Skip to content
Menü

Arbeitsunfall – Beweiswürdigung bei Folgen eines Arbeitsunfalls  –  Beweisnotstand

Arbeitsunfall-Folgen: Keine Beweise für Kausalität – Urteil im Sozialrechtsfall

Das Landessozialgericht Hamburg wies die Berufung des Klägers zurück, der nach einem Arbeitsunfall Schadensersatz für Schulterverletzungen geltend machte. Die Beweise reichten nicht aus, um einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Unfall und den Schulterbeschwerden zu belegen. Insbesondere die zeitliche Verzögerung zwischen Unfall und den ersten dokumentierten Schulterbeschwerden sowie medizinische Gutachten spielten eine zentrale Rolle in der Urteilsfindung.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: L 2 U 46/22  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Berufung zurückgewiesen: Das Gericht fand keine ausreichenden Beweise für einen Zusammenhang zwischen Unfall und Schulterverletzungen.
  2. Keine sofortigen Schulterbeschwerden: Der Kläger meldete erst Wochen nach dem Unfall Schulterprobleme, was gegen einen direkten Zusammenhang spricht.
  3. Medizinische Befunde: Die Untersuchungen zeigten keine unfallbedingten Verletzungen an der Schulter.
  4. Beweisnotstand: Der Kläger befand sich nicht in einem Beweisnotstand, da die notwendigen Beweise fehlten.
  5. Gutachten: Ein Gutachten stellte keinen direkten Zusammenhang fest, während ein anderes als unbrauchbar angesehen wurde.
  6. Keine Beweiserleichterung: Das Gericht sah keine Veranlassung, dem Kläger Beweiserleichterungen zu gewähren.
  7. Keine Hinweise auf Gesundheitserstschaden: Direkt nach dem Unfall wurden keine Beschwerden im Bereich der Schulter dokumentiert.
  8. Fehlende Kausalität: Insgesamt fehlte der Beweis für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Unfall und den Schulterbeschwerden.

Arbeitsunfälle und die Herausforderungen der Beweisführung

Im Mittelpunkt des Sozialrechts stehen oft komplexe Fälle, bei denen die Beweisführung eine entscheidende Rolle spielt. Ein typisches Beispiel hierfür ist die juristische Aufarbeitung von Arbeitsunfällen, bei der es nicht nur um die Feststellung des Unfallhergangs selbst, sondern auch um die daraus resultierenden körperlichen und psychischen Folgen für die Betroffenen geht. Eine zentrale Herausforderung stellt hierbei der sogenannte Beweisnotstand dar, in dem sich Kläger oftmals befinden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn zwischen dem Unfallereignis und dem Auftreten von Symptomen eine zeitliche Verzögerung besteht, wie es häufig bei Schulterverletzungen der Fall ist.

Die Beurteilung solcher Fälle erfordert ein hohes Maß an Fachwissen und Sorgfalt, da sowohl medizinische als auch juristische Aspekte eine Rolle spielen. Die Beweiswürdigung durch das Gericht basiert auf detaillierten Gutachten und Zeugenaussagen, die zusammen ein Bild darüber ergeben sollen, inwieweit ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und den gesundheitlichen Beschwerden des Klägers besteht.

Im weiteren Verlauf werden wir einen Blick auf ein konkretes Urteil werfen, das diese Thematik veranschaulicht. Die Entscheidungen in solchen Fällen können weitreichende Konsequenzen für alle Beteiligten haben und sind daher von großer Bedeutung im Rahmen des Sozialrechts. Begleiten Sie uns auf dieser juristischen Entdeckungsreise, um ein tieferes Verständnis für die Komplexität und Tragweite dieser Urteile zu entwickeln.

Der Sturz in der Küche: Ein Arbeitsunfall und seine juristischen Folgen

Am 16. August 2018 ereignete sich in einer Küche ein Arbeitsunfall, der zu einer langwierigen rechtlichen Auseinandersetzung führte. Der Kläger, ein Küchenhelfer seit 1998, rutschte aus und fiel auf seine linke Hand. Dieser Vorfall führte zu Schmerzen im linken kleinen Finger, den Handgelenken und dem linken Ellenbogen. Trotz freier Beweglichkeit und fehlender sichtbarer Verletzungen wie Schwellungen oder Prellmarken, erhob der Kläger Vorwürfe hinsichtlich der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit. Es entstand ein Rechtsstreit, in dem die Beweiswürdigung und der vermeintliche Beweisnotstand des Klägers zentrale Rollen spielten.

Medizinische Befunde und juristische Interpretation

Im Verlauf der Behandlung wurden verschiedene medizinische Untersuchungen durchgeführt. Zunächst diagnostizierte der Durchgangsarzt lediglich eine Verletzung des linken Kleinfingers. Später kamen Schmerzen im linken Oberarm und in der Schulter hinzu. Ein MRT der linken Schulter zeigte einen Defekt an der Supraspinatussehne, was zu einer operativen Versorgung führte. Die Beklagte, in diesem Fall die Unfallversicherung, erkannte das Ereignis zunächst als Arbeitsunfall an, lehnte jedoch weitere Leistungen ab, da die Verletzungen laut ihrer Ansicht nicht unfallbedingt waren. Diese Entscheidung basierte auf der Beurteilung, dass die anfänglichen medizinischen Berichte keine Hinweise auf eine unfallbedingte Verletzung der Schulter aufzeigten.

Der Kampf um Anerkennung und Entschädigung

Der Kläger, der durch den Unfall seine Tätigkeit als Küchenkraft nicht mehr ausüben konnte und stattdessen als Kassierer arbeitete, sah sich im Beweisnotstand und legte Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten ein. Er argumentierte, dass die Schmerzen und die daraus resultierende eingeschränkte Arbeitsfähigkeit direkt auf den Unfall zurückzuführen seien. Ein von ihm vorgelegtes unfallchirurgisches Gutachten unterstützte diese Ansicht, wurde jedoch von der Beklagten aufgrund methodischer Mängel abgelehnt. Das Sozialgericht Hamburg zog einen medizinischen Sachverständigen hinzu, dessen Expertise zu dem Schluss kam, dass kein kausaler Zusammenhang zwischen dem Unfall und den Schulterbeschwerden bestünde.

Urteil des Landessozialgerichts Hamburg: Kein Anspruch auf weitere Leistungen

Am Ende stand das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg, welches die Berufung des Klägers zurückwies. Das Gericht folgte der Argumentation der Beklagten und des medizinischen Sachverständigen, dass kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Unfall und den Schulterverletzungen bestünde. Besonders hervorgehoben wurde, dass der Kläger nicht unmittelbar nach dem Unfall über Schulterbeschwerden geklagt hatte. Diese Tatsache, zusammen mit dem Fehlen eines medizinischen Nachweises eines unfallbedingten Gesundheitsschadens, führte zu der Entscheidung, dass keine weiteren Leistungen an den Kläger zu zahlen seien.

Die Komplexität dieses Falles zeigt auf, wie in der juristischen Praxis medizinische Befunde und deren Interpretation eine entscheidende Rolle spielen. Es verdeutlicht zudem die Herausforderungen, denen sich Kläger im Falle eines Arbeitsunfalls stellen müssen, insbesondere wenn es um die Beweisführung von Spätfolgen geht. Das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg steht somit exemplarisch für die Schwierigkeiten im Bereich des Sozialrechts, insbesondere wenn es um die Klärung von Arbeitsunfällen und deren Folgen geht.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Wie wird die „Beweiswürdigung“ bei Arbeitsunfällen gehandhabt?

Die Beweiswürdigung bei Arbeitsunfällen ist ein komplexer Prozess, der mehrere Aspekte berücksichtigt. Im Allgemeinen liegt die Beweislast für einen Arbeitsunfall beim Arbeitnehmer. Dies bedeutet, dass der Arbeitnehmer nachweisen muss, dass der Unfall während einer versicherten Tätigkeit stattgefunden hat und dass eine echte Gesundheitsschädigung vorliegt.

Ein wichtiger Aspekt der Beweiswürdigung ist das medizinische Gutachten. Dieses dient als wesentliche Grundlage für die Entscheidung über Leistungen nach Arbeitsunfällen und bei Berufskrankheiten. Gutachter müssen unparteiisch, unabhängig, persönlich und fachlich geeignet sein und über die erforderliche räumliche und personelle Ausstattung verfügen, um notwendige Untersuchungen durchführen zu können.

In Fällen, in denen die tatsächlichen Umstände eines Unfalls nicht geklärt werden können, richtet sich die Beweislastverteilung nach der Beweislosigkeit. Dies kann insbesondere bei Alleinarbeitsplätzen im Betrieb, allein zu Hause und auf Wegen relevant sein.

Richter entscheiden nach ihrer freien Überzeugung, ob sie etwas als bewiesen ansehen oder nicht. Sie müssen diese Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen und aufgrund ihrer Lebenserfahrung und Menschenkenntnis treffen.

Es ist auch zu beachten, dass in Fällen, in denen mehrere Ursachen zu einem Körperschaden geführt haben, die beruflich bedingten Ursachen zumindest wesentlich mitverantwortlich sein müssen.

Die Beweiswürdigung bei Arbeitsunfällen ist daher ein komplexer Prozess, der sowohl objektive Beweise (wie medizinische Gutachten) als auch subjektive Einschätzungen (wie die Überzeugung des Richters) berücksichtigt.


Das vorliegende Urteil

Landessozialgericht Hamburg – Az.: L 2 U 46/22 – Urteil vom 22.03.2023

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten des Klägers sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Länge der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit und der Behandlungsbedürftigkeit der Folgen eines Arbeitsunfalles.

Der 1966 geborene Kläger ist seit 1998 als Küchenhelfer in einem M. beschäftigt. Nach dem Durchgangsarztbericht des Unfallchirurgen Dr. S. vom 17. August 2018 ist er am 16. August 2018 an seinem Arbeitsplatz in der Küche ausgerutscht und auf die linke Hand gefallen. Er klagte über Schmerzen im linken kleinen Finger mit Unvermögen der vollständigen Streckung im Endglied. Weiter wurden Schmerzen in den Handgelenken und linken Ellenbogen, bei freier Beweglichkeit, angegeben. Es wurden keine Schwellungen oder Prellmarken festgestellt. Nach dem Röntgenergebnis konnte keine Fraktur im linken Kleinfinger festgestellt werden und es wurde der Verdacht auf eine Strecksehnenverletzung an dem kleinen Finger geäußert.

In einem Bericht vom 20. August 2018 führte der behandelnde Durchgangsarzt zur Verlaufskontrolle aus, dass beim Kläger Schmerzen über den gesamten linken Oberarm und das linke Bein beständen. Beide Schultergelenke seien frei beweglich. In dem Nachschaubericht des Durchgangsarztes vom 23. August 2018 heißt es, dass der Kläger „weiterhin Schmerzen im Schultergürtel“ habe, die sich allerdings progredient verbesserten. Das Bewegungsausmaß beider Schultergelenke sei frei. Es bestehe Arbeitsfähigkeit. Nach der Unfallanzeige des Arbeitgebers des Klägers vom 28. August 2018 sei dieser ausgerutscht und habe sich durch Abstützen die linke Hand verletzt. Am 23. August 2018 hat der Kläger die Arbeit wiederaufgenommen. Am 17. September 2018 stellte sich der Kläger erneut beim Durchgangsarzt vor und klagte noch über leichte Schmerzen in der Schulter, die Funktion war intakt, aber schmerzhaft. Der Kläger wurde weiterhin für arbeitsfähig erachtet.

Am 6. November 2018 klagte der Kläger bei dem Durchgangsarzt über anhaltende Beschwerden im linken kleinen Finger und der linken Schulter. Diesmal wurde Arbeitsunfähigkeit festgestellt und am 16. November 2018 ein MRT der linken Schulter des Klägers gefertigt. Hierbei wurde ein Defekt an der Supraspinatussehne festgestellt. Am 2. Januar 2019 fand eine operative Versorgung dieser Sehnenläsion beim Kläger statt.

Mit Bescheid vom 4. Januar 2019 erkannte die Beklagte das Unfallereignis vom 16. August 2018 als Arbeitsunfall an und stellte unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bis zum 22. August 2018 und unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit bis 17. September 2018 fest. Leistungen über die genannten Zeiträume hinaus wurden abgelehnt. Zur Begründung führte die Beklagte zusammengefasst aus, der behandelnde Durchgangsarzt hätte zunächst bei der ersten Vorstellung eine Verletzung des linken Kleinfingers diagnostiziert. Bei der Vorstellung am 17. September 2018 seien leichte Schulterbeschwerden dokumentiert worden. Der MRT-Befund der linken Schulter von 16. November 2018 ließe keine unfallbedingten Verletzungen erkennen. Damit sei die Schulter-OP zulasten der Krankenkasse erfolgt.

Unter dem 21. Januar 2019 stellte der Beratungsarzt der Beklagten fest, dass im vorliegenden Fall keine Hinweise für einen unfallbedingten Erstschaden an der Rotatorenmanschette vorliegen.

Unter dem 23. Januar 2019 legte der Kläger gegen den Ausgangsbescheid der Beklagten Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, er sei nicht nur auf den Finger, sondern auch auf die Schulter gefallen, sodass die Beschwerden der linken Schulter auf den Arbeitsunfall zurückzuführen seien.

Unter dem 21. Januar 2020 fertigten Prof. Dr. F. und andere ein Gutachten zur Zusammenhangsfrage. Zusammengefasst kommen die Gutachter zu dem Ergebnis, dass über einen Zeitraum von annähernd drei Monaten keine Funktionsverluste der linken Schulter erfasst worden seien, so dass aus Sicht der Gutachter die Kausalität nicht gegeben sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26. März 2020 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, da die Entscheidung im Ausgangsbescheid zutreffend sei.

Am 27. April 2020 hat der Kläger dagegen Klage vor dem Sozialgericht Hamburg erhoben mit der Begründung, die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig, denn die Schulterverletzungen links seien auf das Unfallereignis zurückzuführen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat im Wesentlichen auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden bezogen.

Das Sozialgericht hat ein chirurgisches Gutachten zur Zusammenhangsfrage des Facharztes für Chirurgie-Fußchirurgie Z. eingeholt. In seinem Gutachten vom 25. April 2022 kommt der Sachverständige zusammenfassend zum Ergebnis, dass die vom Kläger geschilderte direkte Krafteinwirkung auf die linke Schulter aus biomechanischer Sicht als ungeeignet gelte, die Sehnen oder Muskeln der Rotatorenmanschette zu zerreißen. Auch der vorliegende Verlauf sei keinesfalls verletzungskonform. Gefordert werde nach der wissenschaftlichen Lehrmeinung eine sofortige und heftige Beschwerdesymptomatik der Schulter, sowie eine nahezu aufgehobene Beweglichkeit des Schultergelenkes, ein sogenanntes Drop-Arm-Sign. Hierbei sei der Arm nicht mehr zu bewegen, hänge runter und sei im Bereich der Schulter erheblich schmerzhaft. All dies ließe sich mit den Befunden, welche zeitnah zu dem Ereignis beim Kläger erhoben worden seien, nicht nachvollziehen. Auch die Kernspintomographieaufnahmen zeigten keine Befunde, die für eine frische Strukturschädigung aufgrund des Ereignisses vom 16. August 2018 sprächen. Der Kläger habe bei der Untersuchung angegeben, dass auf der rechten Schulterseite inzwischen, ohne traumatische Verletzung, ebenfalls eine Sehnenschädigung festgestellt worden sei.

Mit Schriftsatz vom 31. August 2022 hat der Kläger mitgeteilt, er wolle dem behandelnden Durchgangsarzt PD Dr. S. den Streit verkünden.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 14. September 2022 abgewiesen. Die unfallbedingten Gesundheitsschäden (Prellungen im Bereich der linken Hand/Kleinfinger und Ellenbogen) seien folgenlos ausgeheilt und verursachten bis maximal zum 22. August 2018 unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und bis 17. September 2018 Behandlungsbedürftigkeit, wie dies die Beklagte zutreffend festgestellt habe. Es könne nicht festgestellt werden, dass die bestehenden Schädigungen in Form von degenerativen Veränderungen und Texturstörungen in der linken Schulter (Supraspinatussehnendefekt und Verschleißumformungen) sowie die Veränderungen in der linken Schulter des Klägers in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis ständen. Der Unfallhergang sei nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht geeignet, die Gesundheitsstörungen in der linken Schulter, insbesondere der Supraspinatussehne zu verursachen. Eine entsprechend erforderliche überfallartige Längendehnung durch den Unfallhergang und ein unfallbedingter Gesundheitserstschaden an bzw. in der linken Schulter seien nicht bewiesen. Dies folge bereits daraus, dass der Kläger nach dem Unfallereignis nicht sofort über erhebliche Schulterbeschwerden geklagt habe. Erst Wochen nach dem Ereignis seien entsprechende Beschwerden ärztlich dokumentiert und behandelt worden. Dies entspreche keinem verletzungskonformen Verlauf. Der gerichtlich bestellte medizinische Sachverständige Z. habe den erforderlichen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand berücksichtigt. Ein kausaler Zusammenhang der Gesundheitsstörungen in der linken Schulter mit dem Unfallereignis könne nicht festgestellt werden. Es gebe keinen einzigen Hinweis auf einen Gesundheitserstschaden im Bereich der linken Schulter zeitnah zum Unfallereignis. Der medizinische Sachverständige Z. habe sämtliche Kriterien, die dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu Schäden an der Rotatorenmanschette entsprechen, dezidiert aufgeführt und dargelegt, dass kein einziges Kriterium vorliege, welches eine traumatische Schädigung der Supraspinatussehne hätte begründen können. Bei der Operation am 2. Januar 2019 sei ein sogenanntes Impingement und keine Ruptur behandelt worden. Insbesondere spreche auch der Zeitraum von ca. zweieinhalb Monaten zwischen dem Unfallereignis und der ersten Arbeitsunfähigkeit am 6. November 2018 aufgrund von Schulterbeschwerden gegen einen unfallbedingten Zusammenhang. Auch liege in der rechten Schulter des Klägers ein ähnlicher degenerativer Schaden (Texturstörung der Sehnen der Rotatorenmanschette) vor, ohne dass dort ein Unfallereignis vorgelegen hätte. Dies alles spreche mit Wahrscheinlichkeit gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Ereignis vom 16. August 2018 und dem Schaden in der linken Schulter des Klägers.

Gegen diese seinem Prozessbevollmächtigten am 15. September 2022 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 14. Oktober 2022 Berufung eingelegt. Er trägt vor, ein Funktionsverlust der linken Schulter habe vorgelegen, da er bis zur Operation im November 2018 nicht mehr als Küchenkraft, sondern nur noch als Kassierer habe arbeiten können. Der Durchgangsarzt habe versäumt, dieses zu dokumentieren. Es sei zu berücksichtigen, dass der Kläger nur gebrochen deutsch spreche und auch die verordneten Schmerzmittel die Beschwerdesymptomatik hätten überdecken können. In dem unfallchirurgischen Gutachten des U. vom 14. Oktober 2019 werde die Kausalität zwischen Unfallereignis und Verletzung positiv festgestellt. Entgegen der Annahme des Sachverständigen Z. habe die Beschwerdesymptomatik der Schulter vorgelegen, sie sei nur nicht dokumentiert worden. Das Sozialgericht habe nicht berücksichtigt, dass sich der Kläger im Beweisnotstand befinde. Zu Unrecht habe das Sozialgericht auch Streitverkündung/Beiladung des Dr. S. nicht beachtet. „Im Wege der Rechtskraftwirkung“ müsse dieser in das Verfahren einbezogen werden, auch im Hinblick auf die Verjährungsproblematik eines möglichen Schadensersatzanspruchs sei dies erforderlich.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 14. September 2022 und den Bescheid der Beklagten vom 9. Januar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2020 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit über den 22. August 2018 sowie unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit über den 17. September 2018 hinaus anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie wendet ein, die Berufungsbegründung enthalte keine neuen Tatsachen, die gesundheitlichen Beschwerden des Klägers (Supraspinatussehnendefekt, Verschleißumformungen) seien nicht mit dem notwendigen Grad der Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen.

Der Senat hat über die Berufung am 22. März 2023 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz <SGG <) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegt. Sie erweist sich jedoch als unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die nach eigener Überprüfung der Sach- und Rechtslage gemäß § 153 Abs. 2 SGG unter Absehen einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf weitere Leistungen gegen die Beklagte wegen des Unfallereignisses vom 16. August 2018.

Lediglich ergänzend sei auf Folgendes hingewiesen:

1. Bei der Prüfung, wie sich das fragliche Unfallereignis abgespielt hat, kommt im Rahmen der Beweiswürdigung den ersten Angaben des Versicherten nach dem Unfallereignis ein besonderer Beweiswert zu (vgl. Hess. LSG, Urteil vom 24. März 2015 − L 3 U 225/10, juris; LSG Baden-Württemberg Urteil vom 23. Juni 2016 – L 6 VH 4633/14, juris). Deshalb hat das Sozialgericht zu Recht darauf abgestellt, dass der Kläger nicht sofort über erhebliche Schulterbeschwerden geklagt hat. Entsprechende Beschwerden sind erst Wochen nach dem Ereignis ärztlich dokumentiert und behandelt worden. Damit fehlt es hinsichtlich dieser geltend gemachten Gesundheitsschäden bereits am Vorliegen eines im Vollbeweis festzustellenden Gesundheitserstschadens. „Gesundheitserstschaden“ ist jeder abgrenzbare Gesundheitsschaden, der unmittelbar durch eine versicherte Einwirkung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht wurde. Es handelt sich also um die ersten voneinander medizinisch abgrenzbaren Gesundheitsschäden (oder den Tod), die „infolge“ ein- und derselben versicherten Verrichtung eintreten (BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 – B 2 U 9/11 R, juris). Dies kann hier bereits wegen des Fehlens entsprechender Feststellungen im Durchgangsarztbericht vom 17. August 2018 und in dem Bericht zur Verlaufskontrolle vom 20. August 2018 nicht konstatiert werden. Wenn der Kläger nun vorträgt, tatsächlich habe schon unmittelbar nach dem Unfall ein Funktionsverlust der Schulter vorgelegen, so ist dies zumindest nicht dokumentiert und geht damit zu Lasten des insoweit beweispflichtigen Klägers. Es ist aber auch nicht schlüssig, wenn man bedenkt, dass über mehrere Wochen hinweg diese Information über ganz erhebliche Beschwerden übersehen oder unterschlagen worden sein müssten. Da auch keine weiteren Indizien darauf hindeuten, dass ein Gesundheitserstschaden im Bereich der linken Schulter Folge des Unfalls sein könnte, ist dieser nicht bewiesen.

2. Daran ändert auch das Gutachten des U. vom 14. Oktober 2019 zur Zusammenhangsfrage nichts, das die Kausalität zwischen Unfallereignis und Verletzung bejaht. Dieses Gutachten ist wegen erheblicher Mängel unbrauchbar und wurde von der Beklagten nicht akzeptiert. Das Gutachten setzt sich mit den dokumentierten Befunden des Durchgangsarztes nicht auseinander, sondern legt für die Kausalitätsbeurteilung unkritisch die ein Jahr später gemachten Angaben des Klägers zugrunde, enthält falsche Daten der Arztberichte (2019 statt 2018), beantwortet die Kausalitätsfrage mit einem schlichten „ja“ und dem lapidaren Hinweis, dass Läsionen an der Rotatorenmanschette durch äußere Gewalt eintreten können und entbehrt der Unterschrift des beauftragten Arztes. Dieser (Prof. Dr. F.) hat dann unter dem 21. Januar 2020 ein unfallchirurgisches Fachgutachten vorgelegt, das sich mit den Vorbefunden eingehend auseinandersetzt und zu dem Ergebnis gelangt, dass aus Sicht des Gutachters Kausalität nicht gegeben sei, da über einen Zeitraum von fast drei Monaten nach dem Sturz kein Funktionsverlust der linken Schulter erfasst worden sei und der spätere Operationsbericht und das MRT aufgrund der erheblichen zeitlichen Verzögerung nicht geeignet seien, eine Kausalität zu begründen oder abzulehnen.

3. Die von dem Kläger geltend gemachten Beweisschwierigkeiten wegen einer fehlenden Dokumentation angeblicher Beschwerden an seiner Schulter unmittelbar im Zusammenhang mit dem Unfallereignis rechtfertigen nicht die Annahme eines Beweisnotstandes und eine daraus abzuleitende Notwendigkeit zu Beweiserleichterungen. Typische Beweisschwierigkeiten, die sich aus den Besonderheiten des Einzelfalles ergeben, sind im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Eine allgemeingültige Beweiserleichterung für den Fall des Beweisnotstandes widerspräche dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, vgl. BSG, Urteil vom 7. September 2004 – B 2 U 25/03 R, juris). Da der den Kläger behandelnde Durchgangsarzt im Jahre 2018 keine Veranlassung für eine Untersuchung der Schulter gesehen hat, besteht für den Senat keine Veranlassung, Beweiserleichterungen zu gewähren. Zudem fehlt es an einem tauglichen Anknüpfungspunkt für eine Absenkung der Beweisanforderungen. Konsequenz der Berücksichtigung besonderer Fallumstände im Rahmen der Beweiswürdigung ist es, an den Beweis verminderte Anforderungen zu stellen (BSG, Urteil vom 7. September 2004 – B 2 U 25/03 R, juris). Deshalb können der Unfallversicherungsträger oder das Gericht schon aufgrund weniger tatsächlicher Anhaltspunkte von einer bestimmten Tatsache überzeugt sein. Da die vorliegenden medizinischen Befunde es aber auch dem Senat nicht ermöglichen, die Überzeugung zu gewinnen, dass die traumatische Schädigung der Supraspinatussehne mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückgeführt werden kann, bleibt kein Raum für eine Beweiserleichterung. Denn es bestehen erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass die Schädigung der Supraspinatussehne im Fall des Klägers nicht mit dem Unfallereignis vom 16. August 2018 im Zusammenhang steht.

4. Aufgrund der Spezialregelung des § 75 SGG ist die Anwendung der Streitverkündung und der Nebenintervention über § 202 Satz 1 SGG nach §§ 66 bis 74 Zivilprozessordnung ausgeschlossen. Das Gericht kann nach § 75 Abs. 1 Satz 1 SGG von Amts wegen oder auf Antrag andere, deren berechtigte Interessen durch die Entscheidung berührt werden, beiladen. Sind an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann oder ergibt sich im Verfahren, dass bei der Ablehnung des Anspruchs ein anderer Versicherungsträger in Betracht kommt, so sind diese beizuladen (§ 75 Abs. 2 SGG).

a) Im vorliegenden Zusammenhang ist der Durchgangsarzt nicht notwendig im Sinne des § 75 Abs. 2 SGG beizuladen. Eine notwendige Beiladung setzt voraus, dass die zu erwartende Entscheidung in die Rechtsphäre des Dritten unmittelbar eingreift, d.h. gleichzeitig, unmittelbar und zwangsläufig Rechte des Beizuladenden gestaltet, bestätigt, feststellt, verändert oder aufhebt (BSG, Urteile vom 31. Mai 1978 – 2 RU 5/78 und vom 31.08.1983 – 2 RU 65/82, jeweils juris). Die Rechtsstellung des Durchgangsarztes, den der Kläger in Regress nehmen möchte, wird durch die Entscheidung des Senats nicht berührt. Der Klagegegenstand eines möglichen Schadensersatzanspruchs gegen den Durchgangsarzt ist mit dem Streitgegenstand dieses Verfahrens nicht identisch.

b) Voraussetzung für eine einfache Beiladung nach § 75 Abs. 1 SGG ist, dass berechtigte Interessen eines Dritten durch die Entscheidung berührt werden, d.h. die Entscheidung muss berechtigte Interessen berühren (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Auflage, 2020, § 75 Rn. 8). Zu den berechtigten Interessen gehören nicht nur rechtliche, sondern auch wirtschaftliche, tatsächliche, kulturelle, soziale oder ideelle Interessen. Denkbar ist es somit, in einem Streitverfahren aus dem Bereich des Unfallversicherungsrechts den potentiellen Schädiger mit Blick auf einen späteren Zivil- oder arbeitsgerichtlichen Prozess beizuladen. Die Beiladung des Durchgangsarztes hat für den Kläger jedoch keine unmittelbaren Vorteile, da die Vorfrage, inwieweit der Arzt Beschwerden des Klägers dokumentiert hat, nicht in Rechtskraft erwächst. Deshalb kann der Arzt an das Ergebnis des vorliegenden Streitfalles nicht gebunden werden, sodass auch eine einfache Beiladung nicht in Betracht kommt.

Da das Sozialgericht somit zu Recht davon ausgegangen ist, dass die bestehenden Schädigungen in Form von degenerativen Veränderungen und Texturstörungen in der linken Schulter (Supraspinatussehnendefekt und Verschleißumformungen) sowie die Veränderungen in der linken Schulter des Klägers nicht in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis stehen, kann die Berufung keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Sozialrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Sozialrecht. Wir beraten uns vertreten Sie in sozialrechtlichen Fragen. Jetzt Ersteinschätzung anfragen.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Urteile und Beiträge aus dem Sozialrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!