Homeoffice ist für viele Menschen in Deutschland längst Alltag. Doch was passiert, wenn es im Arbeitszimmer plötzlich kalt wird und beim Versuch, die Heizung zu reparieren, ein Unfall geschieht? Zahlt dann die gesetzliche Unfallversicherung? Genau diese Frage hat das Bundessozialgericht (BSG), Deutschlands höchstes Gericht für Sozialrecht, in einem aktuellen Urteil entschieden – und zwar zugunsten der Arbeitnehmer im Homeoffice.
Übersicht
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Heizung kaputt im Homeoffice? Wann die Unfallversicherung zahlt! Ein Urteil, das Sie kennen sollten
- Der Fall: Heizungsexplosion im heimischen Keller
- Warum ist dieses Urteil so wichtig?
- Was bedeutet „unternehmensdienlich“?
- Die „eingebrachte Gefahr“ – kein Argument gegen den Versicherungsschutz
- Benötigen Sie Hilfe?
- Homeoffice und Unfallversicherung im Wandel der Zeit
- Was sollten Sie als Arbeitnehmer im Homeoffice beachten?
- Fazit: Mehr Sicherheit im Homeoffice dank BSG-Urteil

Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Arbeitsunfall im Homeoffice: Das Bundessozialgericht (BSG) hat entschieden, dass auch Unfälle im Homeoffice als Arbeitsunfall gelten, wenn die Tätigkeit im Zusammenhang mit der Arbeit steht.
- Konkreter Fall: Ein selbstständiger Busunternehmer erlitt schwere Verletzungen durch eine Verpuffung im Heizkessel, als er die Heizung im Zusammenhang mit seinem Homeoffice reparieren wollte.
- Vorherige Urteile: Sozialgericht München und Bayerisches Landessozialgericht sahen den Unfall als private Angelegenheit und lehnten den Versicherungsschutz ab.
- BSG-Entscheidung: Das BSG stellte klar, dass der Versuch, eine angenehme Arbeitsumgebung im Homeoffice herzustellen, als „unternehmensdienliche“ Tätigkeit gilt und somit versichert ist.
- Begriff „unternehmensdienlich“: Tätigkeiten, die der Aufrechterhaltung oder Verbesserung der Arbeitsbedingungen dienen – etwa Einrichtung des Arbeitsplatzes, Reparatur technischer Probleme oder Anpassung der Raumtemperatur – sind versichert.
- Auswirkungen: Das Urteil verbessert den Unfallversicherungsschutz für Arbeitnehmer und Selbstständige im Homeoffice und sorgt für mehr Rechtssicherheit.
- Praktische Hinweise: Arbeitsunfälle im Homeoffice sollten umgehend gemeldet und sorgfältig dokumentiert werden, um Ansprüche geltend machen zu können.
Heizung kaputt im Homeoffice? Wann die Unfallversicherung zahlt! Ein Urteil, das Sie kennen sollten
Dieser Artikel erklärt Ihnen verständlich und ohne juristisches Fachchinesisch, was dieses Urteil bedeutet, warum es so wichtig ist und was Sie im Homeoffice in Sachen Unfallversicherungsschutz beachten sollten. Wir beleuchten den konkreten Fall vor dem Bundessozialgericht (Urteil vom 21.03.2024, Az. B 2 U 14/21 R), die Argumentation des Gerichts und zeigen Ihnen anhand von Beispielen, wie sich dieses Urteil auf Ihren Arbeitsalltag auswirken kann.
Der Fall: Heizungsexplosion im heimischen Keller
Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten im Homeoffice. Es ist ein kalter Tag und die Heizung fällt aus. Sie beschließen, der Sache selbst auf den Grund zu gehen und begeben sich in den Heizungskeller. Beim Versuch, den Temperaturschalter zu betätigen, kommt es plötzlich zu einer Verpuffung – einer Art kleinen Explosion – im Heizkessel. Sie werden schwer verletzt.
Genau so ist es einem selbstständigen Busunternehmer passiert, der sein Wohnzimmer als Homeoffice nutzte. Nachdem er festgestellt hatte, dass die Heizkörper kalt waren, wollte er die Heizung im Keller überprüfen. Dabei erlitt er schwere Augenverletzungen durch die Heizkessel-Explosion.
Die große Frage war nun: Ist das ein Arbeitsunfall? Denn wenn ja, müsste die Berufsgenossenschaft, die gesetzliche Unfallversicherung für Selbstständige und Unternehmen, für die Behandlungskosten und eventuelle Folgeschäden aufkommen.
Ablehnung durch die Versicherung und die ersten Gerichte
Doch die Berufsgenossenschaft sah das anders. Sie argumentierte, dass der Unfall nichts mit der beruflichen Tätigkeit des Mannes zu tun hat. Das Drehen am Heizkessel sei eine private Angelegenheit und falle nicht unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Dieser Auffassung folgten zunächst auch das Sozialgericht München und das Bayerische Landessozialgericht. Sie entschieden, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit im Homeoffice und dem Unfall im Heizungskeller gebe. Die Gerichte argumentierten, dass die Heizungsreparatur eine private Tätigkeit sei, auch wenn sie mittelbar dem Ziel diente, ein angenehmes Arbeitsumfeld im Homeoffice zu schaffen.
Die Wende vor dem Bundessozialgericht
Der Fall landete schließlich vor dem Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. Und das BSG fällte ein bahnbrechendes Urteil: Ja, es handelt sich um einen Arbeitsunfall! Damit stellten die Richter sich gegen die vorherigen Entscheidungen der unteren Gerichte und gaben dem Kläger Recht. Lesen Sie das Urteil im Volltext hier: Bundessozialgericht – Verhandlungstermine – Unfallversicherung – Arbeitsunfall – Homeoffice – Verpuffung im Heizkessel
Das BSG urteilte, dass der Unfall in einem „sachlichen Zusammenhang“ mit der Arbeitstätigkeit im Homeoffice stand. Denn der Mann habe die Heizung nicht nur für sich privat, sondern auch für seinen Arbeitsplatz im Wohnzimmer aufdrehen wollen. Eine angenehme Raumtemperatur sei Grundvoraussetzung für eine ungestörte und effektive Arbeit im Homeoffice. Daher sei das Drehen am Temperaturregler „objektiv unternehmensdienlich“ gewesen – also im Interesse des Unternehmens, auch wenn es sich um ein Einzelunternehmen handelte und der Unternehmer selbst der „Arbeitgeber“ war.
Warum ist dieses Urteil so wichtig?
Das Urteil des Bundessozialgerichts hat große Bedeutung für alle Menschen, die im Homeoffice arbeiten. Es stärkt den Unfallversicherungsschutz im häuslichen Arbeitszimmer erheblich. Denn es macht deutlich, dass der Versicherungsschutz nicht an der Bürotür endet.
Bisher war oft unklar, inwieweit Tätigkeiten im Homeoffice, die nicht direkt am Schreibtisch stattfinden, vom Unfallversicherungsschutz umfasst sind. Das BSG hat nun klargestellt, dass auch Tätigkeiten, die mittelbar der Arbeit dienen, unter den Schutz fallen können – selbst wenn sie im privaten Umfeld stattfinden und mit privaten Gegenständen (wie der Heizung) zusammenhängen.
Klarstellung für den Unfallversicherungsschutz im Homeoffice
Das Urteil beseitigt Unsicherheiten und gibt Klarheit für Arbeitnehmer und Selbstständige im Homeoffice. Es zeigt, dass die gesetzliche Unfallversicherung auch im Homeoffice einspringt, wenn es bei Tätigkeiten passiert, die im weitesten Sinne mit der Arbeit zusammenhängen.
Kernbotschaft des Urteils: Auch im Homeoffice sind Sie bei „unternehmensdienlichen Verrichtungen“ unfallversichert – und zwar auch dann, wenn die Gefahr von privaten Gegenständen ausgeht.
Was bedeutet „unternehmensdienlich“?
Der Begriff „unternehmensdienlich“ ist der Schlüssel zum Verständnis dieses Urteils. Er bezeichnet Tätigkeiten, die im Interesse des Unternehmens liegen oder der Erfüllung der Arbeitsaufgabe dienen. Im Kontext des Homeoffice bedeutet das: Tätigkeiten, die dazu beitragen, die Arbeitsbedingungen im häuslichen Arbeitszimmer zu verbessern oder aufrechtzuerhalten.
Beispiele für „unternehmensdienliche“ Tätigkeiten im Homeoffice
- Einrichten des Arbeitsplatzes: Das Aufstellen des Schreibtisches, Anschließen des Computers, Verlegen von Kabeln etc. Unfälle dabei wären in der Regel Arbeitsunfälle.
- Beheben von technischen Problemen am Arbeitsplatz: Wenn der Computer abstürzt oder das Internet nicht funktioniert und Sie versuchen, das Problem zu beheben, sind Sie dabei unfallversichert.
- Sorgen für angemessene Arbeitsbedingungen: Dazu gehört nicht nur die Heizung, sondern auch die Beleuchtung (z.B. Austausch einer Glühbirne am Schreibtisch), die Belüftung (z.B. Öffnen des Fensters) oder das Aufräumen des Arbeitsplatzes, um Stolperfallen zu beseitigen.
- Hol- und Bringwege im direkten Arbeitsumfeld: Wenn Sie im Homeoffice arbeiten und z.B. Akten aus einem anderen Raum holen müssen oder etwas aus dem Drucker holen, sind Unfälle auf diesen Wegen ebenfalls Arbeitsunfälle.
- Nahrungsaufnahme und Toilettengänge: Auch kurze Wege zur Küche, um sich einen Kaffee zu holen oder zur Toilette, sind in der Regel vom Unfallversicherungsschutz umfasst, da sie natürliche Bedürfnisse sind, die auch während der Arbeit im Büro anfallen würden.
Wann ist eine Tätigkeit nicht „unternehmensdienlich“?
Es gibt natürlich auch Tätigkeiten im Homeoffice, die eindeutig privat sind und nicht unter den Unfallversicherungsschutz fallen. Dazu gehören:
- Private Pausen: Wenn Sie in der Mittagspause kochen, Wäsche waschen oder Gartenarbeit verrichten, sind das private Tätigkeiten. Unfälle dabei sind keine Arbeitsunfälle.
- Private Besorgungen: Auch wenn Sie während der Arbeitszeit kurz zum Supermarkt gehen oder private Telefonate führen, sind das private Angelegenheiten ohne Versicherungsschutz.
- Hobbys und Freizeitaktivitäten: Alles, was Sie in Ihrer Freizeit im Homeoffice tun, fällt nicht unter den Schutz der Unfallversicherung.
- Reine Gefälligkeiten: Wenn Sie z.B. für einen Nachbarn ein Paket annehmen und sich dabei verletzen, ist das keine „unternehmensdienliche“ Tätigkeit.
Wichtig ist immer der konkrete Zusammenhang mit der Arbeit. Es muss eine objektive Verbindung zur beruflichen Tätigkeit im Homeoffice bestehen. Im Zweifelsfall muss im Einzelfall geprüft werden, ob eine Tätigkeit noch als „unternehmensdienlich“ angesehen werden kann oder nicht.
Die „eingebrachte Gefahr“ – kein Argument gegen den Versicherungsschutz
Ein weiteres wichtiges Argument des BSG war die Zurückweisung des Konzepts der „eingebrachten Gefahr“. Die Vorinstanzen hatten argumentiert, dass die Heizungsanlage eine private Gefahrenquelle sei, die der Kläger selbst in seine Arbeitsumgebung „eingebracht“ habe. Daher sei der Unfall ein privates Risiko und nicht durch die Unfallversicherung gedeckt.
Das BSG wies diese Argumentation entschieden zurück. Die Richter stellten klar, dass auch Gefahren, die von privaten Gegenständen im Homeoffice ausgehen, vom Versicherungsschutz umfasst sein können, wenn die Tätigkeit, die zum Unfall führte, „unternehmensdienlich“ war.
Begründung des BSG: Die Möglichkeiten der Arbeitgeber, häusliche Arbeitsplätze sicher zu gestalten, seien begrenzt. Es sei nicht zumutbar, den Unfallversicherungsschutz im Homeoffice davon abhängig zu machen, ob der Arbeitsplatz in jeder Hinsicht „sicher“ ist und alle potenziellen Gefahrenquellen beseitigt sind. Der Versicherungsschutz sei nicht an eine „erfolgreiche Prävention“ geknüpft.
Praktisch bedeutet das: Sie müssen Ihr Homeoffice nicht aufwendig „absichern“, um im Falle eines „unternehmensdienlichen“ Unfalls versichert zu sein. Auch wenn die Gefahr von einem privaten Gegenstand (wie der Heizung) ausgeht, kann der Unfall ein Arbeitsunfall sein.
Benötigen Sie Hilfe?
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Homeoffice und Unfallversicherung im Wandel der Zeit
Das Urteil des BSG kommt zu einer Zeit, in der Homeoffice immer wichtiger wird. Die Digitalisierung und die Corona-Pandemie haben diesen Trend noch verstärkt. Immer mehr Menschen arbeiten regelmäßig oder dauerhaft von zu Hause aus.
Das Sozialrecht und insbesondere der Unfallversicherungsschutz müssen sich an diese neuen Arbeitsformen anpassen. Früher war der klassische Arbeitsplatz das Büro oder die Fabrik. Die Regeln für den Unfallversicherungsschutz waren primär darauf ausgerichtet. Doch mit dem Homeoffice verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben. Der Arbeitsplatz wird in die private Wohnung verlegt.
Das BSG-Urteil ist ein wichtiger Schritt, um den Unfallversicherungsschutz an die Realität des Homeoffice anzupassen. Es trägt dazu bei, Rechtssicherheit zu schaffen und Arbeitnehmer im Homeoffice besser zu schützen. Es zeigt, dass das Sozialrecht zeitgemäß interpretiert werden muss, um den veränderten Arbeitsbedingungen gerecht zu werden.
Was sollten Sie als Arbeitnehmer im Homeoffice beachten?
Auch wenn das BSG-Urteil den Unfallversicherungsschutz im Homeoffice stärkt, gibt es dennoch einige Punkte, die Sie als Arbeitnehmer beachten sollten:
- Melden Sie Arbeitsunfälle sofort: Wenn Sie im Homeoffice einen Unfall haben, der im Zusammenhang mit Ihrer Arbeit steht, melden Sie diesen unverzüglich Ihrem Arbeitgeber und der Berufsgenossenschaft. Je schneller Sie den Unfall melden, desto besser.
- Dokumentieren Sie den Unfallhergang: Halten Sie den Unfallhergang so genau wie möglich fest. Machen Sie ggf. Fotos vom Unfallort und notieren Sie sich Zeugen, falls es welche gibt. Je besser Sie den Unfall dokumentieren, desto einfacher ist es, den Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung durchzusetzen.
- Sprechen Sie mit Ihrem Arbeitgeber: Informieren Sie Ihren Arbeitgeber über mögliche Gefahrenquellen in Ihrem Homeoffice. Gemeinsam können Sie überlegen, wie diese Gefahren minimiert werden können. Auch wenn der Arbeitgeber im Homeoffice nur begrenzt Einfluss auf die Gestaltung des Arbeitsplatzes hat, kann ein offener Austausch hilfreich sein.
- Informieren Sie sich über Ihre Rechte: Machen Sie sich mit Ihren Rechten und Pflichten im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung vertraut. Die Berufsgenossenschaften bieten Informationsmaterialien und Beratungsangebote an. Im Zweifelsfall können Sie sich auch an eine Beratungsstelle für Sozialrecht wenden.
Fazit: Mehr Sicherheit im Homeoffice dank BSG-Urteil
Das Urteil des Bundessozialgerichts zur Heizkessel-Explosion im Homeoffice ist ein wichtiger Erfolg für Arbeitnehmer und Selbstständige. Es stärkt den Unfallversicherungsschutz im häuslichen Arbeitszimmer und schafft mehr Rechtssicherheit.
Die zentralen Erkenntnisse des Urteils:
- Auch im Homeoffice besteht Unfallversicherungsschutz bei „unternehmensdienlichen Verrichtungen“.
- „Unternehmensdienlich“ sind Tätigkeiten, die im Interesse des Unternehmens liegen oder der Aufrechterhaltung der Arbeitsbedingungen dienen.
- Auch Gefahren, die von privaten Gegenständen im Homeoffice ausgehen, können unter den Versicherungsschutz fallen.
- Die „eingebrachte Gefahr“ ist kein Argument gegen den Versicherungsschutz, wenn die Tätigkeit „unternehmensdienlich“ war.
Für Sie als Arbeitnehmer im Homeoffice bedeutet das: Sie können sich sicherer fühlen. Wenn Sie im Homeoffice einen Unfall haben, der im Zusammenhang mit Ihrer Arbeit steht, haben Sie gute Chancen, dass die gesetzliche Unfallversicherung die Kosten übernimmt. Dieses Urteil ist ein wichtiger Schritt, um die soziale Absicherung im Homeoffice zu verbessern und den veränderten Arbeitsbedingungen im 21. Jahrhundert gerecht zu werden.
Denken Sie daran: Melden Sie Arbeitsunfälle im Homeoffice immer sofort und dokumentieren Sie den Unfallhergang sorgfältig. So sind Sie im Falle des Falles bestmöglich abgesichert.