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Anspruch auf Brustverkleinerungsoperation gegenüber der Krankenkasse

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg – Az.: L 1 KR 85/10 – Beschluss vom 24.05.2012

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin einen Anspruch auf eine Brustverkleinerungsoperation auf Kosten der Beklagten hat.

Anspruch auf Brustverkleinerungsoperation gegenüber der Krankenkasse
Symbolfoto: Von Satyrenko/Shutterstock.com

Die 1960 geborene Klägerin war bei der früheren Beklagten IKK-direkt versichert, die mittlerweile mit der jetzigen Beklagten fusioniert ist (nachfolgend nur: „die Beklagte“). Sie beantragte im Januar 2006 die Kostenübernahme für eine Mammareduktionsplastik und legte dazu eine Verordnung des Gynäkologen Dr. A K vom 10. Januar 2006 mit der Diagnose „Makromastie mit orthopädischen Beschwerden zur Mammareduktion“ vor. Mit Schreiben vom 28. Februar 2006 führte sie ferner aus, seit ihrer frühesten Jugend zu große Brüste zu haben. Diese seien überdies nicht symmetrisch, so dass die Balance dadurch nicht ausgeglichen und gerade die rechte Extremität öfters von Schmerzen betroffen sei. Sie leide ständig unter Schmerzen im HWS-Bereich, die unerträglich seien.

Im Auftrag der Beklagten begutachtete der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. (MDK) am 30. August 2006 die Klägerin. In seinem Gutachten vom 8. September 2006 gelangte er zu den Diagnosen M53.1: Zervicobrachialsyndrom bei Uncarthrose C5/6 und Osteochondrose C6/7 sowie den weiteren Diagnosen E66.9: Adipositas mit Mammahypertrophie und Ptose beidseits, mäßige Asymmetrie rechts größer links. Angesichts des Ganzkörperübergewichtes sei nicht nachvollziehbar, wie eine Mammareduktionsplastik mit einem Resektionsgewicht von insgesamt 1.000 Gramm eine ausreichende Entlastung der Wirbelsäule erreichen könne. Der vollständige Abbau des bestehenden Übergewichtes erscheine zur Entlastung der Wirbelsäule effektiver und wirkungsvoller. Es werde eine Kräftigung der Rückmuskulatur, Rückenschule, Ausschöpfen der Behandlungsmöglichkeiten der Physiotherapie und ggfs. rehabilitative Maßnahmen, Gewichtsreduktion sowie das Tragen eines Stütz-BHs empfohlen.

Die Beklagte lehnte den Antrag daraufhin mit Bescheid vom 9. Oktober 2006 ab.

Die Klägerin erhob Widerspruch und reichte weitere ärztliche Befunde ein. Ihre behandelnde Orthopädin Dr. H bestätigt ihr, seit Januar 2006 an einem Abnehmprogramm teilzunehmen und auch bereits abgenommen zu haben. Der MDK nahm erneut mit Gutachten vom 24. Januar 2007 Stellung.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 2007 zurück. Die Klägerin hat hiergegen am 11. Mai 2007 Klage vor dem Sozialgericht Potsdam (SG) erhoben. Eine Operation zur Mammareduktionsplastik sei medizinisch indiziert. Die Behandlungsmöglichkeiten ihrer orthopädischen Leiden seien erschöpft.

Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt und den Chirurgen Dr. B mit der Erstattung eines sozialmedizinisch-chirurgischen Gutachtens beauftragt. Dieser untersuchte die Klägerin am 20. Februar 2009. In seinem Gutachten vom 23. Februar) ist er zu den Diagnosen einer degenerativen Veränderung und Fehlhaltung der Wirbelsäule, Neigung zu Dorsolumbalgien, rezidivierenden Schultergelenksarthralgien (rechts stärker als links), Mammahypertrophie beidseits, Ptose der Brustdrüsenkörper, geringfügige, ästhetisch nicht beeinträchtigende Asymmetrie der Brustdrüsenkörper links gegenüber rechts sowie deutlichem alimentärem Übergewicht gelangt. Begleitende körperliche Funktionseinschränkungen auf dem Boden der bestehenden Mammahyperplasie beidseits seien nicht festzustellen gewesen. Die von der Klägerin geschilderten Beschwerden im Nacken- und Schultergürtelbereich, im Bereich der gesamten Wirbelsäule und im Bereich der Schultergelenke seien glaubhaft. Ein Brustdrüsenkorrekturoperation im Sinne einer Mammareduktionsplastik beidseits sei medizinisch nicht indiziert. Eine Brustdrüsenkorrekturoperation sei auch aus kosmetischen Gründen nicht erforderlich, da die Größe der Brustdrüsen beidseits sich harmonisch in die gesamte Körperkonstitution einfüge.

Die Klägerin hat gegen dieses Gutachten eingewandt, der Sachverständige sei nicht hinreichend qualifiziert. Die Familienanamnese sei oberflächlich erhoben worden. Auch habe der Sachverständige grundlos die Teilnahme der Tochter als Vertrauensperson bei der Untersuchung abgelehnt. Auch habe er die Untersuchung einerseits unvollständig durchgeführt, andererseits zu viel untersucht. Der Sachverständige hat hierzu in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 21. Juni 2009 Stellung genommen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 10. Dezember 2009 ist die Klägerin anwesend gewesen. Das SG hat die Klage mit Urteil vom selben Tag abgewiesen. Der Klägerin stehe die begehrte Behandlung nicht nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i. V. m. § 39 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zu, da ihre Mammahypertrophie und Ptose beidseits bei geringfügiger ästhetisch nicht beeinträchtigender Asymmetrie keine Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne sei, also kein regelwidriger Körperzustand, der Behandlungsbedürftigkeit und/oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge habe.

Ihre Brustgröße alleine habe nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen keine Funktionseinschränkung. Auch sei sie nicht wegen einer äußeren Entstellung behandlungsbedürftig. Die Kammer sei nach der mündlichen Verhandlung ebenso wie der MDK und der gerichtliche Sachverständige der Auffassung, dass sie in keiner Weise entstellend wirke. Zuletzt gebe es auch weder eine medizinische Notwendigkeit noch eine tatsächliche ursächliche Beziehung zwischen den orthopädischen Beschwerden der Klägerin und der Makromastie.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin.

Im Rahmen eines parallelen Beschwerdeverfahrens hat der Sachverständige unter dem 28. April 2010 erneut eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme abgegeben.

Die Klägerin hat ein neues gerichtliches Sachverständigengutachten gefordert. Ihr Gesundheitszustand habe sich weiterhin verschlechtert, wie sich aus dem von ihr eingereichten sozialmedizinischen Gutachten vom 16. Juli 2010 zur Frage der Gefährdung der Erwerbsfähigkeit ergebe. Sie hat einer ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen Dr. B hierzu widersprochen. Diesem fehle die Sachkunde.

Dieser führt in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22. November 2010 aus, dass sich zwar eine Verschlechterung in den seelischen Verhältnissen der Klägerin gegenüber seinen eigenen Ausführungen im Sachverständigengutachten vom 23. Februar 2009 dokumentieren lasse, somatische Befundverschlechterungen hingegen seien nicht festgestellt worden seien.

Der Senat hat die Klägerin mit Verfügung vom 17./23. März 2011 auf die Möglichkeit des § 109 SGB V hingewiesen, einen von ihr bestimmten Arzt gutachterlich zu hören. Die Klägerin hat daraufhin eine gutachterliche Stellungnahme der Dr. K N vom 30. November 2011 mit den Diagnosen Mammahyperplasie beidseits, Ptosis mammae beidseits, Anisomastie rechts ) links; CUP 90 DD und der Therapieempfehlung Mammareduktionsplastik beidseits eingereicht. Als Gewicht der Klägerin ist dort 84 kg bei einer Körpergröße von 158 cm angegeben.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Änderung des Urteils des Sozialgerichts Potsdam vom 10. Dezember 2009 sowie unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Oktober 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2007 zu verurteilen, die Kosten für eine Mammareduktionsplastik zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Auf die Gerichtsakte und die darin enthaltenen Befundberichte und sachverständige Äußerungen wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Es konnte im Beschlusswege nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden werden. Die Beteiligten sind auf die Absicht, so vorzugehen, mit Verfügung vom 28./29. März 2012 hingewiesen worden.

Die Berufung hat keinen Erfolg. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Ein Anspruch auf Behandlung setzt nach § 27 Abs. 1 SGB V voraus, dass sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder um Krankheitsbeschwerden zu vermindern. Voraussetzung ist also das Vorliegen einer Krankheit, deren Behandlung notwendig ist.

Die bei der Klägerin bestehende Mammahypertrophie ist jedoch keine behandlungsbedürftige Krankheit. Eine solche besteht nach dem SGB V, wenn ein regelwidriger Körperzustand vorliegt. Eine Regelwidrigkeit in diesem Sinne ist wiederum gegeben, wenn der Körperzustand vom Leitbild eines gesunden Menschen abweicht.

Wie bereits das SG zutreffend ausgeführt hat, hat die Größe der Brüste allein keine Funktionseinschränkung zur Folge.

Eine Krankheit kann aber auch vorliegen, wenn eine Entstellung besteht.

Eine solche liegt vor, wenn der Versicherte objektiv an einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit leidet, dass sie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet (BSG, Urt. v. 28.02.2008 – B 1 KR 19/07 R –). Von einer solchen Auffälligkeit berichten weder die untersuchenden Sachverständigen noch bestand diese nach dem Eindruck, den die Kammer des SG von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gewinnen konnte.

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass zur Behandlung der orthopädischen Leiden der Klägerin eine Brustverkleinerungsoperation notwendig ist.

Daher kann der Senat es dahingestellt sein lassen, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen orthopädischen Gesundheitsstörungen und der Brustgröße überhaupt wissenschaftlich belegt ist.

Da die Operation hier nur mittelbar der Bekämpfung der auf orthopädischem Gebiet vorliegenden Krankheiten dienen könnte, könnte sie zwar grundsätzlich auch notwendig im Sinne der § 12 Abs. 1 bzw. § 27 Abs. 1 SGB V sein, wenn sie gezielt der Krankheitsbekämpfung diente (so BSG, U. v. 19.02.2003 – B 1 KR 1/02 R – mit Bezugnahme auf BSGE 85, 56, 59 ff).

Eine solche mittelbare Behandlung bedarf jedoch einer besonderen Rechtfertigung, in welcher eine Abwägung des voraussichtlichen medizinischen Nutzens mit einem möglichen gesundheitlichen Schaden erfolgen muss, da es sich um einen Eingriff an einem funktionell intakten Organ handeln würde.

Eine Operation kann nur in Betracht kommen, wenn alle konservativen orthopädischen Behandlungsmaßnahmen ausgeschöpft sind (so auch dem BSG folgend ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. beispielsweise Urteil vom 14.01.2011 – L 1 KR 197/08).

Hier ist nach wie vor nicht davon auszugehen, dass die Klägerin bereits alle konservativen Behandlungsmethoden zur Beseitigung der chronischen Beschwerden des Stütz- und Bewegungsapparates erschöpfend in Anspruch genommen hat. Einer weiteren Sachaufklärung bedarf es dabei nicht:

Auf die zutreffenden Ausführungen des SG wird zunächst nach § 153 Abs. 2 SGG verwiesen.

Nach den übereinstimmenden Äußerungen des MDK und des gerichtlich bestellten Sachverständigen sollte zunächst durch Abspecken das Gewicht auf ein Normalgewicht reduziert werden, damit der Bewegungs- und Stützapparat entlastet wird. Solange dies nicht der Fall ist, scheidet eine Brustverkleinerung von vornherein aus.

Aus Sicht des Senats besteht dabei kein Anlass, an den gutachterlichen Feststellungen des Dr. B zu zweifeln. Dieser hat die Akten ausweislich seiner gutachterlichen Feststellungen gründlich studiert und die Klägerin adäquat untersucht. Dass ihm bei Anamnese und Untersuchung relevante Fehler unterlaufen sind, ist nicht ersichtlich. Der Senat hat auch keine Zweifel an der fachlichen Kompetenz des Sachverständigen, welcher ihm aus einer ganzen Reihe von Gutachten bekannt ist. Dass sich Ausbildung und Praxis der Orthopäden und der Chirurgen weitgehend decken, ergibt sich bereits aus den einschlägigen Weiterbildungsordnungen. So ist nach der aktuellen Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Berlin der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie einer von sieben möglichen Facharzt-Spezialisierungen innerhalb des Gebiets der Chirurgie.

Vorliegend ist eine Reduzierung des Gewichtes auf ein Normalgewicht nicht (dauerhaft) erfolgt. Die Klägerin ist übergewichtig: Im sozialmedizinischen Gutachten vom 16. Juli 2010 ist vielmehr das Gewicht mit (wieder) 85 kg angegeben, nachdem sie am 20. Februar 2009 nach der Untersuchung von Dr. B 74,8 kg gewogen hatte. Im Attest der Dr. N ist für die Untersuchung am 28. September 2011 als Gewicht der Klägerin 84 kg genannt, bei einer Körpergröße von 158 cm.

Zuletzt hat das SG bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass ein etwa im Zusammenhang mit der Makromastie stehender psychischer Leidensdruck ebenfalls keinen operativen Eingriff rechtfertigt, weil dieser mit psychotherapeutischer Behandlung angegangen werden könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.

Gründe zur Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.

 

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