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Arbeitslosenversicherung – Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs bei Abfindungszahlung

SG Rostock – Az.: S 2 AL 69/17 – Urteil vom 29.11.2018

Der Bescheid vom 04.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.08.2017 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab dem 02.09.2017 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Arbeitslosengeldanspruch des Klägers wegen einer Abfindung in der Zeit vom 01.09.2017 bis 26.02.2017 ruht.

Der am … geborene Kläger war von 2002 bis 2013 als Geschäftsführer bei einer .. und wechselte ab dem 01.01.2014 in eine neue Beschäftigung als hauptamtliches Vorstandsmitglied C-Stadt beschäftigt. Grundlage für das Beschäftigungsverhältnis war die Satzung der Wohnungsgenossenschaft und der am 19.12.2012 geschlossene Dienstvertrag (DV), wonach der Kläger durch Beschluss des Aufsichtsrates mit Wirkung vom 01.01.2014 für Dauer von fünf Jahren zum Vorstandsmitglied bestellt wurde. Der Kläger war berechtigt, die Genossenschaft gerichtlich und außergerichtlich gemeinsam mit einem weiteren Vorstandsmitglied oder mit einem Prokuristen zu vertreten. Die Vergütung betrug 6.900 € brutto monatlich. Zuzüglich wurden Urlaubs- und Weihnachtsgeld gezahlt. § 10 DV regelte zu Vertragsbeginn und Vertragsende Folgendes:

1. „Das Dienstverhältnis beginnt am 1. Januar 2014. Es endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, mit Ablauf der jeweiligen Bestellung. Wird das Vorstandsmitglied durch Beschluss der Vertreterversammlung abberufen, endet das Dienstverhältnis automatisch mit einer Frist von sechs Monaten. Das Vorstandsmitglied kann während dieses Zeitraumes von seiner Tätigkeit freigestellt werden. Das Dienstverhältnis endet auch, wenn Umstände nach § 9 (durch den RV-Träger festgestellte Erwerbsminderung) eintreten.

2. Wird das Vorstandsmitglied erneut bestellt, verlängert sich der Vertrag automatisch.

3. Der Vertrag endet ohne ausdrückliche Kündigung in dem Monat, in dem das Vorstandsmitglied das gesetzliche Rentenalter erreicht.

4. Ab dem Zeitpunkt des Beschlusses des Aufsichtsrates, das Vorstandsmitglied nicht über die laufende Amtsdauer hinaus wieder zu bestellen, kann das Vorstandsmitglied für die restliche Dauer des Dienstverhältnisses freigestellt werden.

5. Im Fall der Nichtwiederbestellung durch den Aufsichtsrat oder durch die Abberufung durch die Vertreterversammlung erhält das Vorstandsmitglied eine einmalige Abfindung sechs Monatsgehältern.“

Nach der Satzung der Wohnungsgenossenschaft (§ 21 Abs. 6) sollten Anstellungsverträge mit hauptamtlichen Vorstandsmitgliedern für die Dauer der Bestellung abgeschlossen werden. Für die Kündigung des Anstellungsverhältnisses unter Einhaltung der gesetzlichen oder vertraglichen Fristen sowie für den Abschluss von Aufhebungsverträgen war der Aufsichtsrat, vertreten durch seinen Vorsitzenden zuständig. Für fristlose Kündigungen aus wichtigem Grund war die Vertreterversammlung zuständig.

Im November 2016 teilte der Kläger den Aufsichtsratmitgliedern der Wohnungsgenossenschaft mit, dass er nicht mehr bereit sei, seine Zustimmung zu Rechtsgeschäften zwischen Aufsichtsratsmitgliedern und der Wohnungsgenossenschaft zu geben. Nach Angaben des Klägers wurde er darauf hin vom Aufsichtsrat ab dem 17.11.2016 vom Dienst suspendiert und mit einem Hausverbot belegt. Mit Schreiben vom 23.11.2016 wurde der Kläger vorläufig seines Amtes enthoben. Es wurde eine außerordentliche Vertreterversammlung für den 15.12.2016 einberufen, in der die Abberufung bzw. Kündigung des Klägers in seiner als Vorstandsmitglied beschlossen werden sollte. Nachdem auf der Sitzung ein entsprechender Beschluss nicht gefasst wurde, schloss der Kläger am 02.03.2017 einen Aufhebungsvertrag, wonach die Bestellung zum Vorstand einvernehmlich mit Wirkung zum 28.02.2017 beendet wird und er sein Mandat als Vorstandsmitglied niederlegt. Die Wohnungsgenossenschaft gewährte dem Kläger eine Abfindung in Höhe von 200.000 € und überließ dem Kläger sein Dienstfahrzeug, dessen Verkehrswert mit 15.000 € beziffert wird.

Am 16.02.2017 meldete sich der Kläger ab dem 01.03.2017 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg).

Mit Bescheid vom 04.04.2017 stellte die Beklagte fest, dass der Alg-Anspruch wegen der gewährten Entlassungsentschädigung für die Zeit vom 01.03.2017 bis zum 26.02.2018 ruht. Mit Bewilligungsbescheid vom 07.04.2017 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab dem 27.02.2016 bis zum 28.02.2019 Alg in Höhe von 72,02 € täglich (2.160,60 € monatlich).

Hiergegen legte der Kläger am 04.05.2017 Widerspruch ein, mit dem er sich im Wesentlichen gegen den Vorwurf wandte, das Arbeitsverhältnis vorzeitig beendet zu haben. Der Arbeitgeber sei zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt gewesen. Ein Ruhen komme allenfalls für die Zeit bis 31.08.2017 in Betracht, weil dann die Sechs-Monats-Frist für die Abberufung geendet hätte. Er habe sich vor Abschluss des Aufhebungsvertrages bei der Arbeitsagentur in A-Stadt beraten lassen und sei über das Ruhen bei Abfindung nicht informiert worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.08.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Für das Arbeitsverhältnis des Klägers sei die ordentliche Kündigung zeitlich unbegrenzt ausgeschlossen gewesen, sodass nach den gesetzlichen Bestimmungen (§ 158 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III) eine fiktive Kündigungsfrist von 18 Monaten gelte. Mit Rücksicht auf das Lebensalter des Klägers am Ende des Arbeitsverhältnisses (44 Jahre) und die Dauer der Betriebszugehörigkeit (3 Jahre), seien 55 % der Entlassungsentschädigung zu berücksichtigen, was einem Betrag von 118.250 € entspreche. Bei Anrechnung dieses Betrages ruhe der Alg-Anspruch bis zum 26.02.2018.

Mit der am 04.09.2017 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Im Wesentlichen wiederholt er den Vortrag im Widerspruchsverfahren.

Der Kläger beantragt:

Der Bescheid der Beklagten vom 04.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.08.2017 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab dem 01.09.2017 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie verweist im Wesentlichen auf die Begründung der Bescheide sowie darauf, dass eine Abberufung des Klägers aus wichtigem Grund durch die einberufene außerordentliche Vertreterversammlung nicht erfolgt sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Leistungsakten des Beklagten verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und abzuändern. Der Kläger hat Anspruch darauf, dass ihm ab dem 02.09.2017 Alg gewährt wird.

Nach § 158 SGB III ruht der Anspruch auf Alg, wenn der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung (Entlassungsentschädigung) erhalten oder zu beanspruchen hat und das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden ist, von dem Ende des Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tage, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung dieser Frist geendet hätte (§ 158 Abs. 1 S. 1 SGB III). Die Frist beginnt grundsätzlich mit der Kündigung und bei Fehlen einer Kündigung mit der Vereinbarung, die der Beendigung vorausgegangen ist (§ 158 Abs. 1 S. 2 SGB III). Ist die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber ausgeschlossen, so gilt bei zeitlich unbegrenztem Ausschluss eine Kündigungsfrist von 18 Monaten (§ 158 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 SGB III), bei zeitlich begrenztem Ausschluss oder bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine fristgebundene Kündigung aus wichtigem Grund jedoch die Kündigungsfrist, die ohne den Ausschluss der ordentlichen Kündigung maßgebend gewesen wäre (§ 158 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 SGB III). Kann der Arbeitnehmerin nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich gekündigt werden, so gilt eine Kündigungsfrist von einem Jahr (§ 158 Abs. 1 S. 4 SGB III).

Vorliegend sieht das Gericht die gesetzlichen Voraussetzungen für eine fristgebundene Kündigung aus wichtigem Grund als erfüllt an, so dass für die Frage, ob eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Sinne von § 158 SGB III anzunehmen ist, die ohne den Ausschluss der ordentlichen Kündigung maßgebende Kündigungsfrist gilt (§ 158 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 SGB III). Entgegen der Auffassung der Beklagten findet § 158 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 SGB III keine Anwendung.

Eine auf betriebliche Gründe gestützte außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund (§ 626 BGB) unter Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist kommt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ausnahmsweise in Betracht, wenn die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung ausgeschlossen ist und dies dazu führt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer andernfalls trotz vollständigen Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit noch für erhebliche Zeiträume vergüten müsste, ohne dass dem eine entsprechende Arbeitsleistung gegenüberstünde (vgl. BSG, Urteil vom 17.12. 2013, – B 11 AL 13/12 R –, juris, Rn. 16 mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtsprechung des BAG).

Das Arbeitsverhältnis des Klägers konnte nicht ordentlich gekündigt werden. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin war vom 01.01.2014 für die Dauer von fünf Jahren, das heißt bis zum 31.12.2019 befristet. Nach § 15 Abs. 3 TzBfG unterliegt ein befristetes Arbeitsverhältnis nur dann der ordentlichen Kündigung, wenn dies einzelvertraglich oder im anwendbaren Tarifvertrag vereinbart ist.

Einzelvertraglich war eine Kündigung des Dienstverhältnisses nicht vorgesehen. Nach § 10 DV sollte das Anstellungsverhältnis automatisch mit Ablauf der Bestellung und in Fällen einer vorzeitigen Abberufung mit einer Frist von sechs Monaten enden. Der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (MTV) vom 03.06.1997 fand auf den Kläger als leitenden Angestellten keine Anwendung (vgl. § 1 MTV).

Die Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger als hauptamtliches Vorstandsmitglied war vorliegend weggefallen. Nach dem glaubhaften Vortrag des Klägers gab es im November 2017 grundlegende Differenzen hinsichtlich der Geschäftsführung, die den Aufsichtsrat veranlassten, den Kläger von der Arbeit freizustellen, ihm ein Hausverbot zu erteilen und die Abberufung des Klägers als hauptamtliches Vorstandsmitglied einzuleiten. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Abberufung am 15.12.2016 tatsächlich nicht von der Vertreterversammlung beschlossen wurde, denn dieses kann nicht als Indiz dafür gewertet werden, dass tatsächlich kein wichtiger Grund vorlag. Abgesehen davon, dass die Erwägungen der Vertreterversammlung für die seinerzeit unterbliebene Abberufung und Kündigung aus wichtigem Grund nicht bekannt sind, kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Versuch einer gütlichen Einigung mit dem Kläger unternommen werden sollte, um (öffentliche und gerichtliche) Auseinandersetzungen zu vermeiden. Für den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit spricht, dass das Vertrauensverhältnis zwischen dem Kläger und dem Aufsichtsrat nach den Vorfällen tiefgreifend gestört war und der Aufsichtsrat erkennbar die unternehmerische Entscheidung getroffen hat, mit dem Kläger nicht weiter zusammen zu arbeiten.

Unter den gegebenen Umständen war dem Arbeitgeber eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund nicht zumutbar. Die oben angeführten Voraussetzungen für eine Kündigung nach § 626 BGB mit Auslauffrist lagen vor. Die ordentliche Kündigung des Anstellungsvertrages wäre bei Abschluss des Aufhebungsvertrages am 02.03.2017 gemäß § 10 DV in der Weise möglich gewesen, dass der Kläger aus seinem Amt abberufen wird und das Arbeitsverhältnis mit Ablauf einer Auslauffrist von sechs Monaten am 02.09.2017 endet. Gemäß § 158 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB III ruht der Alg-Anspuch längstens bis zu diesem Tag.

Der Auszahlung des rechtswidrig vorenthaltenen Alg steht nicht entgegen, dass der Kläger inzwischen seinen Alg-Anspruch weitgehend ausgeschöpft hat. Dem Kläger ist aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes so zu stellen, wie sie stünde wenn von vornherein rechtmäßig entschieden worden wäre (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2013, B 11 AL 13/12 R, juris, Rn. 21).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Wegen des nur geringen Unterliegens kommt eine Kostenteilung nicht in Betracht.

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