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Anerkennung von Spätschäden nach Lebendnierenspende: Fatigue ja, Bandscheibenschäden nein

Ein Lebendnierenspender forderte die Anerkennung von Spätschäden nach seiner Lebendnierenspende, darunter chronische Müdigkeit und schwere Bandscheibenprobleme. Das Sozialgericht erkannte die psychische Belastung an, sah für die körperlichen Schmerzen aber keine medizinische Kausalität.

Zum vorliegenden Urteil Az.: L 1 U 577/21 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Thüringer Landessozialgericht
  • Datum: 22.05.2025
  • Aktenzeichen: L 1 U 577/21
  • Verfahren: Berufung
  • Rechtsbereiche: Sozialrecht, Gesetzliche Unfallversicherung

  • Das Problem: Ein Mann, der 2002 seine Niere spendete, verlangte von der gesetzlichen Unfallversicherung die Anerkennung zahlreicher Spätschäden (unter anderem chronische Erschöpfung, Depressionen und schwere Bandscheibenprobleme) als Folge der Spende. Die Versicherung bestritt den ursächlichen Zusammenhang für die meisten der geltend gemachten Spätschäden.
  • Die Rechtsfrage: Gelten Gesundheitsschäden, die erst Jahre nach einer Lebendnierenspende auftreten (sogenannte Spätschäden), automatisch als versicherter Unfall, oder muss die Spende nach aktuellem Wissensstand Generell geeignet sein, diesen Schaden zu verursachen?
  • Die Antwort: Das Gericht gab dem Kläger teilweise recht. Die Schädigung der Bauchwandnerven, die daraus resultierenden Schmerzen und muskulären Fehlstellungen sowie das Chronische Fatigue-Syndrom und die rezidivierende depressive Störung wurden als Spätfolgen anerkannt. Die schwerwiegenden Bandscheibenschäden wurden abgelehnt, weil die Spende nach medizinischem Konsens nicht als generell geeignete Ursache für diesen spezifischen Schaden gilt.
  • Die Bedeutung: Das Urteil präzisiert die Regeln für die Anerkennung von Spätschäden bei Organspendern. Es stellt klar, dass die gesetzliche Vermutung für Spätschäden nur greift, wenn die Spende nach allgemein anerkannten medizinischen Erfahrungen überhaupt als Ursache für den konkreten Schaden infrage kommt.

Anerkennung von Spätschäden nach Lebendnierenspende: Wo zieht das Gericht die Grenze?

Einem Bruder das Leben zu retten, ist ein Akt tiefster Menschlichkeit. Doch was geschieht, wenn diese selbstlose Tat den Spender selbst krank macht und einen jahrelangen Kampf mit der Versicherung nach sich zieht? Genau diese Frage musste das Thüringer Landessozialgericht in einem wegweisenden Urteil vom 22. Mai 2025 (Az. L 1 U 577/21) beantworten. Der Fall beleuchtet eindrücklich die komplexen Hürden bei der Anerkennung von Spätfolgen einer Organspende und zeigt auf, wo der gesetzliche Schutz für Spender beginnt – und wo er an die Grenzen der medizinischen Beweisbarkeit stößt.

Was war der Auslöser des jahrelangen Rechtsstreits?

Im Mai 2002 spendete ein damals 41-jähriger Mann seinem Bruder eine Niere. Die Operation im Universitätsklinikum C verlief zunächst wie geplant. Doch schon kurz nach dem Eingriff begannen die Probleme. In den folgenden Jahren entwickelte der Spender ein ganzes Bündel an gesundheitlichen Beschwerden: Eine chronische Erschöpfung machte sich breit, die später als Fatigue-Syndrom diagnostiziert wurde. Wiederkehrende depressive Störungen kamen hinzu. Körperlich litt er unter einer Schwächung seiner rechten Bauchwand, die auf eine Nervenschädigung während der Operation zurückgeführt wurde.

Nahaufnahme einer sorgfältig genähten Flankenschnittwunde am Oberkörper eines Mannes im Operationssaal.
Thüringer Gericht entscheidet über Anerkennung von Spätschäden nach Lebendnierenspende. | Symbolbild: KI

Die Probleme eskalierten weiter. Der Mann entwickelte massive Rückenbeschwerden, die schließlich zur Implantation einer Bandscheibenprothese führten. Hinzu kamen Schmerzen in Knie und Schulter. Er war überzeugt: All diese Leiden waren eine direkte oder indirekte Folge der Nierenentnahme. Im Dezember 2007 meldete er seine Beschwerden als Versicherungsfall bei der gesetzlichen Unfallversicherung.

Die Versicherung sah den Fall jedoch anders. Zwar erkannte sie nach einigem Hin und Her die Lähmung der Bauchwandmuskulatur als direkte Folge der Operation an. Die weitreichenderen Spätschäden – insbesondere die Bandscheibenproblematik und die psychischen Erkrankungen – lehnte sie jedoch ab. Es fehle der eindeutige ursächliche Zusammenhang. Damit begann ein Rechtsstreit, der sich über mehr als ein Jahrzehnt und mehrere Instanzen erstrecken sollte.

Welche Gesetze spielten hier die entscheidende Rolle?

Im Zentrum dieses Falles stehen zwei Regelungen aus dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII), die den Schutz von Lebendorganspendern regeln.

Zum einen sind Organspender kraft Gesetzes unfallversichert (§ 2 Abs. 1 Nr. 13b SGB VII). Die Organentnahme selbst gilt als versicherte Tätigkeit. Tritt dabei ein unerwarteter Gesundheitsschaden auf, der über die normalen und regelmäßigen Operationsfolgen hinausgeht, spricht man von einem sogenannten Gesundheitserstschaden.

Zum anderen hat der Gesetzgeber mit § 12a SGB VII eine besondere Schutzvorschrift für Spätschäden geschaffen. Diese Vorschrift enthält eine entscheidende Beweiserleichterung, die als Vermutungsregel bekannt ist (§ 12a Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Sie besagt im Kern: Wenn nach einer Organspende gesundheitliche Probleme auftreten, die eine Nachbehandlung erfordern oder als Spätfolgen in Betracht kommen, wird gesetzlich vermutet, dass diese durch die Spende verursacht wurden. Der Spender muss den Zusammenhang also nicht mehr im Vollbeweis nachweisen. Stattdessen liegt es an der Versicherung, diese Vermutung zu widerlegen, indem sie aufzeigt, dass „Offenkundig kein ursächlicher Zusammenhang besteht“ (§ 12a Abs. 1 Satz 3 SGB VII).

Die zentrale Frage für das Gericht war daher: Für welche der vom Kläger geltend gemachten Schäden greift diese starke Vermutungsregel – und für welche nicht?

Warum entschied das Gericht so – und nicht anders?

Das Thüringer Landessozialgericht nahm eine sehr differenzierte Abwägung vor und teilte die Beschwerden des Spenders in drei Kategorien ein. Es folgte damit weder vollständig dem Spender noch der Versicherung, sondern zog eine präzise juristische und medizinische Grenze.

Die direkten Operationsfolgen: Ein klarer Fall von Ursache und Wirkung

Völlig unstrittig war für den Senat, dass die Schädigung zweier wichtiger Nerven (Nervus iliohypogastricus und Nervus ilioinguinalis) eine direkte Folge des operativen Zugangs über den Flankenschnitt war. Mehrere Gutachter bestätigten, dass diese Nervenverletzung zur teilweisen Lähmung und Schwächung der rechten Bauchwandmuskulatur führte.

Das Gericht stufte dies als einen Gesundheitserstschaden im Sinne des § 12a Abs. 1 Satz 1 SGB VII ein. Solche Nervenverletzungen sind keine regelmäßige und unvermeidbare Begleiterscheinung einer Nierenentnahme. Folglich mussten auch die unmittelbaren Konsequenzen – die daraus resultierenden Schmerzen und die muskulären Dysbalancen durch die einseitige Schwächung – als Versicherungsfall anerkannt werden. Hier war der Kausalzusammenhang für das Gericht und die eingeschalteten Experten offensichtlich.

Chronische Erschöpfung und Depression: Wann greift die gesetzliche Vermutung?

Deutlich komplexer war die Beurteilung des Chronischen Fatigue-Syndroms und der rezidivierenden depressiven Störung. Hier kam die Vermutungsregel des § 12a SGB VII ins Spiel. Die Versicherung hatte argumentiert, dass andere Lebensereignisse, wie eine Privatinsolvenz des Spenders, als Ursache für die psychischen Probleme wahrscheinlicher seien.

Das Gericht folgte dieser Argumentation jedoch nicht. Zuerst stellte es eine entscheidende Weiche für die Auslegung der Vermutungsregel: Die Regel greift nicht blind für jede beliebige Erkrankung, die nach einer Spende auftritt. Vielmehr muss eine Grundvoraussetzung erfüllt sein: Nach aktuellem Stand der medizinischen Wissenschaft muss die Organspende generell geeignet sein, einen derartigen Gesundheitsschaden zu verursachen.

Für das chronische Erschöpfungssyndrom und die depressive Störung bejahte das Gericht diese Voraussetzung. Es stützte sich dabei auf Gutachten und die medizinische Literatur, die einen Zusammenhang zwischen schweren operativen Eingriffen, dem Verlust eines Organs und der Entwicklung solcher Krankheitsbilder als möglich anerkennen. Damit war die Tür für die Vermutungsregel geöffnet. Nun lag es an der Versicherung, den Gegenbeweis zu erbringen. Dies gelang ihr nicht. Die Gutachter hatten die anderen Belastungsfaktoren zwar geprüft, sie aber nicht als alleinige oder hauptsächliche Ursache eingestuft. Da die Erschöpfungssymptome bereits in zeitlicher Nähe zur Spende auftraten, griff die gesetzliche Vermutung zugunsten des Spenders.

Der Bandscheibenschaden: Warum die Vermutungsregel hier an ihre Grenzen stieß

Beim schwerwiegendsten orthopädischen Problem, der Notwendigkeit einer Bandscheibenprothese, kam das Gericht zu einem anderen Ergebnis. Es lehnte die Anerkennung als Spätfolge ab. Der Grund lag genau in der zuvor definierten Hürde für die Vermutungsregel.

Der Spender hatte argumentiert, dass die einseitige Bauchwandschwäche zu einer Fehlstatik des Beckens und der Wirbelsäule geführt habe, was wiederum in einer Art Kettenreaktion den Bandscheibenverschleiß massiv beschleunigt hätte. Ein von ihm beauftragter Gutachter (S3) stützte diese These.

Das Gericht folgte jedoch der Einschätzung eines anderen Sachverständigen (N1) und der Unfallversicherung. Es fehle an einer allgemein anerkannten medizinischen Lehrmeinung, die eine Lebendnierenspende generell als geeignete Ursache für einen so schweren und schnell fortschreitenden Bandscheibenschaden ansieht. Das Gericht zog hierzu die etablierten Kriterien zur Beurteilung von bandscheibenbedingten Berufskrankheiten (Konsensempfehlungen zur BK 2108) heran. Diese setzen für statisch bedingte Schäden in der Regel erhebliche Fehlstellungen (z.B. eine Beinlängendifferenz von über 3 cm) oder eine jahrelange Fehlbelastung voraus. Beides lag hier nicht vor. Die beim Spender festgestellte funktionelle Beinlängendifferenz von 0,5 bis 1 cm sei eine Normvariante und nicht geeignet, innerhalb von nur zwei Jahren eine derartige Degeneration auszulösen.

Weil die Organspende somit nicht als generell geeignete Ursache für diesen speziellen Schaden angesehen werden konnte, griff die Vermutungsregel des § 12a SGB VII nicht. Der Spender hätte den vollen Beweis für die Kausalkette erbringen müssen, was ihm angesichts der multifaktoriellen Natur von Bandscheibenerkrankungen nicht gelang. Ähnlich urteilte das Gericht auch bei den übrigen orthopädischen Beschwerden an Knie und Schulter sowie bei der behaupteten Niereninsuffizienz, für die ebenfalls keine ausreichenden medizinischen Belege vorlagen.

Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil ziehen?

Dieses Urteil sendet zwei klare Botschaften an Organspender und Versicherungen. Es verdeutlicht die Prinzipien, nach denen Gerichte in diesen hochkomplexen Fällen entscheiden, ohne dabei eine Rechtsberatung zu ersetzen.

Das erste Prinzip ist die Stärke des gesetzlichen Schutzes bei direkten und nachvollziehbaren Operationsfolgen. Schäden, die nachweislich durch den Eingriff selbst entstehen und über das normale Maß hinausgehen – wie hier die Nervenverletzung und ihre unmittelbaren Konsequenzen –, werden von der Unfallversicherung als Versicherungsfall anerkannt. Hier ist die Kausalität medizinisch klar und juristisch unumstritten.

Das zweite, und vielleicht wichtigere Prinzip betrifft die Grenzen der Beweiserleichterung bei Spätschäden. Die gesetzliche Vermutung, dass eine Spätfolge durch die Spende verursacht wurde, ist ein mächtiges Instrument, aber kein Freibrief. Sie greift nur dann, wenn ein grundlegender medizinischer Konsens darüber besteht, dass eine Organspende überhaupt geeignet ist, die betreffende Erkrankung auszulösen. Gibt es diesen Konsens nicht, wie im Fall des Bandscheibenschadens, muss der Spender den Zusammenhang nach den strengen Regeln des Vollbeweises nachweisen – eine oft unüberwindbare Hürde. Das Gericht verhindert damit eine uferlose Ausdehnung der Haftung auf alle denkbaren Krankheiten, die im Laufe eines Lebens auftreten können.

Schließlich zeigt der Fall die zentrale Bedeutung von medizinischen Gutachten und wissenschaftlichen Standards. Die Entscheidung war letztlich eine Abwägung zwischen verschiedenen Expertenmeinungen. Das Gericht orientierte sich dabei an etablierten medizinischen Leitlinien, um zu beurteilen, welche Kausalkette plausibel ist und welche im Bereich der Spekulation bleibt. Für Betroffene bedeutet dies, dass der Erfolg eines Anspruchs entscheidend davon abhängt, ob ihre Argumentation auf einem soliden wissenschaftlichen Fundament steht.

Die Urteilslogik

Der gesetzliche Schutz für Lebendorganspender setzt klare medizinisch-wissenschaftliche Maßstäbe, um die Grenzen zwischen direkten Operationsfolgen und multifaktoriellen Spätschäden zu ziehen.

  • Direkte Operationsfolgen bestimmen die Anerkennung: Die gesetzliche Unfallversicherung übernimmt unmittelbare Gesundheitsschäden, die über die typischen und regelmäßigen Begleiterscheinungen eines operativen Eingriffs hinausgehen, sobald der kausale Zusammenhang (wie eine Nervenschädigung mit resultierender Bauchwandparese) medizinisch gesichert ist.
  • Medizinische Eignung schaltet die Beweislastumkehr frei: Die Vermutungsregel für Spätschäden entfaltet ihre Wirkung nur dann zugunsten des Spenders, wenn die Organspende nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft generell in der Lage ist, die spezifische Gesundheitsstörung (etwa psychische Erkrankungen oder chronische Erschöpfung) auszulösen.
  • Fehlt die allgemeine Eignung, gilt der Vollbeweis: Besteht kein medizinisch anerkannter Konsens darüber, dass der Eingriff kausal einen spezifischen Spätschaden (wie eine schnelle Bandscheibendegeneration) verursachen kann, muss der Spender den ursächlichen Zusammenhang lückenlos im Vollbeweis nachweisen.

Der Erfolg eines Anspruchs hängt maßgeblich davon ab, ob die geltend gemachten Spätschäden auf einem soliden wissenschaftlichen Fundament stehen, das die allgemeine Eignung der Spende als Ursache bestätigt.


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Experten Kommentar

Ein Bruder rettet das Leben des anderen, wird krank, und dann beginnt der Kampf um die Anerkennung seiner Spätschäden. Dieses Urteil zeigt klar, dass die gesetzliche Vermutungsregel zwar ein mächtiges Schutzschild für Organspender ist, aber kein Freifahrtschein. Konkret bedeutet das: Schäden wie chronische Erschöpfung oder Depressionen, die medizinisch als Folge eines solchen Eingriffs plausibel sind, werden anerkannt. Bei komplexen, multifaktoriellen Problemen wie einem Bandscheibenschaden zieht das Gericht aber eine konsequente rote Linie, wenn die Kausalkette zu spekulativ wird und der medizinische Grundkonsens fehlt. Damit wird klargestellt, dass die Versicherung nicht für jede Krankheit aufkommen muss, die irgendwann nach der Spende auftritt.


Ein Holzfragezeichen steht neben einem Buch mit der Aufschrift "SGB Sozialrecht" auf einem Holzuntergrund. Daneben befinden sich ein Paar Schuhe, ein Stift und eine Registerkarte in einem warmen, orangefarbenen Licht.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Welche gesundheitlichen Spätschäden nach einer Lebendnierenspende sind gesetzlich versichert?

Die gesetzliche Unfallversicherung deckt Schäden ab, die direkt durch den Eingriff entstanden sind, sowie Spätfolgen, wenn die Spende laut medizinischer Lehrmeinung als Ursache infrage kommt. Direkte Folgeschäden, die über das normale Maß hinausgehen, sind unstrittig versichert, etwa Nervenverletzungen durch den Flankenschnitt. Bei späteren, komplexen Erkrankungen entscheidet die juristische Frage der generellen Eignung des Eingriffs als Ursache.

Unmittelbare Schäden wie die Lähmung der Bauchwandmuskulatur oder Schmerzen durch eine Nervenschädigung gelten als Gesundheitserstschaden und sind relativ leicht nachweisbar. Bei systemischen oder psychischen Spätschäden, wie dem Chronischen Fatigue-Syndrom (CFS) oder rezidivierenden Depressionen, muss zuerst die medizinische Literatur belegen, dass die Organspende generell geeignet ist, diese Krankheitsbilder auszulösen. Sobald diese wissenschaftliche Eignung feststeht, greift die gesetzliche Vermutungsregel zugunsten des Spenders.

Nicht anerkannt werden Erkrankungen, bei denen keine anerkannte Kausalkette zur Spende existiert. Nehmen wir als Beispiel einen Bandscheibenschaden. Kann die Spende medizinisch nicht als generell geeignete Ursache betrachtet werden, weil der Schaden primär degenerativ ist, greift die Beweiserleichterung nicht. Es reicht nicht aus, die eigene Krankheit als zeitliche Folge darzustellen; Gerichte fordern den wissenschaftlichen Konsens für den ursächlichen Zusammenhang, bevor sie eine Haftung anerkennen.

Sammeln Sie alle medizinischen Dokumente, die Ihre Diagnose belegen, und prüfen Sie, ob die ersten Symptome innerhalb von ein bis zwei Jahren nach der Spende auftraten.


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Wann gilt das chronische Fatigue-Syndrom als anerkannte Spätfolge der Organspende?

Die Anerkennung des Chronischen Fatigue-Syndroms (CFS) als Spätfolge einer Organspende hängt von der generellen Eignung des Eingriffs als Ursache ab. Gerichte benötigen Gutachten, die bestätigen, dass ein schwerer operativer Eingriff oder der Organverlust diese Art von Krankheitsbild überhaupt auslösen kann. Wird diese generelle Eignung bejaht, kommt dem Spender die gesetzliche Vermutungsregel zugute.

Die Regelung des § 12a SGB VII greift nicht automatisch für jede beliebige Erkrankung, die nach einer Spende auftritt. Es muss nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft plausibel sein, dass die Organspende tatsächlich zu systemischen und psychischen Beschwerden wie CFS oder Depressionen führen kann. Für das chronische Erschöpfungssyndrom bejahen Gerichte diese Grundvoraussetzung, da ein Zusammenhang mit schweren operativen Eingriffen als möglich anerkannt ist.

Sobald diese generelle Eignung feststeht, kehrt die Vermutungsregel die Beweislast um. Sie als Spender müssen den ursächlichen Zusammenhang nicht nachweisen. Stattdessen muss der Versicherer offenkundig belegen, dass ausschließlich andere Faktoren, wie etwa private oder finanzielle Belastungen, die Ursache für das CFS sind. Tritt das Erschöpfungssyndrom in zeitlicher Nähe zur Spende auf, verstärkt dies Ihre Position und erschwert dem Versicherer den Widerlegungsbeweis erheblich.

Um Ihren Anspruch zu sichern, sammeln Sie alle psychologischen und internistischen Berichte, in denen Ihre Erschöpfungssymptome unabhängig von orthopädischen Schmerzen diagnostiziert wurden.


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Wie hilft mir die gesetzliche Vermutungsregel beim Nachweis meiner Spätschäden gegen die Versicherung?

Die gesetzliche Vermutungsregel, festgelegt in § 12a SGB VII, stellt eine erhebliche Beweiserleichterung für Lebendspender dar. Normalerweise müssten Sie den ursächlichen Zusammenhang Ihrer Spätfolgen im Vollbeweis nachweisen. Diese Regel dreht die Beweislast um: Der Gesetzgeber vermutet den Zusammenhang zwischen Organspende und Schaden, wenn dieser als Spätfolge in Betracht kommt. Die Versicherung muss diese gesetzliche Vermutung aktiv widerlegen, um die Leistung ablehnen zu können.

Die Vermutungsregel greift allerdings nicht automatisch für jede beliebige Krankheit, die nach der Spende auftritt. Zwingende Voraussetzung ist, dass die Spende nach aktuellem Stand der medizinischen Wissenschaft generell geeignet ist, den konkreten Gesundheitsschaden zu verursachen. Nur wenn diese Eignung feststeht, profitieren Sie von der Beweiserleichterung. Bei systemischen oder psychischen Folgen wie Depressionen oder dem chronischen Fatigue-Syndrom wird die Eignung oft bejaht, da sie als Reaktion auf einen schweren Eingriff und Organverlust anerkannt sind.

Sobald die generelle Eignung bejaht ist, liegt die Beweislast vollständig beim Versicherer. Die Versicherung muss dann belegen, dass „offenkundig kein ursächlicher Zusammenhang“ zwischen dem Eingriff und Ihrem Schaden besteht. Dies ist eine extrem hohe juristische Anforderung. Die Versicherung muss zeigen, dass die Ursache ausschließlich in anderen Faktoren liegt, wie etwa einer genetischen Prädisposition oder externen Lebensereignissen. Gelingt der Versicherung dieser Nachweis nicht, muss sie den Schaden anerkennen.

Fordern Sie das zugrundeliegende Gutachten der Versicherung an und prüfen Sie genau, ob die Ablehnung die generelle Eignung bestreitet oder lediglich versucht, die Vermutung zu widerlegen.


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Was tun, wenn die Unfallversicherung den ursächlichen Zusammenhang meiner Spätfolgen ablehnt?

Nach Erhalt des Ablehnungsbescheids müssen Sie unverzüglich Widerspruch einlegen, um die Fristen zu wahren. Entscheidend für das weitere Vorgehen im Widerspruchsverfahren ist die genaue Begründung der Versicherung. Prüfen Sie, ob der Versicherer die gesetzliche Vermutungsregel widerlegt hat oder ob er die generelle Eignung der Organspende als Ursache für den Schaden von vornherein bestreitet.

Die schwierigste Hürde liegt in der Frage der generellen Eignung. Behauptet die Versicherung, die Spende sei nach aktuellem Stand der Wissenschaft nicht generell geeignet, einen spezifischen Schaden (wie Bandscheibenverschleiß) auszulösen, greift die Beweiserleichterung des § 12a SGB VII gar nicht erst. In diesem Fall müssen Sie den vollen wissenschaftlichen Beweis der Kausalkette führen. Das erfordert ein detailliertes Gegengutachten, das strengen, etablierten medizinischen Kriterien standhält.

Sie dürfen sich nicht allein auf die zeitliche Nähe der Erkrankung zur Spende oder die subjektive Schwere Ihrer Beschwerden verlassen. Ein Anspruch hat nur Erfolg, wenn Ihre Argumentation auf einem soliden, wissenschaftlichen Fundament steht und anerkannte medizinische Leitlinien heranzieht. Wie im Fall des abgelehnten Bandscheibenschadens muss der Kausalzusammenhang schlüssig dargelegt werden, indem man etwa erhebliche statische Fehlstellungen nachweist, die über bloße Normvarianten hinausgehen.

Kontaktieren Sie sofort einen Fachanwalt für Sozialrecht, der die Ablehnung anhand der Kriterien der ‚generellen Eignung‘ professionell bewertet.


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Welche medizinischen Kriterien müssen erfüllt sein, damit Gerichte Spätschäden überhaupt anerkennen?

Der Erfolg bei der Anerkennung von Spätschäden hängt primär von der medizinischen Generaleignung der Spende als Ursache ab. Zuerst muss die Organspende nach allgemein anerkannter Lehrmeinung den spezifischen Schaden generell geeignet auslösen können. Ist diese Grundvoraussetzung erfüllt, greift erst die gesetzliche Vermutungsregel. Dies verhindert, dass jeder beliebige Schaden, der nach einer Spende auftritt, automatisch als Spätfolge gilt.

Gerichte prüfen stets, ob die beanspruchte Kausalkette zwischen Eingriff und Krankheit auf einem soliden wissenschaftlichen Fundament steht. Gutachter müssen explizit bestätigen, dass die Spende nach medizinischer Lehrmeinung eine geeignete Ursache darstellt. Eine bloße Möglichkeit oder die Bestätigung, dass die Spende „eine Ursache sein kann“, reicht für die Anerkennung nicht aus. Richter orientieren sich dabei an etablierten Konsensempfehlungen, um die Plausibilität des Zusammenhangs zu beurteilen und Spekulationen auszuschließen.

Konkret werden bei orthopädischen Folgeschäden, wie schweren Bandscheibenschäden, strenge Maßstäbe angelegt, oft in Anlehnung an Kriterien für Berufskrankheiten. Für die Anerkennung von statisch bedingten Wirbelsäulenschäden müssen Sie erhebliche Fehlstellungen nachweisen können. Nehmen wir an, bei Ihnen liegt eine funktionelle Beinlängendifferenz vor; diese müsste idealerweise über drei Zentimeter betragen, um als kausal wirksame Fehlbelastung zu gelten. Eine geringere Abweichung, etwa eine Normvariante von nur 0,5 bis einem Zentimeter, wird von Gerichten als unerheblich eingestuft.

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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


**Bildtyp:** Editorial-Foto

**Hauptmotiv:** Schreibtisch mit Büromaterialien

**Text im Bild:** 
- SOZIALRECHT GLOSSAR
- Fachbegriffe einfach erklärt.
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**Wesentliche Bildelemente:** Buch, Lupe, Kugelschreiber

**Bildbeschreibung:** Das Bild zeigt eine büroähnliche Umgebung mit einem Schreibtisch. Auf dem Tisch liegen ein geöffnetes Buch, eine Lupe und Kugelschreiber. Ein Ordner mit der Aufschrift "BEWILLIGT" und ein Aktenkorb mit beschrifteten Unterlagen sind ebenfalls sichtbar.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Generell geeignet

Juristen prüfen die generelle Eignung, um festzustellen, ob eine Organspende nach aktuellem Stand der medizinischen Wissenschaft überhaupt fähig ist, einen spezifischen Gesundheitsschaden zu verursachen. Diese strenge Schwelle muss immer zuerst erreicht werden, damit die Beweiserleichterung für Spätschäden greift; das Gesetz verhindert damit eine uferlose Anerkennung aller zufällig auftretenden Krankheiten, die im Leben des Spenders nach dem Eingriff eintreten.

Beispiel: Das Gericht verneinte die generelle Eignung der Nierenspende für den schweren Bandscheibenschaden, weil keine anerkannte medizinische Lehrmeinung stützte, dass der Eingriff solche degenerativen Prozesse auslösen kann.

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Gesundheitserstschaden

Als Gesundheitserstschaden bezeichnen Sozialrechtler den unmittelbaren Schaden oder die Verletzung, die direkt während oder alsbald nach einer versicherten Tätigkeit, wie der Organentnahme, auftritt und über die normalen Operationsfolgen hinausgeht. Dieser Schaden unterscheidet sich von späteren Spätfolgen, da hier der Kausalzusammenhang zur Operation oft offensichtlich ist und die gesetzliche Unfallversicherung ihn ohne die komplizierte Vermutungsregel anerkennen muss.

Beispiel: Die Nervenverletzung, welche die Lähmung der rechten Bauchwandmuskulatur auslöste, wurde vom Landessozialgericht als klarer Gesundheitserstschaden eingestuft und dementsprechend versicherungsrechtlich anerkannt.

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Offenkundig kein ursächlicher Zusammenhang

Hierbei handelt es sich um den sehr hohen juristischen Beweisstandard, den ein Versicherer erbringen muss, um die gesetzliche Vermutung eines Kausalzusammenhangs zwischen Spende und Spätschaden erfolgreich zu widerlegen. Die Formulierung bedeutet, dass die Versicherung zeigen muss, dass eine alternative Ursache so eindeutig und klar vorliegt, dass die Spende als Auslöser des Schadens offensichtlich und unbestreitbar ausscheidet.

Beispiel: Da die Versicherung nicht belegen konnte, dass die Privatinsolvenz offenkundig der alleinige Grund für die depressive Störung war, konnte sie die Vermutungsregel bezüglich der psychischen Spätfolgen nicht erfolgreich widerlegen.

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Vermutungsregel

Die Vermutungsregel, festgelegt in § 12a Abs. 1 S. 2 SGB VII, ist eine spezielle Beweiserleichterung für Lebendorganspender, die bei Spätschäden den ursächlichen Zusammenhang zwischen Spende und Krankheit gesetzlich annimmt. Diese Regelung schützt den Spender, indem sie die Beweislast umkehrt: Er muss den Zusammenhang nicht nachweisen; stattdessen muss die Versicherung den Mangel an Kausalität belegen.

Beispiel: Das Gericht wandte die Vermutungsregel auf das Chronische Fatigue-Syndrom an, da die Organspende generell als geeignet für diese Art von psychischer Spätfolge galt und die Symptome in zeitlicher Nähe auftraten.

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Vollbeweis

Muss der Kläger den Vollbeweis führen, bedeutet dies den Nachweis eines Sachverhalts, bei dem jede vernünftige Zweifel ausgeschlossen sein müssen und der Richter von der Wahrheit der Behauptung vollständig überzeugt ist. Wenn spezielle Beweiserleichterungen wie die Vermutungsregel nicht greifen, muss der Kläger diesen strengen, im Sozialrecht etablierten Maßstab erfüllen, der bei komplexen medizinischen Kausalketten oft unüberwindbar ist.

Beispiel: Da die Vermutungsregel beim degenerativen Bandscheibenschaden nicht griff, hätte der Spender den Vollbeweis für die ursächliche Kettenreaktion der geringfügigen Fehlstatik erbringen müssen, was er nicht vermochte.

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Das vorliegende Urteil


Thüringer Landessozialgericht – Az.: L 1 U 577/21 – Urteil vom 22.05.2025


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