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Ausschluss studentischer Krankenversicherung über das 30. Lebensjahr hinaus

Landessozialgericht Hamburg – Az.: L 1 KR 154/19 – Urteil vom 28.05.2020

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Im Streit ist das Bestehen der Versicherungspflicht des Klägers in der Krankenversicherung der Studenten (KVdS) nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch (SGB V) – und damit der Mitgliedschaft bei der Beklagten – über das Ende des Hochschulsemesters hinaus, in dem dieser das 30. Lebensjahr vollendete.

Der am … Mai 1984 geborene Kläger absolvierte nach seinem Mittleren Schulabschluss im Jahr 2001 vom 11. September 2001 bis zum 18. Juli 2003 eine Berufsausbildung, die Voraussetzung für seinen Besuch der Berufsoberschule vom 9. September 2003 bis zum 23. Juli 2004 mit Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung war. Nach seinem daran anschließenden Zivildienst vom 1. September 2004 bis zum 31. Mai 2005 begann der Kläger am 1. Oktober 2005 ein Mathematik-Studium, das er am 31. August 2007 ohne Abschluss beendete. Ebenfalls ohne Abschluss studierte er vom 1. Oktober 2007 bis zum 30. September 2011 Umwelttechnik. Zum Wintersemester 2011/2012 begann der Kläger ein Informatik- Bachelor-Studium an der Fachhochschule A. und hatte – und hat seither – seinen Wohnsitz in den Niederlanden und war als in der KVdS Versicherungspflichtiger Mitglied der Beklagten.

Mit Bescheid vom 18. Juni 2014 stellte die Beklagte nach vorheriger Anhörung des Klägers das Ende von dessen Versicherungspflicht in der KVdS mit Ablauf des Semesters am 31. August 2014 fest. Die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Versicherungspflicht über das – am 5. Mai 2014 vollendete – 30. Lebensjahr hinaus lägen nicht vor.

Der Kläger legte am 16. Juli 2014 Widerspruch ein und gab an, dass er davon ausgegangen sei, dass bereits seine Art der Ausbildung und insbesondere der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen über den Zweiten Bildungsweg sowie das Ableisten des Zivildienstes ein Fortbestehen der KVdS nach Überschreiten der Altersgrenze rechtfertigten. Daneben hätten ihn „persönliche Gründe“ davon abgehalten, das Studium erfolgreich durchzuführen. So sei er fälschlicherweise einer Ordnungswidrigkeit beschuldigt worden und seit 2006 regelmäßig Gegenstand von Ermittlungen der bayerischen Justiz gewesen.

Unter dem 13. August 2014 stellte die Beklagte fest, dass es beim Ende der KVdS am 31. August 2014 bleibe. Die vom Kläger genannten „persönlichen Gründe“ könnten nicht für die Verlängerung der KVdS herangezogen werden. Die Zeiten des Erwerbs des Hochschulabschlusses im Zweiten Bildungsweg seien grundsätzlich zu berücksichtigen. Der Kläger habe jedoch zwei Studiengänge abgebrochen, und die auf die abgebrochenen Studiengänge entfallenden Zeiten seien zusammen länger als die Zeit, die er für den Zweiten Bildungsweg benötigt habe, sodass eine Verlängerung der KVdS auch aus diesem Grund nicht möglich sei.

Da der Kläger keine freiwillige Weiterversicherung bei der Beklagten beantragte, meldete Letztere dem niederländischen Krankenversicherungsträger den Wegfall des Sachleistungsanspruchs bei Krankheit, woraufhin der Träger des Wohnorts den Kläger mit Wirkung ab 1. September 2014 als versichert eintrug.

Der Kläger hielt an seinem Widerspruch fest und verwies darauf, dass er zur Finanzierung seines Lebensunterhalts auf gelegentliche Hilfsjobs angewiesen sei, die er insbesondere in A. finden könne. Er bitte um Erläuterung, wie er als Student mit niederländischer Krankenversicherung eine Arbeit in Deutschland aufnehmen könne und welcher Krankenversicherungsschutz dann bestehen solle. Dies könne seiner Auffassung nach nur die KVdS sein.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 8. März 2016 als unbegründet zurück. Nicht jeder der in § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V genannten Hinderungsgründe ziehe tatsächlich eine Verlängerung der Versicherungspflicht nach sich. Der Gesetzgeber habe bei der Einführung der beitragsgünstigen studentischen Krankenversicherung den besonderen wirtschaftlichen Belangen der Studenten Rechnung tragen wollen. Diese Begünstigung sei nur für einen begrenzten Zeitraum zulässig. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die Gründe, die eine Verlängerung der Versicherungspflicht rechtfertigten, eng auszulegen seien. Hinderungsgründe rechtfertigten die Fortsetzung der KVdS nur dann, wenn sie für die Überschreitung der Alters- oder Semestergrenze ursächlich gewesen seien. Die von dem Kläger angeführten Strafverfahren und Gerichtsverhandlungen seien keine Hinderungsgründe im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 9 HS 2 SGB V. Die grundsätzlich berücksichtigungsfähigen Hinderungszeiten (Zweiter Bildungsweg, Zivildienst) seien nicht ursächlich dafür, dass das Studium nicht vor Vollendung des 30. Lebensjahres des Klägers habe abgeschlossen werden können, weil die Nichthinderungszeiten (nicht berücksichtigungsfähige Zeiträume, die für abgebrochene Studiengänge in Anspruch genommen worden seien) diese überwögen.

Am 8. Juni 2016 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und die Feststellung des Bestehens von Versicherungspflicht in der KVdS sowie der Mitgliedschaft bei der Beklagten über den 31. August 2014 hinaus begehrt.

Er hat sein vorgerichtliches Vorbringen wiederholt und vertieft, dabei bekräftigt, dass er wegen diverser gegen ihn geführter polizeilicher Ermittlungen und Gerichtsprozesse, Studiengebühren, des Nichterhalts staatlicher Förderung sowie einer von der Beklagten durch Meldung der Beendigung der Versicherung des Klägers bei ihr verschuldeten Exmatrikulationsandrohung unter enormen physischen und psychischen Belastungen gestanden habe. Er hat ergänzt, dass § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V zudem keine Systematik der Aberkennung vorhandener Verlängerungstatbestände kenne. Außerdem stelle die Begrenzung auf 30 Jahre eine Altersdiskriminierung nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b) der Richtlinie (RL) 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Richtlinie 2000/78) dar. Wenn es für Studierende eine Altersgrenze gebe, müsse eine solche auch für Rentner, Arbeitnehmer und freiwillig Versicherte gelten.

Das SG hat die Klage nach Zustimmung der Beteiligten zur Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) unter dem 30. September 2019 abgewiesen.

Die zulässige Anfechtungs- und Feststellungsklage sei unbegründet. Der Kläger sei über den 31. August 2014 hinaus nicht als Student versicherungspflichtig gewesen. Die beim Kläger vorliegenden Hinderungsgründe seien nicht ursächlich für das Überschreiten der im Einklang mit höherrangigem Recht stehenden Altersgrenze gewesen.

Die neun Monate Zivildienst des Klägers stellten ebenso einen Hinderungsgrund im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V dar wie die Zeit für den vom Kläger beschrittenen Zweiten Bildungsweg, wobei hierunter nicht nur die Zeit der Berufsoberschule (rund 10 Monate), sondern auch die für die Zulassung zur Berufsoberschule notwendige Berufsausbildung des Klägers (etwa 22 Monate) falle.

Die Zeiten der dem Informatik-Studium vorangegangenen Studiengänge (Mathematik und Umwelttechnik) zählten indes nicht zu den Hinderungsgründen. Die Art der Ausbildung rechtfertige eine längere Versicherungspflicht als Student, wenn es sich um einen sehr zeitaufwändigen und langwierigen Studienabschluss handele, was in ungewöhnlichen Studiengängen der Fall sein könne oder wenn der Abschluss ein mehrgleisiges Studium oder ein Aufbaustudium erfordere (Hinweis auf Bayerisches Landessozialgericht <LSG>, Urteil vom 9. November 2000 – L 4 KR 171/98, juris). Eines vorhergehenden (Mathematik- oder Umwelttechnik-)Studiums bedürfe es für das jetzige Studium des Klägers (Informatik) nicht. Auch sei das Studium der Informatik zum Bachelor an Fachhochschulen mit einer Regelstudienzeit von 6 Semestern bzw. 7 Semestern mit Praxissemester selbst nicht ungewöhnlich, zeitaufwändig oder langwierig. Weitere familiäre oder sonstige persönliche Hinderungsgründe für das Überschreiten der Altersgrenze erkenne die Kammer nicht. Hinderungsgründe müssten nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Allgemeinen von solcher Art und solchem Gewicht sein, dass sie nicht nur aus der Sicht des Einzelnen, sondern auch bei objektiver Betrachtungsweise die Aufnahme eines Studiums oder einen Abschluss verhinderten oder als unzumutbar erscheinen ließen (Hinweis auf BSG, Urteil vom 30. September 1992 – 12 RK 40/91, juris). Insbesondere die gegen den Kläger geführten Prozesse seien keine derartigen Hindernisgründe. Wenn der Kläger beispielsweise vortrage, er habe an einer Prüfung nicht teilnehmen können, weil er eine Woche vorher von der Polizei untersucht worden sei, möge dies subjektiv als belastend empfunden worden sein. Objektiv sei der Kläger, da er nicht vortrage, an dem Tag der Prüfung in Untersuchungshaft gewesen zu sein, jedoch nicht gehindert gewesen, die Prüfung zu absolvieren. Insgesamt sei der Kläger bis auf die etwaigen Hauptverhandlungstermine durch die Prozesse nicht am Studieren gehindert gewesen. Auch soweit der Kläger die Verpflichtung zur Zahlung von Studiengebühren, den Nichterhalt von staatlicher Förderung und die Exmatrikulationsandrohung wegen nicht nachgewiesener Krankenversicherung ebenso als belastend empfunden habe, hätten objektiv keine konkreten Hinderungsgründe bestanden. Ähnliches gelte für die transnationale Hochschulreform „Bologna“. Dass und gegebenenfalls wie die Bologna-Reform beim Kläger ernstlich zu einem Überschreiten der Altersgrenze in der Krankenversicherungspflicht als Student geführt haben könnte, trage er schon nicht substantiiert vor.

Die vorliegenden Hinderungsgründe (Zivildienst und gesamter Zweiter Bildungsweg) seien hingegen nicht ursächlich für das Überschreiten der Altersgrenze gewesen. Obgleich die Hinderungsgründe, anders als der Kläger meine, nicht „aberkannt“ würden, führe das Vorliegen von Hinderungsgründen nicht zwangsläufig zu einem Hinausschieben der Altersgrenze (Hinweis auf SG Kassel, Beschluss vom 30. November 2017 – S 8 KR 23/17 ER, juris). Bei einem Nebeneinander von Hinderungs- und Nichthinderungszeiten sei die Altersgrenze nicht ohne weiteres um die Zeit von Semestern hinauszuschieben, in der Hinderungsgründe vorgelegen hätten, weil dann die erforderliche Ursächlichkeit des Hinderungsgrundes für den späten Studienbeginn nicht geprüft, sondern als gegeben unterstellt würde (Hinweis auf BSG, Urteil vom 30. Juni 1993, 12 RK 6/93, juris). Insgesamt sei die Länge der Studienzeit des Klägers durch den zweifachen Studienplatzwechsel geprägt. Die Zeit der vorangegangenen Studiengänge habe knapp sieben Jahre in Anspruch genommen und sei in der Zusammenschau ursächlich für das Überschreiten der Altersgrenze gewesen, nicht aber der vorangegangene Zivildienst und der Besuch der Einrichtung des Zweiten Bildungsweges mit insgesamt nur rund drei Jahren.

Nach Überzeugung der Kammer verstoße die Altersgrenze in § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V nicht gegen höherrangiges Recht. Eine Unionsrechtswidrigkeit könne die Kammer nicht erkennen. Selbst wenn davon ausginge, dass der Regelungsbereich der RL 2000/78/EG eröffnet wäre, weil der Kläger wegen seiner auf dem Ende der Krankenversicherungspflicht als Student beruhenden niederländischen Krankenversicherung keine Studentenjobs in Deutschland annehmen könnte und man daher der Altersgrenze des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V eine diskriminierende Wirkung beimessen würde, so wäre die Differenzierung nach dem Alter dennoch durch ein legitimes Gemeinwohlinteresse gerechtfertigt. Denn die Begrenzung der beitragsermäßigten, günstigen Pflichtversicherung auf unter Dreißigjährige bzw. auf solche Studenten, die das vierzehnte Fachsemester noch nicht überschritten hätten, diene der Missbrauchsabwehr bei Langzeitstudenten, denen ein ernsthafter Wille zur Beendigung des Studiums fehle (Hinweis auf LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. Juni 2010 – L 16 KR 271/09, juris). Auch einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), das Grundrecht auf freie Berufswahl aus Art. 12 Abs. 1 GG oder das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG könne die Kammer nicht erkennen. Das BSG habe bereits wiederholt entschieden, dass die mit einer nur engen Ausnahmeregelung versehene Begrenzung der KVdS auf das Höchstalter von 30 Jahren nicht verfassungswidrig sei (Hinweis auf BSG, Urteil vom 15. Oktober 2014 – B 12 KR 1/13 R, juris). Studenten wie der Kläger könnten sich, wenn auch zu höheren Beiträgen, freiwillig weiterversichern. Dem schließe sich die Kammer an. Anders als der Kläger meine, dürften andere nach § 5 Abs. 1 SGB V Versicherungspflichtige, etwa Arbeitnehmer oder Rentner, und freiwillig Versicherte nach den Maßstäben des Art. 3 GG anders behandelt werden als Studierende, wobei Gründe für eine Gleichbehandlung mittels Altersgrenze vom Kläger schon nicht genannt würden und für die Kammer auch nicht erkennbar seien.

Gegen dieses, ihm am 9. Oktober 2019 an seinem niederländischen Wohnsitz zugestellte Urteil richtet sich die am 17. Dezember 2019 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er unter Aufrechterhaltung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens eine Vorlage des Rechtsstreits beim Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG und ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof anregt.

Er sieht sich wegen seines Alters und wegen seines Geschlechts (keine Verlängerung um die Zeit des Zivildienstes, den nicht der Wehrpflicht unterliegende Frauen nicht hätten ableisten müssen) ungerechtfertigt benachteiligt und meint, er hätte ohne Mitgliedschaft in der KVdS in Deutschland an seinem Studienort A. keine Arbeit aufnehmen können (Hinweis auf Art. 11 Abs. 3a der Verordnung <VO> <EG> Nr. 883/2004). Es sei mit Blick auf Art. 14 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 fraglich, ob er überhaupt einer freiwilligen Versicherung hätte beitreten können, wie das SG meine. Wegen seines Wohnsitzes in den Niederlanden habe er auch nicht unter die Auffangversicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V fallen können, wodurch er durch die Anwendbarkeit von § 240 SGB V nach dem dortigen Abs. 4 faktisch nur die niedrigen Beiträge der KVdS hätte zahlen müssen wie Inländer oder EU-Bürger mit Wohnsitz in Deutschland als Studenten an einer ausländischen Hochschule, weil insoweit keine Altersgrenze existiere.

Der Kläger äußert darüber hinaus die Ansicht, dass die Regelung über die Altersgrenze bereits deshalb verfassungswidrig sei, weil der Bund im Hochschulbereich zu einer außerordentlich zurückhaltenden Gesetzgebung verpflichtet sei und insoweit durch die Verknüpfung mit § 254 SGB V und einer möglichen Exmatrikulation als massivem Grundrechtseingriff keine Gesetzgebungskompetenz nach dem GG besitze. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung sehe er auch darin, dass bei nicht versicherungspflichtigen Studenten keine Meldung der Krankenkasse an die Hochschulen erfolge und diese deshalb die Rückmeldung auch nicht verweigerten (Hinweis auf alte Meldeverordnung bzw. ab 1. Januar 2020 § 199a Abs. 5 SGB V). Darüber hinaus habe es der Beklagten an einer Rechtsgrundlage für die Beendigung der Mitgliedschaft gefehlt. § 190 Abs. 9 SGB V gelte erst seit dem 1. Januar 2020.

Schließlich regt der Kläger an, ein Gutachten zu der Frage einzuholen, inwieweit die Prohibition von Cannabis für den Einzelnen durch strafrechtliche Verfolgung bei zu überprüfender Wirksamkeit des Betäubungsmittelgesetzes, Problemen mit Führerschein und Arbeitsplatzverlust etc. Schäden nach sich ziehe, die sich negativ auf den Studienverlauf auswirkten, was bei ihm in erheblichem, vom Kläger näher dargelegten Umfang der Fall gewesen sei.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 30. September 2019 sowie die Bescheide der Beklagten vom 18. Juni 2014 und 13. August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. März 2016 aufzuheben und festzustellen, dass seine Versicherungspflicht in der KVdS über den 31. August 2014 hinaus besteht.

Die Beklagte beantragt ebenfalls schriftsätzlich, die Berufung zurückzuweisen.

Sie vermag dem Vortrag des Klägers nichts Neues zu entnehmen und nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten.

Entscheidungsgründe

Der Senat kann durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erteilt haben (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>).

Die statthafte (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen, auf die gemäß § 153 Abs. 2 SGG mit der Maßgabe Bezug genommen wird, dass die Gesamtdauer der Nichthinderungszeiten in Gestalt der dem Informatik-Studium vorangegangenen Studiengänge nicht knapp sieben, sondern knapp sechs Jahre betrug und diejenige der grundsätzlich berücksichtigungsfähigen Hinderungszeiten in Gestalt des Zivildienstes und des Zweiten Bildungsweges nicht nur rund drei, sondern knapp dreieinhalb Jahre, was jedoch nichts daran ändert, dass angesichts des deutlichen Überwiegens der Nichthinderungszeiten eine Kausalität der Hinderungszeiten nicht festgestellt werden kann (vgl. hierzu sowie zum Erfordernis der engen Auslegung der Ausnahmetatbestände des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V nur: BSG, Urteil vom 30. September 1992 – 12 RK 50/91, SozR 3-2500 § 5 Nr. 6; Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, Werksstand 02/19, § 5 Rn. 373, 375, 389 m.w.N.).

Mit seiner Berufung hat der Kläger nichts vorgetragen, was zu Zweifeln an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils Anlass gäbe. Der Senat sieht weder einen Anlass, den Rechtsstreit auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof oder dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, noch, ein Sachverständigengutachten einzuholen, wobei Letzteres schon wegen der gebotenen objektiven Betrachtungsweise möglicher Hindernisgründe nicht erforderlich ist, zu denen die – womöglich selbstverschuldeten – Probleme des Klägers mit der Justiz danach nicht gehören, wie die Beklagte im streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid und das SG im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt haben.

Dass die Regelung zur KVdS mit seiner Altersbegrenzung in § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V nicht verfassungswidrig ist, hat das BSG in ständiger Rechtsprechung überzeugend entschieden (s. nur Urteil vom 15. Oktober 2014 – B 12 KR 1/13, SozR 4-2500 § 5 Nr. 25 m.w.N.). Auch eine Diskriminierung wegen des Geschlechts mit Blick auf die Nichtberücksichtigung des vom Kläger abgeleisteten Zivildienstes liegt nicht vor. Denn dieser stellt, wie das SG zu Recht angenommen hat, nach der Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V ja gerade einen Hinderungsgrund dar, der vorliegend aber allein wegen der – fehlenden geschlechtsunabhängigen – Kausalität für die Überschreitung der Altersgrenze im Ergebnis zu keiner Verlängerung der Versicherungspflicht führt. Entsprechendes gölte im Übrigen z.B. für die Schwangerschaft einer weiblichen Studentin, also eine Hinderungszeit, die für Männer nicht in Betracht kommt.

Die Gesetzgebungskompetenz für die Einführung einer Altersgrenze in § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V liegt entgegen der Auffassung des Klägers nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 i.V.m. Art. 72 Abs. 1 GG sehr wohl beim Bund, weil es sich um eine sozialversicherungsrechtliche Regelung handelt. Mögliche mittelbare Auswirkungen im Hochschulbereich, namentlich die Berechtigung zur Immatrikulation bzw. die zwangsweise Exmatrikulation, spielen insoweit keine Rolle, zumal das Bestehen eines Krankenversicherungsschutzes als Voraussetzung für die Einschreibung an einer Hochschule unabhängig vom Bestehen einer gesetzlichen Versicherungspflicht ist; mit dem Bestehen einer freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung oder – nach Befreiung von der Versicherungspflicht – einer privaten Krankenversicherung sind die Einschreibungsvoraussetzungen ebenso erfüllt, und entgegen der Annahme des Klägers würde auch bei deren Fehlen eine Immatrikulation nicht erfolgen bzw. eine Exmatrikulation in Aussicht gestellt. Die tatsächlich im Hinblick auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes verfassungsrechtlich fragwürdige Regelung des § 254 S. 3 SGB V (vgl. Mecke in Becker/Kingreen, SGB V, 6. Aufl. 2018, § 254 Rn. 5 m.w.N.) spielt bei der rechtlichen Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts keine Rolle. Gleiches gilt für die erst seit dem 1. Januar 2020 geltende Regelung des § 199a Abs. 5 SGB V, dem nach Angaben des Klägers eine entsprechend lautende Meldeverordnung vorausging.

Der Vortrag des Klägers, dass er nur bei einem Fortbestehen der studentischen Krankenversicherung bei einem deutschen Träger eine (geringfügige) Beschäftigung in Deutschland hätte aufnehmen können, ist nicht nachvollziehbar. Selbstverständlich können Deutsche mit Wohnsitz im Ausland und dortiger Krankenversicherung und auch EU-Ausländer in Deutschland im Rahmen ihrer Freizügigkeit eine abhängige Beschäftigung ausüben. Dabei kann für das hier vorliegende Verfahren dahingestellt bleiben, ob und gegebenenfalls welche Auswirkungen die Aufnahme einer Beschäftigung für den Krankenversicherungsschutz bzw. das hierauf anzuwendende Recht gehabt hätte. Denn zum einen ist die Beendigung der Pflichtversicherung als Student davon unabhängig und zum anderen übte der Kläger nach seinem Vortrag tatsächlich keine Beschäftigung aus, und fiktive Sachverhalte haben im Nachhinein keine rechtliche Bedeutung. Dennoch sei angemerkt, dass schon fraglich ist, ob die Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung durch einen Studenten überhaupt eine Beschäftigung im Sinne des Art. 1 Buchst. a) damit des Art. 11 Abs. 3 Buchst. a) VO (EG) Nr. 883/2004 dargestellt hätte, weil sie wegen der Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 SGB V unter Umständen nicht als solche Tätigkeit angesehen werden kann, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaates, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird, als solche gilt. Ebenso kann offenbleiben, ob der Verweis in Art. 11 Abs. 3 Buchst. e) VO (EG) Nr. 883/2004 auf die Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats durch Art. 14 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 verdrängt worden wäre, wonach die Art. 11 bis 13 VO (EG) Nr. 883/2004 nicht für die freiwillige Versicherung oder die freiwillige Weiterversicherung gelten, wenn der Kläger sich zu einer solchen durchgerungen hätte, obwohl Art. 14 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 wiederum eine freiwillige Versicherung oder freiwillige Weiterversicherung für Personen ausschließt, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats der Pflichtversicherung in diesem unterliegen, wobei unklar ist, ob es sich bei der niederländischen Versicherung des Klägers um eine Pflichtversicherung handelte.

Nicht richtig ist der Hinweis des Klägers, dass er bei einem Eingreifen der Auffangversicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V durch die Anwendbarkeit von § 240 SGB V nach dem dortigen Abs. 4 faktisch nur die niedrigen Beiträge der KVdS hätte zahlen müssen wie Inländer oder EU-Bürger mit Wohnsitz in Deutschland als Studenten einer Hochschule, weil insoweit keine Altersgrenze existiere. Denn die Altersgrenze nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V gilt entsprechend für diese Personenkreise (Vossen in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Werksstand 104. Ergänzungslieferung September 2019, § 240 Rn. 5; Gerlach in Hauck/Noftz, a.a.O., Werksstand 04/18, § 240 Rn. 168). Das gebietet die gesetzgeberische Intention bei Einführung des § 240 Abs. 4 SGB V, wonach eine beitragsrechtliche Gleichstellung mit – aber keine Privilegierung gegenüber – Studenten an deutschen Hochschulen als erforderlich angesehen wurde (BT-Drs. 16/4247 S. 53 f.).

Anders als der Kläger meint, fehlte es im Jahr 2014 nicht an einer Rechtsgrundlage für die Beendigung seiner Mitgliedschaft, weil § 190 Abs. 9 SGB V erst mit Wirkung ab 1. Januar 2020 eingeführt worden sei. Die Regelung war damals nur anders formuliert und lautete: Die Mitgliedschaft versicherungspflichtiger Studenten endet einen Monat nach Ablauf des Semesters, für das sie sich zuletzt eingeschrieben oder zurückgemeldet haben. Nunmehr heißt es u.a. in dem neuen S. 1, dass die Mitgliedschaft versicherungspflichtiger Studenten erst mit Ablauf des Semesters endet, für das sie sich zuletzt eingeschrieben oder zurückgemeldet haben, wenn sie bis zum Ablauf oder mit Wirkung zum Ablauf dieses Semesters exmatrikuliert worden sind (1.) oder bis zum Ablauf dieses Semesters das 30. Lebensjahr vollendet haben (2.). Hierbei handelt es sich allerdings für diese Sachverhalte, in denen eine verspätete Rückmeldung nicht mehr zu erwarten ist und deshalb der Sinn und Zweck der Verschiebung des Endes der Mitgliedschaft auf einen Zeitpunkt einen Monat nach Ablauf des Semesters, nämlich den Verwaltungsaufwand der Hochschulverwaltungen bei der Verarbeitung verspäteter Semesterrückmeldungen von Studierenden möglichst gering zu halten, lediglich um eine ausdrückliche Klarstellung der auch schon vorher geltenden Rechtslage (BT-Drs. 359/19 S. 60; zur entsprechenden Auslegung des früheren Rechts: Baier in Krauskopf, a.a.O., § 190 Rn. 27), wobei die Frage der Auslegung der alten Regelung in Literatur und Rechtsprechung durchaus umstritten war (vgl. BT-Drs. 359/19 S. 60; Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, Werksstand 07/15, § 190 Rn. 21).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

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