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Arbeitslosengeldanspruch bei Eintritt der Arbeitslosigkeit an Sonnabend

SG Nordhausen – Az.: S 18 AL 615/19 – Urteil vom 20.04.2021

Der Bescheid vom 26. Februar 2019 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 25. März 2019, des Widerspruchsbescheids vom 26. März 2019 und des Aufhebungsbescheids vom 29. Mai 2020 wird abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger auch für den 19. und 20. Februar 2019 Arbeitslosengeld in Höhe von täglich 21,98 € zu gewähren.

Die Beklagte hat 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist der Beginn des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) streitig.

Dem 1956 geborenen Kläger bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 27. August 2018 Alg für 620 Kalendertage mit einem Leistungsbetrag von 27,04 € täglich ab 26. Juli 2018. Mit Bescheid vom 19. November 2018 hob die Beklagte die Bewilligung ab 15. September 2018 wegen Arbeitsaufnahme ganz auf.

Mit Schreiben vom 22. November 2018 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum Ablauf des 8. Dezember 2018, wobei es gemäß der Arbeitsbescheinigung bis zum 10. Dezember 2018 bestand. Anschließend bezog der Kläger Krankengeld und war laut ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum 18. Januar 2019 arbeitsunfähig erkrankt.

Bereits am 30. November 2018 und 11. Januar 2019 meldete sich der Kläger persönlich bei der Beklagten arbeitslos und -suchend. Dabei erteilte die Beklagte folgende Hinweise: Er könne sich nicht während einer Arbeitsunfähigkeit melden und solle eine erneute persönliche Vorsprache sofort nach der Genesung unternehmen. Zur Vermeidung von Nachteilen sei eine Vorsprache am letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit empfohlen, wenn die Agentur für Arbeit am ersten Tag der Genesung nicht dienstbereit sei.

Arbeitslosengeldanspruch bei Eintritt der Arbeitslosigkeit an Sonnabend
(Symbolfoto: Mo Photography Berlin/Shutterstock.com)

Bei einer erneuten Konsultation des Arztes am 18. Januar 2019 (Freitag) erfolgte keine weitere Krankschreibung. Am 21. Januar 2019 (Montag) meldete sich der Kläger mit Wirkung zum 19. Januar 2019 arbeitslos und schränkte seine Arbeitszeit auf wöchentlich nur noch höchstens 30 Stunden ein. Mit Bewilligungsbescheid vom 19. Februar 2019 bewilligte die Beklagte dem Kläger vorläufig dem Beginn nach Alg ab 21. Januar 2019 für 570 Kalendertage und mit einem Leistungsbetrag von 21,98 € täglich. Zur Begründung der Vorläufigkeit gab sie an, dass die Bescheinigung für Krankengeld fehle.

Hiergegen erhob der Kläger am 22. Februar 2019 Widerspruch und führte zur Begründung aus: Die Arbeitslosmeldung sei am 21. Januar 2019 erfolgt, aber seit dem 19. Januar 2019 sei er wieder arbeitsfähig geschrieben. Am ersten Tag der Genesung sei die Agentur für Arbeit nicht dienstbereit, sondern geschlossen gewesen. Er habe sich schon vorher zweimal gemeldet, sei jedoch wieder weggeschickt worden, da er noch arbeitsunfähig geschrieben gewesen sei. Es sei ferner nicht richtig, dass er die durchschnittlichen Arbeitsstunden nicht leisten wolle. Er möchte und könne 40 Stunden wöchentlich arbeiten.

Mit Änderungsbescheid vom 26. Februar 2019 erfolgte die abschließende Bewilligung der bereits vorläufig festgesetzten Leistungen. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 25. März 2019 setzte die Beklagte die Leistungshöhe ab 1. März 2019 auf 27,43 € fest.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26. März 2019 wies die Beklagte den Widerspruch nach Erteilung der Änderungsbescheide als unbegründet zurück und führte insbesondere aus: Nur wenn die persönliche Arbeitslosmeldung bei der zuständigen Agentur für Arbeit nach § 141 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) deshalb nicht erfolgen könne, weil diese Stelle am ersten Tag der Beschäftigungslosigkeit des Arbeitslosen nicht dienstbereit sei, wirke nach Abs. 3 der Vorschrift eine persönliche Meldung an dem nächsten Tag, an dem die Agentur für Arbeit dienstbereit sei, auf den Tag zurück, an dem sie nicht dienstbereit gewesen sei. Die Rückwirkung auf den ersten Tag der Beschäftigungslosigkeit beziehe sich ausschließlich auf die Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses bei einem Arbeitgeber.

Hiergegen hat der Kläger wegen des Anspruchsbeginns Klage erhoben und begründet diese mit einer Bezugnahme auf sein Widerspruchsvorbringen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Bescheid vom 26. Februar 2019 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 25. März 2019, des Widerspruchsbescheids vom 26. März 2019 und des Aufhebungsbescheids vom 29. Mai 2020 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm auch für den 19. und 20. Februar 2019 Alg in Höhe von täglich 21,98 € zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und ergänzt: Bei seinen persönlichen Vorsprachen am 30. November 2018 und 11. Januar 2019 habe das genaue Ende der Arbeitsunfähigkeit noch nicht festgestanden.

Mit Bescheid vom 24. März 2020 hat die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See dem Kläger Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 1. Juni 2020 bewilligt. Hierauf bezugnehmend hat die Beklagte mit Bescheid vom 29. Mai 2020 die Bewilligung von Alg ab 1. Juni 2020 aufgehoben.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung. Auf diese Unterlagen wird wegen des weiteren Sach- und Streitstands ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

A. Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (Schreiben vom 2. bzw. 9. Februar 2021, Bl. 21 bzw. 23 der Gerichtsakte).

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Beginn des Anspruchs auf Alg und nicht mehr dessen Höhe, nachdem der Kläger seine Klage in zulässiger Weise beschränkt hat.

Streitgegenständlich ist der Bescheid vom 26. Februar 2019 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 25. März 2019, des Widerspruchsbescheids vom 26. März 2019 und des Aufhebungsbescheids vom 29. Mai 2020. Die Bescheide vom 26. Februar und 25. März 2019 sind nach § 86 SGG zum Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden, das der Kläger gegen den nach § 328 SGB III vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 19. Februar 2019 führte (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 5. Juli 2017 – B 14 AS 36/16 R – SozR 4-1500 § 86 Nr. 3). Letzterer hat sich jedoch durch die abschließende Bewilligung vom 26. Februar 2019 erledigt (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2017 – B 14 AS 36/16 R – SozR 4-1500 § 86 Nr. 3). Der Aufhebungsbescheid vom 29. Mai 2020 ist nach § 96 SGG zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden und bewirkt, dass noch ein erfüllbarer Restanspruch auf Alg verblieben ist.

Sein Begehren macht der Kläger – nach Auslegung – in zulässiger Weise mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 SGG) geltend.

B. Die Klage ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Alg auch für den 19. und 20. Februar 2019. Nach § 137 Abs. 1 SGB III setzt ein solcher Anspruch voraus, dass ein Arbeitnehmer, der – wie der Kläger – die Anwartschaftszeit erfüllt hat, arbeitslos ist (dazu I.) und sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat (dazu II.).

I. Der Kläger war bereits am 19. und 20. Januar 2019 arbeitslos. Arbeitslos ist nach § 138 Abs. 1 SGB III, wer Arbeitnehmer ist und nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit), sich bemüht, die eigene Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen), und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit). Diese Voraussetzungen erfüllte der Kläger, der jedenfalls seit Anfang Dezember 2018 beschäftigungslos war, nachdem seine der Verfügbarkeit entgegenstehende Arbeitsunfähigkeit am 18. Januar 2019 endete. Dass die streitgegenständlichen Tage auf ein Wochenende fielen, ist unerheblich. Ferner unerheblich ist, dass sich der Kläger erst am 21. Januar 2019 der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellte, wie der Regelung des § 141 Abs. 3 SGB III zu entnehmen ist (dazu II.)

II. Nach § 141 Abs. 1 Satz 1 SGB III hat sich der Arbeitslose persönlich bei der zuständigen Agentur für Arbeit arbeitslos zu melden. Nach Satz 2 ist eine Meldung auch zulässig, wenn die Arbeitslosigkeit noch nicht eingetreten, der Eintritt der Arbeitslosigkeit aber innerhalb der nächsten drei Monate zu erwarten ist.

1. Die persönlichen Vorsprachen am 30. November 2018 und 11. Januar 2019 innerhalb der Dreimonatsfrist stellen keine Arbeitslosmeldung dar. Bei der Arbeitslosmeldung handelt es sich um eine Tatsachenerklärung, dass ein Arbeitnehmer ab einem bestimmten Zeitpunkt arbeitslos ist (vgl. Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III, Stand Oktober 2015, § 141 n.F. Rn. 25). Arbeitslos war der Kläger ab dem 19. Januar 2019 (s. oben I.), doch konnte er bei seinen Vorsprachen dieses Datum noch nicht benennen, da er selbst keine genaue Kenntnis über den Zeitpunkt seiner Gesundung hatte. Seine Meldung umfasste damit nicht den erforderlichen Mindestinhalt einer Arbeitslosmeldung.

2. Die am 21. Januar 2019 getätigte Arbeitslosmeldung des Klägers wirkt jedoch auf den 19. Januar 2019 zurück, da die zuständige Agentur für Arbeit am 19. und 20. Januar 2019 (Sonnabend bzw. Sonntag) nicht dienstbereit war. Dies folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 141 Abs. 3 SGB III.

a. § 141 Abs. 3 SGB III bestimmt, dass dann, wenn die zuständige Agentur für Arbeit am ersten Tag der Beschäftigungslosigkeit des Arbeitslosen nicht dienstbereit ist, eine persönliche Meldung an dem nächsten Tag, an dem die Agentur für Arbeit dienstbereit ist, auf den Tag zurückwirkt, an dem die Agentur für Arbeit nicht dienstbereit war. Der Gesetzeswortlaut knüpft damit an die Beschäftigungslosigkeit an. Beschäftigungslos, also nicht mehr in einem Beschäftigungsverhältnis stehend (§ 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III), war der Kläger aber schon vor dem 18. Januar 2019 nicht mehr (siehe oben I.). Unter Berücksichtigung des Wortlauts und der Systematik kommt daher eine direkte Anwendung des § 141 Abs. 3 SGB III auf den zu beurteilenden Sachverhalt nicht in Betracht (ebenso Sozialgericht <SG> Berlin, Urteil vom 21. Januar 2020 – S 120 AL 207/18 – info also 2020, 175; anderer Ansicht <a.A.> Brand in Brand, SGB III, 8. Aufl. 2018, § 141 Rn. 13, und Lauer in Heinz/Schmidt-de Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Aufl. 2020, § 141 Rn. 18, die auf den ersten Tag der Arbeitslosigkeit abstellen).

b. Unter Berücksichtigung des Normzwecks unter Heranziehung der Entstehungsgeschichte ist § 141 Abs. 3 SGB III auf die vorliegende Konstellation jedoch entsprechend anzuwenden (ebenso Bienert, Anmerkung zu SG Berlin, Urteil vom 21. Januar 2020 – S 120 AL 207/18 – info also 2020, 175; a.A.: SG Berlin, Urteil vom 21. Januar 2020 – S 120 AL 207/18 – info also 2020, 175; Öndül in jurisPK-SGB III, 2. Aufl. 2019, § 141 Rn. 54.1 <Aktualisierung vom 5. November 2020>). Eine solche Analogie ist die Übertragung der Rechtsfolge eines geregelten Tatbestands auf einen ihm ähnlichen, allerdings ungeregelten Sachverhalt. Sie setzt voraus, dass das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält (dazu aa.) und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, er wäre im Zuge einer Interessenabwägung, bei der er sich von denselben Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (dazu bb.; zu den Voraussetzungen einer Analogie BSG, Urteil vom 20. Mai 2020 – B 13 R 23/18 R – SozR 4-2600 § 51 Nr. 4 mit weiteren Nachweisen <m.w.N.>).

aa. Der Fall der Rückwirkung der Arbeitslosmeldung bei Eintritt von Arbeitslosigkeit an einem Tag fehlender Dienstbereitschaft der Agentur, wenn Beschäftigungslosigkeit schon vorher vorlag war, ist gesetzlich nicht geregelt (siehe oben a.). Diese Lücke ist jedoch planwidrig:

§ 141 Abs. 3 SGB III hat eine Vorläuferregelung in § 105 Satz 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG), der bis 31. Dezember 1997 galt. Diese hatte folgenden Wortlaut: „Kann der Arbeitslose sich nicht am ersten Tag der Arbeitslosigkeit arbeitslos melden und Arbeitslosengeld beantragen, weil das zuständige Arbeitsamt an diesem Tage nicht dienstbereit ist, so gelten diese Voraussetzungen als am ersten Tag der Arbeitslosigkeit erfüllt, wenn der Arbeitslose an dem nächsten Tag, an dem das Arbeitsamt dienstbereit ist, sich arbeitslos meldet und Arbeitslosengeld beantragt.“ Sie stellte mithin auf die Arbeits- und nicht die Beschäftigungslosigkeit ab.

Die Nachfolgeregelung des § 122 Abs. 3 SGB III in der bis zum 31. Juli 1999 geltenden Fassung (alte Fassung <a.F.>) war demgegenüber weiter gefasst und stellte auf die Dienstbereitschaft an dem Tag ab, „an dem der Arbeitslose sich persönlich arbeitslos melden will.“ Der zum 1. August 1999 geänderte Wortlaut des § 122 Abs. 3 SGB III entspricht nunmehr dem seit 1. April 2012 bis heute geltenden Wortlaut des § 141 Abs. 3 SGB III und stellt seit dem auf die Beschäftigung- und nicht die Arbeitslosigkeit ab.

Aus den Gesetzesmaterialien ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass mit dem Abstellen auf den ersten Tag der Beschäftigungs- statt der Arbeitslosigkeit eine bewusste Entscheidung beabsichtigt war. Den Gesetzesmaterialien (vgl. Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze, Bundestag Drucksache 14/873, Seite 12 folgende <f.>) ist lediglich zu entnehmen, dass einem bei Anwendung der Vorgängerregelung in § 122 Abs. 3 SGB III a.F. erkannten erheblichen Prüfungsaufwand begegnet werden sollte und deshalb nur eine Rückwirkung gelten sollte, wenn der Arbeitslose die persönliche Arbeitslosmeldung wegen fehlender Dienstbereitschaft der Agentur nicht am ersten Tag seiner Beschäftigungslosigkeit vornehmen könne. Warum nunmehr auf die Beschäftigungs- statt – wie in der ursprünglichen Fassung des AFG – auf die Arbeitslosigkeit abgestellt wird, bleibt offen. Denn es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass die durch die Gesetzesänderung bezweckte Minderung des Arbeitsaufwands hiervon abhängen soll. Damit kann davon ausgegangen werden, dass die Heranziehung der Beschäftigungs- statt der Arbeitslosigkeit eher zufällig und ohne echten Grund erfolgt ist (ebenso Bienert, Anmerkung zu SG Berlin, Urteil vom 21. Januar 2020 – S 120 AL 207/18 – info also 2020, 175).

bb. Der zu beurteilende Sachverhalt ist in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand vergleichbar, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, er wäre im Zuge einer Interessenabwägung, bei der er sich von denselben Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen.

Sinn und Zweck der persönlichen Arbeitslosmeldung ist es, die Agentur für Arbeit die Kenntnis zu vermitteln, dass der Leistungsfall eingetreten ist, auch um Maßnahmen der Vermittlung einzuleiten (siehe oben 1.). § 141 Abs. 3 SGB III geht in diesem Zusammenhang von dem Grundgedanken aus, dass derjenige nicht schlechter gestellt werden darf, der aus von der Bundesagentur für Arbeit (BA) zu vertretenden Gründen die Arbeitslosmeldung nicht zu einem früheren Zeitpunkt vornehmen kann (Steinmeyer/Greiner in Ascheid/Preis/Schmidt, 6. Aufl. 2021, § 141 SGB III Rn. 11). Allerdings hat der Gesetzgeber nur die Konstellation der fehlenden Dienstbereitschaft aufgegriffen. Hieraus wird verbreitet der Schluss gezogen, dass es sich bei § 141 Abs. 3 SGB III um eine eng zu interpretierende Ausnahmevorschrift handele (vgl. Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III, Stand August 2015, § 141 n.F. Rn. 38 m.w.N.). Die Diskussion wird jedoch um die Fragestellung geführt, ob auch andere Ursachen außer der fehlenden Dienstbereitschaft für eine verspätete Arbeitslosmeldung, die in den Verantwortungsbereich der BA fallen, Relevanz haben können (vgl. BSG, Urteil vom 3. März 1993 – 11 RAr 101/91 – SozR 3-4100 § 105 Nr. 1). Hierum geht es jedoch in der vorliegenden Konstellation nicht, da die fehlende Dienstbereitschaft Anknüpfungspunkt bleibt (vgl. auch Bienert, Anmerkung zu SG Berlin, Urteil vom 21. Januar 2020 – S 120 AL 207/18 – info also 2020, 175).

Sinn und Zweck des § 141 Abs. 3 SGB III gebieten es nicht, die Möglichkeit einer Rückwirkung der Meldung auf die Fälle einer bis einschließlich des Tages vor der fehlenden Dienstbereitschaft ausgeübten Beschäftigung zu beschränken. Vielmehr ist eine Erweiterung jedenfalls für die Fälle einer am ersten Tag der Arbeitslosigkeit fehlenden Dienstbereitschaft vorzunehmen, in denen eine frühere Beschäftigungs-, aber nicht Arbeitslosigkeit auf einer Arbeitsunfähigkeit beruhte. So entspricht es nicht allgemeiner Lebenserfahrung, dass eine arbeitsunfähige Person am letzten Tag ihrer Arbeitsunfähigkeit krankheitsbedingt gerade nicht gehindert sei, sich persönlich und für den nächsten Kalendertag wirkend arbeitslos zu melden (so aber SG Berlin, Urteil vom 21. Januar 2020 – S 120 AL 207/18 – info also 2020, 175). Wesentliche Unterschiede zwischen einer beschäftigungsbedingten Unmöglichkeit und einer arbeitsunfähigkeitsbedingten Unmöglichkeit, sich am Vortag der fehlenden Dienstbereitschaft der Agentur dort zu melden, sind schlichtweg nicht ersichtlich. Ob die Unmöglichkeit tatsächlich bestand, ist in beiden Konstellationen unbeachtlich.

III. Dem Anspruch am 19. und 20. Februar 2019 steht auch nicht eine Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 SGB III entgegen. Trotz Arbeitsunfähigkeit war der Kläger zwar nicht von der Obliegenheit zur Arbeitsuchendmeldung nach § 38 SGB III befreit (vgl. Jüttner in Heinz/Schmidt-de Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Aufl. 2020, § 38 Rn. 48). Ob er ihr rechtzeitig nachkam, kann aber offen bleiben. Denn eine solche Sperrzeit von einer Woche (§ 159 Abs. 6 SGB III) beginnt mit dem Eintritt der Beschäftigungslosigkeit (BSG, Urteil vom 13. März 2018 – B 11 AL 12/17 R – BSGE 125, 170) und wäre damit hier bereits abgelaufen gewesen. Auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Minderung der Anspruchsdauer (vgl. § 148 Abs. 1 Nr. 3 SGB III) bestünde noch ein ausreichender Restanspruch.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung (hierzu Wehrhahn in jurisPK-SGG, 2017, § 193 Rn. 15 f.), dass der im Klageverfahren obsiegende Kläger im Widerspruchsverfahren auch – erfolglos – höheres Alg begehrte.

Die Berufung war nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Dem steht nicht entgegen, dass § 141 SGB III in der hier zu beurteilenden Fassung durch das Gesetz zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung vom 20. Mai 2020 (Bundesgesetzblatt I S. 1044) zum 1. Januar 2022 geändert wird (zur Frage, ob auslaufendes Recht grundsätzliche Rechtsfragen aufwerfen kann, Fichte in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 160 Rn. 32). Die hier zu erörternde Rechtsfrage stellt sich weiterhin im Rahmen des § 141 Abs. 2 SGB III neue Fassung (ebenso Bienert, Anmerkung zu SG Berlin, Urteil vom 21. Januar 2020 – S 120 AL 207/18 – info also 2020, 175).

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