Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: L 9 SO 435/19 B – Beschluss vom 06.05.2020
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 12.11.2019 abgeändert. Der Klägerin wird für das Klageverfahren ab dem 21.08.2019 ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt L, C, beigeordnet. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
Die zulässige, insbesondere fristgemäße Beschwerde der Klägerin vom 15.11.2019 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 12.11.2019, mit dem es den Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren gegen den die Übernahme von Bestattungskosten in Höhe von 2.434,00 EUR nach § 74 des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 07.02.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.08.2019 abgelehnt hat, ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
1.) Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. der Zivilprozessordnung – (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist dann gegeben, wenn – bei summarischer Prüfung – eine gewisse Möglichkeit des Obsiegens in der Hauptsache – auch im Sinne eines Teilerfolges – besteht (B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 73a Rn. 7 ff. m.w.N.). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussicht ist bei einer Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe durch das Sozialgericht frühestens der Zeitpunkt der Bewilligungs- und damit Entscheidungsreife des erstinstanzlichen Prozesskostenhilfegesuchs, spätestens aber der Entscheidung des Sozialgerichts (s. Senat, Beschl. v. 23.07.2013 – L 9 SO 225/13 B ER, L 9 SO 226/13 B -, juris Rn. 50 m.w.N.; vgl. auch BVerfG, Beschl. der 3. Kammer des Ersten Senats v. 14.04.2010 – 1 BvR 362/10 -, juris Rn. 14; BVerfG, Beschl. der 1. Kammer des Ersten Senats v. 16.04.2019 – 1 BvR 2111/17 -, juris Rn. 25 m.w.N.).
Auf dieser rechtsmaßstäblichen Grundlage hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Unrecht wegen im Zeitpunkt der Entscheidung (12.11.2019) fehlender Erfolgsaussichten des Klageverfahrens gegen den o.a. Bescheid der Beklagten abgelehnt. Denn es spricht mehr dafür als dagegen, dass die Klägerin von der Beklagten die Übernahme von Bestattungskosten in Form der noch nicht gezahlten Friedhofsgebühren in Höhe von 2.434,00 EUR gemäß § 74 SGB XII verlangen kann.
Danach werden die erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen, soweit den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Verpflichteter ist derjenige, den die Kostentragungspflicht rechtlich notwendig im Verhältnis zu Dritten endgültig und damit vorrangig trifft (Senat, Beschl. v. 07.10.2016 – L 9 SO 414/16 B -, juris Rn. 6 unter Bezugnahme auf BVerwG, Urt. v. 13.03.2013 – 5 C 2.02 -, juris Rn. 12). Dies ist wiederum der Fall, wenn er dazu erbrechtlich (§ 1968 BGB), unterhaltsrechtlich (§ 1615 BGB) oder nach dem Bestattungsgesetz NRW – (BestG NRW) verpflichtet ist. Im vorliegenden Fall ist die Klägerin jedenfalls nach Maßgabe des öffentlichen Rechts, namentlich § 8 Abs. 1 Satz 1 BestG NRW hinsichtlich ihrer am 04.09.2017 verstorbenen Mutter bestattungspflichtig gewesen. Danach sind in der nachstehenden Rangfolge zur Bestattung verpflichtet Ehegatten, Lebenspartner, volljährige Kinder, Eltern, volljährige Geschwister, Großeltern und volljährige Enkelkinder (Hinterbliebene). Hiernach war die Klägerin insbesondere gegenüber ihrer Tante und Schwester ihrer verstorbenen Mutter, Frau N, vorrangig zur Bestattung verpflichtet. Ob die Klägerin auch in ihrer Eigenschaft als Alleinerbin ihrer Mutter die Kosten der Beerdigung als Nachlassverbindlichkeit nach § 1968 BGB zu tragen hatte oder ob die entsprechende Verpflichtung durch Abschluss des (zivilrechtlichen) Bestattungsvertrages und Begründung einer öffentlich-rechtlichen (Friedhofs-)Gebührenpflicht seitens ihrer Tante erloschen ist, kann hier dahinstehen, weil sich eine Verpflichtung der Klägerin i.S.d. § 74 SGB XII jedenfalls nach Maßgabe des § 8 Abs. 1 Satz 1 BestG NRW ergeben hat. An dieser Verpflichtung hat sich, anders als die Beklagte meint, weder durch den Abschluss des zivilrechtlichen Bestattungsvertrages noch den Erlass des Friedhofsgebührenbescheides seitens bzw. gegenüber der Tante der Klägerin etwas geändert. Insbesondere meint die sozialhilferechtliche Anspruchsnorm des § 74 SGB XII mit „Verpflichteter“ nicht zwangsläufig die Person, die den Werkvertrag mit dem Bestattungsunternehmen geschlossen hat, sondern denjenigen, der letztlich verpflichtet ist, die Bestattungskosten zu tragen (Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 74 Rn. 12). Dies war im vorliegenden Fall allein die Klägerin.
Soweit die Beklagte weiterhin geltend macht, dass die Klägerin nicht beschwert sei, weil die Bestattung ihrer Mutter weder von ihr in Auftrag gegeben noch sie Adressatin des Gebührenbescheides vom 27.09.2017 geworden sei, beruht dies auf einer Verkennung der Rechtslage. Denn sieht sich – wie hier – ein nach Maßgabe öffentlich-rechtlicher Vorschriften Bestattungspflichtiger einem Aufwendungsersatzanspruch eines Geschäftsführers ohne Auftrag ausgesetzt (§§ 683, 670 BGB), bleibt er Verpflichteter i.S.d. § 74 SGB XII und hat bei Mittellosigkeit nach wie vor einen Anspruch auf Kostenübernahme gegen den Sozialhilfeträger. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Urteil vom 17.11.2011 – III ZR 53/11 -, dem der Fall eines von einem Bestattungsunternehmen (Kläger) gegen die von dem Verstorbenen zu dessen Lebzeiten getrennt lebende Ehefrau (Beklagte) geltend gemachten Aufwendungsersatzanspruchs hinsichtlich der Beisetzungskosten zu Grunde lag, die Voraussetzungen einer Zahlungspflicht der Beklagten nach §§ 677, 683, 679, 670 BGB bejaht und in diesem Zusammenhang zum Verhältnis zu einem Anspruch auf Kostenübernahme gegen den Sozialhilfeträger nach § 74 SGB XII das Folgende ausgeführt (s. juris Rn. 22, Hervorhebungen von dem erkennenden Senat):
„Wäre der Kläger nicht als Geschäftsführer ohne Auftrag tätig geworden, so hätte die Gemeinde im Wege der Ersatzvornahme die Bestattung vornehmen lassen und anschließend wegen der Bestattungskosten gegen die Beklagte als „erstrangig“ Bestattungspflichtige einen Leistungsbescheid erlassen (vgl. BVerwG NVwZ-RR 1995, 283). Ein derartiges Vorgehen der Gemeinde hätte die Beklagte nur dadurch vermeiden können, dass sie – durch Abschluss eines Bestattungsvertrags – die Beerdigung selbst hätte durchführen lassen. In beiden Fällen wäre sie „Kostenschuldnerin“ geworden. Freilich wären die daraus drohenden wirtschaftlichen Nachteile dadurch abgemildert worden, dass die Beklagte bei Unzumutbarkeit der (endgültigen) Kostentragung nach § 74 SGB XII vom zuständigen Sozialhilfeträger die Übernahme der Bestattungskosten hätte erlangen können (vgl. BVerwGE 114, 57, 58 f zu § 15 BSHG; Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl., § 74 Rn. 15). Gerade wegen der Möglichkeit einer Kostenübernahme durch den Sozialhilfeträger besteht im Übrigen auch kein Anlass, einen Angehörigen von seinen Bestattungspflichten freizustellen, wenn – wie hier – die Familienverhältnisse gestört sind (vgl. Berlit in LPK-SGB XII, 8. Aufl., § 74 Rn. 7). Für den Fall, dass sich der nach Maßgabe der öffentlich-rechtlichen Vorschriften Bestattungspflichtige dem Aufwendungsersatzanspruch eines Geschäftsführers ohne Auftrag ausgesetzt sieht, gilt nichts anderes. Auch dann hat der mittellose Bestattungspflichtige gegen den Sozialhilfeträger Anspruch auf Kostenübernahme nach § 74 SGB XII.“
Der vorliegende Fall ist mit der Sachverhaltskonstellation, welche dem o.a. Urteil des BGH zu Grunde gelegen hat, vergleichbar. Denn wäre die Tante der Klägerin, obwohl sie hierzu als Schwester ihrer verstorbenen Mutter rechtlich nicht verpflichtet gewesen wäre (weder als Erbin noch als Bestattungspflichtige nach Maßgabe des § 8 Abs. 1 Satz 1 BestG, s.o.), nicht tätig geworden und hätte den Bestattungsvertrag abgeschlossen und sich zur Übernahme der Friedhofsgebühren nach Erlass des Gebührenbescheides verpflichtet, hätte die Beklagte auch hier im Wege der Ersatzvornahme die Bestattung vornehmen lassen müssen und dann nicht die Tante, sondern bei unterstelltem rechtmäßigen Vorgehen die vorrangig zur Bestattung verpflichtete Klägerin per Leistungsbescheid herangezogen. Dies hätte die Klägerin wie im Fall des BGH nur dadurch vermeiden können, dass sie anstelle ihrer Tante die Beisetzung ihrer Mutter mit allen Kostenfolgen veranlasst hätte, wozu sie aufgrund ihres damaligen Gesundheitszustandes wohl nicht in der Lage gewesen wäre. Dann aber hätte sie bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 74 SGB XII in jedem Fall einen Anspruch gegen die Beklagte auf Kostenfreistellung bzw. Kostenübernahme gehabt. Etwas anderes ergibt sich im Anschluss an die Ausführungen des BGH auch und gerade nicht dadurch, dass die Tante, Frau N, dieses Geschäft der Klägerin übernommen hatte (s. sogleich). Insoweit setzt sich in dem (mittlerweile auch geltend gemachten) Aufwendungsersatzanspruch der Frau N gegen die Klägerin nach §§ 683, 670 BGB die endgültige „Verpflichtung“ der Klägerin nach § 74 SGB XII fort.
Auch die sonstigen Voraussetzungen für einen Anspruch der Tante der Klägerin gegen diese aus Geschäftsführung ohne Auftrag dürften nach summarischer Prüfung vorliegen, insbesondere das Vorliegen eines sog. objektiv fremden Geschäfts. Denn ein Anspruch nach § 683 BGB setzt voraus, dass der Geschäftsführer das Geschäft auch subjektiv nicht (nur) als eigenes, sondern (auch) als fremdes führt, also in dem Bewusstsein und mit dem Willen, zumindest auch im Interesse eines anderen zu handeln. Hier hat die Tante der Klägerin mit der Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Bestattungspflicht der Klägerin ein objektiv fremdes Geschäft ausgeführt. Bei derartigen Geschäften, die schon ihrem Inhalt nach in einen fremden Rechts- und Geschäftskreis eingreifen, wird regelmäßig ein ausreichender Fremdgeschäftsführungswille vermutet (s. zum Vorstehenden BGH, Urt. v. 17.11.2011 – III ZR 53/11 -, juris Rn. 16).
Ferner ist es im vorliegenden Verfahren der Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe unschädlich, dass Frau N ihren Aufwendungsersatzanspruch gegenüber der Klägerin, soweit ihre Zahlungspflicht gegenüber der Beklagten fortbestehen sollte, erstmals mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 24.11.2019 und damit erst nach dem hier angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts vom 12.11.2019 geltend gemacht hat. Denn dieser Anspruch entstand bereits mit der Vornahme des Geschäfts, also dem Abschluss des ursprünglichen Bestattungsvertrages sowie der Begründung der Gebührenverbindlichkeit gegenüber der Beklagten im September 2017. Insofern entspricht die dargestellte Rechtslage derjenigen im Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs bzw. der Entscheidung des Sozialgerichts, so dass hier dahinstehen kann, ob eine erst im Beschwerdeverfahren eintretende Änderung der Sach- und Rechtslage zugunsten der Klägerin berücksichtigt werden kann, solange das erstinstanzliche Klageverfahren noch anhängig ist (s. zum Streitstand HessLSG, Beschl. v. 21.10.2010 – L 7 SO 67/10 B -, juris Rn. 14).
Endlich dürfte der Klägerin die Kostentragung auch unzumutbar i.S.d. § 74 SGB XII gewesen sein. Neben der sich aus anderen (zivilrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen) Rechtsgrundlagen ergebenden Pflicht zur Tragung der Bestattungskosten ist die Unzumutbarkeit der Kostentragung eine eigenständige, die Bedürftigkeitsprüfung nach § 19 Abs. 3 SGB XII überlagernde Leistungsvoraussetzung (vgl. hierzu BSG, Urt. v. 29.09.2009 – B 8 SO 23/08 R -, juris Rn. 14 ff.). Eine besondere Bedeutung kommt gleichwohl im Rahmen der Prüfung der Zumutbarkeit den wirtschaftlichen Verhältnissen des Verpflichteten zu. Liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB II oder dem SGB XII vor, ist nämlich regelmäßig von Unzumutbarkeit auszugehen (s. nur BSG, Urt. v. 04.04.2019 – B 8 SO 10/18 R -, juris Rn. 15 f. m.w.N.). Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Bedürftigkeit bzw. Unzumutbarkeit aus anderen Gründen ist nach Sinn und Zweck der Regelung des § 74 SGB XII sowie nach allgemeinen sozialhilferechtlichen Grundsätzen die Fälligkeit der jeweiligen Forderungen, die den Bestattungskosten zu Grunde liegen; denn der „Leistungsfall“ ist die Verbindlichkeit, nicht die erforderliche Bestattung selbst (BSG, Urt. v. 29.09.2009 – B 8 SO 23/08 R -, juris Rn. 17; BSG, Urt. v. 04.04.2019 – B 8 SO 10/18 R -, juris Rn. 17). Im vorliegenden Fall ist auf den Monat September 2017 abzustellen, da der hier maßgebliche Bescheid der Beklagten über Friedhofsgebühren am 27.09.2017 erlassen wurde. Nach den Angaben der Klägerin sowie nach Aktenlage stand und steht sie im langjährigen Bezug von Leistungen der Grundsicherung im Alter bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII bei der Stadt C (s. etwa Bescheid vom 30.07.2019). Das Nähere zu den finanziellen Verhältnissen der Klägerin wird das Sozialgericht ggf. aufzuklären haben.
2.) Die Klägerin ist als Bezieherin von Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen außerstande, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 115 ZPO), so dass ihr ratenfreie Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zu bewilligen ist.
3.) Die Beiordnung folgt unabhängig vom Wert des Streitgegenstandes im Hinblick auf die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage aus § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO.
4.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
5.) Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar, § 177 SGG.