Landessozialgericht Hamburg – Az.: L 1 KR 45/18 – Urteil vom 02.10.2019
1. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 11. April 2018 wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Krankengeld für den Zeitraum vom 1. Oktober 2013 bis 30. April 2014.
Der Kläger war im Anschluss an eine Beschäftigung als Prokurist arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld. Während des Arbeitslosengeldbezugs erkrankte der Kläger am 24. Januar 2013 arbeitsunfähig u.a. wegen einer rheumatoiden Arthritis. Er erhielt von der Beklagten ab dem 7. März 2013 Krankengeld, für dessen Bezug er fortlaufend Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der ihn behandelnden Ärzte vorlegte.
Im Juli 2013 beauftragte die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Überprüfung der weiteren Arbeitsunfähigkeit des Klägers. Zwischen dem MDK und der den Kläger behandelnden Rheumatologie am … ergab sich sodann ein Schriftwechsel, in dessen Verlauf der behandelnde Rheumatologe Dr. A. im September 2013 darlegte, dass nunmehr unter der Therapie mit Leflunomid nach der aktuellen Reevaluation von einer rückläufigen Krankheitsaktivität auszugehen sei. Es sei ein positives Leistungsbild für den allgemeinen Arbeitsmarkt anzunehmen. Die Praxis stellte dennoch weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen über den gesamten streitbefangenen Zeitraum aus.
Der MDK empfahl der Beklagten auf der Grundlage der Stellungnahme des Dr. A. eine zeitnahe Beendigung des Krankengeldbezuges.
Mit Bescheid vom 25. September 2013 teilte die Beklagte dem Kläger unter Bezugnahme auf die Feststellungen des MDK Nord mit, dass sie die Krankengeldzahlung mit Wirkung zum 30. September 2013 einstellen werde. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2014).
Das Sozialgericht hat auf die Klage hin von Amts wegen ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt, welches der Orthopäde Dr. N. für das Gericht erstellt hat. Dieser hat nach körperliche Untersuchung des Klägers ausgeführt, seiner Einschätzung nach sei unter Berücksichtigung der aktuellen klinischen Befunde, der Befunde, wie sie im zurückliegenden Zeitraum in der bildgebenden Diagnostik erhoben worden seien und auch der labortechnischen Befunde für den in Rede stehenden Zeitraum trotz der bei dem Kläger unzweifelhaft vorliegenden rheumatisch-entzündlichen Erkrankung von einem vollschichtigen Leistungsvermögen für leichte körperliche Arbeiten auszugehen. Zwar bestehe an einer Minderbelastbarkeit der rechten Hand kein Zweifel, gleichwohl seien die klinisch zu erhebenden objektiven Befunde nicht sehr ausgeprägt. Ausweislich der im April 2014 beschriebenen Laborwerte habe auch nur eine geringe, allenfalls geringe bis mäßige humorale Entzündungsaktivität bestanden. Eine spezifische Leistungseinschränkung der rechten Hand dahingehend, dass auch leichte Pack-, Sortier-, Etikettier- oder Montierarbeiten grundsätzlich nicht mehr möglich gewesen seien, könne nicht festgestellt werden. Dies gelte auch für den Zeitraum ab dem 1. Oktober 2013, insbesondere unter Berücksichtigung des Schreibens des behandelnden Rheumatologen des Klägers, Dr. A., vom 11. September 2019, nach welchem unter der Therapie mit Leflunomid von einer rückläufigen Krankheitsaktivität auszugehen sei, mit der Folge, dass ein positives Leistungsbild für den allgemeinen Arbeitsmarkt anzunehmen sei.
Der Kläger hat auf dieses Gutachten hin eine Stellungnahme des Dr. A. vom 1. Oktober 2015 vorgelegt, in welcher es zum Widerspruch zwischen dem Attest vom 11. September 2013 und der weiteren Krankschreibung über den 1. Oktober 2013 hinaus heißt, man habe sich vorgestellt, mit der neuen Basistherapie sei die entzündlich rheumatische Erkrankung besser kontrollierbar. Es habe sich jedoch im weiteren ein therapierefraktärer Verlauf gezeigt, die entzündlich rheumatische Erkrankung sei auch durch die unterschiedlichen Therapieversuche nicht ausreichend unter Kontrolle zu bringen gewesen, so dass die Therapie weiter eskaliert worden bzw. eine deutlich stärkere Therapie eingeleitet worden sei. Im Dezember 2013 sei daher lediglich bestätigt worden, dass dem Kläger eine berufliche Tätigkeit mit überwiegender Computerarbeit durch die Erkrankung nicht möglich sei. Eine weitere Prognose über die Arbeitsfähigkeit sei damit nicht verbunden gewesen.
Auf Antrag des Klägers hat das Sozialgericht sodann ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholt, welches der Facharzt für Innere Medizin und Rheumatologie Dr. I. erstellt hat. Dieser hat insbesondere ausgeführt, zusammenfassend könne anhand der vorliegenden Unterlagen davon ausgegangen werden, dass bei dem Patienten eine oligosymptomatische, sich auf das rechte Handgelenk und die rechte Handwurzel erstreckende, jedoch therapeutisch schwer einzustellende aktive rheumatoide Arthritis vorgelegen habe. Eine weitere Begleitsymptomatik könne nicht festgestellt werden. Insbesondere sei im Arztbrief vom 14. Oktober 2013 eine B-Symptomatik (Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust 10 % in sechs Monaten) ausdrücklich verneint worden. Er schließe sich daher den Einschätzungen des Dr. N. und des Dr. A. an, dass eine Notwendigkeit zur Bescheinigung einer Arbeitsunfähigkeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht bestanden habe. Allgemein leichte Tätigkeiten unter Schonung der rechten Hand hätten durchgeführt werden können.
Das Sozialgericht hat daraufhin mit Urteil vom 11. April 2018 die Klage unter Bezugnahme auf die medizinischen Sachverständigengutachten abgewiesen und ergänzend ausgeführt, die objektive Beweislast für die Tatsachen, die den von dem Kläger geltend gemachten Anspruch auf Krankengeld begründen sollten, trage der Kläger. Lediglich ausnahmsweise sei eine Umkehr der Beweislast möglich, wenn ein Beteiligter die an sich mögliche Beweisführung schuldhaft unmöglich gemacht habe und dadurch der Gegner in Beweisnot gerate. Ein solcher Fall liege hier jedoch nicht vor. Insbesondere könne der Beklagten nicht angelastet werden, dass durch den MDK Nord keine persönliche Untersuchung des Klägers erfolgt sei. Denn nachdem der den Kläger behandelnde Rheumatologe ein positives Leistungsbild für den allgemeinen Arbeitsmarkt bescheinigt habe, habe von Seiten der Beklagten kein Anlass bestanden, eine persönliche Untersuchung des Klägers zu veranlassen.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat gegen das am 2. Juli 2018 zugestellte Urteil bereits am 11. Mai 2018 Berufung eingelegt, mit welcher sie weiterhin vorträgt, der Umstand, dass eine schwere allgemeine Begleitsymptomatik mangels Dokumentation nicht festgestellt werden könne, beruhe darauf, dass eine zeitnahe persönliche Begutachtung des Klägers durch die Beklagte, die vorliegend notwendig gewesen sei, unstreitig vorgerichtlich nicht stattgefunden habe. Eine Begutachtung nach Aktenlage sei nicht ausreichend gewesen. Dies könne ohnehin nur die Ausnahme darstellen. Dass die Beklagte dies versäumt habe, müsse sie sich nun entgegenhalten lassen. Die Gerichtsgutachten seien danach für eine etwaige Arbeitsunfähigkeit des Klägers als Beweismittel nicht geeignet, was zu Gunsten des Klägers bei der Entscheidung habe Berücksichtigung finden müssen. Der Gutachter I. habe zudem selbst darauf hingewiesen, dass die Dokumentation der behandelnden Ärzte unzureichend sei. Aufgrund dieser unzureichenden Dokumentation seien die schweren Leistungseinschränkungen des Klägers und die schwere allgemeine Begleitsymptomatik nicht feststellbar, was zu Lasten der Beklagten gehen müsse.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 11.04.2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25.09.2013 in dergestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Krankengeld in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 01.10.2013 bis zum 30.04.2014 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat zur weiteren Sachverhaltsaufklärung ein berufskundliches Gutachten nach Aktenlage eingeholt, zur Klärung der Frage, ob es für das bei dem Kläger festgestellte Leistungsvermögen insbesondere unter Berücksichtigung der Minderbelastbarkeit der Gebrauchshand ausreichend Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt und welche Tätigkeiten gegebenenfalls in Betracht kommen. Herr M. hat in seiner Stellungnahme vom 14. November 2018 ausgeführt, weder für die computerintensiven Tätigkeiten im kaufmännischen Bereich, für welche eine nicht problemlos zu realisierende Umschulung auf die linke Hand erforderlich sei, noch für besonders leichte Pack-, Montier-, Produktions- und Etikettierarbeiten reiche das Leistungsvermögen der Hände, wie man es den medizinischen Sachverständigengutachten entnehmen könne, aus, um diese wettbewerbsgerecht auszuüben. Jedoch sehe er für den Kläger ein Leistungsvermögen für Tätigkeiten am Empfang auf der nicht ganz einfach ungelernten Ebene. Der größte Teil der Arbeitszeit werde bei diesen Tätigkeiten im Gespräch mit Besuchern/Gästen verbracht. Die Nutzung von Telefon und PC sei zwar notwendig, aber nicht zeitlich überwiegend oder für diese Tätigkeit bestimmend. Insbesondere bei kleineren Betrieben seien diese Arbeiten mit administrativ-verwaltenden Tätigkeiten verbunden, z.B. vorbereitende Arbeiten an der Buchhaltung, der Korrespondenz oder der Erstellung von Statistiken. Im Bereich dieser Tätigkeiten sei eine Ausgliederung an Wachfirmen festzustellen. Die bei diesen eingesetzten Empfangskräfte würden in der Regel auf Kundenwunsch auch langfristig nur in diesem einen Bereich bei diesem Kunden eingesetzt. Eine Rotation sei durch die Unternehmen nicht gewünscht. Diese Tätigkeiten am Empfang seien mit dem Leistungsvermögen des Klägers vereinbar.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat hierauf ausgeführt, dass die Hände des Klägers seinerzeit so stark angeschwollen gewesen seien, dass der Kläger keinerlei Tätigkeiten mehr habe ausführen können. Er habe überdies auch starke Schmerzen gehabt. Die Fehleinschätzung des berufskundlichen Sachverständigen sei darauf zurückzuführen, dass dieser sich auf Gutachten beziehe, die mangels einer früheren Initiative der Beklagten erst 2-3 Jahre nach dem streitgegenständlichen Zeitraum gefertigt worden seien.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 2. Oktober 2019 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten und Unterlagen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist nach §§ 143, 144 SGG statthaft und zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.
Sie ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Krankengeld für die streitige Zeit vom 1. Oktober 2013 bis 30. April 2014, da er im betreffenden Zeitraum gemessen an den ihm rechtlich und gesundheitlich zumutbaren Arbeiten nicht arbeitsunfähig war.
Der Senat nimmt auf die zutreffenden und sehr ausführlichen Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Gründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Lediglich ergänzend sei auf Folgendes hingewiesen:
Wie das erstinstanzliche Urteil zutreffend ausführt, trägt die objektive Beweislast für die Tatsachen, die den geltend gemachten Anspruch auf Krankengeld begründen sollen, der Kläger. Gründe, die eine Umkehr der Beweislast rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Eine persönliche Untersuchung des Klägers durch den MDK wäre zwar möglicherweise aus der ex post – Betrachtung heraus erhellend gewesen wäre, für eine solche gab es seinerzeit aber angesichts der Aussage des behandelnden Rheumatologen „Ein positives Leistungsbild für den allgemeinen Arbeitsmarkt ist anzunehmen“ seitens der Beklagten und des MDK keine Veranlassung. Wenn der Kläger meint, die von seinen behandelnden Ärzten dokumentierten Befunde blieben hinter den erhobenen Befunden zurück und seien deshalb nicht ausreichend, das Ausmaß der Erkrankung zu belegen, so ist zum einen darauf hinzuweisen, dass es selbst bei einer körperlichen Untersuchung durch den MDK nicht dessen Aufgabe ist, umfangreiche Befunde, wie sie als Grundlage einer weiteren Behandlung üblich sind, also Blutbild, MRT, Röntgenaufnahmen o.ä. zu fertigen. Dies ist nicht Sache eines Gutachters, der bloß einen punktuellen Befund feststellt und diesen zu den vorhandenen Behandlungsunterlagen in Relation setzt, sondern nur im weiteren Verlauf einer Erkrankung möglich und sinnvoll und Aufgabe des behandelnden Arztes, insbesondere zur Diagnose und zur Therapieentscheidung. Zum anderen gibt es hier auch anhand aller vorliegenden Befunde und der Stellungnahmen der behandelnden Ärzte keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Ausmaß der Erkrankung den vom Kläger behaupteten Schweregrad zum damaligen Zeitpunkt erreicht hätte. Wie auch der auf Antrag des Klägers beauftragte Dr. I. ausgeführt hat, hat sich die Erkrankung des Klägers zum damaligen Zeitpunkt allen Unterlagen und ärztlichen Stellungnahmen zur Folge im Wesentlichen oligosymptomatisch auf das rechte Handgelenk sowie die rechte Handwurzel beschränkt. Eine B-Symptomatik im Sinne des Auftretens von Fieber, Nachtschweiß und deutlichem Gewichtsverlust wurde vom behandelnden Rheumatologen im Oktober 2013 ausdrücklich verneint, was auch, so Dr. I., dessen Einschätzung der Senat wie schon zuvor das Sozialgericht folgt, bei einem isolierten Befall einer Gelenkregion, nicht untypisch ist.
Dass mit dieser den Kläger zweifellos beeinträchtigenden Erkrankung eine überwiegende Arbeit am Computer nicht mehr möglich war, steht für den Senat ebenso außer Frage wie der Umstand, dass auch leichte Pack-, Sortier-, Etikettier- oder Montierarbeiten grundsätzlich dem Kläger im streitbefangene Zeitraum nicht mehr möglich waren, weil sie einen überwiegenden Einsatz der Gebrauchshand bedingt hätten. Aus den Ausführungen des berufskundigen Sachverständigen M. ergibt sich jedoch ein Leistungsvermögen des Klägers für Tätigkeiten am Empfang auf der nicht ganz einfach ungelernten Ebene. Aus den Ausführungen zur Auslagerung dieser Tätigkeiten auf Wachdienste und zu den Besonderheiten bei kleineren Betrieben folgt, dass derartige Arbeitsplätze auch wieder in ausreichender Anzahl auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sind. Dies entspricht auch den Beobachtungen des Senats, wonach wieder verstärkt Empfangszonen in Betrieben und Behörden eingerichtet und mit Personal bestückt werden. Eine derartige Tätigkeit war dem Kläger zur Überzeugung des Senats und allen medizinischen Stellungnahmen folgend nicht nur gesundheitlich möglich, sie war ihm auch zumutbar, weil, wie das Sozialgericht zu Recht ausführt, im Falle von vorbestehendem Arbeitslosengeldbezug ein positives Leistungsbild für den allgemeinen Arbeitsmarkt für bestehende Arbeitsfähigkeit ausreichend ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.