Skip to content
Menü

Anforderungen an Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung

Hessisches Landessozialgericht – Az.: L 2 R 53/14 – Urteil vom 21.11.2017

I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 17. Januar 2014 geändert und die Klage in dem noch anhängigen Umfang abgewiesen. Die Anschlussberufung des Klägers wird in dem noch anhängigen Umfang zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren zu einem Drittel zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.

Der 1962 geborene Kläger hat in den Jahren 1977 bis 1981 den Beruf des Gas- und Wasserinstallateurs erlernt. Danach orientierte sich der Kläger um und war bei verschiedenen Arbeitgebern (C., D., E.) im Abrechnungs- und Bankenbereich beschäftigt. Von 1986 bis 1988 absolvierte er erfolgreich eine Umschulung zum Bürokaufmann (bankenspezifisch). Danach bestanden bis zum Jahr 2000 diverse Beschäftigungsverhältnisse. Zuletzt war er für eine Schweizer Bank tätig.

Der Kläger stellte am 17. Mai 2010 Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung und verwies dabei u.a. auf HWS- und LWS-Erkrankungen, Arthrose, Osteoporose, Nervenschmerzen und Lähmungen, Tinnitus sowie urologische Beschwerden.

Nachdem der Kläger zu einem Untersuchungstermin in der ärztlichen Untersuchungsstelle der Beklagten nicht erschienen war, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 8. Juli 2010 den Rentenantrag ab. Zur Begründung führte sie aus, trotz Aufforderung sei der Kläger zu den erforderlichen Untersuchungen durch ihren Sozialmedizinischen Dienst nicht erschienen. Dementsprechend hätte nicht festgestellt werden können, ob die Anspruchsvoraussetzungen für die beantragte Rente vorliegen würden.

Der Kläger erhob Widerspruch am 12. August 2010, auf den die Beklagte ein orthopädisches Gutachtens vom 11. November 2010 bei Dr. F. einholte. Der Gutachter stellte nach ambulanter Untersuchung des Klägers vom 8. November 2010 die orthopädischen Diagnosen

1. degeneratives LWS-Syndrom bei Rezidiv-NPP, leichte Knie- und Unterschenkelstreckerschwäche links mit geringer Großzehenheberschwäche rechts,

2. degeneratives Cervikobrachiales Syndrom mit rezidivierenden Pseudo-Cervikobrachialgien bei paramedianem BSV,

3. MFK basisnaher Bruch mit Pseudarthrose rechts,

4. chronische Metatarsalgie beidseits, Vorfußdeformität beidseits,

5. leichtes Impingementsyndrom beider Schultergelenke

und führte unter Berücksichtigung weiterer internistischer Diagnosen aus, der Kläger sei in seinem zuletzt ausgeübten Beruf als Bankkaufmann weiter vollschichtig (überwiegend sitzend) einsatzfähig. Für den allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe ein vollschichtiges Leistungsvermögen hinsichtlich leichter Arbeiten überwiegend im Sitzen, ohne dauerhaftes schweres Heben und Tragen über 10 kg, ohne dauerhafte Zwangshaltungen sowie ohne dauerhaftes Hocken und Ersteigen von Treppen und Leitern.

Nach Veranlassung einer Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes (SMD) vom 16. November 2010 (Dr. G.) lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 29. November 2010 den Rentenantrag des Klägers erneut ab und führte zur Begründung aus, der Kläger erfülle nicht die medizinischen Voraussetzungen für die begehrte Rente. Nach der medizinischen Beurteilung könne er noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.

Durch Widerspruchsbescheid vom 25. Januar 2011 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, der Kläger habe zwar im Zeitpunkt der Rentenantragstellung die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt, er sei jedoch weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Der Kläger könne noch sechs Stunden und mehr täglich leichte Arbeiten mit Einschränkungen ausüben. Es liege auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, sodass es deswegen der Benennung einer Verweisungstätigkeit nicht bedürfe.

Mit der am 23. Februar 2011 erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter und machte geltend, er sei voll erwerbsgemindert bzw. aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die sozialmedizinische Beurteilung von Dr. F., auf die sich die Beklagte gestützt habe, sei nicht verwertbar. Der Kläger verwies im Einzelnen auf die bei ihm bestehenden Erkrankungen (Tinnitus, Gelenkarthrose rechte Hand, Schäden an der Halswirbelsäule, Schäden an der Lendenwirbelsäule, Einschränkungen im Bereich des rechten Beines und des rechten Fußes sowie des linken Fußes, Migräne und Depressionen). Ergänzend legte der Kläger im Verlauf des Verfahrens eine ärztliche Bescheinigung der Frau H., Schmerzzentrum …, vom 9. August 2002 und ein Attest der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie J. vom 27. Oktober 2000 vor.

Im Rahmen der Beweiserhebung zog das Sozialgericht zunächst Befundberichte der behandelnden Ärzte bei (Neurologe und Psychiater Dr. K. vom 18. Juli 2011, Hausarzt Dr. L. vom 4. August 2011, Internist und Hausarzt M. vom 14. Oktober 2011). Sodann gab das Sozialgericht die Erstellung eines neurologischen Sachverständigengutachtens bei Dr. N., Facharzt für Neurologie, in Auftrag. Der Sachverständige gelangte in seinem Gutachten vom 1. Juni 2012 nach ambulanter Untersuchung des Klägers vom 17. April 2012 zu der Beurteilung, auf neurologischem Fachgebiet sei derzeit keine definitive Diagnose zu stellen. Der elektromyografische Befund zeige eine frischere neurogene Schädigung der Unterschenkelmuskeln durch eine Erkrankung der Beinnerven an. Ein eindeutiger Zusammenhang mit der Bandscheibenerkrankung könne im Moment nicht hergestellt werden. Der Erkrankung der Beinnerven komme ein erwerbsmindernder Dauereinfluss zu. Der Kläger sei noch in der Lage, zumindest sechs Stunden täglich leichte Arbeiten mit den im orthopädischen Gutachten von Dr. F. genannten qualitativen Einschränkungen zu verrichten. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit sei auf neurologischem Fachgebiet nicht erkennbar. Die festgestellte Leistungsbeurteilung gelte für die Zeit mehr als drei Monate vor der Rentenantragstellung. Eine internistische Zusatzbegutachtung erscheine nach dem derzeitigen Sachstand nicht erforderlich. Es bestehe jedoch auf diesem Fachgebiet weiterer diagnostischer Klärungsbedarf. Mit ergänzender Stellungnahme vom 26. Juni 2012 teilte der Sachverständige Dr. N. auf Nachfrage des Sozialgerichts mit, eine endokrinologisch-internistische Zusatzbegutachtung zu der Frage nach einer Leistungsbeeinträchtigung durch die Osteoporose und deren Ursache sei sinnvoll.

Das Sozialgericht holte deshalb auch ein Gutachten bei Prof. Dr. O., Internist, Endokrinologe und Diabetologe, vom 31. Januar 2013 ein. Der Sachverständige stellte nach ambulanter Untersuchung des Klägers vom 21. September 2012 die Diagnosen

1. Osteoporose,

2. primärer Hypogonadismus,

3. chronisches Schmerzsyndrom (Stadium III),

4. Zustand nach wiederholten Varikozelen-OP mit Entfernung des Nebenhodens links,

5. Nikotinabusus

und führte sozialmedizinischeseits aus, am Untersuchungstag liege erneut die Konstellation eines primären Hypogonadismus vor. Langdauernder Geschlechtshormonmangel führe regelmäßig zur schweren Osteoporose mit Schmerzen und einem erhöhten Knochenbruchrisiko. Leistungsschwäche und nachlassende Kraft seien eine Folge der abnehmenden Muskelmasse. Neben den vorbekannten Hodenschmerzen linksseitig, den Nackenschmerzen, den lumbalen Rückenschmerzen bei rezidivierenden Bandscheibenvorfällen und der vorliegenden Depression liege auf internistisch-endokrinologischem Fachgebiet eindeutig eine behandlungspflichtige und offenbar nur vorübergehend zwischen 2005 und 2008 ausreichend behandelte Osteoporose vor. Unter Berücksichtigung der getroffenen Feststellungen sei der Kläger noch in der Lage, regelmäßig mehr als drei bis unter sechs Stunden täglich leichte Arbeiten zu verrichten. Hierbei seien folgende Einschränkungen zu beachten: ohne wechselnde Körperhaltung, ohne Überkopfarbeiten, ohne Zeitdruck, ohne Schichtarbeit, ohne Hebe- oder Bückarbeit, ohne Zwangshaltungen, nicht auf Leitern und Gerüsten. Wegen des erhöhten Sturzrisikos sei der Kläger nicht in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel aufzusuchen und zu benutzen und Wege zur Arbeitsstätte von mehr als 500 m viermal täglich innerhalb einer Zeit von jeweils weniger als 20 min zu Fuß zurückzulegen. Das festgestellte Leistungsvermögen bestehe länger als drei Monate vor der Rentenantragstellung. Die therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten seien derzeit nicht ausgeschöpft, sodass die Minderung der Leistungsfähigkeit zwar nicht behoben, aber zumindest gebessert werden könne. Die Einholung eines weiteren Zusatzgutachtens sei aus internistischer Sicht nicht förderlich.

Die Beklagte äußerte sich kritisch zu dem Gutachten von Prof. Dr. O. unter Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 28. Mai 2013 (Dr. P.). Sie schloss sich der Beurteilung des Sachverständigen nicht an und hielt den Kläger weiter für fähig, regelmäßig sechs Stunden und mehr täglich geeignete Arbeiten zu verrichten. Das Sozialgericht holte deshalb eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen hierzu vom 1. August 2013 ein. Prof. Dr. O. hielt darin an seiner im Gutachten dargelegten Leistungsbeurteilung fest.

Durch Gerichtsbescheid vom 17. Januar 2014 hat das Sozialgericht der Klage (teilweise) stattgegeben und die Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 8. Juli 2010 und 29. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Januar 2011 verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1. Dezember 2010 bis 30. November 2016 zu gewähren. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, nach den gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. O. stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger aufgrund der Osteoporose und des Hypogonadismus auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Tätigkeiten nur noch drei bis sechs Stunden täglich verrichten könne. Diese Beurteilung sei schlüssig und widerspruchsfrei, sodass sich das Gericht diese zu Eigen mache. Demgegenüber vermöge die Stellungnahme des medizinischen Dienstes der Beklagten nicht zu überzeugen. Aufgrund der Beurteilung von Prof. Dr. O. sei der Kläger seit dem Zeitpunkt der Rentenantragstellung am 17. Mai 2010 teilweise erwerbsgemindert. Da er keinen Teilzeitarbeitsplatz inne habe und es keinen Teilzeitarbeitsmarkt gebe, erhalte der Kläger eine volle Erwerbsminderungsrente, welche grundsätzlich zu befristen sei. Eine Befristung von drei Jahren bis November 2013 sei angemessen und, da der erste Dreijahreszeitraum bereits abgelaufen sei, sei die Rente weiter bis November 2016 zu befristen.

Die Beklagte hat gegen den ihr am 31. Januar 2014 mittels Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheid am 19. Februar 2014 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Sie folgt weiterhin nicht der Leistungsbeurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. O. und legt eine weitere beratungsärztlichen Stellungnahme (Dr. Q. vom 11. Februar 2014) vor. Ebenso legt sie Versicherungsverläufe des Klägers vom 26. Februar 2014 und 29. September 2015 vor.

Die Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 17. Januar 2014 aufzuheben und die Klage in dem noch anhängigen Umfang abzuweisen sowie die Anschlussberufung des Klägers im Übrigen zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und die Beklagte unter Änderung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 17. Januar 2014 sowie Aufhebung der Bescheide vom 8. Juli 2010 und 29. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Januar 2011 zu verurteilen, ihm über den zugesprochenen Zeitraum vom 1. Dezember 2010 bis 30. November 2016 sowie den anerkannten Zeitraum vom 1. Dezember 2016 bis 30. November 2019 hinaus ab dem 1. Mai 2010 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Kläger hält den Gerichtsbescheid für zutreffend und trägt ergänzend vor, der beratende Arzt Dr. Q. setze sich mit dem ausführlichen Gutachten des Prof. Dr. O. nicht ausreichend auseinander. Er legt ergänzend Befundberichte bzw. Atteste des Dr. K. vom 23. Dezember 2014 und 20. April 2015, des Dr. R. vom 25. September 2014 sowie des Dr. L. vom 17. März 2015 und 11. Mai 2015 nebst weiteren Befundunterlagen vor.

Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes mit Beweisanordnung vom 30. September 2014 Prof. Dr. Dr. S., Klinik für Endokrinologie, Stoffwechsel und Klinische Chemie des Universitätsklinikums Heidelberg zum Sachverständigen bestellt und bei ihm die Erstellung eines Gutachtens nach ambulanter Untersuchung des Klägers in Auftrag gegeben. Es schloss sich ein umfangreicher Schriftverkehr des Klägers bzw. seines Prozessbevollmächtigten mit dem Gericht zur Frage der Zumutbarkeit einer Anreise nach Heidelberg an. Mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2014 lehnte der Kläger den Sachverständigen und zugleich auch die zuständige Berichterstatterin wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die Ablehnungsgesuche hat der erkennende Senat durch Beschlüsse vom 17. November 2014 und 30. Januar 2015 zurückgewiesen. Aufgrund der weiterhin fehlenden Bereitschaft des Klägers, zur Untersuchung nach Heidelberg zu reisen, erstellte der Sachverständige Prof. Dr. Dr. S. das Gutachten schließlich nach Aktenlage (unter Mitwirkung von Prof. Dr. Dr. Dr. T.) unter dem 14. August 2015. Der Sachverständige berücksichtigte folgende Diagnosen:

1. Zustand nach vier Varikozelen-Operationen 1992, 1998 und zweimal im Jahr 1999,

2. Bandscheibendegenerationen an der Halswirbelsäule

3. Bandscheibendegenerationen an der Lendenwirbelsäule mit Bandscheibenprotrusion und Zustand nach Nukleotomie mit Fuß- und Großzehenheberschwäche, rechtsseitiger Fußheberparese, Hypästhesie und ausgefallenen ASR- und PSR-Reflexen,

4. Ileosakralgelenksarthrose rechts,

5. osteoporotische Knochendichteminderung,

6. alte Os metatarsale Fraktur 5. Strahl links, Stressfrakturen 1. und 2. Strahl linker Fuß,

7. Zustand nach Rippenbruch unklarer Ursache 9. Rippe rechts,

8. Echondrom rechter Fuß Os cuneiforme rechts und Osteochondrosis dissecans OSG rechts,

9. Großzehengrundgelenksarthrose rechts,

10. algogenes Psychosyndrom, Spannungskopfschmerzen Panalgesie, Lumboischialgie, Metatarsalgie beidseits, Pseudo-Cervikobrachialgien und chronisches Schmerzstadium,

11. Daumensattelgelenksarthrose rechts,

12. Depression und psychovegetatives Erschöpfungssyndrom,

13. Tinnitus und Durchschlafstörungen,

14. Staub-Allergie,

15. Nikotingenuss,

16. Hyperlipidämie.

Zum beruflichen Leistungsvermögen führte der Sachverständige aus, der Kläger könne leichte Arbeiten (zum Beispiel Verwaltungsarbeiten) im Sitzen oder mit kürzeren Stehphasen täglich sechs Stunden verrichten. Dies gelte für leichte Arbeiten ohne Zwangshaltungen, ohne Überkopfarbeiten, ohne Hebe- und Bückarbeit, nicht auf Leitern und Gerüsten, nicht an gefährlich laufenden Maschinen, in geschlossenen Räumen mit Zimmertemperatur, ohne Akkord-, Schicht- oder Nachtarbeit. Hinsichtlich des Weges zur Arbeitsstelle bestünden keine Einschränkungen, insbesondere nicht hinsichtlich der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Der Kläger könne insoweit täglich viermal 500 m Fußstrecke zurücklegen. Das festgestellte Leistungsvermögen bestehe seit der Rentenantragstellung im Mai 2010. Auf Nachfrage des Senats hat der Sachverständige Prof. Dr. S. mit Schreiben vom 26. November 2015 mitgeteilt, er habe das Gutachten zusammen mit seinem Stellvertreter Prof. Dr. T. erstellt. Die Aktenlage sei vielfach diskutiert und abgesprochen worden, sodass die Endversion des Gutachtens in jeder Hinsicht seiner Einschätzung der medizinischen Situation entspreche.

Sodann hat der Senat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines neuropsychiatrischen Sachverständigengutachtens bei dem Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Neurologie, Innere Medizin, Endokrinologie, Forensische Psychiatrie Prof. Dr. U. vom 17. Oktober 2016, der den Kläger am 23. Mai 2016 ambulant untersuchte. Der Sachverständige führte aus, in der Gesamtwürdigung würden sich von Seiten seines Fachgebietes Hinweise auf eine Persönlichkeitsstörung mit zwanghaften, teils querulatorischen Zügen, am ehesten zu kodieren als kombinierte Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F61.0) ergeben. Für die jetzige psychiatrische Begutachtung stehe unzweifelhaft die Entwicklung der Schmerzsymptomatik im Vordergrund. Anzeichen für eine Depression hätten nicht nachgewiesen werden können. Über Schmerzen, bedingt durch Abnutzungserscheinungen im Stütz- und Bewegungsapparat und Zustand nach mehrmaligen Operationen sowie Knochenschmerzen durch Osteoporose, habe sich bei dem Kläger langsam progredient eine nunmehr anhaltende somatoforme Schmerzstörung gemäß ICD-10 F45.4 entwickelt. Diesem Leiden komme ein erwerbsmindernder Dauereinfluss zu. Unter Berücksichtigung der getroffenen Feststellungen sei der Kläger nur noch in der Lage, unter drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Er könne nur noch leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, ohne Zwangshaltungen, ohne Überkopfarbeiten, ohne Zeitdruck, ohne Nachtarbeit, ohne Hebe- und Bückarbeit, nicht auf Leitern und Gerüsten, nicht an gefährlich laufenden Maschinen und nur geistig einfache Arbeiten verrichten. Betriebsunübliche Pausen seien nicht notwendig. Einschränkungen hinsichtlich des Weges zur Arbeitsstelle bestünden nicht. Der Kläger könne insbesondere noch eine Fußstrecke von mehr als 500 m viermal täglich zurücklegen. Der Sachverständige führte weiter aus, es würden sich Zweifel an der Fähigkeit des Klägers ergeben, sich an die Erfordernisse im Erwerbsleben anzupassen und umzustellen. Insbesondere sei der Kläger nicht in der Lage, sich innerhalb einer Einarbeitungszeit von drei Monaten auf die Erfordernisse einer anderen Tätigkeit einzustellen. Das festgestellte Leistungsvermögen habe noch nicht bei Rentenantragstellung im Mai 2010 bestanden. Die Schmerzerkrankung habe sich langsam progredient entwickelt, sie habe zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung am 23. Mai 2016 bestanden. Ein früherer Zeitpunkt könne bei dem jetzigen Sachstand nicht mit Sicherheit angegeben werden. Es sei im Übrigen unter Berücksichtigung des Krankheitsverlaufs unwahrscheinlich, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könne. Praktisch sei der Kläger seit 16 Jahren aus dem Arbeitsprozess ausgestiegen, seit sechs Jahren laufe das Rentenverfahren und seine Persönlichkeit sei derart zwanghaft eingeengt, dass unter Zugrundelegung der generell schlechten Prognose die anhaltende Schmerzstörung nicht mehr in Bezug auf die Erwerbsfähigkeit zu bessern sei.

Hierauf hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 29. November 2016 und unter Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 11. November 2016 (Dr. V.) ein Vergleichsangebot dahingehend abgegeben, dass sie das Vorliegen von voller Erwerbsminderung seit dem 23. Mai 2016 anerkennt und Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1. Dezember 2016 bis 30. November 2019 im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften gewährt. Die Beklagte tritt der Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. U. entgegen, eine Besserung des Gesundheitszustandes des Klägers mit relevanter Auswirkung auf das Leistungsvermögen sei unwahrscheinlich.

Nachdem der Kläger das Vergleichsangebot nicht angenommen hat, hat der Senat eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. U. vom 6. April 2017 eingeholt. Der Sachverständige führte aus, bei nochmaliger kritischer Würdigung der Zusammenhänge gehe er davon aus, dass der Kläger Entwicklungsmöglichkeiten im Sinne der Resilienz habe mobilisieren können. Er revidiere deshalb seine Beurteilung dahingehend, dass trotz der zwanghaften Persönlichkeitszüge und auch der generell schlechten Prognose von Schmerzstörungen eine Besserung des Gesamtzustandes des Klägers möglich erscheine in dem Sinne, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könne. Soweit die Beklagte im Übrigen eine Rentengewährung bis zum 30. November 2019 vorgeschlagen habe, scheine dies realitätsangemessen zu sein.

Durch Beschluss vom 1. Juni 2017 hat der Senat den Beteiligten gemäß § 101 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einen Vergleich vorgeschlagen, der inhaltlich mit dem Vergleichsangebot der Beklagten übereinstimmt. Der Kläger hat auch diesen Vergleichsvorschlag nicht angenommen. Er regt an, Prof. Dr. U. zu einem Verhandlungstermin zu laden. Im Übrigen vertritt der Kläger die Auffassung, das Gutachten von Prof. Dr. S. sei nicht verwertbar, weil dieser zum Sachverständigen bestellt worden sei, das Gutachten jedoch „hauptsächlich“ Prof. Dr. T. erstellt habe.

Der Senat hat durch weiteren Beschluss vom 28. August 2017 die Berufung des Klägers dem Berichterstatter übertragen.

Wegen aller weiteren Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte durch den Berichterstatter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheiden, weil die Berufung durch Senatsbeschluss vom 28. August 2017 gemäß § 153 Abs. 5 SGG auf den Berichterstatter übertragen worden ist.

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden. Ebenso ist die Anschlussberufung des Klägers statthaft und zulässig. Aufgrund der Berufung und Anschlussberufung erstreckt sich der Streitgegenstand auf den geltend gemachten Rentenanspruch ab dem 1. Mai 2010 und damit auch auf einen Anspruch auf Dauerrente. Ausgenommen ist der durch das im Termin zur mündlichen Verhandlung von der Beklagten abgegebene und von dem Kläger angenommene Teilanerkenntnis erledigte Rentenbezugszeitraum vom 1. Dezember 2016 bis 30. November 2019. Lediglich für diesen bereits anerkannten Zeitraum steht dem Kläger befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Leistungsfalles vom 23. Mai 2016 zu, sodass die Klage unter Änderung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts in dem noch anhängigen Umfang abzuweisen und die Anschlussberufung in dem noch anhängigen Umfang zurückzuweisen war.

Gemäß § 43 Abs. 1 und 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie

1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,

2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und

3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI demgegenüber Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch

1. Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und

2. Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Erwerbsgemindert ist der Vorschrift des § 43 Abs. 3 SGB VI zufolge nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Der für den Nachweis der sog. Vorversicherungszeit im Sinne des § 43 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI maßgebliche 5-Jahres-Zeitraum verlängert sich gemäß § 43 Abs. 4 und § 241 Abs. 1 SGB VI um die im Gesetz im Einzelnen aufgeführten sog. Aufschubzeiten (insbesondere Anrechnungs- und Ersatzzeiten). Gemäß § 43 Abs. 5 SGB VI ist eine Pflichtbeitragszeit von 3 Jahren dann nicht erforderlich, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund eines Tatbestands eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit der Vorschrift des § 53 SGB VI zufolge (z. B. wegen eines Arbeitsunfalls) vorzeitig erfüllt ist. Nach der Sonderregelung des § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufungsfähigkeit außerdem nicht erforderlich für Versicherte, die vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit mit den im Gesetz im Einzelnen aufgeführten sog. Anwartschaftserhaltungszeiten (insbesondere Beitragszeiten, beitragsfreien Zeiten, Berücksichtigungszeiten oder Rentenbezugszeiten) belegt ist oder wenn die Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit vor dem 1. Januar 1984 eingetreten ist. Für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, bedarf es gemäß § 241 Abs. 2 Satz 2 SGB VI keiner Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten.

Die für eine Rente wegen Erwerbsminderung erforderliche allgemeine Wartezeit im Sinne des § 43 Abs. 1 und 2 Nr. 3 SGB VI ist gemäß § 50 Abs. 1 SGB VI erfüllt, wenn vor Eintritt der Erwerbsminderung eine Versicherungszeit von 5 Jahren zurückgelegt ist.

Hiervon ausgehend ist im vorliegenden Fall die Fähigkeit des Klägers, durch erlaubte Erwerbstätigkeit ein Arbeitsentgelt in nicht ganz unerheblichem Umfang zu erzielen (Erwerbsfähigkeit), durch verschiedene Gesundheitsstörungen beeinträchtigt. Unter Berücksichtigung dieser Gesundheitsstörungen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger (erst) seit dem 23. Mai 2016 nur noch in der Lage ist, unter drei Stunden täglich leichte Arbeiten mit Einschränkungen (in wechselnder Körperhaltung, ohne Zwangshaltungen, ohne Überkopfarbeiten, ohne Zeitdruck, ohne Nachtarbeit, ohne Hebe- und Bückarbeit, nicht auf Leitern und Gerüsten, nicht an gefährlich laufenden Maschinen und nur geistig einfache Arbeiten) zu verrichten. Diese Beurteilung des Leistungsvermögens folgt unter Berücksichtigung aller Einzelumstände aus einer Gesamtschau der über den Gesundheitszustand des Klägers vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen und medizinischen Gutachten im Sinne einer Längsschnittbetrachtung. Zwischen den Beteiligten ist nicht mehr streitig, dass das quantitative Leistungsvermögen des Klägers auf unter drei Stunden täglich herabgesunken ist. Dies ergibt sich auch für den Senat zweifelsfrei aus dem im Berufungsverfahren erstellten Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. U., der als Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Neurologie, Innere Medizin, Endokrinologie und Forensische Psychiatrie über breites Fachwissen und umfangreiche Erfahrungen aufgrund langjähriger Sachverständigentätigkeit verfügt. Die Ausführungen von Prof. Dr. U. sind in sich schlüssig, widerspruchsfrei und überzeugend. Die Leistungsbeurteilung wird nach eingehender Befunderhebung mit nachvollziehbarer und einleuchtender Begründung aus den gestellten Diagnosen abgeleitet. Seine abschließende sozialmedizinische Beurteilung zum verbliebenen Restleistungsvermögen ist deshalb für den Senat uneingeschränkt nachvollziehbar.

Im Hinblick auf den Eintritt des Leistungsfalles folgt der Senat ebenfalls der Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. U., wonach die von ihm festgestellte Leistungseinschränkung nicht bereits zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung im Mai 2010 bestanden hat, sondern erst für die Zeit ab der gutachterlichen Untersuchung vom 23. Mai 2016 angenommen werden kann. Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass ein früherer Zeitpunkt nicht mit Sicherheit angegeben werden könne. Davon ausgehend steht zur Überzeugung des Senats fest, dass erst ab dem 23. Mai 2016 die beschriebene Minderung des quantitativen Leistungsvermögens im Sinne eines Vollbeweises angenommen werden kann. Für die Überzeugungsbildung des Senats sind folgende Erwägungen bedeutsam:

Zunächst haben das orthopädische Gutachten von Dr. F., erstellt im Rentenantrags- bzw. Widerspruchsverfahren, und das neurologische Gutachten von Dr. N., eingeholt im erstinstanzlichen Verfahren, noch ein zumindest sechsstündiges Leistungsvermögen des Klägers hinsichtlich leichter Arbeiten mit bestimmten – nicht rentenrelevanten – qualitativen Einschränkungen bestätigt. Erstmals in dem ebenfalls im Verfahren vor dem Sozialgericht eingeholten internistisch-endokrinologischen Sachverständigengutachten von Prof. Dr. O. wird eine quantitative Leistungseinschränkung auf drei bis unter sechs Stunden täglich beschrieben. Zudem hat der Sachverständige ausgeführt, der Kläger sei nicht in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel aufzusuchen und zu benutzen und Wege zur Arbeitsstätte von mehr als 500 m viermal täglich innerhalb von weniger als 20 min zurückzulegen. Die Beurteilung von Prof. Dr. O. sieht der Senat indes als widerlegt an.

Dies ergibt sich zunächst aus dem im Berufungsverfahren erstellten endokrinologischen Sachverständigengutachten von Prof. Dr. S. Soweit der Kläger die Auffassung vertreten hat, das Gutachten sei nicht verwertbar, weil es hauptsächlich von Prof. Dr. T. erstellt worden sei, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Nach § 407a Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) ist der Sachverständige nicht befugt, den Auftrag auf einen anderen zu übertragen (Satz 1). Soweit der Sachverständige sich der Mitarbeit einer anderen Person bedient, hat er diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt (Satz 2). Der Vorschrift ist vorliegend genüge getan. Prof. Dr. S. hat auf Nachfrage des Senats im Schreiben vom 26. November 2015 ausgeführt, dass er das Gutachten zusammen mit seinem Stellvertreter Prof. Dr. T. in der Weise erstellt hat, dass er die Aktenlage vielfach diskutiert und mit ihm abgesprochen hat, sodass die Endversion des Gutachtens in jeder Hinsicht seine Einschätzung entspreche. Daraus leitet der Senat ab, dass zwar Prof. Dr. T. nicht lediglich Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung erbracht hat, beide Ärzte jedoch etwa je zur Hälfte das Gutachten zusammen erstellt haben. Dies reicht für die Kenntlichmachung des Mitwirkungsanteils im Sinne des § 407a Satz 2 ZPO aus. Prof. Dr. S. ist in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. T. in dem nach Aktenlage erstellten Gutachten im Wesentlichen zu der Beurteilung gelangt, der Kläger könne noch leichte Arbeiten (zum Beispiel Verwaltungsarbeiten) im Sitzen oder mit kürzeren Stehphasen täglich sechs Stunden verrichten. Dies gelte für leichte Arbeiten ohne Zwangshaltungen, ohne Überkopfarbeiten, ohne Hebe- und Bückarbeit, nicht auf Leitern und Gerüsten, nicht an gefährlich laufenden Maschinen, in geschlossenen Räumen mit Zimmertemperatur, ohne Akkord-, Schicht- oder Nachtarbeit. Die Wegefähigkeit des Klägers sei nicht eingeschränkt. Dieser könne noch täglich 4 × 500 m Fußstrecke zurücklegen und auch öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Im Übrigen hat der Sachverständige seine Leistungsbeurteilung auf die Zeit seit Rentenantragstellung im Mai 2010 rückdatiert. Damit steht die Beurteilung von Prof. Dr. S. den gutachterlichen Schlussfolgerungen von Prof. Dr. O. hingegen. Der Umstand, dass Prof. Dr. S. sein Gutachten nach Aktenlage erstellt hat, entwertet dieses nicht, denn der Kläger hat die Anreise zum Sachverständigen abgelehnt, ohne dass dies für ihn unzumutbar gewesen wäre. Etwaige Informationsdefizite aufgrund der fehlenden Untersuchung gehen deshalb zu seinen Lasten.

Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen zum Gutachten von Prof. Dr. S. wird Prof. Dr. O. in seiner Leistungsbeurteilung, auf die sich das Sozialgericht gestützt hat, auch widerlegt durch das weiter im Berufungsverfahren eingeholte neuropsychiatrische Sachverständigengutachten von Prof. Dr. U., sodass die Verwertbarkeit des Gutachtens von Prof. Dr. S. letztlich dahingestellt bleiben kann. Prof. Dr. U. hat zwar bei seiner Leistungsbeurteilung bzw. der Frage einer quantitativen Leistungseinschränkung die Schmerzsymptomatik in den Vordergrund gestellt. Er hat hierbei jedoch umfangreich die körperlichen Beschwerden und Erkrankungen (Abnutzungserscheinungen im Stütz- und Bewegungsapparat, Zustand nach mehrmaligen Operationen sowie Knochenschmerzen durch Osteoporose) berücksichtigt. Dementsprechend liegen seiner Beurteilung auch gerade diejenigen Erkrankungen zugrunde, die Prof. Dr. O. zum Anlass genommen hat, von einem quantitativ reduzierten Leistungsvermögen auf drei bis unter sechs Stunden auszugehen (Osteoporose mit Schmerzen und erhöhtem Knochenbruchrisiko, Leistungsschwäche aufgrund abnehmende Muskelmasse, Rückenschmerzen bei rezidivierenden Bandscheibenvorfällen). Die Einschränkung der Wegefähigkeit hat Prof. Dr. O. vordergründig auf die Sturzgefahr (und damit offensichtlich einhergehende Knochenbruchgefahr) gestützt. Dies alles ist Prof. Dr. U. bekannt gewesen, gleichwohl hat er seine Leistungsbeurteilung lediglich auf die Zeit seit seiner Untersuchung bezogen und ist im Übrigen von einer nicht eingeschränkten Wegefähigkeit ausgegangen. Hierbei ist insbesondere bedeutsam, dass Prof. Dr. U. eine Längsschnittbetrachtung der somatoforme Schmerzstörung angestellt und ausdrücklich die Grunderkrankungen (HWS/LWS, Arthrosen, Osteoporose, Nervenschmerzen, Lähmungen) in die Beurteilung der somatoformen Schmerzstörung einbezogen hat. Zudem hat Prof. Dr. U. nachvollziehbar ausgeführt, die somatoforme Schmerzstörung habe sich langsam progredient entwickelt und deshalb sei eine sichere Angabe für die Zeit vor der gutachterlichen Untersuchung nicht möglich. Demgegenüber hat der Internist und Endokrinologe Prof. Dr. O. die erforderliche Gesamtbetrachtung gerade nicht angestellt und seine Leistungsbeurteilung ausschließlich auf die körperlichen Erkrankungen gestützt, wie dies seinen gutachterlichen Ausführungen entnommen werden kann. Dies ist jedoch nicht schlüssig, weil das Krankheitsbild des Klägers nur unvollständig erfasst worden ist.

Nach alledem führt die Längsschnittbetrachtung für die Zeit vor dem 23. Mai 2016 allenfalls zu einem non liquet, wobei der Kläger die objektive Beweislast zu tragen hat. Der vollständige Beweis (Nachweis) für das Vorliegen einer Rentenberechtigung ist erst dann geführt, wenn für das Vorliegen der behaupteten rentenerheblichen Tatsachen ein derart hoher, an Gewissheit grenzender Grad von Wahrscheinlichkeit spricht, dass sämtliche begründeten Zweifel demgegenüber aus der Sicht eines vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen vollständig zu schweigen haben (vgl. hierzu schon: BSG, Urteil vom 28. November 1957, 4 RJ 186/56 = BSGE 6, 142 ff.). Hiervon kann zum Zeitpunkt der Untersuchung des Klägers durch Prof. Dr. O. gerade nicht ausgegangen werden.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass im Falle von divergierenden Beurteilungen von gerichtlich bestellten Sachverständigen – wie sie hier vorliegen – die Einholung eines „Obergutachtens“ nicht geboten ist. Dies schon deshalb, weil „Obergutachten“ im SGG nicht vorgesehen sind (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Beschlüsse vom 6. Dezember 1989, 2 BU 146/89; vom 17. November 2003, B 3 P 23/03 B; vom 23. Mai 2006, B 13 RJ 272/05 B und vom 14. Oktober 2016, B 1 KR 59/16; ebenso Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Kommentar, 12. Auflage, § 128 Rn. 7e).). Entscheidend ist, ob durch einen Sachverständigen ein Absinken des quantitativen Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden oder rentenrelevante qualitative Leistungseinschränkungen nachvollziehbar dargelegt werden. Insoweit ist es grundsätzlich die dem Gericht selbst obliegende Aufgabe, aufgrund der festgestellten Befundlage die vorhandenen Beweise zu gewichten und zu würdigen und schlussendlich zu einer eigenen Überzeugung zu gelangen.

Nach alledem steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Klägerin seit dem 23. Mai 2016 nur noch in der Lage ist, leichte Arbeiten mit den genannten Einschränkungen im Umfang von unter drei Stunden täglich zu verrichten. Dies erfüllt die Voraussetzungen eines Leistungsfalles der vollen teilweisen Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI.

Ausgehend von dem 23. Mai 2016 als Leistungsfall sind vorliegend ausweislich des Versicherungsverlaufes vom 29. September 2015 neben der allgemeinen Wartezeit (§ 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI, § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI) auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI) erfüllt.

Der Anspruch des Klägers auf Rente wegen voller Erwerbsminderung erstreckt sich auf einen Leistungszeitraum vom 1. Dezember 2016 bis 30. November 2019. Insoweit steht dem Kläger nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI lediglich eine befristete Rente zu. Nach dieser Vorschrift werden u.a. Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet. Die Rentengewährung erfolgt nur unbefristet, wenn sie nicht von der Arbeitsmarktlage abhängt und es unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; die letztgenannte Voraussetzung ist bei einer Gesamtdauer der Rentengewährung von neun Jahren stets zu bejahen (§ 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI). Vorliegend ist gerade nicht unwahrscheinlich, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Der Sachverständige Prof. Dr. U. hat auf Nachfrage des Senats mit seiner ergänzenden Stellungnahme vom 6. April 2017 klargestellt, dass er bei nochmaliger kritischer Würdigung nunmehr davon ausgeht, dass trotz der zwanghaften Persönlichkeitszüge und auch der generell schlechten Prognose von Schmerzstörungen eine Besserung des Gesamtzustandes des Klägers im Sinne der Behebung der Minderung der Erwerbsfähigkeit möglich ist. Der Sachverständige hat darauf verwiesen, dass der Kläger Entwicklungsmöglichkeiten im Sinne der Resilienz hat mobilisieren können. Soweit er angesichts dessen seine vorangegangene Beurteilung, eine Besserung der anhaltenden Schmerzstörung sei nicht mehr zu erwarten, revidiert hat, ist auch dies schlüssig und nachvollziehbar, sodass der Senat dem uneingeschränkt folgt.

Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nach § 101 Abs. 1 SGB VI nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet. Der siebte Kalendermonat nach Eintritt der nachgewiesenen Erwerbsminderung begann hier am 1. Dezember 2016, so dass der Leistungszeitraum mit diesem Zeitpunkt beginnt. Soweit die Befristung nach § 102 Abs. 2 Satz 2 SGB VI für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn erfolgt, erstreckt sich vorliegend der Leistungszeitraum längstens bis zum 30. September 2019.

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zugleich, dass ein vor dem 23. Mai 2016 eingetretener Leistungsfall mit entsprechendem Rentenanspruch nicht feststellbar ist. Insofern verbleiben nicht auszuräumende Zweifel, die nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers gehen. Es muss davon ausgegangen werden, dass der Kläger vor dem genannten Zeitpunkt zumindest noch leichte Arbeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich verrichten konnte und sich zur Verwertung seines Restleistungsvermögen auf sämtliche – ihm in gesundheitlicher Hinsicht objektiv zumutbaren – Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes der Bundesrepublik Deutschland verweisen lassen musste.

Davon ausgehend kann der Kläger auch nicht damit gehört werden, dass seine Resterwerbsfähigkeit im Arbeitsleben wegen der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt in der Zeit vor dem 23. Mai 2016 praktisch nicht mehr verwertbar gewesen sei. Denn es gab und gibt zur Überzeugung des Gerichts auf dem für den Kläger in Betracht kommenden Arbeitsmarkt noch eine nennenswerte Zahl von Tätigkeiten, die er trotz seines eingeschränkten Leistungsvermögens ausüben konnte. Unter Berücksichtigung des festgestellten Leistungsvermögens lagen bei dem Kläger insbesondere auch keine ins Gewicht fallenden besonderen Umstände vor, welche die Ausübung einer leichten körperlichen Tätigkeit in ungewöhnlicher Weise erschwert hätten. Insoweit bedarf es im Rahmen der – bezüglich des hier streitigen Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung allein maßgeblichen – Frage nach dem Bestehen realer Erwerbsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsfeld einer besonders eingehenden Prüfung lediglich dann, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine spezifische Leistungsbehinderung festgestellt ist (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 1. März 1984, 4 RJ 43/83 mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 30. November 1982, 4 RJ 1/82) oder wenn der Rentenbewerber wegen eines besonders gearteten Berufslebens deutlich aus dem Kreis vergleichbarer Versicherter heraus fällt (vgl. hierzu: BSG, Urteile vom 27. April 1982, 1 RJ 132/80; vom 18. Februar 1981, 1 RJ 124/79). Derart gravierende Einschränkungen lagen bei dem Kläger für die zu prüfende Zeit vor dem 23. Mai 2016 aber gerade nicht vor, wie dies dem Gutachten von Prof. Dr. U. und dem gesamten medizinischen Berichtswesen entnommen werden kann.

Ob im Übrigen die in Betracht kommenden Arbeitsplätze frei waren oder besetzt, ist für die Entscheidung unerheblich, denn die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten, der wie der Kläger für die Zeit vor dem 23. Mai 2016 noch zumindest sechs Stunden pro Arbeitstag einsatzfähig war, hängt nicht davon ab, ob das Vorhandensein von für ihn offenen Arbeitsplätzen für die in Betracht kommenden Erwerbstätigkeiten konkret festgestellt werden kann oder nicht. Der im Sinne der sog. konkreten Betrachtungsweise auf die tatsächliche Verwertbarkeit der Resterwerbsfähigkeit abstellende Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG, Beschluss vom 10. Dezember 1976, GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75 u. GS 3/76) kann bei diesem Personenkreis grundsätzlich nicht herangezogen werden. Das hat der Gesetzgeber in § 43 Abs. 3 SGB VI nochmals ausdrücklich mit dem Hinweis darauf klargestellt, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer – ungeachtet der jeweiligen Arbeitsmarktlage – unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Ausnahmen können allenfalls dann in Betracht kommen, wenn ein Versicherter nach seinem Gesundheitszustand nicht dazu in der Lage ist, die an sich zumutbaren Arbeiten unter den in der Regel in den Betrieben üblichen Bedingungen zu verrichten, oder wenn er außerstande ist, Arbeitsplätze dieser Art von seiner Wohnung aus aufzusuchen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011, B 13 R 79/11 R). Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend jedoch nicht gegeben.

Für den Kläger ergibt sich bezüglich der vor dem 1. Dezember 2016 und nach dem 30. November 2019 liegenden Zeit im Übrigen auch kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit haben gemäß § 240 Abs. 1 SGB VI bei Erfüllung weiterer Voraussetzungen nämlich nur Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren sind. Der am 18. März 1962 geborene Kläger gehört damit ganz offenkundig nicht zu dem Personenkreis, welcher aus dieser Vorschrift einen Rentenanspruch herleiten kann.

Nach alledem steht dem Kläger (lediglich) ein Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung einer befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. Dezember 2016 bis 30. November 2019 zu. Diesen Anspruch hat der Beklagte bereits im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 21. November 2017 im Rahmen eines Teilanerkenntnis anerkannt, das von dem Kläger angenommen worden ist. Über diesen Anspruch hinausgehende Ansprüche des Klägers bestehen nicht, sodass der angefochtenen Gerichtsbescheid entsprechend zu ändern und die Klage, ebenso wie die Anschlussberufung, in dem noch anhängigen Umfang abzuweisen bzw. zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Verhältnis zwischen Obsiegen und Unterliegen.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Sozialrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Sozialrecht. Wir beraten uns vertreten Sie in sozialrechtlichen Fragen. Jetzt Ersteinschätzung anfragen.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Urteile und Beiträge aus dem Sozialrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!