Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: L 5 KR 634/21 NZB – Beschluss vom 27.09.2021
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Köln vom 22.06.2021 wird zurückgewiesen.
Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Kostenerstattung in Anspruch.
Am 22.04.2020 erwarb der Kläger einen Mund- und Nasenschutz KN 95 für 6,95 Euro und beantragte am Folgetag bei der Beklagten die Erstattung des aufgewandten Betrages. Die Beklagte lehnte die Erstattung ab und führte aus, dass es sich bei Schutzmasken nicht um Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) handele (Bescheid vom 12.05.2020). Den hiergegen erhobenen Widerspruch, mit dem der Kläger im Wesentlichen geltend machte, angesichts der gegenwärtigen Pandemielage sei der gegenseitige Personenschutz bei der Erbringung der ihm verordneten Physiotherapie besonders wichtig, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 08.07.2020).
Im Klageverfahren vor dem SG Köln hat der Kläger an seiner Auffassung festgehalten und für die mündliche Verhandlung aufgrund der aus seiner Sicht hohen Komplexität des Sachverhaltes die Hinzuziehung einer Protokollkraft beantragt. Zu prüfen seien darüber hinaus Qualitätsaspekte von Schutzmasken. Nach Stellung eines Vertagungs- wie auch eines Sachantrages hat das SG die Klage abgewiesen (Urteil vom 22.06.2021). Erstattungsansprüche bestünden nicht, weil sich der Kläger die Maske vor Entscheidung der Beklagten über den Sachleistungsanspruch beschafft und es sich auch nicht um einen unaufschiebbare Leistung gehandelt habe. Ebenso wenig komme ein Erstattungsanspruch unter dem Gesichtspunkt einer nicht fristgerechten Entscheidung über den Leistungsanspruch in Betracht. Letztlich scheide ein Anspruch auch deshalb aus, weil es sich bei Schutzmasken um allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens handele.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger u.a., dass das SG keine Protokollkraft hinzugezogen habe, im Protokoll nicht der chronologische Ablauf der mündlichen Verhandlung skizziert sei und dass der Rechtsstreit insbesondere aufgrund der bereits erstinstanzlich von ihm aufgeworfenen Qualitätsaspekte im Hinblick auf Schutzmasken grundsätzliche Bedeutung habe.
Weiterer Einzelheiten wegen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.
1. Gemäß § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bedarf die Berufung der Zulassung in einem Urteil des Sozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 Euro oder bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000,00 Euro nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Die Berufung ist nicht kraft Gesetzes zugelassen, weil der hier streitige Zahlbetrag nur einen Wert von 6,95 Euro für die Anschaffung einer Schutzmaske KN 95 erreicht.
Gründe für eine Zulassung der Berufung im Sinne von § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Danach ist die Berufung nur zuzulassen, wenn (1) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, (2) das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG), des Bundessozialgerichts (BSG), des gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes (GemS) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf der Abweichung beruht, oder (3) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Keiner dieser Zulassungsgründe liegt vor.
a) Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat eine Rechtssache, wenn sie eine bisher ungeklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (Klärungsbedürftigkeit), und deren Klärung auch durch das Berufungsgericht zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit). Ein Individualinteresse genügt nicht (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 144 Rn. 28 f. m.w.N. aus der Rechtsprechung). Die Rechtsfrage darf sich nicht unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lassen oder bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden sein (vgl. z.B. BSG, Beschluss v. 15.05.1997 – 9 BVg 6/97 zum im Wesentlichen gleichlautenden § 160 SGG; zum Ganzen vgl. LSG NRW, Beschluss v. 07.10.2011 – L 19 AS 937/11 NZB, juris Rn. 17).
aa) Die Voraussetzungen der vom SG geprüften und ausgeschlossenen Erstattungsansprüche hat das BSG bereits in der in dem angefochtenen Urteil zitierten ständigen Rechtsprechung geklärt. Eine grundsätzliche Bedeutung besteht insoweit nicht.
bb) Eine grundsätzliche Bedeutung lässt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der vom Kläger in seiner Beschwerdeschrift ausführlich erörterten Qualitätsaspekte annehmen. Diese spielen hier bereits deshalb keine Rolle, weil es sich bei KN 95 Masken nicht um Hilfsmittel der GKV, sondern um nicht von der Leistungspflicht erfasste allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens handelt. Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind solche Gegenstände, die nicht spezifisch der Bekämpfung einer Krankheit oder dem Ausgleich einer Behinderung dienen (vgl. z.B. Pitz, in jurisPK-SGB V, 4. Aufl. 2020, § 33 Rn. 53 m.w.N. aus der Rspr.). KN 95 Masken (oder sonstige Schutzmasken) sind nicht ausschließlich für erkrankte oder behinderte Menschen konzipiert. Sie wurden auch – wie nicht zuletzt die Sars-CoV-2 Pandemie gezeigt hat – für die Nutzung durch Gesunde entwickelt. Die skizzierten Grundsätze gelten, wie sich § 23 Abs. 3 SGB V entnehmen lässt, auch für ambulante medizinische Vorsorgeleistungen nach § 23 Abs. 1 SGB V (vgl. Schütze, in: jurisPK-SGB V, 4. Aufl. 2020, § 23 Rn. 22).
b) Ebenso wenig liegt der Zulassungsgrund der Divergenz vor. Eine Divergenz i.S.d. § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG setzt voraus, dass ein Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des LSG, des BSG, des GemS oder des BVerfG aufgestellt hat. Ein tragender Rechtssatz liegt nur vor bei fallübergreifender, nicht lediglich auf Würdigung des Einzelfalls bezogener rechtlicher Aussage (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Aufl. 2020, § 160, Rn. 13 m.w.N). Für die Annahme einer Divergenz genügt es daher nicht, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entspricht, die das LSG, das BSG oder das BVerfG aufgestellt haben oder das SG die Rechtsprechung der genannten Gerichte nicht gekannt, übersehen oder verkannt hat (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Aufl. 2020, § 160, Rn. 14; Frehse, in: Jansen, SGG, 4. Aufl. 2012, § 144 Rn. 18 jeweils m. w. N.). Die Begründung des Gerichts muss erkennen lassen, dass es den in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichten widersprochen und von deren rechtlichen Aussagen abweichende, d.h. mit diesen unvereinbare rechtliche Maßstäbe aufgestellt hat (vgl. auch BSG, Beschluss v. 23.06.2015 – B 14 AS 345/14 B, Rn. 3 m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben ist keine Divergenz gegeben. Das SG hat keinen abstrakten Rechtssatz aufgestellt, der von einem der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte aufgestellten Rechtssatz abweicht. Dies hat der Kläger auch nicht vorgetragen.
c) Schließlich sind die vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmängel nicht gegeben (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG). Ein Verfahrensmangel bezieht sich nicht auf den sachlichen Inhalt des Urteils, es geht mithin nicht um die Richtigkeit der Entscheidung, sondern um das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zum Urteil (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 144 Rn. 32). Auszugehen ist hierbei von der Rechtsauffassung des SG (Sommer, in: BeckOGK SGG, § 144 Rn. 45). Einen Verfahrensmangel stellt – in seinen verschiedensten Ausprägungen – insbesondere der Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 62 SGG) dar (vgl. nur Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 144 Rn. 34).
aa) Dass das SG keine Protokollkraft hinzugezogen hat, stellt keinen Verfahrensmangel dar. Ob die Voraussetzungen des § 122 SGG i.V.m. § 159 Abs. 1 Satz 2 ZPO erfüllt sind, beurteilt allein das Gericht in richterlicher Unabhängigkeit (vgl. Leopold, in: BeckOGK SGG, § 122 Rn. 13; Schultzky, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 159 Rn. 5).
bb) Soweit der Kläger beanstandet, dass in der Niederschrift „wesentliche ablauforganisatorische Merkmale“ fehlen, ist zunächst zu berücksichtigen, dass das Protokoll die in § 122 SGG i.V.m. § 160 Abs. 1 bis 3 ZPO vorgesehenen Formalien, Vorgänge und Feststellungen enthält. Dem Beschwerdevorbringen lässt sich überdies nicht entnehmen, dass der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem SG ausdrücklich gemäß § 122 SGG i.V.m. § 160 Abs. 4 Satz 1 ZPO die Aufnahme weiterer Vorgänge und Äußerungen beantragt hat (zu den Voraussetzungen vgl. Leopold, in: BeckOGK SGG, § 122 Rn. 49 ff.).
cc) Dass sich das SG hätte gedrängt sehen müssen, den Rechtsstreit zu vertagen, ist ebenfalls nicht erkennbar. Wie sich aus den zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil ergibt, war der Rechtsstreit in jeder Hinsicht entscheidungsreif.
dd) Im Übrigen ist Folgendes zu berücksichtigen: Der Gesichtspunkt der Vermeidung aussichtsloser Berufungsverfahren darf mit Blick auf die in § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG normierte Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensmangels nicht außer Acht gelassen werden (vgl. z.B. BSG, Beschluss vom 09.06.2004 – Az.: B 12 KR 16/02 B und insbesondere LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.02.2007 – Az.: L 7 SO 2173/06 NZB). Es kann nicht Sinn des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens sein, Berufungen zuzulassen, die ohne weiteres wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit zurückgewiesen werden müssten. Abgesehen von der Existenz absoluter Revisionsgründe – die hier nicht gegeben sind – ist somit bei in der Sache von vornherein aussichtsloser Prozessführung i.d.R. davon auszugehen, dass die Entscheidung nicht auf dem Verfahrensmangel beruht (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Aufl. 2020, § 144 Rn. 35 f.; LSG NRW, Beschluss v. 23.07.2007 – L 1 B 14/07 AL NZB, jeweils m.w.N.).
Das SG hat hier die Klage sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zutreffend abgewiesen, weil der vom Kläger erhobene Erstattungsanspruch unter keinem Gesichtspunkt besteht. Im Hinblick auf einen Anspruch aus § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V ist ergänzend zu berücksichtigen, dass ein Versicherter, der schon vor Ablauf der in § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V geregelten Entscheidungsfristen auf die Selbstbeschaffung der beantragten Leistung vorfestgelegt ist, keinen Anspruch auf Kostenerstattung gegen die Krankenkasse aufgrund einer Genehmigungsfiktion hat (BSG, Urteil v. 27.10.2020 – B 1 KR 3/20 R). So lag es hier, weil der Kläger sich die Maske bereits vor Antragstellung – und damit vor Beginn der Entscheidungsfristen – beschafft hat.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
3. Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG). Mit der Ablehnung der Zulassung wird das erstinstanzliche Urteil rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).