Ein ehrenamtlicher Betreuer wurde von seinem betreuten Angehörigen tätlich angegriffen, als er wegen Schimmelbefalls dessen Gesundheit schützen wollte. Entscheidend war, ob die Gefahrenabwehr in der gemeinsamen Wohnung noch unter die versicherte Betreuertätigkeit und somit als Arbeitsunfall fällt.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Gilt der gesetzliche Unfallschutz, wenn ich Angehörige ehrenamtlich betreue?
- Gelten Verletzungen durch den Betreuten als Arbeitsunfall, auch wenn ich privat handle?
- Wie weise ich nach, dass meine Handlung objektiv zur Betreuertätigkeit gehörte?
- Die Unfallversicherung lehnt meinen Arbeitsunfall ab: Was kann ich jetzt tun?
- Wie grenze ich private Fürsorge klar von meinen offiziellen Betreuerpflichten ab?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: L 6 U 19/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landessozialgericht Sachsen‑Anhalt
- Datum: 26. Juni 2024
- Aktenzeichen: L 6 U 19/23
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Unfallversicherung, Betreuungsrecht
- Das Problem: Ein ehrenamtlicher Betreuer wurde bei dem Versuch, ärztliche Hilfe zu rufen, von seinem betreuten Sohn mit einer Vase angegriffen und verletzt. Die Unfallversicherung weigerte sich, den Vorfall als Arbeitsunfall anzuerkennen.
- Die Rechtsfrage: Ist ein gerichtlich bestellter, ehrenamtlicher Betreuer durch die Gesetzliche Unfallversicherung geschützt, wenn er bei der Ausübung seiner Fürsorgepflicht durch den Betreuten selbst verletzt wird?
- Die Antwort: Ja. Das Gericht stellte fest, dass die Verletzung ein Arbeitsunfall war. Der gesetzliche Auftrag zur Sorge für die Gesundheit umfasst auch tatsächliche Tätigkeiten wie die Abwehr von akuten Gesundheitsgefahren.
- Die Bedeutung: Der Unfallversicherungsschutz für ehrenamtliche Betreuer ist umfassend. Er gilt auch für kritische Situationen und alltägliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr, selbst wenn der Betreuer und der Betreute verwandt sind.
Der Fall vor Gericht
War der Angriff des Sohnes ein Arbeitsunfall des Vaters?
Für die Unfallversicherung war die Trennlinie klar: Ein Vater, der mit seinem Sohn über ein unordentliches Zimmer streitet, handelt privat. Ein gerichtlich bestellter Betreuer, der sich um die Gesundheit seines Schützlings kümmert, erfüllt eine öffentliche Aufgabe.

Das Problem in diesem Fall war, dass beides im selben Moment und in derselben Person zusammenfiel. Ein heftiger Schlag mit einer Blumenvase zwang das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt zu der Entscheidung, auf welcher Seite dieser unsichtbaren Linie der Vorfall lag – und ob er damit ein versicherter Arbeitsunfall war.
Die Ausgangslage war eine alltägliche und zugleich belastende Familiensituation. Ein Vater war vom Amtsgericht als ehrenamtlicher Betreuer für seinen erwachsenen, geistig behinderten Sohn bestellt. Seine Aufgaben umfassten unter anderem die Sorge für die Gesundheit und die Aufenthaltsbestimmung. Beide lebten in einer gemeinsamen Wohnung. Ein Schimmelbefall im Zimmer des Sohnes entwickelte sich zum Konfliktpunkt. Der Vater organisierte einen Gutachtertermin, doch der Sohn verweigerte jeden Zutritt. Am 15. Februar 2016 eskalierte die Lage. Der Sohn schlug mit einem Hammer auf eine Tür ein. Der Vater griff zum Telefon, um den Rettungsdienst und die Polizei zu rufen. In diesem Moment attackierte ihn sein Sohn. Er befreite sich aus einem Haltegriff, ergriff eine große Vase und schlug sie seinem Vater auf den Kopf. Die Folge war eine Platzwunde und, nach Angaben des Vaters, ein nachfolgender Schlaganfall.
Warum lehnte die Versicherung die Anerkennung als Arbeitsunfall ab?
Die zuständige Unfallversicherung sah die Sache nüchtern. Der Vater gehöre als ehrenamtlicher Betreuer zwar grundsätzlich zu dem Personenkreis, der unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht (§ 2 Abs. 1 Nr. 10 SGB VII). Die entscheidende Frage war aber, ob er zum Zeitpunkt des Angriffs auch eine Tätigkeit ausübte, die in einem direkten Zusammenhang mit seinem Betreueramt stand. Die Versicherung verneinte das.
Ihre Argumentation war schmal und formal. Der Aufgabenkreis „Sorge für die Gesundheit“ beziehe sich auf rechtliche Angelegenheiten wie die Einwilligung in ärztliche Behandlungen oder die Organisation von Arztterminen. Das Drängen auf das Aufräumen eines Zimmers – auch wenn es um Schimmel geht – sei eine typische, alltägliche Auseinandersetzung innerhalb der Familie. Es fehle der sachliche Zusammenhang zur offiziellen Betreuertätigkeit. Der Vater habe nicht als Betreuer gehandelt, sondern als Vater. Der Vorfall war aus Sicht der Versicherung ein tragisches Familiendrama, aber kein Versicherungsfall. Das Sozialgericht Magdeburg folgte dieser Sichtweise in der ersten Instanz und wies die Klage des Vaters ab.
Wie definierte das Gericht die Pflichten eines Betreuers?
Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt hob diese Entscheidung auf und korrigierte das enge Verständnis der Betreuertätigkeit. Die Richter stellten klar, dass die Aufgabe eines gesetzlichen Betreuers weit über reine Verwaltungsakte hinausgeht. Das Betreuungsrecht selbst, insbesondere § 1901 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), betont die Wichtigkeit persönlicher Gespräche und der tatsächlichen Unterstützung.
Das Gericht verwies auf eine gefestigte Rechtsprechung anderer Gerichte. Demnach gehört die Überprüfung der Wohnverhältnisse auf gesundheitsgefährdende Zustände wie Vermüllung oder Schimmelbefall eindeutig zu den Pflichten eines Betreuers – gerade dann, wenn der Betreute selbst die Gefahr nicht erkennen oder abwenden kann. Das Handeln des Vaters, einen Gutachter zu bestellen und auf eine Lösung des Schimmelproblems zu dringen, war kein privates Anliegen. Es war die direkte Ausübung seines gerichtlich übertragenen Amtes. Er handelte, um eine Gesundheitsgefahr für seinen Sohn abzuwenden.
Welcher Moment war für das Urteil ausschlaggebend?
Den entscheidenden Ankerpunkt für seine Begründung fand das Gericht im Moment unmittelbar vor dem Angriff. Der Vater stand nicht streitend vor dem Zimmer seines Sohnes. Er war am Telefon, um professionelle Hilfe zu rufen. Dieser Anruf bei Notarzt und Polizei war eine gezielte Handlung, um die akute gesundheitliche Krise seines Sohnes zu bewältigen.
Hier kommt der juristische Begriff der „Handlungstendenz“ ins Spiel. Die Richter prüften die Absicht hinter der Tätigkeit des Vaters. Sein Ziel war es, die Situation durch das Hinzuziehen Dritter zu deeskalieren und seinen Sohn medizinisch versorgen zu lassen. Diese Handlung war objektiv auf die Erfüllung seiner Betreuerpflicht – die Sorge für die Gesundheit – ausgerichtet. Der Angriff des Sohnes ereignete sich als direkte Folge dieser versicherten Tätigkeit. Damit waren die Voraussetzungen für einen Arbeitsunfall nach § 8 Abs. 1 SGB VII erfüllt: ein Unfall infolge einer versicherten Verrichtung. Der Schlag mit der Vase war das plötzliche, von außen einwirkende Ereignis, das die Platzwunde verursachte.
Spielt es eine Rolle, dass Betreuer und Betreuter verwandt sind?
Die Versicherung und das erstinstanzliche Gericht legten nahe, dass die familiäre Bindung den Versicherungsschutz ausschließt. Das Landessozialgericht pulverisierte dieses Argument. Es stellte klar, dass eine solche Sichtweise dem Sinn des Betreuungsrechts und sogar dem Grundgesetz widersprechen würde. Der Gesetzgeber wünscht ausdrücklich, dass nahe Angehörige die Betreuung übernehmen. Ihnen aufgrund dieser Nähe den Schutz der Unfallversicherung zu entziehen, wäre ein Widerspruch und eine unzulässige Benachteiligung, die den Schutz der Familie (Art. 6 GG) verletzen könnte.
Der staatliche Auftrag der Betreuung überlagert hier die private Beziehung. Der Vater handelte nicht nur aus elterlicher Sorge, sondern auf der Grundlage eines richterlichen Beschlusses. Er war in diesem Moment eine Privatperson, die eine staatliche Fürsorgeaufgabe wahrnahm. Das Gericht verpflichtete die Unfallkasse, die Platzwunde als Folge eines Arbeitsunfalls anzuerkennen und dem Vater die Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.
Die Urteilslogik
Der gesetzliche Unfallversicherungsschutz für ehrenamtliche Betreuer erfasst weitaus mehr als nur formale, administrative Akte.
- [Weite der Betreuungspflicht]: Die Pflicht zur Sorge um die Gesundheit verpflichtet den Betreuer, alle tatsächlichen Maßnahmen zu ergreifen, um akute gesundheitliche Gefahren wie Schimmelbefall oder Verwahrlosung in der Wohnung des Betreuten abzuwenden.
- [Angriff als versicherte Folge]: Ein Unfall erfüllt die Voraussetzungen für einen Arbeitsunfall, sobald er sich als direkte Folge oder Reaktion auf eine Verrichtung ereignet, die objektiv der Erfüllung der gerichtlich übertragenen Betreuungsaufgabe dient.
- [Neutralität der familiären Bindung]: Das staatliche Fürsorgegebot überlagert die private Beziehung; die gesetzliche Unfallversicherung schützt den ehrenamtlichen Betreuer auch dann, wenn er das Amt für nahe Angehörige ausübt.
Die rechtliche Bewertung des Unfallschutzes orientiert sich ausschließlich daran, ob die verletzte Person zum Zeitpunkt des Vorfalls einen staatlich mandatierten Auftrag wahrgenommen hat.
Benötigen Sie Hilfe?
Zweifelt Ihre Unfallversicherung den Arbeitsunfall als Betreuer an? Kontaktieren Sie uns für eine sachliche erste Einschätzung Ihrer Ansprüche.
Experten Kommentar
Es ist unmöglich, den Vater-Hut abzulegen, nur weil man gerade den Betreuer-Hut aufsetzt. Das Gericht hat hier konsequent anerkannt, wie eng Amt und Familie in der Praxis verwoben sind. Entscheidend ist die klare Feststellung, dass die Sorge für die Gesundheit eben nicht bei der Aktenverwaltung endet, sondern das tatsächliche Eingreifen bei akuten Krisen – wie das Rufen von Notarzt und Polizei – umfasst. Dieses Urteil stärkt alle ehrenamtlichen Betreuer massiv, da es klarstellt: Die familiäre Bindung ist kein Freifahrtschein für die Versicherung, den Unfallschutz abzulehnen. Der staatliche Auftrag zum Schutz der Betreuten überlagert die private Beziehung.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Gilt der gesetzliche Unfallschutz, wenn ich Angehörige ehrenamtlich betreue?
Ja, der gesetzliche Unfallschutz gilt ausdrücklich, auch wenn Sie Angehörige ehrenamtlich betreuen. Das Gesetz sieht vor, dass ehrenamtliche Betreuer unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen (§ 2 Abs. 1 Nr. 10 SGB VII). Die familiäre Bindung entzieht Ihnen diesen Schutz nicht. Im Gegenteil: Der richterlich erteilte staatliche Auftrag überlagert die private Beziehung vollständig.
Der Gesetzgeber wünscht ausdrücklich, dass nahestehende Personen die Betreuung übernehmen, um die bestmögliche Fürsorge zu gewährleisten. Eine Ablehnung des Versicherungsschutzes allein wegen der familiären Nähe würde diesem Ziel widersprechen. Das Gericht würde dies als unzulässige Benachteiligung werten, die den Schutz der Familie nach dem Grundgesetz verletzen könnte (Art. 6 GG). Durch den gerichtlichen Beschluss erfüllen Sie nicht nur eine private Fürsorge, sondern nehmen eine öffentliche Aufgabe wahr.
Diese Überlagerung ist entscheidend, wenn Sie einen Unfall melden. Betonen Sie stets den amtlichen Charakter Ihrer Tätigkeit und die richterliche Anweisung. Handlungen, die ein gerichtlich bestellter, fremder Betreuer ebenfalls ergreifen müsste, wie die Abwendung einer akuten Gesundheitsgefahr oder das Rufen professioneller Hilfe, sind versichert. Die Gerichte prüfen in solchen Fällen die objektive Ausrichtung auf Ihre zugewiesenen Aufgabenkreise, nicht nur die familiäre Motivation.
Suchen Sie den richterlichen Beschluss über Ihre Betreuungsbestellung heraus und markieren Sie die exakt zugewiesenen Aufgabenkreise, um den amtlichen Charakter jederzeit belegen zu können.
Gelten Verletzungen durch den Betreuten als Arbeitsunfall, auch wenn ich privat handle?
Wenn eine Verletzung durch den Betreuten erfolgt, kommt es nicht auf den ursprünglichen Anlass des Konflikts an. Entscheidend ist der juristische Begriff der Handlungstendenz. Das Gericht prüft objektiv, ob Ihre Absicht im Moment der Verletzung darauf ausgerichtet war, eine Pflicht des Betreueramts zu erfüllen – etwa die Sorge für die Gesundheit oder die akute Gefahrenabwehr.
Die Regel: Ein Unfall gilt nur dann als Arbeitsunfall, wenn er die direkte Folge einer versicherten Verrichtung ist (§ 8 Abs. 1 SGB VII). Die Unfallversicherung versucht oft, Vorfälle als rein private Auseinandersetzungen abzuqualifizieren, besonders bei familiärer Betreuung. Reine Alltagsauseinandersetzungen, die keine Gesundheitsgefahr darstellen, gelten als privat. Eskaliert die Situation jedoch bis zu einem Punkt, an dem die Einschaltung professioneller Dritter erforderlich wird, wechselt das Handeln von privat zu amtlich.
Nehmen wir an, Sie intervenieren wegen Schimmelbefalls, und es kommt zur körperlichen Auseinandersetzung. Im maßgeblichen Fall vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt galt der Moment des Telefonats mit dem Rettungsdienst und der Polizei als ausschlaggebend. Das Gericht erkannte, dass der Betreuer durch das Hinzuziehen Dritter zur Deeskalation und medizinischen Versorgung objektiv seine Pflichten der Gesundheitsfürsorge erfüllte. Der Angriff war eine unmittelbare Folge dieser versicherten Tätigkeit.
Dokumentieren Sie präzise, welche offizielle Pflicht Sie im Moment unmittelbar vor der Verletzung erfüllt haben, um den amtlichen Charakter Ihres Eingriffs zu belegen.
Wie weise ich nach, dass meine Handlung objektiv zur Betreuertätigkeit gehörte?
Die bloße Aussage, dass Sie das Beste wollten, genügt der Unfallversicherung nicht. Sie müssen Ihre Intervention durch den Nachweis der objektiven Notwendigkeit der Maßnahme belegen. Ihre Handlung muss sich klar aus den Kernpflichten des Betreueramts ableiten, insbesondere aus der Gefahrenabwehr für den Betreuten. Nur so beweisen Sie, dass Ihr Eingriff aufgrund des staatlichen Auftrags und nicht aus rein privaten Motiven erfolgte.
Gerichte legen die Pflichten des Betreuers nach § 1901 BGB bewusst weit aus. Diese Pflichten umfassen weit mehr als nur reine Verwaltungsakte. Die Überprüfung der Wohnverhältnisse auf gesundheitsgefährdende Zustände wie Schimmelbefall oder starke Vermüllung zählt eindeutig zur gesetzlichen Betreuertätigkeit. Dies gilt immer dann, wenn der Betreute selbst die akute Gefahr nicht erkennen oder abwenden kann. Entscheidend ist, dass die Handlung das Ziel hatte, die Gesundheit des Schützlings im Rahmen des gerichtlich zugewiesenen Aufgabenkreises zu sichern.
Ein überzeugender Beweis ist die Notwendigkeit, professionelle Dritte einzuschalten. Konkret: Fordert Ihre Intervention die Hinzuziehung von Notarzt, Polizei oder Gutachtern, zeigt dies den Übergang von privater zu amtlicher Krisenbewältigung. Bestellen Sie beispielsweise einen Sachverständigen zur Feststellung von Schimmel, dient dieser Bericht als klarer Beleg für die amtliche Tätigkeit. Damit dokumentieren Sie objektiv, dass die Situation eine Intervention Ihrerseits als Betreuer erforderte.
Stellen Sie alle Belege zusammen, die die zugrundeliegende Gefahr (zum Beispiel Fotos, Gutachteranfragen, Protokolle über Notrufe) beweisen, um Ihren Eingriff als notwendig zu untermauern.
Die Unfallversicherung lehnt meinen Arbeitsunfall ab: Was kann ich jetzt tun?
Eine anfängliche Ablehnung der Unfallversicherung ist nicht das Ende des Verfahrens. Die Argumentation der Versicherung basiert oft auf einer zu engen, formalen Auslegung Ihrer Pflichten als Betreuer. Legen Sie fristgerecht Widerspruch ein und bereiten Sie sich auf den Klageweg vor dem Sozialgericht vor. Geben Sie nicht auf, da höhere Gerichte in der Regel eine breitere, lebensnähere Sichtweise auf die Betreuertätigkeit einnehmen.
Versicherer argumentieren häufig, der Vorfall sei ein rein privates Geschehen ohne direkten Zusammenhang zur offiziellen Betreuertätigkeit. Diese schmale Auslegung der versicherten Tätigkeit wird in höheren Instanzen oft revidiert. Sie müssen die gesamte Kette der Ereignisse darlegen, die Ihre Intervention als Betreuer erforderte. Fokussieren Sie darauf, wie Ihre Pflicht zur Gefahrenabwehr oder Gesundheitsfürsorge zur kritischen Situation führte.
Selbst nach einer Niederlage in der ersten Instanz beim Sozialgericht sollten Sie die Berufung erwägen. Oft korrigiert erst das Landessozialgericht (LSG) die formale Sichtweise, indem es die Handlungstendenz prüft. Wie im Fall des LSG Sachsen-Anhalt geschehen, betonen Richter die weitreichenden Pflichten zur Überprüfung der Wohnverhältnisse auf gesundheitliche Gefahren. Bei Erfolg trägt die Unfallkasse die Kosten des gesamten Verfahrens, was das finanzielle Risiko erheblich senkt.
Fordern Sie Ihren juristischen Beistand auf, die Argumente des LSG Sachsen-Anhalt explizit in die Widerspruchsbegründung zu integrieren.
Wie grenze ich private Fürsorge klar von meinen offiziellen Betreuerpflichten ab?
Um Konflikte mit Versicherungen zu vermeiden, müssen Sie Ihre Tätigkeit jederzeit juristisch sauber dokumentieren. Die klare Abgrenzung gelingt durch die objektiv nachweisbare Ausrichtung auf Ihren gerichtlich zugewiesenen Aufgabenkreis. Sie handeln amtlich, sobald Sie Maßnahmen ergreifen, die ein fremder, gerichtlich bestellter Betreuer ebenfalls durchführen müsste. Hier überlagert der staatliche Auftrag der Betreuung die private Beziehung vollständig.
Fragen Sie sich stets: Hätte ich in dieser Situation als nicht-verwandter, professioneller Betreuer genauso gehandelt, um die Pflichten zu erfüllen? Nur Handlungen, die der Erfüllung der Betreuerpflichten dienen, etwa der Gesundheitsfürsorge oder der Abwendung akuter Gefahren, sind amtlich. Kritische Interventionen bei akuter Selbstgefährdung oder gesundheitlichen Gefahren im Wohnraum (wie Schimmelbefall) müssen Sie strikt formal und neutral protokollieren.
Der Wechsel von privater zu offizieller Tätigkeit wird durch die Einschaltung Dritter am deutlichsten bewiesen. Handlungen wie das Bestellen eines neutralen Gutachters oder das Rufen von Notdiensten oder der Polizei sind klare, objektive Beweise für eine amtliche Intervention. Vermeiden Sie unbedingt, das offizielle Betreuertagebuch mit emotionalen oder privaten Notizen zu vermischen. Halten Sie die Dokumentation zielorientiert auf die rechtliche Notwendigkeit ausgerichtet.
Führen Sie ein lückenloses Betreuertagebuch, das bei jeder kritischen Interaktion explizit den Bezug zum gerichtlichen Aufgabenkreis festhält.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Aufenthaltsbestimmung
Die Aufenthaltsbestimmung ist ein Aufgabenkreis innerhalb des Betreuungsrechts, der dem gerichtlich bestellten Betreuer das Recht überträgt, den Wohnort und damit den zentralen Lebensmittelpunkt der betreuten Person festzulegen. Dieses Recht dient dazu, sicherzustellen, dass der Betreute in einer Umgebung lebt, die seinen Bedürfnissen und seiner Gesundheit entspricht, besonders wenn er die Tragweite dieser Entscheidung selbst nicht mehr überblicken kann.
Beispiel: Im vorliegenden Fall umfasste das Betreueramt des Vaters explizit die Aufenthaltsbestimmung, wodurch er Maßnahmen zur Beseitigung des gesundheitsgefährdenden Schimmelbefalls in der gemeinsamen Wohnung ergreifen musste.
Gefahrenabwehr
Unter Gefahrenabwehr versteht man im Betreuungsrecht die fundamentale Pflicht des Betreuers, akute oder drohende Schäden von der betreuten Person abzuwenden, insbesondere im Bereich der körperlichen und geistigen Gesundheit. Das Gesetz legt diese Pflicht bewusst weit aus, denn Betreuer müssen nicht nur formale Akte verwalten, sondern auch in tatsächliche Krisensituationen eingreifen, um die ihnen übertragene Fürsorgepflicht aktiv zu erfüllen.
Beispiel: Die Intervention des Vaters, der versuchte, den Rettungsdienst und die Polizei zu rufen, nachdem der Sohn mit einem Hammer gedroht hatte, war eine unmittelbare Handlung zur Gefahrenabwehr, die als amtliche Tätigkeit anerkannt wurde.
Gesetzliche Unfallversicherung
Die Gesetzliche Unfallversicherung (GUV), deren Schutzbereich im Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) definiert ist, ist eine Pflichtversicherung, die finanzielle und medizinische Leistungen bei Arbeitsunfällen, Wegeunfällen und Berufskrankheiten garantiert. Dieser staatliche Sozialschutz sorgt dafür, dass bestimmte Tätigkeiten, insbesondere ehrenamtliche Verrichtungen im Auftrag der Allgemeinheit, bei Verletzungen durch die zuständigen Unfallkassen abgesichert sind.
Beispiel: Da ehrenamtliche Betreuer wie der Vater dem Personenkreis des § 2 Abs. 1 Nr. 10 SGB VII angehören, stand er bei der Ausübung seines Betreueramtes grundsätzlich unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Handlungstendenz
Juristen nennen die Handlungstendenz die objektive Ausrichtung einer Tätigkeit auf die Erfüllung einer bestimmten Pflicht, die vor Gericht darüber entscheidet, ob ein Vorgang noch rein privat oder bereits dem amtlichen Bereich zuzuordnen war. Dieses juristische Prüfkriterium ist entscheidend, um den tatsächlichen Zweck einer Handlung festzustellen; es fragt danach, welche Absicht der Handelnde im Moment des Unfalls verfolgte, und ob diese Absicht objektiv zur versicherten Tätigkeit gehörte.
Beispiel: Das Landessozialgericht sah die Handlungstendenz des Vaters im Moment des Angriffs klar auf die Sorge für die Gesundheit des Sohnes gerichtet, da er professionelle Hilfe zur Deeskalation und medizinischen Versorgung anforderte.
Sachlicher Zusammenhang
Der Sachliche Zusammenhang beschreibt die notwendige inhaltliche Verbindung zwischen einem Unfallereignis und der konkreten versicherten Tätigkeit, deren Fehlen die Unfallversicherung oft als Ablehnungsgrund anführt. Die Unfallversicherung muss prüfen, ob das unfallbringende Ereignis eine direkte Folge der amtlichen Verrichtung war, oder ob es sich lediglich um eine private Auseinandersetzung handelte, die zufällig während der Betreuungszeit stattfand.
Beispiel: Die Versicherung verneinte zunächst den sachlichen Zusammenhang, weil sie das Drängen auf das Aufräumen des Zimmers als typische, alltägliche Auseinandersetzung innerhalb der Familie des Betreuers einstufte.
Versicherte Verrichtung
Eine Versicherte Verrichtung ist jede Tätigkeit, die nach dem Sozialgesetzbuch unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung fällt und deren Ausübung die zwingende Voraussetzung für die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall nach § 8 SGB VII darstellt. Diese Definition grenzt den Schutzbereich der Sozialversicherung klar von rein privaten oder familiären Handlungen ab; nur wer objektiv zur Erfüllung seiner amtlichen Pflichten handelt, genießt den umfassenden Schutz.
Beispiel: Als der Vater den Notruf wählte, um die akute Krise seines Sohnes zu bewältigen, stellte dies eine gezielte, versicherte Verrichtung zur Erfüllung seines Betreueramts dar.
Das vorliegende Urteil
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt – Az.: L 6 U 19/23 – Urteil vom 26.06.2024
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Ich bin Dr. Christian Gerd Kotz, Rechtsanwalt und Notar in Kreuztal. Als Fachanwalt für Verkehrs- und Versicherungsrecht vertrete ich Mandant*innen bundesweit. Besondere Leidenschaft gilt dem Sozialrecht: Dort analysiere ich aktuelle Urteile und erkläre praxisnah, wie Betroffene ihre Ansprüche durchsetzen können. Seit 2003 leite ich die Kanzlei Kotz und engagiere mich in mehreren Arbeitsgemeinschaften des Deutschen Anwaltvereins.


