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Arbeitsunfall – SL-Bandruptur – Vorschaden

Operationsbericht – Beweiswert

Landessozialgericht Thüringen – Az.: L 1 U 326/18 – Urteil vom 04.06.2020

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 23. Januar 2018 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Im Streit steht die Feststellung weiterer Folgen eines Arbeitsunfalls vom 24. Juli 2013.

Der 1967 geborene und bei der Beklagten als Bauhofmitarbeiter versicherte Kläger verletzte sich an diesem Tag beim Herausdrehen der Reste eines Wasserhahnes das rechte Handgelenk. Der am 25. Juli 2013 aufgesuchte Durchgangsarzt diagnostizierte eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenkes und einen Gelenkerguss im Radiocarpalgelenk. Wegen anhaltender Beschwerden erfolgte am 17. Oktober 2013 eine kernspin- und computertomographische Untersuchung des rechten Handgelenkes. Es fanden sich Hinweise auf eine Ruptur des skapholunären Bandapparates. In der Zeit vom 28. bis 30. November 2013 schloss sich eine stationäre Behandlung des Klägers in der Klinik für Handchirurgie Bad N. an. Ausweislich des Operationsberichtes vom 28. November 2013 erfolgte eine Naht des skapholunären Bandes (im Folgenden: SL-Band) mit verstärkter Kapsulodese und einer Transfixierung mit Kirschnerdrähten. Das SL-Band wurde als komplett gerissen beschrieben. Der Hauptteil des Bandes sei am Ansatz zum Kahnbein abgeschert. Ein gut nahtfähiger Bandrest habe vorgelegen. Beigezogen wurden von der Beklagten Unterlagen über eine Behandlung des rechten Zeigefingers im April 2012.

Der Beratungsarzt der Beklagten Dr. L. verneinte in einer Stellungnahme vom 21. Januar 2014 einen Zusammenhang zwischen der SL-Bandruptur und dem Unfallereignis. Dies habe nur zu einer harmlosen Zerrung des rechten Handgelenkes geführt.

Die Beklagte erkannte durch Bescheid vom 12. Februar 2014 einen Arbeitsunfall an. Als Unfallfolgen stellte sie eine Zerrung des rechten Handgelenks fest. Diese sei folgenlos ausgeheilt, unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe bis zum 26. Juli 2013 bestanden. Ein Anspruch auf Verletztengeld über diesen Tag hinaus bestehe nicht. Unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit habe bis zum 26. Juli 2013 bestanden. Ein Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung über diesen Tag hinaus bestehe im Übrigen nicht. Keine Folge des Arbeitsunfalls sei die SL-Bandruptur rechts.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte eine fachradiologische Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr. H. vom 7. September 2014 ein. Bildtechnisch sei eine Rissbildung des Bandes zwischen Kahn- und Mondbein nachweisbar. Inwieweit dies unfallbedingt sei, könne bildtechnisch nicht mit letzter Sicherheit entschieden werden. Darauf gestützt verneinte der Beratungsarzt Dr. L. in einer Stellungnahme vom 5. November 2014 erneut einen Unfallzusammenhang. Der Widerspruch des Klägers wurde durch Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2014 zurückgewiesen. Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben.

Arbeitsunfall - SL-Bandruptur - Vorschaden
(Symbolfoto: Arbeitsunfall – SL-Bandruptur – Vorschaden/Shutterstock.com)

Das Sozialgericht hat Prof. Dr. T. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser hat zur Kausalität des Unfallereignisses mit der SL-Bandruptur festgestellt (Sachverständigengutachten vom 12. September 2016), dass ein fehlender Vorschaden im Bereich des rechten Handgelenkes und die Hergangsschilderung für einen Unfallzusammenhang sprächen. Die bildgebenden Befunde hingegen seien nicht typisch für eine frische Verletzung der unzweifelhaft erkennbaren SL-Bandruptur. Nach dem Operationsbericht sei ein Unfallzusammenhang grundsätzlich möglich. Nach dem Unfallereignis seien durchgehend Beschwerden dokumentiert. Der ursächliche Zusammenhang mit der SL-Bandruptur sei daher nicht sicher, aber zumindest überwiegend wahrscheinlich. Dem widersprach der Beratungsarzt der Beklagten Dr. L. in einer Stellungnahme vom 9. November 2016. Der Sachverständige bejahe im Ergebnis nur die Möglichkeit eines Zusammenhanges.

Durch Urteil vom 23. Januar 2018 hat das Sozialgericht unter Abänderung des Bescheides vom 12. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2014 die SL-Bandruptur rechts, die Abscherung eines osteochondralen Fragments am rechten Kahnbein, die zystische Läsion des Os Scaphoideum und eine randständige Sklerosierung als weitere Folgen des Arbeitsunfalles vom 24. Juli 2013 festgestellt. Ein Ursachenzusammenhang sei hinreichend wahrscheinlich. Insoweit sei auf das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. T. zurückzugreifen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Die Möglichkeit eines Zusammenhanges zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden reiche gerade nicht aus.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 23. Januar 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er erachte das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Der Senat hat den Handchirurgen Dr. St. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser gelangte in seinem Sachverständigengutachten vom 11. Dezember 2018 zu der Einschätzung, dass die Ruptur des SL-Bandes am rechten Handgelenk mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Folge des Arbeitsunfalles vom 24. Juli 2013 sei. Da eine genaue Rekonstruktion des Unfallherganges hinsichtlich der exakt einwirkenden Kräfte nicht möglich sei, könne dieser Aspekt weder negativ noch positiv gewertet werden. Der einen Tag später beim Durchgangsarzt dokumentierte Befund sei mit einer SL-Ruptur vereinbar. Die bildgebenden Befunde aus dem Oktober 2013 belegten eine Ruptur des SL-Bandes. Ein Unfall im Juli 2013 könne damit nicht bewiesen werden. Jedoch könne mangels arthrotischer Veränderungen ein deutlich älterer Riss ausgeschlossen werden. Der Operationsbericht belege einen gut nahtfähigen Bandrest und damit ein noch nicht lange zurückliegendes Unfallereignis.

Unter Bezugnahme auf eine beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. H. vom 17. März 2019 hat die Beklagte die Einschätzung des Sachverständigen beanstandet. Ein Vergleich der bildgebenden Aufnahmen vom 23. April 2012 und 25. Juli 2013 belege hinsichtlich bestimmter Abstände im Handgelenk eine identische Situation. Daraus zieht der Beratungsarzt Dr. L. in einer weiteren Stellungnahme vom 25. März 2019 den Schluss, dass der Abstand zwischen Kahn- und Mondbein, der eine traumatische Schädigung im Juli 2013 belegen solle, bereits im April 2012 gesichert vorgelegen habe. Hierauf hat Dr. St. mit seiner ergänzenden Stellungnahme vom 27. April 2019 erwidert, dass der Kernspintomographieuntersuchungsbefund (im Folgenden: MRT-Befund) aufgrund der langen zeitlichen Diskrepanz keineswegs der entscheidende Befund sei. Nach dem Operationsbericht seien die Bandreste für eine Naht auch tatsächlich ausreichend gewesen. Der Beratungsarzt der Beklagten Dr. L. beanstandet in einer weiteren Stellungnahme vom 29. Mai 2019 erneut, dass der Sachverständige keine Ausführungen dazu mache, dass bereits im April 2012 der Abstand zwischen Kahn- und Mondbein identisch mit demjenigen im Juli 2013 gewesen sei. Darauf hat Dr. St. in einer ergänzenden Stellungnahme vom 27. Oktober 2019 erwidert, dass die Aufnahme vom 23. April 2012 unter völlig anderen Bedingungen im Zusammenhang mit der Behandlung eines Fingerendgliedtumors angefertigt worden sei, als die Aufnahmen nach dem Unfallereignis im Juli 2013. Anschließend hat der Senat den Radiologen Prof. Dr. B. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser führt in seinem Gutachten vom 13. Februar 2020 aus, dass das Skaphoid in der Aufnahme vom 23. April 2012 eine normale Lagerung und Größe aufweise. Die Unfallaufnahme vom 25. Juli 2013 belege hingegen eine Verkürzung des Skaphoids. Die bildgebenden Befunde aus dem Jahre 2013 belegten eine Komplettruptur des SL-Bandes. Sie seien mit einem Trauma am 24. Juli 2013 sehr gut vereinbar. Das MRT vom 17. Oktober 2013 belege ein Knochenmarködem. Hinweise auf eine vorbestehende ältere Schädigung fänden sich nicht. Dem hat Dr. L. in einer weiteren Stellungnahme vom 1. März 2020 widersprochen. Nach wie vor seien erforderliche Begleitverletzungen nicht gesichert. Der radiologische Sachverständige lege dar, dass nur Anteile des SL-Bandes noch nachweisbar seien, während nach dem OP-Bericht vom 28. November 2013 ein gut nahtfähiger Bandrest befundet werde. Da Operationsberichte im Gegensatz zu bildgebenden Befunden nicht nachbefundet werden könnten, sei ihr Beweiswert eingeschränkt.

Der Kläger ist der Einschätzung der Sachverständigen Dr. St. und Prof. Dr. B. bezüglich der Unfallkausalität beigetreten.

Die Beklagte ist weiterhin der Auffassung, dass die SL-Bandruptur nicht mit dem Unfallereignis im Zusammenhang stehe.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte und der Gerichtsakte, welche Gegenstand der geheimen Beratung waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe

Im Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die nach §§ 143, 144 SGG zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht den Bescheid vom 12. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2014 abgeändert und die SL-Bandruptur rechts, die Abscherung eines osteochondralen Fragments am rechten Kahnbein, die zystische Läsion des Os Scaphoideum und eine randständige Sklerosierung als weitere Folgen des Arbeitsunfalles vom 24. Juli 2013 festgestellt. Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung dieser Unfallfolgen.

Richtige Klageart für die Feststellung weiterer Unfallfolgen ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG und § 55 Abs. 1, 3 SGG.

Rechtsgrundlage für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist § 8 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII). Danach sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Für einen Arbeitsunfall ist es danach erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang). Diese Verrichtung muss zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheits(erst)schaden verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen auf Grund des Gesundheits(erst)schadens (haftungsaus-füllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls, sondern insbesondere für die Gewährung einer Verletztenrente (vgl. Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 30. Juni 2009 – B 2 U 22/08 R, zitiert nach Juris).

Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung gibt es unterschiedliche Beweisanforderungen. Für die äußerlich fassbaren und feststellbaren Voraussetzungen „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses“, „Unfallereignis“ und „Gesundheitserstschaden“ wird eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gefordert, die vorliegt, wenn kein vernünftiger die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt (Vollbeweis). Vermutungen, Annahmen, Hypothesen und sonstige Unterstellungen reichen daher ebenso wenig aus wie eine (möglicherweise hohe) Wahrscheinlichkeit. Hinreichende Wahrscheinlichkeit wird von der ständigen Rechtsprechung für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) sowie dem Gesundheitserstschaden und der Unfallfolge im Sinne eines länger andauernden Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) für ausreichend erachtet (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 2007 – B 2 U 27/06 R, zitiert nach Juris). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände diejenigen so stark überwiegen, die für den Ursachenzusammenhang sprechen, dass darauf eine richterliche Überzeugung gegründet werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R, zitiert nach Juris). Sofern die notwendigen tatbestandlichen Voraussetzungen nicht von demjenigen, der sie geltend macht, mit dem von der Rechtsprechung geforderten Grad nachgewiesen werden, hat er die Folgen der Beweislast dergestalt zu tragen, dass dann der entsprechende Anspruch entfällt.

Zur Feststellung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung infolge eines Versicherungsfalles muss zwischen dem Unfallereignis und den geltend gemachten Unfallfolgen ein Ursachenzusammenhang nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung bestehen. Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der jedes Ereignis Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Erst nachdem feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis eine naturwissenschaftliche Ursache für einen Erfolg ist, stellt sich die Frage nach einer wesentlichen Verursachung des Erfolgs durch das Ereignis. Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist zwischen Ursachen zu unterscheiden, denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, die für den Erfolg rechtlich unerheblich sind. Als kausal und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. des Gesundheitsschadens abgeleitet werden (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R, zitiert nach Juris).

Ausgehend hiervon steht zur Überzeugung des Senats fest, dass das Ereignis vom 24. Juli 2013 wesentlich für die SL-Bandruptur am rechten Handgelenk war. Für einen Kausalzusammenhang – für den, wie ausgeführt, ein Vollbeweis nicht erforderlich und eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend ist – zwischen dem Unfallereignis und der erfolgten SL-Ruptur sprechen die bildgebenden Befunde, die klinische Vorgeschichte sowie der intraoperative Befund in einer Gesamtschau. Der Unfallhergang steht der Annahme eines Kausalzusammenhanges nicht entgegen.

Ob die bei dem Unfallhergang auf die Bandstrukturen im rechten Handgelenk einwirkenden Kräfte geeignet waren, eine SL-Bandruptur zu verursachen, kann letztlich nicht geklärt werden. Entsprechend den sachverständigen Ausführungen des Dr. St. kann ein SL-Band nicht nur bei einem Sturz auf das gestreckte oder gebeugte Handgelenk reißen, sondern auch, wenn eine starke Kraftanspannung die Bänder des Handgelenks anspannt. Inwieweit beim Zudrücken der Rohrzange und dem anschließenden Anschlagen an die Wand eine solche starke passive Reaktion anzunehmen ist, kann heute nicht mehr geklärt werden. Jedenfalls ist der geschilderte Hergang nicht völlig ungeeignet, eine SL-Bandruptur zu verursachen. Der Senat weist ausdrücklich darauf hin, dass die Anforderungen an die Sicherung eines Unfallherganges nicht überspannt werden dürfen. Verständlicherweise kann von niemandem erwartet werden, sich an alle Einzelheiten, sozusagen in Zeitlupe, zu erinnern. Es ist für die weitere Prüfung, ob ein hinreichender Ursachenzusammenhang besteht, davon auszugehen, dass nicht bereits aufgrund des angenommenen Unfallhergangs eine traumatische SL-Bandruptur am 24. Juli 2013 ersichtlich ausgeschlossen ist. Die Prüfung ist vielmehr fortzusetzen mit der Folge, dass eine hinreichende Wahrscheinlichkeit nur dann verneint werden kann, wenn sich aus den weiteren Prüfungsgesichtspunkten keine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Unfallzusammenhangs herleiten lässt.

Gegen einen Ursachenzusammenhang spricht nicht die klinische Vorgeschichte. Die Annahme des Beratungsarztes Dr. L. insbesondere in seiner Stellungnahme vom 29. Mai 2019, wonach ein entsprechender Vorschaden des SL-Bandes im Falle des Klägers durch den Röntgenbefund vom 23. April 2012 nachgewiesen sei, hat sich nach Überzeugung des Senats nicht bestätigen lassen. Dr. L. geht von einer vorbestehenden Bandverletzung aus, da der Abstand zwischen Kahn- und Mondbein bereits am 23. April 2012 denselben Umfang hatte, wie im Röntgenbefund vom 25. Juli 2013, dem Tag nach dem Unfallereignis. Hierzu hat der vom Senat mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragte Radiologe Prof. Dr. B. in seinem Gutachten vom 13. Februar 2020 ausgeführt, dass das Skaphoid in der Aufnahme vom 23. April 2012 eine normale Lagerung und Größe aufweist, während die Aufnahme vom 25. Juli 2013 eine Verkürzung des Skaphoids belegt. Eine Gefügestörung zwischen Kahn- und Mondbein ist erst 2013 nachzuweisen. Im Einklang mit der ergänzenden Stellungnahme von Dr. St. vom 27. Oktober 2019 legt auch der Radiologe Prof. Dr. B. in seinem Gutachten eingehend dar, dass die Durchleuchtungsaufnahme vom 23. April 2012 und die unter Standardbedingungen angefertigte Röntgenaufnahme vom 25. Juli 2013 aufgrund der völlig anderen Aufnahmebedingungen nur sehr eingeschränkt miteinander verglichen werden können. Prof. Dr. B. legt nachvollziehbar dar, dass aufgrund der unterschiedlichen Einstellungen ein objektiver Vergleich der Aufnahmen ausscheidet. Dass die Durchleuchtungsaufnahme vom 23. April 2012 den Zustand des rechten Handgelenkes nur in mäßiger Qualität anzeigt, kann in diesem Zusammenhang nicht zu Lasten des Klägers gehen. Denn ein entsprechender Vorschaden müsste mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Kann eine weitere Ursache dagegen nicht sicher festgestellt werden, stellt sich schon nicht die Frage, ob diese im konkreten Einzelfall auch nur als Ursache in Betracht zu ziehen ist. Bezüglich einer Schadensanlage/eines Vorschadens gilt insoweit nichts anderes als bezüglich anderer Merkmale, wie versicherte Tätigkeit oder Gesundheitserstschaden, die ebenfalls im Wege des Vollbeweises, also mit der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Der einzige Unterschied besteht nur darin, dass die Beklagte für den Fall, dass sie sich auf das Vorliegen einer Schadensanlage/eines Vorschadens beruft, die Beweislast hierfür trägt (vgl. Senatsurteil vom 30. November 2017 – L 1 U 346/16, zitiert nach Juris). Der Nachweis des Vorliegens einer SL-Bandruptur im Jahre 2012 lässt sich jedoch nicht führen. Die Beweislast geht auf dieser Stufe zulasten der Beklagten.

Wesentlich für einen Ursachenzusammenhang sprechen die bildgebenden Befunde und der intraoperative Befund. Prof. Dr. B. und Dr. St. haben in ihren jeweiligen Gutachten eingehend herausgearbeitet, dass die bildgebenden Befunde aus dem Jahre 2013 eine traumatisch bedingte SL-Bandruptur belegen, die mit einem Trauma am 24. Juli 2013 vereinbar ist. Nach dem Gutachten von Prof. Dr. B. vom 13. Februar 2020 begründet bereits die Röntgenaufnahme vom 25. Juli 2013 den hochgradigen Verdacht auf eine Ruptur des Bandes zwischen Mond- und Kahnbein. Dieser Verdacht wird durch den CT-Befund vom 17. Oktober 2013 im Sinne eines direkten Nachweises einer kompletten SL-Bandruptur bestätigt. Der MRT-Befund vom gleichen Tage liefert dann deutliche Hinweise für eine traumatische Bandruptur. Es gelingt der Nachweis eines Knochenmarködems, einer diffusen Kapselschwellung und einer Schwellung der Weichteile unter der Haut. Dies werten sowohl Prof. Dr. B. als auch Dr. St. als vereinbar mit einer in Abheilung begriffenen, ca. 3 Monate alten Ruptur. Soweit der Beratungsarzt Dr. L. in seiner Stellungnahme vom 29. Mai 2019 beanstandet, dass die Ödeme nicht, wie für eine traumatische Bandruptur erforderlich, im Ansatzbereich des Bandes am Mondbein und am Handkahnbein und in dessen Verlauf gesichert worden seien, hat Prof. Dr. B. überzeugend in seinem Gutachten vom 13. Februar 2020 dargelegt, dass dieser geforderte Befund vorliegt. Unter Bezugnahme auf den Operationsbericht vom 28. November 2013, wonach der Hauptteil des Bandes vom Ansatz am Skaphoid abgeschert ist, hat er dargelegt, dass das Ödem danach an der Bandrissstelle und in deren Verlauf oder am knöchernen Ansatz des Skaphoids sichtbar sein müsste. Dies ist insofern gegeben, als der Verlauf des (gerissenen) Bandes zwischen Mond- und Kahnbein ödematös verändert ist. Das Fehlen eines Ödems am knöchernen Ansatz des Skaphoids hat er hingegen bestätigt. Insoweit hat Prof. Dr. B. jedoch dargelegt, dass ein solcher Befund bei einer SL-Bandruptur nicht regelmäßig zu erwarten ist. Soweit der Beratungsarzt Dr. L. in seiner Stellungnahme vom 1. März 2020 insoweit beanstandet, dass Prof. Dr. B. erst ein Ödem am Skaphoid fordert, um es dann für nicht erforderlich zu halten, blendet Dr. L. aus, dass der radiologische Sachverständige ein Ödem im Verlauf des Bandes für ausreichend hält, um eine traumatische Genese anzunehmen. Seine weitere Kritik, dass der MRT-Befund auch nach Auffassung des radiologischen Sachverständigen aufgrund einer mäßigen Bildqualität und einer inadäquaten Dicke der Schichten in seiner Aussagekraft limitiert sei, berücksichtigt nicht, dass der Sachverständige im Rahmen seiner Beurteilung an verschiedenen Stellen (hinsichtlich der Schichtdicke zum Beispiel auf Seite 13 oben) auf die Konsequenzen dieser Defizite des MRT-Befundes für seine Beurteilung hingewiesen hat. Seine Auswertung stützt sich nur auf die angesichts der Qualität des MRT möglichen Aussagen. Entscheidend für eine SL-Bandruptur anknüpfend an ein Ereignis vom 24. Juli 2013 spricht auch die fehlende Sicherung von typischen Folgeschäden einer älteren Ruptur im Jahre 2013. Nach der Beurteilung von Prof. Dr. B. fanden sich in den bildgebenden Befunden aus dem Jahre 2013 weder Zeichen einer Verlagerung des Os Capitatum (Kopfbeins) nach proximal in die Lücke zwischen Kahn- und Mondbein, noch einer Arthrose, als bekannte Folgestörungen einer skapholunären Dissoziation nach SL-Bandruptur. Zwar fanden sich im MRT-Befund vom 17. Oktober 2013 Zeichen einer deutlichen Gefügestörung, jedoch noch keine Folgeschäden dieser Gefügestörung. Daher rechtfertigt die Gesamtschau aller bildgebenden Befunde das Vorliegen einer SL-Bandruptur im Zusammenhang mit dem Ereignis vom 24. Juli 2013.

Hinzu kommt, dass der Operationsbericht vom 28. November 2013 mit einer traumatischen SL- Bandruptur im Juli 2013 in vollem Umfang vereinbar ist. Nach der Darstellung des Sachverständigen Dr. St. mit Sachverständigengutachten vom 11. Dezember 2018 sind nach der operativen Erfahrung bei einem lange zurückliegendem Unfall bei direkter operativer Exploration so gut wie keine Bandreste mehr nachweisbar, weil diese nach einer Ruptur schrumpfen und im Laufe von Jahren sich nahezu völlig zurückziehen. Vorliegend stellt jedoch der Operationsbericht am Kahnbein eine intakte Gelenkfläche dar und berichtet über reichlich Bandreste am Ansatz des Kahnbeins. An dieser Stelle ist laut OP-Bericht der Hauptteil des Bandes vom Ansatz am Kahnbein abgeschert. Dieser Befund mit einem Nachweis reichlich vorhandener Bandreste und fehlenden Schäden am Knorpel des Kahnbeins spricht wesentlich für einen Unfallzusammenhang. Das tatsächliche Vorhandensein von ausreichend und damit nahtfähigen Bandstümpfen ist dem OP-Bericht vom 28. November 2013 zu entnehmen, der – worauf Dr. St. zutreffend hinweist – die tatsächliche Zusammenführung der Bandreste beschreibt. Deswegen ist die vom Beratungsarzt angeführte Diskussion, ob überhaupt nahtfähige Bandstümpfe vorhanden waren, nicht weiterführend. Ausweislich der erfolgten OP waren tatsächlich Bandreste vorhanden, die genäht wurden. Diese wurden mit entsprechenden chirurgischen Instrumenten gefasst und zur Rekonstruktion des Bandsystems verwandt. Dass die Naht – was auch Dr. St. einräumt – nicht erfolgreich war, ist bei der Kausalitätsbeurteilung ohne Relevanz. Zwar führt Prof. Dr. B. in seinem Gutachten aus, dass der dorsale Anteil des Bandes im MRT-Befund vom 17. Oktober 2013 nicht mehr nachweisbar gewesen sei. Er schließt jedoch deren Vorhandensein deshalb nicht aus, weil geschwollene Bandanteile im Bereich zwischen Kahn- und Mondbein vermutet werden. Soweit Dr. L. in seiner Stellungnahme 1. März 2020 dem Operationsbericht jeden Beweiswert mangels späterer Nachprüfbarkeit abspricht, ist die Frage, welcher Beweiswert einem Operationsbericht zukommt, eine vom Senat nach juristischen Kriterien – gegebenenfalls unter Heranziehung ärztlichen Sachverstands – zu entscheidende Frage. Es gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Zum anderen herrscht nach der Darstellung des Sachverständigen Dr. St. und unter Vorlage entsprechender wissenschaftlicher Fachbeiträge in der Handchirurgie Konsens, dass die arthroskopische oder die intraoperative Betrachtung die wesentlich sensitivere Untersuchung gegenüber einem indirekten Befund einer kernspintomographischen Untersuchung darstellt (ergänzende Stellungnahme vom 6. April 2018), weil nur bei diesen Methoden die knöchernen und bänderlichen Verletzungen überhaupt ersichtlich sind. Ein Operationsbericht ist zudem durchaus auch von anderen Ärzten nachprüfbar. Dies mag eingeschränkt sein, weil die anderen Ärzte nicht bei der Operation anwesend waren. Ein solcher Bericht kann jedoch auf Stimmigkeit, Vereinbarkeit mit anderen Befunden und das Vorliegen einer ordnungsmäßigen Dokumentation überprüft werden. Dies hat der Sachverständige Dr. St. in seinem Gutachten getan. Sofern die unterschiedlichen Beweismittel zu abweichenden Ergebnissen führen, hat der Senat nach juristischen Kriterien eine Beweiswürdigung vorzunehmen. Vorliegend hat der Senat an der Aussagekraft des Operationsberichtes vom 28. November 2013 keine Zweifel. Er steht mit den bildgebenden Befunden weitgehend im Einklang. Auch Dr. L. benennt außer der Behauptung, dass keine nahtfähigen Bandreste vorhanden gewesen seien, keine sachlichen Anknüpfungspunkte für seine Unrichtigkeit in wesentlichen Punkten. Dr. St. hat hingegen überzeugend dargelegt, dass nach handchirurgischer Erfahrung Schädigungen des SL-Bandes, die nicht innerhalb von 2-3 Wochen nach dem Unfall operativ behandelt werden, ein hohes Risiko für eine Nichtwiederherstellung der Situation vor dem Unfall aufweisen. Entscheidend ist, dass, anders als vorliegend – und das stellt auch der Beratungsarzt der Beklagten nicht in Abrede -, bei einer länger zurückliegenden Schädigung am SL-Band so gut wie keine, ganz sicher aber keine nahtfähigen Bandreste zu erwarten gewesen wären. Denn bei einem lange zurückliegenden Bandschaden oder bei einem Bandschaden aufgrund degenerativer Genese existieren so gut wie keinerlei Bandstrukturen mehr. Eine Naht des Bandes ist dann nicht mehr möglich, weil entweder keine Bandreste mehr vorliegen oder zerfaserte Bandreste nicht mehr nahtfähig sind. Vorliegend kommt hinzu, dass keine Knorpelschäden interoperativ beschrieben wurden, was eine chronische Insuffizienz des SL-Bandes ausschließt. Solche Knorpelschäden wären aber bei einer länger zurückliegenden Bandruptur zu erwarten gewesen.

Der klinische Erstbefund spricht ebenfalls für einen Unfallzusammenhang. Der Durchgangsarzt hat bereits am 25. Juli 2013 eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenkes und einen Gelenkerguss im Radiocarpalgelenk diagnostiziert.

In der Gesamtwürdigung aller Umstände gelangt der Senat daher zu dem Ergebnis, dass wesentlich mehr Anhaltspunkte für eine traumatisch bedingte SL-Bandruptur rechts im Fall des Klägers durch das Ereignis vom 24. Juli 2013 sprechen als dagegen. Daher hat das Sozialgericht zu Recht der Klage stattgegeben.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

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