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Arbeitsunfall – haftungsbegründende Kausalität Unfallfolge – Ruptur der Supraspinatussehne

SG Aurich – Az.: S 3 U 70/16 – Urteil vom 05.02.2019

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung weiterer Gesundheitsschädigungen als Folge eines von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls sowie die längere Gewährung von Kosten der Heilbehandlung sowie von Verletztengeld.

Der G. 1962 geborene Kläger erlitt im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit als Schlosser am 04.01.2016 einen von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfall, als er beim Öffnen eines Garagentores ausrutschte und auf die rechte Schulter gefallen war. Hierbei war er direkt mit der rechten Schulter auf den Boden aufgeschlagen. Die Erstversorgung erfolgte in der H. in I., wo knöcherne Verletzungen ausgeschlossen worden waren und der Verdacht auf eine Rotatorenmanschettenruptur rechts diagnostiziert wurde. Eine MRT-Untersuchung vom 12.01.2016 bestätigte eine Ruptur der Supraspinatus- und der Infraspinatussehne mit einer Retraktion um 3 cm ohne fettige Degeneration oder Muskelatrophien. Eine operative Versorgung der Sehnenrisse wurde am 18.01.2016 vorgenommen. Entnommenes Sehnenmaterial wurde histologisch untersucht. Mit Bericht vom 20.01.2016 wurden Fibrininsudate an den Rissenden der Supraspinatussehne sowie Rissbildungen an der Infraspinatussehne mit Fibrinauflagerungen mitgeteilt. In Auswertung dieser Ergebnisse teilte die H. mit Bericht vom 21.01.2016 als Diagnose eine ältere Rotatorenmanschettenruptur rechts mit.

Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 29.02.2016 das Unfallereignis vom 04.01.2016 als Arbeitsunfall an und gewährte dem Kläger einen Anspruch auf Heilbehandlung und Verletztengeld vom 04.01. bis zum 21.01.2016. Als Unfallfolge erkannte die Beklagte eine Prellung der rechten Schulter an. Nicht Unfallfolge des Ereignisses seien degenerative Veränderungen der Rotatorenmanschette.

Hiergegen hat der Kläger am 05.04.2016 Widerspruch erhoben. Der Riss der Supraspinatussehne sei nicht degenerativ bedingt. Zwar sei eine entsprechende Diagnose in dem Bericht der vom 21.01.2016 enthalten. Jedoch sei die Degeneration nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen worden. Vor dem Unfall sei er im Bereich der rechten Schulter beschwerdefrei gewesen.

Der Widerspruch hatte keinen Erfolg und wurde mit Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 12.05.2016 zurückgewiesen. Bereits das Unfallereignis sei für eine Ruptur der Supraspinatussehne ungeeignet. Zudem seien typische Begleitverletzungen einer traumatischen Verursachung nicht nachgewiesen worden. Zutreffend sei daher die Schädigung im Bericht der H. vom 21.01.2016 als unfallunabhängig gewertet worden.

Hiergegen hat der Kläger am 08.06.2016 Klage erhoben. Die Beschwerden seien erstmals nach dem Unfallereignis aufgetreten und seien damit als unfallbedingt anzusehen. Selbst bei unterstellter Schadensanlage wären diese ohne das Unfallereignis weiterhin „stumm“ verblieben.

Arbeitsunfall - haftungsbegründende Kausalität Unfallfolge - Ruptur der Supraspinatussehne
(Symbolfoto: Von BigPixel Photo/Shutterstock.com)

Der Kläger beantragt,

1. den Bescheid der Beklagten vom 29.02.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2016 abzuändern,

2. festzustellen, dass ein Riss der Supraspinatussehne sowie ein Riss der Infraspinatussehne rechts Folge des Unfallereignisses vom 04.01.2016 sind,

3. die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen der Heilbehandlung sowie Verletztengeld über den 21.02.2016 hinaus zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und nimmt zur Begründung auf die Ausführungen der angefochtenen Bescheide Bezug.

Das Gericht hat Beweis erhoben und ein Gutachten des Sachverständigen Dr. J. vom 20.07.2017 beigezogen. Der Sachverständige kommt zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass Folge des angeschuldigten Unfallereignisses eine Prellung der rechten Schulter sei. Strukturelle Schädigungen seien degenerativer Natur und dem angeschuldigten Unfallereignis nicht zuzurechnen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Feststellung weiterer Gesundheitsschädigungen als Folge des Unfallereignisses vom 04.01.2016. Er hat auch keinen Anspruch gegen die Beklagte auf eine längere Gewährung von Kosten der Heilbehandlung bzw. Verletztengeld.

Anspruchsgrundlage für die Feststellung, dass eine Gesundheitsschädigung Folge eines Arbeitsunfalls ist, ist § 55 Abs. 1 Nr. 2 SGG.

Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Feststellung, dass eine Ruptur der Supraspinatussehne und der Infraspinatussehne rechts Folge des Unfallereignisses vom 04.01.2016 sind. Der Kläger hat nicht nachgewiesen, dass diese Gesundheitsschädigungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit infolge des angeschuldigten Unfallereignisses aufgetreten sind.

Für die Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden gilt im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung die Theorie der wesentlichen Bedingung. Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus und einen zweiten, wertenden Schritt, dass das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war (BSG, U. v. 12.04.2005 – B 2 U 27/04 R -, zit. nach Juris). Während für die Grundlagen der Ursachenbeurteilung – versicherte Tätigkeit, Unfallereignis, Gesundheitsschaden – eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich ist, genügt für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden eine hinreichende Wahrscheinlichkeit. Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die für den wesentlichen Ursachenzusammenhang sprechenden Tatsachen so stark überwiegen, dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann und ernstliche Zweifel ausscheiden; die bloße Möglichkeit einer wesentlichen Verursachung genügt nicht (BSG, U. v. 07.09.2004 – B 2 U 34/03 R – m. w. N., zit. nach Juris).

Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeiten von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt die Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet war, eine bestimmte körperliche Störung hervorzurufen (vgl. BSG, U. v. 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, zit. nach Juris).

Nach diesen vorstehend dargestellten Grundsätzen hat der Kläger zwar das Vorliegen der geltend gemachten Gesundheitsschädigungen mit einem Riss der Supraspinatussehne sowie der Infraspinatussehne rechts im Vollbeweis nachgewiesen. Dieses Ergebnis ergibt sich zum einen aus der MRT-Untersuchung vom 12.01.2016 sowie aus dem Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. J. vom 20.07.2017. Diese geltend gemachten Gesundheitsschädigungen sind jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit infolge des Unfallereignisses vom 04.01.2016 aufgetreten. Dieses Ergebnis stützt das Gericht maßgeblich auf das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. J. vom 20.07.2017. Bereits das Unfallereignis war nach Darstellung des Sachverständigen nicht geeignet, die geltend gemachten Gesundheitsschädigungen zu verursachen. Krafteinleitungen direkt auf die Schulter sind nicht geeignet, einen Sehnenriss zu bewirken. Sehnenrisse treten bei einer Vorspannung der betroffenen Sehne dann ein, wenn auf diese Vorspannung zusätzlich ein weiteres Ereignis trifft. Im vorliegenden Unfallablauf fehlte es bereits an dieser vorgespannten Sehne, so dass durch das Unfallereignis selbst keine entsprechende Krafteinleitung erfolgte, die die vorgespannte Sehne zum Zerreißen bringen konnte. Zudem sprechen nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. J. weitere radiologische Befunde für eine degenerative Verursachung der Sehnenrupturen. So zeigte sich im MRT vom 12.01.2016 bereits kurz nach dem Unfallereignis eine Sehnenretraktion um 3 cm bei einem zusätzlichen Oberarmkopfhochstand. Darüber hinaus hat der Sachverständige osteophytäre Randausziehungen sowohl an der Unterfläche des Acromions als auch im Ansatzbereich der Rotatorenmanschette am Oberarmkopfhöcker mitgeteilt. Bei diesen Befunden handelt es sich insgesamt um degenerative Befunde, die innerhalb kurzer Zeitabstände, wie sie hier zwischen dem Unfallereignis und der MRT-Aufnahme gelegen haben, nicht auftreten können. Hinweise für frische traumatische Verletzungen haben sich demgegenüber nicht gezeigt. Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass im OP-Bericht keine Einblutungen benannt worden sind. Auch der histologische Bericht enthält keine Hinweise auf frische Einblutungen, wie sie mit traumatischen Verletzungen typischer Weise verbunden sind. Auch andere Hinweise für eine frische traumatische strukturelle Schädigung sind nicht gegeben. Weitere Begleitverletzungen, wie sie im Zusammenhang mit Sehnenrissen auftreten können, sind ebenfalls nicht nachgewiesen worden.

In Auswertung dieser Ergebnisse sprechen die überwiegenden Faktoren für das Vorliegen einer degenerativen strukturellen Verletzung, die dem Unfallereignis vom 04.01.2016 nicht zugerechnet werden kann. Sofern der Kläger einwendet, dass Beschwerden erst nach dem Unfallereignis aufgetreten seien, so kann er hiermit nicht durchdringen. Zum einen sind Beschwerden bereits keine Gesundheitsschädigungen im Sinne der Definition des Arbeitsunfalls, sondern sind lediglich die Folge eines solchen Gesundheitsschadens. Sie sind rechtlich entsprechend einem Gesundheitsschaden zuzuordnen.

Darüber hinaus können, nach den Darstellungen des Sachverständigen, strukturelle Schädigungen der vorliegenden Art für den Betroffenen stumm verlaufen und erst infolge eines Ereignisses aktiviert werden. Da insoweit jedoch durch das Unfallereignis selbst in diesen Fällen keine Gesundheitsschädigung im vorstehenden Sinne verursacht worden ist, sondern lediglich Beschwerden ausgelöst worden sind, können entsprechende Beschwerden auch nicht auf eine unfallbedingte Gesundheitsschädigung zurückgeführt werden, sondern müssen der unfallunabhängig bestehenden stummen Schadensanlage zugerechnet werden.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztengeld über den 21.01.2016 hinaus.

Gemäß § 45 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) besteht ein Anspruch auf Verletztengeld, wenn Versicherte

1. infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig sind oder wegen einer Maßnahme der Heilbehandlung eine ganztägige Erwerbstätigkeit nicht ausüben können und

2. unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Heilbehandlung Anspruch auf Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Unterhaltsgeld, Kurzarbeitergeld, Arbeitslosengeld, nicht nur darlehensweise gewährtes Arbeitslosengeld II oder nicht nur Leistungen für Erstausstattungen für Bekleidung bei Schwangerschaft und Geburt nach dem Zweiten Buch oder Mutterschaftsgeld hatten.

Nach dieser Definition ist für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit von anerkannten Folgen eines Versicherungsfalls (vgl. § 7 SGB VII) auszugehen. Vorliegend ist eine Prellung der rechten Schulter alleinige Folge des Unfallereignisses vom 04.01.2016, so dass sich auch das Vorliegen einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit allein aufgrund dieser Gesundheitsschädigung beurteilt. Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit insoweit bis zum 21.01.2016 angenommen werden kann, so dass die danach weiterhin bestehende Arbeitsunfähigkeit den unfallunabhängigen Gesundheitsschädigungen zugerechnet werden muss. Ein Anspruch gegen die Beklagten auf Gewährung von Verletztengeld kann sich daher allenfalls bis zum 21.01.2016 ergeben. Der Anspruch ist durch die Beklagten bereits erfüllt worden und besteht daher nicht mehr.

Gleiches gilt sinngemäß in Bezug auf zu gewährenden Kosten der Heilbehandlung.

Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte nach Maßgabe der §§ 27 bis 103 SGB VII einen Anspruch auf Maßnahmen der Heilbehandlung einschließlich der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft, auf ergänzende Leistungen, auf Leistungen bei Pflegebedürftigkeit sowie auf Geldleistungen. Voraussetzung für den Anspruch ist neben dem Vorliegen eines Versicherungsfalles und der Versicherteneigenschaft, dass der Versicherungsfall rechtlich wesentlich die Notwendigkeit einer Maßnahme der Heilbehandlung begründet (vgl. Benz in: Hauck, Sozialgesetzbuch VII, § 26 Rdn. 35).

Maßnahmen der Heilbehandlung für eine Prellung der rechten Schulter können nach den vorstehenden Ausführungen allenfalls bis zum 21.01.2016 angenommen werden, da spätestens ab diesem Zeitpunkt Heilbehandlungsmaßnahmen nicht mehr zur Behandlung einer Schulterprellung, sondern zur Behandlung der unfallunabhängig bestehenden Gesundheitsschädigungen vorgenommen worden sind. Ansprüche gegen die Beklagte ergeben sich freilich hieraus nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus dem § 183, 193 SGG.

 

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