Auf die Berufung des Klägers und der Beklagten werden unter Zurückweisung der Berufungen im Übrigen das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 19. Mai 2021 und der Bescheid vom 30. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2013 abgeändert und klarstellend wie folgt gefasst:
„Es wird festgestellt, dass eine Schädigung des Nervus iliohypogastricus und des Nervus ilioinguinalis rechts mit sensiblen Störungen und Lähmungen des kaudalen Anteils der schrägen Bauchwandmuskulatur rechts (ICD – 10 G83.0), dadurch verursachte Schmerzen und muskuläre Fehlsteuerungen (Dysbalancen) infolge der Teillähmung der rechten Bauchwand (ICD – 10 R29.3) sowie ein Chronisches Fatigue-Syndrom (ICD – 10 G93.3) und eine Rezidivierende depressive Störung (ICD – 10 F.33) weitere Folgen des Versicherungsfalles vom 30. Mai 2002 sind.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.“
Die Beklagte hat ¾ der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger und Berufungsbeklagte als Folge einer Lebendnierenspende an weiteren Unfallfolgen leidet.
Der 1961 geborene Kläger ließ sich am 30. Mai 2002 im Universitätsklinikum der C für seinen Bruder seine rechte Niere entnehmen. Vorab fanden Anfang März 2002 im Uniklinikum R1, wo die Nierenspende ursprünglich vollzogen werden sollte, umfangreiche Voruntersuchungen zum Gesundheitszustand des Klägers statt. Am 7. Mai 2002 bestätigte das Universitätsklinikum der C gegenüber der Ärztekammer B, dass der Kläger nach Abschluss der umfangreichen Evaluierungsuntersuchungen als Organspender geeignet und eine schwere Beeinträchtigung seines primären Gesundheitszustandes nicht zu erwarten ist. Er befand sich deswegen bis zum 7. Juni 2002 dort in stationärer Behandlung. In der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2002 entwickelte der Kläger Fieber, Schüttelfrost sowie Brennen beim Wasserlassen. Der Verdacht auf einen Harnwegsinfekt wurde gestellt. Im Zeitraum 26. bis 27. März 2003 befand sich der Kläger unter der Diagnose einer Gonarthritis und einer Hyperlipoproteinanämie erneut in der C zur Behandlung. Im Behandlungsbericht wurde von seit einiger Zeit bestehender allgemeiner Abgeschlagenheit berichtet. Bezüglich der Beschwerden im linken Kniegelenk wurde der Verdacht auf eine Yersinieninfektion mit reaktiver Arthritis geäußert. Die Fachärztin für Nervenheilkunde und Psychiatrie R2 diagnostizierte in einem Bericht vom 18. Mai 2006 eine mittelgradige depressive Episode, einen Zustand nach posttraumatischer Belastungsstörung und eine Anpassungsstörung. Vom 17. bis 24. Juli 2007 erfolgte eine Behandlung in der Klinik für Nephrologie der C. Berichtet wurde darüber, dass es im Anschluss an die Nierenspende zu einer Parese und Atrophie der rechtsseitigen Muskulatur mit einem möglichen Hüfttiefstand rechtsseitig gekommen sei. Die linke Niere sei unauffällig. Dem schloss sich vom 24. Juli bis 3. August 2007 in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der C eine stationäre Behandlung unter der Diagnose einer depressiven Episode an. Laut Behandlungsbericht bestand ein klarer zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Erstauftreten einer depressiven Symptomatik und der Nierenspende von 2002. Auf ein beginnendes Insolvenzverfahren im Jahre 2006 wurde hingewiesen. Das Universitätsklinikum J, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, äußerte in einem Bericht vom 6. September 2007 den Verdacht auf eine Anpassungsstörung nach ICD-10: F43.2.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 19. Dezember 2007 begehrte der Kläger die Anerkennung von Unfallschäden infolge einer Lebendnierenspende und machte Beschwerden im Hüft- und Wirbelsäulenbereich sowie auf neurologisch/psychiatrischem Fachgebiet geltend.
In einem Befundbericht vom 21. September 2008 berichtete das Universitätsklinikum J, Klinik für Neurologie, über eine stationäre Behandlung des Klägers im Zeitraum 3. bis 9. September 2008. Als Diagnosen wurden eine depressive Episode und Phasen ausgeprägter Antriebslosigkeit genannt. Vom 22. September bis 18. November 2008 erfolgte eine stationäre Behandlung in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums J. Diagnostiziert wurden eine Anpassungsstörung und eine kombinierte Persönlichkeitsstörung und ein Morbus Fahr. Vom 26. August bis 4. September 2009 erfolgte eine stationäre Behandlung im Kreiskrankenhaus G1.
Nach Anhörung des Klägers erstatteten im Auftrag der Beklagten der Urologe G2, der Psychiater S1 und der Neurochirurg K1 jeweils Zusammenhangsgutachten. Der Urologe G2 führt in seinem Gutachten vom 24. November 2010 aus, dass die sicher zu diagnostizierende Bauchdeckenrelaxation sich eindeutig mit der Nierenspende rechts in Zusammenhang bringen lasse. Hierbei handele es sich um einen Dauerzustand ohne Heilungstendenz. In einem Gutachten vom 30. Mai 2011 führten die Psychiater S1 und P aus, dass beim Kläger eine rezidivierende depressive Störung gegenwärtig in Remission und eine kombinierte Persönlichkeitsstörung und ein Morbus Fahr vorliegen würden. Hierbei handele es sich um multifaktoriell bedingte Erkrankungen. Der Geschehensablauf komme bestenfalls als Mitauslöser für eine Episode im Rahmen der rezidivierenden depressiven Störung infrage, wobei der lange zeitliche Abstand eher dagegenspreche. In enger zeitlicher Nähe zum Erstauftreten der depressiven Störung gebe es weitere und als Auslöser geeignete Belastungsfaktoren wie Insolvenz, Ende einer Beziehung. Der Neurochirurg K1 führte in seinem Gutachten vom 24. Oktober 2011 aus, dass die beim Kläger bestehende Bauchwandrelaxation eindeutig auf die Lebendnierenspende zurückzuführen sei. Die Bandscheibendegeneration L5/S1 erscheine unabhängig von der beschriebenen Bauchwandrelaxation.
Daraufhin lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 30. Januar 2012 die Anerkennung eines Arbeitsunfalles sinngemäß ab und verneinte einen Anspruch auf Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des Ereignisses vom 30. Mai 2002. Die am 30. Mai 2002 durchgeführte Lebendnierenspende habe zwar zu einer Bauchwandrelaxation geführt. Diese könne jedoch keinesfalls einen Bandscheibenvorfall im Bereich L5/S1 verursacht haben. Das Ereignis vom 30. Mai 2002 sei darüber hinaus nicht geeignet gewesen, eine psychische Dekompensation ursächlich hervorzurufen. Auch wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Nierenentnahme und der Bauchwandrelaxation bestehen möge, sei ein Versicherungsfall im Sinne des Unfallbegriffs nicht gegeben. Ein Versicherungsfall im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 13b des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) komme nur bei einem zusätzlichen, von außen verursachten ungewollten Schaden in Betracht. Dieser müsse über die versicherte Tätigkeit – die zur Organspende vorgenommene Operation – hinausgehen. Nachdem der Kläger vorher nur Widerspruch per E-Mail eingelegt hatte, erfolgte am 2. März 2012 eine Widerspruchseinlegung durch die damaligen Bevollmächtigten des Klägers per Fax. Daraufhin erließ die Beklagte am 27. Juni 2013 folgenden Widerspruchsbescheid:
„1. Ihrem Widerspruch vom 21.02.2012 gegen den Bescheid der Unfallkasse Berlin vom
30.01.2012 wird wie nachstehend teilweise stattgegeben; im Übrigen wird er als unbegründet zurückgewiesen.
2. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen für das Widerspruchsverfahren werden zu ½ erstattet; die Kostenfestsetzung ergeht nach Antrag durch gesonderten Bescheid.
Zur Überprüfung der Sach- und Rechtslage wird der Bescheid vom 30.01.2012 aufgehoben. Stattdessen ergeht folgende Regelung:
1. Es wird festgestellt, dass der Bescheid vom 30.01.2012 teilweise rechtswidrig ist, soweit Versicherungsschutz in Folge der Organspende vom 30.05.2002 abgelehnt worden ist.
2. Die Organspende vom 30.05.2002 wird wegen einer Gesundheitsbeschädigung, die über die regelmäßige Entnahme der Niere hinausgeht als Arbeitsunfall anerkannt.
3. Es wird festgestellt, dass die partielle Bauchwandparese mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die im Rahmen der Lebendnierenspende für Ihren Bruder bei Ihnen vorgenommenen Nephrektomie vom 30.05.2002 zurückzuführen ist und damit Folge des Arbeitsunfalls ist.
4. Nicht Folge der Organspende sind Erkrankungen der Wirbelsäule, insbesondere die Degeneration der Bandscheibe in L5/S1 sowie rezidivierende depressive Störungen, eine kombinierte Persönlichkeitsstörung und ein Morbus Fahr.
5. Zur Feststellung, ob und ggf. welche konkreten Verletzungsfolgen dieses Arbeitsunfalls derzeit noch vorliegen und welche Leistungsansprüche hieraus ggf. resultieren (z.B. Heilbehandlung, Verletztengeld, ggf. Unfallrente) wird der Vorgang zur weiteren Bearbeitung an die Leistungsabteilung zurückverwiesen. Von dort ergeht dann hierzu ein gesonderter Bescheid.“
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Widerspruch zulässig und teilweise begründet sei. Unter der Berücksichtigung der vom Gesetzgeber mit Wirkung vom 1. August 2012 umfassenden Neuregelung des Versicherungsschutzes bei der Organspende und der Überleitungsvorschrift in § 213 Abs. 4 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) mit der Anordnung der Rückwirkung für die Zeit vom 1. Dezember 1997 bis 31. Juli 2012 sei der Bescheid zurückzunehmen und das Vorliegen eines Arbeitsunfalles anzuerkennen gewesen. Auch der medizinische operative Eingriff könne einen Gesundheitserstschaden darstellen. Der Gesundheitserstschaden sei der Gesundheitsschaden, der über die durch die Gewebeentnahme regelmäßig entstehende Beeinträchtigung hinausgehe. Folglich sei die Bauchwandparese als Folge einer operativen Nierenentnahme anzuerkennen. Nicht als unfallbedingt anerkannt werden könnten Erkrankungen im Bereich der Wirbelsäule sowie auf psychiatrischem Fachgebiet. Die Störungen auf psychiatrischem Fachgebiet seien als multifaktoriell bedingte Erkrankungen einzustufen. Bereits der lange zeitliche Abstand spreche nach den eingeholten Gutachten gegen einen Zusammenhang mit dem Unfallereignis. Hinzu kämen näher zum Zeitpunkt des Auftretens liegende Ereignisse im privaten Bereich, wie die Insolvenz der Firma.
Hiergegen hat der Kläger am 5. Juli 2013 fristgerecht beim Sozialgericht Altenburg Klage erhoben. Das Sozialgericht hat den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie K2 mit der Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens beauftragt. Dieser führt in seinem Gutachten vom 10. Mai 2016 aus, dass auf neurologischem Fachgebiet beim Kläger eine Schädigung des Nervus iliohypogastricus und des Nervus ilioinguinalis auf der rechten Seite festzustellen sei. Bei umfassender Analyse des gesamten Krankheitsbildes müsse man davon ausgehen, dass durch die Nierenoperation zweifelsohne ein neurologischer Erstschaden dieser beiden Nerven festzustellen sei. Das Ereignis der Nierenentnahme sei aufgrund der räumlichen Nähe geeignet gewesen, diese Störung hervorzurufen. Die anatomischen Gegebenheiten sprächen dafür. Auf psychiatrischem Fachgebiet stehe im Vordergrund die Symptomatik einer Neurasthenie. Im Zusammenhang mit dieser Neurasthenie sei auch eine leichte depressive Symptomatik nachweisbar. Im Vordergrund stehe aber die neurasthene Symptomatik. Ebenfalls liege beim Kläger ein Schmerzsyndrom als Begleitsymptom einer Gewebeschädigung vor. Eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung oder chronische Schmerzstörung seien nicht feststellbar. Der beim Kläger bestehende Schmerz sei ein Begleitsymptom der vorliegenden Nervenschädigungen. Darüber hinaus sei die seelische Problematik in Form des Erschöpfungssyndroms mit leicht depressiven Elementen und Zeichen des Müdigkeitssyndroms auf die durchgeführte Nierenentnahme zurückzuführen. Eine Nierenentnahme sei generell geeignet, eine chronische Erschöpfungssystematik auszulösen. Konkurrenzursachen seien nicht feststellbar. Eine Schadensanlage oder eine Vorerkrankung seien auszuschließen. Eine Verschiebung der Wesensgrundlage sei nicht gegeben. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei mit 10 v. H. zu bewerten. Die Voraussetzungen einer Persönlichkeitsstörung lägen nicht vor. Beim Kläger handele es sich um eine leichte chronisch depressive Grundstimmung im Rahmen der Neurasthenie. Von einer rezidivierenden depressiven Symptomatik könne man nicht sprechen. Die MdE auf neurologischem Gebiet sei mit 20 v. H. zu beziffern, auf psychiatrischem mit 10 v. H. Die Gesamt-MdE betrage 30 v. H., da die Funktionsstörungen gänzlich unterschiedliche Auswirkungen zeigten und keine Überschneidung der funktionellen Nachteile bestehen würden.
In einem 1. Rentengutachten vom 11. Juni 2014 bezifferte der Chirurg W die MdE wegen der teilweisen Lähmung der Bauchdecke mit 10 v. H. Durch Bescheid vom 5. August 2014 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente ab. Die anerkannten Unfallfolgen rechtfertigten nach dem Gutachten von W vom 11. Juni 2014 keine MdE von 20 v. H. Die Beklagte ging davon aus, dass der Bescheid nach § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des sozialgerichtlichen Klageverfahrens werde.
Des Weiteren erstattete der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie N1 am 1. Juni 2016 ein orthopädisch-unfallchirurgisches Gutachten. Darin führte er aus, dass der Kläger an muskulären Fehlsteuerungen (Dysbalancen) infolge der Teillähmung der rechten Bauchwand leide. Beim Kläger sei es im Rahmen der Lebendnierenspende vom 30. Mai 2002 zu einer Schädigung von Nerven im Bereich der rechten Flanke gekommen. Hierzu liege bereits das neurologische Gutachten von K2 vor. Dieser habe dezidiert eine Schädigung des Nervus iliohypogastricus und des Nervus ilioinguinalis rechts mit sensiblen Störungen und auch Lähmung der unteren Anteile der schrägen Bauchwandmuskulatur rechts nachgewiesen. Aus der Anatomie und Funktion der beiden ausgefallenen rechten Bauchmuskeln erklärten sich die muskulären Fehlsteuerungen der rechten Bauchwand. Der beim Kläger vorliegende Beckenschiefstand und die vermehrte Degeneration der Bandscheibe L5/S1, welche die Implantation einer künstlichen Bandscheibe erforderlich gemacht habe, seien hingegen nicht unfallbedingt. Durch die beiden ausgefallenen Muskeln sei zwar eine Stellungsänderung des Beckens zu erwarten. Das Resultat sei aber eine sogenannte Beckenverwringung, was eine sogenannte funktionelle Beinlängendifferenz zur Folge haben könne. Im Unterschied zur absoluten Beinlängendifferenz sei die funktionelle Beinlängendifferenz Ausdruck einer veränderten Stellung der Gelenke des Beines zueinander. Hierbei handele es sich um eine relative Beinlängendifferenz von 0,5 bis 1 cm. Eine solche Beinlängendifferenz sei in der Normalbevölkerung nicht selten und müsse nicht unbedingt krankhafte Folgen verursachen. Bezüglich des Bandscheibenschadens in Höhe L5/S1 mit nachfolgender Bandscheibenprothesenimplantation sei darauf hinzuweisen, dass der Bandscheibenschaden der Lendenwirbelsäule bereits zwei Jahre nach dem schädigenden Ereignis operativ behandelt worden sei. Beim Kläger liege weder eine Beinverkürzung von 3 cm vor, noch handele es sich um eine fixierte Wirbelsäulenkrümmung. Somit spreche nichts dafür, dass der Bandscheibenschaden infolge der Lähmung der rechtsseitigen Bauchwand entstanden sei. Nach den Konsensempfehlungen zur BK 2108 bedürfe es einer Gesamtexpositionszeit von mindestens zehn Jahren, um eventuelle Schäden an den Bandscheiben der Lendenwirbelsäule hervorzurufen. Beim Kläger sei der Bandscheibenschaden aber bereits zwei Jahre nach dem Ereignis operativ behandelt worden. Daher spreche alles dafür, dass es sich bei der Bandscheibendegeneration des Klägers um einen schicksalhaften degenerativen Verlauf ohne Bezug zum angeschuldigten Ereignis der Lebendnierenspende handele. Als Folge der eingetretenen Lähmung an der Bauchwandmuskulatur sei es jedoch zu muskulären Fehlsteuerungen, so genannten Dysbalancen, gekommen. Im Rahmen der klinischen Untersuchung seien unvollständige Streckvermögen der Kniegelenke auf beiden Seiten aufgefallen. Diese seien nicht auf das angeschuldigte Ereignis zurückzuführen. Es handele sich um ein konstitutionelles Phänomen. Der Verschleiß beider Schultergelenke könne nicht im Zusammenhang mit der Lebendnierenspende gebracht werden. Es handele sich dabei um ein schicksalhaftes Leiden. Die muskulären Dysbalancen begründeten keine messbare MdE.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 18. Januar 2017 führte K2 aus, dass das von ihm beschriebene Krankheitsbild als Neurasthenie gemäß ICD-10: F48.0 zu beschreiben sei. Des Weiteren fänden sich leicht depressive Züge. Alle typischen Brückensymptome der sogenannten Neurasthenie seien nach der Nierenentnahme feststellbar. Die konkurrierende Kausalität sei ausführlich analysiert worden. Eine kombinierte Persönlichkeitsstörung habe nicht nachgewiesen werden können. Daraufhin reichte der Kläger die Stellungnahme des Psychotherapeuten S2 vom 2. Mai 2017 ein. Darin führt dieser aus, dass das Gutachten von K2 den Schweregrad der psychischen Belastung des Klägers deutlich unterschätze. Die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung sei gerechtfertigt, ebenso ein chronisches Müdigkeitssyndrom ICD-10: G93.3G. Hierauf entgegnete K2 in einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 19. Juni 2017, dass die Diagnose eines chronischen Erschöpfungssyndroms nicht gerechtfertigt sei. Die typischen nach der Literatur zu fordernden Kriterien hätten hierfür beim Kläger nicht festgestellt werden können. Die Schmerzsymptomatik des Klägers erkläre sich aus der Nervenschädigung. Ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom liege nicht vor. Daher sei die Schmerzkomponente bereits im Rahmen der MdE-Bewertung bezüglich der Nervenschädigung mitberücksichtigt. Eine rezidivierende depressive Störung sei bei dem Kläger nicht feststellbar. Im Vordergrund stehe das Erschöpfungssyndrom und weniger die depressive Erlebniskomponente.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 23. Juni 2017 führt N1 aus, die beim Kläger vorliegende funktionelle Beinlängendifferenz sei variabel und nicht immer vorhanden. Eine solche Beinlängendifferenz sei nicht geeignet, einen Bandscheibenschaden auszulösen oder ihn wesentlich zu verschlimmern. Hinsichtlich der muskulären Dysbalancen sei eine messbare MdE nicht gerechtfertigt. Die statischen Auswirkungen seien weitgehend gering.
In einem nephrologischen Gutachten vom 15. Februar 2018 führt N2 aus, dass beim Kläger vor der Nierenspende auf diesem Fachgebiet keine wesentlichen Vorerkrankungen vorlagen. Ansonsten wäre er von einer Lebendnierenspende ausgeschlossen gewesen. Die noch vorhandene linke Niere stelle sich hypertrophiert mit deutlichen zystischen Veränderungen dar. Verlaufskontrollen zeigten eine erfreulich stabile Nierenfunktion. Aus nephrologischer Sicht sei von einer Progression der zystischen Veränderungen an der linken Nierenseite auszugehen.
Auf Antrag des Klägers holte das Sozialgericht nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ein orthopädisches Gutachten von S3 vom 29. Juli 2019 ein. Darin führt dieser aus, dass die durch die Lebendnierenspende hervorgerufene Fehlstatik zur Notwendigkeit einer Bandscheibenprothese L5/S1 als Spätschaden geführt habe. Ebenso sei eine retropatellare Degeneration des linken Knies verschlimmert worden. Bereits kurze Zeit nach der Lebendnierenspende hätten beim Kläger Beschwerden im Bereich des rechtsseitigen Flankenareals bestanden. Zu keinem Zeitpunkt sei bewiesen worden, dass der Kläger an einer Grunderkrankung im Bereich der Lendenwirbelsäule vor der Lebendnierenspende gelitten habe. Die Fehlstatik habe letztlich wesentlich aus der Organspende resultiert. Die Notwendigkeit der Implantation an einer Bandscheibenendoprothese sei als Spätschaden zu qualifizieren. Die MdE auf orthopädischem Fachgebiet betrage 30 v. H.
Hierauf hat N1 in einer ergänzenden Stellungnahme vom 2. März 2020 erwidert, dass die von S3 vorgebrachte Argumentation der kausalanalytischen Beziehungen sowohl des Lendenwirbelsäulen- als auch des Kniegelenksleidens nicht im Einklang mit der allgemein gültigen Lehrmeinung stehen würde. Es existierten keine Hinweise in der Literatur, dass es durch die Bauchwandlähmung und die funktionellen Auswirkungen auf die Wirbelsäule in so kurzer Zeit (zwei Jahre) zu so schwerwiegenden Schädigungen der Bandscheibe komme, dass ein Implantat eingesetzt werden müsse. Darauf erwiderte S3 in einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 28. Juli 2020, N1 stimme mit ihm darin überein, dass es aufgrund der Dysbalancen der Bauchmuskulatur zu einer deutlichen Rotationskomponente der Körpermitte gekommen sei. Das Verkettungssyndrom werde von N1 nicht bestritten. Der Dissens bestehe in den Auswirkungen dieses Verkettungssyndroms. Diesbezüglich sei erneut auszuführen, dass die dauerhafte mechanische Belastung der Bandscheibe durch die Fehlstatik zu einer Texturstörung führe. Diese Degenerationen seien mit Sicherheit ein komplexer multifaktorieller Prozess. Der genetische Einfluss dürfe nicht unterschätzt werden. So sei auf Zwillingsstudien hinzuweisen, in denen der genetische Faktor als stärkster Einfluss festgestellt worden sei. Fehlstatische Belastungen der Wirbelsäule durch entsprechende Muskellähmungen des Bauches würden eine Bandscheibe dauerhaft schädigen. Die Degeneration der Bandscheibe sei eine abweichende zelluläre Reaktion auf ein fortschreitendes Versagen der Bandscheibenstruktur. Die Kniescheibensituation sei durch die Fehlstatik ebenfalls verschlechtert worden. Darauf hat N1 in einer ergänzenden Stellungnahme vom 2. Oktober 2020 erwidert, dass es in der Literatur nach wie vor umstritten sei, ob dauerhafte mechanische Belastungen der Bandscheibe zu Texturstörungen führten. Nach wie vor sei darauf hinzuweisen, dass bereits zwei Jahre nach der Lebendnierenspende eine künstliche Bandscheibe implantiert worden sei. Bezüglich dieses zeitlichen Zusammenhangs habe er sich in seinem Gutachten eindeutig geäußert. Soweit S3 auf Spondylosen hinweise, gelte, dass nach der Theorie von S3 diese auch in den darüber liegenden Segmenten zu erwarten gewesen wären. Dies sei jedoch nicht der Fall. Daraufhin hat S3 in einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 16. März 2021 ausgeführt, dass bei dem Kläger ein chronisches Schmerzsyndrom mit psychischen und somatischen Faktoren ICD-10: F45.41 vorliege. Es liege des Weiteren auch ein chronisches Erschöpfungssyndrom ICD-10: G93.3 vor. Spondylosen könnten nur durch entsprechende Belastungen im Sinne der Konsensus-Empfehlungen im Rahmen der BK 2108 entstehen. Eine wissenschaftliche Korrelation zwischen einer dynamischen Fehlstatik und einer Schädigung im Vollbeweis sei noch nicht vorhanden. Es gebe nur sehr viele Modelle. Ausreichende Studien über die Auswirkungen von entsprechenden Fehlbelastungen fehlten. In allen denkbaren Modellen zur Bandscheibendegeneration habe die komplexe Natur derselben nicht aufgedeckt werden können. Man wisse lediglich, dass die Bandscheibendegeneration einem multifaktoriellen Geschehen folge, beeinflusst durch genetische Faktoren, Lebensbedingungen, Lebensgewohnheiten, Übergewicht, Rauchen, Alkoholkonsum, körperliche Aktivitäten, Stoffwechselstörungen und Alter. Neuere Arbeiten legten nahe, dass bei der Entstehung einer frühzeitigen Bandscheibendegeneration den Erbfaktoren eine höhere Bedeutung zukomme als bisher angenommen. Dem Symptomatischwerden von Bandscheibenvorfällen komme eine große Bedeutung zu. Im Fall des Klägers korreliere dieser Zeitpunkt mit der Lebendnierenspende. Es verdichteten sich die Hinweise, dass gerade durch die vorhandene Fehlstatik in Kombination mit den psychischen Momenten, die Festigkeit des Bandscheibensegments L5/S1 über die Maßen einseitig belastet worden sei. N1 werde zugestimmt, dass bei dem Kläger keine Verschlimmerung einer unfallfremden retropatellaren Degeneration vorhanden sei. Ob es zu einer Verschlimmerung einer Kniescheibenrückflächendegeneration gekommen sei oder nicht, habe nicht im Vollbeweis nachgewiesen werden können.
Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 19. Mai 2021 den Bescheid vom 30. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2013 wie folgt abgeändert:
„Es wird festgestellt, dass eine Beckenfehlstellung geringen Ausmaßes, eine Bauchdeckenrelaxation infolge einer Schädigung des Nervus iliohypogastricus und des Nervus ilioinguinalis mit sensiblen Störungen des kaudalen Anteils der schrägen Bauchwandmuskulatur rechts und dadurch verursachte Schmerzen sowie eine Neurasthenie mit leicht depressiven Zügen und Elementen eines symptomatischen chronischen Fatigue-Syndroms weitere Folgen des Versicherungsfalles vom 30.05.2002 sind.“
Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der im Klageverfahren erlassene Bescheid vom 5. August 2014, mit dem die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Verletztenrente abgelehnt habe, nicht nach § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens geworden sei, weil er den ursprünglich angefochtenen Verwaltungsakt nicht abgeändert oder ersetzt habe. Soweit die Klage auf Anerkennung einer partiellen Bauchwandparese als weitere Folge des Versicherungsfalles vom 30. Mai 2002 gerichtet sei, fehle ihr das Rechtsschutzbedürfnis, weil diese bereits im angefochtenen Widerspruchsbescheid als Unfallfolge anerkannt worden sei. Im Übrigen sei die Klage zulässig und teilweise begründet. Der Kläger habe einen Anspruch auf Anerkennung einer Beckenfehlstellung geringen Ausmaßes, einer Bauchdeckenrelaxation infolge einer Schädigung des Nervus iliohypogastricus und des Nervus ilioinguinalis mit sensiblen Störungen des kaudalen Anteils der schrägen Bauchwandmuskulatur rechts und dadurch verursachten Schmerzen sowie einer Neurasthenie mit leicht depressiven Zügen und Elementen eines symptomatischen chronischen Fatigue-Syndroms. Dies ergebe sich aus den eingeholten Sachverständigengutachten. Der Sachverständige K2 habe eine Nervenschädigung mit der Folge einer Bauchdeckenrelaxation und Schmerzen festgestellt. Durch die Lebendnierenspende sei die schräge Bauchmuskulatur rechts geschädigt worden. Nach dem Sachverständigengutachten von K2 bestehe kein Zweifel daran, dass hierfür der im Rahmen der Operation durchgeführte Flankenschnitt rechtlich wesentlich sei. Die Beckenfehlstellung sowie die Neurasthenie mit depressiven Zügen sei nach § 12a Abs. 1 SGB VII als Unfallfolge anzuerkennen. Die Vermutungsregelung des § 12a Abs. 1 Satz 2 SGB VII greife hier ein. Die Vorschrift umfasse auch Schäden, die sich erst zu einem späteren Zeitpunkt als Aus- oder Nachwirkung der Spende selbst darstellten. Die Kammer folge nicht der Auffassung, dass bereits allein die Möglichkeit des Eintritts eines bestimmten Schadens ausreiche, um die Vermutungsregelung anzuwenden, halte es aber andererseits für nicht erforderlich, dass eine allgemeine medizinische Lehrmeinung hinsichtlich einer generellen Geeignetheit gegeben sein müsse. Ausreichend sei es, einer medizinischen Ansicht zu folgen, die zwar nicht herrschend sei, aber nicht nur einzeln vertreten werde. K2 habe nach diesen Grundsätzen festgestellt, dass der Kläger an einer Neurasthenie mit leicht depressiven Zügen und Elementen einer chronischen Fatigue leide. Unter Berücksichtigung der Vermutungsregelung beruhten die festgestellten Erkrankungen auf der Lebendnierenspende. Das chronische Fatigue-Syndrom ebenso wie die Neurasthenie werde von einer nennenswerten Zahl von Medizinern als mögliche Folge einer Nierenentnahmeoperation angesehen. Nach dem Sachverständigengutachten von N1 sei darüber hinaus die Beckenfehlstellung geringen Ausmaßes als Spätschaden der Lebendnierenspende anzusehen. Bezüglich der weiter geltend gemachten gesundheitlichen Einschränkungen sei die Klage unbegründet. Dies gelte für die Bandscheibenschädigung L5/S1, die Fehlstatik der Wirbelsäule sowie die Degeneration des linken Kniegelenks und die Schädigung der Supraspinatussehne. N1 habe nachvollziehbar dargelegt, dass die geringe Beckenfehlstellung nicht Auslöser der Degeneration der Bandscheibe L5/S1 sein könne. Dies habe er nachvollziehbar damit begründet, dass im Fall des Klägers weder eine Beinverkürzung von annähernd drei cm vorliege noch eine fixierte Wirbelsäulenverkrümmung. Unter Bezugnahme auf die Konsenskriterien zur BK 2108 habe er schlüssig dargelegt, dass schweres Tragen und Heben über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren erforderlich sei, während im Fall des Klägers der Bandscheibenschaden bereits zwei Jahre nach der Lebendnierenspende operativ behandelt worden sei. Den Ausführungen des S3 sei nicht zu folgen. Soweit S3 wissenschaftliche Literatur zitiere, habe N1 nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass die zitierten Autoren die dargestellte Frage des Zusammenhangs zwischen Texturstörungen und Bandscheibenschaden als umstritten bezeichnet hätten. Auch bei Anwendung der Vermutungsregelung sei von einer Widerlegung auszugehen, weil offenkundig sei, dass der Gesundheitsschaden nicht im ursächlichen Zusammenhang mit der Spende stehen könne. Zu beachten sei insbesondere, dass der Sachverständige S3 in weiteren ergänzenden Stellungnahmen zwar seine Position verteidige, gleichzeitig aber seine Auffassung dadurch deutlich relativiert habe, indem er die komplexe Natur der Bandscheibendegeneration erläutert habe. Es handele sich hierbei um ein multifaktorielles Geschehen. Nach Schilderung einer Vielzahl von Faktoren wie genetischen, Lebensbedingungen usw. habe S3 selbst ausgeführt, dass nur eine gewisse Zahl von Bandscheibendegenerationen verbleibe, die hierdurch nicht erklärt werden könnten. Daher überzeuge der Ansatz des Sachverständigen S3 nicht. Er biete nur eine ganz entfernte theoretische Möglichkeit zur Erklärung des Ursachenzusammenhangs. Auf dem Gebiet der Nephrologie seien keine weiteren Unfallschäden festzustellen. Der Kläger leide nicht an einer chronischen Niereninsuffizienz. Soweit der Kläger über die von K2 festgestellten psychischen Einschränkungen hinaus weitere Folgen geltend mache, wie das Vollbild eines chronischen Fatigue-Syndroms sowie ein chronisches Schmerzsyndrom, sei die Klage ebenfalls unbegründet. K2 habe nur Elemente eines Fatigue-Syndroms angenommen. Er habe in einer ergänzenden Stellungnahme betont, dass die typischen Kriterien eines chronischen Fatigue-Syndroms nicht hätten festgestellt werden können. Deshalb habe er die ICD-10-Diagnose Neurasthenie herangezogen. Die Annahme einer leicht depressiven Symptomatik ergebe sich ebenfalls aus den Ausführungen von K2. Die separate Anerkennung von Schmerzen, die über die durch die Nervenschädigung verursachten Schmerzen hinausgehen würden, scheide ebenfalls aus.
Hiergegen haben sowohl der Kläger als auch die Beklagte fristgerecht Berufung eingelegt. Der Kläger führt zur Begründung aus, dass wesentliche Gesundheitsstörungen vom Sozialgericht übergangen worden seien. Die partielle Bauchwandparese, die motorische Schädigung infolge der Nervenschädigungen und die Fehlstellung der Wirbelsäule mit der Notwendigkeit einer Bandscheibenprothese hätten keine Berücksichtigung gefunden. Das gelte ebenso für die Verschlimmerung der Degeneration des linken Knies und der Supraspinatustendinose der rechten Schulter. Darüber hinaus sei auf psychiatrischem Fachgebiet ein Chronic Fatigue-Syndrom und eine rezidivierende Depression und ein chronisches Schmerzsyndrom anzuerkennen. Des Weiteren liege eine chronische Niereninsuffizienz CKD-Stadium 1 bis 2 vor. Soweit das Sozialgericht ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis für die partielle Bauchwandparese abgelehnt habe, sei dies nicht überzeugend, weil sich im Urteil nur eine Bauchdeckenrelaxation als Unfallfolge finde. Eine Bauchwandparese werde gerade nicht benannt. Es handele sich hierbei um unterschiedliche Termini. Nach den Leitlinien sei auch eine chronische Schmerzschädigung nachgewiesen. § 12a SGB VII beziehe ausdrücklich Spätschäden mit ein. Die Vermutungsregel des Abs. 1 Satz 2 greife nur dann nicht, wenn offenkundig sei, dass der Gesundheitsschaden in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der Spende stehe. Das Vorliegen einer Neurasthenie mit depressiven Zügen und Elementen einer chronischen Fatigue ergebe sich nach den Feststellungen des Sozialgerichts aus dem Gutachten von K2. Das Sozialgericht führe in diesem Zusammenhang sogar aus, dass insbesondere das chronische Fatigue-Syndrom wie die Neurasthenie von einer nennenswerten Zahl von Medizinern als mögliche Folge einer Nierenentnahme-OP angesehen werde. Die fehlende Anerkennung eines chronischen Fatigue-Syndroms als Spätschaden werde dann aber ausschließlich damit begründet, dass nach K2 die Kriterien desselben nicht vorliegen würden. Dies sei unzutreffend. Eine spezifische Diagnostik hierfür existiere nicht. Das Vorliegen eines chronischen Fatigue-Syndroms und einer rezidivierenden depressiven Störung sei dem Kläger durch seine behandelnden Ärzte umfassend bestätigt worden. Die entsprechenden Berichte seien in der Gerichtsakte vorhanden. Die Ausführungen von K2 seien daher unzureichend. Das Sozialgericht beachte die Vermutungsregelung des § 12a SGB VII nicht hinreichend. Soweit N1 die Anerkennung der Bandscheibenschäden als Unfallfolge ablehne, stütze er sich zu Unrecht auf die Konsensempfehlungen für die Anerkennung der BK 2108. Es gehe um die Zuordnung des Wirbelsäulenschadens zu der Beckenfehlstellung und nicht umgekehrt. Die Entwicklung eines Beckenschiefstandes erfordere eine Ursache, die häufig eine Beinlängendifferenz sei. Der Hinweis auf das Erfordernis des langjährigen schweren Tragens und Hebens übersehe, dass dieses in der Ausgangslage auf eine gesunde Wirbelsäule treffe, während der Beckenschiefstand schon vorhanden sei und Einfluss auf die Wirbelsäule nehme. Das Sozialgericht übersehe, dass der Sachverständige S3 die von ihm geschilderten einzelnen Zusammenhänge fachwissenschaftlich untermauert habe. Es sei nach wissenschaftlichen Erkenntnissen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass durch die iatrogen verursachte Parese der Bauchwandmuskulatur rechts eine Destabilisierung des Systems der posturalen Haltemuskulatur erfolgt sei. Der Bandscheibenvorfall im Bereich L5/S1 sei Folge dieser gestörten Stabilisation. Das Sozialgericht habe auch das vorhandene Verkettungssyndrom nicht hinreichend beachtet. Die statische Fehlhaltung und Dysfunktion mache logischerweise nicht im Becken halt, sondern weite sich aufgrund des bestehenden physiologischen Zusammenspiels nach oben und unten aus. Soweit das Sozialgericht eine chronische Niereninsuffizienz verneine, werte es den Sachverhalt nicht hinreichend aus. Eine solche liege nach einem nephrologischen Bericht vom 16. April 2019 vor. Auch S3 bejahe eine chronische Nierenerkrankung im Fall des Klägers. Dabei sei auch die Bedeutung der um 50 % verminderten metabolischen Funktion des Organs Niere zu berücksichtigen. Auch hier greife die Kausalitätsvermutung.
Der Kläger beantragt, unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 19. Mai 2021 und den Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2013 insoweit abzuändern und als Folgen des Versicherungsfalles vom 30. Mai 2002 anzuerkennen:
– eine partielle Bauchwandparese mit Bauchwandrelaxation infolge der Schädigung des Nervus iliohypogastricus und des Nervus ilioinguinalis rechts mit sensibler und motorischer Schädigung,
– Fehlstatik des Beckens und der Wirbelsäule mit der Notwendigkeit einer interkorporellen Instrumentierung durch Bandscheibenprothese L5/S1,
– Chronic-Fatigue-Syndrom, hilfsweise Neurasthenie,
– reaktiv rezidivierende Depressionen,
– chronisches Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Faktoren F 45.41 mit Verkettungssyndrom,
– Verschlimmerung einer unfallfremden retropatellaren Degeneration des linken Knies,
– chronische Niereninsuffizienz CKD-Stadium 1 bis 2,
– Supraspinatustendinose rechte Schulter infolge des Verkettungssyndroms.
Die Beklagte beantragt, unter Zurückweisung der Berufung des Klägers das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 19. Mai 2021 insoweit abzuändern, als darin eine Neurasthenie mit leicht depressiven Zügen und Elementen eines symptomatischen chronischen Fatigue-Syndroms als weitere Folgen des Versicherungsfalles vom 30. Mai 2002 festgestellt worden sind und diesbezüglich die Klage abzuweisen.
Das Urteil des Sozialgerichts überzeuge hinsichtlich der angenommenen Unfallfolge einer Neurasthenie mit leicht depressiven Zügen und Elementen eines symptomatischen chronischen Fatigue-Syndroms nicht. Diese seien nicht als weitere Folge des Arbeitsunfalles vom 30. Mai 2002 anzuerkennen. Zwar greife auch nach Ansicht der Beklagten die Vermutungsregelung bezüglich der Kausalität. Dennoch stünden diese Gesundheitsschäden nicht im ursächlichen Zusammenhang mit der Lebendnierenspende. Es fehle eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit verschiedenen Belastungen im Leben des Klägers, wie Ereignissen im familiären Bereich oder der Firmeninsolvenz. Es sei fraglich, Berichte aus dem Jahr 2013 für die Begründung eines Ursachenzusammenhangs heranzuziehen. Es könne deshalb nicht nachvollzogen werden, wenn K2 eine kombinierte Persönlichkeitsstörung ablehne. Die Ursachen der Neurasthenie seien nicht vollwissenschaftlich bewiesen. Die Berufung des Klägers sei zurückzuweisen. Bezüglich der vom Kläger zusätzlich begehrten Unfallfolgen sei die Beweiswürdigung des Sozialgerichts nicht zu beanstanden. Es sei nicht erkennbar, inwieweit Bandscheibenschädigungen im Bereich L5/S1, eine Degeneration des linken Kniegelenks und Schädigung der Supraspinatussehne als weitere Spätschäden des Eingriffs anzusehen seien. Man folge insoweit den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen N1. Auch eine chronische Niereninsuffizienz sei nicht nachgewiesen. Nach dem Gutachten von N2 zeige die linke Niere eine erfreulich stabile Nierenfunktion.
Der Senat hat im Berufungsverfahren weitere Unterlagen des Universitätsklinikums C und verschiedene Behandlungsberichte des Klägers aus den Jahren 2014 bis 2023 (vgl. Schriftsatz des Klägers vom 24. September 2024) beigezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den vorliegenden Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufungen sowohl des Klägers als auch der Beklagten sind zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes ) und haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Gegenstand des Verfahrens ist ausschließlich der Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2013. Der Bescheid vom 5. August 2014, mit welchem die Gewährung einer Verletztenrente abgelehnt worden ist, ist nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Ein neuer Verwaltungsakt wird nach Klageerhebung nach § 96 Abs. 1 i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Die Vorschrift gilt unabhängig davon, wer die Berufung eingelegt hat. Die Ablehnung der Gewährung einer Verletztenrente durch den Bescheid vom 5. August 2014 konnte den Bescheid vom 30. Januar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2013 aber bereits deshalb nicht im Sinne der Vorschrift abändern oder ersetzen, da die Beklagte durch Bescheid vom 30. Januar 2012 die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 30. Mai 2002 mit der Begründung abgelehnt hatte, dass ein Versicherungsfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung nicht vorliegt. Sie hat entsprechend die Voraussetzungen einzelner Leistungsansprüche nicht im Einzelnen geprüft. Mit der Ablehnung aller denkbar in Betracht kommenden Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung verlautbarte die Beklagte keine unbestimmte Anzahl eigenständiger Regelungen in einer unbestimmten Vielzahl konkreter Verwaltungsakte i.S.d. § 31 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X), die jeder für sich eigenständig mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage angreifbar wären und angefochten werden müssten, um den Eintritt der Bestandskraft (§ 77 SGG) für jede einzelne dieser Regelungen zu verhindern. Die pauschale Leistungsablehnung ist als bloße Annexfloskel aufzufassen, mit der die Beklagte den Betroffenen an prominenter Stelle lediglich auf die Folgen hinweisen will, die zukünftig eintreten werden, sollte die unter Ziffer 1 enthaltene Ablehnung des Versicherungsfalls unanfechtbar werden (Bundessozialgericht , Urteil vom 16. März 2021 – B 2 U 7/19 R m.w.N., Rn. 12, nach juris). Insoweit verweist auch Ziffer 5 des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2013 folgerichtig darauf, dass hinsichtlich möglicher Leistungsansprüche die Bearbeitung durch die Leistungsabteilung erfolge und dann ein gesonderter Bescheid ergehen werde.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 30. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2013 hat die Beklagte festgestellt, dass es sich bei der Lebendnierenspende vom 30. Mai 2002 um einen Versicherungsfall gehandelt hat und eine partielle Bauchwandparese als Folge des Versicherungsfalles anerkannt. Das Sozialgericht hat diesen Bescheid durch das angefochtene Urteil abgeändert und die Folgen des Versicherungsfalles hinsichtlich der Bauchwandparese neu formuliert, eine Schädigung des Nervus iliohypogastricus und des Nervus ilioinguinalis mit sensiblen Störungen des kaudalen Anteils der schrägen Bauchwandmuskulatur rechts und dadurch verursachte Schmerzen sowie eine Neurasthenie mit leicht depressiven Zügen und Elementen eines symptomatischen chronischen Fatigue-Syndroms als Folge des Versicherungsfalles festgestellt. Hiergegen sind sowohl der Kläger als auch die Beklagte in Berufung gegangen. Der Kläger beanstandet, dass die partielle Bauchwandparese, eine motorische Schädigung infolge der Nervenschädigungen und die Fehlstellung der Wirbelsäule mit der Notwendigkeit einer Bandscheibenprothese, die Verschlimmerung der Degeneration des linken Knies und der Supraspinatustendinose der rechten Schulter keine Berücksichtigung gefunden habe. Darüber hinaus ist er der Ansicht, dass auf psychiatrischem Fachgebiet ein Chronic Fatigue-Syndrom und eine rezidivierende Depression und ein chronisches Schmerzsyndrom anzuerkennen seien. Ferner geht er von einer chronischen Niereninsuffizienz aus. Die Beklagte hingegen geht davon aus, dass auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet weder Elemente eines symptomatischen chronischen Fatigue-Syndroms noch eine Neurasthenie mit leicht depressiven Zügen als Folgen des Versicherungsfalls festgestellt werden könnten. In der Folge hat der Senat die Folgen des Versicherungsfalles der Lebendnierenspende am 30. Mai 2002 umfassend neu zu prüfen.
Zunächst ist dabei festzustellen, dass das Sozialgericht eine Schädigung des Nervus iliohypogastricus und des Nervus ilioinguinalis rechts mit sensiblen Störungen des kaudalen Anteils der schrägen Bauchwandmuskulatur rechts und dadurch verursachte Schmerzen zu Recht als Folgen des Versicherungsfalles festgestellt hat. Rechtliche Grundlage des Feststellungsanspruchs ist § 12a Abs. 1 SGB VII. Danach gilt bei Versicherten nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. b SGB VII auch der Gesundheitsschaden, der über die durch die Blut-, Organ-, Organteil- oder Gewebeentnahme (sowie nach Abs. 2 Satz 1 durch Voruntersuchungen und Nachsorgemaßnahmen) regelmäßig entstehenden Beeinträchtigungen hinausgeht und in ursächlichem Zusammenhang mit der Spende steht, als Versicherungsfall (Satz 1). Werden dadurch Nachbehandlungen erforderlich oder treten Spätschäden auf, die als Aus- oder Nachwirkungen der Spende oder des aus der Spende resultierenden erhöhten Gesundheitsrisikos anzusehen sind, wird vermutet, dass diese hierdurch verursacht worden sind (Satz 2). Dies gilt nicht, wenn offenkundig ist, dass der Gesundheitsschaden nicht im ursächlichen Zusammenhang mit der Spende steht; eine Obduktion zum Zwecke einer solchen Feststellung darf nicht gefordert werden (Satz 3). Dies gilt auch bei Gesundheitsschäden im Zusammenhang mit den erforderlichen Voruntersuchungen und Nachsorgemaßnahmen (§ 12a Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die am 1. August 2012 in Kraft getretenen Vorschriften gelten gem. § 213 Abs. 4 SGB VII auch für Gesundheitsschäden, die in der Zeit vom 1. Dezember 1997 bis zum 31. Juli 2012 eingetreten sind (Satz 1). Ansprüche auf Leistungen bestehen in diesen Fällen ab dem 1. August 2012 (Satz 2).
Der Kläger stand bei der Lebendnierenspende vom 30. Mai 2002 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Gem. § 2 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. b SGB VII sind Personen, die Blut oder körpereigene Organe, Organteile oder Gewebe spenden oder bei denen Voruntersuchungen oder Nachsorgemaßnahmen anlässlich der Spende vorgenommen werden, kraft Gesetzes versichert. Versicherte Verrichtung ist das Spenden, also das Dulden der Entnahme des Organs. Der Spender muss freiwillig und nach Maßgabe des Transplantationsgesetzes (TPG) in seiner jeweils gültigen Fassung in die Entnahme seines Organs durch ein anerkanntes Transplantationszentrum und in die Übertragung des Organs auf einen gesetzlich zugelassenen Empfänger eingewilligt, sich in ein Transplantationszentrum begeben und sich dort der Entnahmeoperation einschließlich der Vor- und Nachbehandlung unterworfen haben. Denn das Gesetz soll nur solchen Lebendorganspendern Unfallversicherungsschutz gewähren, die sich zu einer nach Maßgabe des Transplantationsgesetzes rechtmäßigen Organspende bereitfinden (BSG, Urteil vom 15. Mai 2012 – B 2 U 16/11 R, juris Rn. 12).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Kläger hat sich dem Eingriff nach den Vorschriften des § 8 TPG freiwillig und unentgeltlich zugunsten seines Bruders, eines Verwandten zweiten Grades, unterzogen.
Infolge der versicherten Verrichtung ist es zu Gesundheitsschädigungen gekommen. Ein solcher Gesundheitsschaden „gilt“ gemäß § 12a Abs. 1 Satz 1 SGB VII als Versicherungsfall im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB VII. § 12a Abs. 1 Satz 1 SGB VII nimmt die schon vor seinem Inkrafttreten herrschende Meinung (BSG, Urteil vom 15. Mai 2012 – B 2 U 16/11 R, Rn. 23 ff., nach juris) auf, wonach der für die Lebendorganspende erforderliche chirurgische Eingriff und die damit zwingend verbundene körperliche Integritätseinbuße nicht in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung fallen. Da die versicherte Tätigkeit im Dulden einer Körperverletzung besteht, kommen die mit der rechtmäßigen Transplantation notwendig und regelmäßig verbundenen Gesundheitsschäden nach dem Schutzzweck des § 2 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. b SGB VII nicht als Unfallschäden in Betracht. § 2 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. b SGB VII soll Lebendorganspender gegen alle Gesundheitsbeeinträchtigungen schützen, die durch die Organentnahme verursacht sind und nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft nicht zwingend mit dem operativen Eingriff und einer erforderlichen Vor- und Nachbehandlung einhergehen. In Abgrenzung zur gesetzlichen Krankenversicherung greift die gesetzliche Unfallversicherung erst dann ein, wenn im Zusammenhang mit der Organentnahme beim Organspender gesundheitliche Schäden auftreten, die über die durch die Organentnahme notgedrungen entstehenden Beeinträchtigungen hinausgehen und in ursächlichem Zusammenhang mit der Organentnahme stehen. Die im Gesetz verwendete Formulierung „regelmäßig entstehende Beeinträchtigungen“ bedeutet gegenüber dem früheren Rechtszustand keine inhaltliche Änderung (vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. Januar 2023 – L 3 U 233/18, nach juris). Die Häufigkeit, mit der bestimmte Komplikationen auftreten, hat dementsprechend für das Merkmal der Regelmäßigkeit keine Bedeutung. Einbezogen in den Versicherungsschutz sind auch Spätschäden und Schäden infolge von entnahmebedingten Gesundheitsrisiken. Dadurch wird der Versicherungsschutz gegenüber § 8 Abs. 1 SGB VII erweitert, der diese Arten von Schäden nicht erfasst, weil sie nicht unfallmäßig entstehen oder nach den im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalgrundsätzen ausscheiden.
Der Kläger hat infolge der Nierenentnahme Gesundheitsschädigungen erlitten. Für das Vorliegen eines Gesundheitsschadens gelten die allgemeinen Beweisregeln des Unfallversicherungsrechts. Der Gesundheitsschaden als solcher muss voll bewiesen sein.
Die Beklagte hat durch ihren Bescheid vom 30. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2013 bindend als wesentliche Folgen des Eingriffs eine partielle Bauchwandparese festgestellt. Darüber hinaus hat das Sozialgericht, insoweit auch bindend für den Senat, da keiner der Beteiligten hiergegen in Berufung gegangen ist, eine Schädigung des Nervus iliohypogastricus und des Nervus ilioinguinalis festgestellt. Darüber hinaus hat der Kläger Anspruch auf Feststellung muskulärer Fehlsteuerungen (Dysbalancen) infolge der Teillähmung der rechten Bauchwand (ICD-10: R29.3). Insoweit hat N1 in seinem Sachverständigengutachten für das Sozialgericht vom 1. Juni 2016 überzeugend dargelegt, dass es aufgrund der Schädigung des Nervus ilioinguinalis, des Nervus iliohypogastricus und der Lähmung an der Bauchwandmuskulatur zu muskulären Fehlsteuerungen, sogenannten Dysbalancen, gekommen ist. N1 legt in seinem Gutachten eingehend dar, dass andere Muskelgruppen die Funktion der geschädigten Bauchwandmuskulatur übernehmen mussten, was aufgrund des gestörten Zusammenspiels der Muskulatur zu Verspannungszuständen geführt hat und führt.
Soweit der Kläger darüber hinaus auf orthopädischem Fachgebiet die Implantation einer künstlichen Bandscheibe an der Lendenwirbelsäule L5/S1, den Verschleiß beider Schultereckgelenke und die Degeneration der Kniegelenke als weitere Folge des Versicherungsfalls anerkannt haben möchte, hat die Berufung insoweit keinen Erfolg. Zwar liegen diese Gesundheitsschäden beim Kläger vollbeweislich gesichert vor. Jedoch lässt sich der erforderliche Zusammenhang mit der Lebendnierenspende im Sinne von § 12a Abs. 1 Satz 1 SGB VII nicht begründen. Zunächst ist insoweit festzuhalten, dass diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht regelmäßig mit dem operativen Eingriff der Nierenentnahme und einer erforderlichen Vor- und Nachbehandlung einhergehen. Es handelt sich gerade nicht um typische Folgeerkrankungen einer Nierenentnahme (im Gegensatz zu der Verletzung der beiden Nerven). Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass hinsichtlich der Implantation der Bandscheibe, dem Verschleiß beider Schultereckgelenke und der Degeneration der Kniegelenke von einem Spätschaden im Sinne des § 12a Abs. 1 Satz 2 SGB VII auszugehen wäre, bei welchem der ursächliche Zusammenhang mit der Lebendnierenspende vermutet wird.
Der „Spätschaden“ i.S.d. § 12a Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist dadurch gekennzeichnet, dass er zeitlich nach der Spende einschließlich der unmittelbar danach stattfindenden Behandlung eintritt (Keller in: Hauck/Noftz SGB VII, 3. Ergänzungslieferung 2025, § 12a SGB VII, Rn. 14). Ein weiteres taugliches Abgrenzungskriterium zum „Frühschaden“ existiert nicht (Wittke, Arbeitsunfall Nierenlebendspende, NZS 2020 S. 571/575). Auf den zeitlichen Abstand des Schadenseintritts zur Nierenspende kommt es somit nicht an. Dies wird auch durch die Gesetzgebungsmaterialien gestützt (BT.-Dr. 17/9773 S. 42), wonach es dem Gesetzgeber bei der Einführung dieses neuen Schadensbegriffs nur darauf ankam, dass es keine zeitliche Obergrenze geben soll, ab der ein spendenbedingter Schaden nicht mehr unter Versicherungsschutz stehen sollte. Auch wenn sich diese Aussage nicht konkret auf den Begriff des Spätschadens bezieht, spiegelt sie die Vorstellungen im Gesetzgebungsverfahren wider (Keller a.a.O.).
§ 12a Abs. 1 Satz 2 SGB VII kann entgegen seiner sprachlichen Fassung nicht dahin verstanden werden, dass die Vermutungsregelung einen ursächlichen Zusammenhang des Gesundheitsschadens mit der Lebendorganspende voraussetzt. Die Gesetzesfassung ist lediglich sprachlich misslungen. Zu Beginn werden Nachbehandlungen in den Versicherungsschutz einbezogen, die entweder wegen durch die Lebendorganspende verursachter „ungewollter“ Schäden nach Satz 1 oder die Spende selbst erforderlich werden. Im Anschluss ist von Spätschäden die Rede, die „als Aus- oder Nachwirkungen der Spende oder des aus der Spende resultierenden erhöhten Gesundheitsrisikos anzusehen sind“. Für beide Fallvarianten folgt die Anordnung, dass vermutet wird, „dass diese hierdurch verursacht worden sind“. Es wird also zunächst ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Spende und Nachbehandlungen („dadurch“) sowie Spätschäden (als „Aus- oder Nachwirkungen der Spende“) als bestehend vorausgesetzt, um sodann denselben Ursachenzusammenhang zum Gegenstand einer Vermutung zu machen. Bei wortlautgetreuem Verständnis liefe die Vermutungsregelung unanwendbar ins Leere und würde entgegen der Absicht des Gesetzgebers keine Beweiserleichterung bewirken (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. Januar 2023 – L 3 U 233/18, juris) bzw. hätte einen Anwendungsbereich nur in den Ausnahmefällen der Multikausalität, was ebenfalls mit dem Gesetzeszweck der Förderung der Spendenbereitschaft nicht vereinbar wäre (Keller a.a.O. Rn. 12 und 16). Dass der Gesetzgeber die Vermutungsregel nur für solche Fälle aufstellen wollte, in denen die Kausalität im Sinne der philosophisch-naturwissenschaftlichen Bedingungstheorie hinreichend wahrscheinlich ist, die Ursache jedoch nicht als wesentlich im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung angesehen werden kann, ist ebenso unplausibel, da gerade die Kausalität i.S.d. Bedingungstheorie aus Sicht der Versicherten problematisch ist und deswegen Gegenstand der gesetzlichen Vermutung sein soll (BT.-Dr. 17/9773, S. 41). § 12a Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist daher so zu verstehen, dass zur Anwendung der Vermutungsregel nicht zuvor der ursächliche Zusammenhang zwischen der Lebendorganspende und dem Gesundheitsschaden festgestellt werden muss und dass sie sich sowohl auf die Kausalität i.S.d. Bedingungstheorie als auch auf die Frage der rechtlich wesentlichen Bedingung bezieht. Nach § 12a Abs. 1 Satz 2 SGB VII wird daher der ursächliche Zusammenhang zwischen Spende und Schaden vermutet. Es handelt sich um eine gesetzliche Tatsachenvermutung i.S.d. § 292 Satz 1 ZPO, die unter den Voraussetzungen des Satzes 3 widerlegbar ist.
Die Vermutungsregelung ist einschränkend dahin auszulegen, dass sie nur anwendbar ist, wenn die Spende nach derzeit anerkannten medizinischen Erfahrungssätzen generell geeignet ist, den in Rede stehenden Schaden zu verursachen (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. Januar 2023 – L 3 U 233/18, nach juris). Nach dem Wortlaut des Gesetzes hat die Vermutung des Ursachenzusammenhangs lediglich zwei Tatsachen zur Grundlage, nämlich die Spende und einen Gesundheitsschaden. Sie würde danach grds. für alle Erkrankungen gelten, die sich nach der Spende einstellen. Ihr scheint nicht, wie ansonsten bei gesetzlichen Tatsachenvermutungen, eine vom Gesetzgeber angenommene Erfahrung einer ausreichenden Wahrscheinlichkeit und Häufigkeit der vermuteten Tatsache zugrunde zu liegen (BeckOGK/Ricke, 15. Mai 2025, SGB VII § 12a Rn. 32-35). Dies entspricht jedoch nicht der sowohl im Gesetzeswortlaut als auch in den Gesetzgebungsmaterialien zutage tretenden Absicht des Gesetzgebers.
Diese kommt zum einen in der sprachlogisch widersprüchlichen Formulierung zum Ausdruck, die Vermutung solle nur für Schäden gelten, „die als Aus- oder Nachwirkungen der Spende oder des aus der Spende resultierenden erhöhten Gesundheitsrisikos anzusehen sind“. Im Gesetzgebungsverfahren wurde offenbar vorausgesetzt, dass die Vermutung nicht ohne Tatsachengrundlage eingreifen soll, dass also ein Versicherungsfall nicht aufgrund nur möglicher oder grundlos vermuteter Ursachenzusammenhänge eintreten soll (vgl. dazu Keller a.a.O. Rn. 17). Entsprechendes hatte zuvor in die Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses Eingang gefunden. Danach bezieht sich die Vermutung auf Schäden, die sich als spezielle Aus- oder Nachwirkungen der Spende oder des aus der Spende resultierenden erhöhten Gesundheitsrisikos „ergeben können“ (BT.-Dr. 17/9773, S. 42). Die gesetzliche Vermutungsregel soll demnach nicht ohne sachlichen Grund für jeden zeitlich nach der Spende auftretenden Gesundheitsschaden gelten. Zum anderen war im Gesetzgebungsverfahren auch die Parallelität der neuen Vorschrift zu § 63 Abs. 2 SGB VII bekannt. Denn in der Gesetzesbegründung (BT.-Dr. 17/9773 S. 42) wird darauf verwiesen. Die in § 63 Abs. 2 SGB VII geregelte Tatsachenvermutung beruht indes auf einer Vermutungsbasis in Gestalt schwerster Schädigungen infolge bestimmter Berufskrankheiten, die eine Übersterblichkeit aufweisen und ist dementsprechend auf Todesfälle beschränkt (BeckOGK/Ricke, 15. Mai 2025, SGB VII § 12a Rn. 32-35). Bei § 12a Abs. 1 Satz 2 SGB VII fehlt dagegen eine solche erfahrungsbasierte inhaltliche Grundlage der Vermutung, jeder beliebige Schaden wird – entgegen der erkennbaren Regelungsabsicht – ohne weiteres inhaltlich mit der Spende verknüpft.
Der Senat hält es daher für erforderlich, den Anwendungsbereich der Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut, aber entsprechend dem versicherten Risiko und nach der erkennbaren Regelungsabsicht einzugrenzen („teleologische Reduktion“), wodurch aber der Zweck der Regelung, nämlich eine spürbare Ausweitung des Versicherungsschutzes und dadurch eine indirekte Förderung der Spendenbereitschaft, nicht vereitelt werden darf (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. Januar 2023 – L 3 U 233/18, juris). Da es hier um die Zuordnung eines Gesundheitsschadens zu einer Ursache geht, wenn auch im Rahmen einer Tatsachenvermutung, orientiert sich der Senat dabei an dem allgemeinen beweisrechtlichen Grundsatz, dass die Beurteilung medizinischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge auf dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand aufbauen muss (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R, Rn. 17, nach juris). Grundlage jeder Prüfung eines Kausalzusammenhangs ist demnach, dass die behauptete Ursache nach derzeit anerkannten medizinischen Erfahrungssätzen generell geeignet ist, den in Rede stehenden Schaden zu verursachen. Gegen die Anwendung dieser Grundsätze für die Bestimmung des Geltungsbereichs der Vermutung nach § 12a Abs. 1 Satz 2 SGB VII bestehen keine grundsätzlichen Bedenken.
Die Lebendnierenspende ist nach diesen Grundsätzen nicht generell geeignet, die Implantation einer künstlichen Bandscheibe an der Lendenwirbelsäule L5/S1 zu verursachen. Zunächst ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass es keine anerkannte medizinische Lehrmeinung gibt, welche einen Zusammenhang zwischen einer Lebendnierenspende und der Implantation einer künstlichen Bandscheibe an der Lendenwirbelsäule L5/S1 begründet. Dies ergibt sich aus den Ausführungen des Sachverständigen N1 und auch des nach § 109 SGG gehörten Sachverständigen S3. N1 hat in seinem Sachverständigengutachten vom 1. Juni 2016 insoweit ausgeführt, dass als Folge der beiden ausgefallenen Muskeln am rechten Darmbeinkamm ein Funktionsverlust und eine Stellungsänderung des Beckens zu erwarten ist. Durch die Drehung der Beckenhälfte kommt es zu einer Änderung des Drehzentrums an der Hüfte, was eine sogenannte funktionelle Beinlängendifferenz zur Folge hat. Folge ist, dass beim Kläger eine sogenannte variable Beinlängendifferenz vorliegt. Im Unterschied zur absoluten Beinlängendifferenz, die auf einer messtechnisch nachzuweisenden Verkürzung der Beinlänge beruht, ist die funktionelle Beinlängendifferenz Ausdruck einer veränderten Stellung der Gelenke des Beines zueinander. Anschließend hat N1 unter Bezugnahme auf die Konsensempfehlungen zur Beurteilung von bandscheibenbedingten Berufserkrankungen der BK 2108 ausgeführt, dass bei einer funktionellen Beinlängendifferenz von maximal einem Zentimeter wie im Falle des Klägers es nicht gerechtfertigt ist, von einem relevanten Beckenschiefstand im Hinblick auf die Verursachung eines Bandscheibenschadens im Bereich L5/S1 auszugehen. Nachvollziehbar verweist er darauf, dass nach den Konsensempfehlungen ein Beckenschiefstand mit statischer Skoliose/skoliotischer Fehlhaltung z.B. einer Beinverkürzung um mehr als drei Zentimeter als außerberufliches Risiko eines Bandscheibenschadens aufgefasst wird. Eine solche Beinverkürzung liegt aber beim Kläger nicht vor.
Die Kritik des Klägers am Rückgriff auf die Konsensempfehlungen hat keine Grundlage. In der medizinischen Wissenschaft ist anerkannt, dass Bandscheibenschäden, insbesondere der unteren Lendenwirbelsäule, in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen. Im Hinblick auf die Schwierigkeit der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs bei der BK Nr. 2108 war die medizinische Wissenschaft gehalten, weitere Kriterien zu erarbeiten, die zumindest in ihrer Gesamtschau für oder gegen eine berufliche Verursachung sprechen. Diese sind niedergelegt in den Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung bei den bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule durch die – auf Anregung vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften eingerichtete – interdisziplinäre Arbeitsgruppe (Bolm-Audorff u.a., Medizinische Beurteilungskriterien für bandscheibenbedingte Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Konsensempfehlung zur Zusammenhangsbegutachtung, Trauma- und Berufskrankheit, Heft 3/2005, S. 216). Diese sind auch weiterhin noch aktuell (vgl. hierzu Meyer-Clement/Brandenburg in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Auflage 2024, S. 1456) und stellen nach wie vor eine geeignete Orientierungshilfe bei der Beurteilung, ob Bandscheibenschäden nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand durch berufliche Einwirkungen verursacht worden sind dar (vgl. BSG, Beschluss vom 27. September 2023 – Az.: B 2 U 13/21 R – Rn. 31). Daher bestehen keine Bedenken dagegen zur Klärung der Frage, ab wann von einem relevanten Beckenschiefstand im Hinblick auf die Verursachung eines Bandscheibenschadens im Bereich L5/S1 ausgegangen werden kann, auf die Konsensempfehlungen zurückzugreifen. Dies umso mehr als auch N1 als Sachverständiger hiergegen keine Einwände hat.
Ferner verweist N1 nachvollziehbar darauf, dass es nach den Konsensempfehlungen einer Gesamtexpositionszeit von mindestens zehn Jahren bedarf, um eventuelle Schäden an den Bandscheiben der Lendenwirbelsäule hervorzurufen. Daraus folgert er zu Recht, dass die einseitige Bauchwandlähmung im Falle des Klägers zwar eine Beckenfehlstellung geringen Ausmaßes begründet, diese jedoch nicht als Ursache für die erlittene Degeneration der Bandscheibe L5/S1 infrage kommt. Insoweit war der Zeitraum zwischen der Lebendnierenspende am 30. Mai 2002 und der Implantation der Bandscheibe im Jahre 2004 deutlich zu kurz. Dies hat er in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 23. Juni 2017 nochmal vertieft und dargelegt, dass die beim Kläger vorliegende Beinlängendifferenz nicht geeignet sei, einen Bandscheibenschaden auszulösen oder wesentlich zu verschlimmern. Soweit demgegenüber der nach § 109 SGG gehörte Sachverständige S3 in seinem Gutachten vom 29. Juli 2019 die Implantation der Bandscheibenendoprothese als Spätschaden einordnet, sind seine Ausführungen nicht geeignet, von der Möglichkeit der Geeignetheit einer Lebendnierenspende zur Verursachung einer Bandscheibenimplantation im Bereich L5/S1 auszugehen. Zwar ist es zutreffend, dass das Fehlen einer anerkannten Lehrmeinung nicht zur Verneinung der generellen Geeignetheit der Lebendnierenspende in diesem Zusammenhang führt, jedoch ist es erforderlich, dass Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Lebendnierenspende nicht generell ungeeignet ist, die Notwendigkeit der Bandscheibenimplantation zu verursachen. S3 räumt sowohl in seinem Gutachten vom 29. Juli 2019 als auch in weiteren ergänzenden Stellungnahmen vom 28. Juli 2020 und vom 16. März 2021 selbst ein, dass die Bandscheibendegeneration einem multifaktoriellen Geschehen folgt und durch genetische Faktoren, Lebensbedingungen und Gewohnheiten, Übergewicht, Rauchen, Alkoholkonsum usw. beeinflusst wird. Soweit er der vorhandenen Fehlstatik eine große Bedeutung beimisst, lässt er das von N1 ausführlich dargelegte Zeitmoment völlig außen vor. Letztlich sieht er als entscheidend an, dass im Fall des Klägers der Zeitpunkt der Lebendnierenspende mit dem Symptomatischwerden von Bandscheibenvorfällen korreliere. Dabei übersieht er aber, dass die Notwendigkeit der Implantation einer neuen Bandscheibe bereits zwei Jahre nach der Lebendnierenspende gegeben war und nach gesichertem wissenschaftlichen Erkenntnisstand die Entstehung von Bandscheibendegenerationen bedingt durch Fehlstatik einen erheblich längeren Zeitraum benötigt. Damit besteht keine ausreichende Grundlage für das Eingreifen der Vermutungsregelung zwischen Lebendnierenspende und Bandscheibendegeneration.
Ebenso ist bezüglich der geltend gemachten degenerativen Veränderungen am Kniegelenk der erforderliche Zusammenhang zu verneinen. Sowohl N1 als auch S3 gelangen insoweit zu dem Schluss, dass eine Verschlimmerung einer unfallfremden retropatellaren Degeneration der Kniegelenke nicht habe nachgewiesen werden können. Damit fehlt es bereits an der erforderlichen vollbeweislichen Sicherung eines Gesundheitsschadens. Soweit der Kläger Probleme im rechten Schultereckgelenk auf die Lebendnierenspende zurückführt, ist ein Ursachenzusammenhang im konkreten Fall ebenfalls ausgeschlossen. Es gibt nach den Ausführungen von N1 keinen Erklärungsansatz dafür, warum die seit der Lebendnierenspende im Jahr 2002 bestehende Fehlstatik im Bereich der Bauchwandmuskulatur zu Schädigungen im rechten Schultereckgelenk führen sollte. Auch den Ausführungen von S3 lässt sich Entsprechendes nicht entnehmen.
Der Kläger hat auf neurologisch/psychiatrischem Fachgebiet einen Anspruch darauf, dass ein chronisches Fatigue-Syndrom (ICD-10: G93.3) und eine rezidivierende depressive Störung (ICD-10: F.33) als weitere Folgen des Versicherungsfalles vom 30. Mai 2002 festgestellt werden. Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass bei dem Kläger ein chronisches Fatigue-Syndrom (ICD-10: G93.3) jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats vorliegt. Bereits K2 hat in seinem Sachverständigengutachten vom 10. Mai 2016 beim Kläger ein komplexes Krankheitsbild diagnostiziert und ausgeführt, dass bei ihm zwar im Vordergrund die Symptomatik der Neurasthenie stehe, aber auch ein Erschöpfungs- oder Fatigue-Syndrom besteht. Auf Seite 34 seines Gutachtens geht er ausdrücklich von einer chronischen Erschöpfungssymptomatik aus. Seine Diagnose einer Neurasthenie ist bereits deshalb erheblichen Bedenken ausgesetzt, weil er zum einen von einer chronischen Erschöpfungssymptomatik ausgeht und zum anderen eine leichte chronisch depressive Grundstimmung bejaht. In beiden Fällen ist allerdings die Diagnose einer Neurasthenie nicht mehr gerechtfertigt. Auf Seite 39 seines Gutachtens führt er ausdrücklich aus, dass er einen Kausalzusammenhang zwischen dem chronischen Erschöpfungssyndrom und der Lebendnierenspende im Einklang mit medizinischer Literatur bejaht. Insoweit erschließt sich nicht, warum daraus nicht die naheliegende Konsequenz gezogen wird, ein chronisches Erschöpfungssyndrom als Folge zur Anerkennung vorzuschlagen. Soweit dem entgegenstehend K2 in einer ergänzenden Stellungnahme vom 19. Juni 2017 erneut die Diagnose eines chronischen Erschöpfungssyndroms ablehnt, überzeugt dies nicht. Denn am Ende dieser ergänzenden Stellungnahme führt K2 wiederum aus, dass im Vordergrund das Erschöpfungssyndrom und weniger die depressive Erlebniskomponente stehe. Der Senat weist darauf hin, dass seit dem ICD-10 2023 die Ziffer G93.3 neu gefasst worden ist und es nunmehr chronisches Fatigue-Syndrom heißt. Das Vorliegen dieses chronischen Fatigue-Syndroms wird auch durch die Behandlungsberichte des O-klinikums vom 9. Mai 2018 und dem A Klinikum S4 vom 9. März 2023 gestützt. Es bestehen keine Bedenken dagegen, das chronische Fatigue-Syndrom auf die Lebendnierenspende im erforderlichen Maße ursächlich zurückzuführen. An der grundsätzlichen Eignung der Lebendnierenspende zur Verursachung von chronischen Erschöpfungszuständen besteht kein Zweifel. K2 hat in seinem Gutachten vom 10. Mai 2016 ausgeführt, dass nach dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand eine Nierenentnahme generell geeignet ist, eine chronische Erschöpfungssymptomatik auszulösen. Dies reicht für die Anwendung der Vermutungsregelung aus. Anhaltspunkte dafür, dass andere Faktoren im Fall des Klägers den chronischen Erschöpfungszustand hervorgerufen haben, bestehen nicht. K2 verneint ausdrücklich Vorerkrankungen vor der Nierenentnahme. Dem entspricht, dass vor einer Lebendnierenspende umfangreiche Voruntersuchungen auch auf psychiatrisch/psychologischem Fachgebiet stattfanden, welche eine Eignung des Klägers ergaben. Soweit die Beklagte auf Risikofaktoren im beruflichen/familiären Umfeld des Klägers verweist, hat sich K2 damit auseinandergesetzt und auf bestehende Brückensymptome hingewiesen. Dies entspricht dem Akteninhalt. Bereits im Behandlungsbericht der C über eine Behandlung vom 26. bis 27. März 2003 wird von seit einiger Zeit bestehender allgemeiner Abgeschlagenheit berichtet. Dem entsprechen weitere Behandlungsberichte aus der Zeit danach, wo verschiedenste Diagnosen wegen bestehender Erschöpfungszustände gestellt wurden. Dies erfolgte vor der Privatinsolvenz 2006. Zeitnah zur Nierenspende aufgetretene Brückensymptome liegen somit vor. Bei dieser Sachlage ist es jedenfalls ausgeschlossen, von einer Widerlegung der Vermutungsregelung auszugehen. Eine Verschiebung der Wesensgrundlage wird durch K2 ausdrücklich verneint. Eine Verschiebung der Wesensgrundlage beinhaltet einen Wechsel der Ursache für nach wie vor bestehende Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund eines neuen oder vorbestehenden Gesundheitsschadens der unverändert gebliebenen Krankheitserscheinungen. Dies erfordert den Nachweis, dass die alte, früher bestehende Ursache für die Erschöpfungssymptomatik als wesentlicher Faktor weggefallen und dass eine andere Ursache später an deren Stelle getreten ist (vgl. BSG, Urteil vom 6. Oktober 2020, B 2 U 10/19 R, juris). Der unter dem Begriff Verschiebung der Wesensgrundlage erörterte nachträgliche Wechsel der Ursache ist nach der Kausalitätslehre dabei unter zwei Gesichtspunkten denkbar. Entweder ist ab einem bestimmten Zeitpunkt das Unfallereignis nicht einmal mehr im Sinne einer Conditio sine qua non ursächlich, oder dem Unfallereignis ist ab einem bestimmten Zeitpunkt nur die rechtliche Wesentlichkeit für den fortbestehenden Gesundheitsschaden abzusprechen (Bayerisches LSG, Urteil vom 9. Dezember 2015, L 2 U 496/12, juris). Unabhängig davon, ob diese Grundsätze auf die Vermutungsregelung des § 12a SGB VII ohne Modifikationen angewandt werden können, reichen von der Beklagten angeführte Ereignisse im privaten Umfeld wie die Privatinsolvenz nach den Ausführungen von K2 nicht aus, eine solche Verschiebung der Wesensgrundlage zu bejahen. Er verweist insoweit darauf, dass die späteren Belastungsfaktoren erst als die Beschwerden nach der Nierenentnahme bereits aufgetreten waren, hinzugetreten sind. Anhaltspunkte dafür, dass diesen Faktoren eine dominierende Rolle bei der Fortdauer der Beschwerden zuzusprechen ist, hat K2 nicht feststellen können.
Des Weiteren liegt im Falle des Klägers vollbeweislich gesichert jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eine rezidivierende depressive Störung (ICD-10: F.33) vor. Bereits K2 hat in seinem Sachverständigengutachten vom 10. Mai 2016 eine leichte depressive Symptomatik im Falle des Klägers diagnostiziert. Unabhängig davon, dass vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar ist, warum nicht zumindest die Diagnose einer leichten depressiven Episode nach F32.0 des ICD-10 erfolgte, liegt jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt vollbeweislich gesichert eine rezidivierende depressive Störung im Falle des Klägers vor. Dabei ist zu beachten, dass nach der bei K2 am 21. Januar 2016 erfolgten Begutachtung der Kläger sich in der Folgezeit längere Zeit in psychiatrischer Behandlung befand. So war er z.B. öfters in der O-klinik in Behandlung, wo jeweils eine rezidivierende depressive Störung diagnostiziert wurde. Entscheidende Bedeutung kommt aus Sicht des Senats insoweit dem Entlassungsbrief des A Klinikums S4 vom 9. März 2023 zu, wo sich der Kläger vom 6. Juli 2022 bis zum 9. März 2023 in stationärer Behandlung befand. Dort wurde die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung gegenwärtig schwere Episode mit psychotischen Symptomen gestellt. Diese zeichnet sich nach dem Codierungsschlüssel dadurch aus, dass die Kriterien für eine rezidivierende depressive Störung erfüllt sein müssen, was voraussetzt, dass wenigstens zwei Episoden mindestens zwei Wochen gedauert haben und beide sollen von mehreren Monaten ohne eindeutige affektive Symptomatik getrennt gewesen sein und es müssen die erforderlichen psychotischen Symptome gesichert sein. Dies ist hier nach dem Entlassungsbericht des A Klinikums der Fall. Der Diagnosestellung liegt auch die erforderliche Testdiagnostik zugrunde. Im Verlauf der Behandlung wurden auch verschiedene Ausschlusskriterien durch das A Klinikum überprüft. Dass diese rezidivierende depressive Störung im erforderlichen Umfang auf die Lebendnierenspende zurückzuführen ist, ergibt sich bereits daraus, dass sie auf dem chronischen Fatigue-Syndrom aufbaut. Dies folgt bereits aus dem Gutachten von K2 vom 10. Mai 2016. Darin führt dieser aus, dass die aus seiner Sicht nur leichte chronisch depressive Grundstimmung im Rahmen der aus seiner damaligen Sicht bestehenden Neurasthenie, sprich der Erschöpfungssymptomatik, zurückzuführen ist. Damit sind die Voraussetzungen für die Anwendung der Vermutungsregel erfüllt.
Hingegen hat der Kläger keinen Anspruch darauf, dass eine chronische Schmerzstörung als Spätschaden im Sinne des § 12a Abs. 1 Satz 2 SGB VII anerkannt wird. Insoweit hat K2 in seinem Gutachten vom 10. Mai 2016 ausgeführt, dass die Schmerzen durch die Verletzung des Nervus iliohypogastricus und des Nervus ilioinguinalis rechts ein Begleitsymptom dieser Schädigung darstellt. Soweit das O-klinikum in seinem Behandlungsbericht vom 31. Mai 2021 von einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10: F45.41) ausgeht, kann offenbleiben, ob die Diagnose im Fall des Klägers vollbeweislich gesichert ist. Jedenfalls kann der nach § 12a Abs. 1 Satz 2 SGB VII erforderliche ursächliche Zusammenhang bereits deshalb nicht vermutet werden, weil die Diagnose mit dem Entlassungsbericht der S5 Klinik S6 begründet wurde. Dort wurde allerdings angegeben, dass die anhaltenden schweren und belastenden Schmerzen in mehreren Körperteilen (Flankenschmerz, Rückenschmerzen lumbal und im Brustwirbelbereich, Gelenkschmerz der unteren Extremitäten, rechte Schulter und linkes Knie) vorhanden seien. Das heißt die chronische Schmerzstörung beruht auf Grundleiden, die mit Ausnahme des Flankenschmerzes mit den Folgen der Lebendnierenspende nicht im Zusammenhang stehen.
Auf nephrologischem Fachgebiet können ebenfalls keine Gesundheitsschäden als Spätschaden im Sinne des § 12a Abs. 1 Satz 2 SGB VII unter Anwendung der Vermutungsregelung anerkannt werden. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Entfernung der rechten Niere im Fall der Lebendnierenspende selbst in diesem Zusammenhang nicht als Gesundheitsschaden Anerkennung finden kann. Insoweit erfolgt die Entschädigung des Klägers über die Vorschrift des § 27a SGB V. Hinsichtlich der dem Kläger verbliebenen linken Niere wäre es zwar generell möglich, einen Spätschaden z.B. in Form der Überlastung anzuerkennen. Hierfür liegen aber keine geeigneten medizinischen Befunde vor. Insoweit ist auf das vom Sozialgericht Altenburg eingeholte nephrologische Gutachten vom 15. Februar 2018 zu verweisen. Darin führt N2 aus, dass sich die dem Kläger verbliebene linke Niere sonografisch zwar hypertrophiert und mit deutlichen zystischen Veränderungen darstellt. Zugleich beschreibt er jedoch eine anhand der Verlaufskontrollen dokumentierte erfreulich stabile Nierenfunktion. Soweit er aus nephrologischer Sicht die Möglichkeit einer Progression der zystischen Veränderungen an der linken Niere mit einer möglichen Verschlechterung der Nierenfunktion hinweist, handelt es sich hierbei um eine Möglichkeit, die erst dann relevant wird, wenn sie eintritt. Trotz Aufforderung durch den Senat hat der Kläger keine entsprechenden Nierenbefunde hinsichtlich der linken Niere vorgelegt, die derartiges belegen würden. Vielmehr ist z.B. auf den vorgelegten Entlassungsbericht des A Fachklinikums S4 vom 9. März 2023 zu verweisen, wonach sich die linke Niere leicht kompensatorisch vergrößert mit multiplen Zysten darstellte. Der Parenchymsaum war normal breit und es lag keine Harnstauung vor. Der Befund von parapelvinen Zysten allein rechtfertigt nicht die Annahme einer Funktionseinschränkung der linken Niere. Ausdrücklich Bezug genommen wird insoweit in dem Entlassungsbericht auf eine durchgeführte Sonografie der Niere vom 15. Dezember 2022.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Der Senat geht insoweit von einem überwiegenden Obsiegen des Klägers aus.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.