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Brustformkorrektur zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nur bei Entstellung

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg – Az.: L 1 KR 320/10 – Beschluss vom 17.07.2012

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Kostenübernahme für eine beidseitige Brustformkorrektur.

Brustformkorrektur zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nur bei Entstellung
Symbolfoto: Von Satyrenko /Shutterstock.com

Die bei der Beklagten versicherte, 1987 geborene Klägerin beantragte am 22. Mai 2008 die Kostenübernahme einer operativen Korrektur der tubulären Brust beidseits. Aufgrund einer angeborenen Anomalie bestehe seit Jahren ein psychischer Leidensdruck. Sie betrachte die Operation als für sich notwendig. Beigefügt war ein Befundbericht des Chefarztes Dr. B der H-Klinik B vom 12. Februar 2008, der eine tubuläre Mammae beidseits mit psychischem Leidensdruck diagnostizierte. Auffallend groß sei der Brustwarzenhof-Komplex mit deutlicher Hernienbildung von Drüsengewebe in der Areola. Es fehlten die beiden unteren Quadranten der Brüste.

Ihre behandelnde Fachärztin für Frauenheilkunde K verordnete am 26. Februar 2009 eine Krankenhausbehandlung „Missbildung der Brustdrüsen mit Beschwerden beidseits. Erbitte um operative Korrektur.“. Beigefügt war eine Stellungnahme des Prof. Dr. B des S Krankenhauses B vom 27. Oktober 2008, der ebenfalls eine operative Korrektur empfohlen hatte.

Die Beklagte veranlasste eine Stellungnahme durch den medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. (MDK). Dessen Gutachterin L gelangte unter Auswertung der Befunde und der Fotodokumentation zu dem Ergebnis, dass die gesehene Ptose (Hängebrust) keinen Krankheitswert habe. Ein regelwidriger Körperzustand würde bei einer tubulären Brust einen ausgeprägten Befund mit Hernienbildung und Fehlen von Brustgewebe in mehreren Quadranten erfordern. Anhand der Fotos sei weder ein völliges Fehlen von Brustgewebe in mehreren Quadranten, noch eine Hernienbildung von Drüsengewebe in der Areola, die dazu führen würde, dass die vordere Partie der Brust Rüsselförmig über die hintere absinke, festzustellen. Die Beschaffenheit der Brustdrüsen der Klägerin stelle keine funktionelle Beeinträchtigung dar. Eine operative Korrektur der Brustform sei nicht zwingend medizinisch notwendig. Es handelte sich um einen kosmetischen Eingriff.

Die Klägerin widersprach dieser Einschätzung. Sie hätte durch jahrelanges Krafttraining und Fitness versucht, ihr Brustgewebe zu festigen. Da dies erfolglos geblieben sei, sehe sie in einem operativen Eingriff die letzte Möglichkeit.

Die Gutachterin L untersuchte die Klägerin am 29. April 2009 und führte in ihrem sozialmedizinischen Gutachten vom 27. Mai 2009 aus, es lägen normal große, stark ptotische (Ptose Typ III nach Vrebos), symmetrische Mammae mit angedeuteten tubulären Komponenten vor. Drüsengewebe sei in allen vier Quadranten angelegt. Eine Hernienbildung von Drüsengewebe in die Areola läge nicht vor. Eine Hernienbildung zwischen Areola und Brustdrüsenkörper, die dazu führe, dass die vordere Partie der Brust rüsselförmig über die hintere absinke, könne nicht bestätigt werden. Sie gelangte erneut zu dem Ergebnis, die gewünschte Brustformkorrektur folge ausschließlich kosmetischen Aspekten. Psychische Probleme seien mit Mitteln der Psychotherapie zu behandeln.

Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 2. Juli 2009 die Übernahme der Kosten einer Brustkorrektur ab.

Die Klägerin erhob Widerspruch. Fehlende Brustquadranten könnten ihrer Meinung nach nicht durch eine Psychotherapie behandelt werden.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. November 2009 zurück, nachdem die Gutachterin L für den MDK erneut ihre Einschätzung mit ergänzender Stellungnahme vom 24. August 2009 bekräftigt hatte.

Mit ihrer am 22. Dezember 2009 beim Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, die begehrte operative Korrektur ihrer Brüste diene der Beseitigung eines regelwidrigen körperlichen Zustandes, nämlich einer angeborenen Anomalie. Diese weise insoweit Krankheitscharakter auf, als ein sexuelles Erleben, das durchaus zu den Körperfunktionen von Brüsten hinzuzuzählen sei, wesentlich beeinträchtigt sei. Auch sei sie wegen Entstellung etwa vom Besuch eines Schwimmbades, von sportlicher Betätigung und dem Tragen sommerlicher Bekleidung ausgeschlossen. Sie fühle sich seit langer Zeit ausgegrenzt. Jegliche Lebensplanung, die auf der Gründung einer Partnerschaft oder gar Familie gerichtet sei, bliebe ihr versagt. Die Beklagte hat auf eine neuerlich eingeholte Stellungnahme des MDK vom 9. September 2010 verwiesen, indem die Gutachterin Logsch ausführt, wesentliche Körperfunktion der weiblichen Brust sei das Milchspenden im Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes. Ob sexuelles Erleben auch zu den Körperfunktionen der weiblichen Brust zähle und von der Beschaffenheit der Brust abhängig sei, könne dahingestellt bleiben. Eine fachspezifische Aufklärung des beeinträchtigten sexuellen Erlebens sei hier bislang nicht erfolgt. Hierfür seien hauptsächlich psychische Störungen verantwortlich, die mit Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu behandeln seien. Durch eine operative Veränderung des Körpers würde nämlich nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen, sondern nur mittelbar die Besserung des einem anderen Bereich zugehörenden gesundheitlichen Defizits erwartet.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 14. September 2010 abgewiesen. Keiner der medizinischen Gutachter und Sachverständigen habe hier eine Erkrankung im Bereich der Brüste der Klägerin feststellen können. Diese seien organisch als gesund zu betrachten, was nicht bestritten werde. Eine körperliche Anomalität löse nur dann Behandlungsbedürftigkeit unter dem Gesichtspunkt einer behandlungsbedürftigen Krankheit vor, wenn sie so auffällig ist, dass es dem Betroffenen kaum möglich sei, sich frei und unbefangen unter Menschen zu bewegen, weil sie naturgemäß die Blicke auf sich ziehe. Die medizinische Notwendigkeit für einen Eingriff lasse sich auch nicht unter Berücksichtigung psychologischer Gesichtspunkte rechtfertigen. Liege eine psychische Störung vor, so sei sie mit Mitteln der Psychiatrie oder Psychotherapie zu behandeln. Die Leistungspflicht der Krankenkasse umfasse grundsätzlich nicht die Kosten für operative Eingriffe in einen regelrechten Körperzustand, um auf diesem Wege eine psychische Störung zu beheben oder zu lindern. Ein etwaiges mangelhaftes sexuelles Erleben sei hier psychisch bedingt und bloß vermittelt durch die Brustform (Bezugnahme auf LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.06.2008 – L 9 KR 62/06).

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin. Zu deren Begründung hat die Klägerin zusätzlich vorgetragen, die Gesundheitsstörung liege neben der besonderen hormonell bedingt schwankenden, teilweise schmerzhaften Empfindlichkeit der Brüste in der aus der Fehlbildung hervorgehenden Störung des Sexualempfindens sowie des Sexualverhaltens. Es handele sich nicht nur, anders etwa als beim Wunsch nach einer Brustvergrößerung, um eine Schönheitsoperation, mit dem im Einzelfall ein psychischer Leidensdruck verbunden sei, der einer psychotherapeutischen Behandlung zugänglich sei, sondern um eine einen wesentlichen Bereich des körperlichen Lebens erfassende Beeinträchtigung.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. September 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. Juli 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Durchführung einer operativen Korrektur der tubulären Brust der Klägerin beidseits im H Klinikum B zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Ausführungen des SG für zutreffend und verweist auf die neuerlich von ihr eingeholte ergänzende Stellungnahme des MDK vom 20. Juni 2011.

II.

Es konnte im schriftlichen Verfahren durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden werden. Die Beteiligten sind hierauf mit Verfügung vom 16. Mai 2012 hingewiesen worden.

Die Berufung hat keinen Erfolg. Das SG hat die Klage mit zutreffender Begründung, auf die zur Vermeidung bloßer Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen wird, abgewiesen.

Das Berufungsvorbringen gibt zu einer anderen rechtlichen Bewertung keine Veranlassung.

Die Klägerin kann nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) eine Krankenbehandlung verlangen, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Leistungen müssen nach § 12 Abs. 1 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Eine Krankheit ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (Bundessozialgericht – BSG –, Urt. v. 19.10.2004 – B 1 KR 3/03 R – juris-Rdnr. 12 mit weiteren Nachweisen). Das SG hat zutreffend dargestellt, dass nicht jede körperliche Unregelmäßigkeit eine Krankheit ist. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt (ebenso wie bereits das SG auch der hier entscheidende Senat in ständiger Rechtsprechung, dem BSG folgend, beispielsweise BSG, Urt. v. 28.02.2008 – B 1 KR 19/07 R, juris – Rdnr. 11 mwN). Eine Entstellung besteht, wenn die Versicherten objektiv an einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit leiden, dass dies ihre Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft gefährdet (BSG, Urt. v. 19.10.2004 – B 1 KR 9/04 R – juris Rdnr. 13). Richtig hat deshalb das SG ausgeführt, dass eine solche körperliche Entstellung mit Krankheitswert ständig sichtbar sein und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft erschweren müsse und sich die Klägerin also gerade nicht auf den Besuch eines Schwimmbades, sportliche Betätigung und das Tragen sommerlicher Bekleidung berufen könne. Soweit die Klägerin auf die Beeinträchtigung ihres sexuellen Erlebens abstellt, ist zu beachten, dass für Operationen in ein funktionell intaktes Organ gilt, dass diese als nur mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung bedürfen und nur eine ultima ratio sein können (vgl. BSG, Beschluss vom 19.10.2006 – B 1 KR 104/06 B m.w.N; ebenso Urteil des Senats vom 14.01.2011 – L 1 KR 197/08 für eine Brustverkleinerung zur beabsichtigten Linderung von Rückenschmerzen).

Hier ist ein Zusammenhang zwischen der Brustform und dem aus Sicht der Klägerin gestörten Sexualempfinden bzw. Sexualverhalten nach der gutachterlichen Stellungnahme des MDK nicht ersichtlich. Die Klägerin ist zudem bislang weder in psychiatrischer noch psychotherapeutischer Behandlung gewesen, so dass selbst bei unterstellter Kausalität nicht von einer ultima ratio ausgegangen werden kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

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