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Arbeitslosenversicherung – parallele Leistung von Krankengeld und Arbeitslosengeld

Bayerisches Landessozialgericht – Az.: L 9 AL 298/15 – Urteil vom 11.12.2018

I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 19. November 2015 abgeändert. Die Bescheide der Beklagten vom 27. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Mai 2014 werden insoweit aufgehoben, als damit die Bewilligung von Arbeitslosengeld vor dem 1. Februar 2014 aufgehoben wird. Sie werden weiter insoweit aufgehoben, als damit die Bewilligung desjenigen Arbeitslosengelds für den Zeitraum 1. Februar bis 2. März 2014 aufgehoben wird, welches das parallel zustehende Krankengeld übersteigt. Die Beklagte wird verurteilt, für die Klägerin im Zeitraum 16. November 2013 bis 2. März 2014 Beiträge zu deren Altersvorsorge gemäß § 173 SGB III zu entrichten.

II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu 70 vom Hundert.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Das Berufungsverfahren betrifft die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (ALG) sowie die Übernahme von Beiträgen zur berufsständischen Versorgung.

Die 1965 geborene Klägerin ist gelernte Apothekerin. Seit 01.01.1993 ist sie gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit und Mitglied der Bayerischen Apothekerversorgung. Zuletzt war die Klägerin bei der T. GmbH, M-Stadt, als „Projektmitarbeiterin“ abhängig beschäftigt. Bis einschließlich März 2013 betrug dort ihr Arbeitsquantum 24 Wochenstunden, ab April 2013 nur noch acht Wochenstunden.

Seit 09.09.2013 war die Klägerin arbeitsunfähig krankgeschrieben. Vom 22.10.2013 an erhielt sie Krankengeld von ihrer Krankenkasse, der Techniker Krankenkasse (TK). Allerdings stellte die TK die Krankengeldzahlungen mit Ablauf des 15.11.2013 bereits wieder ein. Dagegen legte die Klägerin am 06.11.2013 Widerspruch ein.

Am 18.11.2013 meldete sich die Klägerin mit Wirkung zum 16.11.2013 arbeitslos und beantragte die Gewährung von ALG. Der medizinische Dienst der Agentur für Arbeit R-Stadt bejahte die medizinischen Voraussetzungen für die Anwendung von § 145 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB III). Mit Bescheid vom 20.12.2013 bewilligte die Beklagte ALG für 360 Tage bei einer Anspruchsentstehung am 16.11.2013; der tägliche Leistungsbetrag wurde auf 26,07 EUR festgelegt. Auf Seite 2 unten des Bewilligungsbescheids ist ausgeführt: „Die Agentur für Arbeit übernimmt die Beiträge für Ihre Altersvorsorge. Dies gilt nur bis zu dem Betrag, den die Agentur sonst an die gesetzliche Rentenversicherung zahlen würde.“

In einer Anlage zum Bewilligungsbescheid erfolgte eine Berechnung der Beiträge zur Altersvorsorge gemäß § 173 SGB III. Für den Zeitraum November 2013 errechnete die Beklagte einen Betrag von 182,73 EUR, für die Folgezeit bis Oktober 2014 monatlich 365,47 EUR.

Mit Bescheid vom 20.02.2014 bewilligte die TK der Klägerin Krankengeld ab 16.11.2013 weiter, und zwar in Höhe von 12,58 EUR täglich. Sie schrieb, die Klägerin möge das Schreiben vom 17.10.2013 als gegenstandslos betrachten; die Agentur für Arbeit H-Stadt sei am gleichen Tag über die Weiterbewilligung informiert worden. In der Tat setzte die TK die Beklagte mit Schreiben vom 20.02.2014 davon in Kenntnis, die Klägerin habe einen über den 15.11.2013 hinausgehenden Anspruch auf Krankengeld. Die Beklagte möge baldmöglich ihren Erstattungsanspruch beziffern. In einer E-Mail vom 22.02.2014 teilte dann auch die Klägerin der Beklagten mit, am 20.02.2014 habe die TK sie wissen lassen, dass ihrem Widerspruch bezüglich der Einstellung der Krankengeldzahlungen stattgegeben werde.

Die Beklagte nahm dies zum Anlass, keine ALG-Zahlungen mehr zu leisten; die letzte Zahlung floss Ende Januar 2014. Mit Bescheid vom 27.02.2014 hob die Beklagte die Bewilligung von ALG wegen des Bezugs von Krankengeld ab 16.11.2013 auf der Grundlage von § 48 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 330 Abs. 3 SGB III auf. Weiter wurde der Klägerin mitgeteilt, für die Zeit vom 16.11.2013 bis 31.01.2014 sei eine Überzahlung von ALG in Höhe von 1.955,25 EUR eingetreten. Die TK sei zur Erstattung aufgefordert und ermächtigt worden, die Überzahlung gegen den Anspruch auf Krankengeld zu verrechnen. Der überzahlte Betrag sei von der Klägerin nur zu erstatten, soweit ein Erstattungsanspruch gegen den anderen Leistungsträger nicht bestehe oder nicht erfüllt werde. Mit weiterem Bescheid vom 27.02.2014 erklärte die Beklagte wiederum die Aufhebung der ALG-Bewilligung ab 16.11.2013; als Rechtsgrundlagen nannte sie § 137 Abs. 1, § 138 in Verbindung mit § 146 SGB III und § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs. 3 SGB III.

Mit Schreiben vom 27.02.2014 meldete die Beklagte gegenüber der TK den Erstattungsanspruch an und bezifferte diesen. Die TK bestätigte mit Schreiben vom 04.03.2014 die Erstattungsforderung. Sie teilte jedoch mit, nur 943,50 EUR könnten erstattet werden, weil der tägliche Leistungsbetrag des Krankengelds lediglich 12,58 EUR betrage.

Unter dem Datum 24.03.2014 verschickte die Beklagte an die Klägerin ein Anhörungsschreiben wegen der geplanten Rückforderung von 1.011,75 EUR, dem Betrag, den die TK nicht erstattete. Ein weiterer Erstattungsbescheid erging jedoch nicht mehr.

Am 05.03.2014 ging bei der Klägerin die Restzahlung der TK in Höhe von 339,66 EUR ein. Als Zahlungsgrund wurde genannt „Leistung 010114 – 270214 Leistung 161113 – 311213“.

Arbeitslosenversicherung - parallele Leistung von Krankengeld und Arbeitslosengeld
(Symbolfoto: Jaz_Online/Shutterstock.com)

Am 26.03.2014 legte die Klägerin gegen den Aufhebungs-/Erstattungsbescheid vom 27.02.2014 Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, der in dem Anhörungsschreiben geschilderte Sachverhalt treffe nicht zu. Am 05.12.2013 habe sie mit dem Sachbearbeiter F. telefoniert; dieser habe ihr gesagt, bei Stattgabe des Widerspruchs gegen die Aussteuerung hätte sie keine Überzahlung zurückzuzahlen. Die Beklagte sei auch zeitnah von der TK über die Stattgabe des Widerspruchs informiert worden. Die ALG-Bewilligung dürfe erst ab 20.02.2014 aufgehoben werden, weil die Änderung der Verhältnisse zu diesem Zeitpunkt stattgefunden habe. Sie, die Klägerin, sei damit einverstanden, wenn das niedrigere Krankengeld gegengerechnet werde.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.05.2014 als unbegründet zurück. In der Begründung führte sie unter Bezugnahme auf § 156 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III aus, der Krankengeldanspruch der Klägerin führe zum vollen Ruhen des ALG-Anspruchs. Bei § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X handle es sich um einen verschuldensunabhängigen Aufhebungstatbestand. Die Entscheidung über die Bewilligung von ALG vom 20.12.2013 sei ab 16.11.2013 ganz aufzuheben gewesen. Die Erstattungspflicht ergebe sich aus § 50 Abs. 1 SGB X.

Dagegen hat die Klägerin am 27.07.2014 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, nach Erlass des ALG-Bewilligungsbescheids habe sie kein Einkommen in Form von rückwirkend bewilligtem Krankengeld erzielt. Die TK habe die Leistungen vielmehr der Beklagten erstattet.

Die Beklagte hat in einem Schriftsatz an das Sozialgericht vom 13.04.2015 zu erkennen gegeben, die TK habe auf der Grundlage von § 103 SGB X Erstattungszahlungen erbracht. Mit Schreiben vom 31.07.2014, so die Beklagte weiter, sei der Klägerin aus einer Fehlinterpretation der Geschäftsanweisung heraus mitgeteilt worden, dass gegen diese keine Rückforderung mehr geltend gemacht werde. Von daher dürfte sich die Klage erledigt haben. Indes hat die Klägerin die Klage nicht für erledigt erklärt. Vielmehr ist es zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht gekommen, in der die Klägerin beantragt hat, die Bescheide vom 27.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids komplett aufzuheben.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 19.11.2015 abgewiesen. In der Begründung hat es geschrieben, bezüglich der Erstattungsforderung von 1.011,75 EUR erweise sich die Klage nach Wegfall des Rechtschutzbedürfnisses als unzulässig. Durch Verzichtserklärung der Beklagten vom 31.07.2014 sei der Klägerin verbindlich mitgeteilt worden, dass gegen sie keine Rückforderungsansprüche mehr geltend gemacht würden. Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Die Bewilligung von Krankengeld habe nach § 156 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III zum vollen Ruhen des ALG-Anspruchs geführt. Die Beklagte sei berechtigt gewesen, die Bewilligung von ALG ab 16.11.2013 aufzuheben. Die Klägerin könne sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen, da die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und Nr. 4 SGB X vorlägen. Für § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X spiele es keine Rolle, dass der Krankengeldanspruch aufgrund des von der Beklagten gestellten Erstattungsanspruchs von der Krankenkasse an die Beklagte erstattet worden sei. Zudem sei § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X einschlägig, weil die Klägerin aufgrund des von ihr gegen die Aussteuerung aus den Krankengeldbezug eingelegten Widerspruchs mit der Zuerkennung des Krankengelds habe rechnen und wissen müssen, dass ihr neben Krankengeld kein ALG zugestanden habe.

Am 21.12.2015 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie bringt vor, der Bewilligungsbescheid vom 20.12.2013 hätte erst ab 05.03.2014 aufgehoben werden dürfen. Erst ab diesem Zeitpunkt sei eine wesentliche Änderung im Sinn von § 48 SGB X gegeben gewesen. Denn erst von da an sei der Anspruch der Klägerin auf ALG zum Ruhen gekommen. Zuvor sei ihr nämlich das nachträglich bewilligte Krankengeld nicht erbracht worden. Die Beklagte hätte auch im Zeitraum 01.02. bis 04.03.2014 ALG abzüglich des für diesen Zeitraum gezahlten Krankengelds leisten müssen. Außerdem hätte sie die für den Zeitraum 16.11.2013 bis 31.01.2014 entrichteten Beiträge zur Apothekerversorgung nicht von der Bayerischen Apothekerversorgung zurückfordern dürfen. Zudem müsse sie für den Zeitraum 01.02. bis 04.03.2014 Beiträge nachentrichten. Das Ruhen nach § 156 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III trete nicht schon dann ein, wenn eine andere Entgeltersatzleistung lediglich bewilligt worden sei. Vielmehr müsse die andere Leistung tatsächlich zufließen. Demzufolge trete die Ruhenswirkung auch dann nicht ein, wenn die andere Sozialleistung zwar bewilligt sei, aber zur Befriedigung von Ersatzansprüchen einbehalten werde. Das BSG habe im Urteil vom 20.09.2001 – B 11 AL 35/01 R ausdrücklich betont, eine „Zuerkennung“ im Sinn des § 156 Abs. 1 SGB III könne erst ab Zahlungseingang angenommen werden.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.11.2015 (S 34 AL 552/14) aufzuheben,

2. die Bescheide der Beklagten vom 27.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.05.2014 dahingehend abzuändern, dass der Bescheid vom 20.12.2013 über die Bewilligung von Arbeitslosengeld gemäß § 136 SGB III erst ab 03.03.2014 voll aufgehoben wird und für die Zeit vom 01.02. bis 02.03. 2014 nur hinsichtlich des Teils des Arbeitslosengelds aufgehoben wird, der dem Krankengeld entspricht,

3. die Beklagte zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis 02.03.2014 Arbeitslosengeld gemäß §§ 136 und 145 SGB III unter Anrechnung des von der Klägerin im vorgenannten Zeitraum erhaltenen Krankengelds zu leisten,

4. die Beklagte zu verurteilen, für den Zeitraum 16.11.2013 bis 02.03.2014 Beiträge zu ihrer Altersvorsorge gemäß § 173 SGB III zu entrichten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für richtig und meint, ein Anspruch sei dann zuerkannt, wenn der Leistungsträger infolge der Zuerkennung Zahlungen zu erbringen habe. Der Anspruch auf ALG ruhe spätestens ab dem 20.02.2014. An diesem Tag habe die TK dem Widerspruch der Klägerin stattgegeben und deshalb habe sie ab diesem Zeitpunkt Zahlungen zu erbringen gehabt. Der hier vorliegende Sachverhalt weiche auch insoweit von dem besagten BSG-Urteil ab, als es hier nicht um eine neue Bewilligung der anderen Leistung, nämlich des Krankengelds, gehe. Dem BSG-Fall habe eine Erwerbsminderungsrente zugrunde gelegen, weswegen der Beginn des Ruhens durch § 156 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB III anders als bei Krankengeld definiert werde.

Der Senat hat die TK mit Beschluss vom 03.12.2018 zum Verfahren beigeladen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Die Akten haben vorgelegen, sind als Streit-stoff in das Verfahren eingeführt worden und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin, soweit sie am Schluss der mündlichen Verhandlung noch anhängig war, hat vollen Erfolg. Sie ist zulässig und im Umfang der Sachanträge der Klägerin auch begründet.

1. Der Streitgegenstand im Berufungsverfahren – es handelt sich im Hinblick auf das ALG um eine reine Anfechtungs- und bezüglich der Beiträge zum Versorgungswerk um eine reine Leistungsklage – hat sich im Verhältnis zur ersten Instanz erheblich verändert. Er wird geprägt durch verschiedene zeitliche Zäsuren: Der 16.11.2013 markiert die zwischenzeitliche Einstellung der Krankengeld- verbunden mit dem Beginn der ALG-Zahlungen; die aufgrund des späteren Einlenkens der TK bedingte „Rückabwicklung“ nahm am 16.11.2013 ihren zeitlichen Anfang. Bis einschließlich 31.01.2014 erbrachte die Beklagte ALG-Leistungen, später nicht mehr. Als Konsequenz ihrer Rechtsmeinung misst die Klägerin dem 05.03.2014 entscheidende Bedeutung bei. An diesem Tag hat sie eine Restzahlung der TK erhalten (erste Zahlung nach der Leistungseinstellung), was ihrer Ansicht nach erst zum Ruhen des ALG-Anspruchs führte. Schließlich ist für die Definition des Streitgegenstands der 02.03.2014 relevant als derjenige Tag, an dem die Bekanntgabe der Leistungsaufhebung frühestens erfolgt war.

Aus alldem erklärt sich der Berufungsantrag der Klägerin: Die Aufhebung der ALG-Bewilligung durch die Beklagte soll nur noch insoweit gerichtlich kassiert werden, als Leistungen vor dem 03.03.2014 betroffen sind. Für die Zeit ab 03.03.2014 will sich die Klägerin dem Umstand beugen, dass ihrer Ansicht nach ab 05.03.2014 das Ruhen des ALG-Anspruchs eintrat. Insoweit hat sie an dem in erster Instanz gestellten umfassenden Aufhebungsantrag nicht mehr festgehalten. In der mündlichen Verhandlung hat sie ihren Aufhebungsantrag auch „horizontal“ eingeschränkt (teilweise Berufungsrücknahme). Denn hinsichtlich des Zeitraums 01.02. bis 02.03.2014 hat sie die Kassation der Leistungsaufhebung auf den Betrag beschränkt, der dem Anteil am ALG entspricht, welcher das Krankengeld übersteigt. Für die Phase 16.11.2013 bis 31.01.2013 ist dagegen die volle Kassation der Leistungsaufhebung beantragt worden. Der gleichzeitig gestellte Leistungsantrag hat im Hinblick auf das ALG neben dem Anfechtungsantrag keine eigenständige Bedeutung, weil die Kassation der Leistungsaufhebung die pflichtgemäße Nachzahlung von Leistungen sicher erwarten lässt. Zudem möchte die Klägerin im Rahmen eines reinen Leistungsantrags erreichen, dass die Beklagte die Beiträge für das Versorgungswerk vom 16.11.2013 an bis einschließlich 02.03.2014 übernimmt. Die bis Ende Januar 2014 angefallenen Beiträge hatte die Beklagte zunächst gezahlt, dann aber von der Bayerischen Apothekerversorgung wieder zurückgefordert und auch zurückerhalten.

2. Damit dringt die Klägerin in vollem Umfang durch. Dass der auf das ALG bezogene Leistungsantrag neben dem Anfechtungsantrag überflüssig ist, wertet der Senat nicht als teilweises Unterliegen der Klägerin.

a) Die Klage ist zulässig. In Bezug auf die Leistungsaufhebung für den Zeitraum 16.11.2013 bis 31.01.2014 ist die rechtliche Beschwer der Klägerin entgegen der Auffassung der Beklagten immer noch vorhanden. Zwar hat die Beklagte diesbezüglich darauf verzichtet, eine Rückforderung des gezahlten ALG anzuordnen. Jedoch verkörpert die Leistungsaufhebung als solche eine belastende Regelung und beinhaltet demzufolge eine hinreichende rechtliche Beschwer, die zur Klagebefugnis führt. Dass die Aufhebung der ALG-Bewilligung nicht mehr in eine Leistungserstattung münden kann, spielt dabei keine Rolle.

b) Die Beklagte hat die mit Bescheid vom 20.12.2013 ausgesprochene Bewilligung von ALG zu Unrecht vollständig aufgehoben. Die Aufhebung erweist sich zu dem Teil als rechtwidrig, der dem Aufhebungsantrag der Klägerin im Berufungsverfahren entspricht.

Zutreffend hat die Beklagte § 48 SGB X als Rechtsgrundlage für die Leistungsaufhebung herangezogen. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Dauerverwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine rückwirkende Aufhebung lässt § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X dagegen nicht zu. Inwieweit die Aufhebungsentscheidung Rückwirkung entfaltet oder für die Zukunft wirkt, hängt vom Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe an die Klägerin ab (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X). In der mündlichen Verhandlung hat der Senat aufzuklären versucht, wann genau die Bekanntgabe erfolgte. Der Sitzungsvertreter der Beklagten hat indes signalisiert, den Akten lasse sich nicht konkret entnehmen, wann die Bescheide vom 27.02.2014 zur Post gegeben worden seien. Die Klägerin hat darauf reagiert, indem sie sowohl ihren Leistungsantrag als auch ihren Aufhebungsantrag auf die Phase bis einschließlich 02.03.2014 beschränkt hat. Denn der 02.03.2014 verkörpert den Tag, an dem die Aufhebungsbescheide unter Heranziehung der Dreitagesfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X frühestens bekanntgegeben worden waren. Auf diese Weise hat die Klägerin ausgeschlossen, dass eine Aufhebung wegen nachträglichen Eintritts veränderter Tatsachen für die Zukunft zur Prüfung steht. Das Berufungsbegehren ist vielmehr so formuliert, dass ausschließlich gegen die Leistungsaufhebung für die Vergangenheit vorgegangen wird.

Diesbezüglich liefert § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X die Rechtsgrundlage. Danach soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,

2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,

3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder

4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

Die Prüfung der Rechtsgrundlage für die Aufhebung eines Dauerverwaltungsakts für die Vergangenheit erfordert demnach ein zweistufiges Vorgehen. Erstens verlangt § 48 Abs. 1 SGB X sowohl für eine Aufhebung für die Zukunft als auch für die Vergangenheit eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben. Zweitens muss geprüft werden, ob deswegen die Aufhebung möglich ist. Insbesondere stellt sich im Rahmen dessen die Frage, ob einer der besonderen Tatbestände des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X erfüllt ist. Dass die Bewilligung von ALG einen von § 48 SGB X erfassten Dauerverwaltungsakt verkörpert, versteht sich von selbst.

aa) Der Senat stellt für den gesamten Zeitraum 16.11.2013 bis 02.03.2014 eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass der ALG-Bewilligung vorgelegen haben, fest. Diese rührt daher, dass die TK Ende Februar 2014 die Weiterzahlung des Krankengelds auch nach dem 15.11.2013 veranlasst hat (Bescheid der TK vom 20.02.2014). Dadurch ist ab diesem Zeitpunkt eine dem ALG vorrangige Leistung hinzugetreten und der ALG-Anspruch zum Ruhen gekommen. Bewirkt hat dies § 156 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III. § 156 SGB III lautet wie folgt:

(1) 1Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht während der Zeit, für die ein Anspruch auf eine der folgenden Leistungen zuerkannt ist:

1. Berufsausbildungsbeihilfe für Arbeitslose,

2. Krankengeld, Versorgungskrankengeld, Verletztengeld, Mutterschaftsgeld oder Übergangsgeld nach diesem oder einem anderen Gesetz, dem eine Leistung zur Teilhabe zugrunde liegt, wegen der keine ganztägige Erwerbstätigkeit ausgeübt wird,

3. Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder

4. Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art.

(2) 1Abweichend von Absatz 1 ruht der Anspruch

1. im Fall der Nummer 2 nicht, wenn für denselben Zeitraum Anspruch auf Verletztengeld und Arbeitslosengeld nach § 146 besteht,

2. im Fall der Nummer 3 vom Beginn der laufenden Zahlung der Rente an und

3. im Fall der Nummer 4

a) mit Ablauf des dritten Kalendermonats nach Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn der oder dem Arbeitslosen für die letzten sechs Monate einer versicherungspflichtigen Beschäftigung eine Teilrente oder eine ähnliche Leistung öffentlich-rechtlicher Art zuerkannt ist,

b) nur bis zur Höhe der zuerkannten Leistung, wenn die Leistung auch während einer Beschäftigung und ohne Rücksicht auf die Höhe des Arbeitsentgelts gewährt wird.

2Im Fall des Satzes 1 Nummer 2 gilt § 145 Absatz 3 entsprechend.

Die Besonderheit von § 156 Abs. 1 SGB III besteht darin, dass das Ruhen der nachrangigen Sozialleistung zur Gänze eintritt, also nicht nur, soweit eine vorrangige Leistung gewährt wird. Es kann also kein „Spitzbetrag“ der nachrangigen Leistung vom Ruhen verschont bleiben. Der Senat hegt keine Zweifel, dass mit der Bekanntgabe des Bescheids der TK vom 20.02.2014, spätestens aber mit der Erbringung der Erstattungsleistung an die Beklagte, das Krankengeld im Sinn von § 156 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III zuerkannt war. Und diese Zuerkennung hatte zur Folge, dass das Ruhen des ALG mit Rückwirkung vom 16.11.2013 an eintrat. Denn zu diesem Zeitpunkt begann die Parallelität der Leistungen Krankengeld und ALG. Somit hätte aufgrund der nachträglichen Änderung in der Tatsachenlage von vornherein kein ALG zugestanden. Das verleiht der Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen die „Wesentlichkeit“ im Sinn von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X.

Mit dieser rechtlichen Bewertung setzt sich der Senat in Widerspruch zur BSG-Rechtsprechung. Denn im Urteil vom 20.09.2001 – B 11 AL 35/01 R hat das BSG das Ruhen nach § 156 Abs. 1 SGB III komplett anders interpretiert. Der Tatbestand des BSG-Urteils lautet:

„Die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) bewilligte dem am 17. Februar 1939 geborenen Kläger mit Bescheid vom 19. Oktober 1998 Alhi bis einschließlich 30. November 1999 in Höhe von zuletzt 222,48 DM wöchentlich. Mit Schreiben vom 20. Januar 1999 forderte sie den Kläger auf, innerhalb eines Monats Altersrente zu beantragen; falls er den Antrag nicht stelle, ruhe sein Alhi-Anspruch. Der Kläger beantragte am 1. Februar 1999 bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Altersrente. Er unterrichtete die BA am 22. Februar 1999 und betonte, er stelle den Rentenantrag nur gezwungenermaßen. Die BA zeigte mit Schreiben vom 24. Februar 1999 der BfA an, sie habe an den Kläger Leistungen erbracht, und kündigte einen Erstattungsanspruch an. Mit Bescheid vom 30. April 1999 bewilligte die BfA dem Kläger Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab 1. März 1999 mit einem monatlichen Zahlbetrag von 661,35 DM. Den Beginn der laufenden Zahlung setzte sie auf den 1. Juni 1999 fest und behielt die Nachzahlung für die Monate März bis Mai 1999 zunächst zur Befriedigung von Erstattungsansprüchen ein.

Mit Bescheid vom 18. Mai 1999 hob die BA die Bewilligung von Alhi wegen des Anspruchs des Klägers auf Altersrente ab 1. März 1999 auf. In einem weiteren Bescheid unter dem 17. Mai 1999 berief sie sich auf den Entziehungsbescheid und teilte mit, die Bewilligung werde „zusätzlich ab 1. März 1999 ganz aufgehoben“. Wegen der Überzahlung von 1.322,70 DM habe sie die BfA zur Erstattung aufgefordert. Der Kläger müsse den überzahlten Betrag nur zurückzahlen, wenn und soweit ein Erstattungsanspruch gegen die BfA nicht bestehe oder nicht erfüllt werde.“

Das zeigt, dass der dem BSG-Urteil zugrundeliegende Sachverhalt dem hier vorliegenden frappierend ähnelt. Dort hatte die Beklagte mit der Arbeitslosenhilfe wie auch hier eine nachrangige Leistung erbracht. Dann später wurde die vorrangige (Altersrente) vom Rentenversicherungsträger bewilligt, aber wie hier nicht voll an den Versicherten ausbezahlt, weil Erstattungsansprüche der Beklagten zu befriedigen waren. Und wie hier hob die Beklagte ihre Leistungsbewilligung von Anfang an auf. Zudem besteht eine entscheidende Parallele darin, dass seinerzeit die nachrangige Leistung, die Arbeitslosenhilfe, höher war als die vorrangige, damals also die Altersrente. Und schließlich gab es auch wie hier (hier 01.02. bis 04.03.2014) eine Phase, in der die nachrangige Leistung nicht mehr gezahlt wurde, die vorrangige aber erst später und mit Rückwirkung; für einen bestimmten Zeitraum wurden also hier wie dort weder von der einen noch von der anderen Seite stetige, fortlaufende Leistungen erbracht. Der Einwand der Beklagten im vorliegenden Verfahren, die beiden Sachverhalte würden sich signifikant unterscheiden, stimmt also nicht.

Das BSG hat im Urteil vom 20.09.2001 nach zeitlichen Phasen differenziert. Für die Phase ab Beginn der regulären Rentenzahlungen – das entspricht hier dem Beginn der laufenden Krankengeldzahlungen – hat es das Ruhen entsprechend § 156 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB III bejaht und die Aufhebung nach § 48 SGB X für rechtens erklärt. Für den vorliegenden Fall besitzt das allerdings keine Relevanz. Denn der Zeitraum der laufenden Krankengeldzahlung ist hier anders als in erster Instanz nicht mehr vom Streitgegenstand umfasst.

Für die Phase, die vor Beginn der laufenden Rentenzahlungen lag, also für den Renten-Nachzahlungszeitraum, hat das BSG Folgendes judiziert:

„Begründet ist die Revision, soweit sie sich gegen die Aufhebung der Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 1. März 1999 bis 30. April 1999 richtet. Für diesen Zeitraum war die Beklagte nicht zur Aufhebung der Alhi-Bewilligung berechtigt; denn es fehlt insoweit bereits mangels „Zuerkennung“ iS des § 142 Abs. 1 SGB III an einer wesentlichen Änderung iS des § 48 Abs. 1 SGB X.

Eine Rente ist – wie ausgeführt – iS des § 142 Abs. 1 SGB III zuerkannt, wenn der Leistungsträger infolge der Zuerkennung Leistungen an den Berechtigten zu erbringen hat. Dies ist bei Rentennachzahlungen, die zur Befriedigung von Ersatzansprüchen einbehalten werden, regelmäßig nicht der Fall. Denn der Zweck der Ruhensvorschrift besteht – wie bei der inhaltsgleichen Regelung des § 118 Abs. 1 Nr. 4 AFG – darin, nicht nur Doppelleistungen auszuschließen, sondern auch nahtlose Leistungen verschiedener Sozialleistungsträger zu gewährleisten (BSG SozR 4100 § 118 Nr. 10; BSG SozR 1300 § 48 Nr. 22; BSGE 70, 51, 54 = SozR 3-4100 § 118 Nr. 3).

Den tatsächlichen Feststellungen des LSG ist zu entnehmen, daß die BfA dem Kläger die Rente zwar mit Wirkung ab 1. März 1999 bewilligt, jedoch den Beginn der laufenden Rentenzahlung auf den 1. Juni 1999 gelegt und für die Zeit davor einen Betrag zur Nachzahlung vorbehaltlich eines Erstattungsanspruches der BA festgesetzt hat. Nach den Feststellungen des LSG ist weiter davon auszugehen, daß der Kläger für die Monate März und April 1999 noch Alhi erhalten hatte, weshalb der auf diese Monate entfallende Nachzahlungsbetrag von 1.322,70 DM von der BfA an die Beklagte und nicht an den Kläger ausbezahlt worden ist. Damit ist die Rente dem Kläger für die genannten zwei Monate nicht iS des § 142 Abs. 1 Nr. 4 SGB III zuerkannt worden, weshalb ein Ruhen des Alhi-Anspruchs insoweit ausscheidet. Das gleiche Ergebnis folgt aus der Überlegung, daß der Anspruch des Klägers auf Altersrente für die Monate März und April 1999 gemäß § 107 Abs. 1 SGB X als erfüllt gilt, soweit der Erstattungsanspruch der BA besteht, weshalb die BfA insoweit die Rente nicht zuzuerkennen hat (vgl BSG SozR 3-1300 § 107 Nr. 10 mwN).“

Das BSG hat also gemeint, die vorrangige Leistung sei nicht im Sinn von § 142 Abs. 1 SGB III aF (jetzt: § 156 Abs. 1 SGB III) zuerkannt worden, weil der vorrangig leistungspflichtige Rentenversicherungsträger einen Erstattungsanspruch der Beklagten befriedigt habe. Eine „Zuerkennung“ sei erst dann anzunehmen, wenn der Arbeitslose die vorrangige Leistung tatsächlich erhalten habe. Daran fehle es auch dann, wenn der vorrangig verpflichtete Leistungsträger Erstattungsansprüche des nachrangigen Leistungsträgers auf der Grundlage der §§ 102 ff. SGB X befriedige. Und im weiteren Verlauf des Urteils vom 20.09.2001 hat das BSG eindeutig zu erkennen gegeben, dass es dem mit der tatsächlichen Zahlung eingetretenem Ruhen keinerlei rückwirkende Kraft beigemessen hat. Das Ruhen könne mit dem Einsetzen der Zahlungen nur für die Zukunft erfolgen; dass eine Nachzahlung für die Vergangenheit erbracht worden sei, spiele keine Rolle.

Der Senat vermag sich dem aus folgenden Gründen nicht anzuschließen:

* Eine Rückwirkung des Ruhens abzulehnen, erscheint schon angesichts des Wortlauts von § 156 Abs. 1 Satz 1 SGB III nicht nachvollziehbar: „Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht während der Zeit, für die ein Anspruch auf eine der folgenden Leistungen zuerkannt ist“. Nicht ab dem Akt der Zuerkennung, sondern schon während der von der Zuerkennung betroffenen Zeiträume soll das Ruhen eintreten. Wenn also die Zuerkennung, wie häufig, rückwirkend erfolgt, folgt das Ruhen den zeitlichen Dimensionen der Zuerkennung.

* Auch wenn die Beklagte verkannt hat, dass es in dem BSG-Fall nicht um eine Erwerbsminderungsrente gegangen war, so zeigt § 156 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB III doch (dort wird der Beginn der laufenden Zahlung einer Erwerbsminderungsrente als Initialimpuls für das Ruhen geregelt), dass die Zuerkennung nicht der Beginn der laufenden Zahlung sein kann. Denn § 156 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB III bewirkt gerade eine Abweichung von der Regel. Wenn als Zuerkennung grundsätzlich der Beginn der laufenden Zahlung zu verstehen wäre, läge schlichtweg keine „Abweichung“ von § 156 Abs. 1 SGB III vor und § 156 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB III ergäbe keinen Sinn. Sinn macht die Norm vielmehr nur dann, wenn als „Zuerkennung“ grundsätzlich etwas anderes als der Beginn der laufenden Zahlung gesehen wird.

* Das BSG hat mit dem Urteil vom 20.09.2001 – B 11 AL 35/01 R einen logischen Fehler begangen. An dieser Stelle gilt es sich vor Augen zu halten, dass die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X nur insoweit wirkt, als ein Erstattungsanspruch besteht. Ein Erstattungsanspruch – im Fall der Klägerin ist § 103 Abs. 1 SGB X einschlägig (näher dazu unten) – existiert aber wiederum nur, wenn der Anspruch auf die (nachrangige) Leistung – im BSG-Fall Arbeitslosenhilfe, hier ALG – nachträglich ganz oder teilweise entfallen ist. Das Entfallen kann jedoch nur durch das Ruhen nach § 156 SGB III (bzw. § 142 SGB III aF) bewirkt werden. Das Ruhen ist somit Voraussetzung für den Erstattungsanspruch, und der Erstattungsanspruch ist Voraussetzung für die Erfüllungsfiktion. Das BSG will diesen rechtlichen Mechanismus mit dem Urteil vom 20.09.2001 aushebeln. Denn es hat die Maxime ausgegeben, wenn der vorrangige Leistungsträger (damals der Rentenversicherungsträger, hier die TK) keine Leistungen an den Betroffenen erbringe, weil er dem nachrangigen Träger nach §§ 102 ff. SGB X erstatte, dann solle bereits (mangels Zuerkennung der vorrangigen Leistung) das Ruhen entfallen. Mit dem Entfallen des Ruhens gehe aber nach dem oben Gesagten auch der Erstattungsanspruch unter, und damit die Erfüllungsfiktion.

Festzuhalten ist also: Dadurch, dass der vorrangige Leistungsträger gerade die Konsequenzen aus dem Ruhen zieht, er nämlich an den nachrangigen Leistungsträger erstattet, soll er dem BSG zufolge wiederum das Ruhen und damit die Grundvoraussetzung seiner Erstattung beseitigen – ein nicht hinnehmbares Ergebnis. Damit verbietet das BSG letzten Endes generell Erstattungen nach §§ 102 ff. SGB X (näher dazu unten). Denn die Erstattung bei gleichzeitiger Nichtzahlung an den Betroffenen würde nach Meinung des BSG immer dazu führen, dass wiederum die Grundvoraussetzung für die Erstattung fehlt. Nach BSG-Lesart darf eine vorrangige Behörde nur erstatten, wenn sie gleichzeitig auch an den Betroffenen zahlt. Damit unterminiert das BSG die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X. Keinesfalls dürfen die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs deswegen verneint werden, weil von diesem Gebrauch gemacht wird – die Tatbestandsvoraussetzungen dürfen nicht von der Rechtsfolge abhängen.

* Weitere Konsequenz der BSG-Rechtsprechung ist, dass für die Zeit bis zum Einsetzen der laufenden Zahlung der vorrangigen Leistung dem Betroffenen stets beide Leistungen nebeneinander zustehen würden. Ein solches, ungerecht anmutendes Benefizium hat der Gesetzgeber sicherlich nicht gewollt. Zudem erscheint es auch überflüssig, den Leistungsempfängern eine derart privilegierte Position einzuräumen. Geboten ist lediglich Vertrauensschutz bei rückwirkender Aufhebung der Leistungsbewilligung. Und dem trägt § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X hinreichend Rechnung. Vertrauensschutz muss deshalb nicht schon auf der ersten Prüfungsstufe, dem Ruhen, künstlich erzeugt werden; weder ist es notwendig noch angebracht, in § 156 SGB III einen überbordenden Vertrauensschutz hineinzudeuten.

bb) Allerdings besteht – auch wenn man wie der Senat der BSG-Rechtsprechung zum Eintritt des Ruhens nicht folgt – eine Aufhebungssperre in Bezug auf denjenigen Teil des für den 16.11.2013 bis 31.01.2014 bewilligten ALG, welcher der Höhe nach dem korrespondierenden Krankengeld entspricht. Diese Aufhebungssperre ergibt sich mittelbar aus § 107 Abs. 1 SGB X; dieser lautet:

Soweit ein Erstattungsanspruch besteht, gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt.

Die Regelung bewirkt, dass der vorrangige Leistungsträger nicht mehr an den Leistungsberechtigten leisten muss und darf, weil über § 107 Abs. 1 SGB X dieser Anspruch bereits aufgrund der Leistung des nachrangigen Leistungsträgers als erfüllt gilt. Diese Erfüllungswirkung setzt jedoch voraus, dass die Leistung durch den nachrangigen Leistungsträger Bestand hat, also nicht mehr rückgängig gemacht wird. Vor diesem Hintergrund lässt sich aus § 107 Abs. 1 SGB X ein Verbot für den nachrangigen Leistungsträger ableiten, seine Leistungsbewilligung gegenüber dem Leistungsempfänger aufzuheben. Dieses Verbot greift so weit, wie ein Erstattungsanspruch nach §§ 102 ff. SGB X besteht.

Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte einen Erstattungsanspruch gegen die TK auf der Grundlage von § 103 Abs. 1 SGB X erworben:

Hat ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht und ist der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen, ist der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.

Das Ende Februar 2014 nachträglich eingetretene Ruhen des ALG-Anspruchs gemäß § 156 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III hat einen Erstattungsanspruch der Beklagten gegen die TK generiert. Allerdings bestand dieser Erstattungsanspruch nur in Höhe der korrespondierenden Krankengeldleistungen (vgl. § 103 Abs. 2 SGB X). Deshalb trat auch just in Höhe der korrespondierenden Krankengeldleistungen die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X und damit eine – von den Vertrauensschutzvorschriften des § 48 SGB X unabhängige – Aufhebungssperre ein.

(cc) Auch im Übrigen war die Beklagte rechtlich gehindert, ihre Leistungsbewilligung vom 20.12.2013 aufzuheben. Das betrifft nach dem eben Gesagten zunächst den Teil des für den 16.11.2013 bis 31.01.2014 bewilligten ALG, der das korrespondierende Krankengeld überstieg, sowie das für den 01.02. bis 02.03.2014 bewilligte ALG insgesamt. Insoweit helfen der Klägerin die Vertrauensschutzregelungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X.

Diesbezüglich war die Aufhebung der Leistungsbewilligung rechtswidrig, weil keiner der gesetzlichen Tatbestände nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 4 SGB X vorlag. Dessen hätte es aber bedurft, weil man es, wie oben ausgeführt, durchweg mit einer Aufhebung für die Vergangenheit zu tun hat.

Hinsichtlich desjenigen Teils des für den 16.11.2013 bis 31.01.2014 bewilligten ALG, der das korrespondierende Krankengeld überstieg, vermag § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X nicht zu greifen, weil diese vertrauensschutzlose Aufhebung nur hinsichtlich des Teils des ALG, der dem Krankengeld entsprach, hätte gerechtfertigt werden können („soweit“). Dieser Teil steht hier aber nicht mehr zur Debatte. Eine Mitteilungspflicht hat die Klägerin nicht verletzt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X). Auch § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X vermittelt keine rechtliche Handhabe für die Aufhebung. Evident hatte die Klägerin keine relevante Kenntnis oder relevante schädliche Unkenntnis im Sinn dieser Vorschrift. Denn das besagte BSG-Urteil vom 20.09.2001 musste jedermann den Eindruck vermitteln, es sei gerade kein Ruhen eingetreten. Die Klägerin hatte zum maßgebenden Zeitpunkt keine positive Kenntnis vom nachträglichen Eintritt des Ruhens – das es ja nach dem BSG-Urteil überhaupt nicht geben dürfte – und ihre Unkenntnis davon bestand vor dem Hintergrund des BSG-Urteils auch nicht deswegen, weil sie die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzte.

Im Hinblick auf den Zeitraum 01.02. bis 02.03.2014 ist die Rechtslage in Bezug auf den das korrespondierende Krankengeld übersteigenden Teil des ALG genau die gleiche; auch insoweit bietet § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X keinen einschlägigen Tatbestand, der den Vertrauensschutz der Klägerin überwindet. Bezüglich des Teils des ALG, der sich mit dem korrespondierenden Krankengeld deckte, war die Aufhebung der Leistungsbewilligung dagegen nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X zulässig. Da nämlich keine Vorleistung des nachrangigen Trägers – also der Beklagten – vorlag, fehlte es an einem Erstattungsanspruch der Beklagten gegen die TK, was wiederum zur Folge hatte, dass keine Aufhebungssperre im Verhältnis zur Klägerin eingetreten war. Allerdings hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ohnehin darauf verzichtet, ihre Berufung auch auf diesen Teil der Leistungsaufhebung zu erstrecken.

Da nach dem eben Gesagten in Bezug auf den das korrespondierende Krankengeld übersteigenden Teil des ALG für den Zeitraum 01.02. bis 02.03.2014 die durch die Beklagte ausgesprochene Aufhebung der Bewilligung rechtswidrig war und demgemäß durch dieses Urteil kassiert wird, bleibt insoweit der Rechtsgrund für die Zahlung, nämlich die ALG-Bewilligung vom 20.12.2013, bestehen. Die Beklagte muss die entsprechenden ALG-Leistungen für den Zeitraum 01.02. bis 02.03.2014 (Differenzbetrag zwischen dem ALG und dem Krankengeld) noch an die Klägerin auskehren. Da sich die Zahlungsverpflichtung aber unmittelbar aus der teilweisen Kassation der Leistungsaufhebung ergibt und zudem nichts ersichtlich ist, die Beklagte könnte trotz der Kassation die Zahlungen verweigern, hat der Senat davon abgesehen, die Verpflichtung zur Leistung von ALG im Tenor ausdrücklich anzuordnen.

c) Hinsichtlich der Zahlung der Beiträge zur Apothekerversorgung ist der von der Klägerin gestellte Antrag ebenfalls vollumfänglich begründet. Seine gesetzliche Grundlage findet er in § 173 SGB III.

Im Hinblick auf die Zeitspanne 16.11.2013 bis 31.01.2014 verzichtet der Senat darauf zu erörtern, ob der korrespondierende Anspruch auf Beitragszahlungen zur berufsständischen Versorgung nach § 47a des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch gegen die TK niedriger ist, Vorrang genießt und ob das Zusammentreffen mit Leistungen nach § 173 SGB III ebenfalls über §§ 103, 107 SGB X zu lösen ist. Jedenfalls spricht Einiges dafür, dass sich die Beklagte insoweit an die TK hätte halten müssen, statt die Beitragszahlungen von der Apothekerversorgung zurückzuholen.

Unabhängig davon, ob gegen die TK ein Erstattungsanspruch entstanden war – der wiederum ein Aufhebungsverbot begründet hätte -, bestand der Rechtsgrund für die Beitragszahlungen durchgehend vom 16.11.2013 bis zum 02.03.2014 fort. Der Bewilligungsbescheid vom 20.12.2013 hatte die Beitragsübernahme gemäß § 173 SGB III ausdrücklich per Verwaltungsakt geregelt; die entsprechende Passage im Bescheid verkörperte nicht lediglich einen bloßen Hinweis auf die Rechtslage. Die beiden Bescheide vom 27.02.2014 haben die Leistung nach § 173 SGB III dagegen nicht in die Aufhebung einbezogen. Das ergibt sich zum einen aus dem Regelungsausspruch als solchen. Zum anderen setzte sich die mitgeteilte Überzahlung in Höhe von 1.955,25 EUR ausschließlich aus den ALG-Beträgen zusammen. Dem Senat ist aus eigener Erfahrung bekannt, dass die Beklagte in anderen Fällen Versicherungsbeiträge durchaus mit in die Summe des Erstattungsbetrags integriert. Wenn also hier anders vorgegangen wurde, drängt dies zu dem Schluss, dass die Bewilligung der Leistungen nach § 173 SGB III nicht von der Aufhebung umfasst war.

Nach alldem hat sich die Beklagte die gezahlten Beträge zu Unrecht vom Versorgungswerk erstatten lassen. Da ein Leistungsverweigerungsrecht weder behauptet noch ersichtlich ist, muss sie die beantragten Beiträge nachzahlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Der Senat hat eine einheitliche Kostenentscheidung getroffen, die einerseits dem Erfolg der Klägerin Rechnung trägt, andererseits aber auch berücksichtigt, dass das Klagebegehren in erster Instanz zu einem relativ großen Anteil unbegründet war. In zweiter Instanz hat die Klägerin den Streitgegenstand erst in der mündlichen Verhandlung so zugeschnitten, dass die Berufung letztlich vollen Erfolg gehabt hat; auch für die zweite Instanz kommt daher bei isolierter Betrachtung keine volle Kostenerstattung in Betracht.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Insbesondere ist keine Divergenz zur BSG-Rechtsprechung im Sinn von § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG gegeben, obgleich der Senat zum Ausdruck gebracht hat, dass er das Urteil vom 20.09.2001 – B 11 AL 35/01 R für falsch hält. Denn das Ergebnis des Rechtsstreits wäre kein anderes gewesen, hätte der Senat dieses Urteil voll für den vorliegenden Fall übernommen; somit wirkt sich der Meinungsunterschied nicht aus. Dass es letztlich nicht zur Divergenz im rechtlichen Sinn gekommen ist, hat die Klägerin bewusst durch eine entsprechende Gestaltung ihres Berufungsantrags bewirkt.

 

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