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Bewilligung von Verletztengeld – Dauer unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit

Verletztengeld nach Unfall: Wie lange dauert die Arbeitsunfähigkeit?

Das Landessozialgericht Hamburg hat im Fall L 2 U 37/21 entschieden, dass der Kläger, ein Unternehmensberater, nach einem Verkehrsunfall keinen weiteren Anspruch auf Verletztengeld über den 30. September 2018 hinaus hat. Trotz seiner geltend gemachten psychischen Beeinträchtigungen wie Posttraumatische Belastungsstörung und Anpassungsstörung folgte das Gericht den Einschätzungen des Sachverständigen, dass eine länger andauernde unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht anzuerkennen sei.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: L 2 U 37/21   >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Der Kläger erlitt am 23. Juni 2018 einen Verkehrsunfall und beanspruchte daraufhin Verletztengeld.
  2. Diagnostiziert wurden eine GehirnerschütterungHWS-Distorsion und später eine Posttraumatische Belastungsstörung.
  3. Die Beklagte zahlte zunächst Vorschüsse auf das Verletztengeld bis 30. September 2018.
  4. Ein Gutachten stellte später fest, dass eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht länger als sechs Wochen anzunehmen sei.
  5. Der Kläger argumentierte gegen das Gutachten, behauptete eine anhaltende Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Unfallfolgen.
  6. Das Gericht stützte sich auf das Gutachten, wonach die psychischen Beeinträchtigungen des Klägers größtenteils schädigungsunabhängig seien.
  7. Die Revision wurde nicht zugelassen, die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
  8. Der Kläger hat somit ab dem 1. Oktober 2018 keinen Anspruch mehr auf Verletztengeld.

Verletztengeld und Arbeitsunfähigkeit: Rechtliche Aspekte

Im Kontext des Sozialrechts spielt die Bewilligung von Verletztengeld eine wesentliche Rolle, besonders wenn es um Fälle von Arbeitsunfähigkeit nach einem Verkehrsunfall geht. Die rechtliche Auseinandersetzung dreht sich häufig um die Frage, inwieweit Unfallfolgen eine Arbeitsunfähigkeit rechtfertigen und wie lange Betroffene Anspruch auf finanzielle Unterstützung durch Verletztengeld haben. Dabei sind sowohl medizinische Gutachten als auch die Bewertung psychischer Beeinträchtigungen entscheidend. Diese Faktoren beeinflussen maßgeblich die Entscheidungen der Sozialgerichte.

Das Verständnis der rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen Verletztengeld gewährt wird, ist für Betroffene und Interessierte gleichermaßen relevant. Dies umfasst die Beurteilung der Dauer der Arbeitsunfähigkeit sowie die Rolle von medizinischen und psychologischen Gutachten im Prozess. Der nachstehende Fall gibt einen detaillierten Einblick in diese Thematik und beleuchtet, wie Gerichte solche komplexen Fälle handhaben. Tauchen Sie ein in die Welt des Sozialrechts und erfahren Sie mehr über die spannenden Herausforderungen, die sich im Zusammenhang mit der Bewilligung von Verletztengeld ergeben.

Verkehrsunfall und seine Folgen: Der Beginn eines Rechtsstreits

Am 23. Juni 2018 erlitt der Kläger, ein in F. lebender Unternehmensberater, während einer Fahrt zu einer Kundin einen Verkehrsunfall. Dabei entstand an seinem PKW ein Schaden von 2.294,57 Euro. Die Erstdiagnose durch den Durchgangsarzt ergab eine Gehirnerschütterung und eine Verstauchung sowie Zerrung der Halswirbelsäule. Der Kläger wurde zur Überwachung in ein Krankenhaus eingeliefert. Hierbei war er nervös, jedoch ansprechbar und orientiert. Es gab keine Anzeichen für frische knöcherne Verletzungen.

Psychische Beeinträchtigungen und deren medizinische Bewertung

Nach dem Unfall wurde beim Kläger eine posttraumatische Angststörung bei HWS-Distorsion diagnostiziert. Im Juli 2018 behandelte ihn ein Facharzt für Psychiatrie, der eine Posttraumatische Belastungsstörung feststellte. Der Kläger berichtete von Schlaflosigkeit, innerer Unruhe, Nervosität, Zukunfts- und Existenzängsten. Es wurden ihm psychotherapeutische Leistungen gewährt. Ein Sachverständigengutachten im Dezember 2018 durch den Neurologen Dr. R. kam zu dem Ergebnis, dass eine schädigungsabhängige Anpassungsstörung mit depressiv ängstlicher Prägung sowie eine Phobie vor dem Autofahren bestand. Die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung wurde jedoch nicht bestätigt.

Der Rechtsstreit um Verletztengeld und Arbeitsunfähigkeit

Die Beklagte zahlte zunächst Vorschüsse auf Verletztengeld bis September 2018. Der Kläger beantragte weitere Leistungen, die jedoch abgelehnt wurden, da die Beklagte auf das Gutachten von Dr. R. verwies, welches eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit nach sechs Wochen ausschloss. Der Kläger wies dieses Gutachten zurück, argumentierte mit der Schwere des Erlebten und stellte die medizinische Beurteilung in Frage. Trotz Widerspruch und weiterer Klagen wurde die Zahlung von Verletztengeld über September 2018 hinaus nicht fortgesetzt. Der Kläger erhob daraufhin Klage vor dem Sozialgericht.

Entscheidung des Landessozialgerichts Hamburg

Das Landessozialgericht Hamburg bestätigte mit Urteil vom 09.03.2022 die vorherigen Entscheidungen und wies die Berufung des Klägers zurück. Es folgte der Einschätzung, dass keine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit über einen Zeitraum von sechs Wochen hinaus bestand. Das Gericht bezog sich auf das Gutachten von Dr. R. und sah die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung als nicht erfüllt an. Der Kläger habe somit keinen Anspruch auf Verletztengeld über den 30. September 2018 hinaus. Die Revision wurde nicht zugelassen, was das Ende des Rechtsstreits um die Bewilligung von Verletztengeld und die Dauer der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit markiert.

Dieses Urteil stellt einen wichtigen Bezugspunkt in der Beurteilung von Arbeitsunfähigkeit nach Verkehrsunfällen und den damit verbundenen psychischen Beeinträchtigungen dar.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Welche Kriterien müssen für die Diagnose einer „Posttraumatischen Belastungsstörung“ erfüllt sein?

Die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) basiert auf bestimmten Kriterien, die im Internationalen Klassifikationssystem für Krankheiten (ICD-10) und im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) festgelegt sind.

Gemäß ICD-10 müssen folgende Kriterien erfüllt sein:

1. Der Betroffene war einem oder mehreren belastenden Ereignissen von außergewöhnlichem Umfang oder katastrophalem Ausmaß ausgesetzt. Dieses Ereignis kann die eigene Person betreffen oder bei anderen beobachtet und erlebt worden sein.

2. Die PTBS tritt in der Regel innerhalb eines halben Jahres nach dem traumatischen Ereignis auf und geht mit unterschiedlichen psychischen und psychosomatischen Symptomen einher.

3. Typische Symptome sind vegetative Übererregbarkeit, Wiedererleben traumatischer Erinnerungen (sogenannte Flashbacks), ein Gefühl von „emotionaler Taubheit“ und eine Erschütterung des Ich- und Weltverständnisses durch das traumatische Erleben.

Gemäß DSM-5 müssen die Patienten direkt oder indirekt einem traumatischen Ereignis ausgesetzt worden sein, und die Symptome von jeder der folgenden Kategorien für eine Zeitdauer von mehr als einem Monat aufweisen:

1. Intrusive Symptome (mindestens eines der folgenden): Wiedererleben des Traumas, Albträume, Flashbacks, emotionale Belastung oder körperliche Reaktionen auf Trauma-bezogene Hinweise.

2. Vermeidungsverhalten: Vermeidung von Gedanken, Gefühlen oder äußeren Hinweisen, die an das Trauma erinnern.

3. Negative Veränderungen in Kognitionen und Stimmung, die mit dem traumatischen Ereignis in Zusammenhang stehen.

4. Markierte Veränderungen in der Erregung und Reaktivität, die mit dem traumatischen Ereignis in Zusammenhang stehen, wie z.B. Reizbarkeit, Wutausbrüche, rücksichtsloses oder selbstzerstörerisches Verhalten, Schlafstörungen.

Darüber hinaus müssen die Symptome erheblichen Leidensdruck verursachen oder die soziale oder berufliche Funktionsfähigkeit erheblich beeinträchtigen und dürfen nicht auf die physiologischen Auswirkungen eines Substanzkonsums oder einer anderen medizinischen Erkrankung zurückzuführen sein.

Die Diagnose wird gestellt, wenn die Symptome über mehr als vier Wochen bestehen und die Leistungsfähigkeit in wichtigen Lebensbereichen eingeschränkt ist. Dauern die Symptome mehr als drei Monate an, spricht man von einer chronischen PTBS.

Es ist auch wichtig zu erwähnen, dass die PTBS oft mit anderen psychischen und körperlichen Erkrankungen vergesellschaftet ist, was die Diagnose erschweren kann.


Das vorliegende Urteil

Landessozialgericht Hamburg – Az.: L 2 U 37/21 – Urteil vom 09.03.2022

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über den Umfang der Verletzungen, die der Kläger bei einem Verkehrsunfall erlitt.

Der in F. lebende Kläger ist von Beruf Unternehmensberater. Er ist bei der Beklagten seit dem 9. Mai 2018 freiwillig gegen die Folgen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten versichert.

Am 23. Juni 2018 erlitt er während einer Fahrt zu einer Kundin in S. einen Verkehrsunfall, bei dem an seinem PKW ein unfallbedingter Reparaturschaden in Höhe von 2.294,57 (netto) entstand.

Mit Durchgangsarztbericht vom 26. Juni 2018 teilte Professor Dr. M. mit, dass der Kläger ihm gegenüber angegeben habe, als angeschnallter Pkw-Fahrer am 23. Juni 2018 einen Auffahrunfall erlitten zu haben. Dabei sei es zu einem Heckanprall gekommen. Der Durchgangsarzt diagnostizierte eine Gehirnerschütterung sowie eine Verstauchung und Zerrung der Halswirbelsäule. Nach Auskunft des Klinikums S. befand sich der Kläger vom 23. bis 26. Juni 2018 in stationärer Beobachtung zur Überwachung der Vital- und Vigilanzparameter. Im klinischen Befund berichteten die behandelnden Ärzte über einen agitierten Patienten, welcher nervös, wach, ansprechbar sowie orientiert zu Zeit, Ort und Person gewesen sei. Es habe keine Prellmarke bestanden, das Nasenbein und Mittelgesicht sei palpatorisch fest gewesen, ohne Blutung aus Hals, Nase oder Ohren. Die Halswirbelsäule sei frei beweglich gewesen, ohne sensomotorisches Defizit. Nach den radiologischen Befunden hätten sich keine Hinweise auf frische knöcherne Verletzungen ergeben.

In der Erstbescheinigung zur Arbeitsunfähigkeit stellte der Arzt P. als Diagnose auch eine Posttraumatische Angststörung bei HWS-Distorsion fest. In seinem Nachschaubericht vom 9. Juli 2018 teilte der Arzt in seinem Befund noch Nacken- und reaktive Kopfschmerzen mit, bei schmerzhaftem Muskelhartspann paravertebral, ohne Blockierungen oder Instabilität im Bereich der HWS. Darüber hinaus sei der Kläger sehr ängstlich.

Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. behandelte dem Kläger erstmals am 25. Juli 2018 und diagnostizierte vorläufig eine Posttraumatische Belastungsstörung. Der Kläger habe ihm gegenüber angegeben, dass er in eine Parkbucht habe einfahren wollen. Dann sei ihm ein Auto hinten „drauf gefahren“ und es habe einen Knall gegeben. Danach sei er kurz bewusstlos gewesen. Er sei wieder wach geworden, als der Unfallgegner an seine Scheibe geklopft habe. An den Unfallhergang selber erinnere er sich nicht weiter. Da er beruflich unter Druck stehe, habe er schnell weiter zu seinem Mandanten gewollt. Er habe mit dem Unfallgegner schnell die Daten ausgetauscht und sei dann weitergefahren. Er habe sich dann auf dem ca. 2 km langen Weg zweimal übergeben müssen und unter Schwindel und Nackenschmerz gelitten. Nach dem Eintreffen bei dem Mandanten habe dieser ihn schließlich in die W. Klinik in S. gebracht, wo er sich drei bis vier Tage zur Beobachtung befunden habe. Der Kläger habe ihm gegenüber zudem berichtet, dass er seit dem Unfall kaum mehr schlafen könne. Insgesamt werde er pro Nacht vier- bis fünfmal wach, da der Knall und der Schock ihm immer wieder durch den Kopf gingen. Zudem habe er negative Gedanken, zum Beispiel die Frage, warum eigentlich er betroffen sei. Er verspüre eine große innere Unruhe und Nervosität, fühle sich gleichzeitig betäubt und lethargisch. Er leide unter Zukunfts- und Existenzängsten und fürchte, wenn er nicht bald arbeitsfähig werde, seinen Kundenstamm zu verlieren. Seit dem Unfall fahre er nur noch in unmittelbarer Umgebung Auto und traue sich nicht weitere Strecken zu fahren. Darüber hinaus sei er 2013 Opfer eines bewaffneten Überfalls geworden mit Verletzungen an Arm und Ellenbogen. Dr. S. konstatiert, dass der Kläger in seinen Schilderungen hektisch sei und sich beim Sprechen verhaspele. Die Stimmung sei zum depressiven Pol verschoben, die affektive Modulationsfähigkeit reduziert. Es bestünden Insuffizienz- und Versagensgefühle und zeitweise Zukunftsängste bei reduziertem Antrieb, erhöhter Reizbarkeit und innerer Agitiertheit. Zudem bestehe ein Wiedererleben in Form von Intrusionen und ein Vermeidungsverhalten. Die formalen Denkabläufe seien geordnet und zeitweise kreisten die Gedanken um das Unfallgeschehen und die Folgen. Ferner lägen eine starke Konzentrationsstörung und eine deutlich verminderte Belastbarkeit vor. In der Folge des Unfalles vom 23. Juni 2018 sei es zur Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung gekommen, deren diagnostische Kriterien als voll erfüllt anzusehen seien.

Mit Bescheid vom 27. August 2018 zahlte die Beklagte dem Kläger aufgrund der Folgen des Unfalles einen Vorschuss auf Verletztengeld für die Zeit vom 23. Juni 2018 bis zum 31. Juli 2018 in Höhe von 5.000 Euro und mit Bescheid vom 27. September 2019 einen weiteren Vorschuss auf Geldleistungen in Höhe von 10.000 Euro für die Zeit vom 1. August 2018 bis 30. September 2018. Auf der Grundlage eines Verlaufsberichtes von Dr. S. vom 22. Oktober 2018 gewährte die Beklagte dem Kläger wegen der Folgen des Unfalles vom 23. Juni 2018 weitere psychotherapeutische Leistungen mit einem Umfang von bis zu 20 weiteren Sitzungen.

In seinem für die Beklagte erstellten Sachverständigengutachten vom 29. Dezember 2018 kam der Neurologe Dr. R. zu dem Ergebnis, dass sich der Kläger bei dem Unfall eine HWS-Distorsion zugezogen habe und schädigungsabhängig eine Anpassungsstörung mit depressiv ängstlicher Prägung sowie eine spezifische Phobie vor dem Autofahren bestehe. Schädigungsunabhängig bestehe eine Somatisierungsstörung. Im Übrigen sei die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung, wie von Dr. S. gestellt, nicht nachvollziehbar. Das Unfallereignis sei nicht geeignet, eine solche psychische Störung hervorzurufen. Es handele sich um ein allgegenwärtiges Schadensereignis, dass insbesondere bei Hektik, Zeitdruck oder Ablenkung auftrete, wovon die meisten Menschen im Verlauf ihres Lebens mehrfach betroffen seien. Nach dem Diagnosekriterium „A“ müssten die Betroffenen einem kurz- oder langanhaltenden Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt gewesen sein, das bei nahezu jedem eine tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde. Dies treffe vorliegend nicht zu. Bestenfalls könne hier initial von einer Anpassungsstörung ausgegangen werden. Verständlich seien lediglich über einen Zeitraum von zwei bis vier Wochen Beschwerden im Sinne psychovegetativer Dysregulation, Bewegungsblockaden und Schmerzen im Sinne einer HWS-Distorsion und Irritation des vegetativen sympathischen Grenzstranges. Über einen längeren Zeitraum als sechs Wochen könne keine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit unterstellt werden. Die Erkrankung werde inzwischen vollkommen von schädigungsunabhängigen Faktoren unterhalten. Anpassungsstörungen dauerten in der Regel nicht länger als sechs Monate, depressiven Reaktionen maximal zwei Jahre. Eine Differenzierung zwischen schädigungsabhängiger und schädigungsunabhängiger Symptomatik sei durch Dr. S. nie durchgeführt worden. Zur Bearbeitung einer spezifischen Phobie bzw. depressiven Anpassungsstörung werde das Erfordernis von fünf bis zehn Behandlungssitzungen durchaus unterstellt, sodass eine maximale Arbeitsunfähigkeit von vier Monaten anerkannt werden könne.

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 25. Januar 2019 im Falle einer Anspruchskongruenz im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) vorläufige Leistungen gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB I. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift lägen vor, da dem Kläger Verletztengeld und alternativ Krankengeld oder Arbeitslosengeld (solange das parallele Arbeitsverhältnis nicht wirksam gekündigt sei), alternativ auch Arbeitslosengeld in F., zustehe und er die Beklagte zuerst angegangen habe.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 29. Januar 2019 die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 30. September 2018 hinaus ein. Einen Versicherungsfall erkannte sie an. Sie verwies im Wesentlichen auf die Ausführungen des Dr. R. in dessen Gutachten vom 21. Dezember 2018. Zudem sei im Rahmen eines Kfz-Sachverständigengutachtens lediglich ein geringer Schaden im linken Bereich des Hecks des Unfallwagens festgestellt worden. Nach Auswertung und Würdigung der vorliegenden medizinischen Unterlagen seien die Folgen des Unfalles vom 23. Juni 2018 spätestens am 30. September 2018 abgeklungen.

In seinem Widerspruch vom 26. Februar 2019 führte der Kläger im Wesentlichen aus, dass die Begutachtung durch Dr. R. „oberflächlich“ und „schlampig“ gewesen sei und insgesamt nicht verwertet werden könne. Die Kriterien zur Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung lägen vor. Bei dem Unfallereignis habe es sich gerade nicht um ein Bagatell- oder Alltagserlebnis gehandelt. Es komme hier maßgeblich auch auf das subjektive Erleben an. In retrograder Betrachtung unmittelbar nach dem Unfall habe sich auch noch folgende Vorstellung ergeben: Wenn der Unfallgegner das Kfz in einem anderen Winkel getroffen hätte, hätte sich das Kfz gedreht und wäre auf die Gegenfahrbahn geschleudert und das Unfallopfer und ein Dritter wären womöglich tot gewesen. Dies sei gerade kein „Parkrempler“, wie der „Pseudogutachter“ unterschwellig versucht habe zu suggerieren. Eine Verschiebung der Wesensgrundlage habe nicht vorgelegen.

Zudem seien die bis zum 10. Dezember 2018 an die zuständige Krankenkasse ergangenen Auszahlungsanordnungen, aufgrund des originären Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vom 29. Januar 2018, zu Unrecht rückwirkend zum 30. September 2018 aufgehoben worden.

Der Kläger stellte am 4. März 2019 beim Sozialgericht Hamburg einen Antrag auf Erlass einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 26. Februar 2019 gemäß § 86 b Abs. 1 Nummer 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Es stehe außer Frage, dass die rückwirkende Einstellung der Leistungen zum 30. September 2018 rechtswidrig sei, da ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden könne.

Mit Widerspruchsbescheid 4. April 2019 lehnte die Beklagte die Gewährung von Verletztengeld über den 30. September 2018 hinaus ab.

Das Sozialgericht Hamburg (Az.: S 40 U 58/19 ER) lehnte den Antrag des Klägers vom 4. März 2019 auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 26. Februar 2019 ab, da nicht überwiegend wahrscheinlich sei, dass aufgrund der Unfallfolgen ein darüber hinaus gehender Verletztengeldanspruch bestehe. Auf die Beschwerde des Klägers hob das Landessozialgericht Hamburg mit Beschluss vom 18. Juni 2019 (Az.: L 2 U 25/19 B ER) den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 18. April 2019 auf und stellte fest, dass der Widerspruch des Klägers vom 26. Februar 2019 gegen den Bescheid der Beklagten über die Einstellung von Leistungen vom 29. Januar 2019 aufschiebende Wirkung bis zum 8. April 2019 habe. Aus Sicht des Klägers hätten sich die Bescheide über die Gewährung des durch die Krankenkasse auszuzahlenden Verletztengeldes so dargestellt, dass die Bewilligung dem Grunde nach für die Dauer der anhaltenden Arbeitsunfähigkeit erfolgt sei. Dass dies auch von der Beklagten so gemeint gewesen sei, ergebe sich aus dem Umstand, dass sie im Widerspruchsverfahren den Verletztengeldauftrag bis zum Zugang des Bescheides vom 29. Januar 2019 verlängert habe.

Der Kläger hat am 6. Mai 2019 Klage vor dem Sozialgericht Hamburg erhoben und hat hinsichtlich der weiteren unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit aufgrund psychischer Beeinträchtigungen im Wesentlichen die Argumente aus seinem Widerspruch wiederholt. Das Gutachten von Dr. R. lehne er auch im Hinblick auf einen Verstoß der Beklagten gegen § 200 Abs. 2 SGB VII ab. Darüber hinaus hat der Kläger die Gewährung vorläufiger Leistungen gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB I begehrt.

Am 15. August 2019 hat der Kläger beim Sozialgericht Hamburg auch eine Untätigkeitsklage erhoben und beantragt, seinen Antrag vom 25. Januar 2019 auf vorläufige Leistungen zu bescheiden (Az. S 36 U 186/19).

Die Beklagte hat auf den Antrag des Klägers vom 25. Januar 2019 mit Bescheid vom 19. Februar 2020 die Gewährung vorläufiger Leistungen nach § 43 SGB I abgelehnt und darauf hingewiesen, dass der Kläger seinen Antrag unter dem Vorbehalt gestellt habe, dass eine Anspruchskongruenz im Sinne des § 43 Abs. 1 SGB I vorliege. Die nach § 43 Abs. 1 SGB notwendige Anspruchskongruenz zwischen mindestens zwei Sozialleistungen bestehe nicht, da der Kläger nach Auskunft der AOK B. keinen Anspruch auf Gewährung von Entgeltersatzleistungen (Krankengeld) habe. Eine Anspruchskongruenz mit Arbeitslosengeld bestehe auch nicht, da dessen Gewährung, anders als Verletztengeld und Krankengeld, nicht für den Fall des Vorliegens von Arbeitsunfähigkeit konzipiert sei. In der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 19. Februar 2020 heißt es lediglich, dieser Bescheid werde Gegenstand des anhängigen sozialgerichtlichen Verfahrens (§ 96 SGG) zum Az.: S 36 U 186/19 beim Sozialgericht Hamburg.

Die Beklagte ist der Klage vom 6. Mai 2019 entgegengetreten und hat sich im Wesentlichen auf Ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden bezogen. Das Eingangskriterium einer Posttraumatischen Belastungsstörung, wonach ein belastendes Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß vorliegen müsse, könne ein simpler Auffahrunfall mit einem gutachterlich geschätzten Sachschaden von lediglich 2.730,54 Euro, kaum erfüllen. Da der Aufprall zudem von hinten erfolgt sei, könne der nach eigenem Bekunden ohnmächtige Kläger auch aus diesem Grunde keine Sicht auf das Geschehen gehabt haben und somit könne es auch kein bewusstes Erleben des Unfalles gegeben haben. Dass der Kläger sich vorstelle, was alles hätte passieren können, ändere daran nichts, denn es gehe hier nicht um hypothetische Schadensverläufe. Im Übrigen werde darauf hingewiesen, dass der Kläger keineswegs beschwert seien dürfte, denn ihm sei letztlich weit über den 30. September 2019 hinaus Verletztengeld gewährt worden, welches die Beklagte nicht von ihm zurückfordern werde und könne, da sie sich hinsichtlich eines möglicherweise überzahlten Verletztengeldes im Erstattungswege an die Krankenkasse des Klägers wenden werde.

Mit Gerichtsbescheid vom 23. August 2021 hat das Sozialgericht die Klagen abgewiesen. Hinsichtlich der begehrten vorläufigen Leistungen sei die Klage nicht zulässig, da ein nach § 78 Abs. 1 SGG vorgeschriebenes Vorverfahren noch nicht durchgeführt worden sei und der von der Beklagten am 19. Februar 2020 erlassene Bescheid über die Ablehnung von vorläufigen Leistungen gemäß § 43 Abs. 1 SGB I nicht nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des hier anhängigen Klageverfahrens geworden sei. Danach werde nach Klageerhebung ein neuer Verwaltungsakt nämlich nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen sei und er den angefochtenen Verwaltungsakt abändere oder ersetze. Verwaltungsakte, denen jeweils unterschiedliche Anträge hinsichtlich ihrer Zeitpunkte oder Inhalte und folglich unterschiedliche Sachverhalte zugrunde lägen, würden nicht erfasst. Dies sei hier der Fall, da es in dem Rechtsstreit um die Gewährung von Verletztengeld über den 30. September 2018 hinaus gehe, aufgrund der streitigen Frage, ob unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit über diesen Zeitpunkt hinaus angenommen werden könne, während es sich bei dem Antrag auf Leistungen nach § 43 Abs. 1 SGB I um vorläufige Leistungen aufgrund einer in Streit stehenden Anspruchskongruenz zwischen den Leistungen zweier Sozialleistungsträgern ab dem 9. April 2019 handele.

Im Übrigen sei die Klage nicht begründet da der Kläger keinen Anspruch auf Verletztengeld über den 30. September 2018 hinaus habe. Unstreitig seien auf chirurgischem Fachgebiet (nach einem HWS-Schleudertrauma Grad I) keine dauerhaften Verletzungen verblieben. Ebenso könne eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit aufgrund verbliebener psychischer Gesundheitsstörungen, insbesondere im Rahmen einer Posttraumatischen Belastungsstörung, nicht angenommen werden. Das Unfallereignis sei im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne bereits nicht geeignet gewesen, im weiteren zeitlichen Verlauf eine Posttraumatische Belastungsstörung hervorzurufen. Der Sachverständige Dr. R. habe in seinem Gutachten vom 29. Dezember 2018 auch plausibel ausgeführt, dass das Unfallereignis, auch in dem subjektiven Erleben des Klägers zum tatsächlichen Unfallzeitpunkt nicht die diagnostischen Kriterien des sog. „A“-Kriteriums erfülle. Nach den ärztlich-wissenschaftlichen Kriterien (u.a. ICD-10, DSM-V) sei das A-Kriterium als erfüllt anzusehen, wenn eine Bedrohung durch Tod, ernsthafte Verletzung oder eine Schädigung der körperlichen Integrität der eigenen Person oder anderer besteht, sich als generell belastend erweist und im Einzelfall mit intensiver Angst, Schrecken oder Hilflosigkeit erlebt werde. Vorliegend sei es weder zu einer Bedrohung durch Tod oder einer ernsthaften Verletzung gekommen, noch habe die objektive Gefahr einer ernsthaften körperlichen Unversehrtheit des Klägers bei dem Auffahrunfall bestanden. Es sei zudem nicht erkennbar, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt auf dieses Ereignis mit intensiver Angst, Schrecken oder Hilflosigkeit reagiert habe, da er offenbar in der Lage gewesen ist, im weiteren Verlauf mit dem Auto zu seinem Kunden weiter zu fahren. Darüber hinaus lägen auch keine medizinischen Anhaltspunkte dafür vor, dass eines der fünf weiteren Merkmale für die Annahme einer Posttraumatischen Belastungsstörung (sog. B- bis F-Kriterien) auf der klinischen Befundebene erfüllt seien. Gegen die Annahme einer länger anhaltenden psychischen Beeindruckung durch das Unfallereignis spreche die Schwere bzw. Erheblichkeit des Unfallschadens. Denn bei länger anhaltenden psychoreaktiven Gesundheitsstörungen sei ergänzend zu prüfen, ob und inwieweit auch der weitere Verlauf noch rechtlich wesentlich auf die ursprünglichen Reaktionen zurückzuführen sei und nicht vielmehr Begehrensvorstellungen oder sonstige aus der Psyche wirkende Kräfte so weit in den Vordergrund träten, dass sie für den weiteren Verlauf die rechtlich allein wesentliche Ursache bildeten (nach: Leitlinie Registriernummer 051-029 der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftliche-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF): Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen, Stand: 31.03.2012 Teil II Kap. 3.3.3). Dies gelte insbesondere dann, wenn, wie vorliegend, die organischen Unfallfolgen ausgeheilt seien, eine adäquate frühzeitige Intervention bzw. professionelle Therapie stattgefunden habe (hier durch Dr. S. bereits einen Monat nach dem Unfallereignis) und sich eine quasi unveränderte oder sogar zunehmende psychische Beschwerdesymptomatik zeige (Hinweis auf LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Mai 2007 – L 17 U 127/06). Die Beklagte habe auch weit über den von Dr. R. empfohlenen Zeitraum der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit Verletztengeld bis zum 8. April 2019, mithin über 9 Monate nach dem Arbeitsunfall, geleistet und wolle dieses auch nicht mehr zurückfordern. Ein darüber hinaus gehender Anspruch auf Verletztengeld ließe sich nicht begründen.

Der Kläger hat gegen den ihm am 28. August 2021 zugestellten Gerichtsbescheid am 22. November 2021 Berufung eingelegt. Er trägt vor, die Beklagte habe seinen am 25. Januar 2019 gestellten Antrag auf vorläufige Leistungen ignoriert, sodass er am 15. August 2019 eine Untätigkeitsklage habe erheben müssen. Sein Antrag sei erst mit Bescheid vom 19. Februar 2020 abgelehnt worden, die Rechtsbehelfsbelehrung, wonach der Bescheid Gegenstand des Verfahrens über die Untätigkeitsklage geworden sei, habe ihn in die Irre geführt. Die Klage sei zulässig, da die Beklagte mit dem Hinweis auf § 96 SGG deutlich gemacht habe, dass sie ihre Auffassung auch im Widerspruchsverfahren nicht ändern werde. Tatsächlich bestehe auch „Anspruchskonkurrenz“, da die AOK B. schriftlich bestätigt habe, dass ein Anspruch bestehe. Im Rahmen seiner freiberuflichen Tätigkeit habe er zwar keinen Anspruch auf Krankengeld, wohl aber hinsichtlich seiner parallelen abhängigen Beschäftigung, für die er sozialversichert sei.

Er habe auch Anspruch auf Verletztengeld über den 30. September 2019 hinaus. Dr. S. habe Arbeitsunfähigkeit aufgrund des Unfallereignisses vom 23. Juni 2018 bis zum 28. Februar 2020 angenommen. Der Sachverständige Dr. R. habe es unterlassen, festzustellen, zu welchem Zeitpunkt sich gegebenenfalls die Ursache für seine Arbeitsunfähigkeit von der Ursache „Unfall“ hin zur Ursache „Krankheit“ verschoben habe. Dessen Gutachten sei überdies unschlüssig und in sich widersprüchlich, da er mal von sechs Wochen und mal von fast vier Monaten Arbeitsunfähigkeit ausgehe. Es sei unrealistisch, dass von 20 Monaten Arbeitsunfähigkeit, die durch einen Unfall ausgelöst worden sei, nur drei Monate und eine Woche unfallbedingt gewesen seien. Warum bei ihm ohne umfassende Anamnese und umfassende symptomatische Befragung eine Posttraumatische Belastungsstörung ausgeschlossen werde, sei nicht nachvollziehbar.

Der Kläger beantragt:

1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 23. August 2021 und den Bescheid der Beklagten vom 19. Februar 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm vorläufige Leistungen im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB I bis zum 28.2.2020 zu gewähren sowie

2. den Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. April 2019 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm aufgrund des Versicherungsfalls vom 23. Juni 2018 Verletztengeld über den 30. September 2018 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Berufung für unbegründet. Wie sie bereits in der Parallelsache, dem Berufungsverfahren über die abgewiesene Untätigkeitsklage, vorgetragen habe, habe sich ihr Hinweis auf § 96 SGG auf das dortige Klageverfahren bezogen. Im Streitfall habe das Sozialgericht klargestellt, dass der Bescheid vom 19. Februar 2020 nicht Gegenstand dieses Streitverfahrens geworden sei. Aufgrund des Beschlusses des erkennenden Senats vom 18. Juni 2019, Az.: L 2 U 25/19 B ER, habe der Kläger bereits Verletztengeld bis zum 8. April 2019 erhalten, das nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht zurückgefordert werden würde. Die Kritik des Klägers an dem Sachverständigengutachten des Dr. R. teile sie nicht und beziehe sich auf dessen Inhalt.

Der Senat hat über die Berufung am 9. März 2022 mündliche verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entscheiden, da der Senat das Verfahren nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) übertragen hatte.Der Senat konnte in der mündlichen Verhandlung vom 9. März 2022 auch in Abwesenheit des Klägers entscheiden, da der Kläger mit Postzustellungsurkunde vom 21. Februar 2022 ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen worden war, dass im Falle seines Ausbleibens ein Urteil nach Lage der Akten ergehen könne (§§ 110 Abs. 1 Satz 2, 126 SGG).

Die statthafte (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 SGG) Berufung erweist sich als unbegründet. Das Sozialgericht hat die zulässigen kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklagen zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat wegen des Unfalls vom 23. Juni 2018 keinen Anspruch auf Verletztengeld über den 30. September 2018 hinaus, im Übrigen ist die Klage unzulässig.

1. Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist zunächst der Anspruch auf vorläufige Leistungen nach § 43 Abs. 1 SGB I. Nach dieser Vorschrift kann der zuerst angegangene Leistungsträger (die Beklagte) vorläufig Leistungen erbringen, wenn ein Anspruch auf Sozialleistungen besteht – hier ein möglicher Anspruch auf Verletztengeld – und zwischen mehreren Leistungsträgern streitig ist, wer zur Leistung verpflichtet ist. Er hat Leistungen nach Satz 1 zu erbringen, wenn der Berechtigte es beantragt.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht die Klage insoweit als unzulässig abgewiesen. Die nach Anhängigkeit des Streitverfahrens parallel erhobene Untätigkeitsklage war zunächst gemäß § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG zulässig. Da die Beklagte über den Antrag des Klägers vom Klägers vom 25. Januar 2019 zunächst nicht entschieden hatte, hatte der Kläger nach Ablauf der sechsmonatigen Sperrfrist, nämlich am 15. August 2019, Untätigkeitsklage erhoben. Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 19. Februar 2020 die Gewährung vorläufiger Leistungen nach § 43 SGB I abgelehnt hatte, war der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, da Streitgegenstand einer Untätigkeitsklage nur die Bescheidung ist (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. § 88 Rn. 12). Der die Untätigkeit beendende Bescheid wird nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand der Untätigkeitsklage (vgl. BSG, Urteil vom 14. April 1964 – 5 RKn 61/62, juris). Die fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheids vom 19. Februar 2020 zieht lediglich die Rechtsfolge des § 66 Abs. 2 SGG nach sich. Der Kläger hätte seine Untätigkeitsklage in eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage umzustellen können, er musste dies aber nicht tun und hat es nicht getan. Er hätte auch die Untätigkeitsklage für erledigt erklären und sein Begehren mit Widerspruch und gegebenenfalls einer neuen Klage weiterverfolgen können. Der Kläger hat auch diesen Weg nicht gewählt. Zutreffend hat das Sozialgericht festgestellt, dass der Bescheid vom 19. Februar 2020 auch nicht Gegenstand des vorliegenden Streitverfahrens geworden ist. Im Streitfall wurde die Klage erst nach Anhängigkeit der Untätigkeitsklage erhoben, zudem ist der Streitgegenstand ein anderer. Die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist deshalb unzulässig, da das notwendige Vorverfahren nicht durchgeführt worden ist.

2. Der Kläger hat wegen des Unfalls vom 23. Juni 2018 keinen Anspruch auf Verletztengeld über den 30. September 2018 hinaus. Nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII haben Versicherte Anspruch auf Verletztengeld, wenn sie infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig sind oder wegen einer Maßnahme der Heilbehandlung eine ganztägige Erwerbstätigkeit nicht ausüben können.

Diese Voraussetzungen lagen nach dem 30. September 2018 nicht mehr vor. Der Kläger hat zwar am 23. Juni 2018 einen Arbeitsunfall im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII erlitten und damit einen Versicherungsfall im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB VII verwirklicht, denn bei der Ausübung einer Verrichtung (PKW-Fahrt), die im inneren Zusammenhang mit der gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII i.V.m. § 46 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 1, Ziffer 1.3 der Satzung der Beklagten versicherten Tätigkeit als selbstständiger Unternehmensberater stand, ist es zu einem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis (Unfallereignis) in Gestalt des Auffahrens des Unfallverursachers auf den PKW und der dadurch bewirkten Änderung des physiologischen Körperzustandes des Klägers in Gestalt einer HWS-Distorsion gekommen. Dieses Ereignis hat einen Gesundheits(erst-)schaden in Gestalt einer Zerrung der Nackenmuskulatur (HWS-Zerrung) verursacht. Wie der Sachverständige Dr. R. in seinem überzeugenden Gutachten vom 29. Dezember 2018 ausgeführt hat und dem sich der Senat anschließt, ist eine solche Gesundheitsstörung höchsten zwei bis sechs Wochen behandlungsbedürftig. Weitergehende Gesundheitsschäden, die zu einer Arbeitsunfähigkeit über den 30. September 2018 hinaus geführt hätten, stehen dagegen nicht zur Überzeugung des Senats fest. Insbesondere litt der Kläger nicht an einer Posttraumatischen Belastungsstörung, Das Sozialgericht hat dies im Einzelnen dargelegt und sorgfältig begründet. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung an und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe dazu ab.

Soweit der Kläger mit seiner Berufung beanstandet, es hätte festgestellt werden müssen, zu welchem Zeitpunkt sich gegebenenfalls die Ursache für seine Arbeitsunfähigkeit von der Ursache „Unfall“ hin zur Ursache „Krankheit“ verschoben habe, kommt es darauf nicht an. Entscheidend ist allein, wie lange von einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit ausgegangen werden kann. Und dies hat der Sachverständige Dr. R. in seinem Gutachten festgestellt und nachvollziehbar begründet: Er geht bei der vorliegenden unfallbedingten Bagatellverletzung offensichtlich zugunsten des Klägers davon aus, dass (nur) eine sechswöchige Arbeitsunfähigkeit unterstellt werden könne.

Das Gutachten des Sachverständigen Dr. R. ist auch nicht etwa deshalb in Zweifel zu ziehen, da er in widersprüchlicher Weise – wie der Kläger meint – mal von sechs Wochen und mal von fast vier Monaten Arbeitsunfähigkeit ausgehe. Die ist offensichtlich nicht der Fall. Der Sachverständige ist vielmehr zu dem eindeutigen Ergebnis gelangt, dass eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit nur für sechs Wochen angenommen werden könne. Weitere nicht unfallbedingte psychiatrische Störungen, die er bei dem Kläger diagnostiziert hat, könnten eine Arbeitsunfähigkeit nicht über vier Monate hinaus begründen.

Der Kläger hat somit hat infolge dieses Versicherungsfalls keinen Anspruch auf Verletztengeld über den 30. September 2018 hinaus.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

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