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Arbeitsunfall – Rotatorenmanschettenruptur – Zerrung des rechten Armes

Landessozialgericht Thüringen – Az.: L 1 U 718/16 – Urteil vom 12.01.2018

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 9. Mai 2016 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob als weitere Folge eines als Arbeitsunfall anerkannten Ereignisses vom 10. Januar 2013 eine subtotale Ruptur der langen Bizepssehne rechts und eine Teilschädigung der Supraspinatussehne rechts anzuerkennen ist.

Die 1963 geborene Klägerin war am 10. Januar 2013 an einer Papiermaschine beschäftigt, als es zu einem Papierstau kam. Sie stellte die Maschine aus, öffnete den Deckel und zog das Papier aus den Rollen heraus nach unten. Dabei zerrte sie sich den rechten Arm. Einen Arzt suchte sie deshalb erst am 22. Januar 2013 auf. Dieser diagnostizierte einen Verdacht auf einen Bizepssehnenabriss rechts. Auf Veranlassung des Durchgangsarztes erfolgte am 30. Januar 2013 eine Magnetresonanztomographie (MRT) der rechten Schulter. Diagnostiziert wurden ein Einriss in der ansatznahen vorderen Supraspinatussehne und eine Signalerhebung in den subakromialen Sehnen wie bei Zustand nach Zerrung. Der Verdacht auf eine kraniale Labrumläsion wurde geäußert. In der Folgezeit kam es zu weiteren Behandlungen beim Durchgangsarzt. Dieser veranlasste eine arthroskopische Abklärung, welche im Rahmen eines stationären Aufenthaltes im SRH-Klinikum S. vom 25. bis 30. April 2013 am 25. April 2013 erfolgte. Ausweislich des Operationsberichtes vom 25. April 2013 wurden eine partielle Ruptur der Bizepssehne und eine Teilschädigung der Supraspinatussehne rechts behandelt. Ausweislich eines histologischen Befundberichtes vom 30. April 2013 wurden degenerative Veränderungen im Bereich der langen Bizepssehne festgestellt.

Arbeitsunfall - Rotatorenmanschettenruptur - Zerrung des rechten Armes
(Symbolfoto: pathdoc /Shutterstock.com)

Mit Bescheid vom 17. Dezember 2013 erkannte die Beklagte zwar das Ereignis vom 10. Januar 2013 sinngemäß als Arbeitsunfall mit der Folge einer Zerrung der rechten Schulter an. Ein Anspruch auf Leistungen wurde jedoch abgelehnt. Das ruckartige Reißen an verstopftem Papier sei nicht geeignet, Sehnenrisse zu verursachen. Zudem habe die Klägerin sich erst 12 Tage später bei einem Arzt vorgestellt. Die Zerrung des Schultergelenkes sei spätestens nach vier Wochen folgenlos ausgeheilt. Hiergegen legte die Klägerin am 13. Januar 2014 Widerspruch ein. Nach Anhörung der Klägerin beauftragte die Beklagte den Unfallchirurgen Dr. R. mit der Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens. In seinem Gutachten vom 22. September 2014 führte er aus, dass die Klägerin sich am 10. Januar 2013 eine Zerrung im Bereich des rechten Schultergelenkes zugezogen habe. Das Unfallereignis sei nicht wesentliche Ursache der Teilläsion der langen Bizepssehne sowie der Supraspinatussehne. Das Verhalten der Klägerin nach dem Ereignis mit Fortführung der Tätigkeit und dem Aufsuchen eines Arztes erst 12 Tage nach dem Ereignis entspreche nicht einer akuten Verletzung von Sehnengewebe. Das Ereignis sei auch nicht geeignet gewesen, strukturelle Schädigungen am Schultergelenk auszulösen. Bildgebend seien erhebliche degenerative Veränderungen im Bereich des rechten Schultergelenks beschrieben. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe bis 1. Februar 2013 bestanden. Daraufhin gab die Beklagte dem Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2014 insoweit statt, als unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und ein entsprechender Leistungsanspruch bis zum 1. Februar 2013 bejaht wurde. Der Unfall habe eine Zerrung der rechten Schulter zur Folge gehabt. Diese Verletzung begründe eine Leistungspflicht bis zum 1. Februar 2013.

Hiergegen hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Meiningen Klage erhoben. Mit Urteil vom 9. Mai 2016 hat das Sozialgericht Meiningen die Klage abgewiesen. Ein Arbeitsunfall sei bereits deshalb abzulehnen, weil die Klägerin eine zielgerichtete Bewegung gemacht und dabei ein Schmerzereignis eingetreten sei. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. R. sei es bei dem Unfall zudem nicht zu einer traumatischen Teilruptur der Bizepssehne gekommen. Die Klägerin habe erst 12 Tage nach dem Ereignis einen Arzt aufgesucht.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 9. Mai 2016 aufzuheben und unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 17. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 2014 als weitere Folge des Ereignisses vom 10. Januar 2013 eine subtotale Ruptur der langen Bizepssehne und Teilschädigung der Supraspinatussehne rechts anzuerkennen und die Beklagte zu verurteilen, Arbeitsunfähigkeit über den 1. Februar 2013 hinaus anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat nach Anhörung der Klägerin zum Unfallhergang im Rahmen eines Erörterungstermins am 27. Februar 2017 und Beiziehung weiterer radiologischer Befunde den Chirurgen Dr. S. mit der Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens beauftragt. Dieser verneint in seinem Gutachten vom 5. Juli 2017 eine Eignung des Ereignisses vom 10. Januar 2013 zur Verursachung einer Ruptur der langen Bizepssehne. Das Fehlen von typischen Begleitverletzungen und die nur partielle Ruptur der langen Bizepssehne würden ebenfalls gegen einen Unfallzusammenhang sprechen. Dasselbe gelte für den histologischen Untersuchungsbefund vom 30. April 2013. Dort habe der Pathologe keine Blutungen dokumentiert. Auch die vorliegende subtotale Ruptur der Supraspinatussehne sei nicht auf das Unfallereignis vom 10. Januar 2013 zurückzuführen. Der Hergang vom 10. Januar 2013 sei ungeeignet, eine Schädigung der Supraspinatussehne zu verursachen, da eine unnatürliche Anspannung dieser Sehne nicht feststellbar sei. Der erste Arztkontakt von 12 Tagen nach dem Ereignis spreche gegen einen Unfallzusammenhang. Es fehlten die bei einer Schädigung der Supraspinatussehne zu erwartenden Begleitverletzungen. Die intraoperativ dokumentierte Teilschädigung der Supraspinatussehne spreche ebenfalls gegen einen Unfallzusammenhang. Durch das Ereignis vom 10. Januar 2013 sei es allein zu einer Zerrung gekommen. Infolge der Zerrung lasse sich Arbeitsunfähig- und Behandlungsbedürftigkeit allein für den Monat Januar 2013 begründen.

Die Beteiligten haben nach Durchführung eines Erörterungstermins am 27. November 2017 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren durch den Berichterstatter (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3, 4 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG -) erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte den Rechtsstreit aufgrund des im Erörterungstermin vom 10. April 2017 erklärten Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter durch Urteil zu entscheiden (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 SGG).

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das Sozialgericht Meiningen hat die Klage zu Recht abgewiesen und einen Anspruch der Klägerin auf Feststellung weiterer Unfallfolgen aufgrund des Ereignisses vom 10. Januar 2013 und eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit über den 1. Februar 2013 hinaus verneint. Der Bescheid vom 17. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 SGG).

Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass die Beklagte mit dem Bescheid vom 17. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 2014 bereits ausdrücklich einen Arbeitsunfall mit der Folge einer Zerrung der rechten Schulter und einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit bis zum 1. Februar 2013 anerkannt hat. Aufgrund dessen hat sie ebenfalls eine Leistungspflicht dem Grunde nach bis zum 1. Februar 2013 bejaht. Die Ausführungen in dem Ausgangsbescheid vom 17. Dezember 2013 sind insoweit missverständlich, als im Verfügungssatz des Bescheides zunächst ein Anspruch auf Leistungen abgelehnt wird. In der Begründung des Bescheides wird jedoch sinngemäß hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass das Ereignis vom 10. Januar 2013 eine Zerrung der rechten Schulter verursacht hat. Dies wird auch spätestens durch den Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2014 verdeutlicht, mit dem der Widerspruch der Klägerin insoweit teilweise abgeholfen wurde, als aufgrund des Arbeitsunfalles sinngemäß eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 1. Februar 2013 anerkannt wird. Als Unfallfolge wird erneut eine Zerrung der rechten Schulter zugrunde gelegt. Insoweit sind die Ausführungen auf Seite 6 des sozialgerichtlichen Urteils rechtsfehlerhaft, soweit es dort heißt, dass ein Unfallereignis bereits deshalb ausgeschlossen ist, weil die Klägerin eine zielgerechte Bewegung gemacht habe und dabei ein Schmerzereignis eingetreten sei. Auf diese Ausführungen kam es im Rechtssinne bereits nicht an, weil die Beklagte bindend im Sinne von § 77 SGG das Vorliegen eines Arbeitsunfalles mit der Folge einer Zerrung der rechten Schulter in dem genannten Bescheid anerkannt hatte.

Nur der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass die Ausführungen des Sozialgerichts auch in der Sache nicht zutreffen. Die von der Klägerin im Rahmen des Unfallereignisses am 10. Januar 2013 ausgeübte Tätigkeit – den Ziehen am Papier mit dem Ziel der Beseitigung des Papierstaus – hat zu einer zeitlich begrenzten Einwirkung auf die Klägerin von außen geführt. Für einen von außen auf den Körper einwirkendes, zeitlich begrenztes Ereignis ist kein besonderes, ungewöhnliches Geschehen erforderlich. Dass es sich um eine gewollte Tätigkeit gehandelt hat, steht der Annahme eines Unfallereignisses nicht entgegen. Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung erstreckt sich auch auf Geschehnisse, die im Rahmen der versicherten Tätigkeit üblich sind. Die gesetzliche Unfallversicherung schützt gerade, aber auch nur diejenigen Verrichtungen, die in einem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen. Ein außergewöhnliches Geschehen wird nicht vorausgesetzt. Das Merkmal äußere Einwirkung hat nur den Zweck, äußere Vorgänge von krankhaften Vorgängen im Inneren des menschlichen Körpers abzugrenzen. Die Annahme einer äußeren Einwirkung scheidet nur aus, wenn die Einwirkung auf Umständen beruht, für die eine in körperlicher oder seelischer Hinsicht besondere Veranlagung des Betroffenen oder dessen willentlicher Entscheidung die wesentliche Ursache war. Die Unfreiwilligkeit der Einwirkung ist dem Begriff des Unfalls immanent. Davon zu unterscheiden sind jedoch die Fälle eines gewollten Handelns mit einer ungewollten Einwirkung, bei dieser liegt eine äußere Einwirkung vor (BSG, Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 27/04 R – zitiert nach Juris). Daher stand die Klägerin am 10. Januar 2013 bei der Beseitigung des Papierstaus und der damit verbundenen Kraftanstrengung unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Das Ziehen am Papier und die damit einhergehende Kraftanstrengung führte aufgrund der mit ihr verbundenen Gegenkräfte zu einer zeitlich begrenzten, äußeren Einwirkung auf bestimmte Teile des Körpers der Klägerin.

Als Folge dieses Ereignisses kann jedoch ausschließlich eine ab dem 1. Februar 2013 folgenlos ausgeheilte Zerrung der rechten Schulter festgestellt werden.

Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Feststellung weiterer Gesundheitsstörungen als Folge des Arbeitsunfalles vom 10. Januar 2013, noch einen Anspruch auf Feststellung unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit über den 1. Februar 2013 hinaus.

Richtige Klageart für die Feststellung weiterer Unfallfolgen und unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit über den 1. Februar 2013 hinaus ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG und § 55 Abs. 1, 3 SGG.

Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung gibt es unterschiedliche Beweisanforderungen. Für die äußerlich fassbaren und feststellbaren Voraussetzungen „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses“, „Unfallereignis“ und „Gesundheitsschaden“ wird eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gefordert, die vorliegt, wenn kein vernünftiger die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt (Vollbeweis). Vermutungen, Annahmen, Hypothesen und sonstige Unterstellungen reichen daher ebenso wenig aus wie eine (möglicherweise hohe) Wahrscheinlichkeit. Hinreichende Wahrscheinlichkeit wird von der ständigen Rechtsprechung für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) sowie dem Gesundheitserstschaden und der Unfallfolge im Sinne eines länger andauernden Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) für ausreichend erachtet (BSG, Urteil vom 20. März 2007 – B 2 U 27/06 R -). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände diejenigen so stark überwiegen, die für den Ursachenzusammenhang sprechen, dass darauf eine richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSG, Urteil vom 31. Januar 2012 – B 2 U 2/11 R -; BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -). Sofern die notwendigen tatbestandlichen Voraussetzungen nicht von demjenigen, der sie geltend macht, mit dem von der Rechtsprechung geforderten Grad nachgewiesen werden, hat er die Folgen der Beweislast dergestalt zu tragen, dass dann der entsprechende Anspruch entfällt.

Zur Feststellung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung infolge eines Versicherungsfalles muss zwischen dem Unfallereignis und den geltend gemachten Unfallfolgen ein Ursachenzusammenhang nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung bestehen. Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der jedes Ereignis Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Erst nachdem feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis eine naturwissenschaftliche Ursache für einen Erfolg ist, stellt sich die Frage nach einer wesentlichen Verursachung des Erfolgs durch das Ereignis. Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist zwischen Ursachen zu unterscheiden, denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, die für den Erfolg rechtlich unerheblich sind. Als kausal und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. des Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSG; Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -).

Ausgehend hiervon steht zur Überzeugung des Senates fest, dass über die mit Bescheid vom 17. Dezember 2013 festgestellte Zerrung der Schulter rechts keine weiteren Unfallfolgen aus dem Ereignis vom 10. Januar 2013 festzustellen sind. Insbesondere können weder die subtotale Ruptur der langen Bizepssehne noch die Teilschädigung der Supraspinatussehne rechts in Form ihres Zustandes nach dem operativen Eingriff vom 25. April 2013 mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Ereignis vom 10. Januar 2013 zurückgeführt werden. Es gibt erhebliche gegen einen Ursachenzusammenhang sprechende Gesichtspunkte, sodass es dem Senat nicht möglich ist, die erforderliche richterliche Überzeugung eines Zusammenhanges zu gewinnen.

Hinsichtlich der Entstehung einer Rotatorenmanschettenruptur ist zu berücksichtigen, dass sich im Bereich der Schulter das Schulterhauptgelenk und das wenig bewegliche Schultereckgelenk befinden. Das Schulterhauptgelenk wird von dem Oberarmkopf und der relativ kleinen Schulterpfanne gebildet. Um den Oberarmkopf fest in der Pfanne zu verankern, gibt es eine Vielzahl von Muskeln zwischen Schulterblatt und Oberarm. Die Summe der Muskeln, die den Oberarmkopf im Bereich der Schulterpfanne zentrieren, nennt man zusammengefasst Rotatorenmanschette. Dazu gehört unter anderem der Musculus supraspinatus. Gesichert ist, dass diese Muskeln und Sehnen erheblichen degenerativen Veränderungen unterliegen. Jenseits des 50. Lebensjahres sind degenerative Veränderungen der Rotatorenmanschette sehr häufig anzutreffen (Mehrhoff u.a., Unfallbegutachtung, 13. Auflage 2012, Seite 279/280). Derartige Sehnensschäden werden häufig zum Beispiel durch ein Engpasssyndrom verursacht. Ist eine Rotatorenmanschettenruptur hingegen traumatisch bedingt, sind nur bestimmte Verletzungsmechanismen geeignet, eine solche zu verursachen, zum Beispiel überfallartige Bewegung gegen die Zugrichtung der Sehne. Nicht geeignet sind eine direkte Krafteinwirkung auf die Schulter wie bei einem Sturz, Schlag oder Prellung oder ein Sturz auf den ausgestreckten Arm (Schönberger, Mehrtens, Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017 S. 429 ff.).

Übertragen auf den vorliegenden Fall ist der Hergang des Geschehens vom 10. Januar 2013 nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. nicht geeignet, eine Schädigung der Supraspinatussehne zu verursachen. Die Klägerin hat am 10. Januar 2013 versucht, den Papierstau der Maschine nach deren Ausstellen zu beseitigen und das Papier aus den Rollen heraus nach unten zu ziehen. Dabei ist es zu einer Zerrung im rechten Arm gekommen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. kann bei dieser Hergangsschilderung die erforderliche unnatürliche Anspannung der Supraspinatussehne nicht festgestellt werden. Biomechanisch ist die Tätigkeit der Klägerin vielmehr als eine zwar abrupte, aber planmäßige Muskelkontraktur einzustufen. Des Weiteren spricht nach den Ausführungen des Sachverständigen gegen einen Unfallzusammenhang, dass die Klägerin auch unter Einnahme von Schmerzmitteln ihre berufliche Tätigkeit direkt nach dem Ereignis vom 10. Januar 2013 als auch in den darauffolgenden Tagen fortgesetzt und erst nach 12 Tagen zunächst ihren Hausarzt und dann den Durchgangsarzt aufgesucht hat. Nach der medizinischen Literatur (vgl. Schönberger, Mehrtens, Valentin, 9. Aufl. 2017, S. 429 ff.) ist für eine traumatische Rotatorenmanschettenruptur die sofortige Arbeitsniederlegung und eine sogenannten Pseudolähmung des Armes, d.h. der verletzte Arm kann aktiv nur minimal angehoben werden, typisch. Das unfallbedingte Zerreißen einer Sehnenstruktur ist mit einer erheblichen klinischen Beeinträchtigung verbunden. Da die Klägerin erst 12 Tage später einen Arzt aufgesucht und bis dahin weiter gearbeitet hat, ist dieser klinische Erstbefund mit einer traumatischen Rotatorenmanschettenruptur nicht in Einklang zu bringen. Die erforderlichen Begleitverletzungen bei einer unfallbedingten Schädigung der Supraspinatussehne konnte der Sachverständige weder im Röntgenbild vom 22. Januar 2013 noch im Rahmen des MRT sichern. Typische Einblutungen in die Knochen, Luxationen, Frakturen oder Sprengung am Schultereckgelenk wurden hingegen nicht gesichert. Ferner ordnet der Sachverständige die intraoperativ dokumentierte Teilschädigung der Supraspinatussehne mit Auffaserung und den eingeengten Gleitraum für die Schultersehnen als gravierenden Aspekt ein, der gegen einen Unfallzusammenhang spricht.

Auch hinsichtlich der subtotalen Ruptur der langen Bizepssehne ist ein Unfallzusammenhang nicht wahrscheinlich zu machen.

Hinsichtlich der Entstehung einer Bizepssehnenruptur ist zu berücksichtigen, dass die knöcherne Verankerung der langen Bizepssehne am Schulterblatt und zwar am oberen Rand der Schulterpfanne liegt. Die lange Bizepssehne zieht ganz frei durch das Schultergelenk und verläuft in einer knöchernen Rinne. Dabei verläuft die Sehne wie das Seil über eine Winde in der Gleitrinne des Oberarmkopfes (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 424 ff.). In dieser Rinne kommt es durch mechanische Beanspruchungen häufig zu degenerativen Veränderungen, die zu einem Durchscheuern der Sehne führen können. Die Sehne wird an ihrer Umlenkstelle mit Zugkräften, Druck, Reibung und Scherkräften belastet. Folge einer solchen mechanischen Dauerbelastung sind Sehnenveränderungen, wodurch die Zugfestigkeit der Sehne abnimmt. Ist eine Ruptur der langen Bizepssehne traumatisch bedingt, sind nur bestimmte Verletzungsmechanismen geeignet, eine solche zu verursachen. Nicht geeignet ist das Anheben einer auch schweren Last ohne zusätzliche Einwirkungen, gewöhnliche Verrichtungen harter Arbeit oder willentliche Armbelastungen (Schönberger/Mehrtens, Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 426 ff.). Ein geeigneter Hergang liegt vor, wenn eine Kraft überfallartig auf die muskuläre gespannte Struktur trifft und diese in erheblichem Umfang beansprucht.

Übertragen auf den vorliegenden Fall folgt daraus, dass der Hergang des Ereignisses vom 10. Januar 2013 nicht geeignet ist, eine Bizepssehnenruptur zu verursachen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. in seinem Gutachten vom 5. Juli 2017 ist nach der Hergangsschilderung durch die Klägerin zwar eine sehr kraftvolle aktive Bewegung, insbesondere der Bizepsmuskulatur festzustellen, nicht jedoch das erforderliche passive Einwirken auf die vorgespannte Bizepsmuskulatur. Eine aktive, willentlich gesteuerte Bewegung und Belastung eines Muskels ist nicht geeignet, die zugehörige Sehne, hier die Bizepssehne, zum Zerreißen zu bringen. Die für die Annahme einer traumatischen Bizepssehnenruptur erforderlichen Begleitverletzungen ließen sich ebenfalls nicht sichern. Des Weiteren hat der Sachverständige Dr. S. die hier vorliegende subtotale Ruptur der langen Bizepssehne als ebenfalls gegen einen Unfallzusammenhang sprechenden Gesichtspunkt bewertet. Eine inkomplette Ruptur ist als Ausdruck eines degenerativen Prozesses anzusehen. Dies ist nachvollziehbar, da die Zugkraft der langen Bizepssehne direkt auf die gesamte Sehne und nicht lediglich auf einige Sehnenteile wirkt. Daher wäre ein kompletter Abriss der Sehne an der knöchernen Verankerungsstelle unfallbedingt zu erwarten. Aus dem Operationsbericht ergibt sich hingegen das Vorliegen einer subtotalen Ruptur der Bizepssehne mit Auffaserungen. Im Rahmen der Histologie wurde zudem ein Sehnenteil aus der langen Bizepssehne untersucht. Pathologisch wurden keine Blutungen beschrieben. Dokumentiert wurde eine negative Eisenreaktion, d.h. nach den Ausführungen von Dr. S. fanden sich keine Blutungsreste. Der Pathologe hat hingegen degenerative Veränderungen beschrieben.

Daher kann sowohl im Hinblick auf die Teilschädigung der Supraspinatussehne, als auch der subtotalen Ruptur der langen Bizepssehne nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass diese durch das Unfallereignis vom 10. Januar 2013 entstanden sind.

Daher verbleibt es bei der mit Bescheid der Beklagten vom 17. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 2014 festgestellten Unfallfolge einer folgenlos ausgeheilten Zerrung der rechten Schulter. Diese rechtfertigt keine Feststellung einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit über den 1. Februar 2013 hinaus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegen nicht vor.

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