Eine Erzieherin kämpfte für die Anerkennung ihrer bandscheibenbedingten Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule, verursacht durch jahrelange Hebe- und Tragebelastungen. Die entscheidende Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang wurde jedoch anhand eines früheren Befunds an der Halswirbelsäule beantwortet.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Was passiert, wenn der eigene Körper gegen die Anerkennung als Berufskrankheit aussagt?
- Warum reichte die jahrelange schwere Arbeit nicht als Beweis?
- Wie funktioniert das medizinische Regelwerk für Bandscheibenschäden?
- Wie wog das Gericht die widersprüchlichen Gutachten ab?
- Warum pulverisierte ein alter Arztbericht die gesamte Klage?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wann wird meine Bandscheibenerkrankung als Berufskrankheit 2108 anerkannt?
- Warum spricht ein Bandscheibenschaden an der Halswirbelsäule gegen die Anerkennung meiner LWS-Krankheit?
- Wie kann ich gegen die Ablehnung der Berufsgenossenschaft durch eigene Gutachten vorgehen?
- Was passiert, wenn alte medizinische Unterlagen meinen Antrag auf Berufskrankheit gefährden?
- Welche Rolle spielen die Konsensempfehlungen bei der Begutachtung von Bandscheibenschäden?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: L 6 U 1/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
- Datum: 08.11.2024
- Aktenzeichen: L 6 U 1/23
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Berufskrankheiten, Sozialrecht
- Das Problem: Eine langjährige Erzieherin forderte die Anerkennung ihrer Lendenwirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit wegen Hebe- und Tragetätigkeiten. Die Unfallversicherung lehnte dies mit Verweis auf anlagebedingte Schäden ab.
- Die Rechtsfrage: Ist die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule überwiegend auf die langjährigen beruflichen Belastungen der Klägerin zurückzuführen?
- Die Antwort: Nein. Das Gericht verneinte einen überwiegend beruflichen Ursachenzusammenhang. Die medizinischen Gutachten zeigten, dass die Halswirbelsäule früher und stärker erkrankt war.
- Die Bedeutung: Um eine bandscheibenbedingte Berufskrankheit anzuerkennen, müssen die beruflichen Belastungen die Hauptursache sein. Deutlich stärkere Vorschäden an der Halswirbelsäule sprechen nach den medizinischen Kriterien gegen eine Anerkennung.
Der Fall vor Gericht
Was passiert, wenn der eigene Körper gegen die Anerkennung als Berufskrankheit aussagt?
Eine Erzieherin litt nach 40 Jahren im Beruf unter schweren Schäden an der Lendenwirbelsäule. Für sie und ihren Arzt war der Fall eindeutig: eine klassische Berufskrankheit. Doch für die Richter zählte nicht nur der schmerzende Rücken. Sie zogen ein medizinisches Regelwerk heran, das den ganzen Körper als Beweismittel betrachtet. Und dieses Regelwerk offenbarte einen Widerspruch – einen, der im Nacken der Frau verborgen lag.
Warum reichte die jahrelange schwere Arbeit nicht als Beweis?
Vier Jahrzehnte lang hatte die Frau in Kindergärten und Behinderteneinrichtungen gearbeitet. Das ständige Heben und Tragen führte nach ihrer Überzeugung zu den chronischen Schmerzen im unteren Rücken. Ihre Krankenkasse leitete eine Berufskrankheitenanzeige an die zuständige Berufsgenossenschaft weiter. Die Anerkennung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) schien greifbar. Ein von der Genossenschaft beauftragter Chefarzt der Orthopädie, Dr. W., bestätigte den Verdacht. Er sah einen klaren Zusammenhang zwischen Arbeit und Erkrankung.

Die Genossenschaft widersprach. Ihre eigenen Ärzte sahen die Ursache in der Veranlagung der Frau, nicht im Job. Sie lehnte die Anerkennung ab. Der Fall landete vor dem Sozialgericht. Der entscheidende Punkt ist im Sozialgesetzbuch verankert. Eine Krankheit gilt nur dann als Berufskrankheit, wenn sie „infolge“ der versicherten Tätigkeit entstanden ist (§ 9 Abs. 1 SGB VII). Im Klartext bedeutet das: Die berufliche Belastung muss die wesentliche Ursache für den Schaden sein. Eine bloße Möglichkeit reicht nicht aus. Die Klägerin musste beweisen, dass ihr Job mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ für den kaputten Rücken verantwortlich war.
Wie funktioniert das medizinische Regelwerk für Bandscheibenschäden?
Um diese Wahrscheinlichkeit zu bewerten, greifen Gerichte und Gutachter auf ein Standardwerk zurück: die „Medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule“, kurz Konsensempfehlungen. Diese Empfehlungen sind eine Art Checkliste. Sie helfen, berufliche Ursachen von alters- oder anlagebedingtem Verschleiß zu unterscheiden.
Ein zentraler Baustein dieser Prüfung ist der Vergleich verschiedener Wirbelsäulenabschnitte. Die Logik ist einfach: Wenn ein Bereich wie die Lendenwirbelsäule durch den Beruf stark belastet wird, ein anderer wie die Halswirbelsäule aber nicht, dann müssten die Schäden im Lendenbereich deutlich ausgeprägter sein. Zeigt sich hingegen auch an der unbelasteten Halswirbelsäule ein massiver, vielleicht sogar älterer Schaden, spricht das gegen den Job als Hauptursache. Dann liegt der Verdacht einer allgemeinen, anlagebedingten Schwäche des gesamten Wirbelsäulensystems nahe. Genau dieser Vergleich wurde im Fall der Erzieherin zum Dreh- und Angelpunkt.
Wie wog das Gericht die widersprüchlichen Gutachten ab?
Der Prozess entwickelte sich zu einer Schlacht der Experten. Auf der Seite der Klägerin standen zwei Gutachter. Der erste, Dr. W., hatte die Berufskrankheit bejaht. Der zweite, Dr. R., wurde auf Antrag der Klägerin vom Gericht bestellt und kam zum selben Ergebnis. Er argumentierte, die Schäden an der Halswirbelsäule seien auf einen Unfall im Jahr 2005 zurückzuführen und stünden nicht im Zusammenhang mit dem Rückenleiden.
Die Berufsgenossenschaft und das Sozialgericht stützten sich auf einen dritten Gutachter, Dr. D. Er kam zu einem gegenteiligen Schluss. Er analysierte die gesamte Krankengeschichte und ordnete den Fall in die sogenannte Konstellation B 5 der Konsensempfehlungen ein. Diese Konstellation beschreibt Fälle, in denen die Schäden an der Halswirbelsäule mindestens ebenso stark oder sogar stärker sind als an der Lendenwirbelsäule. Das spricht gegen eine berufliche Verursachung des Lendenleidens.
Das Landessozialgericht schloss sich der Argumentation von Dr. D. an. Es zerlegte die Gutachten der Gegenseite Punkt für Punkt. Die Richter stellten fest, dass der erste Gutachter Dr. W. entscheidende ältere Befunde nicht berücksichtigt hatte. Der zweite Gutachter Dr. R. hatte die Halswirbelsäulenprobleme zwar gesehen, sie aber fälschlicherweise auf einen Unfall datiert. Sein Denkfehler wurde offensichtlich.
Warum pulverisierte ein alter Arztbericht die gesamte Klage?
Den Richtern lagen medizinische Unterlagen vor, die weiter zurückreichten als die Gutachten der Klägerseite. Ein Entlassungsbericht aus einer Kurklinik vom August 2003 – also zwei Jahre vor dem angeblichen Unfall – dokumentierte bereits ein Zervikalsyndrom bei Bandscheibenvorfällen in der Halswirbelsäule. Ein MRT der Halswirbelsäule aus dem September 2005 zeigte ausgeprägte Vorfälle mit Einengung des Rückenmarkkanals.
Diese alten Befunde waren der Schlüssel. Sie bewiesen zweifelsfrei: Die Halswirbelsäule der Klägerin war schon früh und schwer geschädigt, bevor die Lendenwirbelsäule in diesem Ausmaß auffällig wurde. Der angebliche Unfall im Jahr 2005 konnte nicht die alleinige Ursache sein. Die Schäden waren schon vorher da.
Damit war der Fall entschieden. Die objektive Befundlage passte exakt zur Konstellation B 5 der Konsensempfehlungen. Der Zustand der Halswirbelsäule sprach gegen die berufliche Belastung als Hauptursache für die Schäden an der Lendenwirbelsäule. Die geforderte „Überwiegende Wahrscheinlichkeit“ für einen beruflichen Zusammenhang war nicht gegeben. Das Landessozialgericht wies die Berufung der Erzieherin zurück.
Die Urteilslogik
Der Nachweis einer beruflich bedingten Bandscheibenerkrankung scheitert regelmäßig am strengen Kausalitätsprinzip, wenn der gesamte Körper eine allgemeine Veranlagung dokumentiert.
- Berufliche Kausalität erfordert Überwiegende Wahrscheinlichkeit: Arbeitnehmer müssen beweisen, dass die berufliche Belastung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die wesentliche Ursache für die bandscheibenbedingte Erkrankung darstellt; eine bloße Möglichkeit oder Mitverursachung genügt zur Anerkennung nicht.
- Systemische Anlagen schließen Berufskrankheit aus: Das Gericht vergleicht bei lokalisierten Belastungserkrankungen die geschädigte, beruflich beanspruchte Wirbelsäulenregion (LWS) zwingend mit unbelasteten Abschnitten (HWS), um festzustellen, ob eine allgemeine, anlagebedingte Schwäche vorliegt, welche die berufliche Verursachung entkräftet.
- Historische Befunde überstimmen selektive Gutachten: Vollständige, ältere medizinische Unterlagen besitzen entscheidendes Gewicht und können die Schlussfolgerungen von Sachverständigen entkräften, wenn sie beweisen, dass die Veranlagung oder Schädigung bereits vor den geltend gemachten beruflichen Belastungen existierte.
Die Anerkennung einer Berufskrankheit verlangt die lückenlose Ausschaltung nicht-beruflicher Ursachen durch eine objektive und umfassende Befundlage.
Benötigen Sie Hilfe?
Wird der ursächliche Zusammenhang Ihrer LWS-Berufskrankheit wegen anderer Schäden angezweifelt? Kontaktieren Sie uns für eine erste rechtliche Einschätzung Ihres Sachverhalts.
Experten Kommentar
Viele glauben, 40 Jahre ständiges Heben reiche automatisch als Beweis für eine LWS-Berufskrankheit. Dieses Urteil zeigt eindrücklich, dass der eigene Körper zum härtesten Beweismittel gegen diesen Anspruch werden kann. Wer die Anerkennung nach der Berufskrankheiten-Verordnung 2108 anstrebt, muss verstehen, dass die Gerichte nicht nur den kaputten unteren Rücken betrachten. Zeigen sich an der durch den Job unbelasteten Halswirbelsäule vergleichbar schwere, alte Schäden, spricht dies massiv gegen den überwiegend beruflichen Ursachenzusammenhang. Für alle Betroffenen bedeutet das: Die vollständige, lückenlose Patientenakte – auch die der HWS – ist strategisch oft wichtiger als die aktuelle Schmerzdiagnose.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wann wird meine Bandscheibenerkrankung als Berufskrankheit 2108 anerkannt?
Die Berufsgenossenschaften lehnen viele Anträge auf die Berufskrankheit 2108 ab, obwohl Betroffene jahrzehntelang schwer körperlich gearbeitet haben. Die bloße Schwere oder Dauer der Tätigkeit reicht für eine Anerkennung nicht aus. Das Gesetz verlangt den Beweis, dass Ihre berufliche Belastung die wesentliche Ursache für den Bandscheibenschaden darstellt. Diese Kausalität muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden (§ 9 Abs. 1 SGB VII).
Gerichte und Gutachter prüfen nicht nur Ihre Schilderungen, sondern analysieren die objektiven medizinischen Befunde der gesamten Wirbelsäule. Sie müssen nachweisen, dass gerade die Lendenwirbelsäule (LWS) spezifisch und deutlich stärker geschädigt wurde als andere, unbelastete Wirbelsäulenabschnitte. Wenn die Sachverständigen einen anlagebedingten Verschleiß des gesamten Wirbelsäulensystems feststellen, drängt diese Veranlagung die berufliche Belastung als Hauptursache in den Hintergrund.
Ein Fall scheitert oft, wenn parallel gleich alte oder stärkere degenerative Schäden im unbelasteten Nackenbereich vorliegen. Dies spricht medizinisch gegen eine primär berufsbedingte Schädigung nur der LWS. Die Beweisführung muss daher über die reine Aufzählung der Hebejahre hinausgehen. Sie müssen die spezifische berufliche Belastung exakt dokumentieren, um den kausalen Zusammenhang zur LWS-Schädigung nach den strengen Konsensempfehlungen zu belegen.
Erstellen Sie sofort eine detaillierte Liste Ihrer beruflichen Tätigkeiten der letzten zehn Jahre, die explizit die Häufigkeit des Hebens, Tragens oder der Zwangshaltung über 25 Kilogramm dokumentiert.
Warum spricht ein Bandscheibenschaden an der Halswirbelsäule gegen die Anerkennung meiner LWS-Krankheit?
Die Berufsgenossenschaften nutzen die Halswirbelsäule (HWS) als eine Art interne Kontrollgruppe für Ihre Lendenwirbelsäule (LWS). Schweres Heben oder Tragen belastet primär die LWS, die HWS hingegen kaum. Finden Gutachter dort gleich massive oder sogar ältere Bandscheibenschäden, sehen sie darin den Beweis für eine allgemeine, anlagebedingte Schwäche des Bindegewebes. Die berufliche Belastung scheidet dann als alleinige Ursache aus.
Diese Logik ist in den medizinischen Konsensempfehlungen festgelegt, die im Sozialrecht angewandt werden. Nur wenn die Schäden an der stark belasteten LWS deutlich stärker ausgeprägt sind als an der unbelasteten HWS, liegt eine überwiegende berufliche Kausalität nahe. Sind die Schäden in beiden Bereichen annähernd gleich stark oder ist der Nackenschaden sogar älter, fällt der Fall unter die kritische Konstellation B 5.
Die Gutachter gehen in diesem Fall davon aus, dass Ihre LWS-Erkrankung ohnehin, unabhängig von der Schwere Ihres Berufs, eingetreten wäre, weil eine Veranlagung vorliegt. Konkret wird angenommen, dass der Verschleiß des gesamten Wirbelsäulensystems der primäre Grund für die Erkrankung ist. Ein Beispiel aus der Rechtsprechung zeigt, dass alte Berichte über ein Zervikalsyndrom die gesamte Klage entkräften können, selbst wenn die LWS-Probleme im Vordergrund stehen.
Überprüfen Sie alle älteren medizinischen Berichte, die Hinweise auf „Zervikalsyndrom“ oder „Degeneration Nacken“ enthalten.
Wie kann ich gegen die Ablehnung der Berufsgenossenschaft durch eigene Gutachten vorgehen?
Wenn die Berufsgenossenschaft Ihr positives Gutachten ablehnt, benötigen Sie ein gerichtsresistentes Gegengutachten. Dieses muss nicht nur die Berufskrankheit bejahen, sondern vor allem die Argumente der Gegenseite proaktiv widerlegen. Ihr Gutachter muss explizit die relevanten Konsensempfehlungen anwenden und alle möglichen Ausschlussgründe entkräften. Andernfalls wird der Bericht vom Gericht als unvollständig bewertet und ist nutzlos im Prozess.
Der zentrale Fehler vieler Gutachten liegt darin, dass sie nur aktuelle Symptome betrachten oder ältere Befunde ignorieren. Ein überzeugendes Gutachten muss zwingend die „Medizinischen Beurteilungskriterien“ heranziehen. Es muss begründen, warum Ihr Fall nicht unter die ausschließende Konstellation B 5 fällt, die bei Schäden an der unbelasteten Halswirbelsäule (HWS) greift. Werden ältere HWS-Befunde ausgelassen oder nicht schlüssig widerlegt, bewertet das Gericht den gesamten Bericht als unvollständig und unglaubwürdig.
Konkret muss der Sachverständige die gesamte Krankengeschichte, einschließlich aller älteren MRT- und Entlassungsberichte, lückenlos einbeziehen. Wenn er einen HWS-Schaden fälschlicherweise einem späteren Unfall zuordnet, obwohl ein alter Bericht dies widerlegt, ist der Nutzen des positiven Gutachtens null. Das Gericht legt die Gutachten der Klägerseite Punkt für Punkt auseinander, wenn sie Widersprüche zu den Akten enthalten. Eine fehlerhafte Datierung oder das Ignorieren von Vorbefunden entwertet die gesamte Argumentationskette.
Beauftragen Sie Ihren Gutachter schriftlich, im Bericht gesondert die HWS-Befunde und deren Würdigung nach Konstellation B 5 detailliert darzulegen.
Was passiert, wenn alte medizinische Unterlagen meinen Antrag auf Berufskrankheit gefährden?
Alte medizinische Unterlagen stellen oft eine erhebliche Gefahr für einen Berufskrankheiten-Antrag dar. Besonders Kur- oder Entlassungsberichte können zum Stolperstein werden, wenn sie unbemerkt frühe Schäden dokumentieren. Diese Dokumente beweisen häufig, dass degenerative Erkrankungen wie Schäden an der Halswirbelsäule bereits lange vor der geltend gemachten beruflichen Belastung existierten. Berufsgenossenschaften nutzen solche Altbefunde konsequent, um eine anlagebedingte Schwäche zu beweisen und die Kausalität zwischen Job und Schaden zu widerlegen.
Frühe, zufällige Dokumentationen gelten vor Gericht als extrem objektiver Beweis. Da sie oft lange vor dem Beginn des Rechtsstreits erstellt wurden, stehen sie nicht unter dem Verdacht, zugunsten des Klägers entstanden zu sein. Wenn die Berufsgenossenschaft später einen solchen Altbefund findet, kann dieser Gutachten der Gegenseite, die von einer unversehrten Wirbelsäule ausgingen, sofort entkräften. Diese Berichte belegen lückenlos, dass eine anlagebedingte Schwäche schon früh im System angelegt war.
Ein konkretes Beispiel zeigt die Tragweite: Stützen Sie die Anerkennung einer Lendenwirbelsäulen-Krankheit auf einen Unfall von 2005, der alte Bericht aber dokumentiert bereits 2003 ein Zervikalsyndrom, ist die Kausalitätskette gebrochen. Dieser frühe Nachweis spricht gegen die berufliche Tätigkeit als wesentliche Ursache, da die anlagebedingte Schwäche des gesamten Wirbelsäulensystems schon vor der maximalen Belastung vorhanden war. Versuchen Sie niemals, solche belastenden Befunde zu verschweigen.
Sichern Sie alle alten Arzt-, Kur- und Entlassungsberichte proaktiv, um diese vor der Antragstellung einem Rechtsanwalt oder Gutachter zur Bewertung vorzulegen.
Welche Rolle spielen die Konsensempfehlungen bei der Begutachtung von Bandscheibenschäden?
Die Konsensempfehlungen sind das zentrale, juristisch anerkannte Standardwerk, das Gutachter und Gerichte zur Bewertung von Bandscheibenschäden heranziehen. Dieses medizinische Regelwerk liefert klare, objektive Kriterien, um die schwierige Unterscheidung zwischen einem berufsbedingten Schaden und einem natürlichen, anlagebedingten Verschleiß zu treffen. Sie objektivieren den Nachweis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der beruflichen Verursachung, die für eine Anerkennung als Berufskrankheit 2108 zwingend erforderlich ist.
Die Regel: Versicherte müssen beweisen, dass die berufliche Belastung die wesentliche Ursache der Erkrankung war. Die Empfehlungen fungieren hierbei als eine Art Checkliste, die festlegt, welche medizinischen Befunde tatsächlich für eine Berufskrankheit sprechen. Ein zentraler Prüfmechanismus ist der Vergleich der Lendenwirbelsäule (LWS) mit unbelasteten Wirbelsäulenabschnitten, wie der Halswirbelsäule (HWS). Nur wenn die Schäden an der LWS deutlich stärker sind, befürwortet dies eine berufliche Kausalität.
Dieses Regelwerk definiert auch spezifische Ausschlusskonstellationen. Nehmen wir an: Ihr Befund fällt unter die Konstellation B 5, weil die HWS-Schäden im Vergleich zu den LWS-Schäden gleich alt oder massiv ausgeprägt sind. Gutachter werten dies als starken Indikator für eine allgemeine, angeborene Schwäche des gesamten Bindegewebes. Die Konsensempfehlungen stellen somit sicher, dass die Entscheidung nicht auf bloßen Schmerzangaben beruht, sondern ausschließlich auf dem Vergleich der objektiven Befundlage der gesamten Wirbelsäule.
Bitten Sie Ihren behandelnden Arzt oder Rechtsanwalt um Einsicht in die aktuellen Konsensempfehlungen, um festzustellen, in welche der beschriebenen Konstellationen (A, B oder C) Ihr Befund realistisch fällt.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Berufskrankheit 2108
Die Berufskrankheit 2108 beschreibt eine spezifische, in der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) gelistete Erkrankung der Lendenwirbelsäule, die nachweislich durch jahrzehntelange schwere Belastung am Arbeitsplatz verursacht wurde.
Das Sozialgesetzbuch gewährleistet, dass Arbeitnehmer für Gesundheitsschäden, die nachweislich aus ihrer versicherten Tätigkeit resultieren, durch die Berufsgenossenschaften entschädigt werden.
Beispiel: Obwohl die Erzieherin 40 Jahre lang schwer gehoben hatte, lehnte die Berufsgenossenschaft die Anerkennung der Berufskrankheit 2108 ab, da anlagebedingte Schäden am gesamten Wirbelsäulensystem vermutet wurden.
Kausalität
Kausalität beschreibt im Sozialrecht den direkten Ursachenzusammenhang, der beweist, dass die versicherte berufliche Tätigkeit die wesentliche Ursache für die eingetretene gesundheitliche Schädigung ist.
Juristen verlangen diesen Nachweis, um eine klare Abgrenzung zwischen beruflich bedingten Leiden und allgemeinem, altersbedingtem Verschleiß zu gewährleisten.
Beispiel: Die Kausalität zwischen dem Heben von Kindern und den Lendenwirbelsäulenschäden musste im Fall der Erzieherin mit stichhaltigen medizinischen Gutachten bewiesen werden.
Konsensempfehlungen
Die Konsensempfehlungen sind ein komplexes medizinisches Regelwerk, auf das Gutachter und Sozialgerichte zurückgreifen, um objektiv zu prüfen, ob ein Bandscheibenschaden tatsächlich beruflich verursacht wurde.
Mithilfe dieser standardisierten Kriterien gelingt es, eine Unterscheidung zwischen anlagebedingtem Verschleiß und einer spezifischen, durch die Arbeit bedingten Schädigung der Lendenwirbelsäule zu treffen.
Beispiel: Das Gericht wandte die Konsensempfehlungen an, indem es die Schäden an der Lendenwirbelsäule der Klägerin mit dem Befund ihrer unbelasteten Halswirbelsäule verglich und so die Konstellation B 5 ermittelte.
Konstellation B 5
Als Konstellation B 5 bezeichnen Gutachter jenen Befund, bei dem die Schäden an der nicht beruflich belasteten Halswirbelsäule gleich stark oder älter sind als die geltend gemachten Schäden an der Lendenwirbelsäule (LWS).
Fällt ein Fall unter diese kritische Konstellation der Konsensempfehlungen, spricht das medizinisch gegen eine berufliche Hauptursache und stark für eine anlagebedingte, generelle Schwäche des gesamten Skelettsystems.
Beispiel: Weil der Entlassungsbericht aus 2003 frühe Bandscheibenschäden am Nacken dokumentierte, ordnete der Sachverständige den Fall in die Konstellation B 5 ein und widerlegte damit die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Berufskrankheit.
Überwiegende Wahrscheinlichkeit
Die überwiegende Wahrscheinlichkeit ist der strenge juristische Maßstab im Sozialrecht, der erfordert, dass die berufliche Verursachung der Krankheit mit mehr als 50 Prozent sichergestellt sein muss.
Das Gesetz schützt die Sozialversicherungsträger davor, lediglich mögliche oder geringfügige Zusammenhänge zwischen Arbeit und Krankheit anerkennen zu müssen; es verlangt vielmehr einen hohen Grad der Gewissheit.
Beispiel: Das Landessozialgericht sah die überwiegende Wahrscheinlichkeit nicht als erfüllt an, da die anlagebedingten Schäden am Nacken der Klägerin die Annahme einer primär beruflich bedingten Schädigung der LWS ausschlossen.
Das vorliegende Urteil
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt – Az.: L 6 U 1/23 – Urteil vom 08.11.2024
* Der vollständige Urteilstext wurde ausgeblendet, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu verbessern. Klicken Sie auf den folgenden Link, um den vollständigen Text einzublenden.


