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Arbeitsunfall – Voraussetzungen einer Anerkennung psychischer Schäden

Landessozialgericht Hamburg – Az.: L 2 U 24/16 – Beschluss vom 13.06.2018

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch auf die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass eines Arbeitsunfalls vom 28. März 2013 über den 12. Juni 2013 hinaus.

Die 1969 geborene Klägerin war beim Landesbetrieb Gebäudereinigung H. als Reinigungskraft beschäftigt, als sie im Rahmen dieser Tätigkeit am 28. März 2013 in einer Schuldusche ausrutschte und stürzte. Im Bericht des von der Klägerin am selben Tag nach Abbruch der Arbeit aufgesuchten Durchgangsarztes Dr. W. hieß es, sie sei auf den Rücken gefallen und es bestünden schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der Lendenwirbelsäule ohne äußere Verletzungszeichen, ohne Prellmarke und ohne Hämatombildung. Knöcherne Verletzungen lägen nach dem Röntgenergebnis nicht vor. Dr. W. diagnostizierte eine Rückenprellung. Arbeitsfähigkeit bestehe voraussichtlich wieder ab dem 4. April 2013.

In der Unfallanzeige des Arbeitgebers der Klägerin vom 25. April 2013 wurde angegeben, die Klägerin sei auf die linke Seite gefallen und habe sich den Rücken und ihr linkes Knie geprellt.

Die Klägerin, die am 4. April 2013 vorübergehend die Arbeit wieder aufgenommen hatte, stellte sich zunächst am 17. April 2013 wieder bei Dr. W. vor. In seinem Nachschaubericht vom Folgetag berichtete dieser, dass die Klägerin noch über Schmerzen im Lendenwirbelsäulenbereich mit endgradigem Funktionsschmerz klage. Sensomotorische Ausfälle bestünden nicht. Es wurde Krankengymnastik verordnet und Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich 25. April 2013 angenommen.

Bei fortbestehenden Beschwerden suchte die Klägerin am 4. Juni 2013 erneut Dr. W. auf und gab in die linke Hüfte und bis zum Knie ausstrahlende Schmerzen an. Der Durchgangsarzt veranlasste ein MRT der Lendenwirbelsäule, das am 10. Juni 2013 erstellt wurde und keinen Hinweis auf ein posttraumatisches Frakturgeschehen erbrachte. Festgestellt wurden eine Protusion im Bereich L5/S1 mit möglicher Affektion der Nervenwurzel L5 rechts und multisegmentale mittelgradige Facettengelenksarthrosen.

Daraufhin erklärte Dr. W. die Behandlung zu Lasten der gesetzlichen Unfallversicherung mit dem 12. Juni 2013 für beendet. Die weitere Behandlung solle zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgen.

Die Klägerin und ihr Arbeitgeber beendeten das Arbeitsverhältnis aus gesundheitlichen Gründen zum 30. Juni 2013 mit einem Auflösungsvertrag.

Arbeitsunfall - Voraussetzungen einer Anerkennung psychischer Schäden
(Symbolfoto: sirtravelalot/Shutterstock.com)

Unter dem 9. Oktober 2013 berichtete der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H2, dass sich die ihm aufgrund einer längerfristigen Behandlungsepisode von Mai 2007 bis April 2008 bekannte Klägerin am 17. Juni 2013 und dann in der Folge mehrfach bei ihm vorgestellt und über einen Arbeitsunfall vom 28. März 2013 berichtet habe, den sie als Auslöser für ihre erneute schlechte seelische Verfassung sehe. Das klinische Erscheinungsbild, das Dr. H2 einem depressiven Syndrom mit eingeschränkten Möglichkeiten zur adäquaten Schmerzverarbeitung zuordnete, entspreche in etwa dem aus früheren Jahren bekannten. Er schätzte ein, dass sich die körperlichen und seelischen Belastungen beruflicher sowie auch privater Art über die Jahre als zu hoch bzw. für die Klägerin als nicht mehr zu bewältigen erwiesen haben. Es sei ein Antrag auf Erwerbsminderungsrente gestellt worden. Dr. H2 bescheinigte gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse Arbeitsunfähigkeit wegen einer rezidivierenden depressiven Störung bei gegenwärtig mittelgradiger Episode (ICD-10 F 33.1), erwähnte dabei zwar den Arbeitsunfall, weil die Klägerin selbst in diesem den Auslöser ihrer Erkrankung sah, gab aber selbst ausdrücklich nicht an, dass die Arbeitsunfähigkeit auf den Folgen eines Arbeitsunfalles beruhe.

Der Facharzt für Allgemeinmedizin und Hausarzt der Klägerin Dr. S. bescheinigte unter dem 7. Oktober 2013, dass die Klägerin angesichts ihrer besonderen psychosomatischen und degenerativen Erkrankungen in ihrer Lebensqualität in erheblichem Maße eingeschränkt sei und dass sich im Verlauf der zurückliegenden Jahre nichts Wesentliches verändert habe. Durch die diversen Gelenkerkrankungen mit degenerativer Komponente und den kürzlich erlittenen Unfall mit all seinen Folgen sei eher von einer Verschlimmerung des Gesamtbildes auszugehen, wobei sich die psychischen Einflussfaktoren als therapieresistent erwiesen hätten.

Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 18. November 2013 das Vorliegen eines Arbeitsunfalles mit einer verheilten Knieprellung links und einer verheilten Rückenprellung als dessen Folgen sowie unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit bis zum 12. Juni 2013 an. Die wegen der anerkannten Unfallfolgen erforderlichen Maßnahmen der Heilbehandlung seien von ihr übernommen worden. Nicht als Folgen des Arbeitsunfalls anerkannt würden ein depressives Syndrom mit eingeschränkter Schmerzverarbeitung sowie Schlafstörungen.

Am 29. November 2013 legte die Klägerin Widerspruch ein. Nachdem der Beratungsarzt der Beklagten Dr. K. unter dem 16. Dezember 2013 ausgeführt hatte, dass bei klarer Sachlage Unfallfolgen nicht mehr vorlägen und Dr. H2 unter dem 2. Dezember 2013 bestätigt hatte, dass seine Behandlung bisher zulasten der Krankenversicherung gehe, wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 10. März 2014 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 11. April 2014 Klage beim Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 12. Juni 2013 hinaus begehrt. Sie sei bis zu ihrem Arbeitsunfall vom 28. März 2013 erwerbstätig und arbeitsfähig gewesen, seit dem Arbeitsunfall sei sie arbeitsunfähig erkrankt. Der Arbeitsunfall habe bei ihr einen psychischen Schock ausgelöst und verhindere, dass sie wieder einer Arbeit nachgehen könne.

Die Beklagte hat an ihrer den angefochtenen Bescheiden zu Grunde liegenden Auffassung festgehalten, dass unter Berücksichtigung der Art und Schwere des Unfallereignisses, der vorliegenden psychologischen Vorerkrankungen, der festgestellten chirurgischen Unfallfolgen und des Berichtes des Herrn Dr. H2 die Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit wegen der bestehenden psychischen Beschwerden nicht hinreichend wahrscheinlich auf das Unfallereignis vom 28. März 2013 zurückzuführen sei.

Das SG hat Befundberichte verschiedener Behandler der Klägerin eingeholt (Chirurg/Orthopäde Dr. G., Diplom-Psychologin M., Dr. W., Dr. S. und Dr. H2), ein Verzeichnis der Arbeitsunfähigkeitszeiten von der AOK R./ H. sowie die Akte des Versorgungsamtes Hamburg nach dem Schwerbehindertenrecht über die Klägerin beigezogen und weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von dem nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Antrag der Klägerin zum Sachverständigen bestellten Nervenarzt und Psychotherapeuten Dr. S2, der nach Untersuchung der Klägerin am 15. Juli 2015 und 18. August 2015 unter dem 30. August 2015 zu dem Ergebnis gekommen ist, die Klägerin leide unfallbedingt an einer ereignisbezogenen Dysthymia, einer anhaltenden somatoformen Schmerzerlebnisverarbeitungsstörung, einer dissoziativen Sensibilitäts- und Empfindungsstörung und einer peripheren Nervenreizung des Nervus femoralis ramus superfacialis links (Meralgie). Entgegen der vorliegenden Dokumentation habe sich mit großer Wahrscheinlichkeit nach dem Unfall ein großes Hämatom am Oberschenkel der Klägerin gebildet, das wiederum zur Irritation der Schenkelnerven geführt habe, die die Klägerin angstvoll erlebt habe. Er weiche in der Einschätzung der Zusammenhangsfrage auch deshalb von der Einschätzung der Beklagten ab, weil die mangelhafte, Brückensymptome aus dem Intervall bis zum heutigen Beschwerdebild vermissen lassende Dokumentation darüber hinaus unzureichend sei, weil in der Frühphase nach dem Unfallereignis naheliegende Untersuchungen und diagnostische Verfassungen einschließlich einer Frührehabilitation unverständlicherweise unterblieben seien. Seit dem Unfallereignis bestünden durchgängig unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit in Bezug auf die Unfallfolgen sei mit 30 % einzuschätzen.

Nach diesbezüglicher Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26. Mai 2016 als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin habe am 28. März 2013 einen Arbeitsunfall erlitten, bei dem sie sich als Verletzung auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet eine Rückenprellung zugezogen habe, die bis zum 12. Juni 2013 unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit zur Folge gehabt habe. Das Unfallereignis stelle ein eher „harmloses“ Unfallgeschehen dar, bei dem gerade keine erheblichen physikalischen Kräfte auf die Klägerin eingewirkt hätten. Insbesondere hätten Frakturen ausgeschlossen werden können. Die Rückenprellung sei bis zum 12. Juni 2013 folgenlos ausgeheilt, wie dies die behandelnden Ärzte und Gutachter bestätigt hätten. Danach könnten keine Unfallfolgen mehr festgestellt werden, insbesondere auch keine Gesundheitserst- oder -folgeschäden auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet. Zwar leide die Klägerin an einer psychiatrischen Erkrankung, die Dr. H2 therapiere. Diese sei aber nicht auf das Unfallereignis vom 28. März 2013 zurückzuführen. Es handle sich insoweit um unfallunabhängige und insbesondere vorbestehende Gesundheitsstörungen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei es zur Feststellung des Gesundheits-erst-schadens erforderlich, dass dieser anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes festgestellt werde. Hierfür seien die gültigen Diagnose-Manuale (ICD-10 oder DSM-IV (mittlerweile –V)) anzuwenden (Hinweis auf BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R, juris). Insoweit müsse bei der Feststellung der unfallbedingten Gesundheitsschäden unterschieden werden, welche Arten von Gesundheitserst- bzw. -folgeschäden ein Kläger geltend mache. Bei orthopädisch-chirurgischen Leiden müssten pathologische Körperveränderungen ereignisnah vorliegen, bei psychischen Unfallfolgen müsse regelmäßig ein so genannter seelischer Gesundheitserstschaden nachgewiesen sein, der einen seelischen und damit traumatischen Krankheitsprozess in Gang setzen bzw. unterhalten könne. Der Nachweis eines (zeitnahen) seelischen Gesundheitserstschadens zu dem versicherten Ereignis vom 28. März 2013 sei nicht erbracht. Es seien aus den ärztlichen Berichten keine psychischen Auffälligkeiten abzuleiten, die einen seelischen Erstschaden nachweisen könnten. Die Klägerin habe sich erst nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit durch die Rückenprellung in die psychiatrische Behandlung bei Dr. H2 im Juni 2013 begeben. Dieser habe richtigerweise eine Behandlung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung eingeleitet. Ein psychisch auffälliges Verhalten sei nach dem Unfallereignis nicht dokumentiert und damit nicht nachgewiesen. Da bereits ein seelischer Erstschaden nicht festgestellt werden könne, spiele es für die rechtliche Bewertung keine Rolle, dass die Klägerin eine erhebliche psychische Vorbelastung gehabt habe, die einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 begründe. Diese Vorschäden würden in der sogenannten haftungsbegründenden Kausalität nur geprüft werden, wenn eine Abwägung der Wirkursachen, dem seelischen Erstschaden und den vollbewiesenen Vorschäden, erfolgen müsste. Die geltend gemachten Beschwerden auf psychiatrischem Fachgebiet entsprächen bereits denen, für die der GdB festgestellt worden sei. Das Gericht folge nicht den Ausführungen des Gutachters Dr. S2, denn diese hielten einer kritischen sozialmedizinischen und rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Gutachter habe weder die Befunde aus der Akte des Versorgungsamtes hinreichend berücksichtigt und gewürdigt, noch habe er sich mit der Intensität des Unfallereignisses und einem erforderlichen seelischen Erstschaden auseinandergesetzt. Die bloße gutachterliche Behauptung, das Unfallereignis sei „wesentliche Bedingung“ reiche insoweit nicht aus, um die unfallversicherungsrechtliche Kausalität in Abwägung zu den anderen vorliegenden Ursachen zu begründen.

Gegen diesen, ihrem damaligen Prozessbevollmächtigten am 2. Juni 2016 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 22. Juni 2016 eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie rügt, die sie behandelnden Ärzte seien gar nach einem seelischen Erstschaden gefragt worden. Diese hätten daher allgemein über ihre Behandlung berichtet. Im Befundbericht des von einer Behandlungsunterbrechung von mehr als 5 Jahren vor der Wiedervorstellung am 17. Juni 2013 berichtenden Dr. H2 vom 7. Januar 2015 finde sich ein Hinweis auf einen seelischen Erstschaden. Hierzu legt die Klägerin eine Stellungnahme dieses Arztes zur Vorlage bei der Deutschen Rentenversicherung Nord vom 1. September 2016 vor. Schließlich hält sie das von Dr. S2 erstellte Sachverständigengutachten für schlüssig. Ihre Ressourcen hätten nicht ausgereicht, um die Folgen des Arbeitsunfalls zu bewältigen. Eine depressive Erkrankung könne auch schleichend einsetzen.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 26. Mai 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 18. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. März 2014 zu verurteilen, ihr aus Anlass des Arbeitsunfalls vom 28. März 2013 Leistung der gesetzlichen Unfallversicherung über den 12. Juni 2013 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für schlüssig und nachvollziehbar.

Der anfänglich für das Berufungsverfahren zuständige 3. Senat des Landessozialgerichts hat Befundberichte von Behandlern der Klägerin angefordert (Internist Dr. E., Dr. G., Diplom-Psychologin Dr. S1, Dr. H2) und weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von dem Neurologen und Psychiater Dr. H1, der nach Untersuchung der Klägerin am 27. Juli 2017 unter dem 30. Oktober 2017 zu der Einschätzung gelangt ist, dass die Klägerin sich bei dem zu diskutierenden Arbeitsunfall keine relevanten, zumal keine schwerwiegenden körperlichen Verletzungen zugezogen habe. Die ihr zugebilligte Rückenprellung sei bis zum 12. Juni 2013 ausgeheilt. Weder diese noch eine Knieprellung seien geeignet, eine ausgeprägtere und/oder länger andauernde psychoreaktive Störung auszulösen. Entsprechend sei auch ein, zumal zeitnaher, psychischer Erstschaden nicht belegt. Die bei der Klägerin seitens verschiedener Untersucher festgestellte chronifizierte, letztlich progrediente depressive Symptomatik weise zu dem einen Crescendo-Charakter im Verlauf auf. Dieser spreche für unfallunabhängige Faktoren. Entsprechend sei schon zu verschiedenen früheren Zeitpunkten auf die diversen psychosozialen Belastungsfaktoren in der Lebensgeschichte und Biografie der Klägerin hingewiesen worden, die letztlich die Ursache darstellten für die Kombination psychischer Gesundheitsstörungen, die zu verschiedenen Zeitpunkten mit unterschiedlichen Diagnosen belegt worden seien, letztlich aber mündeten in einer chronifizierten Dysthymie mit somatoformer Symptomatik auf der Basis einer emotional instabilen und abhängigen Persönlichkeitsstruktur. Dem schon aus formalen, strukturellen Gesichtspunkten äußerst diskussionswürdigen Gutachten des Dr. S2 könne aus mehreren Gründen nicht gefolgt werden. Dessen Schlussfolgerungen seien nicht schlüssig, zumal er selbst feststelle, dass Brückensymptome aus dem Intervall zwischen dem Unfallereignis und dem aktuellen Beschwerdebild fehlten. Auch berücksichtige er bei der Diskussion möglicher Ursachen für die Irritation der Schenkelnerven lediglich ein mit großer Wahrscheinlichkeit bei der Erstuntersuchung und folgenden Durchgangsarztberichten übersehenes, links von der Hüfte ausgehendes Hämatom in den tiefen Weichteilen, diskutiere aber einen typischen Risiko-bzw. Auslöserfaktor für eine entsprechende Symptomatik nicht, nämlich die zum Zeitpunkt der damaligen Untersuchung mit einem BMI von 28,84 vorliegende Adipositas der Klägerin.

Die Klägerin hat die aus ihrer Sicht gerade im Vergleich zu derjenigen bei Dr. S2 oberflächliche und unangemessen kurze Untersuchung durch Dr. H1 kritisiert und darauf hingewiesen, dass sich ihr Gesundheitszustand nicht gebessert habe, sie sich nach wie vor in verhaltenstherapeutischer Behandlung befinde.

Der nunmehr zuständige erkennende Senat hat eine ergänzende Stellungnahme von Dr. H1 sowie einen Folgebefundbericht von der Diplom-Psychologin Dr. S1 eingeholt und durch Beschluss vom 20. Dezember 2017 die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet (§ 153 Abs. 5 SGG).

Der Senat hat in der Besetzung mit dem Berichterstatter und zwei ehrenamtlichen Richtern über die Berufung am 13. Juni 2018 mündlich verhandelt. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Sitzungsniederschrift ebenso Bezug genommen wie auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Prozessakte und der ausweislich der Sitzungsniederschrift beigezogenen Akten und Unterlagen.

Entscheidungsgründe

Die statthafte (§§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§§ 105 Abs. 2 Satz 1, 151 SGG) eingelegte Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen, auf die gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen wird.

Weder hat die Klägerin mit ihrer Berufung etwas vorgetragen, was Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung gäbe, noch haben die im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen Derartiges ergeben.

Der rechtlichen Bewertung durch das Gericht können ausschließlich zu dessen voller Überzeugung, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehende Tatsachen zu Grunde gelegt werden, lediglich bezüglich etwaiger Ursachenzusammenhänge reicht es aus, wenn mehr dafür als dagegen spricht, ein solcher also wahrscheinlich ist (vgl. zu diesen Maßstäben nur BSG, Urteil vom 27. Juni 2017 – B 2 U 17/15 R, juris) …

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist davon auszugehen, dass die Klägerin bei dem angeschuldigten Ereignis vom 28. März 2013 allenfalls die bereits vom erstbehandelnden Durchgangsarzt Dr. W. diagnostizierte und von der Beklagten als Unfallfolge anerkannte Rückenprellung erlitt. Diese war spätestens am 12. Juni 2013 mit dem Abbruch der Behandlung zulasten der gesetzlichen Unfallversicherung durch Dr. W. ausgeheilt. Die „relative Harmlosigkeit“ der etwaigen Prellung folgt daraus, dass sie keinerlei ärztlicherseits festgestellten äußeren Verletzungszeichen hinterließ, die Klägerin wenige Tage nach dem Sturz ihre Arbeit zunächst wieder aufnahm und sich dann erst etwa zwei Wochen später wieder beim Arzt vorstellte.

Entsprechendes gilt für die ebenfalls durch die Beklagte als Unfallfolge anerkannte leichte Knieprellung links, wobei an dieser Diagnose noch mehr Zweifel bestehen, weil diesbezüglich erstmals am 4. Juni 2013 Beschwerdeangaben durch die Klägerin gemacht wurden und sie gleichzeitig bereits im Dezember des Vorjahres wegen eines Kniegelenksergusses links behandelt worden war.

Die von Dr. S2 beschriebene und als Unfallfolge angesehene Nervenschädigung kann jedenfalls dem Unfall nicht ursächlich zugerechnet werden. Dr. S2 nennt als allein denkbare, aus dem Unfall resultierende Ursache einen übersehenen ausgedehnten Bluterguss, der mit großer Wahrscheinlichkeit vorgelegen haben müsse. Diese Schlussfolgerung ist aus rechtlicher Sicht schon deshalb unzulässig, weil das Vorliegen eines solchen Blutergusses zu keinem Zeitpunkt dokumentiert wurde, die zeitnächste Schilderung des Unfallhergangs bei Dr. W. eine solche Verletzung nicht erklären könnte und diese daher nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellbar ist, wie auch Dr. S2 selbst einräumt, wenn er lediglich von großer Wahrscheinlichkeit spricht. Deshalb kommt es auch nicht mehr darauf an, ob nicht mit Dr. H1 vielmehr die damals bestehende Adipositas der Klägerin als Ursache für eine etwaige Nervenschädigung in Betracht zu ziehen ist.

Die allenfalls feststellbaren körperlichen Unfallfolgen sind von ihrer Schwere her nicht geeignet, eine andauernde psychische Störung auszulösen, wie Dr. H1 überzeugend ausgeführt hat. Dies gilt auch für den Unfallhergang selbst. Daneben weisen das SG und Dr. H1 zu Recht darauf hin, dass zeitnah zum Unfallereignis kein psychischer Erstschaden festgestellt wurde. Die erste psychische Auffälligkeit wurde für einen Zeitpunkt etwa drei Monate nach dem Unfall im Rahmen der Vorstellung bei Dr. H2 am 17. Juni 2013 erwähnt, also einem Zeitpunkt, nachdem die Behandlung zulasten der gesetzlichen Unfallversicherung beendet und das Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 30. Juni 2013 aufgelöst worden war. Auch Dr. S2, der den aus vorgenannten Gründen entgegen seiner Auffassung nicht dem Unfallereignis kausal zuzuordnenden Nervenschaden als Angst auslösend und damit wesentlich ursächlich für die depressive Erkrankung ansieht, stellt fest, dass es an Brückensymptomen fehle.

Hinzu kommt, dass das nach dem 17. Juni 2013 bis heute dokumentierte fortschreitende Beschwerdebild in psychischer Hinsicht demjenigen entspricht, das ausweislich der Berichte des Dr. H2 von ihm bereits in den Jahren 2007 und 2008 im Rahmen langjähriger familiärer und Ehekonflikte behandelt worden war. Auch das Versorgungsamt stellt ausdrücklich keine wesentliche Änderung des Zustandes der Klägerin vor und nach dem Unfall fest, wenn es bereits zu einem früheren Zeitpunkt im Wesentlichen aufgrund der psychischen Erkrankung mit Angst, Depression und Schlafstörungen sowie Unruhe im Rahmen langjähriger Familien- und Ehekonflikte als maßgebliche Ursache einen GdB von 40 festgestellt hatte und nach dem Unfall bis heute eine Erhöhung des GdB-Grades mit der Begründung ablehnt(e), es sei keine wesentliche Änderung eingetreten. Auch der Hausarzt der Klägerin Dr. S. beschreibt ein seit Jahren, auch schon lange vor dem Unfall im Wesentlichen gleiches Beschwerdebild mit therapieresistenten psychischen Einflussfaktoren. Schließlich liegt auch der Ablehnung der beantragten Rente wegen Erwerbsminderung durch die Deutsche Rentenversicherung Nord die Diagnose einer Anpassungsstörung nach langjährigem Ehekonflikt zu Grunde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

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