➔ Zum vorliegenden Urteil Az.: S 98 U 50/21 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Hilfe anfordern
Übersicht
- ✔ Der Fall: Kurz und knapp
- Bauleiter verliert nach Streit auf Betriebsgelände Anspruch auf Arbeitsunfall
- ✔ Der Fall vor dem Sozialgericht Berlin
- ✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
- ✔ FAQ – Häufige Fragen
- Wann liegt eine versicherte Tätigkeit im Rahmen eines Betriebswegs vor?
- Welche Folgen hat eine Unterbrechung des Betriebswegs aus privaten Gründen für den Versicherungsschutz?
- Wie wird beurteilt, ob ein sachlicher Zusammenhang zwischen der Verrichtung und der versicherten Tätigkeit besteht?
- Führen Auseinandersetzungen mit anderen Verkehrsteilnehmern immer zur Lösung von der versicherten Tätigkeit?
- Kommt es bei der Unterbrechung eines Betriebswegs auf die Dauer der Unterbrechung an?
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- ⇓ Das vorliegende Urteil vom Sozialgericht Berlin
✔ Der Fall: Kurz und knapp
- Es ging um die Anerkennung eines Vorfalls als Arbeitsunfall. Ein Bauleiter forderte dies für ein Ereignis auf dem Betriebsgelände, bei dem er verletzt wurde.
- Der Streit entstand, als ein Auto die Einfahrt blockierte und der Bauleiter das Fahrzeug des Blockierers zur Rede stellte. Dabei kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung.
- Das Gericht lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab. Die Auseinandersetzung wurde nicht als betrieblich bedingt eingestuft.
- Der Unfall ereignete sich zwar auf dem Betriebsgelände, jedoch war der Auslöser eine persönliche Verärgerung über die blockierte Einfahrt und keine betriebliche Notwendigkeit.
- Die Entscheidung basiert darauf, dass der Streit nicht im Rahmen der beruflichen Tätigkeit des Klägers stattfand, sondern aus einer persönlichen Differenz heraus.
- Die Voraussetzungen für einen Arbeitsunfall sind nicht erfüllt, da kein sachlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall bestand.
- Die Auswirkungen der Entscheidung sind, dass der Kläger keinen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung hat.
- Wichtig für ähnliche Fälle ist, dass der Unfallursache eine betriebliche Tätigkeit zugrunde liegen muss, um als Arbeitsunfall anerkannt zu werden.
Bauleiter verliert nach Streit auf Betriebsgelände Anspruch auf Arbeitsunfall
Arbeitsunfälle sind leider nicht selten. Wenn ein Arbeitnehmer auf dem Weg zur oder von der Arbeit verunglückt, stellt sich oft die Frage, ob dies als Arbeitsunfall anerkannt wird und damit Ansprüche auf Versicherungsleistungen bestehen. Entscheidend ist hierbei, ob der Unfall im sachlichen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit steht. Dieser sogenannte Wegeunfall ist ein komplexes Thema, das von Rechtsprechung und Gesetzgebung genau geregelt ist. Im Folgenden werden die wesentlichen Aspekte erläutert, damit Sie sich einen Überblick über diese wichtige Thematik verschaffen können. Anschließend werden wir einen konkreten Gerichtsfall dazu näher betrachten.
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✔ Der Fall vor dem Sozialgericht Berlin
Tätliche Auseinandersetzung auf Betriebsgelände – kein Arbeitsunfall
In einem Fall vor dem Sozialgericht Berlin ging es um die Frage, ob eine tätliche Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und einem LKW-Fahrer auf dem Betriebsgelände seines Arbeitgebers als Arbeitsunfall anzuerkennen ist. Der Kläger war als Bauleiter bei einer GmbH angestellt. Am Unfalltag wollte er mit seinem Auto das Betriebsgelände verlassen, um einen beruflichen Termin wahrzunehmen. Die Zufahrt war jedoch durch einen LKW versperrt. Es kam zunächst zu einer verbalen Auseinandersetzung mit dem LKW-Fahrer. Der Kläger parkte sein Auto hinter dem LKW und ging zu Fuß weiter, um seinen Termin nicht zu verpassen.
Als er kurze Zeit später zu seinem Auto zurückkehrte, beschimpfte ihn der LKW-Fahrer unter anderem als „egoistisches Arschloch“. Der Kläger öffnete daraufhin die Tür seines Autos, schloss sie aber sofort wieder und ging auf den LKW-Fahrer zu, um die Sache „auszudiskutieren“. In diesem Moment wurde er von dem LKW-Fahrer mehrfach mit der Faust ins Gesicht geschlagen und dabei schwer verletzt. Er musste operiert werden.
Die Berufsgenossenschaft lehnte es ab, den Vorfall als Arbeitsunfall anzuerkennen. Dagegen klagte der Mann. Er argumentierte, dass er sich zum Unfallzeitpunkt auf einem Betriebsweg befunden habe, um einen beruflichen Termin wahrzunehmen. Die Auseinandersetzung mit dem LKW-Fahrer sei daher bei Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit erfolgt.
Keine versicherte Tätigkeit während der privaten Auseinandersetzung
Das Sozialgericht Berlin wies die Klage jedoch ab. Zwar habe sich der Kläger ursprünglich auf einem versicherten Betriebsweg befunden, als er zu seinem Auto ging. In dem Moment, als er aber wegen der Beleidigung durch den LKW-Fahrer die schon geöffnete Autotür wieder schloss und zu ihm ging, um ihn zur Rede zu stellen, habe er sich von seiner versicherten Tätigkeit gelöst. Ab diesem Zeitpunkt diente sein Handeln rein privaten Zwecken.
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Kläger bereits im Begriff war in sein Auto einzusteigen, als der LKW-Fahrer ihn beleidigte. Erst daraufhin kehrte er um und ging auf den LKW-Fahrer zu. Lediglich bei der ersten Vernehmung unmittelbar nach dem Vorfall hatte der Kläger noch angegeben, dass der LKW-Fahrer ihn ohne Vorwarnung angegriffen habe, als er zu seinem Auto ging. In späteren Schilderungen räumte er aber selbst die vorangegangene verbale Auseinandersetzung ein.
Privater Streit führt zum Verlust des Versicherungsschutzes
Nach Ansicht des Gerichts reagierte der Kläger in erster Linie auf die persönliche Beleidigung durch den LKW-Fahrer, als er den bereits aufgenommenen Weg zu seinem Auto unterbrach. Er wollte den LKW-Fahrer zur Rede stellen. Zu diesem Zeitpunkt war es nicht mehr seine Absicht, die freie Zufahrt zum Betriebsgelände sicherzustellen.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass insbesondere das Zurechtweisen anderer Verkehrsteilnehmer auf dem Weg zur Arbeit oder auf Betriebswegen nicht der betrieblichen Tätigkeit dient. Etwaige hieraus resultierende Verletzungen sind unabhängig vom Verschulden dem privaten Lebensbereich zuzurechnen. Der Kläger hatte sich zum Zeitpunkt seiner Verletzung von seiner beruflichen Tätigkeit gelöst. Daher lag kein Versicherungsfall vor.
Das Gericht wies darauf hin, dass es bei einer Verrichtung zur Zeit des Unfalls darauf ankommt, ob ein sachlicher Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit besteht. Es muss wertend entschieden werden, ob das Handeln des Versicherten noch zur versicherten Tätigkeit gehört. Unterbrechungen, die allein privaten Zwecken dienen, führen zum Verlust des Versicherungsschutzes.
✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
Das Urteil verdeutlicht, dass für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls der sachliche Zusammenhang zwischen der Verrichtung und der versicherten Tätigkeit im Unfallzeitpunkt entscheidend ist. Unterbricht ein Versicherter seine berufliche Tätigkeit für private Zwecke, wie hier das Zurechtweisen eines anderen Verkehrsteilnehmers aufgrund persönlicher Verärgerung, so löst er sich vom Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung. Maßgeblich ist eine wertende Betrachtung, ob die Handlung noch der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist.
✔ FAQ – Häufige Fragen
Das Thema: Arbeitsunfall – Betriebswegunterbrechung wirft bei vielen Lesern Fragen auf. Unsere FAQ-Sektion bietet Ihnen wertvolle Insights und Hintergrundinformationen, um Ihr Verständnis für dieses Thema zu vertiefen. Weiterhin finden Sie in der Folge einige der Rechtsgrundlagen, die für dieses Urteil wichtig waren.
- Wann liegt eine versicherte Tätigkeit im Rahmen eines Betriebswegs vor?
- Welche Folgen hat eine Unterbrechung des Betriebswegs aus privaten Gründen für den Versicherungsschutz?
- Wie wird beurteilt, ob ein sachlicher Zusammenhang zwischen der Verrichtung und der versicherten Tätigkeit besteht?
- Führen Auseinandersetzungen mit anderen Verkehrsteilnehmern immer zur Lösung von der versicherten Tätigkeit?
- Kommt es bei der Unterbrechung eines Betriebswegs auf die Dauer der Unterbrechung an?
Wann liegt eine versicherte Tätigkeit im Rahmen eines Betriebswegs vor?
Eine versicherte Tätigkeit im Rahmen eines Betriebswegs liegt vor, wenn der Weg im Auftrag des Arbeitgebers oder im wohlverstandenen Interesse des Betriebes zurückgelegt wird. Entscheidend ist, dass der Weg unmittelbar mit der versicherten beruflichen Tätigkeit zusammenhängt und nicht nur der Weg zur Arbeitsstätte oder nach Hause ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Betriebsweg direkt von der Arbeitsstätte oder von zu Hause aus angetreten wird.
Als Betriebsweg gelten beispielsweise Wege innerhalb des Betriebsgeländes, Wege zu einer anderen Betriebsstätte oder Wege zu Kunden, Lieferanten oder Geschäftspartnern. Auch Dienstreisen fallen unter den Begriff des Betriebswegs. Werden sowohl betriebliche als auch private Zwecke verfolgt, liegen die Voraussetzungen einer gemischten Tätigkeit vor, für die die Grundsätze zur gemischten Tätigkeit anzuwenden sind.
Nicht als Betriebsweg gelten hingegen der Weg von und zur Arbeitsstätte, also der klassische Arbeitsweg. Dieser ist nur dann versichert, wenn es sich um den unmittelbaren Weg vor oder nach der versicherten Tätigkeit handelt und keine längeren Unterbrechungen vorliegen. Eine Unterbrechung von bis zu zwei Stunden wird dabei noch als unmittelbar angesehen.
Zusammengefasst liegt eine versicherte Tätigkeit im Rahmen eines Betriebswegs vor, wenn der Weg direkt im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit steht und im Interesse des Arbeitgebers zurückgelegt wird. Der normale Arbeitsweg ist hingegen nur in unmittelbarem Anschluss an die Arbeit versichert.
Welche Folgen hat eine Unterbrechung des Betriebswegs aus privaten Gründen für den Versicherungsschutz?
Die Frage, welche Folgen eine Unterbrechung des Betriebswegs aus privaten Gründen für den Versicherungsschutz hat, lässt sich nicht pauschalisieren. Es kommt auf die Umstände des Einzelfalls an. Entscheidend ist, ob die Handlungstendenz des Versicherten weiterhin auf das Zurücklegen des Betriebswegs gerichtet ist oder ob eine Neuausrichtung auf eine private Handlung erfolgt.
Eine geringfügige Unterbrechung ist unschädlich, solange der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gewahrt bleibt. Beispielsweise ist ein kurzes privates Telefonat auf dem Betriebsweg regelmäßig unbeachtlich. Auch ein Brötchenkauf am Bahnhof im Vorbeigehen kann noch als geringfügig angesehen werden, wenn der Betriebsweg nicht verlassen wird.
Hingegen führt eine wesentliche Unterbrechung zum Entfallen des Versicherungsschutzes für die Dauer der Unterbrechung. Dies ist der Fall, wenn die Handlungstendenz erkennbar auf eine private Tätigkeit umgelenkt wird. Betritt man etwa einen Laden abseits des direkten Betriebswegs, um Besorgungen zu machen, beginnt die Unterbrechung bereits mit dem Abweichen vom direkten Weg. Der Versicherungsschutz lebt erst wieder auf, wenn der direkte Betriebsweg erneut aufgenommen wird.
Die Rechtsprechung hat zur Rechtssicherheit eine Zwei-Stunden-Grenze aufgestellt. Dauert eine private Unterbrechung länger als zwei Stunden, wird vermutet, dass sich die Handlungstendenz endgültig von der versicherten Tätigkeit gelöst hat. Der Versicherungsschutz entfällt dann vollständig.
Zusammengefasst hängt es von den objektiven Umständen des Einzelfalls ab, ob eine Unterbrechung den Versicherungsschutz aufhebt. Maßgeblich ist, ob die Handlungstendenz auf die Fortsetzung des Betriebswegs oder eine private Tätigkeit gerichtet ist. Bei Unterbrechungen über zwei Stunden entfällt der Schutz in jedem Fall.
Wie wird beurteilt, ob ein sachlicher Zusammenhang zwischen der Verrichtung und der versicherten Tätigkeit besteht?
Für die Anerkennung als Arbeitsunfall ist es entscheidend, dass ein sachlicher Zusammenhang zwischen der Verrichtung zum Unfallzeitpunkt und der versicherten Tätigkeit besteht. Dieser Zusammenhang wird wertend ermittelt, indem geprüft wird, ob die Handlung objektiv im Interesse des Arbeitgebers lag.
Maßgeblich sind dabei folgende Faktoren:
- Räumlicher Zusammenhang: Fand die Tätigkeit am Arbeitsplatz oder auf einem Betriebsgelände statt? Je enger der räumliche Bezug zur Arbeitsstätte, desto eher liegt ein Zusammenhang vor.
- Zeitlicher Zusammenhang: Erfolgte die Handlung während der Arbeitszeit oder in unmittelbarem zeitlichen Kontext zur Arbeit? Tätigkeiten in Pausen oder vor/nach der Arbeitszeit können ebenfalls zugerechnet werden.
- Interessenslage: Diente die Verrichtung objektiv den Interessen des Arbeitgebers oder lag zumindest ein überwiegendes betriebliches Interesse vor? Rein private Handlungen sind in der Regel nicht zurechenbar.
- Arbeitgeberanweisung: Wurde die Tätigkeit ausdrücklich vom Arbeitgeber angeordnet oder zumindest geduldet? Dies spricht für einen Zusammenhang.
- Branchenüblichkeit: Ist die Handlung in der jeweiligen Branche üblich und wird vom Arbeitgeber erwartet? Dann liegt tendenziell ein Zusammenhang vor.
Die Gesamtumstände des Einzelfalls sind stets wertend zu betrachten. Entscheidend ist eine Abwägung, ob die Verrichtung nach objektiven Kriterien im Interesse des Arbeitgebers erfolgte und damit der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist.
Führen Auseinandersetzungen mit anderen Verkehrsteilnehmern immer zur Lösung von der versicherten Tätigkeit?
Auseinandersetzungen mit anderen Verkehrsteilnehmern führen in der Regel zur Unterbrechung des Versicherungsschutzes auf dem Arbeitsweg. Handlungen aus persönlicher Verärgerung oder Emotionen sind dem privaten Bereich zuzuordnen, auch wenn der Anlass arbeitsbezogen war. Die Rechtsprechung erkennt an, dass das bloße Zurechtweisen anderer Verkehrsteilnehmer auf dem Weg zur Arbeit nicht versichert ist.
Es gibt jedoch Ausnahmen, in denen der Versicherungsschutz bestehen bleibt. Wenn Handlungen zur Gefahrenabwehr oder aus einer Notlage heraus erfolgen, kann ein sachlicher Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gegeben sein. Beispielsweise wäre eine Auseinandersetzung versichert, wenn der Arbeitnehmer einen Unfall verhindern oder Erste Hilfe leisten musste. Die Umstände des Einzelfalls sind entscheidend.
Generell ist zu beachten, dass der Versicherungsschutz unterbrochen wird, sobald der Versicherte seine Absicht – sich auf dem versicherten Weg nicht weiter fortbewegen zu wollen – nach außen sichtbar macht. Kehrt er jedoch unmittelbar zur Fortsetzung des Arbeitswegs zurück, lebt der Versicherungsschutz wieder auf. Eine kurze Unterbrechung für notwendige Zwecke wie den Broterwerb führt nicht zwangsläufig zum Verlust des Versicherungsschutzes.
Kommt es bei der Unterbrechung eines Betriebswegs auf die Dauer der Unterbrechung an?
Bei der Frage, ob eine Unterbrechung des Betriebswegs zum Verlust des Versicherungsschutzes führt, kommt es weniger auf die Dauer der Unterbrechung an. Entscheidend ist vielmehr die Handlungstendenz des Versicherten. Sobald eine Verrichtung nicht mehr betrieblichen Zwecken dient, sondern klar privaten Interessen folgt, entfällt der Versicherungsschutz – auch bei kurzzeitigen Unterbrechungen.
Die Rechtsprechung stellt maßgeblich darauf ab, ob die konkrete Handlung noch der Fortbewegung auf das ursprüngliche Ziel hin dient (dann Versicherungsschutz) oder bereits wesentlich eigenwirtschaftlichen Interessen folgt (dann kein Versicherungsschutz). Als Beispiel hat das Bundessozialgericht den Versicherungsschutz verneint, als ein Versicherter mit dem Auto zum Abbiegen ansetzte, um bei einer Bäckerei einzukaufen. Der Einkauf diente hier klar privaten Zwecken und unterbrach somit den Betriebsweg.
Für die Praxis bedeutet dies: Kurze Verrichtungen wie das Tanken des Dienstfahrzeugs oder das Rufen des eigenen Hundes vor dem Haus stellen keine den Versicherungsschutz unterbrechende Handlung dar. Sie stehen noch in einem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Hingegen führen Besorgungen wie der Einkauf von Lebensmitteln oder andere Erledigungen der reinen Privatsphäre unweigerlich zum Verlust des Versicherungsschutzes – selbst bei kurzer Dauer. Die Handlungstendenz und nicht die zeitliche Komponente ist hier ausschlaggebend.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII): Definiert den Arbeitsunfall als einen Unfall von Versicherten infolge einer versicherten Tätigkeit. Der Unfall muss zeitlich begrenzt und von außen auf den Körper einwirkend sein, wodurch ein Gesundheitsschaden oder Tod verursacht wird. Im vorliegenden Fall geht es darum, ob der Schlag ins Gesicht als Arbeitsunfall anerkannt werden kann.
- § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII: Regelt den versicherten Personenkreis, zu dem auch Beschäftigte gehören. Der Kläger war als Bauleiter beschäftigt und somit versichert. Entscheidend ist, ob die Tätigkeit des Klägers zum Unfallzeitpunkt als versicherte Tätigkeit gilt.
- Innerer Zusammenhang: Der innere bzw. sachliche Zusammenhang zwischen der Tätigkeit und dem Unfallereignis ist notwendig, um einen Arbeitsunfall anzuerkennen. Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt auf einem Betriebsweg, allerdings hat das Gericht entschieden, dass der sachliche Zusammenhang durch die persönliche Auseinandersetzung unterbrochen wurde.
- Betriebsweg (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII): Betriebswege sind Wege, die im direkten Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehen. Hier wurde argumentiert, dass der Kläger sich auf einem Betriebsweg befand. Das Gericht entschied jedoch, dass der Weg durch die persönliche Verärgerung unterbrochen wurde.
- Unterbrechung des Versicherungsschutzes: Während Unterbrechungen, die eigenwirtschaftlichen Zwecken dienen, besteht kein Versicherungsschutz. Das Gericht entschied, dass das Zur-Rede-Stellen des Zeugen D. eine private Handlung war, die den Versicherungsschutz unterbrach.
- Tatsachenfeststellung und Beweismaßstab: Die Beweiswürdigung durch das Gericht erfordert, dass die Tatbestandsmerkmale wie „versicherte Tätigkeit“ und „Unfallereignis“ im Grad des Vollbeweises feststehen. Hier wurde festgestellt, dass die Auseinandersetzung nicht im Rahmen der versicherten Tätigkeit erfolgte.
- Widerspruchsbescheid: Der Widerspruchsbescheid der Beklagten wies darauf hin, dass die persönliche Verärgerung über die versperrte Einfahrt und die folgende Auseinandersetzung nicht dem betrieblichen Risikobereich zuzurechnen sind. Dies war maßgeblich für die Ablehnung der Anerkennung als Arbeitsunfall.
- Urteil des LSG Baden-Württemberg: Als Vergleich wurde ein früheres Urteil angeführt, in dem der Versicherungsschutz verneint wurde, weil der Versicherte seinen versicherten Weg unterbrochen hatte, um eine persönliche Auseinandersetzung zu führen. Dieses Urteil wurde zur Untermauerung der Entscheidung herangezogen.
⇓ Das vorliegende Urteil vom Sozialgericht Berlin
SG Berlin – Az.: S 98 U 50/21 – Urteil vom 16.02.2023
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Der 1978 geborene Kläger, der als angestellter Bauleiter bei der B. GmbH arbeitet, begehrt die Anerkennung eines Ereignisses vom 28. Februar 2020 als Arbeitsunfall
Die Beklagte erfuhr durch einen Durchgangsarztbericht von der Charité – Campus Virchow Klinikum – davon, dass der Kläger von dem Zeugen D. einen Schlag in das Gesicht erhalten habe. Der Unfallvorgang wird dort wie folgt beschrieben:
„Einfahrt zu dem Betrieb des Verletzten wurde von Auto eines Unbekannten zugeparkt. Verletzter parkte daraufhin hinter diesem Auto und ging zu Fuß Werkzeug verladen. Nach Rückkehr Diskussion mit unbekanntem Fahrer des PKW, daraufhin schlug dieser dem Verletzten einmal in das Gesicht und traf ihn auf der linken Maxilla. Kein Bewusstseinsverlust, keine Amnesie zum Ereignis. Aktuell ausgeprägte Übelkeit ohne Erbrechen, Schwindel sowie Kopfschmerzen.“
Der Kläger wurde zunächst in die Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie aufgenommen. Am 13. März 2020 wurde der Kläger in der Charité – Campus Virchow Klinikum – operiert, dabei wurde eine Reposition und Osteosynthese der lateralen Mittelgesichtsfraktur links und eine Rekonstruktion des Orbitabodens links mittels Ethisorb-Patch durchgeführt. Am 9. Juni 2020 wurde das Material entfernt.
Die Beklagte forderte die Akte der Polizei zu dem Vorfall an, hinsichtlich des Inhalts wird auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen. Hierin findet sich u. a. ein „Äußerungsbogen“, in welchem der Zeuge D. den Vorfall beschreibt; hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.
Mit Schreiben vom 10. Juli 2020 hörte die Beklagte den Kläger zu ihrer Absicht an, das Ereignis vom 28. Februar 2020 nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen. Der Streit sei nicht Ausfluss der versicherten Tätigkeit des Klägers gewesen. Ein betrieblicher Hintergrund des Streits sowie der körperlichen Auseinandersetzung sei nicht zu erkennen gewesen. Gleichzeitig bat die Beklagte die den Kläger behandelnden Ärzte, keine Behandlungen mehr zu ihren Lasten vorzunehmen.
Mit Schreiben vom 28. Juli 2020 meldete sich die Verfahrensbevollmächtigte des Klägers und teilte mit, dass sie Akteneinsicht in die Akten der Amtsanwaltschaft und anschließend Stellung nehmen werde. Mit einem auf den 15. Juli 2020 datierten Schreiben, welches per Fax am 17. August 2020 einging, teilte die Verfahrensbevollmächtigte mit, dass aus ihrer Sicht ein betrieblicher Hintergrund für den Streit gegeben sei, da sich das Ereignis auf dem Weg zur Arbeit und darüber hinaus auf dem Betriebsgelände ereignet habe. Anlass für den Streit sei anhaltendes Parken des vom Zeugen D. geführten LKWs in der Zufahrt des Betriebsgeländes. Dem Kläger sei es somit verwehrt geblieben, auf das Betriebsgelände zu fahren und seiner ihm übertragenen Tätigkeit nachzugehen. Mehrfachen Aufforderungen, die Zufahrt zum Gelände freizumachen, sei der Zeuge D. nicht nachgekommen. Der Kläger, der einen dringenden betrieblichen Termin wahrzunehmen hatte, habe sein Fahrzeug stehen lassen und zu Fuß weiter auf das Gelände gehen müssen. Als der Kläger kurze Zeit später zurückgekommen sei, sei er vom Zeugen D. als „egoistisches Arschloch“ und „Scheiß-Ausländer“ betitelt worden. Der Kläger sei daraufhin auf Herrn D. zugegangen, um ihm zu sagen, dass er auch nur seine Arbeit verrichten möchte und sich den Ton verbitte, wobei er „mit dem linken Arm geschlenkert“ habe. In diesem Moment wurde sei er vom Zeugen D. mehrere Meter weit immer wieder geschubst und mit der Faust mehrfach ins Gesicht geschlagen worden.
Mit Bescheid vom 6. Oktober 2020 lehnte die Beklagte es ab, das Ereignis vom 28. Februar als Arbeitsunfall anzuerkennen. Der Kläger habe keinen Versicherungsfall erlitten, ein Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung bestehe nicht. Voraussetzung für die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung sei das Vorliegen eines Versicherungsfalls. Ein Arbeitsunfall (Versicherungsfall) liege vor, wenn eine versicherte Person infolge einer versicherten Tätigkeit einen Unfall erleide. Unfälle seien zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führten. Der Gesundheitsschaden müsse dabei rechtlich wesentlich durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden sein (§ 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII)).
Zum Unfallzeitpunkt habe der Kläger zum Kreis der nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten Personen gehört. Zum Unfallzeitpunkt habe der Kläger sich jedoch nicht bei einer unfallversicherten Tätigkeit befunden, da er sich zu diesem Zeitpunkt von der eigentlich versicherten Tätigkeit gelöst habe. Ein Arbeitsunfall infolge einer Streitigkeit sei nur dann anzuerkennen, wenn die Streitigkeit aus Gründen entstanden sei, die mit der Arbeit zusammenhingen oder eine besondere Betriebsgefahr eingewirkt habe. Nach der vorliegenden Akte der Amtsanwaltschaft Berlin sei es zu der verbalen Auseinandersetzung gekommen, da die Einfahrt zum Gelände des Arbeitgebers des Klägers durch ein anderes Fahrzeug versperrt gewesen sei. Die zunächst verbale Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und dem Fahrer des anderen Fahrzeugs habe ihre Ursache nicht in der versicherten Tätigkeit als Bauleiter gehabt, sondern sei aus der persönlichen Verärgerung über die versperrte Einfahrt entstanden. Diese persönliche Verärgerung und das hieraus resultierende Verhalten könne nicht dem betrieblichen Risikobereich zugerechnet werden. Eine besondere betriebliche Gefahr habe ebenfalls nicht zur Entstehung des Unfalls beigetragen.
Hiergegen erhob die Verfahrensbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 13. Oktober 2020 Widerspruch. Der Kläger habe die Zufahrt zum Betriebsgelände verlassen, um einen betrieblichen Termin wahrzunehmen. Die Auseinandersetzung mit dem Fahrer des die Zufahrt versperrenden LKWs sei daher in Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit erfolgt. Da der Kläger den Weg in unmittelbarem Betriebsinteresse zurückgelegt habe, habe er sich auf einem Betriebsweg befunden. Es sei daher auch nicht richtig, wenn in dem angegriffenen Bescheid die Annahme zugrunde gelegt werde, dass die Auseinandersetzung mit dem Fahrer des LKWs Folge der „persönlichen Verärgerung“ des Klägers über die versperrte Ausfahrt gewesen sei. Es sei unstreitig, dass der Kläger im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses die Einfahrt habe verlassen wollen, um einen betrieblichen Termin wahrzunehmen. Es sei auch zu berücksichtigen, dass die Verletzungen des Klägers auf die von dem Zeugen D. verursachte Verkehrsbehinderung zurückzuführen seien. Der Zeuge D. habe selbst eingeräumt, dass er mit dem LKW die Einfahrt versperrt und den Kläger „egoistisches Arschloch“ beschimpft habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2021 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Die verbale Auseinandersetzung sei aufgrund der persönlichen Verärgerung über die versperrte Einfahrt erfolgt und habe ihre Ursache nicht in der versicherten Tätigkeit als Bauleiter gefunden. Eine solche persönliche Verärgerung und das darauf resultierende Verhalten könne nicht dem betrieblichen Risikobereich zugerechnet werden. Wie aus den vorliegenden Unterlagen hervorgehe, habe der Kläger sich bereits zu Beginn der Auseinandersetzung von seiner versicherten Tätigkeit als Bauleiter gelöst, als er seine persönliche Verärgerung über die versperrte Einfahrt dem Zeugen D. mitteilte, Auch die nachfolgende Beleidigung der beteiligten Person sowie die tätliche Auseinandersetzung sei nicht im Zusammenhang mit der beruflichen Sphäre als Bauleiter erfolgt, sondern aus der persönlichen Differenz mit dem Zeugen D. erfolgt. Im Gegensatz zum angeführten Urteil des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 22.11.2017, Az. L 1 U 1277/17) haben der Kläger seinen versicherten Weg, und damit auch die versicherte Tätigkeit, noch nicht wiederaufgenommen. Vielmehr habe er, nachdem die Einfahrt freigemacht wurde, seinen PKW wieder verlassen, um nochmals auf den Unfallgegner zuzugehen und die persönliche Auseinandersetzung fortzuführen.
Mit seiner Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er erweitert und vertieft sein Vorbringen aus dem Widerspruchverfahren. Die Beklagte übergehe bei ihrer Entscheidung, dass er sein Fahrzeug in Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit aufgesucht habe und ausschließlich das Verhalten des LKW-Fahrers – zunächst die Beleidigung und nachfolgend der körperliche Angriff – ihn hiervon abgehalten habe. Die Annahme einer „nachfolgenden Beleidigung“ unterstelle eine vorherige, nicht der betrieblichen Tätigkeit zuzurechnende Handlung des Klägers, welche einen Anlass hierfür gesetzt haben könnte.
Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 6. Oktober 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Januar 2021 aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 28. Februar 2020 um einen Arbeitsunfall handelte.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf die streitgegenständlichen Bescheide.
Der Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie die Akte der Amtsanwaltschaft Berlin (Az. 3031 Js 4784/20) hat zur mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung vorgelegen. In der mündlichen Verhandlung ist außerdem der Zeuge D. vernommen worden. Auf die Verwaltungsvorgänge, die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung wird ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Bei dem Ereignis vom 28. Februar 2020 handelt es sich nicht um einen Arbeitsunfall.
Gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer versicherten Tätigkeit, nach Satz 2 sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Für einen Arbeitsunfall ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls einer versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung wesentlich ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) verursacht hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis wesentlich einen Gesundheits(erst)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat. Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt für die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen bei der Tatsachenfeststellung, dass die Tatsachen, die die Tatbestandsmerkmale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung zur Zeit des Unfalls“, „Unfallereignis“ sowie „Gesundheitsschaden“ erfüllen sollen, im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst Recht nicht die bloße Möglichkeit (vgl. zum Vorstehenden nur BSG, Urteil vom 31. Januar 2012 – B 2 U 2/11 R, juris, Rn. 16 ff.).
Die Kammer hat nach der mündlichen Verhandlung keine Zweifel daran, dass der Kläger zum versicherten Personenkreis gehörte. Nach § 2 Abs. 1 SGB VII sind u. a. Beschäftige versichert. Daran, dass der Kläger bei der B. GmbH als Bauleiter angestellt war und auch am 28. Februar 2020 bereits seine Arbeit aufgenommen hatte, zweifelt die Kammer nicht. Der Kläger befand sich daher auf einem versicherten sogenannten Betriebsweg zwischen zwei versicherten Tätigkeiten, als er sich zu seinem Auto begab und dieses aufschloss.
Allerdings steht zur Überzeugung der Kammer auch fest, dass der Kläger zu dem Zeitpunkt, als der Zeuge D. ihn schlug, nicht seiner versicherten Tätigkeit nachging. Es stehen nämlich nicht alle Wege, die ein Beschäftigter während der Arbeitszeit und/oder auf der Arbeitsstätte zurücklegt, unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, sondern nur solche Wege, bei denen ein sachlicher Zusammenhang zwischen der – grundsätzlich – versicherten Tätigkeit und dem Zurücklegen des Weges gegeben ist, weil der Weg durch die Ausübung des Beschäftigungsverhältnisses oder den Aufenthalt auf der Betriebsstätte bedingt ist (vgl. dazu BayLSG, Urt. v. 24. September 2020, L 17 U 370/17, juris Rn. 35).
Auch wenn es sich vorliegend um einen Betriebsweg handelte und nicht um einen Wegeunfall nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII, können die für die Wege von und zur Arbeit entwickelten Grundsätze übertragen werden. Danach muss der Weg wesentlich zu betrieblichen Zwecken zurückgelegt werden, die hierauf gerichtete Handlungstendenz muss durch die objektiven Umstände bestätigt werden. Allerdings muss auch die Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses im sachlichen Zusammenhang mit dem versicherten Zurücklegen des Weges, d. h. hier des Betriebsweges, stehen. Bei der Feststellung des inneren Zusammenhangs zwischen dem zum Unfall führenden Verhalten und der Betriebstätigkeit geht es um die Ermittlung der Grenze, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Es ist wertend zu entscheiden, ob das Handeln des Versicherten zur versicherten Tätigkeit gehört. Daraus folgt, dass während Unterbrechungen kein Versicherungsschutz besteht, wenn sie wesentlich allein dem privaten Bereich zuzurechnen sind, so genannten eigenwirtschaftlichen Zwecken dienen (vgl. nur mit weiteren Nachweisen BayLSG, a. a. O. Rn. 37)
Zur Überzeugung der Kammer gab es in dem Moment eine klare Zäsur, als der Kläger im Begriff war in sein Auto einzusteigen, die Autotür öffnete, anschließend aufgrund der Beleidigung durch den Zeugen D. die Tür wieder schloss und sich zu ihm begab, um mit ihm „die Sache auszudiskutieren“. Ab diesem Moment diente das Handeln des Klägers privaten Zwecken, nämlich dem Zur-Rede-Stellen des Zeugen D. Dass sich der Sachverhalt so zutrug, ergibt sich übereinstimmend aus den Schilderungen im Verwaltungsvorgang der Beklagten, den polizeilichen Vernehmungsprotokollen und schließlich der Anhörung des Klägers und der Vernehmung des Zeugen D. in der mündlichen Verhandlung.
Zum einen hat der Kläger den Sachverhalt in der mündlichen Verhandlung genauso geschildert:
„Ich bin dann nach hinten in mein Büro gegangen und habe noch eine E-Mail geschrieben und bin dann zurückgegangen zum Auto. Dort habe ich zunächst die Autotür aufgemacht, hörte aber, wie der Zeuge mich von hinten unter anderem als „egoistisches Arschloch“ beschimpfte. Daraufhin habe ich meine Wagentür wieder geschlossen und bin zum Zeugen hingegangen, ich wollte das ausdiskutieren. Die Einfahrt ist so groß, dass eigentlich zwei Autos nebeneinander hinpassen. Ich habe ihm gesagt: warum parkst du so, meinst du deine Zeit ist wertvoller als meine. Er begann mich daraufhin zu schubsen und weiter zu beschimpfen.“
Auch der Zeuge D. beschrieb in der mündlichen Verhandlung den Vorgang dergestalt, dass der Kläger bereits sein Auto erreicht habe und erst auf seinen Zuruf hin umgekehrt sei. Dies deckt sich auch mit der kurz nach dem Ereignis von ihm gefertigten schriftlichen Darstellung des Ereignisses in der Ermittlungsakte der Polizei (Äußerungsbogen v. 9. März 2020):
„Er erwiderte ich habe Termine und öffnete die Tür seines Fahrzeugs und war im Begriff das Fahrzeug zu entfernen. Ich meinte dann zu ihm er sei ein „egoistisches Arschloch“ worauf er ziemlich erbost reagierte die Tür des Fahrzeugs zu knallte und auf mich zu kam, mit einem Blick wie man ihn nur von Adrenalin gepuschten Jugendlichen kennt und mich sofort tätig angriff er schuppste mich erst mit beiden Händen in Richtung eines Bauzauns der hinter mir stand, ich fühlte mich sehr stark bedroht von diesem wütenden Mann. “
Da der Zeuge sich im ersten Teil seiner Äußerung mit der Beleidigung und damit der Provokation des Klägers selbst belastete, erscheint der Kammer die Schilderung des Vorgangs insoweit glaubhaft. Ob der Kläger hingegen den Zeugen zuerst angriff oder es umgekehrt war, bedarf vorliegend für die unfallversicherungsrechtliche Beurteilung keiner Klärung.
Lediglich bei der ersten Vernehmung durch die Polizei unmittelbar nach dem Geschehen hatte der Kläger angegeben, dass der Zeuge D. ihn ohne Vorwarnung auf dem Weg zu seinem Auto angegriffen habe. Dort findet allerdings auch nicht die unbestrittene, von beiden geschilderte Beleidigung Erwähnung. Demgegenüber schilderte bereits die Verfahrensbevollmächtigte des Klägers in ihrem Schreiben an die Beklagte vom 15. Juli 2020 den Sachverhalt so, dass der Kläger nach der Beleidigung auf den Zeugen D. zugegangen sei, sich den Ton verbeten und dabei mit dem linken Arm geschlenkert habe. Auch in dieser Schilderung ist ein geteilter Geschehensablauf zu erkennen.
In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass insbesondere das Zurechtweisen anderer Verkehrsteilnehmer auf dem Weg zur Arbeit oder auf Betriebswegen nicht der betrieblichen Tätigkeit dient und etwaige hieraus resultierende Verletzungen unabhängig vom Verschulden dem privaten Lebensbereich zuzurechnen sind (BayLSG a. a. O., Rn. 39; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. September 2020, L 17 U 626/16, juris Rn. 53 ff.). Vergleichbar liegt der Fall hier: der Kläger reagierte in erster Linie auf die persönliche Beleidigung als „egoistisches Arschloch“ und wollte den Zeugen D. zur Rede stellen. Er unterbrach den von ihm aufgenommenen Weg zu seinem Auto und wandte sich dem Zeugen D. zu, woraufhin es zu seiner Verletzung kam.
Umgekehrt überzeugte die Kammer die Behauptung des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht, dass er vorrangig die freie Zufahrt zum Grundstück seines Arbeitgebers habe sichern wollen. Schließlich hatte er sein Auto bereits erreicht und war im Begriff einzusteigen, als er sich wegen der Beleidigung durch den Zeugen D. wieder umdrehte und auf diesen zuging. Bis zu der Beleidigung war es nach den objektiven Umständen nicht seine Absicht, den Zeugen noch einmal zu ermahnen die Einfahrt freizuhalten. Die Einfahrt selbst hätte er schließlich zügiger freimachen können, wenn er gleich in sein Auto eingestiegen und fortgefahren wäre. Dies war bis zu der Beleidigung auch ersichtlich seine Absicht gewesen.
Soweit die Verfahrensbevollmächtigte insbesondere auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg verweist (Urt. v. 22. November 2017 – L 1 U 1277/17, juris Rn. 36 ff.), führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Hier war der Konflikt zwischen Arbeitskollegen auf dem Heimweg zunächst beendet gewesen. Nach den ausdrücklichen Feststellungen in dem Urteil hatte der Versicherte bereits seinen Heimweg nach dem (vorläufigen) Abschluss der Auseinandersetzung wiederaufgenommen. Erst als er hielt, um die beim fluchtartigen Verlassen offenstehenden Türen des Kleinbusses zu schließen, eilte ihm sein Kollege nach und verletzte ihn. Die weiteren Ausführungen zu dem Ursprung der Auseinandersetzung im privaten oder beruflichen Bereich in dem Urteil dienen ausschließlich der Abgrenzung zu Verletzungen aufgrund privater Konflikte während der Arbeit(szeit), die in keinem Fall unter dem Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen.
Die Kammer kommt daher zu der Wertung, dass der Kläger sich zum Zeitpunkt seiner Verletzung durch den Zeugen D. von seiner beruflichen Tätigkeit gelöst hatte. Ein Versicherungsfall lag nicht vor, die Klage war abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.