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Arbeitsunfall – Grenzen der Amtsermittlungspflicht des Sozialgerichts

Landessozialgericht Hamburg – Az.: L 2 U 12/18 – Urteil vom 12.12.2018

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Verletztengeld und Verletztenrente aufgrund eines Arbeitsunfalles vom 13. Januar 2013.

Die 1963 geborene Klägerin war als Küchenhilfe beschäftigt, als sie am 13. Januar 2013 bei Reinigungsarbeiten in der Küche in ein Bodenloch trat, das sie zuvor zu Reinigungszwecken geöffnet hatte. Nach dem Durchgangsarztbericht vom selben Tage zog sich die Klägerin eine Quetschung des linken Unterschenkels ohne knöcherne Begleitverletzungen zu. Der Durchgangsarzt stellte kleine Hautläsionen fest. Am 16. Januar 2013 stellte sich die Klägerin erneut beim Durchgangsarzt vor, der eine ca. 1 x 1 cm große entzündliche Wunde der Haut am linken Unterschenkel diagnostizierte. Arbeitsunfähigkeit wurde bis 29. Januar 2013 bescheinigt. Bei der erneuten Vorstellung am 1. Februar 2013 wurden zusätzlich eine Beckenprellung und eine Kreuzbeinfraktur diagnostiziert. Nach einer Computertomografie des Beckens der Klägerin am 20. März 2013 wird in dem entsprechenden Befundbericht ausgeführt, es habe sich eine größere Wurzeltaschenzyste im Sakralkanal gefunden. Unauffälliger Beckenstatus, insbesondere kein Nachweis einer computertomographisch fassbaren Traumafolge am Beckenskelett. Am 6. März 2013 berichtete die Klägerin dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. T1 über ihren Sturz. Es wurde eine Läsion des Nervi clunium inferiores rechts als Folge einer Hämatombildung im Gefäß bei einer sturzbedingten Steißbeinfraktur diagnostiziert. Auf Veranlassung der Beklagten fertigte Dr. F. unter dem 14. Juli 2014 ein fachchirurgisches Zusammenhangsgutachten. Zusammenfassend kam der Gutachter zu dem Ergebnis, dass eine Beschwerdesymptomatik im Bereich des Beckens bzw. des Steißbeins zunächst zum Unfallereignis nicht dokumentiert worden sei. Auch bei der Nachschau drei Tage nach dem Unfallereignis sei über keinerlei Problematik im Bereich des Beckens berichtet worden. Erst am 1. Februar 2013 seien erstmals Schmerzen im Steißbeinbereich angegeben und dokumentiert worden. Die weitergehende Diagnostik am 20. März 2013 hatte eine Fraktur ausgeschlossen. Die Kontrolluntersuchung mittels Computertomografie am 10. Mai 2013 hatte wiederum eine Fraktur ausgeschlossen. Auch eine Teilskelettszintigraphie in 3-Phasen-Technik konnte knöcherne Verletzungsfolgen ausschließen. Im Rahmen der gutachterlichen Bewertung ergebe sich die Notwendigkeit der Überprüfung der Krafteinwirkung auf eine anzunehmende geschädigte Körpersubstanz. Als pathologisches Korrelat nach dem Unfall verbleibe nur die dokumentierten Hautläsionen über dem linken körperfernen Unterschenkel. Die erweiterte Diagnostik habe eine Verletzung des Beckens ausschließen lassen. Als Unfallfolge ergebe sich somit keine Veränderung des Skelettsystems im Bereich der Lendenwirbelsäule, des Beckens oder des coxalen Femurendes. Weder in der Bildgebung noch in den klinischen Untersuchungen hätte sich ein zweifelsfrei zuzuordnendes somatisches Korrelat einer Verletzungsfolge über dem Becken verifizieren lassen. Besonders auffällig sei eine mangelnde Beschwerdeangabe im Rahmen der initialen Untersuchung sowie auch bei der Nachschau drei Tage nach dem Unfallereignis. Bei Schädigungen der Weichteilstruktur, die über anderthalb Jahre anhielten, könne davon ausgegangen werden, dass diese sofort zu einer Beschwerdesymptomatik führen würden. Eine mittelbare Unfallfolge aufgrund der erlittenen Art der Krafteinwirkung könne ebenfalls nicht ohne erhebliche Zweifel abgeleitet werden. Die Vorstellung im Ambulanzzentrum des U., Schmerzambulanz, spreche von einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Ein Bezug auf das Unfallereignis könne nicht hergestellt werden, weil das Unfallereignis keine psychosoziale Belastungskomponente in erheblichem Ausmaße darstelle. Der Gutachter diagnostizierte als unfallbedingte Folge eine verheilte Weichteilwunde über dem linken Unterschenkel ohne funktionelles Defizit. Eine Verletzungsfolge über dem Beckenbereich sowie über der Lendenwirbelsäule sei nicht ableitbar und die subjektive Beschwerdesymptomatik nicht dem Unfallereignis zuzurechnen. Eine Behandlungspflicht aufgrund des Unfallereignisses endete mit dem 1. Februar 2013.

Arbeitsunfall - Grenzen der Amtsermittlungspflicht des Sozialgerichts
(Symbolfoto: Thanumporn Thongkongkaew/Shutterstock.com)

Mit Bescheid vom 26. August 2014 stellte die Beklagte die Gewährung von Verletztengeld mit sofortiger Wirkung ein und führte zur Begründung aus, dass unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit, die einen Verletztengeldanspruch begründen könnte, nicht mehr gegeben sei. Mit Schriftsatz vom 3. September 2014 legte die Klägerin dagegen Widerspruch ein und trug zusammengefasst vor, dass sie aufgrund der unfallbedingten starken Beinverletzung die damit zusammenhängenden Schmerzen immer noch verstärkt spüre. Insbesondere sei die Steißbeinfraktur auf das Unfallereignis vom 13. Januar 2013 zurückzuführen.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 28. Januar 2015 führte Dr. F. aus, dass der Nachweis einer Steißbeinfraktur durch die bildgebenden Verfahren nicht geführt werden könne. Die von der Klägerin beklagte Beschwerdesymptomatik werde durch kein somatisch fassbares Korrelat medizinisch nachgewiesen. Einen Unfallzusammenhang könne er insoweit nicht sehen. Unter dem 27. Juli 2015 führte Dr. K. in seinem radiologischen Fachgutachten zusammengefasst aus, in den vorgelegten computertomographischen Diagnostiken vom 20. März 2013 und vom 8. Mai 2013 seien keine knöchernen Traumafolgen zu erkennen. Auch die unauffällige Skelettszintigraphie vom 21. Mai 2013 zeige keinen auffälligen Befund, somit sei eine knöcherne Traumafolge hinreichend ausgeschlossen. Auch eine knöcherne Fissur sei nicht erkennbar. Mit Bescheid vom 11. September 2015 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 13. Januar 2013 als Arbeitsunfall an und lehnte einen Anspruch auf die Gewährung einer Rente ab. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund von Unfallfolgen sei nicht um wenigstens 20 vom Hundert gemindert. Als Folgen des Arbeitsunfalles wurde eine folgenlos verheilte Weichteilwunde über dem linken Unterschenkel ohne funktionelles Defizit anerkannt. Unfallunabhängig vom Arbeitsunfall liege eine anlagebedingte Wurzeltaschenzyste innerhalb des Sakralkanals mit Beschwerden im unteren Rückenbereich vor.

Mit Schriftsatz vom 29. September 2015 legte die Klägerin auch gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2015 wies die Beklagte die Widersprüche der Klägerin zurück und führte zur Begründung zusammengefasst aus, die angefochtenen Bescheide vom 26. August 2014 und vom 11. September 2015 seien zutreffend, denn der Unfall habe weder an Kreuz- noch Steißbein zu einem strukturellen Schaden geführt.

Am 13. November 2015 hat die Klägerin Klage erhoben. Ihr sei sowohl über den 26. August 2014 hinaus Verletztengeld zu zahlen, als auch aufgrund der Unfallfolgen eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 20 vom Hundert zu gewähren, da es unfallbedingt zu einer Schädigung im Bereich des Beckens gekommen sei.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten; sie hat sich im Wesentlichen auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden bezogen.

Das Sozialgericht hat ein Gutachten des Facharztes für Chirurgie-Unfallchirurgie und Sozialmedizin Dr. T. eingeholt. Der Gutachter weist in seinem Gutachten vom 22. Februar 2017 darauf hin, dass zu keinem Zeitpunkt ärztlicherseits äußere Verletzungszeichen am Gesäß benannt worden seien. Es sei eine unfallchirurgische Gewissheit, dass bei einem ungebremsten Anprall auf das Gesäß, zum Beispiel im Bereich der Steiß- und Kreuzbeinregion, dort sofort starke Beschwerden auftreten würden. Ein zeitlich verzögerter Beschwerdeeintritt sei mit einem objektiven Verletzungsbefund nicht in Einklang zu bringen. Bei der Klägerin sei der linke Unterschenkel im Sinne einer Prellung und Quetschung mit lokaler Schürfwunde verletzt worden. Die festgestellten Gesundheitsstörungen am Kreuzbein mit fortbestehender ubiquitärer Schmerzsymptomatik bei Berührung am Kreuz- und Steißbein seien nicht auf das Ereignis vom 13. Januar 2013 zurückzuführen. Eine Beschwerdesymptomatik in diesem Bereich sei zunächst überhaupt nicht dokumentiert worden und auch eine Röntgenuntersuchung in diesem Bereich sei zunächst nicht erfolgt. Die erste durchgeführte Röntgenuntersuchung habe sich auf den linken Oberschenkel bezogen. Im Bereich des Kreuz- und Steißbeines sei es bei den computertomographischen Untersuchungen zu einem Zufallsbefund im Sinne einer Tarlov-Zyste gekommen. Sämtliche Untersuchungen hätten eine knöcherne Verletzung am Kreuz- und Steißbein ausschließen können. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit habe maximal bis zum 1. Februar 2013 vorgelegen.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat die Fachärztin für Orthopädie, Chirurgie, Unfallchirurgie Dr. M. unter dem 9. August 2017 ein Gutachten erstattet. Zusammengefasst hat die Gutachterin ausgeführt, dass es bei dem Arbeitsunfall nach dem Sturz der Klägerin auf das Gesäß zu einer massiven Prellung der Gesäßmuskulatur mit Entwicklung eines Hämatoms (Bluterguss) durch Quetschung der Muskulatur gekommen sei. In der Folge der ausgeprägten Hämatomentwicklung sei es zu einer Läsion des Nervi clunium Inferiores rechts mit Missempfindungen gekommen. Des Weiteren sei es aufgrund der ausgeprägten Beckenprellung und Prellung der unteren Lendenwirbelsäule zur Verdachtsdiagnose Infraktion/Fraktur (Anbruch/Bruch) des Os Sacrum bei vorher nicht bekannter Tarlov-Zyste (Wurzeltaschenzyste) gekommen. Aufgrund der bildgebenden Verfahren in Form von CT, MRT und Dreiphasenskelettszintigraphie sei eine Fraktur mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen worden, jedoch bleibe der Verdacht einer Infraktion im Raum stehen, da durch die vorher nicht bekannte Tarlov-Zyste eine primäre, direkte Frakturheilung ohne Kallusbildung möglich wäre. Nach Auffassung der Gutachterin sei unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit durchgehend (bis zu ihrer Untersuchung am 12. Juli 2017) gegeben.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtbescheid vom 1. März 2018 abgewiesen, da die Folgen des Arbeitsunfalls vom 13. Januar 2013 bis maximal zum 1. Februar 2013 unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit verursacht hätten. Nach der gutachterlichen Einschätzung des Sachverständigen Dr. T. sei es im Bereich des Gesäßes und im Bereich des Beckens bzw. Steißbeins und im Wirbelsäulenbereich der Klägerin zu keinem Gesundheitserstschaden durch das Unfallereignis am 13. Januar 2013 gekommen. Das Sozialgericht geht davon aus, dass es bei der Klägerin durch das Unfallereignis zu einer Hautläsion mit Quetschung und zu einer Prellung des linken Unterschenkels gekommen sei. Die nach knapp fünf Wochen im CT gefundene Wurzeltaschenzyste sei kein Gesundheitserstschaden und auch keine Folge des Unfallereignisses. Es handele sich um einen Zufallsbefund, der mit dem Unfallereignis in keinem ursächlichen Zusammenhang stehe. Unfallbedingte Gesundheitsstörungen seien im Bereich des Beckens bzw. Gesäßes medizinisch nicht festgestellt worden. Damit sei der Vollbeweis eines entsprechenden unfallbedingten Gesundheitsschadens nicht geführt. Den Ausführungen der Sachverständigen Dr. M. in ihrem Gutachten vom 9. August 2017 schloss sich das Sozialgericht nicht an. Die Gutachterin unterstelle eine massive Prellung mit einer Hämatombildung im Bereich des Gesäßes bei der Klägerin, die zu keinem Zeitpunkt dokumentiert oder medizinisch festgestellt worden sei. Ihre gutachterlichen Ausführungen seien reine Spekulation und hielten einer kritischen sozialmedizinischen Würdigung nicht stand.

Die Klägerin hat gegen den ihrer Prozessbevollmächtigten am 6. März 2018 zugestellten Gerichtsbescheid am 3. April 2018 Berufung eingelegt. Bereits der Nachschaubericht vom 7. Februar 2013 berichte von einer Beckenprellung und Kreuzbeinfraktur bei infizierter Wunde. Sie meine, bereits bei dem Nachschautermin am 16. Januar 2013 auf die Schmerzen im Bereich des Steißbeins hingewiesen zu haben. Die Schmerzen hätten sich in der Folgezeit gesteigert. Aus dem Umstand, dass die Schmerzen nicht sofort einsetzten, könne nicht zwingend der Schluss gezogen werden, dass eine Verletzung am Steißbein nicht vorgelegen habe. Bei einem Sturz auf das Steißbein könne sich nämlich eine Verklebung der Faszien und eine sich allmählich aufbauende Verhärtung der Beckenbodenmuskulatur ergeben, die nachfolgend zu ständigen erheblichen Schmerzen führen könne. Damit korrespondierte die Diagnose des Sachverständigen Dr. M., der bei der Klägerin im Bereich der HWS/BWS/LWS sowie im Bereich der Gesäßmuskulatur rechts Hartspann der paravertebralen Muskulatur festgestellt habe. Soweit ersichtlich hätten weder Dr. F. noch Dr. T. die CT- Röntgenaufnahmen der Dres. K1 & S. in Augenschein genommen, sondern nur Papierbilder zugrunde gelegt.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 1. 3.2018 und den Bescheid der Beklagten vom 11.9.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.10.2015 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin über den 26.8.2014 hinaus Verletztengeld und danach eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. zu zahlen.

Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und trägt vor, für Mutmaßungen, der gerichtlich bestellte Sachverständige habe Beweismaterial außer Acht gelassen, bestünden keine Anhaltspunkte. Das Gericht hat den Sachverständigen Dr. T. um eine ergänzende Stellungnahme insbesondere zu der Frage gebeten, ob bei der Begutachtung Muskelverhärtungen im Beckenbodenbereich der Klägerin und eine mögliche Verklebung der Faszien in Betracht gezogen worden seien.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 5. Juli 2018 hat der Sachverständige Dr. T. ausgeführt, dass bei der Klägerin zu keinem Zeitpunkt äußere Verletzungsanzeichen am Gesäß bestanden hätten und erstmals drei Wochen nach dem Unfallereignis über eine Gesäßbeschwerdesymptomatik berichtet worden sei. Er bleibe deshalb bei seinen bisherigen gutachterlichen Feststellungen. Bei der nun von der Klägern angeführten Möglichkeit, dass auch ein tieferliegender, sich aufbauender Bluterguss oder eine Verklebung der Faszien und eine sich allmählich aufbauende Verhärtung der Beckenbodenmuskulatur zu den nachfolgend bestehenden erhebliche Schmerzen geführt haben könnte, handele es sich um eine Vermutung, die alle apparativen Diagnostiken einschließlich der hochsensitiven CT- Untersuchungen sicher hätten ausschließen können. Das gelte auch für Blutergüsse, die zu keinem Zeitpunkt beschrieben worden seien. Ein Gesäßanprall gehe immer mit äußeren Verletzungsanzeichen und vor allem mit einher beklagten Beschwerdesymptomatik einher. Äußere Verletzungsanzeichen seien hier aber nicht beschrieben worden, über Beschwerden der Klägerin sei erst mit deutlich zeitlicher Latenz zum Ereignis berichtet worden. Es erschließe sich nicht, warum deswegen Muskelverhärtungen im Beckenbodenbereich oder eine mögliche Verklebung der Faszien in Betracht gezogen werden sollte.

Die Klägerin beanstandet in ihrer Stellungnahme zu diesen Ausführungen des Sachverständigen, dass er nicht darauf hingewiesen habe, dass es bei der von ihm abgelehnten Diagnose einer Steißbeinfraktur angezeigt gewesen wäre, eine MRT-Untersuchung durchzuführen. Auf den Röntgenaufnahmen sei möglicherweise eine gewisse Dislokation des Steißbeins zu erkennen. Es sei anerkannt, dass trotz negativer CT-Befunde unfallbedingte Verletzungen im Bereich der Weichteile vorliegen könnten. Zum Beweis dafür, dass die bei der Klägerin vorliegenden Beschwerden auf das Unfallgeschehen am 13. Januar 2018 zurückzuführen sind, werde erforderlichenfalls Prof. Dr. I. gemäß § 109 SGG als Gutachter benannt.

Das Gericht hat über die Berufung am 12. Dezember 2018 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird ebenso Bezug genommen wie auf die beigezogenen Verwaltungsakten.

Entscheidungsgründe

Die statthafte (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 SGG) Berufung erweist sich als unbegründet. Das Sozialgericht hat die zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 und 2 SGG) zu Recht als unbegründet abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in deren Rechten.

Weder hat die Klägerin mit ihrer Berufung etwas vorgetragen, was Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung gäbe, noch haben die im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen Derartiges ergeben.

Der rechtlichen Bewertung durch das Gericht können ausschließlich zu dessen voller Überzeugung, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehende Tatsachen zu Grunde gelegt werden, lediglich für mögliche Ursachenzusammenhänge reicht es aus, wenn mehr dafür als dagegen spricht, ein solcher also wahrscheinlich ist (vgl. zu diesen Maßstäben nur BSG, Urteil vom 27. Juni 2017 – B 2 U 17/15 R, juris). Unter Beachtung dieser Grundsätze ist davon auszugehen, dass die Klägerin bei dem Unfallereignis vom 13. Januar 2013 die bereits vom erstbehandelnden Durchgangsarzt diagnostizierte Schürfwunde am linken Unterschenkel erlitt, die folgenlos ausgeheilt ist. Dagegen lässt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, dass auch die von der Klägerin geklagten Beschwerden am Kreuz- und Steißbein durch diesen Unfall verursacht wurden. Sowohl der Durchgangsarztbericht vom 13. Januar 2013 als auch der erste Nachschaubericht vom 16. Januar 2013 enthalten als Diagnose lediglich eine entzündete Schürfwunde am linken Unterschenkel, aber keinen Hinweis auf Schmerzen am Steißbein. Diese wurden erstmals in dem zweiten Nachschaubericht vom 1. Februar 2013 dokumentiert. In diesem Zusammenhang weist der Sachverständige Dr. T. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 5. Juli 2018 darauf hin, dass ein Gesäßanprall immer mit einer Beschwerdesymptomatik und äußeren Verletzungszeichen einherginge. Da die Beschwerden erst später aufgetreten seien, könnten sie nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis vom 13. Januar 2013 zurückgeführt werden.

Die von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgetragene Möglichkeit, die erst später aufgetretenen Schmerzen könnten durch einen tieferliegenden, sich erst aufbauenden Bluterguss oder durch eine Verklebung der Faszien hervorgerufen worden sein, widerlegt der Sachverständige Dr. T. nachvollziehbar und überzeugend: Die apparativen Diagnostiken einschließlich der hochsensitiven CT- Untersuchung hätten solche Veränderungen sicher ausschließen können. Auch Blutergüsse würden mit einer Computertomographie sicher ausgeschlossen; Blutergüsse seien zu keinem Zeitpunkt beschrieben worden.

Soweit die Sachverständige Dr. M. in ihrem Gutachten vom 9. August 2017 eine ausgeprägte Hämatomentwicklung annimmt, bleibt unklar, woher diese Information stammt. Eine ärztliche Dokumentation findet sich hierzu nicht. Und auch der Hinweis der Klägerin, sie habe sich am 24. Januar gerade wegen der Schmerzen im Becken bzw. unteren Rückenbereich röntgen lassen, hilft nicht weiter, da auch dies nicht dafür spricht, dass sich die Schmerzen unmittelbar nach dem Unfallereignis eigestellt hatten. Die Behauptung der Klägerin, nicht sämtliche diagnostischen Möglichkeiten seien ergriffen worden, um zu klären, in welchem Zusammenhang die Beschwerden der Klägerin zu dem Unfallereignis standen, ist kaum nachvollziehbar. So wird etwa in dem Zusammenhangsgutachten des Unfallchirurgen und Orthopäden Dr. F. vom 28. Januar 2015 ausgeführt, dass eine umfangreiche Diagnostik in die Wege geleitet worden sei, um der von der Klägerin geäußerten Schmerzsymptomatik nachzugehen. Selbst mit hoch sensitiven Verfahren, wie einer Computertomographie und einer Skelettszintigrafie habe sich kein Verletzungsnachweis erbringen lassen. Der Radiologe Dr. K. hat die Dokumentation des CT vom 20. März und 8. Mai 2013 einer Zweitbeurteilung unterzogen und ist ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen, dass knöcherne Traumafolgen nicht zu erkennen seien und diese auch wegen der unauffälligen Skelettszintigrafie vom 21. Mai 2015 sicher ausgeschlossen werden können. Eine weitergehende bildgebende Diagnostik (MRT bzw. CT-Myelographie) hält der Gutachter weder für sinnvoll noch für indiziert. Ein Gesundheitserstschaden steht damit nicht mit dem erforderlichen Vollbeweis fest.

Das Gericht ist auch nicht gehalten, dem Antrag der Klägerin entsprechend bei Prof. Dr. I. ein weiteres Gutachten nach § 109 SGG einzuholen. Die Klägerin hat von ihrem Antragsrecht nach § 109 SGG bereits im erstinstanzlichen Verfahren Gebrauch gemacht, woraufhin das Sozialgericht das Gutachten der Orthopädin Dr. M. eingeholt hat. Das Antragsrecht nach § 109 SGG steht grundsätzlich nur einmal in den beiden Tatsacheninstanzen zur Verfügung (BSG, Beschluss vom 17. März 2010 – B 3 P 33/09 B, juris; LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 2. März 2011 – 6 SB 4878/08 und 6. Februar 2006 – L 1 U 2572/05, beide in juris). Das Gericht ist nicht verpflichtet, einem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis einer bestimmten Tatsache beliebig oft nachzukommen (BSG, Urteil vom 15. April 1991 – 5 RJ 32/90, juris). § 109 SGG ist als Ausnahmevorschrift zu der Regelung des § 103 Satz 2 SGG, wonach das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen erforscht, eng auszulegen (BSG, Beschluss vom 17. März 2010 – B 3 P 33/09 B, juris). insbesondere muss nach Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG in erster Instanz ein weiteres Gutachten in zweiter Instanz nur eingeholt werden, wenn dafür besondere Gründe vorliegen. Das kann etwa dann in Betracht kommen, wenn im Einzelfall dargetan wird, warum der neue Gutachter in dem konkreten Fall wesentliche zusätzliche Aspekte aufzeigen kann. Die Klägerin hält es offenbar im Anschluss an einen Internet – Beitrag für möglich, dass verklebte Faszien (überdeckendes Bindegewebe eines Muskels) durch den Aufprall entstanden seien, die Ursache ihrer Beschwerden seien. Selbst wenn der benannte Sachverständige über besondere Methoden zu Erkennung verklebter Faszien verfügen sollte, wofür freilich nichts ersichtlich ist, wäre eine entsprechende Diagnose nicht zwingend auf das Unfallereignis zurückzuführen. Zwar können auch Knochenbrüche verklebte Faszien nach sich ziehen, doch ist ein Knochenbruch im Streitfall ja gerade nicht erwiesen und wird von dem Sachverständigen Dr. T., dem Radiologen Dr. K. und in dem Zusammenhangsgutachten des Dr. F. ausgeschlossen. Der Sachverständige Dr. T. hat bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 12. Dezember 2018 überzeugend erläutert, dass im Bereich des Beckens nur inwändige Muskulatur betroffen sein könnte. Deren Faszien könnten nur beschädigt werden, wenn sich eine klare strukturelle knöcherne Verletzung feststellen ließe, was jedoch nicht der Fall sei. Abgesehen davon, dass die Klägerin ihren Antrag gem. § 109 SGG nach Anhörung des Sachverständigen Dr. T. nicht wiederholt hat, besteht deshalb keine Veranlassung, ein weiteres Gutachten nach § 109 SGG einzuholen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits. Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

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