt nach Hirnkontusion und/oder intracranieller Blutung. Auch bei Unterstellung eines Kausalzusammenhangs zwischen dem von Dr. FF. diagnostizierten links frontobasalen Parenchymdefekt und dem Unfall vom 20. Mai 1966 kann das Vorhandensein von dauerhaften Gesundheitsstörungen in rentenberechtigendem Grade infolge des Schädelhirntraumas nicht ohne Weiteres unterstellt werden. Das Vorliegen bleibender Funktionsstörungen ist auch in diesem Fall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen. Der Kausalzusammenhang zwischen bestehenden Funktionsstörungen und dem Unfallereignis bzw. dem Schädelhirntrauma muss hinreichend wahrscheinlich sein.

Der Kläger gibt an, dass er ab dem 1. September 1966 nach den Sommerferien die Schule wieder besucht hat und dort gesundheitliche Probleme hatte, wie Kopfschmerzen, Schwindel, Schlechtwerden, es ihm schwarz vor Augen wurde, er grelles Licht meiden musste und er immer frische Luft nötig hatte und es deshalb zu Problemen in geschlossenen Räumen gekommen sei. Nach dem Unterricht sei er oft „fertig“ gewesen. Kopfschmerzen, eine Lichtempfindlichkeit, eine vermehrte Ermüdbarkeit und Schwindel können auch nach einem leichten Schädelhirntrauma auftreten (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl., S. 205). Die Angaben des Klägers sind deshalb zwar durchaus glaubhaft und nachvollziehbar; sie werden jedoch nicht durch ärztliche Befunde belegt. In den zeitnah zum Unfall erstellten ärztlichen Bescheinigungen werden derartige Beschwerden nicht erwähnt. Eine Minderbelastbarkeit und Gesundheitsstörungen werden nur infolge des Wirbelsäulenleidens bescheinigt. Das Vorliegen von über Jahrzehnte andauernden gravierenden Gesundheitsstörungen in rentenberechtigendem Ausmaß als Arbeitsunfallfolgen ist nicht nachgewiesen.

Die neurologischen Untersuchungen erbrachten keine Normabweichungen, die auf eine Hirnverletzung zurückgeführt werden könnten. Ausweislich der Schwerbehindertenakten des Kreises Höxter, Band I S. 33 ff., wurde der Kläger am 15. Juli 1993 auf Veranlassung des Versorgungsamtes Kassel von dem Medizinaldirektor GG. untersucht. Danach wurde festgehalten, dass die nervenärztlichen Testuntersuchungen keine Funktionseinschränkungen gezeigt haben. Auch der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. HH., der den Kläger laut Befundbericht vom 11. Oktober 2000 neurologisch untersucht hat – einschließlich einer Ableitung eines EEG -, stellt in seinem Bericht keine neurologischen Funktionsstörungen bei dem Kläger fest. Prof. Dr. T. berichtet in seinem Gutachten vom 19. Juli 2010, dass seine neurologische Untersuchung nur geringe Normabweichungen erbracht hat, die aber weder als direkte noch als indirekte Folge des 1966 erlittenen Unfalls bewertet werden können. Eine Minderung des Konzentrations- und des Gedächtnisvermögens konnte bei dem Kläger nicht objektiviert werden. Im Rahmen der Begutachtung durch den Medizinaldirektor GG. wurde der Kläger von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie JJ. testpsychologisch untersucht. Der Benton-Test (inklusive eines Wortschatztests), der bei der diagnostischen Abklärung organischer Hirnschädigungen eingesetzt wird, erbrachte einen unauffälligen, altersentsprechenden Befund. Dr. HH. teilt in seinem Bericht vom 11. Oktober 2000 mit (Schwerbehindertenakte des Kreises Höxter, Band I, S. 79), in der Untersuchungssituation seien keine Auffassungs- und Konzentrationsstörungen zu explorieren gewesen, der Gedankengang sei regelrecht gewesen. Eine Testung zur Erfassung und Verlaufsdokumentation von Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen habe keine cerebrale Leistungsinsuffizienz nachgewiesen. Die psychologische Testuntersuchung des Prof. Dr. T. mittels eines Mini-Mental-Status-Tests zeigte ebenfalls keine Normabweichungen bei Prüfung der Merkfähigkeit. Der Kläger erreichte 30 von möglichen 30 Punkten.

Das Bestehen einer psychischen Minderbelastbarkeit und einer ausgeprägten psychovegetativen Instabilität in der von dem Hausarzt Dr. U. beschriebenen Form als Arbeitsunfallfolge zeitnah als auch ein- bis drei Jahrzehnte nach dem Unfall ist nicht nachgewiesen. In dem NVA-Gutachten werden keine psychischen Auffälligkeiten beschrieben. Ebenso keine vegetativen Stigmata. Insbesondere wurde in der Untersuchungssituation kein erhöhter Blutdruck- oder Blutdruckanstieg festgestellt. Vielmehr zeigte der Kläger mit einem Blutdruck von 120/80 mmHg einen normalen Blutdruck. Auch über die Untersuchungssituation am 15. Juli 1993 bei Medizinaldirektor GG. und dem Psychiater JJ. werden keine Symptome, wie von Dr. U. beschrieben, berichtet. Dies gilt auch für den Befundbericht des Dr. HH. vom 11. Oktober 2000. Dieser enthält zudem seitens des Klägers keine Angaben über eine besondere Erregbarkeit, Nervosität oder Panikattacken. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seit dem Unfall durchgängig unter Depressionen leidet. Diesbezügliche Angaben macht der Kläger in seiner ersten Schilderung der nach dem Unfall bestehenden Beschwerden nicht. Der Psychiater JJ. hat im Jahr 1993 bei dem Kläger keine Depression diagnostiziert. Gleiches gilt für Prof. Dr. T., der den Kläger im Jahr 2010 untersucht hat.

Sowohl im NVA-Gutachten, als auch im Gutachten des Medizinaldirektors GG. ist festgehalten, dass der Kläger über öfters bestehende Kopfschmerzen und ein Schwindelgefühl geklagt hat. Am 15. Juli 1993 gab er hierzu an, dass er durchaus noch in der Lage sei, Auto zu fahren, dass die Beschwerden bei Wetterwechsel verstärkt auftreten, er keine heiße Witterung vertrage. Über Kopfschmerzen klagte der Kläger auch gegenüber Dr. HH. im Jahr 2000. Der vom Kläger angegebene Schwindel wurde ärztlicherseits nicht durch Untersuchungsbefunde nachgewiesen.

Hinsichtlich der nach dem Unfall bestehenden Schwindelsymptomatik wird von dem Kläger angegeben, dass Schwindel beim Besteigen von Leitern und Stühlen aufgetreten sei. Prof. Dr. T. hat diese Beschwerden einer Höhenangst zugeordnet (vgl. S. 24 des Gutachtens). Wird entsprechend der Angaben des Klägers eine Schwindelsymptomatik beim Besteigen von Stühlen und Leitern als unfallbedingt und anhaltend unterstellt, ergäbe sich nach der MdE-Tabelle für vestibuläre Störungen der Gleichgewichtsregulation, die hier analog anzuwenden wäre, eine MdE von unter 10 v.H. (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 337). Wird der Schwindel als zentrale vegetative Störung nach einem Schädelhirntrauma bewertet, wäre dies nach Schönberger/Mehrtens/Valentin, S. 207 als eine leichte Form zu klassifizieren und könnte nicht höher als mit einer MdE von 10 v. H. bewertet werden. Zu den zeitnah nach dem Unfall bestehenden Kopfschmerzen gibt der Kläger konkretisierend an, dass er diese bei Sonnenstrahlung bekommen habe, d.h. die Kopfschmerzen mit der Lichtempfindlichkeit im Zusammenhang gestanden haben. Dies wird in der „eidesstattlichen Erklärung“ der K. vom 13. Februar 2005 bestätigt. Anlässlich der Tauglichkeitsuntersuchung für den Dienst bei der Nationalen Volksarmee gab der Kläger ausweislich des Gutachtens vom 7. Dezember 1976 an, dass die Kopfschmerzen besonders nachts auftreten. Dies lässt die Vermutung zu, dass die ca. 10 Jahre nach dem Unfallereignis bestehenden Kopfschmerzen nicht mehr mit diesem Unfallereignis ursächlich im Zusammenhang stehen, sondern auf andere Umstände zurückzuführen sind. Der Orthopäde Dr. N., der im Auftrag des Sozialgerichts Kassel im Verfahren S 6 SB 869/03 am 20. Oktober 2006 ein Gutachten erstellt hat, hat den bei dem Kläger bestehenden Kopfschmerz als „chronischen Spannungskopfschmerz“ diagnostiziert und diesen auf die degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule zurückgeführt. Prof. Dr. T. ist in seinem Gutachten vom 19. Juli 2010 zu der Beurteilung gelangt, dass die von ihm festgestellten leichten neurologischen Normabweichungen einschließlich der Schilderung eines „spondylogenen Kopfschmerzleidens“ mit Sicherheit nicht als überdauernde Folgen des Unfallereignisses vom 20. Mai 1966 bewertet werden können. Die bei dem Kläger bestehende Kopfschmerzsymptomatik kann folglich aufgrund der übereinstimmenden Beurteilung des Dr. N. und des Prof. Dr. T. nicht als Arbeitsunfallfolge gewertet werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG, die über die Nichtzulassung der Revision aus § 160 SGG.

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