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Arbeitsunfall – Anerkennung des berufsbedingten Anblicks eines sterbenden Unfallopfers

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg – Az.: L 3 U 319/08 – Urteil vom 31.03.2011

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. April 2008 geändert. Es wird festgestellt, dass das Ereignis vom 03. Januar 2004 ein Arbeitsunfall ist und Folgen des Arbeitsunfalls eine mittelgradige depressive Episode sowie eine Agoraphobie mit Panikstörung als Residuen einer posttraumatischen Belastungsstörung sind.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Berufung wird im Übrigen zurückgewiesen.

Die Beklagte erstattet der Klägerin die Hälfte der Kosten des gesamten Rechtsstreits.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Anerkennung eines Ereignisses vom 03. Januar 2004 als Arbeitsunfall.

Die 1945 geborene Klägerin absolvierte eine Ausbildung im Betriebs- und Verkehrsdienst der D R (DR). Nach verschiedenen Beschäftigungen bei der DR und in anderen Bereichen war sie zehn Jahre lang bis zum 31. August 1997 bei den B Verkehrsbetrieben (BVG) als Fahrdienstleiterin sowie Aufsicht und vom 01. September 1997 bis zur Berentung zum 01. August 2004 (Bescheid der Bahnversicherungsanstalt vom 19. Januar 2005: Rente wegen voller Erwerbsminderung zunächst auf Zeit, später unbefristet) bei der S-Bahn B GmbH beschäftigt. Dort arbeitete sie zuletzt im Drei-Schicht-System als Aufsicht auf dem S- Bahnhof B.

Am 03. Januar 2004 begann ihr Dienst erstmals nach einer Krankschreibung vom 26. November 2003 bis zum 02. Januar 2004 um 14:00 Uhr. Um 16:20 Uhr fertigte sie regulär den S-Bahnzug der Linie S2 in Richtung S-Bahnhof M ab. Als der Zug den Bahnübergang B, der mit einer Halbschranke für den Verkehr gesperrt war, passierte, erfasste er einen Jogger, der ungeachtet des Zuges den Bahnübergang überqueren wollte, und schleifte diesen rund 37 Meter mit sich. Der Triebwagenführer U K leitete die Notbremsung ein. Es bestand Funkkontakt zwischen dem Triebwagenführer und der Klägerin sowie zwischen dem Triebwagenführer und der Betriebsleitstelle. Kurz nach dem Unfall fertigte die Klägerin den S-Bahnzug aus der entgegenkommenden Richtung ab. Der Fahrstrom wurde um 16:21 Uhr abgeschaltet. Die Klägerin verließ ihren Dienstraum und den Bahnhof mit einer Taschenlampe, um dem Unfallopfer Hilfe zu leisten. Der Triebwagenführer verließ ebenfalls den Zug, um den Kurzschließer zu holen. Dazu ging er an der rechten Seite des Zuges entlang zurück in Richtung Bahnhof. Auf dem Weg zum Bahnhof begegnete er der Klägerin und ging mit dieser zum Bahnhof, wo diese ihm den Kurzschließer gab. Um 16:24 Uhr war der Bundesgrenzschutz (BGS), um 16:30 Uhr die Polizei vor Ort. Um 16:50 Uhr wurde der Fußgänger von der Feuerwehr geborgen, der Notarzt musste trotz eingeleiteter Notfallversorgung um 16:55/17:00 Uhr dessen Tod feststellen. Der Triebwagenführer wurde mit einem Schock von der Feuerwehr ins Krankenhaus zur ambulanten Behandlung gebracht (Ermittlungsbericht des Verkehrsunfalldienstes vom 04. Januar 2004). Um 17:10 Uhr wurde der stehende Zug durch den BGS geräumt (Mitteilung der S-Bahn B GmbH vom 30. September 2008). Um 17:20 Uhr traf der Notfallmanager der Deutschen Bahn AG, Herr RB, ein (Protokoll der Zeugenvernehmung vom 02. April 2009). Die Klägerin selber wurde um 17:30 Uhr von der Feuerwehr in das W-Klinikum gebracht, wo sie erstmals um 18:04 Uhr behandelt wurde unter der Diagnose „akute Belastungsreaktion“ (Erste-Hilfe-Bericht vom 03. Januar 2004). Es bestand Arbeitsunfähigkeit ab dem 04. Januar 2004.

Am 20. Januar 2004 ging die Unfallanzeige der S-Bahn B GmbH vom 13. Januar 2004 bei der Beklagten ein. Darin wurde angegeben, bei der Ausfahrt eines S-Bahnzuges aus dem Bahnhof B sei es zu einem Personenunfall gekommen. Die S-Bahn habe einen Fußgänger erfasst, der durch den geschlossenen Schrankenbereich gelaufen sei. Die Klägerin habe einen Schock erlitten. Ergänzend gab die S-Bahn B GmbH mit Schreiben vom 05. März 2004 an, die Klägerin habe den Unfall selbst nicht gesehen. Sie habe nach der Information durch den Triebwagenführer alle erforderlichen Maßnahmen (Gleissperrung, Meldung an die Betriebsleitung) eingeleitet und sich anschließend zum Unfallort begeben, wo sie die verunfallte Person im Gleis gesehen habe.

Die Beklagte zog den Erste-Hilfe-Bericht des W-Klinikums vom 03. Januar 2004, Kopien der Ausweise für Arbeit und Sozialversicherung (SVA) der Klägerin sowie die Akte der Staatsanwaltschaft B zum Az. bei, holte Behandlungsauskünfte des Facharztes für Allgemeinmedizin I vom 12. März 2004 und 22. Juni 2004 sowie des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie S vom 03. Mai 2004 und 28. Juni 2004, Aufstellungen der Arbeitsunfähigkeitszeiten durch die Bahn- BKK vom 06. April 2004 sowie die AOK B vom 12. Mai 2004 ein. Auf Rückfrage der Beklagten gab die Klägerin telefonisch am 24. Juni 2004 an, sie sei zum Unfallort gegangen und habe die Leiche unter dem Wagenrad liegend (teils im Gleis und teils auf der Schiene) gesehen. Sie habe sich um das Unfallopfer kümmern wollen, der Lokführer habe sie jedoch zurück in den Dienstraum geschickt. Schließlich veranlasste die Beklagte eine Stellungnahme des beratenden Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B vom 12. Juli 2004. Mit Bescheid vom 15. Juli 2004 lehnte sie Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass des Ereignisses vom 03. Januar 2004 ab. Nach den vorliegenden Unterlagen habe die Klägerin den Unfall selber nicht gesehen, aber die Leiche. Sie habe sich zu keinem Zeitpunkt in einer lebensbedrohlichen Situation befunden. Eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bzw. Behandlungsbedürftigkeit sei nicht begründbar. Wenn hier eine längerfristige Arbeitsunfähigkeit zustande gekommen sei, sei diese nur dadurch zu begründen, dass sie – die Klägerin – sich in einem hochgradig labilen Gleichgewicht befunden habe. Das Ereignis dürfte zwar Anlass, aber nicht eigentliche Ursache der lang anhaltenden psychischen Reaktion gewesen sein. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29. März 2005).

Mit ihrer hiergegen vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall sowie die Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als Unfallfolge und die Gewährung von Entschädigungsleistungen, insbesondere Verletztengeld und Verletztenrente, beantragt.

Das SG hat die Renten- und Reha-Akten der Bahnversicherungsanstalt zum Az. sowie die Schwerbehindertenakte der Klägerin beigezogen und Auszüge hieraus zu den Akten genommen (u. a. ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Dr. S vom 21. April 2005, Befundberichte des Herrn S vom 08. September 2004 sowie des Herrn I vom 18. September 2004 und das psychiatrische Rentengutachten der Frau Dr. H/A. K-E vom 21. Dezember 2004). Darüber hinaus hat es den Reha-Entlassungsbericht der V-Kliniken GmbH vom 05. Juli 2005 und medizinische Unterlagen von dem Allgemeinmediziner B beigezogen sowie Vorerkrankungsverzeichnisse der Bahn- BKK und der AOK Berlin sowie Befundberichte von Herrn I vom 05. Dezember 2005, Herrn S vom 06. Dezember 2005, von dem Gynäkologen Dr. S vom 20. Dezember 2005 sowie der Internistin Dr. A vom 09. August 2006 eingeholt.

Anschließend hat das SG den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B mit der Untersuchung der Klägerin und Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In seinem am 23. Februar 2007 nach einer Untersuchung der Klägerin am 29. Januar 2007 fertig gestellten Gutachten hat dieser auf seinem Fachgebiet eine PTBS festgestellt. Diese Gesundheitsstörung sei im Sinne der erstmaligen Entstehung ursächlich auf das Ereignis vom 03. Januar 2004 zurückzuführen. Die Klägerin habe am Unfalltag die Leiche des getöteten Mannes gesehen und sei anschließend Ziel der Aggressionen aufgebrachter Bahnreisender und Autoreisender, die mehr als zwei Stunden hätten warten müssen, gewesen. Sie habe sich massiv bedroht gefühlt. Danach habe sich eine PTBS entwickelt mit wiederkehrenden und eindringlich belastenden Erinnerungen an das Trauma in Form von Alpträumen und intrusiven Wiedererinnerungen bei an das Trauma erinnernden Stimuli, Vermeidungsverhalten (Vermeiden der früheren Dienststelle im Bahnhof, Vermeidung des Aus- dem- Haus- Gehens, Vermeidung öffentlicher Verkehrsmittel, Vermeidung des Redens über die Ereignisse am Unfalltag, Vermeidung des Auto- sowie des Eisenbahnfahrens), ausgeprägtem sozialen Rückzug, Aufgabe wichtiger früherer Aktivitäten (Reisen, Autofahren), Ein- und Durchschlafstörungen, vermehrter Schreckhaftigkeit und Gereiztheit, erhöhter Grundanspannung, verminderter Merkfähigkeit als Symptome eines erhöhten Arousals, Angst vor Menschen in Menschenansammlungen, psychosomatischer Reaktionen mit Gelenkschmerzen, depressiver Symptomatik in Form von Grübeln und Schuldgefühlen am Tod des Fußgängers sowie Konversionssymptomatik in Form der Unfähigkeit, Briefe von Ärzten zu lesen. Unter fortlaufender nervenärztlicher und psychotherapeutischer Behandlung bis Ende 2006 sei es zu einer deutlichen Besserung der Symptomatik gekommen. Die Klägerin sei wegen der Folgen des Ereignisses anhaltend arbeitsunfähig gewesen und auch jetzt noch behandlungsbedürftig. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei bis zum Ende der Psychotherapie, dem 31. Dezember 2006, mit 40 v. H., danach fortlaufend mit 20 v. H. zu bemessen.

Die Beklagte hat das Gutachten unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des beratenden Arztes Dr. B vom 04. April 2007 als nicht nachvollziehbar kritisiert. So fehle das so genannte A-Kriterium für die Diagnose einer PTBS ebenso wie ein intrusives Wiedererleben. Der Gutachter verneine bzw. bagatellisiere Vorerkrankungen bzw. vorbestehende psychische Belastungen, obwohl die Klägerin diese selber aktenkundig geschildert habe (Schlafstörungen und Erschöpfungszustand durch jahrelangen Schichtdienst).

Der Sachverständige hat in einer Stellungnahme hierauf vom 02. Juni 2007 seine Beurteilung aufrecht erhalten. Bei dem Ereignis vom 03. Januar 2004 handele es sich um ein komplexes Ereignis mit einem komplexen Erleben der Klägerin, das nicht in einzelne Bestandteile auseinander dividiert werden könne bzw. dürfe. Selbst die Beklagtenseite habe eingeräumt, dass sich der Klägerin mit dem Anblick des vom Zug erfassten Mannes ein grauenhafter Anblick geboten habe. Dass sie selber von dem Anblick nicht bedroht worden sei, spiele keine Rolle. Darüber hinaus sei dieses Bedrohungserleben dann relativ bald nach dem Auffinden der Leiche, als die Klägerin sich in ihrem Arbeitsraum auf dem Bahnhof befunden habe und von wütenden und aufgebrachten Fahrgästen beschimpft sowie handgreiflich bedroht worden sei, gefolgt. Dieses Bedrohungserleben mit dem hilflosen Ausgeliefertsein gegenüber der tobenden Menge könne nicht vom Gesamtkomplex des Unfallereignisses abgelöst werden. Dass die Klägerin selber schildere, der Anblick des Toten sei „nicht so besonders“ gewesen und dass sie darüber nicht reden wolle, sei bei ihr Teil einer Vermeidungsstrategie im Rahmen der PTBS. Bei den von der Beklagten angeführten Vorerkrankungen habe es sich nicht um gravierende psychische Störungen gehandelt, zumal die Diagnosen aus den Vorerkrankungsverzeichnissen zum Teil nicht nachvollziehbar seien. Auch ein intrusives Wiedererleben habe die Klägerin bei seiner Untersuchung geschildert.

Die Beklagte hat ihre Kritik weiter untermauert durch Herreichung von Stellungnahmen der beratenden Ärzte Dr. B vom 16. Juli 2007 und des Neurologen und Psychiaters Dr. F vom 01. September 2007.

Das SG hat die Beklagte durch Urteil vom 25. April 2008 unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Juli 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2005 verurteilt, der Klägerin unter Anerkennung des Ereignisses vom 03. Januar 2004 als Arbeitsunfall und einer anhaltenden PTBS als Folge dieses Arbeitsunfalls Entschädigungsleistungen zu gewähren, insbesondere Verletztengeld bis zum Ablauf von 78 Wochen seit dem 04. Januar 2004 sowie für den anschließenden Zeitraum eine Verletztenrente auf der Grundlage einer MdE i. H. v. von 40 v. H. bis zum 31. Dezember 2006 und i. H. v. 20 v. H. seit dem 01. Januar 2007. Soweit die Beklagte meine, bei dem Ereignis vom 03. Januar 2004 handele es sich deshalb nicht um einen Unfall i. S. d. § 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII), weil die Klägerin selber nicht betroffen gewesen und der Anblick einer Leiche allgemeines Lebensrisiko sei, müsse dem widersprochen werden. Bereits die Mitteilung des Unfallereignisses als sich ein in ihrem beruflichen Zuständigkeitsbereich ereignet habendes Unglück durch den Triebwagenführer und dann im Folgenden auch der Anblick des Unfallopfers stellten jeweils für sich wie auch als einheitlich zu bewertendes Gesamtgeschehen ohne weiteres ein zeitlich begrenztes äußeres Ereignis und somit ein Unfallereignis im Rechtssinne dar. Sowohl die Kenntnisnahme von dem Unfall als auch der Anblick des Unfallopfers seien durch die berufliche Tätigkeit der Klägerin als S-Bahn-Aufsicht erzwungen worden und hätten daher in einem eindeutigen inneren Zusammenhang mit dieser Tätigkeit gestanden. Es sei geltendes Recht, dass auch solche Risiken vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung erfasst seien, denen man auch außerhalb der beruflichen Tätigkeit ausgesetzt sei, wenn und soweit sie sich bei der beruflichen Tätigkeit und in einem inneren Zusammenhang zu derselben verwirklichten. Ebenso wenig schließe die Tatsache, dass manche Risiken bestimmten beruflichen Tätigkeiten immanent seien, den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung aus. Soweit die Beklagte durch ihre beratenden Ärzte Widersprüche zwischen den einzelnen Schilderungen der Klägerin geltend mache, sei dies konstruiert und entspreche nicht der Faktenlage. Bereits im W-Klinikum habe die Klägerin angegeben, die Leiche gesehen zu haben. Wenn jetzt ausgeführt werde, dies sei vielleicht doch nicht der Fall gewesen und die Klägerin habe sich dies nur vorgestellt, handele es sich um bloße Spekulation. Im Übrigen seien der Anblick des Unfallopfers und die Anfeindungen auf dem Bahnsteig durch Fahrgäste als einheitliches Unfallgeschehen zu werten. Das Gericht habe auch keine Bedenken, seiner Entscheidung das eingeholte psychiatrische Sachverständigengutachten des Dr. B zugrunde zu legen. Dieser habe schlüssig und überzeugend alle relevanten Gesichtspunkte für das streitige Vorliegen einer PTBS geprüft. Die Einwände der Beklagten könnten hingegen nicht überzeugen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Es fehle an einem hinreichend schweren Ereignis, das zu einer PTBS bei der Klägerin habe führen können. Darüber hinaus fänden sich konkurrierende Ursachen. So seien den Vorerkrankungsverzeichnissen der Krankenkassen Arbeitsunfähigkeiten wegen akuter Belastungsreaktionen, zerebraler Störungen, Psychosyndrom und depressiver Erschöpfung zu entnehmen.

Außerdem sei die Klägerin unmittelbar vor dem Ereignis wegen einer unfallunabhängigen psychischen Erkrankung (akute Belastungsreaktion) mehrere Wochen lang arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Im Übrigen bestünden weiter Zweifel an den Sachverhaltsangaben der Klägerin. Es sei beispielsweise schwer vorstellbar, dass die Fahrgäste unmittelbar nach dem Ereignis handgreiflich geworden und die Klägerin sogar bedroht hätten, obwohl sie den stehenden Zug gar nicht hätten verlassen können.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. April 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat zunächst Auskünfte der S-Bahn B GmbH vom 30. September 2008 und 24. Oktober 2008, denen der für das Eisenbahn-Bundesamt am 23. Februar 2004 erstellte Unfallbericht beigefügt war, eingeholt. Darüber hinaus hat der Senat Auflistungen der behandelnden Ärzte von der Bahn- BKK und der AOK Berlin sowie einen Befundbericht des Praxisnachfolgers des Herrn I – Herrn A – vom 05. Mai 2009 nebst Kopien der in seiner Akte befindlichen medizinischen Unterlagen eingeholt. Des Weiteren hat der Senat die Akte der Staatsanwaltschaft Berlin zum Az. beigezogen sowie die Schwerbehindertenakte der Klägerin eingesehen.

Im Erörterungstermin vom 02. April 2009 hat die Berichterstatterin die Klägerin ausführlich befragt und den Triebwagenführer U K sowie den Notfallmanager R B als Zeugen zu den Geschehnissen am S-Bahnhof B vernommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Befragungen wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift sowie der Anlagen 1 und 2 zur Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Anschließend hat der Senat den Arzt für Psychiatrie Prof. Dr. Z mit der Untersuchung der Klägerin und Erstellung eines Gutachtens betraut. In dem am 23. November 2009 nach einer Untersuchung der Klägerin am 16. November 2009 fertig gestellten Gutachten ist dieser zu dem Schluss gelangt, das Unfallereignis am 03. Januar 2004 habe bei der Klägerin zu einer gut dokumentierten ersten Schockreaktion und anschließend zu einem Syndrom, das fachkundig und ausführlich niedergelegt und zu Recht mit der Diagnose PTBS gefasst worden sei, geführt. Inzwischen sei die damalige Symptomatik zugunsten einer chronisch persistierenden psychischen Störung zurückgegangen. Es ließen sich nicht mehr alle Symptome einer PTBS feststellen. Die Klägerin lebe seit dem Unfall bis dato durch die resultierende psychische Störung in ihrer Autonomie, was die Berufsausübung sowie die allgemeine Lebensgestaltung angehe, deutlich reduziert und eingeschränkt. Aktuell sei ein psychiatrisches Syndrom zu diagnostizieren, das nicht mehr eindeutig nur einer psychischen Störung zuzuordnen sei. Es handele sich um ein insgesamt mittelschweres Syndrom mit zwei Schwerpunkten:

– leichte bis mittelschwere depressive Komponente

– mittelschwere Angstsymptomatik.

Der Systematik des ICD-10 folgend müssten aktuell zwei Diagnosen gestellt werden:

– F32.1. bzw. F34.1 für eine mittelgradige depressive Episode und

– F 40.1 für eine Agoraphobie mit Panikstörung.

Das Vollbild einer PTBS bestehe nicht mehr bzw. die entsprechenden Kriterien seien nicht mehr eindeutig erfüllt. Früher hätten diese aber zweifellos vorgelegen. Hier seien aktuell zu nennen: Nachhallerinnerungen, Vermeidung von an den Unfall erinnernden Situationen und in entsprechenden Situationen Angst bis zur Panik. Weiterhin ließen sich ein chronischer Rückzug aus altersgemäßen und früher praktizierten Aktivitäten und ein ausschließlicher Bezug auf ein enges soziales Umfeld feststellen. Es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die nunmehr noch vorliegenden Störungen ausschließlich durch den streitigen Unfall verursacht worden seien. Konkrete und gravierende potentielle Faktoren, die als unfallunabhängige Ursachenfaktoren in Frage kämen, seien hier nicht nachgewiesen. Die von der Klägerin erlebte Situation erfülle im Übrigen das so genannte A-Kriterium für eine PTBS. Ausdrücklich seien in der ICD-10 auch „ein schwerer Unfall oder Zeuge des gewaltsamen Todes anderer“ benannt. Diese Einschätzung sei auch von den ähnlich formulierten Beschreibungen in der DSM-IV gedeckt, in denen explizit „…die Beobachtung eines Ereignisses, das mit dem Tod, der Verletzung oder der Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit einer anderen Person….“ genannt sei. Das so genannte A2-Kriterium sei ebenfalls sicher erfüllt, da die dort beschriebene psychische Reaktion – „die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit und Entsetzen“ – auf die Klägerin zutreffe. Überdies sei im Einzelfall zu bestimmen, wie der Betroffene subjektiv das Ereignis erlebt habe, zumal es kaum je endgültig gelingen könne, hier allein objektive Kriterien zu finden. Wie die von der Klägerin immer wieder berichtete Konfrontation mit aufgebrachten Fahrgästen tatsächlich verlaufen sei, lasse sich anhand der Akten offenbar nicht sicher rekonstruieren. Die in solchen Situationen stets entstehende Unübersichtlichkeit der Situation möge im Zusammenhang mit der Schockreaktion der Klägerin wohl zu subjektiven Färbungen geführt haben. Dies sei aber aus psychiatrischer Sicht für die Beantwortung der Beweisfragen nicht relevant, da die objektivierbaren Aspekte des Unfallereignisses und die Reaktion der Klägerin vor dem Hintergrund ihrer Entwicklung bis dahin die entscheidenden Faktoren und Kriterien für die Bewertung beinhalteten. Hinsichtlich der MdE hat sich der Sachverständige den Bewertungen des Dr. B angeschlossen. Dem Gutachten ist eine Bescheinigung des ehemals behandelnden Gynäkologen Dr. S vom 26. Juni 2009 beigefügt worden.

Die Beklagte ist dieser Beurteilung unter Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. S vom 22. Januar 2010 entgegen getreten. Unter Bezugnahme auf die Zeugenvernehmung des Triebwagenführers vom 02. April 2009 halte sie es für erwiesen, dass die Klägerin das Unfallopfer nicht gesehen habe. Weder das A1- noch das A2-Kriterium für eine PTBS seien erfüllt. Eine psychische Initialreaktion sei nicht belegt. Das eingeholte Gutachten weise formale und inhaltliche Mängel dergestalt auf, dass keine Diagnosen begründet würden, dass eine Beschwerdeverdeutlichung nicht ausgeschlossen werde, obwohl der Aktenverlauf erhebliche Bedenken vorgebe. Die Ausführungen zur Kausalität könnten nicht überzeugen, weil maßgebliche Vorerkrankungen nicht in die Kausalitätsdiskussion eingeflossen seien. Eine Agoraphobie und/oder Panikstörung könne aus fachärztlicher Sicht keine Unfallfolge sein, da es sich um anlagebedingt auftretende psychische Störungen handele. Eine Umwandlung von (angenommenen) unfallbedingten psychischen Störungen in eine Agoraphobie und/oder Panikstörung sowie Depression sei wissenschaftlich nicht belegt.

Der Sachverständige hat hierzu ergänzend unter dem Datum vom 09. Mai 2010 Stellung genommen und klarstellende Fragen des Gerichts beantwortet. Er hat die Kritik der Beklagten bzw. ihres beratenden Arztes zurückgewiesen. Er hat u. a. ausgeführt, entgegen der Auffassung der Beklagten habe die Klägerin unabhängig davon, ob sie den Unfallhergang gesehen habe, den Unfall „miterlebt“, denn sie sei am Unfallort gewesen, habe die entsprechenden Ansagen, Hinweise und Folgen erlebt, phasenweise sogar das Geschehen selber mit gesteuert. Eine direkte Wahrnehmung des Leichnams sei aus seiner fachärztlichen Sicht zur Erfüllung des A-Kriteriums nicht erforderlich. Es bedürfe darüber hinaus nicht zwingend einer von außen wahrgenommenen Initialreaktion. Nach der noch gültigen ICD-10 sei ein zeitliches Intervall von sechs Monaten nach dem Trauma als „Sollbestimmung“ aufgeführt. Im Übrigen sei eine frühe spezifische Reaktion ärztlich dokumentiert.

Die Beklagte hat zwei weitere Stellungnahmen des beratenden Arztes Prof. Dr. S vom 24. Juni 2010 und 18. Oktober 2010 vorgelegt.

Der Senat hat noch den Rettungsdienst-Einsatzbogen der B Feuerwehr vom 03. Januar 2004 beigezogen und bei der Bundespolizei – erfolglos – nach ihren Ermittlungsunterlagen zum streitigen Ereignis angefragt (telefonische Negativanzeige der Bundespolizei vom 17. März 2011).

Zum übrigen Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten (Gz. ) sowie die Akten der Staatsanwaltschaft Berlin (Az. ) verwiesen, die dem Senat vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet. Die erstinstanzliche Entscheidung war insoweit aufzuheben, als die Beklagte zur Gewährung von „Entschädigungsleistungen“, insbesondere Verletztengeld und Verletztenrente verurteilt worden ist. In diesem Umfang war demnach auch die Klage abzuweisen. Darüber hinaus ist die zulässige Berufung der Beklagten unbegründet.

Die Berufung ist teilweise begründet, weil Streitgegenstand der Klage (und der Berufung) lediglich die Feststellung des Ereignisses vom 03. Januar 2004 als Arbeitsunfall sowie von Unfallfolgen ist. Nur hierüber hat die Beklagte in ihrem angefochtenen Bescheid vom 15. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2005 entschieden. Eine Verwaltungsentscheidung zur Frage der Gewährung von Verletztengeld bzw. von Verletztenrente liegt nicht vor, insoweit war die Klage demnach unzulässig.

Das Ereignis vom 03. Januar 2004 ist aber entgegen der Auffassung der Beklagten als Arbeitsunfall gem. § 8 Abs. 1 SGB VII anzusehen. Darüber hinaus resultieren aus diesem Arbeitsunfall bis dato Gesundheitsschäden in Form einer mittelgradigen depressiven Episode und einer Agoraphobie mit Panikstörung als Residuen einer PTBS. Diesen Anspruch kann die Klägerin zulässigerweise im Wege der Anfechtungs- und Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 1 Satz 1, 55 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) verfolgen.

Für einen Arbeitsunfall ist nach den Maßgaben des § 8 Abs. 1 SGB VII in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität), und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern erst für die Gewährung einer Verletztenrente (Urteil des Bundessozialgerichts <BSG> vom 04. September 2007 – B 2 U 28/06 R – in SozR 4-2700 § 8 Nr. 24 m. w. N.).

Alle rechtserheblichen Tatsachen bedürfen des vollen Beweises mit Ausnahme derjenigen, die einen Ursachenzusammenhang (Unfallkausalität, haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität) ergeben; für diese genügt angesichts der hier typischen Beweisschwierigkeiten die hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG in SozR 2200 § 548 Nrn. 70 und 84). Voll bewiesen sein müssen aber auch hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs immer die Ursache selbst und der ihr zuzurechnende Erfolg; die hinreichende Wahrscheinlichkeit bezieht sich nur auf die kausalen Zwischenglieder. Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (Urteil des BSG vom 02. April 2009 – B 2 U 29/07 R – in Juris m. w. N.). Zu den voll zu beweisenden Tatsachen gehören damit z. B. die Erfüllung des Versicherungsschutztatbestandes nach §§ 2 ff SGB VII, die Verrichtung der versicherten Tätigkeit, das äußere Ereignis, ein Körperschaden und die Plötzlichkeit als Unfallmerkmale. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Aufl. 2008, Randnr. 3b zu § 128 m. w. N.).

Hiervon ausgehend ist der Senat in dem nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG gebotenen Maß davon überzeugt, dass die Klägerin am 03. Januar 2004 während ihrer versicherten Tätigkeit gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als S-Bahnaufsicht am S-Bahnhof B C das Unfallopfer gesehen und anschließend auf dem Bahnsteig Anfeindungen und Handgreiflichkeiten durch unzufriedene Reisende ausgesetzt war.

Die Klägerin hat von Anfang an, insbesondere bereits wenige Stunden später am selben Tag, noch unter dem vollen Eindruck der Ereignisse stehend im W-Klinikum angegeben, das Unfallopfer gesehen zu haben. Hiervon ist sie zu keinem Zeitpunkt abgerückt. Dass ihre Aussage bei der Polizei vom 14. Januar 2004 keine derartige explizite Angabe enthält, lässt nicht die Schlussfolgerung zu, sie habe dort das Gegenteil gesagt. Im Rahmen ihrer dortigen Vernehmung als Zeugin im Ermittlungsverfahren gegen den Triebwagenführer wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung war der Umstand, ob sie das Unfallopfer gesehen hatte oder nicht, nicht von Bedeutung. Immerhin hat die Klägerin auch dort betont, sie habe dem Opfer Hilfe leisten wollen und habe den Bahnhof verlassen. Ein Anblick des Unfallopfers bleibt hierbei offen. Es ist letztlich kein Grund erkennbar, weshalb die Klägerin bzgl. des Anblicks des Unfallopfers von Anfang an etwas Falsches oder Eingebildetes erzählt haben sollte. Schließlich ist es unzutreffend, dass – wie der Zeuge K bei seiner Befragung durch das Gericht am 02. Januar 2009 angegeben hat – das Unfallopfer auf der linken Seite des Zuges lag. Die Lektüre des Ermittlungsberichts des Verkehrsunfalldienstes vom 04. Januar 2004 und die Betrachtung der von der Polizei gefertigten Fotos des Unfallortes zeigen, dass das Opfer – das ungefähr auf halber Strecke zwischen dem Bahnübergang und der Zugspitze unter dem Zug lag und nicht neben dem Zug – zumindest wenn man sich bückte, von der rechten Seite des Zuges aus zu sehen gewesen sein muss und zwar wahrscheinlich besser als von der linken Seite, da dort die stromführende Schiene davor lag. Wie aus seinen weiteren Angaben hervorgeht, wusste der Zeuge K selber nicht, mit welchem Teil des Zuges er das Opfer getroffen hatte und wo sich das Opfer nach dem Zusammenprall und anschließendem Mitgeschleiftwerden befand. Er selbst hat den Verunglückten nicht gesehen (und wohl auch nicht nach ihm Ausschau gehalten), sondern war ganz und gar damit beschäftigt gewesen, alles Notwendige zu veranlassen und alsbald mit Hilfe des im Bahnhof aufbewahrten mobilen Kurzschließers den Strom komplett abzuschalten. Ob die Klägerin das Unfallopfer gesehen hat, konnte er bei seiner Befragung als Zeuge am 02. April 2009 nicht sagen. Letztlich stützen die Angaben des Zeugen K zur Überzeugung des Senats aber bei Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten, wonach das Opfer nicht unter dem Triebwagen, sondern unter dem zweiten Wagen hinter dem Drehgestell aufgefunden wurde, die Schilderung der Ereignisse durch die Klägerin, insbesondere deren Angabe, den Bahnhof verlassen zu haben, um dem Unfallopfer zu helfen und bei ihrer Suche das Unfallopfer auch tatsächlich gesehen zu haben. Denn der Zeuge hat bestätigt, nach Verlassen des Führerstandes auf seinem Weg zur Bahnhofsaufsicht die mit der Taschenlampe ausgerüstete Klägerin, die den Zug auf dessen rechter Seite in Richtung Führerstand abschritt, außerhalb des Bahnhofs im Gleisbereich getroffen und zur Umkehr veranlasst zu haben, da er dringend den Kurzschließer benötigte. Dass er nicht bestätigen konnte, dass die Klägerin das Opfer gesehen hat, ist nach den aus der von der Polizei gefertigten Unfallskizze ersichtlichen örtlichen Gegebenheiten, wonach die Klägerin schon vor dem Zusammentreffen das Opfer hat erblicken können, und seiner Konzentration auf die vollständige Abschaltung des Stroms nicht weiter verwunderlich. Zudem bleiben die Angaben der Klägerin im Kern über die Jahre und die Befrager (behandelnde Ärzte, Arbeitgeber, Beklagte, Polizei, Sachverständige, Gericht) hinweg konsistent. Sie hat die Nachricht vom Unfall vernommen, die vorgeschriebenen Diensthandlungen ausgeführt und sich auf den Weg zum Unfallort begeben. Angaben über das Chaos im Bahnhof sind erstmals bei den Gutachterinnen für die Rentenversicherung im September 2004 gemacht worden, sie ist zuvor jedoch nie über das Gesamtgeschehen befragt worden. Zeugenaussagen, die ihre Angaben bzgl. des Anblicks des Toten oder der Bedrohungen, Beschimpfungen und allgemeinen Bedrängung auf dem Bahnhof stützen könnten, liegen bis auf die Aussage des Triebwagenführers und Zeugen K vom 02. April 2009, es sei „ziemlich turbulent“ gewesen, nicht vor. Es entspricht jedoch der allgemeinen Lebenserfahrung im Berliner Nahverkehr, dass es bereits nach kurzen Verzögerungen und erst recht bei lang andauernden Sperrungen zu Beschimpfungen und auch zu Handgreiflichkeiten kommt. Dies ist im vorliegenden Fall aufgrund der räumlichen Lage des Unfallortes in besonderem Maße nachvollziehbar. Hier war über Stunden der Bahnübergang und damit die B C für Autos, Fußgänger, Fahrradfahrer und sämtliche öffentlichen Verkehrsmittel gesperrt. Dies musste zu großen Umwegen und Behinderungen im Verkehr zwischen M und L führen, da ein weiterer Übergang über die S-Bahn-Trasse sich nicht in unmittelbarer Nähe befindet.

Von diesem tatsächlichen Hergang der Geschehnisse ausgehend hat die Klägerin einen Arbeitsunfall erlitten. Die Eindrücke binnen der einen Stunde und zehn Minuten, während derer die Klägerin ihre Arbeit verrichtet hat – die mündliche Nachricht von einem Personenunfall, der Anblick des sterbenden blutüberströmten Unfallopfers, das Chaos auf dem Bahnsteig mit die Klägerin verbal und physisch bedrängenden, bedrohenden und beschimpfenden Fahrgästen – wirkten auf die Klägerin geistig-seelisch ein. Dies gilt letztlich auch für den Fall, dass die Klägerin das Unfallopfer tatsächlich gar nicht gesehen, sondern nur gesucht haben sollte. Es handelte sich zwar um einen im Rahmen der normalen Dienstpflichten einer S-Bahn-Aufsicht liegenden Geschehensablauf, er war jedoch ungewöhnlich bzw. außergewöhnlich in dem Sinne, dass er nicht alltäglich vorkam und keinen normierten Geschehensablauf beinhaltete. Die Ereignisse führten auch zu einer vermehrten Anspannung i. S. v. Stress. Diese geistig-seelische Einwirkung stellte ein zeitlich begrenztes (über annähernd 1,5 Stunden innerhalb einer Arbeitsschicht), von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis i. S. d. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII dar.

Für das von außen auf den Körper einwirkende, zeitlich begrenzte Ereignis ist kein besonderes, ungewöhnliches Geschehen erforderlich. Alltägliche Vorgänge wie Stolpern usw. genügen. Es dient der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden aufgrund von inneren Ursachen, wie Herzinfarkt, Kreislaufkollaps usw., wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten, sowie zu vorsätzlichen Selbstschädigungen. Das BSG (vgl. Urteil vom 27. Oktober 1987 – 2 RU 35/87 – in SozR 2200 § 589 Nr. 10) hat eine äußere Einwirkung auch angenommen bei einer als außergewöhnliche Anstrengung in einer betriebsbezogenen Stresssituation zu bewertenden Arbeit (Hausschlachtung) durch den Versicherten, wenn dies zu erheblicher Atemnot führt, der Versicherte zusammenbricht und innerhalb einer Stunde verstirbt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Dienstunfallrecht hat das Merkmal äußere Einwirkung ebenfalls lediglich den Zweck, äußere Vorgänge von krankhaften Vorgängen im Inneren des menschlichen Körpers abzugrenzen. Die Annahme einer äußeren Einwirkung scheide nur aus, wenn die Einwirkung auf Umständen beruhe, für die eine in körperlicher oder seelischer Hinsicht besondere Veranlagung des Betroffenen oder dessen willentliches Verhalten die wesentliche Ursache war (vgl. Urteile des BVerwG vom 24. Oktober 1963 – II C 10.62 – in BVerwGE 17, 59, 61; vom 09. April 1970 – II C 49.68 – in BVerwGE 35, 133, 134). Die Unfreiwilligkeit der Einwirkung bei dem, den das Geschehen betrifft, ist dem Begriff des Unfalls immanent, weil ein geplantes, willentliches Herbeiführen einer Einwirkung dem Begriff des Unfalls widerspricht (vgl. BSG SozR 2200 § 1252 Nr. 6). Hiervon zu unterscheiden sind jedoch die Fälle eines gewollten Handelns mit einer ungewollten Einwirkung, bei dieser liegt eine äußere Einwirkung vor (vgl. Keller in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, Randnr. 14 zu § 8). Dies ist für äußerlich sichtbare Einwirkungen unbestritten, z. B. für den Sägewerker, der nicht nur ein Stück Holz absägt, sondern auch unbeabsichtigt seinen Daumen. Gleiches gilt für äußere Einwirkungen, deren Folgen äußerlich nicht sichtbar sind. Schon die Einwirkung selbst kann, muss aber nicht sichtbar sein, z. B. radioaktive Strahlen oder elektromagnetische Wellen (vgl. Urteil des BSG vom 24. Juni 1981 – 2 RU 61/79 – in SozR 2200 § 548 Nr. 56: Störung eines Herzschrittmachers durch Kurzwellen eines elektrischen Geräts). Gegebenenfalls genügt sogar eine starke Sonneneinstrahlung, die von außen mittelbar zu einem Kreislaufkollaps führt, der dann als Arbeitsunfall anzuerkennen ist (vgl. Urteil des BSG vom 12. April 2005 – B 2 U 27/04 R – zitiert nach Juris). Auch eine geistig-seelische Einwirkung kann genügen (vgl. Urteile des BSG vom 18. Dezember 1962 – 2 RU 189/59 – in SozR Nr 61 zu § 542 RVO; vom 02. Februar 1999 – B 2 U 6/98 R – in VersR 2000, 789; Ricke in Kasseler Kommentar, Randnr. 24 zu § 8). Hierzu werden in der Rechtsprechung und Kommentarliteratur als Fallkonstellationen u. a. Geiselnahmen, Amokläufe, Erleben einer Todesgefahr, versehentliche Tötung eines Kollegen, demütigende Versagenssituationen eines Schülers vor der Klasse, ernsthafter Streit mit Vorgesetzten oder extrem belastendes Personalgespräch, Stresseinwirkung im Rahmen einer Zeugenvernehmung oder Miterleben eines schweren oder tödlichen Unglücksfalls bei der beruflichen Tätigkeit aufgeführt (vgl. Ricke in Kasseler Kommentar a. a. O.; Urteil des BSG vom 18. März 1997 – 2 RU 23/06 – in SozR 3-2200 § 539 RVO Nr. 39; Dr. Manfred Benz „Psyche und Trauma aus der Sicht der gesetzlichen Unfallversicherung“ in NZS 2002, S. 8 ff, S. 10). Zutreffend führt Krasney (in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Kommentar zum SGB VII, Stand Januar 2010, Randnr. 8 zu § 8) aus, dass ein Unfall normalerweise ein außergewöhnliches Ereignis ist. Es genügt allerdings auch ein Gesundheitsschaden bei der gewöhnlichen Betriebsarbeit, denn das Geschehen an sich muss nicht etwas besonders Ungewöhnliches sein, sondern kann auch ein alltägliches Ereignis sein. Es muss sich aber von den alltäglichen Geschehnissen abheben, wie das vom BSG (s. o.) genannte Stolpern vom normalen Gehen. Ähnlich unterscheidet dies die verwaltungsgerichtliche Rechtssprechung für den Bereich des Dienstunfallrechts, wenn sie ausführt, dass für das Eingreifen der Unfallfürsorge kein Anlass besteht bei Vorgängen, die im Rahmen des Dienstverhältnisses üblich und selbstverständlich sind. Derartige Vorkommnisse vermögen den Dienstunfallbegriff von vornherein nicht zu erfüllen. Etwas anderes kann nur bei Hinzutreten weiterer Umstände gelten, die den Rahmen der normalen Ausgestaltung des Dienstverhältnisses übersteigen (vgl. Urteil des Oberverwaltungsgerichts <OVG> Schleswig-Holstein vom 26. November 1993 – 3 L 99/93 – zitiert nach Juris). Wendet man dies auch auf den Fall einer rein geistig-seelischen Einwirkung („psychisches Trauma“) an, so sollte zumindest eine besondere psychische Anspannung und eine dadurch bedingte Stresssituation verlangt werden (vgl. Keller in Hauck/Noftz, a. a. O. Randnr. 11 zu § 8 unter Verweis auf ein Urteil des BSG vom 18. März 1997 – 2 RU 8/96 – in HVBG-Info 1997, 1279 ff). Bisher ist keine Untergrenze für die für ein psychisches Trauma notwendigen Einwirkungen von der Rechtsprechung herausgearbeitet worden. Es dürfte auch fraglich sein, ob hier angesichts der Tatsache, dass es keine Normen für seelisches Verhalten gibt, ein generalisierender Maßstab überhaupt praktikabel ist (vgl. hierzu Jens Düsel in „Die Sicherung von Arbeitnehmerrechten“, 2008, S. 75 ff, S. 86).

Bei der Klägerin ist darüber hinaus ein Gesundheitsschaden eingetreten. Das Unfallereignis i. S. d. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfordert keine körperlich-organische Schädigung. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII spricht ohne Einschränkung von „Gesundheitsschäden“. Daraus folgt, dass auch wenn sich die Schädigung nur im psychischen Bereich bei gleichzeitig erhaltener körperlicher Integrität auswirkt, ein Unfallereignis vorliegen kann (vgl. Dr. Benz a. a. O. S. 10). Ob ein Gesundheitsschaden i. S. v. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII vorliegt, beurteilt sich nach dem Krankheitsbegriff in der gesetzlichen Krankenversicherung. Danach ist eine Krankheit ein „regelwidriger Körper- und Geisteszustand“, worunter auch eine psychische Störung fällt (vgl. Dr. Benz a. a. O. S. 10).

Voraussetzung für die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Unfallfolge ist laut ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – in SozR 4 -2700 § 8 Nr. 17) zunächst die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörungen, die bei der oder dem Verletzten vorliegen und die Erwerbsfähigkeit mindern. Angesichts der zahlreichen in Betracht kommenden Erkrankungen und möglicher Schulenstreite sollte diese Feststellung nicht nur begründet sein, sondern aufgrund eines der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erfolgen, damit die Feststellung nachvollziehbar ist (z. B. ICD-10 = Zehnte Revision der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO aus dem Jahre 1989, vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information <DIMDI> ins Deutsche übertragen, herausgegeben und weiterentwickelt; DSM-IV-TR = Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen der Amerikanischen psychiatrischen Vereinigung – Textrevision, deutsche Bearbeitung herausgegeben von Saß/Wittchen/Zaudig, 1. Aufl. 2003). Denn je genauer und klarer die bei dem Versicherten bestehenden Gesundheitsstörungen bestimmt sind, um so einfacher sind ihre Ursachen zu erkennen und zu beurteilen sowie letztlich die MdE zu bewerten. Begründete Abweichungen von diesen Diagnosesystemen aufgrund ihres Alters und des zwischenzeitlichen wissenschaftlichen Fortschritts sind damit nicht ausgeschlossen.

Eine solche psychische Störung ist hier anhand der Angaben der Klägerin im W-Klinikum diagnostiziert worden als „akute Belastungsreaktion“ (ICD-10: F43.0). Diese Diagnose ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht deswegen falsch, weil die Klägerin bei den Untersuchungen im W-Klinikum um 18:04 und 19:30 Uhr ruhig, geordnet und orientiert wirkte. Im Bereich der psychischen Störungen beruht eine Diagnosefindung maßgeblich auf der Schilderung des Erlebten und Empfundenen durch die Betroffenen (so letztlich auch Prof. Dr. K. Foerster „Die psychoreaktiven Störungen – auch außerhalb der Begutachtung ein häufig schwieriges Thema“, in: Der medizinische Sachverständige 2010, S. 16 ff, 16/17). Diese ist natürlich auf Widersprüchlichkeiten, Aggravation und Simulation hin zu prüfen. Besteht hierfür im Rahmen der Gesamtsituation jedoch kein Anhaltspunkt, kann ein Zweifel an der Richtigkeit der medizinischen Diagnose insbesondere angesichts der Wechselhaftigkeit und Unnormiertheit psychischer Verhaltensweisen zur Überzeugung des Senats nicht fachgerecht geäußert werden. Die Klägerin hatte im W-Klinikum geschildert, zunächst gut funktioniert zu haben, dann plötzlich Kreislaufprobleme und Derealisationserleben verspürt zu haben. Sie wurde von der Feuerwehr ins Krankenhaus gebracht. Zwar enthält der Rettungsdienst-Einsatzbogen der Berliner Feuerwehr lediglich den Vermerk „Schock“, es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass die Feuerwehr eine völlig normal erscheinende Person ins Krankenhaus transportiert. Bei Dr. H und A. K-E (Begutachtung am 08. September und 01. Oktober 2004) schilderte die Klägerin detaillierter „sie habe geweint und nicht mehr schreiben und telefonieren“ können. Bei der stationären Reha-Maßnahme in den V-Kliniken in B M sagte sie im Mai 2005, „sie habe unter starker Anspannung gestanden, die schließlich so hoch gewesen sei, dass sie einen am Telefon erhaltenen Befehl nicht mehr habe ausführen können, zudem habe sie aufgrund von Sehstörungen auch nicht mehr lesen können“. Bei Dr. B am 29. Januar 2007 hieß es: „Irgendwann habe sie ihren Dienst dann nicht mehr machen können, sie habe nichts mehr verstanden, auch nichts mehr sehen können“. Die weiteren Schilderungen (vor dem Gericht am 02. Januar 2009 sowie bei Prof. Dr. Z) sind ähnlich. Dr. I berichtete bezüglich der ersten Vorstellung nach dem Ereignis am 05. Januar 2004: „Im Gespräch war sofort deutlich, dass die Klägerin unter Schock stand. Sie wies Zeichen der psychischen Dekompensation auf (Weinen, motorische Unruhe, Blässe)“. Laut ICD-10 wird die Diagnose „akute Belastungsreaktion“ F43.0 definiert als eine vorübergehende Störung, die sich bei einem psychisch nicht manifest gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche physische oder psychische Belastung entwickelt, und die im allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt. Die Symptomatik zeigt typischerweise ein gemischtes und wechselndes Bild, beginnend mit einer Art von „Betäubung“, mit einer gewissen Bewusstseinseinengung und eingeschränkten Aufmerksamkeit, einer Unfähigkeit, Reize zu verarbeiten und Desorientiertheit. Die Symptome erscheinen im Allgemeinen innerhalb von Minuten nach dem belastenden Ereignis und gehen innerhalb von zwei oder drei Tagen, oft innerhalb von Stunden zurück. Angesichts dieser Anforderungen an die Diagnose F43.0 äußern nachvollziehbar weder der Sachverständige Dr. B noch der Sachverständige Prof. Dr. Z Zweifel an deren Richtigkeit, so dass ein Gesundheits(erst)schaden zu bejahen ist. Dabei ist zu bedenken, dass im Rahmen der Frage einer Traumatisierung nicht irgendeine Form „objektiver“ Belastung entscheidend ist, sondern maßgeblich vielmehr ist, dass ein Ereignis tatsächlich als belastend erlebt wird (vgl. Prof. Dr. Foerster a. a. O. S. 16/17).

Dieser Gesundheits(erst)schaden ist auch mit Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich auf das Gesamtereignis vom 03. Januar 2004 (die mündliche Nachricht von einem Personenunfall, der Anblick des sterbenden blutüberströmten Unfallopfers, das Chaos auf dem Bahnsteig mit die Klägerin verbal und physisch bedrängenden, bedrohenden und beschimpfenden Fahrgästen) zurückzuführen. Hierfür ist zunächst zu prüfen, welche Ursachen für die festgestellte psychische Gesundheitsstörung nach der Bedingungstheorie gegeben sind, und dann in einem zweiten Schritt, ob die versicherte Ursache – das Unfallereignis – direkt oder mittelbar für diese Gesundheitsstörungen wesentlich im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung war (vgl. Urteil des BSG vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – a. a. O.). Basis dieser Beurteilung müssen zum einen der konkrete Versicherte mit seinem Unfallereignis und seinen Erkrankungen und zum anderen der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand über die Ursachenzusammenhänge zwischen Ereignissen und psychischen Gesundheitsstörungen sein. Die Feststellung des jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes mag gerade auf Gebieten, die derart in der Entwicklung begriffen sind, wie die Psychiatrie und Psychologie schwierig sein, ist aber für eine objektive Urteilsfindung unerlässlich. Ausgangsbasis müssen die Fachbücher und Standardwerke insbesondere zur Begutachtung im jeweiligen Bereich sein (vgl. z. B. Fritze, Ärztliche Begutachtung, 6. Aufl. 2001, Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 12. Aufl. 2010; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010; Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl. 2008). Außerdem sind, soweit sie vorliegen und einschlägig sind, die jeweiligen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zu berücksichtigen (hier insbesondere „Diagnostik und Behandlung von akuten Folgen psychischer Traumatisierung“ AWMF-Leitlinien-Register 051/027 von Mai 2008 sowie „Posttraumatische Belastungsstörung“ AWMF-Leitlinien-Register 051/010 von Januar 2011, veröffentlicht unter www.awmf.org). Hinzu kommen andere aktuelle Veröffentlichungen. Diese verschiedenen Veröffentlichungen sind jedoch jeweils kritisch zu würdigen, zumal ein Teil der Autoren aktive oder ehemalige Bedienstete von Versicherungsträgern sind oder diesen in anderer Weise nahe stehen. Eine bloße Literaturauswertung seitens des Gerichts genügt zur Feststellung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes allerdings in der Regel nicht, weil dessen Beurteilung zumeist medizinische Fachkunde voraussetzt. Vielmehr ist die Klärung des der Ursachenbeurteilung zugrunde zu legenden, aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes in der Regel im Rahmen eines Sachverständigengutachtens durchzuführen. Andererseits wird, wenn eine bestimmte Diagnose ein Ereignis einer bestimmten Schwere voraussetzt, von einem entsprechenden aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand auszugehen sein. Auf der Grundlage der aktuellen Diagnoseschlüssel ICD-10, der aktuellen AWMF-Leitlinie Registernr. 051/027 sowie der Sachverständigengutachten der Dr. B und Prof. Dr. Z vom 23. Februar 2007 und 23. November 2009 ist die Diagnose gesichert, das Ereignis als „Trauma“ zur Hervorrufung einer akuten Belastungsreaktion geeignet, im konkreten Falle der Klägerin anhand von Aktenlage, Anamnese und Befund der Ursachenzusammenhang zu bejahen und konkurrierende Ursachenfaktoren zu verneinen.

Über die Feststellung des Ereignisses vom 03. Januar 2004 als Arbeitsunfall hinaus sind zur Überzeugung des Senats auch dauerhafte Unfallfolgen festzustellen und zwar jetzt noch – dem ausführlichen, fachgerechten und nachvollziehbaren Gutachten des Prof. Dr. Z folgend – eine mittelgradige depressive Episode (F32.1 bzw. F34.1) sowie eine Agoraphobie mit Panikstörung (F40.01) als Residuen einer PTBS (F43.1). Dies beruht auf den fachkundigen Gutachten des Prof. Dr. Z vom 23. November 2009 nebst ergänzender Stellungnahme vom 09. Mai 2010 sowie des Dr. B vom 23. Februar 2007 nebst ergänzender Stellungnahme vom 02. Juni 2007. Die Einschätzungen der Sachverständigen bezüglich des Bestehens einer PTBS stehen wiederum in Einklang mit den diagnostischen und kausalen Erwägungen bzw. Einschätzungen der Gutachterinnen im rentenversicherungsrechtlichen Verwaltungsverfahren Dr. H und A. K-E (Gutachten vom 21. Dezember 2004) sowie der Behandler in den V-Kliniken in BM im Jahr 2005.

Die akute Belastungsreaktion F43.0 kann in eine akute PTBS F 43.1 und andere chronische Traumafolgestörungen übergehen (vgl. AWMF-Leitlinie „Diagnostik und Behandlung von akuten Folgen psychischer Traumatisierung“, Leitlinien-Register Nr. 051/027). Dementsprechend geht auch der DSM-IV TR davon aus, dass die Störung (d. h. die PTBS) häufig als unmittelbare Reaktion auf das Trauma anfänglich die Kriterien er akuten Belastungsstörung (Diagnose nach DSM-IV Nr. 308.3) bzw. akuten Belastungsreaktion erfüllt. Ab einer Symptomdauer von drei Monaten ist die Diagnose einer chronischen PTBS zu verwenden. Auch subsyndromale Störungsbilder können behandlungsbedürftig sein (aus: AWMF-Leitlinie „Diagnostik und Behandlung von akuten Folgen psychischer Traumatisierung“, Leitlinien-Register Nr. 051/027).

Laut ICD-10 F43.1 entsteht die PTBS als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubt sein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über.

Nach der AWMF-Leitlinie „Posttraumatische Belastungsstörung“ Leitlinien-Register Nr. 051/010 ist die PTBS eine mögliche Folgereaktion eines oder mehrerer traumatischer Ereignisse (wie z. B. Erleben von körperlicher und sexualisierter Gewalt, auch in der Kindheit <so genannter sexueller Missbrauch>, Vergewaltigung, gewalttätige Angriffe auf die eigene Person, Entführung, Geiselnahme, Terroranschlag, Krieg, Kriegsgefangenschaft, politische Haft, Folterung, Gefangenschaft in einem Konzentrationslager, Natur- oder durch Menschen verursachte Katastrophen, Unfälle oder die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit), die an der eigenen Person, aber auch an fremden Personen erlebt werden können. In vielen Fällen kommt es zum Gefühl von Hilflosigkeit und durch das traumatische Erleben zu einer Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses. Das syndromale Störungsbild ist geprägt durch:

· sich aufdrängende, belastende Gedanken und Erinnerungen an das Trauma (Intrusionen) oder Erinnerungslücken (Bilder, Alpträume, Flashbacks, partielle Amnesie),

· Vermeidungsverhalten (Vermeidung traumaassoziierter Stimuli),

· Übererregungssymptome (Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, vermehrte Reizbarkeit, Affektintoleranz, Konzentrationsstörungen) und

· emotionale Taubheit (allgemeiner Rückzug, Interesseverlust, innere Teilnahmslosigkeit).

Die Symptomatik kann unmittelbar oder auch mit (z. T. mehrjähriger) Verzögerung nach dem traumatischen Geschehen auftreten (verzögerte PTBS).

Die diagnostischen Kriterien des DSM-IV TR Nr. 309.81 der PTBS lauten:

A. Die Person wurde mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert, bei dem die bei den folgenden Kriterien vorhanden waren:

1. Die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem, oder mehreren Erlebnissen konfrontiert, die tatsächlich oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder die Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Personen beinhalteten.

2. Die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen.

B. Es kommt zum beharrlichen Wiedererleben des Ereignisses auf mindestens eine der folgenden Weisen:

1. Wiederkehrende und eindringliche belastende Erinnerungen an das Ereignis, die Bildern, Gedanken oder Wahrnehmungen umfassen können,

2. Wiederkehrende belastende Träume von dem Ereignis,

3. Handeln oder Fühlen, als ob das traumatische Ereignis wiederkehrt (beinhaltet das Gefühl, das Ereignis wieder zu erleben, Illusionen, Halluzinationen und dissoziative Flashback-Episoden, einschließlich solcher, die beim Aufwachen oder bei Intoxikation auftreten),

4. Intensive psychische Belastung bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Hinweisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern,

5. Körperliche Reaktionen bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Hinweisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern.

C. Anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind, oder eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität (vor dem Trauma nicht vorhanden).

Mindestens drei der folgenden Symptome liegen vor:

1. Bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen oder Gesprächen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen

2. Bewusstes Vermeiden von Aktivitäten, Orten oder Menschen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen

3. Unfähigkeit, sich an einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern

4. Deutlich vermindertes Interesse oder verminderte Teilnahme an wichtigen Aktivitäten

5. Gefühl der Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen

6. Eingeschränkte Bandbreite des Affektes (z. B. Unfähigkeit, zärtliche Gefühle zu empfinden)

7. Gefühl einer eingeschränkten Zukunft.

D. Anhaltende Symptome erhöhten Arousals (d. h. Erregung) (vor dem Trauma nicht vorhanden). Mindestens zwei der folgenden Symptome liegen vor:

1. Schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen

2. Reizbarkeit oder Wutausbrüche

3. Konzentrationsschwierigkeiten

4. Hypervigilanz (übermäßige Wachsamkeit)

5. Übertriebene Schreckreaktionen.

E. Das Störungsbild (Symptome unter Kriterium B, C und D) dauert länger als einen Monat.

F. Das Störungsbild verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.

Ausgehend von diesen Kriterien haben die Sachverständigen Dr. B und Prof. Dr. Z in ihren Gutachten vom 23. Februar 2007 und 23. November 2009 sowie ihren Stellungnahmen vom 02. Juni 2007 und 09. Mai 2010 ausführlich, fachkundig und nachvollziehbar dargelegt, dass bei der Klägerin die Diagnosekriterien einer PTBS nach dem DSM-IV TR und dem ICD-10 in der Vergangenheit, auf jeden Fall zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. B am 29. Januar 2007, vorlagen. Sie haben übereinstimmend dargetan, dass der Anblick des schwer verletzten Unfallopfers und die (zumindest empfundene) Bedrohung auf dem Bahnsteig das A1-Kriterium des DSM-IV TR („…erlebte, beobachtete oder war mit einem, oder mehreren Erlebnissen konfrontiert, die tatsächlich oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder die Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Personen beinhalteten ….“) erfüllen. Prof. Dr. Z hat darüber hinaus unter Rückgriff auf den DSM-IV TR darauf hingewiesen, dass das A1-Kriterium auch für den Fall erfüllt ist, dass man mit der Beklagten davon ausginge, die Klägerin habe das Unfallopfer selber nicht gesehen. Die darüber hinausgehende Kritik der Beklagten bezüglich der Erfüllung des A1-Kriteriums befasst sich allein mit der allgemeinen Problematik des Erkrankungsbildes „PTBS“, so wie sie beispielsweise in Schönberger/Mehrtens/Valentin unter 5.1.3 auf S. 144 angesprochen wird. Sie ignoriert aber weitgehend die aktuelle AWMF-Leitlinie und die Kriterien des DSM-IV TR. Für die Entwicklung einer PTBS ist jedoch aus medizinischer Sicht letztlich die subjektive Reaktion von wesentlicher Bedeutung, z. B. ob das Ereignis als lebensbedrohlich gewertet wurde, ob eine physische Verletzung befürchtet wurde und wie stark Angst oder Hilflosigkeit auftraten. Der erlebte Verlust der Kontrolle über eine Situation ist von maßgeblicher Bedeutung. Daher ist die subjektive Wahrnehmung und Bewertung des Ereignisses neben dem Auftreten von posttraumatischen Dissoziationen der wesentliche Faktor für die Entstehung einer PTBS, wahrscheinlich wichtiger als die objektiven Parameter des Traumas (so Prof. Dr. Foerster a. a. O. S. 18). Letztlich stützt sich die Diagnose einer PTBS ganz wesentlich auf die Angaben des Betroffenen, weswegen die Prüfung auf Widersprüchlichkeiten und Simulation unerlässlich ist (vgl. Prof. Dr. Foerster a. a. O. S. 19). Und gerade insoweit ist die Kritik der Beklagten an der Diagnosefindung durch die Sachverständigen Dr. B und Prof. Dr. Z ebenso wie durch das Team der Behandler in den V-Kliniken oder die Sachverständigen im Rentenverfahren Dr. H /A. K-E unzulänglich, denn sie basiert nicht auf einer persönlichen Befunderhebung auf der Grundlage eines diagnostischen Gesprächs mit der Klägerin.

Auch das A2-Kriterium wird von den Sachverständigen bejaht, rekurrierend auf die Schilderung der Klägerin (Weinen nach Anblick des Opfers, Ratlosigkeit und Hilflosigkeit angesichts des Verhaltens der Menschen auf dem Bahnsteig und im Zug, Unfähigkeit Anweisungen auszuführen).

 

Das B-Kriterium wird z. B. in Form der für die ersten Jahre nach dem Ereignis geschilderten wiederkehrenden Erinnerungen an das Aufsuchen des Opfers, die Reaktionen der Fahrgäste, des Bestürmtwerdens und Bedrohtwerdens zu unterschiedlichen Zeiten (vgl. das Gutachten der Dr. H/A. K-E vom 21. Dezember 2004), der immer noch plötzlich auftretenden Erinnerungen, wenn sie z. B. das Wort „S-Bahn“ hört (vgl. S. 9 des Gutachtens von Prof. Dr. Z) und wiederkehrenden Alpträumen (vgl. den Entlassungsbericht der V-Kliniken vom 05. Juli 2005: unfallbezogene Alpträume; Gutachten von Dr. B vom 23. Februar 2007: Träume von Rädern und Köpfen; Gutachten von Prof. Dr. Z vom 23. November 2009; Träume von Menschenköpfen neben Rädern) bejaht.

Das C-Kriterium liegt ebenfalls vor, z. B. aufgrund der Tatsache, dass die Klägerin angibt, entweder in der Vergangenheit oder noch den alten Arbeitsplatz zu meiden, generell Bahnen zu meiden, deutlich weniger sonstige Aktivitäten wie Reisen oder Autofahren zu unternehmen, nicht mehr zu reiten, kein Squash mehr zu spielen, weniger Freunde zu haben und ein Gefühl der Unwirklichkeit nach dem Ereignis zu empfinden (vgl. die Schilderung der „aktuellen Beschwerden“ im Gutachten der Dr. H/A. K-E, S. 5 des Gutachtens von Dr. B und z. B. S. 9 des Gutachtens von Prof. Dr. Z).

Zum D-Kriterium wird verwiesen auf z. T. in der Vergangenheit liegende Einschränkungen/Beschwerden wie ein erhöhtes Anspannungsniveau und Ein- und Durchschlafschwierigkeiten sowie erhöhte Schreckhaftigkeit bzw. noch anhaltende Konzentrationsschwierigkeiten und Schwierigkeiten, länger zu lesen (vgl. z. B. S. 4 des Gutachtens von Dr. B sowie S. 8 und 20 des Gutachtens von Prof. Dr. Z).

Diese PTBS ist auch mit Wahrscheinlichkeit wesentlich auf das Unfallereignis zurückzuführen. Soweit die Beklagte immer wieder darauf verweist, dass die Klägerin bereits in denn zurückliegenden Jahrzehnten und insbesondere genau vor dem Ereignis aufgrund psychiatrischer Diagnosen arbeitsunfähig erkrankt war, folgt daraus nicht, dass die PTBS wesentlich auf andere Faktoren (also eine vorbestehende Erkrankung oder eine Krankheitsanlage, die so leicht ansprechbar war, dass die PTBS wesentlich darauf zurückzuführen und das Ereignis nur als „Auslöser“ fungiert hat) ursächlich zurückzuführen wäre. Insbesondere die sich aus den SVAs sowie den Vorerkrankungsverzeichnissen der Bahn- BKK bzw. der AOK B ergebenden Arbeitsunfähigkeitszeiten vom 15. August 1985 bis zum 20. November 1985, vom 23. April 1986 bis zum 25. April 1986, vom 13. August 1986 bis zum 19. Februar 1987 sowie vom 26. November 2003 bis zum 02. Januar 2004 sind in Zusammenhang mit belastenden Lebensereignissen wie Schwangerschaftsunterbrechung, Scheidung, Übersiedelung nach West-Berlin und Verdacht auf ein bösartiges Tumorleiden der Brust zu sehen. Gerade das einschneidende Ereignis der Übersiedelung nach West-Berlin relativ kurz nach der Scheidung und ohne Kinder hat nach eigenen Angaben der Klägerin zu Erschütterungen in ihrem Leben geführt, ist jedoch gut bewältigt worden. Denn die Klägerin hat den Kontakt zur Familie aufrecht erhalten, einen Freundeskreis aufbauen und in ihren angestammten Beruf zurückkehren können. Hinweise für eine manifeste psychische Erkrankung vor dem Arbeitsunfall lassen sich den Vorerkrankungsverzeichnissen – wie sowohl Dr. B als auch Prof. Dr. Z nachvollziehbar ausführen – nicht entnehmen, auch hat die Beklagte eine solche nicht aufzeigen können.

Eine Prüfung auf Simulation wie bei Prof. Dr. Foerster in seinem bereits in Bezug genommenen Aufsatz vorgeschlagen (S. 19), ist von Prof. Dr. Z ebenfalls erfolgt (vgl. S. 19, 21 und 38 des Gutachtens). Die Klägerin hat keinen spezifischen Wortschatz verwendet, der auf eine vorherige Auseinandersetzung mit der Literatur zur PTBS schließen lassen könnte. Sie hat außerdem situationsadäquat agiert und Emotionen gezeigt. Im Sinne der Empfehlungen von Prof. Dr. Foerster sprechen im Übrigen folgende Umstände gegen eine Simulation: vegetative Erregung und emotionale Anspannung sind beim Bericht eines Flashbacks in der Untersuchungssituation direkt beobachtbar (so auf S. 20 und 21 des Gutachtens von Prof. Dr. Z und im psychopathologischen Befund des Gutachtens von Dr. H/A. K-E), Selbstvorwürfe werden geschildert (so u. a. auf S. 5 des Gutachtens von Dr. B), es sind frühzeitige Therapiebemühungen erfolgt und die Symptomatik fluktuiert, insbesondere wird selber eine Besserung infolge Therapie geschildert (vgl. die Angaben der Klägerin bei Prof. Dr. Z und auch schon bei Dr. B).

Inzwischen besteht bei der Klägerin – wie Prof. Dr. Z darlegt – nicht mehr das Vollbild einer PTBS. Auch die inzwischen nur noch vorliegenden Residuen der PTBS in Form von depressiven Episoden und einer Angststörung sind wesentlich ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Hierzu hat Prof. Dr. Z in seinem Gutachten vom 23. November 2009 sowie in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 09. Mai 2010 fachgerechte und überzeugende Darlegungen gemacht. So hat er ausgeführt, das noch verbliebene Krankheitsbild sei am ehesten als partielle oder subsyndromale PTBS zu qualifizieren, die allerdings im ICD-10 als Diagnose nicht enthalten sei. Er verweist hierzu unter Zitathinweis auf die aktuelle wissenschaftliche Diskussion, die sich auch in der aktuellen Leitlinie „Posttraumatische Belastungsstörung ICD-10: F43.1“ (AWMF-Register 051/010) – insbesondere im Gefolge der Erläuterungen zu den Leitlinien-Empfehlungen 1 und 2 sowie unter „3. Grundsätzliche Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Diagnostik bei PTBS 3.1 Schwierigkeiten bei der diagnostischen Zuordnung“ – sowie z. B. im Aufsatz von Prof. Dr. Foerster (a. a. O. S. 19) widerspiegelt. Die im Grunde unspezifische Symptomatik der PTBS (vgl. hierzu u. a. Prof. Dr. Foerster a. a. O. S. 18) umfasst sowohl Elemente der Angst als auch der Depression (beispielsweise im so genannten C-Kriterium), darüber hinaus sind Angststörungen und Depressionen häufig als komorbide zu beobachten (vgl. die aktuelle Leitlinie „Posttraumatische Belastungsstörung ICD-10: F43.1“ (AWMF-Register 051/010) – insbesondere im Gefolge der Erläuterungen zu den Leitlinien-Empfehlungen 1 und 2 sowie unter „Übersicht traumreaktiver Entwicklungen“ und unter „5. Erfassung relevanter Komorbidität“). Soweit für die Beklagte Prof. Dr. S in seinen Stellungnahmen vom 22. Januar 2010 und 24. Juni 2010 behauptet, eine Agoraphobie und/oder Panikstörung sei niemals Unfallfolge, denn nach medizinischem Kenntnisstand und zahlreichen epidemiologischen Studien handele es sich um anlagebedingte Störungen, bleibt er hierfür eine Begründung schuldig.

Nach alldem war zwar der Berufung insoweit stattzugeben, als die Beklagte durch das SG zur Gewährung von Leistungen verurteilt worden ist. Im Übrigen jedoch ist das erstinstanzliche Urteil im Kern zu bestätigen. Auch wenn aus verfahrensrechtlichen Gründen eine Verurteilung der Beklagten auf Gewährung von Leistungen ausscheidet, ist dennoch darauf hinzuweisen, dass sich die Beurteilungen der Sachverständigen Dr. B und Prof. Dr. Z hinsichtlich der Höhe der MdE an den geltenden Erfahrungswerten in der unfallmedizinischen Literatur (vgl. z. B. Schönberger/Mehrtens/Valentin a. a. O. Nr. 5.1.16 S. 156f) orientieren, wobei ggf. eine weitere Besserung der Beeinträchtigungen nach dem 16. November 2009 zu berücksichtigen bleibt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin mit ihrem Antrag auf Gewährung von Leistungen erfolglos geblieben ist.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

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