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Arbeitsunfall – Voraussetzungen der Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)

Landessozialgericht Hamburg – Az.: L 2 U 62/13 – Urteil vom 18.04.2018

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als Unfallfolge und Gewährung einer höheren Rente wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).

Der am … 1952 geborene Kläger, der zum Unfallzeitpunkt im Sicherheitsdienst tätig war, erlitt am 29. Oktober 2007 einen Verkehrsunfall auf dem Heimweg von der Arbeit. Im Durchgangsarztbericht vom 31. Oktober 2007 wird angegeben, dass der Kläger als Motorradfahrer von einem Taxi erfasst worden und gestürzt sei. Es habe keine Bewusstlosigkeit vorgelegen. Erstdiagnose sei eine distale offene Unterschenkelfraktur links mit Pilon-tibiale-Fraktur. Die Fraktur wurde im U. zunächst operativ versorgt und der Kläger anschließend in das M. Klinikum S2 verlegt, wo er sich vom 7. Dezember 2007 bis zum 28. Februar 2008 befand.

Arbeitsunfall - Voraussetzungen der Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)
(Symbolfoto: Ground Picture/Shutterstock.com)

Laut Vermerk der Beklagten fand am 11. Dezember 2007 ein Gespräch mit dem Kläger statt. Der Kläger habe den Unfallhergang so geschildert, dass er bei auf grün springender Ampel mit dem Motorrad im 1. Gang eine Kreuzung überquert habe und plötzlich ein Taxifahrer ohne Licht vom Standstreifen aus auf der Straße vor ihm gewendet habe, ohne ihn heranfahren zu sehen. Beim Ausweichversuch sei er mit dem Motorrad ins Rutschen gekommen und gegen das Taxi geschleudert. Hierbei sei er mit dem Kopf an die Taxiseite geprallt und mit dem linken Bein am Auspuff des Taxis hängen geblieben.

Am 15. Januar 2008 teilte der Oberarzt des M. Klinikum S2 der Beklagten mit, dass nach seiner Einschätzung der Kläger bisher keine große Eigenmotivation zeige, in seinem aktuellen Zustand eine Besserung herbeizuführen, und ausschließlich den Rollstuhl nutze. Weiter berichtete der Oberarzt, dass der Kläger sich gegenüber dem Krankenhauspersonal äußerst unangenehm, zeitweise auch aggressiv verhalte und schwierig zu managen sei. Dies könne einerseits in der Persönlichkeit des Klägers begründet sein. Andererseits werde der Kläger derzeit psychologisch mitbetreut, da er unter Alpträumen leide. Dabei würde der Kläger immer wieder das Unfallereignis vor Augen haben.

In einem Verlaufsbericht des M. Klinikum S2 vom 28. Januar 2008 wird ausgeführt, dass der Kläger dem Psychotherapeuten vorgestellt worden sei. Hier seien leichte depressive Verstimmungen sowie zunehmende Einsamkeitsgefühle bei langwierigem Krankenhausaufenthalt und mangelnden sozialen Kontakten festgestellt worden. Diagnostisch sei von einer verschiedene affektive Qualitäten betreffenden Anpassungsreaktion auf den Unfall und die anhaltenden Belastungen und Angstträume auszugehen. Das Risiko der Ausbildung einer posttraumatischen Belastungsstörung erscheine eher gering.

Im Entlassungsbericht vom 7. März 2008 gab das M. Klinikum S2 u. a. auch die Diagnose einer Anpassungsreaktion auf den Unfall und Angstträume an. Ergänzend zum Verlaufsbericht wurde ausgeführt, dass der Kläger im Verlauf vermehrt soziale Kontakte hergestellt und auch ältere, soziale Kontakte gepflegt habe, so dass sich die Motivation verbessert habe. Zum Entlassungszeitpunkt hätten weder der Kläger noch die Psychotherapeutin einen weiteren Behandlungsbedarf gesehen.

Am 11. März 2008 erfolgte nach distaler Unterschenkelosteitis links und nach osteosynthetisch versorgter Unterschenkelfraktur eine operative Materialentfernung der Fibula und Tibia links im Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus H. (B.). Nach beruhigter distaler Tibiaosteitis links, bei liegendem AO-Rahmenfixateur und externer Fehlstellung wurde am 5. Mai 2018 eine weitere Operation mit autologer Spongiosaplastik nach Entnahme vom linken hinteren Beckenkamm vorgenommen. In Verlaufsberichten vom 13. Juni 2008 und 9. Juli 2008 stellte das B. eine einheilende Spongiosa bei beruhigter distaler Tibiaosteitis links fest. Am 24. Juli 2008 erfolgte eine erneute Operation zur Entfernung des externen Fixateurs am linken Unterschenkel. Vom 16. April 2009 bis zum 9. Juni 2009 führte der Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme im B. durch. Im Entlassungsbericht werden eine Belastungs- und Bewegungsinsuffizienz bei verzögert heilender Arthrodese des linken oberen Sprunggelenks nach distaler Tibiaosteitis mit Pilonbeteiligung links, einliegendem AO-Rahmenfixateur, eingeheilter Spongiosaplastik nach Entnahme vom linken hinteren Beckenkamm sowie eine Läsion des Nervus peronaeus und der Nn. plantares mediales und laterales links festgestellt. Über psychische Probleme wurde nicht berichtet. Der Patient habe motiviert an dem Programm teilgenommen.

Vom 10. Juni 2009 bis zum 15. September 2009 führte der Kläger anschließend eine ambulante Rehabilitationsbehandlung im R.-Zentrum C. durch. Über psychische Auffälligkeiten wurde auch hier nicht berichtet. Im Aufnahmebericht vom 11. Juni 2009 ist vermerkt, dass der Kläger angegeben habe, früher psychologische Einzelgespräche durchgeführt zu haben. Zurzeit fühle er sich – abgesehen von der Verletzung – recht wohl. Die Alpträume hätten nachgelassen.

Dr. S., Arzt für Chirurgie und Unfallchirurgie, führte in einem ersten Rentengutachten vom 28. Juli 2009 aus, dass bei dem Kläger eine distale II° offene Unterschenkelfraktur links mit Pilon-tibiale-Fraktur links mit nachfolgender Unterschenkelosteitis links bestanden habe. Als wesentliche Unfallfolgen lägen eine starke Bewegungseinschränkung im linken oberen und unteren Sprunggelenk mit den daraus resultierenden funktionellen Behinderungen, eine Muskelminderung des linken Beines, die Narbenbildung am linken Unterschenkel, die Schwellneigung am linken Unterschenkel und die nicht ausgeheilte Osteitis am linken Unterschenkel sowie die Parese des N. peronaeus links vor. Die MdE betrage seit dem 9. Juli 2009 bis auf weiteres 50 v.H., spätestens nach Beendigung des dritten Jahres nach dem Unfall werde die MdE auf 40 bis 50 v.H. geschätzt.

Mit Bescheid vom 2. September 2009 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Rente als vorläufige Entschädigung ab 10. Juli 2009 wegen einer MdE von 50 v.H.

Dr. S. erstattete am 18. Mai 2010 ein zweites Rentengutachten. Der Kläger habe seine Beschwerden ruhig und sachlich geschildert. Eine Übertreibungstendenz bestehe nicht. Während der Untersuchung habe ein zugewandtes, kooperatives Verhalten vorgelegen. Als wesentliche Unfallfolgen lägen die starke Bewegungseinschränkung im linken oberen und unteren Sprunggelenk mit den daraus resultierenden funktionellen Behinderungen, eine Muskelminderung des linken Beines, die Narbenbildung am linken Unterschenkel, die Schwellneigung am linken Unterschenkel und die ruhende Osteitis am linken Unterschenkel sowie die Parese des N. peroneaeus links vor. Die Erwerbsfähigkeit werde durch die Unfallfolgen um 40 v.H. gemindert.

Mit Bescheid vom 7. Juli 2010 stellte die Beklagte eine Rente auf unbestimmte Zeit ab 1. August 2010 nach einer MdE von 40 v.H. an Stelle der bisher gewährten Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 50 v.H. fest. Als Folgen des Versicherungsfalles würden eine Bewegungseinschränkung im linken oberen Sprunggelenk bis zur Wackelsteife, eine Aufhebung der Beweglichkeit im linken unteren Sprunggelenk, eine Muskelminderung am linken Bein, eine Schwellneigung am linken Unterschenkel sowie röntgenologisch nachgewiesene Veränderungen im Bereich des linken oberen Sprunggelenkes nach II° offenem Bruch des körperfernen Unterschenkels mit Pilon-tibial-Fraktur und Lähmung des Wadenbeinnervs (Nervus peronaeus) bei ruhender Knochenentzündung (Osteitis) am linken Unterschenkel anerkannt.

Gegen diesen Bescheid legte der Bevollmächtigte des Klägers am 9. Juli 2010 Widerspruch ein und beantragte zunächst Akteneinsicht.

Im Rahmen von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nahm der Kläger bereits ab 11. Januar 2010 an einer Maßnahme der Fortbildungsakademie der Wirtschaft (FAW) teil. Ab Juli 2010 teilte die FAW der Beklagten – wie den Telefonvermerken in der Verwaltungsakte der Beklagten zu entnehmen ist – wiederholt mit, dass der Umgang mit dem Kläger aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur schwer sei. Die Zusammenarbeit gestalte sich zunehmend schwieriger.

Laut Vermerk der Beklagten erfolgte am 27. Juli 2010 ein Anruf vom Kläger. Der Kläger habe plötzlich erklärt, dass er seit dem letzten Wochenende und dem ganzen Stress mit der FAW plötzlich wieder sein Unfalltrauma ganz präsent im Kopf habe. Er klage plötzlich (für die Mitarbeiterin der Beklagten erstmals) über psychische Probleme. Davon müsse der Unfallversicherungsträger unbedingt Kenntnis erhalten, habe seine Lebensgefährtin gesagt. Seine für August geplante Hochzeit sei nun wieder abgesagt. In einem weiteren Vermerk der Beklagten steht, dass der Kläger nunmehr auch bei der FAW seine psychischen Beeinträchtigungen deutlich artikuliert habe.

Der Kläger übersandte im Folgenden ein ärztliches Attest, auf dem er auf der Rückseite handschriftlich seine Beschwerden zusammengefasst hatte: Sein rechtes Bein müsse er seit 2,5 Jahren stärker belasten und dadurch operiert werden. Er habe chronische Schmerzen und müsse Tabletten nehmen. Seit dem Unfall habe er Alpträume. Er nehme Tabletten gegen Depressionen wegen des Jobverlusts. Er könne keinen Sport mehr machen außer im Schwimmbad (nicht im Meer) schwimmen, nur gerade Wege wandern und müsse lebenslang Spezialschuhe tragen.

Der Bevollmächtigte des Klägers teilte am 3. September 2010 mit, dass eine neue gutachterliche Untersuchung des Klägers beantragt werde. Hintergrund des Antrags sei, dass sich der Kläger vor kurzem in psychotherapeutische Behandlung begeben und von dem Therapeuten die Mitteilung erhalten habe, dass er von dem Unfall psychische Beeinträchtigungen davongetragen habe.

Dr. G./ M1 aus dem B. erstatteten am 23. September 2010 einen nervenärztlichen Befundbericht nach Untersuchung des Klägers am 10. August 2010. Unter Diagnosen führten sie subjektiv beklagte Alpträume, eine verzögert einheilende Spongiosaplastik im Bereich des linken distalen Unterschenkels bei beruhigter distaler Tibia-Osteitis links nach zweitgradig offener distaler Unterschenkelfraktur links mit Pilon-tibiale-Fraktur links und eine distale Läsion des Nervus peronaeus und der Nervi plantares medialis et lateralis links auf. Der Kläger habe – nachdem er mit dem Taxi kollidiert sei – mit viel Schmerz hilflos auf der Straße gelegen. Der Taxifahrer sei nahe an ihn herangetreten und habe mit dem Fuß sein verletztes Bein versehentlich berührt, was den Schmerz verstärkt habe. Anfangs habe er sich praktisch von außen gesehen, habe sich für tot gehalten. Bei der Untersuchung habe der Kläger angegeben, dass er noch jeden Abend an Alpträumen leide, weshalb ihm seine Lebensgefährtin, die in der Woche in F. lebe und arbeite, geraten habe, dieses endlich den behandelnden Ärzten mitzuteilen. Er erwache aus diesen Träumen schweißnass. Er träume, er sei tot. In letzter Zeit träume er auch, der Taxifahrer, der den Unfall verursacht habe, sei ein lachender Teufel. Über tagsüber auftretende Intrusionen berichte der Kläger nicht. Sichere bewusstseinsnahe Aggravationstendenzen seien bei der Untersuchung nicht festzustellen gewesen. Für eine PTBS habe sich kein Anhalt gezeigt. Trotz bestehender Schwierigkeiten der Zuordnung der psychischen Symptomatik sei eine probatorische psychotherapeutische/traumatherapeutische Behandlung empfohlen worden. Im Rahmen der Gespräche und der EMDR-Behandlung habe der Kläger dann überraschenderweise eher eine Verschlimmerung der psychischen Probleme als eine Besserung angegeben. Gleichzeitig sei er daran interessiert gewesen, das Ausmaß der zusätzlichen MdE infolge seiner Alpträume zu erfahren. Er habe sich gewünscht, dass sein Prozessbevollmächtigter ausführlich über die Erkenntnisse informiert werden sollte. Retrospektiv lasse sich nicht ausschließen, dass der Kläger die beklagten Alpträume als zusätzliches Argument für seinen Wunsch, eine höhere MdE zu erreichen, geltend gemacht habe. Bei der ersten Vorstellung sei dies allerdings nicht klar zu erkennen gewesen, so dass die probatorischen psychotherapeutischen Sitzungen für gerechtfertigt erachtet worden seien. Der Kläger habe angegeben, dass ihm die begonnene psychotherapeutische Behandlung durchaus helfe, so dass er seltener Alpträume habe. Eine zusätzliche MdE wegen psychischer Unfallfolgen sei zurzeit nicht zu erwarten. Dass die nicht unerheblichen chirurgischen Unfallfolgen ein gewisses Ausmaß an negativen psychischen Reaktionen hervorrufen würden, sei nicht zu bestreiten. Diese würden aber nach allgemeiner gutachterlicher Auffassung bereits in der chirurgischen Einschätzung berücksichtigt.

Der Bevollmächtigte des Klägers wies darauf hin, dass nicht der Kläger eine höhere MdE angesprochen habe, sondern der Gutachter erklärt habe, dass er eine höhere MdE aufgrund der psychischen Probleme haben könne.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2011 zurück. Die radiologischen und unfallchirurgischen Befunde zeigten, dass die noch auf den Versicherungsfall zu beziehende Behinderung zutreffend eine MdE von 40 v.H. verursache. Der Kläger werde angesichts des Verletzungsbildes und der MdE-Bewertung mit einem Unterschenkelamputierten gleich gestellt. In Bezug auf eine posttraumatische Belastungsstörung lägen lediglich drei Monate nach dem Geschehen Hinweise auf Angstträume vor, die seitens der nachfolgenden Behandlungsmaßnahmen aber weder in einer weitergehenden psychischen Störung eingemündet hätten noch anhaltend geschildert worden seien. Die im Rahmen der stationären Behandlung Anfang 2008 diagnostizierte Anpassungsreaktion lasse sich im weiteren Verlauf nicht mehr belegen. So habe der Kläger anlässlich einer Rückfrage im R.-Zentrum H. am 10. Juni 2009 vorgetragen, dass die Alpträume nachgelassen hätten. Eine nachgehende nervenärztliche Stellungnahme vom 23. September 2010 durch Herrn Dr. G./ M1 habe ergeben, dass weder eine psychische Diagnose habe gesichert werden können noch eine psychische Unfallbedingtheit habe angenommen werden können.

Der Kläger hat am 22. Februar 2011 durch seinen Bevollmächtigten Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben. Er habe durchgehend seit dem Unfall mehr oder weniger regelmäßig unter Alpträumen gelitten und wache nachts regelmäßig schweißgebadet auf. Dies könne für die Zeit bis ca. April 2008 von der Lebensgefährtin des Klägers bestätigt werden. Ab dem genannten Zeitpunkt habe der Kläger ihr regelmäßig am Telefon von den Alpträumen berichtet und ab ungefähr November 2008 könne dies die Lebensgefährtin auch aus eigener Anschauung bestätigen.

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht von der Diplom-Psychologin D. eingeholt. Diese hat mitgeteilt, dass sich der Kläger seit dem 17. November 2011 in ihrer verhaltenstherapeutischen Behandlung befinde. Die Behandlungstermine fänden nun noch im zweiwöchigen Abstand statt. Bei der zu behandelnden Erkrankung handele es sich um eine posttraumatische Belastungsstörung. Bei dem Kläger liege eine leichte bis mittelschwere depressive Reaktion vor. Das Beschwerdebild umfasse wiederkehrende Alpträume, Unruhe, vermindertes Selbstvertrauen, Gefühle von Wertlosigkeit und Grübeln über negative Zukunftsperspektiven und Probleme mit aggressiver Impulskontrolle. Das auslösende Moment sei der Motorradunfall des Klägers gewesen, der seine Lebens- und Arbeitssituation dramatisch beschnitten habe. Des Weiteren hat das Sozialgericht die Krankenakte des U., die Akte des Versorgungsamtes, die Krankenakte der S1 Klinik H. E. und die Krankenakte des M. Klinikum S2 beigezogen.

Zudem hat das Sozialgericht ein nervenärztliches Gutachten von Dr. F1 eingeholt. Der Kläger habe den Unfall so geschildert, dass er auf dem Rücken gelegen und gedacht habe, dass er tot sei. Das sei die Ursache seines Alptraumes. Er habe keine Schmerzen gehabt. In S2 hätten sie ihm Tabletten gegen Depressionen gegeben und dreimal pro Woche Therapie. Danach sei er nicht mehr beim Nervenarzt oder Psychiater gewesen. Er habe gedacht, dass er selbst damit fertig werden müsse. Er habe den Eindruck, dass er von der jetzigen Psychotherapie stark profitiere. Es gehe auch um die Arbeit und dass sein Bruder gestorben sei. Im B. habe er auch geredet, aber es sei ihm dort so erschienen, als hätten die ihm nicht helfen wollen. Herr M1 habe nur über die Prozente geredet, dass er 10 Prozent mehr bekomme wegen seines Kopfes, aber das habe ihn gar nicht interessiert. Er habe nur Hilfe wegen der Kopfprobleme haben wollen, und die Beklagte habe hinterher gesagt, dass es ihm nur um die Prozente gegangen sei. Er habe immer noch Alpträume. Er sehe das Taxi, wie es immer näher komme, und wie dann sein Bein getroffen werde. Danach habe er das Gefühl, er habe Schuld. Er habe daher schon Angst, schlafen zu gehen. Er könne kaum wieder einschlafen. Die Alpträume habe er dreimal pro Woche. Ab und zu wache er davon weinend auf. Der Betroffene wurde von Dr. F1 auch nach aufdrängenden unfallgebundenen Gedanken und inneren Bildern über Tag gefragt. Tagsüber denke er auch daran, immer an die Alpträume. Er denke, warum habe ich den Job verloren und der Taxifahrer mache seinen Beruf weiter. Er hätte ihn umbringen können. Zur Stimmung habe der Kläger berichtet, dass diese eigentlich situationsangemessen sei. Er sei ja nicht depressiv, aber er grübele, wenn er tagsüber dasitze und nichts zu tun habe. Im psychischen Befund komme es beim Kläger nicht zu überwertigem Erleben psychogener Symptome, diese würden auch nicht mit katastrophierenden Kognitionen vorgetragen, erlebte Hilfe- oder Hoffnungslosigkeit im rückblickenden Erinnern des Unfallherganges oder des Heilverlaufs inkl. heutigem Beschwerdebild vermittle sich nicht. Von der posttraumatischen Belastungsstörung fänden sich auf der Beschwerdeebene die Merkmale B1 (sich aufdrängende innere Bilder des Ereignisses) und B2 (ereignisgebundene Träume) wieder, auf der Befundebene werde dem Betroffenen bezüglich der Träume gefolgt, in ein Nacherleben der Ereignisse mit erkennbar seelischer Belastung, indem der Betroffene davon berichtet, oder einem Hineingesogenwerden in den bildhaft erinnerten Ereignisablauf komme es aber nicht. Vom C-Kriterium werde auf der Beschwerdeebene das Merkmal C2 (das bewusste Vermeiden des Unfalls) angegeben. Auf der Befundebene finde sich Vermeidungsverhalten nicht: Der Betroffene schildere das Ereignis, ohne ihm gedanklich auszuweichen und ohne etwas auszulassen. Auch die Merkmale C4 bis C7 (vermindertes Interesse oder verminderte Teilnahme an wichtigen Aktivitäten, Losgelöstheit und Entfremdung von anderen, eingeschränkte Bandbreite des Affektes oder das Gefühl einer eingeschränkten Zukunft) ergäben sich im Sinne der DSM-IV-Merkmale nicht. Immerhin habe der Betroffene nach dem Unfall sein Leben umgestellt und seine Lebenspartnerin kennengelernt, von der er emotional engagiert und begeistert berichtet habe. Das Gefühl einer eingeschränkten Zukunft sei angesichts der Verletzungsfolgen plausibel und nicht krankheitswertig. Vom D- oder Hyperarouselkriterium schildere der Betroffene Schlafstörungen aufgrund der Alpträume, die sich aber auf der Befundebene im Sinne von Tagesmüdigkeit oder Konzentrationsmängeln nicht abbildeten. Der Betroffene sei nicht reizbar und gebe dies im Sinne eines krankheitswerten Symptoms auch für die Gegenwart nicht mehr an, früher allerdings sei es anders gewesen. Übermäßige Wachsamkeit und Schreckhaftigkeit seien auf der Beschwerdeebene angegeben worden, fänden sich aber auf Befundebene nicht. Die Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung sei sowohl bei Betrachtung der Beschwerde- als auch der Befundebene nicht mehr zu stellen, weil es am Vermeidungsverhalten fehle. Auch das Wiedererleben finde sich auf Befundebene nicht und auch die auf Befundebene notwendige Anzahl von Merkmalen des Hyperarousal-Kriteriums sei nicht erfüllt. Dr. F1 ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der objektive Unfallbegriff des ICD-10 nicht erfüllt sei. Es habe sich um einen gewöhnlichen Verkehrsunfall gehandelt. Der Unfall sei weder mit besonders dramatischen Umständen einhergegangen noch sei er geeignet gewesen, dem Betroffenen das Gefühl einer Lebensgefährdung zu vermitteln bzw. sei er objektiv – was die ICD-10 fordern würde – lebensgefährlich. Schließlich sei die klassische Situation seelischer Traumatisierung, nämlich dass jemand sich in unmittelbarer Todesgefahr sehe, dieser aber weder durch Flucht noch durch Angriff entgehen könne, bei dem Betroffenen nicht angedeutet erfüllt. Das DSM-IV setze dagegen auf einen mehr subjektiven Traumabegriff. Es müsse ein Ereignis erlebt worden sein, welches geeignet gewesen sei, subjektiv das Gefühl von Lebensgefährdung zu vermitteln. Dieses könne man bei dem Kläger annehmen, weil nicht nur Todesgefahr, sondern auch eine ernsthafte Gefährdung der Gesundheit ausreiche. Der Betroffene müsste aber im Ereigniserleben mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen reagiert haben (sog. A2-Kriterium). Es sei jedoch weder plausibel noch belegt, dass der Kläger so auf das Ereignis reagiert habe. Aber auch seitens der Symptomkriterien B bis D sei eine posttraumatische Belastungsstörung nicht anzunehmen. Geltend gemacht würden immer nur Alpträume, was allenfalls eins von fünf Kriterien des B- oder Wiedererlebenskriteriums begründen würde. Es sei auch unplausibel, dass der Kläger sich zwar in dem M. Klinikum S2 geöffnet habe und von seinen seelischen Symptomen berichtet habe, danach aber trotz anhaltendem Kontakt zu Ärzten über seine seelischen Beeinträchtigungen nicht mehr gesprochen habe. Den Taxifahrer als lachenden Teufel zu sehen, sei auch kein Alptraum, unter dem man als Folge einer seelischen Traumatisierung leide. Eine möglicherweise auf dem Unfall beruhende Anpassungsstörung sei noch während des Verletztengeldbezugs wieder abgeklungen.

In der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts am 20. April 2012 ist der medizinische Sachverständige Dr. F1 informatorisch gehört worden. Der Bevollmächtigte des Klägers hat in der Verhandlung einen Antrag nach § 109 SGG gestellt und der Rechtsstreit ist vertagt worden. Im Folgenden hat der Bevollmächtigte des Klägers die Erstellung eines Gutachtens durch Dr. D1 beantragt. Auf dessen Hinweis, den Gutachtenauftrag an Frau Dr. Dr. M2 weiterzugeben, hat das Sozialgericht den Gutachtenauftrag abgeändert und ein Gutachten von Frau Dr. Dr. M2 eingeholt.

Frau Dr. Dr. M2 hat am 8. März 2013 ein Gutachten nach Untersuchung des Klägers am 30. Oktober 2012 und 24. Januar 2013 erstattet. Der Kläger sei im Affekt überwiegend depressiv, die Schwingungsfähigkeit sei auf den negativen Skalenbereich eingeengt, jedoch ausreichend schwingungsfähig. Das inhaltliche Denken sei auf die Folgen des Unfalls eingeengt. Flashbacks und Alpträume seien vorhanden. Erhöhte Reizbarkeit, Wut und Aggressivität seien auch in der Untersuchungssituation nicht objektivierbar gewesen. Es bestehe ein depressives Rückzugsverhalten und Hyperarousal. Beim Posttraumatic Symptom Scale PTSS – 10 habe der Kläger einen Summenwert von 48 erreicht, was einer starken Ausprägung einer PTBS-Symptomatik entspreche. Der Trauma Screening Fragebogen habe beim Kläger eine höchstmögliche Ausprägung einer PTBS mit 10 von 10 Punkten ergeben. Bei dem Fragebogen PDS sei das Ergebnis des Klägers mit 39 Summenpunkten über dem für schwere Ausprägungen relevanten Cut-Off-Wert von 36 ausgeprägt gewesen. Insgesamt zeige das Testergebnis das Vorliegen einer schweren PTBS. In der Auswertung seien die Subscores für die Symptomgruppen Wiedererleben, Vermeidung, Distanzierung und Arousal sehr hoch ausgeprägt, so dass der hohe Gesamtscore eine klinisch relevante PTBS ergebe. Auch nach der Auswertung des Essener Trauma-Inventars habe der Kläger eine ausgeprägte PTBS und liege mit einem Gesamtscore von 47 Punkten über den erforderlichen 27 Wertpunkten. Differentialdiagnostisch sei zu überlegen, ob der Proband in den Tests seine Symptomatik vor dem Hintergrund eines möglichen Rentenbegehrens aggraviert oder simuliert habe. Dies sei jedoch unwahrscheinlich. Zum einen habe die redundante PTBS-Diagnostik-Testbatterie durchgehend unwidersprüchliche Aussagen ergeben. Die widerspruchsfreien Aussagen des Probanden hätten mit seinen mündlichen Aussagen während der psychiatrischen Exploration übereingestimmt und die Ergebnisse der Testdiagnostik entsprächen dem klinischen Bild, welches sich in den Untersuchungssituationen gezeigt habe. Die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung lasse sich eindeutig erhärten. Im Gespräch habe der Proband einen sehr verbitterten und schwer depressiven, teilweise auch selbstmitleidigen Eindruck erweckt. Derzeit lebe er vom Arbeitslosengeld, mit dem er nur sehr knapp auskomme. Zu seinen traumaassoziierten Symptomen habe der Kläger berichtet, dass er täglich unter Flashbacks der Unfallsituation leide. Teilweise könne er an nichts anderes mehr denken als an die Inhalte seiner Flashbacks, nichts anderes hätte mehr Platz in seinem Kopf. Eine erhöhte Schreckhaftigkeit und Hyperarousal seien auch vorhanden. Beim zweiten Termin habe der Kläger berichtet, dass er seit dem letzten Termin zunehmend unter Alpträumen leiden würde, da dieser viel in ihm aufgewühlt habe. Es gehe ihm in der letzten Zeit schlechter, er sei depressiver, habe zunehmend Ängste vor dem Schlaf und gehe immer später ins Bett. Er schlafe dann ca. 1 bis 1,5 Stunden wache danach schweißgebadet auf und gucke fern. Er habe im Dezember 2012 erneut einen Versuch gemacht, mit seiner Freundin zusammen zu leben, aber es habe aufgrund seiner Symptomatik nicht geklappt. Er sei häufig aggressiv und leicht gereizt. Auch in harmlosen Situationen explodiere er schnell. Er sei ständig wachsam, könne auch zu zweit nicht ruhig schlafen. Er sei auch sehr schreckhaft, beim kleinsten Geräusch zucke er zusammen. Schnelle Autos oder andere Fahrzeuge machten ihm besonders Angst, er könne dies nicht ertragen. An dieser Stelle habe der Kläger geweint, was ihm gleichzeitig unangenehm gewesen sei, und habe mit leisen Worten gesprochen, dass der Unfall sein ganzes Leben durcheinander gebracht habe. Auf psychiatrischem Gebiet bestünden bei dem Kläger eine mittelschwere depressive Episode und eine posttraumatische Belastungsstörung. Das A-Kriterium sei erfüllt, es habe sich bei dem Unfall um ein Ereignis gehandelt, das bei dem Versicherten reale und akute Todesängste und Gefühle von Ohnmacht und Ausweglosigkeit hervorgerufen habe. Die Prävalenz, auf einen Unfall mit einer PTBS zu reagieren, werde in der wissenschaftlichen Literatur mit 7,6 Prozent beschrieben. Der Kläger berichte über häufige Flashbacks der Unfallsituation, auch in Form nächtlicher Alpträume und häufiger Auslösung dieser traumaspezifischen Ängste, wenn er ähnlichen Situationen ausgesetzt sei. Am ausgeprägtesten bei der Symptomatik sei ein inzwischen generalisiertes und chronifiziertes Vermeidungsverhalten verschiedener Situationen im öffentlichen Leben sowie sozialer Kontakte. Es bestehe ein ausgeprägter depressiver Rückzug mit Anhedonie aus zuvor bestehenden Aktivitäten und Interessen. Das D1-Kriterium sei nicht vorhanden, weil sich der Kläger an alles erinnere. Der Kläger klage zudem im Sinne des D2-Kriteriums über Ein- und Durchschlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Hypervigilanz und erhöhte Schreckhaftigkeit. Auch das Kriterium der Reizbarkeit oder Wutausbrüche sei vorhanden. Alle positiven Kriterien seien im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang nach dem Unfall aufgetreten und seien zuvor nicht vorhanden gewesen. Die Coping-Strategien des Klägers müssten als dysfunktional angesehen werden. Hierfür könnten persönlichkeitsbedingte starre Reaktions- und Verhaltensmuster, geringe Introspektionsfähigkeit bei fluktuierender Motivation und geringer Selbstwirksamkeitserwartung eine Rolle spielen. Diese hätten jedoch keinen Krankheitswert. Der Unfall sei sowohl für die PTBS als auch für die Depression alleinige Ursache. Der Unfall habe die nachfolgenden Beeinträchtigungen auf dem gesamten psychosozialen Funktionsniveau zur Folge gehabt. Ohne den Unfall wäre es nicht zu einer posttraumatischen Belastungsstörung und Depression gekommen, weil der Kläger zuvor über ein hinreichend stabiles, wenn auch nicht optimales psychosoziales Funktionsniveau verfügt habe. Aufgrund der Schwere der psychischen Erkrankung und daraus folgenden psychosozialen Beeinträchtigungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten liege seit dem Unfall eine MdE in Höhe von 50 v.H. mit hoher Wahrscheinlichkeit auf psychiatrischem Fachgebiet bis auf weiteres vor.

Die Beklagte hat gegen das Gutachten eingewandt, dass die Frage der Kausalität von der Gutachterin nicht ausreichend erörtert und berücksichtigt worden sei.

Das Sozialgericht hat die Klage im schriftlichen Verfahren mit Urteil vom 18. Oktober 2013 abgewiesen. Es könne nicht festgestellt werden, dass bei dem Kläger eine PTBS vorliege, die zu einer Erhöhung der unfallbedingten MdE und damit zu einer höheren Rentenleistung führe. Die Kammer sei den schlüssigen und plausiblen Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Dr. F1 gefolgt. Es könne offenbleiben, ob und wie stark das Unfallereignis beim Kläger eingewirkt und einen sog. seelischen Erstschaden verursacht habe, denn im zeitlichen Zusammenhang habe der Kläger nur bei der stationären Behandlung im M. Klinikum S2 über psychogene Störungen in Form von Alpträumen geklagt. Insbesondere sei nur dort eine kurzzeitige Mitbehandlung psychogener Störungen erfolgt, wobei die dortigen Ärzte es ausgeschlossen hätten, dass eine PTBS vorliege. Nach der dortigen Entlassung Ende Februar 2008 seien keine psychogenen Störungen mehr geschildert worden. Diese seien erst wieder aufgetaucht, nachdem die Beklagte die MdE von 50 v.H. auf 40 v.H. im Juli 2010 reduziert habe. Auffallend sei für die Kammer, dass der Kläger weder bei der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft im März 2009 noch bei der Rentenversicherung eine psychogene Störung geltend gemacht habe. Die Gutachterin Frau Dr. Dr. M2 gehe sehr oberflächlich mit der Diagnosestellung einer PTBS um. Sie setze sich nicht hinreichend bestimmt mit dem sog. A-Kriterium auseinander. Dr. F1 habe darauf hingewiesen, dass gerade da sog. A2-Kriterium im vorliegenden Fall nicht erfüllt sei, denn es fehle am Erleben von intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen. Eine solche Reaktion des Klägers sei weder dokumentiert noch zeitnah in irgendeiner geeigneten Art und Weise beschrieben. Die Ausführungen von Frau Dr. Dr. M2, dass der Kläger reale und akute Todesängste und Gefühle von Ohnmacht und Ausweglosigkeit erlebt habe, sei eine bloße Behauptung, die in keiner Weise mit dem Inhalt der Akten beweisbar sei. Ihre Ausführungen seien auch nicht geeignet, ein tatsächlich unfallbedingtes Vermeidungsverhalten des Klägers zu belegen. Dr. F1 habe im Gegenteil hierzu ausgeführt, der Kläger könne ohne in den Schilderungen gefangen zu sein, den Unfallhergang und das Drumherum ganz konkret schildern, so dass auch dieses Kriterium nicht vorliege. Die bei dem Kläger aufgrund des Unfalls vorliegende Anpassungsstörung sei innerhalb der ersten sechs Monate nach dem Unfallereignis vollständig geheilt.

Der Bevollmächtigte des Klägers hat gegen das ihm am 23. Oktober 2013 zugestellte Urteil am 25. November 2013 – einem Montag – Berufung eingelegt. Ein Unfall eines Motorradfahrers auf regennasser Fahrbahn sei von vornherein geeignet, ein lebensbedrohliches Ereignis zu sein. Zudem sei der Kläger aufgrund der Straßenverhältnisse nicht in der Lage gewesen, den Unfall zu vermeiden, so dass gerade dies zu einem Gefühl erheblicher Hilflosigkeit geführt habe. Ein verletzter Unfallbeteiligter stehe naturgemäß auch erstmal unter Schock und funktioniere relativ gut. Die krisenhafte Reaktion komme oftmals erst erhebliche Zeit später. Der Kläger habe bereits während seines Aufenthalts im U. unter Alpträumen gelitten. Aufgrund der Sprachprobleme habe er dies aber nicht artikulieren können. Es sei auch nicht dokumentiert, dass der Kläger während seines Aufenthalts im U. einmal von psychologisch ausreichend geschultem Personal aufgesucht worden sei. Auch in S2 sei es erforderlich gewesen, dass die psychotherapeutische Behandlung von der Klinik initiiert worden sei. Von selbst habe der Kläger dies nicht in Angriff genommen. Die Stimmungsaufhellung im Klinikum beruhe darauf, dass der Kläger seine künftige Lebensgefährtin kennengelernt habe. Zuvor habe er seine Zeit in einem fremden Land vor allen Dingen mit Arbeit und wenig sozialen Kontakten verbracht. Der Kläger habe aber weiterhin unter Alpträumen gelitten und es sei ihm nicht bewusst gewesen, dass diese behandelt werden müssten. Auch der Bevollmächtigte könne bestätigen, dass der Kläger das C-Kriterium erfülle. Er klage immer wieder darüber, dass der Unfall seine berufliche Zukunft zerstört habe, und hadere mit sich selbst. Dr. F1 zeige eine deutliche Tendenz, die psychischen Folgen beim Kläger zu bagatellisieren. Ergänzend trägt der Bevollmächtigte des Klägers vor, dass der Kläger bereits im U. und auch während einer kurzen Zeit in dem M. Klinikum S2 starke Schlafmittel erhalten habe, da er aufgrund der Alpträume sehr schlecht habe schlafen können.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 18. Oktober 2013 aufzuheben sowie den Bescheid vom 7. Juli 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2011 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, eine posttraumatische Belastungsstörung als Unfallfolge festzustellen und dem Kläger eine Rente auf unbestimmte Zeit ab 1. August 2010 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte stützt sich auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid und im erstinstanzlichen Urteil. Eine posttraumatische Belastungsstörung sei von Dr. F1 und Herrn M1 ausgeschlossen worden. Dr. F1 habe in seinem Gutachten ausführlich dargelegt, welche Kriterien für die Anerkennung einer psychogenen Unfallfolge nicht vorlägen und welche zeitliche Abfolge einen Zusammenhang zum Unfallereignis nicht begründe. Nach Auffassung der Beklagten sei die Minderung der Erwerbsfähigkeit ab 1. August 2010 in Höhe von 40 v.H. korrekt festgestellt worden.

In der mündlichen Verhandlung ist Frau Dr. Dr. M2 zu ihrem Gutachten vom 8. März 2013 angehört worden. Wegen der Einzelheiten ihrer Aussage wird auf die Sitzungsniederschrift vom 18. April 2018 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte, die Verwaltungsakten, die Akte des Versorgungsamtes, die Krankenakte der S1 Klinik H. E., die Akte des M. Klinikum S2, die Krankenakte des U. und die Sitzungsniederschrift vom 18. April 2018 ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 SGG), aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung als weitere Unfallfolge und Gewährung einer Rente wegen einer höheren MdE als 40 v.H.

Ein Anspruch auf Feststellung einer Gesundheitsstörung als Unfallfolge nach § 102 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) besteht, soweit jemand einen Gesundheitsschaden erlitten hat, der im Wesentlichen durch den Gesundheitserstschaden verursacht oder einem Versicherungsfall aufgrund besonderer Zurechnungsnormen zuzurechnen ist.

Ein Versicherungsfall, hier ein Arbeitsunfall, liegt vor. Für einen Arbeitsunfall ist nach § 8 Abs. 1 SGB VII in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von längerandauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist hingegen keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG, Urteil vom 29. November 2011 – B 2 U 23/10 R, NZS 2012, 390). Versicherte Tätigkeiten sind nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Der Kläger ist auf dem Heimweg von seiner Arbeitsstelle verunfallt und hat aufgrund dieses Wegeunfalls Gesundheitsschäden erlitten.

Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass bei dem Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung als Unfallfolge besteht. Diese liegt nicht im Vollbeweis vor. Zur Anerkennung einer psychischen Störung als Unfallfolge ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme (zum Beispiel ICD-10, DSM) unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erforderlich, damit die Feststellung nachvollziehbar ist (vgl. BSG, a.a.O.).

Nach dem ICD-10 (F 43.1) setzt die Feststellung einer PTBS eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde, voraus (A-Kriterium). Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z. B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten (B-Kriterium). Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten (C-Kriterium: Vermeidungsverhalten). Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf (D-Kriterium). Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden.

Nach dem im Jahr 2013 veröffentlichten neuesten Diagnosesystem der amerikanischen Fachgesellschaften, dem DSM-V, das als aktueller Stand der Wissenschaft den DSM-IV ersetzt, ist im Vergleich zum DSM-IV das subjektive Element der Bedrohung weggefallen. Nach dem DSM-V müssen erfüllt sein: A. Traumatisches Ereignis: Die Person war mit einem der folgenden Ereignisse konfrontiert: Tod, tödlicher Bedrohung, schwerer Verletzung, angedrohter schwerer Verletzung, sexueller Gewalt, angedrohter sexueller Gewalt. B. Wiedererleben: Das traumatische Ereignis wird wiederkehrend wiedererlebt, und zwar in einer der nachfolgenden Weisen (mindestens eine): – wiederkehrende, unfreiwillige und eindringliche belastende Erinnerungen – traumatische Alpträume – dissoziative Reaktionen (z. B. Flashbacks), in Dauer variierend von einer kurzen Episode bis zum Verlust des Bewusstseins – intensiver oder langanhaltender Stress, nachdem die Person an das traumatische Erlebnis erinnert wurde – markante physiologische Reaktion, nachdem die Personen einem Reiz ausgesetzt war, der einen Bezug zum traumatischen Erlebnis hat. C. Vermeiden: Anhaltendes starkes Vermeidungsverhalten von traumaassoziierten Reizen nach dem traumatischen Erlebnis (mindestens eines): Traumaassoziierte Gedanken oder Gefühle oder traumaassoziierter externer Reize (z. B. Menschen, Orte, Unterhaltungen, Tätigkeiten, Objekte oder Situationen). D. Negative Veränderungen von Gedanken und Stimmung: Die negativen Veränderungen von Gedanken und Stimmung begannen oder verschlechterten sich nach dem traumatischen Erlebnis (mindestens zwei): – Unfähigkeit, sich an wichtige Merkmale des traumatischen Erlebnisses zu erinnern (normalerweise dissoziative Amnesie) – andauernde (und oft verzerrte) negative Annahmen von sich selbst oder der Welt (z. B. „Ich bin schlecht“, „Die ganze Welt ist gefährlich“). – andauernde verzerrte Vorwürfe gegen sich selbst oder gegen andere, am traumatischen Erlebnis oder seinen negativen Folgen schuld zu sein. – andauernde negative traumaassoziierte Emotionen (z. B. Angst, Wut, Schuld oder Scham). – markant vermindertes Interesse von wichtigen (nicht traumaassoziierten) Tätigkeiten. – das Gefühl, anderen fremd zu sein (z. B. Distanziertheit oder Entfremdung) – eingeschränkter Affekt: andauernd Unfähigkeit, positive Emotionen zu empfinden. E. Veränderung in Erregung und Reaktionsfähigkeit: Traumaassoziierte Veränderungen in Erregung und Reaktionsfähigkeit, die nach dem traumatischen Erlebnis begonnen oder sich danach verschlechtert haben (mindestens zwei): – gereiztes oder aggressives Verhalten – selbstverletzendes oder leichtfertiges Verhalten – erhöhte Vigilanz – übermäßige Schreckreaktion – Konzentrationsschwierigkeiten – Schlafstörungen.

Der Senat geht davon aus, dass das A-Kriterium nach beiden Diagnosesystemen erfüllt ist. Die Kollision des Klägers als Motorradfahrer mit einem Auto war grundsätzlich geeignet, eine Drohung mit schwerer Verletzung darzustellen. Auf die Frage, ob der Kläger in der Situation mit Entsetzen und Hilflosigkeit reagiert hat, kommt es nach dem DSM-V nicht mehr an.

Bereits bei der Prüfung des B-Kriteriums bestehen Unstimmigkeiten im Vortrag des Klägers. Gesichert ist, dass der Kläger nach dem Unfall während seines Aufenthalts im M. Klinikum S2 unter Alpträumen litt und in diesen den Unfall wiedererlebte. Zum Ende des Klinikaufenthalts im Februar 2008 gab der Kläger jedoch bereits eine Stabilisierung seiner psychischen Situation an. Nachfolgend nahm er keine psychotherapeutische Hilfe in Anspruch und gab bei der Aufnahme im R.-Zentrum C. am 11. Juni 2009 an, dass die Alpträume nachgelassen hätten. Erst nachdem die Beklagte im Juli 2010 eine Rente auf unbestimmte Zeit mit nur noch 40 v.H. statt der bisher bewilligten vorläufigen Entschädigung in Höhe von 50 v.H. gewährte, teilte der Kläger mit, durchgehend seit dem Unfall unter Alpträumen gelitten zu haben. Erst nach diesem Zeitpunkt nahm der Kläger auch erstmals psychotherapeutische Hilfe in Anspruch. Unstimmig ist auch das Vorbringen des Klägers zu Flashbacks, die tagsüber aufträten. In der Begutachtung von Dr. G. und Herrn M1 berichtete der Kläger nicht über tagsüber auftretende Intrusionen. Auch auf der von ihm im Widerspruchsverfahren eingereichten Liste über gesundheitliche Beschwerden gab er nicht an, dass er tagsüber unter Flashbacks leide. Bei Dr. F1 gab der Kläger an, dass er auch tagsüber immer an die Alpträume denke. Er denke, warum habe ich den Job verloren und der Taxifahrer mache seinen Beruf weiter. Er hätte ihn umbringen können. Bei diesen Gedanken handelt es sich jedoch nicht um aufdrängende Erinnerungen an das Trauma selbst, sondern sie sind Ausdruck der Frustration über den Unfall und seine Folgen. Dr. F1 hat diese Angaben daher auch zu Recht nicht als Flashbacks im Sinne eines Wiedererlebens des Traumas gewertet. Erst bei der Begutachtung durch Frau Dr. Dr. M2 Ende 2012 berichtet der Kläger erstmals von Flashbacks. Dies steht jedoch nicht in Einklang mit den Angaben von Frau Dr. Dr. M2, dass die intrusiven Symptome einer PTBS im Laufe der Zeit weniger werden und das Vermeidungsverhalten stärker in den Vordergrund trete. Allein ihre Vermutung, dass Flashbacks bereits zuvor vorhanden gewesen und nur nicht dokumentiert worden seien, genügt nicht den Anforderungen an einen Vollbeweis.

Der Senat konnte sich auch nicht davon überzeugen, dass das C-Kriterium im Sinne eines Vermeidungsverhaltens beim Kläger vorliegt. Dies entspricht auch den Ausführungen von Dr. F1, der auf der Befundebene ein solches nicht feststellen konnte. Bei der Schilderung des Unfalls wich der Kläger nicht aus und auch eine erkennbare seelische Belastung konnte Dr. F1 nicht feststellen. Frau Dr. Dr. M2 begründet das von ihr angenommene Vermeidungsverhalten mit einer Angst des Klägers vor schnellen Autos und hohem Verkehrsaufkommen. Ein daraus konkret resultierendes Vermeidungsverhalten hat der Kläger nach Aktenlage jedoch zu keinem Zeitpunkt angegeben. Dass er nicht mehr Motorrad fahre, begründete der Kläger bei Dr. F1 mit den Einschränkungen seines Fußes. Auch in seiner im Widerspruchsverfahren eingereichten Beschwerdebeschreibung erwähnte der Kläger nicht, dass er Probleme habe, sich im Straßenverkehr zu bewegen. Da insoweit eine deutliche Beeinträchtigung des Klägers vorliegen müsste, der regelmäßig Ärzte und Therapeuten aufsuchen musste, erscheint es nicht überzeugend, dass der Kläger dies nicht erwähnt hat. Vielmehr hat er nunmehr in der mündlichen Verhandlung berichtet, taube Kinder in die Schule zu bringen und für diese verantwortlich zu sein. Zudem konnte sich Frau Dr. Dr. M2 in der mündlichen Verhandlung auch nicht mehr erinnern, welche Einschränkungen der Kläger hinsichtlich seines Verhaltens im Straßenverkehr konkret angegeben hat. Frau Dr. Dr. M2 sieht das Kriterium des Vermeidungsverhaltens jedoch auch dadurch als erfüllt an, dass der Kläger sich sozial zurückgezogen habe. Der ICD-10 benennt zwar im Gegensatz zum DSM-V auch eine Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber als Indiz für ein Vermeidungsverhalten, dies genügt jedoch nicht allein, um das C-Kriterium zu erfüllen. Es ist auch die Vermeidung traumaassoziierter Gedanken oder Gefühle oder traumaassoziierter externer Reize erforderlich. Ein allgemeiner sozialer Rückzug, der vorwiegend depressionsbedingt ist und nicht erfolgt, um ein Wiedererleben des Traumas zu vermeiden, genügt hingegen nicht. Aber auch hier wäre zu berücksichtigen, dass der Kläger nach Angaben seines Bevollmächtigten bereits vor dem Unfall ein sozial zurückgezogenes Leben geführt hat und sich auf seine Arbeit konzentriert hat. Gegen die Annahme eines unfallbedingten sozialen Rückzugs spricht insbesondere auch, dass der Kläger nach dem Unfall eine Partnerschaft eingegangen ist, weiterhin in einer Wohngemeinschaft mit seiner ehemaligen Lebensgefährtin lebt und mit tauben Kindern zusammenarbeitet.

Auch das D-Kriterium nach dem DSM-V ist nicht eindeutig erfüllt. Nach übereinstimmender Ansicht beider Gutachter liegt keine Unfähigkeit, sich an wichtige Merkmale des traumatischen Erlebnisses zu erinnern, vor. Auch andauernde (und oft verzerrte) negative Annahmen von sich selbst oder der Welt (z. B. „Ich bin schlecht“, „Die ganze Welt ist gefährlich“) werden nur eingeschränkt geäußert. Verzerrte Vorwürfe gegen sich selbst oder gegen andere, am traumatischen Erlebnis oder seinen negativen Folgen schuld zu sein, finden sich ebenso nicht, da den Taxifahrer nach der Schilderung des Klägers tatsächlich auch eine Mitschuld trifft. Eine negative Grundstimmung und andauernd negative traumaassoziierte Emotionen (z. B. Angst oder Wut) werden vor allem im Gutachten von Frau Dr. Dr. M2 deutlich. Dr. F1 hat den Kläger hingegen nicht als so deutlich depressiv herabgestimmt wahrgenommen. Vielmehr berichtete der Kläger dort, dass seine Stimmungslage angemessen sei. Er sei nicht depressiv, sondern grübele, wenn er tagsüber nichts zu tun habe. Zudem hat der Unfall tatsächlich zu großen Beeinträchtigungen im Leben des Klägers geführt und die ursprüngliche Lebensgestaltung stark verändert. Die Einschätzung des Klägers, dass der Unfall ihm viel genommen hat, ist daher nicht von der Hand zu weisen und daher nicht verzerrt.

Auch bezüglich des Vorliegens einer Veränderung in Erregung und Reaktionsfähigkeit zeigt sich kein stringentes Bild. Dr. F1 konnte eine Reizbarkeit des Klägers nicht feststellen und auch der Kläger gab an, nicht mehr reizbar zu sein. Früher sei das anders gewesen. Auch für eine übermäßige Wachsamkeit und Schreckhaftigkeit konnte Dr. F1 auf der Befundebene keine Anhaltspunkte finden, ebensowenig für die angegebenen Konzentrationsstörungen des Klägers. Frau Dr. Dr. M2 gibt jedoch an, eine erhöhte Reizbarkeit, Wut und Aggressivität sei auch in der Untersuchungssituation objektivierbar gewesen.

Trotz mehrmaliger Krankenhaus- und Rehabilitationsbehandlungen lassen sich den Akten nach Abschluss der Behandlung im M. Klinikum S2 im Februar 2008 bis zum Widerspruchsverfahren des Klägers im Juli 2010 keine Hinweise auf eine psychische Beeinträchtigung des Klägers entnehmen. Auf Nachfrage gab der Kläger selbst im Juni 2009 an, dass sich sein psychisches Befinden gebessert habe und er sich wohl fühle. Auch um weitere psychotherapeutische Behandlung bemühte er sich in diesem Zeitraum nicht. Soweit Frau Dr. Dr. M2 hierin lediglich einen Mangel der Dokumentation vermutet, vermag dies jedoch nicht zu Gunsten des Klägers, der hierfür die Beweislast trägt, das Vorliegen einer PTBS zu begründen. Die von Frau Dr. Dr. M2 durchgeführten Testverfahren reichen für sich genommen ebenfalls nicht aus, eine PTBS beim Kläger nachzuweisen. Gerade im Rahmen einer Begutachtung kommt der klinischen Befunderhebung maßgebliches Gewicht zu, um die subjektiv vorgetragenen Beschwerden zu objektivieren. Die beim Kläger erhobenen Befunde sowie seine Beschwerdeschilderung haben jedoch gerade kein konsistentes Bild ergeben, dass die Annahme einer PTBS im Vollbeweis sichert.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine höhere Verletztenrente. Versicherte haben Anspruch auf eine Verletztenrente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit in Folge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Der Kläger erhält bereits eine Verletztenrente wegen einer MdE in Höhe von 40 v.H. aufgrund der Unfallfolgen am linken Bein. Er ist damit einem Unterschenkelamputierten mit Verlust des Unterschenkels im unteren Bereich (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 726) gleich gestellt worden. Nach der Kommission der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie entspricht die MdE-Einschätzung einem Verlust eines Unterschenkels mit Versteifung des Kniegelenkes, mit aktueller Prothesenversorgung (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, S. 727). Eine höhere MdE auf chirurgischem Fachgebiet lässt sich nicht begründen. Weitere Unfallfolgen auf psychiatrischem Fachgebiet liegen – wie oben bereits dargestellt – nicht im Vollbeweis vor. Auch für die von Frau Dr. Dr. M2 diagnostizierte mittelschwere Depression ist jedenfalls der Verkehrsunfall nicht wesentliche Bedingung. Denn auch die medizinische Sachverständige geht davon aus, dass Mischursachen vorliegen. Persönlichkeitsstruktur, Enttäuschungen und Brüche im Leben haben bei dem Kläger eine erhöhte Vulnerabilität für eine Depression begründet. Zudem haben auch weitere Faktoren, wie die abgesagte Hochzeit mit seiner Lebensgefährtin und der Jobverlust, die Depression des Klägers mitbedingt. Der Unfall als wesentliche Ursache für die Depression ist daher nicht feststellbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

 

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