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Erwerbsminderungsrente bei Anfallsleiden – häufige nicht kalkulierbare Arbeitsunfähigkeitszeiten

Landessozialgericht stärkt Ansprüche von Menschen mit Anfallsleiden auf Erwerbsminderungsrente

Erwerbsminderung kann verschiedene Ursachen haben – unter anderem können auch chronische Erkrankungen wie Anfallsleiden dazu führen. Häufige, unvorhersehbare Arbeitsunfähigkeitsperioden aufgrund gesundheitlicher Probleme können den Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt stark erschweren. In solchen Fällen kann unter Umständen eine Rente wegen Erwerbsminderung berechtigt sein. Die rechtlichen Voraussetzungen dafür werden jedoch sorgfältig geprüft, um eine mögliche Benachteiligung von Betroffenen zu vermeiden. Im Folgenden wird ein aktuelles Gerichtsurteil zu diesem Thema vorgestellt und analysiert.

[Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: L 9 R 1453/20 >>>]

✔ Das Wichtigste in Kürze

  1. Bei häufigen, nicht kalkulierbaren Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgrund eines Anfallsleidens liegt eine schwere spezifische Leistungseinschränkung vor.
  2. Anfallsbedingte Ausfallzeiten sind den „unüblichen Arbeitsbedingungen“ zuzuordnen und können den Arbeitsmarkt verschließen.
  3. Entscheidend sind Häufigkeit, Schwere und Prognose der Anfälle zur Beurteilung der Erwerbsminderung.
  4. Zur Quantifizierung der Anfallsfrequenz können die DGUV-Informationen für Epilepsie herangezogen werden.
  5. Eine stufenweise Wiedereingliederung nach längerer krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ist bei Anfallsleiden oft nicht möglich.
  6. Anonyme Hinweise auf verdeckte Erwerbstätigkeit müssen sorgfältig überprüft werden.
  7. Eine Verschlechterung des Gesundheitszustands (z.B. durch unvorhersehbare Anfälle) kann die erneute Gewährung einer EU-Rente rechtfertigen.
  8. Plausible Zeugenaussagen und ärztliche Bescheinigungen sind bedeutsam bei der Bewertung der Leistungsfähigkeit.
  9. Auch Hobbys wie Tennis spielen können bei gehäuften Anfällen nicht mehr ausgeübt werden.

➜ Der Fall im Detail


Erwerbsminderungsrente bei Anfallsleiden: Landessozialgericht Baden-Württemberg stärkt Rechte von Betroffenen

Epilepsie Erwerbsminderungsrente
(Symbolfoto: Studio Romantic /Shutterstock.com)

Dieser Fall betrifft die Weitergewährung einer Erwerbsminderungsrente für einen Kläger mit einem Anfallsleiden. Der Kläger, geboren 1958, hatte in der Vergangenheit verschiedene Berufe ausgeübt, unter anderem als Maschinenschlosser, Versicherungsvertreter und Tankwart. Aufgrund von Anfällen musste er seine letzte Tätigkeit als Tankwart aufgeben und bezog seit 2006 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Die Diagnose des Anfallsleidens gestaltete sich im Laufe der Jahre schwierig, da die Ärzte zwischen organisch bedingten Anfällen und psychogenen Anfällen schwankten. Auch die Häufigkeit und Intensität der Anfälle variierte über die Jahre.

Wiederholte Überprüfung der Erwerbsminderungsrente: Streitfall Anfallshäufigkeit

Die Rente wurde mehrfach verlängert, jedoch immer befristet. Im Jahr 2012 entzog die Rentenversicherung die Rente zunächst, nachdem ein Gutachten ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes attestierte. Nach mehreren Widersprüchen und Gerichtsverfahren wurde die Rente jedoch wieder gewährt, bis sie 2014 erneut befristet wurde. Der Kläger begehrte die dauerhafte Weitergewährung der Rente, da sich sein Gesundheitszustand nicht verbessert habe und er weiterhin unter Anfällen leide.

Die Entscheidung des Landessozialgerichts: Anfallsleiden als schwere spezifische Leistungseinschränkung

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg gab dem Kläger Recht und verurteilte die Rentenversicherung zur Weitergewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung. Das Gericht stellte fest, dass die häufigen und unvorhersehbaren Anfälle des Klägers eine schwere spezifische Leistungseinschränkung darstellen.

Zentrale Punkte der Urteilsbegründung:

  • Anfallsleiden als Ursache der Erwerbsminderung: Das Gericht bestätigte das Vorliegen eines Anfallsleidens, trotz Schwierigkeiten bei der genauen Diagnose und Einordnung.
  • Häufigkeit und Schwere der Anfälle: Die Anfälle des Klägers traten zwei- bis dreimal wöchentlich auf, teilweise mit Bewusstseinsverlust und Stürzen. Dies beeinträchtigte seine Leistungsfähigkeit erheblich.
  • Unvorhersehbarkeit der Anfälle: Die fehlende Planbarkeit der Anfallsereignisse erschwerte eine regelmäßige Erwerbstätigkeit und schloss eine stufenweise Wiedereingliederung aus.
  • Glaubwürdigkeit des Klägers: Trotz einiger Inkonsistenzen in Bezug auf seine Freizeitaktivitäten, hielt das Gericht die Angaben des Klägers zu Ablauf und Häufigkeit der Anfälle für glaubwürdig, gestützt durch Aussagen seiner Familie und die medizinische Dokumentation.
  • Verschlossenheit des Arbeitsmarktes: Das Gericht konnte keine Verweisungstätigkeit benennen, die der Kläger trotz seiner Anfälle ausüben könnte.

Bedeutung des Urteils für Betroffene mit Anfallsleiden

Das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg stärkt die Rechte von Menschen mit Anfallsleiden.

  • Anfallsleiden können eine schwere spezifische Leistungseinschränkung darstellen, auch wenn die genaue Diagnose schwierig ist und die Anfallshäufigkeit variiert.
  • Aussagen von Familienangehörigen und die medizinische Dokumentation sind wichtige Beweismittel bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit.
  • Die Unvorhersehbarkeit von Anfällen erschwert eine regelmäßige Erwerbstätigkeit und muss bei der Rentenbewilligung berücksichtigt werden.

Das Urteil kann Betroffenen mit Anfallsleiden Mut machen, ihre Rechte auf eine Erwerbsminderungsrente durchzusetzen.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Was ist eine Erwerbsminderungsrente und wer hat Anspruch darauf?

Eine Erwerbsminderungsrente ist eine Leistung der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland für Versicherte, die aus gesundheitlichen Gründen auf nicht absehbare Zeit nur noch weniger als sechs Stunden täglich arbeiten können. Es wird zwischen voller und teilweiser Erwerbsminderung unterschieden:

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die täglich weniger als drei Stunden arbeiten können. Sie erhalten die volle Erwerbsminderungsrente. Bei einer Restarbeitsfähigkeit von drei bis unter sechs Stunden täglich liegt eine teilweise Erwerbsminderung vor. Dann wird die halbe Erwerbsminderungsrente gezahlt.

Um Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente zu haben, müssen neben den medizinischen auch versicherungsrechtliche Voraussetzungen erfüllt sein: Die Antragsteller müssen vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens fünf Jahre Pflichtbeiträge in die Rentenversicherung eingezahlt haben, davon in den letzten fünf Jahren vor der Erwerbsminderung mindestens drei Jahre.

Außerdem darf die Regelaltersgrenze noch nicht erreicht sein. Die Erwerbsminderungsrente wird in der Regel befristet gewährt und kann verlängert werden. Mit Erreichen der Regelaltersgrenze wird sie in die Altersrente umgewandelt.

Bei einem Anfallsleiden wie Epilepsie hängt der Anspruch auf Erwerbsminderungsrente von der Häufigkeit und Schwere der Anfälle sowie der Prognose ab. Entscheidend ist, inwieweit die Leistungsfähigkeit dauerhaft gemindert ist.

Wie werden Anfallsleiden bei der Bewertung der Erwerbsminderung berücksichtigt?

Bei der Bewertung der Erwerbsminderung durch Anfallsleiden wie Epilepsie sind vor allem die Häufigkeit, Art und Schwere der Anfälle entscheidend. Es muss ermittelt werden, wie oft die Anfälle auftreten (Anfallsfrequenz), wie sie sich äußern (Bewusstseinsverlust, Stürze, Dauer etc.) und wie sich die Erkrankung insgesamt entwickelt.

Je nach Ausprägung kann ein Anfallsleiden die Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben erheblich beeinträchtigen. Treten beispielsweise häufig unvorhersehbare Anfälle mit Bewusstlosigkeit auf, ist eine geregelte Arbeit kaum möglich. Entscheidend ist, ob trotz der Erkrankung noch eine Tätigkeit unter üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausgeübt werden kann.

Für die Bewertung sind daher genaue medizinische Feststellungen zur individuellen Anfallssituation nötig. Nur so lässt sich beurteilen, ob das Anfallsleiden zu einer relevanten Minderung der Erwerbsfähigkeit führt und damit die Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente erfüllt sind. Dabei ist auch zu prüfen, ob durch eine optimierte Behandlung eine Besserung erreicht werden kann.

Neben der eigentlichen Arbeitsfähigkeit spielt bei Anfallsleiden auch die sogenannte Wegefähigkeit eine wichtige Rolle, also die Fähigkeit, den Arbeitsplatz sicher zu erreichen. Ist diese wegen Art und Häufigkeit der Anfälle erheblich eingeschränkt, kann dies ebenfalls für die Bewertung der Erwerbsminderung relevant sein.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI): Regelungen zur Erwerbsminderungsrente, darunter Voraussetzungen für deren Bezug. Relevant, da der Kläger aufgrund seines Anfallsleidens um Erwerbsminderungsrente nachsucht.
  • § 240 Sozialgerichtsgesetz (SGG): Verfahrensregeln für Sozialgerichte. Im vorliegenden Fall bezieht sich dies auf das Verfahren vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg zur Berufung gegen die Entscheidung des Sozialgerichts.
  • § 12a SGG: Regelungen zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten im sozialgerichtlichen Verfahren. Bedeutsam, da die Beklagte zur Erstattung der Kosten verurteilt wurde.
  • § 275a Versicherungsvertragsgesetz (VVG): Diese Norm regelt u.a. die Leistungsbeurteilung in Verbindung mit medizinischen Gesichtspunkten. Obwohl nicht direkt erwähnt, stellt sie eine Hintergrundinformation dar, wie medizinische Gutachten zur Beurteilung von Erwerbsminderungen herangezogen werden.
  • DGUV-Information 250-001: Berufsbezogene Beurteilungen bei Epilepsie im Arbeitsleben. Wichtig zur Bewertung der Anfallsfrequenz und -schwere, auf die das Gericht ausdrücklich Bezug nimmt.
  • Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG): Obwohl im Text nicht direkt genannt, spielt es eine Rolle im Kontext der Diskriminierung am Arbeitsplatz wegen Gesundheitszustand. Dies ist implizit relevant, da beschrieben wird, wie das Anfallsleiden den Zugang des Klägers zum Arbeitsmarkt beeinflusst.


Das vorliegende Urteil

Landessozialgericht Baden-Württemberg – Az.: L 9 R 1453/20 – Urteil vom 12.12.2023

Leitsatz

1. Häufige nicht kalkulierbare, mit einer vollständigen Leistungsunfähigkeit verbundene Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgrund eines Anfallsleidens sind den „unüblichen Arbeitsbedingungen“ zuzuordnen, weshalb Gesundheitsstörungen mit entsprechenden Arbeitsunfähigkeiten schwere spezifische Leistungseinschränkungen darstellen können.

2. Zur Beantwortung der Frage, inwieweit der Arbeitsmarkt iS einer Beschäftigung unter „üblichen“ Bedingungen durch ein Anfallsleiden verschlossen ist, bedarf es Feststellungen zu Häufigkeit und Schwere der Anfälle sowie zur Prognose der Erkrankung. Zur Quantifizierung der Anfallsfrequenz können angesichts der vergleichbaren Folgen von epileptischen Anfällen mit sonstigen Anfallsleiden die für epileptische Anfälle geltenden DGUV-Informationen 250-001 (Berufliche Beurteilung bei Epilepsie und nach erstem epileptischen Anfall, Ausgabedatum Januar 2015, aktualisierte Fassung Dezember 2019) zugrunde gelegt werden.

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18. Dezember 2019 und der Bescheid der Beklagten vom 31. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2017 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger über den 30. April 2014 hinaus eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 30. Juni 2019 zu gewähren.

Die Beklagte erstattet dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten in beiden Instanzen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Weitergewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit vom 30.04.2014 bis zum 30.06.2019 streitig.

Der 1958 geborene Kläger war nach einer Lehre als Maschinenschlosser bei der Deutschen Bundesbahn als Montagearbeiter und Einrichter, von April 1979 bis Februar 1996 als Versicherungsvertreter (Angestellter im Versicherungsaußendienst) und vom 01.06.1996 bis 30.06.1999 als selbstständiger Handelsvertreter tätig, wobei er für die Zeit vom 01.03.1996 bis 31.01.1999 freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet hatte. Anschließend war er bis 31.10.2002 als Tankwart mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 25 Stunden beschäftigt. Ausweislich der Arbeitgeberbescheinigung vom 10.04.2006 kündigte der Arbeitgeber dieses Arbeitsverhältnis, weil der Kläger auf Grund von Krankheit immer öfter seiner Arbeit nicht habe nachgehen können. Danach war der Kläger arbeitsunfähig bzw. arbeitslos, bezog bis Mai 2003 Krankengeld und anschließend bis Mai 2004 Arbeitslosengeld. Seit Mai 2004 war er arbeitslos ohne Leistungsbezug gemeldet. Von April 2013 bis Februar 2014 übte er eine geringfügige, nicht versicherungspflichtige Tätigkeit aus. Seit dem 01.07.2019 bezieht er eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen.

Ein im Jahr 2002 gestellter Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente, den der Kläger mit einem Anfallsleiden begründete, blieb nach Einholung eines Gutachtens bei dem U1 vom 21.08.2002 (Diagnosen: V.a. fokale Anfälle mit fraglicher sekundärer Generalisierung, Schwindelattacken ungeklärter Ätiologie, V.a. psychosomatisches Syndrom; mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für leidensgerechte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes) erfolglos (Ablehnungsbescheid vom 20.09.2002, Widerspruchsbescheid vom 29.04.2003). Im Rahmen des deswegen angestrengten Klageverfahrens vor dem Sozialgericht (SG) Karlsruhe (S 14 R 1792/03) holte das SG ein medizinisches Sachverständigengutachten bei D1 vom 20.10.2003 ein, der beim Kläger die Diagnose „Synkopen unklarer Genese“ stellte und ein vollschichtiges Leistungsvermögen annahm.

Während des Klageverfahrens S 14 R 1792/03 absolvierte der Kläger in der Zeit vom 19.07.2005 bis 12.08.2005 eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme im Epilepsie-Zentrum B1, Rehabilitations-Abteilung für Anfallskranke. Ausweislich des Entlassberichts der S1 und H1 vom 16.09.2005 stellten diese die Diagnosen „dissoziative Anfälle und kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und abhängigen Anteilen“ und entließen den Kläger unter Beachtung von qualitativen Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für mindestens sechs Stunden leistungsfähig.

Gestützt auf das Gutachten des D1 wies das SG die Klage mit Urteil vom 31.01.2006 ab (S 14 R 1792/03). Auf die hiergegen zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Berufung (L 4 R 946/09) änderte das LSG die erstinstanzliche Entscheidung mit Urteil vom 23.01.2009 ab, verurteilte die Beklagte, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.03.2006 bis 28.02.2010 zu gewähren und wies die Berufung im Übrigen zurück. Der Kläger könne zwar bei Beachtung qualitativer Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit nachgehen, doch stellten bei ihm nachgewiesene, zu unterschiedlichen Tageszeiten auftretende Synkopen bzw. Anfälle mit wechselnder Dauer ein erhebliches Hindernis für einen Arbeitseinsatz und damit eine schwere spezifische Leistungseinschränkung dar. Es könne dem Kläger keine Tätigkeit benannt werden, bei der die ab August 2005 dokumentierten Anfälle kein erhebliches Hindernis für einen Arbeitseinsatz darstellten. Vor August 2005 seien die Anfälle allerdings weder anlässlich der Belastungserprobung im Epilepsiezentrum B1, noch auf Grund der Aussage der Ehefrau nachgewiesen. Eine Verweisungstätigkeit habe nicht benannt werden können.

Auf den Weitergewährungsantrag des Klägers vom 30.09.2009 zog die Beklagte das in dem vor dem SG Karlsruhe geführten Klageverfahren (S 4 SB 2690/08) wegen der Höhe des Grades der Behinderung (GdB) eingeholte Sachverständigengutachten des B2 vom 08.10.2009 bei, demzufolge beim Kläger eine sichere diagnostische Zuordnung, ob es sich um organisch bedingte fokale (visuelle) Anfälle mit teilweiser sekundärer Generalisierung oder um psychogene (dissoziative) Anfälle handle, nicht möglich sei. Zudem veranlasste die Beklagte eine Begutachtung durch die Ärztin H2. In ihrem Gutachten vom 10.02.2010 diagnostizierte diese funktionell leichtgradig einschränkende dissoziative Anfälle und eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und abhängigen Anteilen und schätzte das Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes als vollschichtig ein. Mit Bescheid vom 25.02.2010 lehnte die Beklagte den Weitergewährungsantrag ab. Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers holte die Beklagte ein Gutachten bei U1 ein. Diese gab in ihrem Gutachten vom 14.06.2010 die Diagnosen „V.a. dissoziative Anfälle, DD organisch bedingte komplex-fokale Anfälle, gelegentlich mit sekundärer Generalisierung, Persönlichkeitsakzentuierung mit narzisstischen Anteilen, arterielle Hypertonie und links zerebrale Gefäßmalformation, DD venöses Angiom versus AV-Malformation“ an. Die chronisch-rezidivierenden Anfälle begründeten nach ihrer Einschätzung „vermutlich“ auf Dauer ein aufgehobenes Leistungsvermögen für jegliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. H2 schloss sich unter Zugrundelegung der Diagnosen dissoziative Anfälle, Persönlichkeitsakzentuierung mit narzisstischen Anteilen und zerebrale Gefäßmalformation ohne funktionelle Auswirkung in ihrem Gutachten vom 02.07.2010 der Leistungseinschätzung von U1 an. Daraufhin half die Beklagte dem Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.08.2010 teilweise ab und gewährte dem Kläger unter Zurückweisung des Widerspruchs im Übrigen eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.03.2010 bis 30.06.2012.

Auf den Weitergewährungsantrag vom 28.10.2011 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 27.02.2012 nach Einholung des Gutachtens bei H2 vom 20.02.2012 (Diagnosen: funktionelle mittelgradige Zustände mit synkopeartigem Bewegungsablauf bei vorbeschriebenen dissoziativen Anfällen, Alkoholmissbrauch, beginnende Arthrose großer Gelenke [Hüften/Knie]; Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter drei Stunden, mit einiger Wahrscheinlichkeit sei von einer Spontanheilung im Verlauf mehrerer Jahre auszugeben, Nachuntersuchung zum 31.01.2014 vorgeschlagen), die Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 30.04.2014 befristet weiter.

Hiergegen erhob der Kläger am 12.03.2012 Widerspruch, mit dem er die Gewährung der Rente auf Dauer begehrte. Die Beklagte zog daraufhin ärztliche Unterlagen (u.a. der R1 vom 04.04.2012, der E1 vom 22.03.2012, des R2 vom 22.07.2010 und des F1 vom 17.01.2011) bei. Zudem stellte sie im Hinblick auf ein bei ihr eingegangenes anonymes Schreiben, in dem u.a. ausgeführt wurde, der Kläger brüste sich, dass er nie mehr arbeiten gehe und es „denen“ zeige, er baue aber ein Schwimmbad, arbeite als Platzwart, Haus- und Hofmeister und gebe Tennisunterricht Internetrecherchen zum Kläger an. Hierbei stieß sie auf Berichte des Tennis Clubs W1 über die Saison 2012, in denen es u.a. hieß: „… Als erster konnte sich Mannschaftsführer M1 in die Einzelsiegerliste eintragen und gewann mit 6:2, 6:2.“ Des Weiteren veranlasste die Beklagte eine erneute Begutachtung durch H2. In ihrem Gutachten vom 27.08.2012 gab sie als Diagnosen „funktionell leichtgradige vorbeschriebene Zustände verringerten Bewusstseins ohne Anhalt auf dissoziative oder epileptische Anfälle mit erheblicher bewusstseinsnaher Aggravationsneigung, vorbeschriebener Alkoholmissbrauch, beginnende Arthrose großer Gelenke, funktionell leichtgradig mit ebenfalls erheblicher bewusstseinsnaher Aggravation“ an. Auf Vorhalt der in dem angegebenen anonymen Schreiben erwähnten beruflichen Tätigkeiten und des Berichtes über das Tennisturnier gab der Kläger gegenüber der Gutachterin an, er habe nur aushilfsweise Tennis gespielt. Er arbeite acht Stunden wöchentlich in einem Privatgarten. Weitere berufliche Tätigkeiten habe er nicht. Zum Leistungsvermögen führte die Sachverständige aus, der Kläger sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für Tätigkeiten wie z. B. Lagerarbeiter, Pförtner einer Nebenstelle oder Hilfskraft im Büro mindestens sechs Stunden leistungsfähig.

Mit Bescheid vom 19.09.2012 entzog die Beklagte die mit „Bescheid vom 06.08.2010“ gewährte Rente und führte zur Begründung aus, nachdem der Kläger ausweislich des Gutachtens der H2 vom 20.07.2020 wieder in Verweisungstätigkeiten und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig tätig sein könne, sei eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) eingetreten. Die Entziehung werde zum 01.10.2012 wirksam.

Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers vom 25.09.2012 hob die Beklagte mit Bescheid vom 05.10.2012 den Bescheid vom 19.09.2012 auf und hob den Weitergewährungsbescheid vom 27.02.2012 mit Wirkung zum 01.11.2012 auf.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.11.2012 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.02.2012 in Gestalt des Bescheids vom 05.10.2012 zurück. Der Bescheid vom 27.02.2012 sei hinsichtlich seiner grundsätzlichen zeitlichen Befristung nicht zu beanstanden. Zwischenzeitlich sei sogar eine rentenrechtlich bedeutsame Besserung des Gesundheitszustandes eingetreten, was sich aus den weiteren medizinischen Ermittlungen im Widerspruchsverfahren ergeben habe.

Deswegen erhob der Kläger Klage zum SG Karlsruhe (S 13 R 4258/12) und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, seit dem Urteil des 4. Senats des LSG vom 23.01.2009 habe sich sein Gesundheitszustand nicht verbessert. Vielmehr sei eine Verschlechterung insofern eingetreten, als er die Synkopen nunmehr nicht mehr an Vorzeichen erkennen könne. Zudem habe er bereits in der Vergangenheit angegeben, Tennis zu spielen und dass er als Hobby im Garten arbeite. Ihm sei zu keinem Zeitpunkt die Rente wegen einer Einschränkung der sozialen Teilhabe gewährt worden. Grund der Rentengewährung sei die Häufigkeit der Synkopen gewesen. Zudem legte er schriftliche Bescheinigungen der Vorstände des Tennis Club W1 F2 vom 23.02.2013 und Q1 vom 24.02.2013 vor, denen zufolge er bei seiner Tätigkeit als Tennistrainer im Falle von Anfallsereignissen durch seinen Sohn vertreten worden sei und im Übrigen wegen der Häufigkeit der Anfälle die Tätigkeit als Tennistrainer im Oktober 2012 beendet habe, ebenso wie die Tätigkeit als Platzwart.

Das SG erhob Beweis, zunächst durch schriftliche Befragung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. R2 gab unter dem 14.03.2013 an, da er den Kläger zuletzt im Februar 2011 wegen einer medialen Gonarthrose behandelt habe, könne er keine Angaben zu dessen aktuellen Leistungsvermögen machen. B3 gab in der am 29.04.2013 beim SG eingegangenen sachverständigen Zeugenaussage an, er gehe nicht davon aus, dass der Kläger mittelfristig einer Arbeit nachgehen könne.

Zudem holte das SG ein medizinisches Sachverständigengutachten bei S2 ein. Dieser führte in seinem Gutachten vom 22.11.2013 aus, für ein epileptisches Anfallsleiden oder für dissoziative Anfälle bestünden keine Anhaltspunkte. Zu diagnostizieren seien eine leichtgradige beinbetonte Polyneuropathie unklarer Ursache, eine arterielle Hypertonie, eine Refluxösophagitis und polyarthrotische Beschwerden. Es bestehe ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das SG sodann ein Sachverständigengutachten bei R3 ein. Dieser teilte in seinem Gutachten vom 15.07.2014 mit, der Kläger habe über Anfälle mit gelegentlicher Bewusstlosigkeit bzw. Stürzen (zwei- bis dreimal pro Woche, zwischen 15 und 45 Minuten anhaltend) berichtet. Nach Anamnese und klinischem Befund handle es sich aus neurologisch-psychiatrischer Sicht um Anfälle unklarer Genese. In Frage kämen zum einen epileptische Anfälle und zum anderen psychogene (dissoziative) Anfälle. Für epileptische Anfälle spräche der Umstand, dass es wohl im Rahmen dieser Anfälle zu Verletzungen gekommen sei. Auch der Nachweis einer venösen Anomalie links periventrikulär könne ein Indiz für die organische Ursache sein. Gegen das Vorliegen epileptischer Anfälle sprächen die bisher unauffälligen EEG-Untersuchungen. Insgesamt ließen sich die Anfälle nicht eindeutig einer organischen oder einer psychogenen Ursache zuordnen. Darüber hinaus sprächen die Angaben und das festgestellte subdepressive Stimmungsbild für eine leichte, chronische Depression im Sinne einer Dysthymia. Der Kläger könne leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten bei Beachtung qualitativer Einschränkungen sechs Stunden arbeitstäglich verrichten. Die beschriebenen Anfälle sprächen nicht gegen eine vollschichtige Leistungsfähigkeit, sondern könnten im Fall des Auftretens zu einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit führen.

Mit Urteil vom 13.11.2014 wies das SG die Klage ab und führte zur Begründung aus, der Kläger sei nicht erwerbsgemindert. Das Anfallsleiden schränke die Leistungsfähigkeit lediglich in qualitativer Hinsicht ein. Gegen eine quantitative Einschränkung sprächen die fehlende ärztliche Behandlung und seine Fähigkeit zur Alltagsstrukturierung. Zudem bestehe im Hinblick auf den geschilderten Umfang der Alltagsaktivitäten Zweifel, ob das Anfallsleiden tatsächlich in dem beschriebenen Umfang bestehe. Eine ärztliche Dokumentation seiner Beschwerden liege nicht vor. Nachdem er gegenüber den Gutachtern unrichtige Angaben gemacht habe – so habe er angegeben, seit dem Jahr 2012 kein Tennis gespielt zu haben, wohingegen nach vorliegenden Spielberichten er noch im Jahr 2013 Tennis gespielt habe – bestünden erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Klägers. Auch sei eine schwere spezifische Leistungseinschränkung im Hinblick auf die erheblichen Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Klägers nicht nachgewiesen. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Er sei der Stufe der oberen angelernten Arbeiter zuzuordnen und könne zumutbar auf die Tätigkeit eines Telefonisten oder eines Registrators verwiesen werden.

Auf die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers hob der 13. Senat des LSG das Urteil des SG mit Urteil vom 28.04.2015 (L 13 R 5037/14) auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurück. Die Ehefrau des Klägers sei als Zeugin zu vernehmen und deren Angaben ggfs. durch weitere Zeugen oder Gutachter zu verifizieren.

In dem unter dem Az. S 13 R 1948/15 ZVW fortgeführten Verfahren legte der Kläger zunächst schriftliche Aussagen seiner Tochter und seiner Ehefrau zu Ablauf und Häufigkeit der Anfälle vor. Sodann hörte das SG den Kläger im Erörterungstermin vom 11.02.2016 persönlich an und vernahm die Ehefrau und die Tochter als Zeuginnen zu Ablauf und Frequenz der Anfälle und holte die ergänzende Stellungnahme des S2 vom 14.04.2016 ein. Dieser wies auf erhebliche Inkonsistenzen und einen sekundären Krankheitsgewinn bei Rentenbegehren hin und führte aus, eine Änderung des Gesundheitszustands gegenüber dem Gutachten der H2 vom 20.02.2012 liege nicht vor, vielmehr erscheine deren Annahme einer zeitlichen Leistungseinschränkung nicht nachvollziehbar. Nach Hinweis des SG, dass eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustands, wie sie für § 48 SGB X erforderlich sei, wohl nicht nachgewiesen werden könne und eine Umdeutung in einen Rücknahme nach § 45 SGB X mangels Ermessensausübung ausscheide, schlossen die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 06.06.2016 einen Vergleich, in dem der Entziehungsbescheid vom 05.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.11.2012 aufgehoben wurde und die Beklagte sich verpflichtete, zu der Frage, ob dem Kläger auch über den 30.04.2014 hinaus eine Rente zu gewähren sei, ein Verwaltungsverfahren einzuleiten.

Die Beklagte zog daraufhin ärztliche Unterlagen bei (u.a. Entlassbericht des H3, F3-Klinik, vom 28.09.2015, Befundberichte der H4 und L1 vom 12.03.2015, vom 28.10.2015, vom 30.09.2016 und vom 03.06.2016, der Röntgenpraxis B4 u.a. vom 11.04.2014 und 21.06.2013, des W2 vom 07.11.2013, der S3 vom 25.06.2013, der A1 vom 04.02.2016). Mit Schreiben vom 30.11.2016 legte der Kläger seinen Anfallskalender für den Monat November 2016 vor. Die Beklagte ließ die Unterlagen durch ihren sozialmedizinischen Dienst auswerten. K1 führte in ihrer daraufhin erstellten sozialmedizinischen Stellungnahme vom 17.02.2017 aus, aus den vorliegenden orthopädischen Befundberichten gehe hervor, dass zwischenzeitlich bei Gonarthrose eine Totalendoprothese im rechten Knie implantiert worden sei. Daneben sei ein Gelenkverschleiß in der Hüfte und eine aktivierte Arthrose im oberen Sprunggelenk dokumentiert. Den Leiden sei durch eine qualitative Beschränkung Rechnung zu tragen, eine zeitliche Einschränkung resultiere hieraus nicht. Berichte auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet seien nicht vorhanden, insoweit sei unverändert von dem von S2 beschriebenen Leistungsbild auszugehen.

Hierauf gestützt lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente über den 30.04.2014 hinaus mit Bescheid vom 31.03.2017 ab. Die Einschränkungen, die sich aus den beim Kläger vorliegenden Krankheiten oder Behinderungen ergäben, führten nicht zu einem Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung. Der Kläger könne mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein. Er könne außerdem auch in seinem bisherigen Beruf als Versicherungskaufmann wieder mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein, weshalb kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bestehe.

Zur Begründung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger vor, seit dem letzten Bescheid sei keine wesentliche Änderung seines Gesundheitszustands eingetreten. Er sei weiterhin nicht in der Lage, mindestens sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder als Versicherungsmakler tätig zu sein. Er leide weiterhin an wiederkehrenden Anfällen, welche zwei- bis dreimal in der Woche aufträten. Allein der Umstand, dass er sich wegen dieser Anfälle nicht in Behandlung befinde, lasse die Anfälle nicht entfallen. Er habe sich in der Vergangenheit einer Vielzahl von Untersuchungen unterzogen, welche keine Aufklärung der Ursache ergeben hätten. Auch sei keine Therapiemöglichkeit gesehen worden. Die Anfallsereignisse könnten von der Familie bestätigt werden. Trotz bisheriger Erfolglosigkeit unternehme er einen weiteren Versuch der Abklärung bei R4, hier sei im Juli 2017 ein Termin geplant. Im Übrigen sei er durch die bekannten orthopädischen Beschwerden eingeschränkt.

Die Beklagte zog sodann den Befundbericht des R4 vom 27.07.2017 bei, der als Diagnosen „rezidivierende Bewusstseinsstörungen, DD dissoziative Anfälle bzw. fokale Epilepsie“ angab. Es handle sich um eine unklare Bewusstseinsstörung. Eine am 19.07.2017 durchgeführte MRT des Schädels habe keine richtungsweisenden Auffälligkeiten und eine freie Temporal- bzw. Parahippocampalregion ergeben.

K1 hielt in einer ergänzenden Stellungnahme vom 27.10.2017 an ihrer bisherigen Einschätzung fest. Eine rentenrelevante Leistungsminderung sei nicht festzustellen. Inwieweit möglicherweise kurzzeitige Arbeitsunfähigkeitszeiten gerechtfertigt seien, bleibe in das Ermessen der Behandler gestellt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.11.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger könne bei Beachtung konkret aufgeführter qualitativer Einschränkungen noch sechs Stunden am Tag auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten ebenso wie im bisherigen Beruf des Versicherungskaufmanns. Er sei deshalb nicht erwerbsgemindert.

Deswegen hat der Kläger am 07.12.2017 Klage zum SG Karlsruhe erhoben. Zur Begründung hat er zunächst das Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren vertieft. Er hat einen Anfallskalender für die Monate November 2017 („10 x Anfall ohne Bewusstlosigkeit, 2 x Anfall mit Bewusstlosigkeit am 08.11.2017 und 17.11.2017 dabei Schürfung Ellenbogen rechts“) und Oktober 2017 („8 x Anfall ohne Bewusstlosigkeit, 3 x Anfall mit Bewusstlosigkeit am 04.10., 13.10. und 26.10, dabei Prellung rechtes Knie und Gesicht, Verstauchung Handgelenk links und Prellung Schulter links sowie Schürfung rechte Schulter) und die Berichte des R4 vom 28.12.2017 und des K2 vom 14.12.2017 vorgelegt.

Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Der K2 hat unter dem 15.05.2018 die Einschätzung vertreten, die von ihm untersuchten Gesundheitsleiden erlaubten die Ausübung des Berufs als Versicherungskaufmann sowie einer leichten Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden täglich. Die Gehfähigkeit sei jedoch eingeschränkt, da nach ca. 100 Metern Schmerzen in der rechten Leiste bestünden. Des Weiteren bestünden beim Gehen Schmerzen im linken Sprunggelenk und Fuß. R4 hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 29.05.2018 mitgeteilt, er habe rezidivierende Synkopen und Präsynkopen unklarer Ätiologie diagnostiziert. Der Schwerpunkt der Leiden liege bei möglicher Konversionssymptomatik vermutlich auf kardiologischem Fachgebiet. Auch sei eine fachpsychiatrische Behandlung empfohlen worden. Der Kläger sollte in der Lage sein, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes und den Beruf des Versicherungskaufmanns jedenfalls im Innendienst im Umfang von sechs Stunden und mehr auszuüben. Eine eingeschränkte Gehfähigkeit sei nicht aufgefallen, Paresen und Koordinationsstörungen hätte nicht vorgelegen. Aufgrund der rezidivierenden Bewusstseinsstörungen seien zuletzt das Führen eines Kraftfahrzeugs bzw. berufliche Tätigkeiten an offenen Maschinen bzw. Tätigkeiten mit Absturzgefahr nicht möglich gewesen. Seiner Aussage hat er u,a, den Befundbericht des P1, Uniklinikum M2, Universitätsklinik vom 19.09.2017 beigelegt. Der hausärztlich tätige B3 hat unter dem 22.06.2018 angegeben, seit dem 01.11.2013 sei es zu keiner wesentlichen Verschlechterung, aber auch zu keiner Verbesserung gekommen. Es sei allenfalls eine leichte Verschlechterung bei Gonarthrose mit Schlittenprothese, pAVK und einem Divertikulitisschub gegeben. Der Schwerpunkt der Leiden liege bei Synkopen und Verdacht auf psychogene Anfälle bzw. Konversionssymptome im Bereich der Psychosomatik, daneben bei Gonarthrose und Lendenwirbelsäulensyndrom auf orthopädischem Gebiet.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat das SG H5 mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Nach ambulanten Untersuchungen am 11.01.2019 und 14.01.2019 vom 26.04.2019 hat er in diagnostischer Hinsicht im Gutachten vom 16.04.2019 Folgendes mitgeteilt: paroxysmal auftretende Ereignisse mit Bewusstseinsstörung, Stürzen, zeitweise Verletzungen, zeitweise Schwindelsymptomatik, motorischen Entäußerungen und anschließenden Kopfschmerzen, die sich nicht zweifelsfrei klassifizieren ließen; leichte Polyneuropathie unklarer Genese; auffälliger Befund in der zerebralen Bildgebung mit einer venösen Anomalie links periventrikulär, DD AV Malformation, die als Anfallsfokus nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden könne; arterielle Hypertonie. Zudem hat er ausgeführt, einem vom Kläger angegebenen, seit der Jugendzeit bestehenden Anfallsleiden stünden nur sehr wenige Untersuchungsbefunde und Behandlungsversuche gegenüber. Diese Situation sei sehr ungewöhnlich und lasse sich nicht nachvollziehen. Auch biete der Kläger hierfür keine plausible Erklärung an. Es würde sich nur eine sehr wenig belastungsfähige Basis für eine objektive medizinische Begutachtung ergeben. Der Kläger habe sich recht konsistent verhalten. Er lasse keinen sekundären Krankheitsgewinn erkennen. Soweit der Kläger erstmals eine Anfallsauslösung durch Fotostimulation bei einer Autofahrt beschrieben habe, müsse eine Vortäuschung und Verdeutlichung erwogen werden, denn bei sehr umfangreicher Aktenlage sei solches bisher nie dokumentiert worden. Es bleibe geradezu unerklärlich, dass keine regelmäßige neurologische oder epileptologische Behandlung in ambulanter Durchführung erfolge. Auch stünden keinerlei fremdanamnestische Schilderungen der Krampfanfälle durch Ärzte oder Einrichtungen zur Verfügung. Aus der Gesamtsituation habe sich aus Sicht der behandelnden Ärzte wohl keine Notwendigkeit zur Erzwingung einer medikamentösen Behandlung ergeben. Die Schilderung der Anfälle sei leider recht uncharakteristisch und untypisch. Am ehesten müsse von fokal beginnenden sekundär generalisierten komplex-fokalen Anfällen ausgegangen werden. Für eine eher organische Ursache sprächen neben dem Musterungsbescheid (Ausmusterung wegen Anfallsleiden) die Angaben von Ehefrau und Tochter. Für dissoziative Anfälle fehlte das eigentlich klassische Auftreten im Beisein anderer Personen und eine zu Grunde liegende Konfliktsituation. Durch die bisher wohl gepflegte Möglichkeit, Anfällen durch Konzentration auszuweichen, sei eine Tätigkeit im Innendienst wohl nicht ausgeschlossen. Bei weitgehender Anfallsfreiheit könne der Kläger durchaus vollschichtig arbeiten. Unter der Voraussetzung, dass beim Auftreten anfallsähnlicher Ereignisse keine Verletzungsgefahr für den Kläger bestehe, könne er sowohl eine Tätigkeit als Versicherungskaufmann im Innendienst als auch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zunächst drei bis unter sechs Stunden täglich, nach einer konsequenten fachärztlichen Behandlung mit einer medikamentösen Antiepileptika-Therapie sechs Stunden und mehr arbeitstäglich ausüben. Die Gehfähigkeit sei nicht eingeschränkt. Auf Grundlage der Angaben der Ehefrau könne eine Verschlechterung seit dem Jahr 2012 angenommen werden. Hinweise für Aggravation oder Dissimulation während der klinischen Untersuchung hätte nicht bestanden.

Die Beklagte hat vorsorglich für den Fall eingreifenden Berufsschutzes Tätigkeiten als Registrator, Mitarbeiter in der Poststelle einer Behörde oder Telefonist benannt. Sie hat außerdem sozialmedizinische Stellungnahmen der K1 vom 12.04.2018, 10.07.2018, 17.08.2018 und zu dem Gutachten von H5 die Stellungnahme von W3 vom 12.06.2019 vorgelegt.

Mit Urteil vom 18.12.2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe für die erkennende Kammer nicht fest, unter welcher Gesundheitsstörung der Kläger leide. Da für die Entscheidung der Kammer nicht die Überzeugung vom Vorliegen einer Gesundheitsstörung, sondern die Überzeugung vom Vorliegen einer zeitlichen Einschränkung des Leistungsvermögens maßgeblich sei, könne es dahinstehen, ob der Kläger nun unter epileptischen Anfällen oder unter einer psychogenen (dissoziativen) Störung leide. Die Kammer sei allerdings davon überzeugt, dass der Kläger gegenüber der Gutachterin H2 am 01.02.2012 bewusst wahrheitswidrig angegeben habe, er spiele kein Tennis mehr. Tatsächlich habe er, was die aktenkundigen Spielberichte belegten, fortgesetzt erfolgreich Tennis gespielt. Gleichwohl habe er gegenüber H2 im Rahmen der weiteren Begutachtung am 02.08.2012 beteuert, er könne „bei guter Verfassung maximal einen Kilometer laufen“. Die Kammer werte diese Angaben als offensichtlich unwahre Schutzbehauptungen. Hierauf deuteten auch die von der Gutachterin dokumentierte ausgeprägte Sonnenbräune und schmutzig-verschwielten Hände hin, welche sich mit gelegentlicher Gartenarbeit keinesfalls erklären ließen. Dies gelte umso mehr, als der Kläger gegenüber S2 bei der Begutachtung am 19.11.2013 angegeben habe, seit 2012 gar kein Tennis mehr zu spielen. Tatsächlich habe er noch am 11.05.2013 (nur Einzel, 0:6, 6:3, 6:10 verloren) und 29.06.2013 (Einzel 6:1 und 6:0 gewonnen, Doppel 6:3 und 6:4 gewonnen) erfolgreich Tennis gespielt und insoweit erneut bewusst die Unwahrheit gesagt. Bei dieser Sachlage sei die Kammer mit S2, der in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 14.04.2016 deutliche Anhaltpunkte für negative Antwortverzerrungen gesehen habe, der Überzeugung, dass sich eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens nicht mit der für einen Vollbeweis erforderlichen Sicherheit objektivieren lasse. Eine solche sei letztlich auch bei der letzten stattgebenden Gerichtsentscheidung durch das LSG nicht angenommen und auch von den behandelnden Ärzten nicht bestätigt worden. Entsprechend sehe sich die Kammer auch unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung außer Stande, der abweichenden Beurteilung des H5 zu folgen, da dieser letztlich keinen Befund erhoben habe, welcher sich mit einer zeitlichen Einschränkung des Leistungsvermögens vereinbaren ließe. Auf die sich aus der Aktenlage aufdrängenden Inkonsistenzen gehe er nicht mit für die Kammer überzeugenden Argumenten ein. Der vom Kläger beigebrachte Musterungsbescheid sei allenfalls dazu geeignet, zu zeigen, dass bereits in der Vergangenheit Anfallsereignisse vorgelegen hätten. Da diese einer Erwerbstätigkeit langjährig nicht entgegengestanden hätten, lasse sich hieraus jedoch gerade kein Rückschluss auf das Leistungsvermögen des Klägers ziehen. Vielmehr müsse im Gegenteil angenommen werden, dass diese einer Erwerbstätigkeit nicht grundsätzlich entgegenstünden. Eine Erwerbsminderungsrente sei auch nicht aufgrund von besonderen qualitativen Leistungseinschränkungen zu gewähren. Mit Blick auf die zur Überzeugung der Kammer feststehenden wiederholten unwahren Angaben des Klägers gegenüber Gutachtern lasse sich ein Anfallsleiden, welches eine besonders schwere spezifische Leistungseinschränkung darstellen würde, ebenso wenig als nachgewiesen annehmen wie das Erfordernis betriebsunüblicher Arbeitsbedingungen. Zum einen verwundere in der Tat, dass bei der behaupteten Anfallshäufigkeit bei keiner Begutachtung und scheinbar auch bei keinem Arztbesuch Anfallsereignisse aufgetreten seien, so dass letztlich keine medizinisch qualifizierten Augenzeugenberichte vorlägen. Zum anderen habe der Kläger ein umfangreiches Aktivitätsniveau mit Tennisspiel und Gartenarbeit betrieben, bis er habe erkennen müssen, dass dies sein Rentenbegehren gefährde. Insoweit könnten auch die Angaben der Familienangehörigen, die bereits im Erörterungstermin am 11.02.2016 befragt wurden und welche von der Entscheidung über das Rentenbegehren selbst mittelbar bzw. unmittelbar betroffen seien, die vorhandenen Zweifel an den anamnestischen Angaben nicht ausräumen. Umstände, die auf eine sozialmedizinisch relevante Einschränkung der Wegefähigkeit hindeuteten, seien nicht ersichtlich. Dem Kläger stehe auch kein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu.

Gegen das ihm am 06.04.2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am 06.05.2020 Berufung zum LSG Baden-Württemberg eingelegt. Zur Berufungsbegründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, die gesundheitliche Situation habe sich nach dem 30.04.2014 nicht wesentlich verändert oder verbessert. Er leide weiterhin unter einem Anfallsleiden mit Auftreten von Synkopen unklaren Ursprunges. Die Anfälle träten weiterhin zwei bis drei Mal die Woche auf. Diese Anfälle machten es ihm unmöglich, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder in seinem bisherigen Beruf als Versicherungsmakler nachzugehen, was auch H5 bestätigt habe. Darüber hinaus leide er erheblich unter orthopädischen Problemen, u.a. einem starken Senkfuß links, einer Arthrose des rechten Handgelenkes, einer Arthrose des rechten Mittelfingers, einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, einer Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks, einer Knorpelschädigung des rechten Kniegelenkes und einer Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke. Die Ausführungen des SG seien nicht überzeugend. So komme das SG zu dem Ergebnis, dass nicht feststehe, unter welcher Gesundheitsstörung er leide, obwohl mehrere Gutachter bestätigt hätten, dass er unter einem Anfallsleiden leide. Sodann habe das SG ausführliche Ausführungen hinsichtlich des Gesundheitszustandes im Jahr 2012 gemacht, wobei vorliegend der Gesundheitszustand ab dem Jahr 2014 streitgegenständlich sei. Feststellungen ab 2014, insbesondere auf orthopädischem Sachgebiet, würden nur unzureichend getroffen. Unzureichend setze sich das SG auch mit dem sehr ausführlichen Gutachten von H5 auseinander, diesem werde lediglich pauschal nicht gefolgt. Weiterhin werde der Familie Befangenheit vorgeworfen, ohne dies in irgendeiner Art nachzuweisen oder mit konkreten Nachweisen zu begründen. Vielmehr werde dies lediglich vor dem Hintergrund des Verwandtschaftsverhältnisses angenommen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18. Dezember 2019 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 31. März 2017 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 16. November 2017 zu verurteilen, ihm über den 30. April 2014 hinaus bis zum Beginn der Altersrente wegen Schwerbehinderung am 30. Juni 2019 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf das angefochtene Urteil und führt ergänzend aus, es sei keinesfalls von einem Anfallsleiden auszugehen, welches den Kläger derart beeinträchtige, dass eine mindestens sechsstündige Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht möglich sei. Die Ausführungen des H5, wonach zunächst von einem drei- bis unter sechsstündigen Leistungsvermögen auszugehen sei, seien mangels belastbarer Belege für das geschilderte Anfallsleiden in dessen Häufigkeit nicht haltbar. Allein der Rückgriff auf Zeugenaussagen von Familienangehörigen könne nicht zu einem Rentenanspruch führen. Zumal auch die behandelnden Ärzte ein über sechsstündiges Leistungsvermögen bestätigten. Anzumerken sei zudem, dass der Kläger im Rahmen der Begutachtungen am 01.02.2012 und 19.11.2013 bewusst wahrheitswidrig angegeben habe, er spiele kein Tennis mehr. Seine Schilderungen und die seiner Angehörigen könnten schon aus diesem Grund nicht als alleinige Grundlage für eine Rentengewährung herangezogen werden.

Die Berichterstatterin hat am 10.11.2020 einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts durchgeführt und den Kläger insbesondere zu Ablauf und Häufigkeit der Anfälle befragt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der Verfahren L 4 R 946/09, S 13 R 4258/12, L 13 R 5037/14 und S 13 R 1948/15 ZVW Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte sowie nach § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der erstinstanzlichen Entscheidung des SG der Bescheid der Beklagten vom 31.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2017, mit welchem die Beklagte die Weitergewährung der seit 01.03.2006 bewilligten Erwerbsminderungsrente über den 30.04.2014 hinaus abgelehnt hat. Sein auf Weitergewährung über den 30.04.2014 hinaus gerichtetes Klagebegehren, das er mit seinem Antrag in zeitlicher Hinsicht auf die Zeit bis zum Beginn des Bezuges der Altersrente für Schwerbehinderte, nämlich bis zum 30.06.2019 begrenzt hat, macht der Kläger statthaft und auch im Übrigen zulässig im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 1, 4 SGG geltend. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 31.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2017 ist rechtswidrig. Die Beklagte hat die Weitergewährung der Rente zu Unrecht abgelehnt.

Anspruchsgrundlage für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ist § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben Versicherte gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI.

Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (Gürtner in KassKomm, Stand 118. EL Mai 2022, SGB VI, § 43 Rn. 58 und 30 ff.).

Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist generell nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Für die Frage der Erwerbsminderung kommt es nach ständiger Rechtsprechung des BSG nicht darauf an, ob aufgrund von „Krankheit oder Behinderung“ Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit besteht, entscheidend ist, dass die Erwerbsfähigkeit eingeschränkt wird (siehe bereits BSG, Urteil vom 25.5.1961 – 5 RKn 3/60 – juris, Rn. 35). Deshalb ist ein Versicherter, der noch eine Erwerbstätigkeit ausüben kann, nicht allein schon deshalb erwerbsgemindert, weil er aufgrund einer wie auch immer verursachten Gesundheitsstörung häufiger arbeitsunfähig ist (vgl. bereits BSG, Urteile vom 05.03.1959 – 4 RJ 27/58 – juris, Rn. 18; vom 26.09.1975 – 12 RJ 208/74 – juris, Rn. 15; vom 21.07.1992 – 4 RA 13/91 – juris, Rn. 16). Allerdings hat das BSG entschieden, dass das Risiko einer häufigen Arbeitsunfähigkeit dann zu einer Erwerbsminderung führen kann, wenn feststeht, dass die (vollständige) Arbeitsunfähigkeit so häufig auftritt, dass die während eines Arbeitsjahres zu erbringenden Arbeitsleistungen nicht mehr den Mindestanforderungen entsprechen, die ein „vernünftig und billig denkender Arbeitgeber“ zu stellen berechtigt ist, sodass eine Einstellung oder Weiterbeschäftigung eines solchen Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt praktisch ausgeschlossen ist (vgl. BSG, Urteile vom 05.03.1959 – 4 RJ 27/58 – juris, Rn. 18; vom 21.07.1992 – 4 RA 13/91 – juris, Rn. 16; vom 31.03.1993 – 13 RJ 65/91 – juris, Rn. 18 ff.). Diese Mindestanforderungen sind jedenfalls dann nicht mehr als erfüllt anzusehen, wenn der Versicherte die Arbeitsleistung für einen Zeitraum von mehr als 26 Wochen (sechs Monate bzw. die Hälfte) im Jahr gesundheitsbedingt nicht mehr erbringen kann (BSG, Urteil vom 21.07.1992 – 4 RA 13/91 – juris, Rn.17; BSG, Beschluss vom 31.10.2012 -B 13 R 107/12 B – juris, Rn. 15). Zudem kann auch bei einem Versicherten, dessen krankheitsbedingte Zeiten der Arbeitsunfähigkeit den Zeitraum von sechs Monaten im Jahr (voraussichtlich) nicht überschreiten, deswegen (voll) erwerbsgemindert sein. Denn auch dann können „häufige“ Arbeitsunfähigkeiten vorliegen. Da dem Arbeitsverhältnis ein Dauerelement innewohnt, wird die erforderliche Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers grundsätzlich an jedem Tag der Arbeitswoche erwartet (BSG, Urteil vom 31.03.1993 – 13 RJ 65/91 – juris, Rn. 18). Vor diesem Hintergrund sind häufige, zeitlich nicht genau festliegende (nicht „einplanbare“), mit einer vollständigen Leistungsunfähigkeit verbundene Arbeitsunfähigkeitszeiten den „unüblichen Arbeitsbedingungen“ zuzuordnen, weshalb Gesundheitsstörungen mit entsprechenden Arbeitsunfähigkeiten schwere spezifische Leistungseinschränkungen darstellen (BSG, Beschluss vom 31.10.2012 – B 13 R 107/12 B – juris, Rn. 16). In diesem Fall kommt es darauf an, ob (voraussichtliche) Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit „ernsthafte Zweifel“ (vgl. zu diesem Maßstab BSG, Urteil vom 19.10.2011 – B 13 R 78/09 – juris, Rn. 33 m.w.N.) begründen, ob der Versicherte noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem Betrieb einsetzbar ist. Bei derartigen Zweifeln ist mindestens eine Verweisungstätigkeit zu benennen (vgl. BSG, Urteil vom 31.03.1993, aaO. Rn. 18 ff.; siehe allgemein hierzu BSG, Urteil vom 19.10.2011, a.a.O. Rn. 26 ff.; ferner Beschluss vom 10.07.2012 – B 13 R 40/12 B – juris, Rn. 13). Ist dies nicht möglich, ist der Versicherte trotz eines an sich bestehenden vollschichtigen Leistungsvermögens wegen Verschlossenheit des Arbeitsmarktes (voll) erwerbsgemindert, auch wenn die voraussichtlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten insgesamt sechs Monate im Jahr nicht überschreiten (BSG, Beschluss vom 31.10.2012 – B 13 R 107/12 B – juris, Rn. 17).

Diese Voraussetzungen liegen vor. Das Anfallsleiden steht einem Einsatz des Klägers unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes entgegen. Eine Verweisungstätigkeit kann nicht benannt werden.

Zur Überzeugung des Senats besteht beim Kläger auf dem für das Rentenbegehren zentralen neurologisch-psychiatrischen Fachgebiet ein Anfallsleiden. Dies entnimmt der Senat neben den im Wege des Urkundsbeweises verwerteten Sachverständigengutachten des D1 vom 20.10.2003 („Synkopen unklarer Ursache“), des B2 vom 08.10.2009 („fokale visuelle“ Anfälle mit teilweise sekundärer Generalisierung und postikalen Kopfschmerzen“) und des R3 vom 15.07.2014, dem erstinstanzlich auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG erstellten Sachverständigengutachten des H5 vom 26.04.2019 sowie dem Reha-Entlassungsbericht des Epilepsie-Zentrums B1 vom 16.09.2005 („dissoziative Anfälle“), dem Ambulanzbrief des P1, Universitätsklinik M2, Universitätsklinik, vom 19.09.2017, der im Wege des Urkundsbeweises verwerteten sachverständigen Zeugenaussage des B3 vom 29.04.2013 sowie dessen sachverständiger Zeugenaussage vom 22.06.2018, der sachverständigen Zeugenaussage des R4 vom 29.05.2018 und den von der Beklagten eingeholten Gutachten der H2 vom 10.02.2010 („funktionell leichtgradig einschränkende dissoziative Anfälle“), vom 02.07.2010 („dissoziative Anfälle“) und vom 03.02.2011 („funktionell mittelgradige Zustände mit synkopenartigem Bewegungsablauf bei vorbeschriebenen dissoziativen Anfällen“).

Soweit S2 in seinem Gutachten vom 22.11.2013 ein Anfallsleiden nicht diagnostiziert hat und in diesem Zusammenhang ausgeführt hat, aus neurologisch-psychiatrischer Sicht ergebe sich kein Anhalt für das Vorliegen eines epileptischen Anfallsleidens und auch kein sicherer Anhalt für das Vorliegen von dissoziativen Anfällen, begründet dies zur Überzeugung des Senats keine durchgreifenden Zweifel am Vorliegen eines Anfallsleidens. Zutreffend ist zwar, dass eine ätiologische und damit auch diagnostische Zuordnung des Anfallsleidens während des seit dem Jahr 2002 andauernden Rentenverfahrens trotz einer Vielzahl von Begutachtungen und medizinischer Abklärungsversuche nicht gelungen ist. Hieraus lässt sich aber nicht ableiten, dass ein Anfallsleiden tatsächlich nicht nachgewiesen ist. Dies sieht der Senat insbesondere dadurch belegt, dass sowohl B2, als auch U1 und R3 angegeben haben, dass Anfallsleiden nicht stets eindeutig dem organischen oder dem psychischen Anfallstyp zuzuordnen sind, sondern dass auch Kombinationen von organisch und psychisch bedingten Anfällen denkbar sind. Dieser Umstand bringt zur Überzeugung des Senats naturgemäß diagnostische Schwierigkeiten mit sich. Diesen bei Anfallsleiden möglichen diagnostischen Ungenauigkeiten entspricht es, dass sowohl B2 als auch R3 beim Kläger Anhaltspunkte für eine organische, wie auch für eine psychische Ursache gesehen haben. So hat B2 darauf hingewiesen, dass für eine organische Genese der Anfälle die kernspintomographisch nachgewiesene Gefäßmalformation spricht, da eine solche Anomalie Anfälle auslösen kann, was auch R3 bestätigt hat. Ebenso spricht nach seinen überzeugenden Darlegungen der Umstand, dass der Kläger viele Anfälle erlitten hat, während er alleine war, für eine organische Ursache, da psychogene Anfälle oft im Beisein anderer Personen auftreten. Untypisch für eine organische Ursache ist dagegen die nach den Anfällen schnell wiederkehrende Orientierung. Für das Vorliegen einer psychogenen Ursache spricht nach den überzeugenden Ausführungen des R3 zudem, dass es im Rahmen der generalisierten Anfälle nie zum Einnässen oder Einkoten gekommen ist.

Das Vorliegen eines Anfallsleidens ist auch nicht durch den Umstand ausgeschlossen, dass die beim Kläger durchgeführten EEG-Untersuchungen keine Auffälligkeiten gezeigt haben, da nach den überzeugenden Angaben des B2 ein interiktal normales EEG einem Anfallsleiden nicht entgegensteht.

Soweit S2 und auch H2 in ihrem Gutachten vom 22.08.2012 das vom Kläger berichtete Anfallsgeschehen in den Bereich der Simulation bzw. Aggravation gestellt haben, teilt der Senat diese Einschätzung nicht. Gegen eine Simulation sprechen zur Überzeugung des Senats zunächst die zahlreichen ärztlichen Befundunterlagen, die eine Vielzahl von Arztkontakten mit dem Ziel der diagnostischen Klärung des Anfallsgeschehens dokumentieren und bis in das Jahr 1998 (Bericht des Städtischen Klinikums K3, Neurologische Klinik, vom 27.11.1998; Diagnose V. a. zerebrales Anfallsleiden mit visueller Aura) zurückreichen. Nachdem der Kläger den ersten Rentenantrag im Juni 2002 gestellt hat, belegt nicht zuletzt dieser Arztkontakt aus dem Jahr 1998 zur Überzeugung des Senats ein tatsächlich bestehendes Leiden, um dessen Behandlung der Kläger bemüht war und dies nicht vor dem Hintergrund eines Rentenbegehrens. Auch das im Rahmen der Begutachtung durch H5 vorgelegte ärztliche Untersuchungsergebnis vom 27.11.1978 anlässlich der Musterung nach § 17 Abs. 5 Wehrpflichtgesetz, wonach der Kläger wegen eines Anfallsleidens als nicht wehrdienstfähig eingestuft worden ist, belegt zur Überzeugung des Senats ein bereits langfristig bestehendes und nicht lediglich vor dem Hintergrund eines Rentenbegehrens simuliertes Anfallsleiden. Ferner sieht der Senat das Bestehen des Anfallsleidens auch durch die schriftlichen Angaben der Ehefrau und der Tochter des Klägers vom 11.02.2015 und vom 17.02.2015 sowie durch deren Zeugenaussagen in der nichtöffentlichen Sitzung vom 11.02.2016 als belegt an. So berichtet die Ehefrau davon, dass der Kläger ihr bereits zu dem Zeitpunkt ihres Kennenlernens von dem Anfallsleiden erzählt hat und dass sich Anfälle seither ereignen. Die Tochter hat angegeben, sich ungefähr seit dem Jahr 2000 an Anfallsereignisse zu erinnern. Beide haben damit das Bestehen des Anfallsleidens bestätigt. Der Senat hält diese Angaben auch im Hinblick auf die dargestellte Befundlage für glaubhaft und konsistent.

Soweit H5 in seinem nach § 109 SGG erstellten Sachverständigengutachten ausgeführt hat, soweit der Kläger erstmals eine Anfallsauslösung durch Fotostimulation bei einer Autofahrt beschrieben habe, müsse eine Vortäuschung und Verdeutlichung erwogen werden, denn bei sehr umfangreicher Aktenlage sei solches bisher nie dokumentiert worden, ist dies unzutreffend und vermag Zweifel am Bestehen des Anfallsleidens nicht begründen. Zur Veranschaulichung seines Anfallserlebens hat der Kläger bereits im Rahmen der im Jahr 2005 durchgeführten Reha ausweislich des Rehaentlassberichts vom 16.09.2005 das Beispiel des Befahrens einer von Sonnenlicht beschienenen Allee bemüht.

Da der Kläger, wie er auch selbst vorgetragen hat, zwischen den einzelnen Anfallsereignissen, das heißt in anfallsfreien Momenten, durch das Anfallsleiden keinen Einschränkungen unterliegt, mithin grundsätzlich an diesen Tagen ein vollschichtiges Leistungsvermögen besteht, hängt die Leistungsfähigkeit des Klägers im Erwerbsleben maßgeblich davon ab, ob er trotz des bei ihm bestehenden Anfallsleidens eine regelmäßige Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarkts verrichten kann. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung bestimmt sich die Beantwortung der Frage, inwieweit ein Anfallsleiden die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt, einerseits nach der Häufigkeit, andererseits nach Art und Schwere der Anfälle (BSG, Urteil vom 12.12.2006 – B 13 R 27/06 R – juris, Rn. 13 zu epileptischen Anfällen). Maßgeblich sind daher Anfallsfrequenz sowie Anfallsbeschreibung (Art der Anfälle, aber z.B. auch: Bewusstsein, Willkürmotorik, Sturz, Verhalten im Anfall, Verhalten nach dem Anfall, Dauer des Anfalls, Ursache bzw. auslösende Faktoren, Vorhersehbarkeit <“Auren“>, tageszeitliche Bindung) und Verlauf der Erkrankung. Nur auf dieser Grundlage werden Feststellungen zur beruflichen Einsetzbarkeit eines Anfallskranken nachvollziehbar (BSG, a.a.O., Rn. 13). Aufgrund der bei Anfallsleiden durch die neurologisch-neurophysiologische Symptomatik individuell sehr unterschiedlich ausgeprägten Fähigkeitsstörungen ist aber die Fähigkeit eines Versicherten zur Ausfüllung eines Arbeitsplatzes in jedem Einzelfall differenziert zu beurteilen. Zur Beantwortung der Frage, inwieweit dem Kläger der Arbeitsmarkt im Sinne einer Beschäftigung unter „üblichen“ Bedingungen verschlossen ist, bedarf es Feststellungen zu Häufigkeit und Schwere der Anfälle sowie zur Prognose. Auf dieser Grundlage ist auch die Frage der Wegefähigkeit anzugehen (BSG a.a.O., Rn. 17).

Das beim Kläger bestehende Leiden führt zur Überzeugung des Senats zu Anfällen folgender Ausprägungen: Zum einen bestehen bei ihm Anfälle ohne Bewusstseinsverlust, die in dem hier maßgeblichen Zeitraum zwei bis drei Mal wöchentlich aufgetreten sind. Diese Anfälle beginnen mit einer Sehstörung, bei der er das Gefühl hat, als würde das von ihm Gesehene und auch sein Kopf selbst zur Seite rücken. Wenn er sich bei Auftreten dieses Gefühls sofort setzt oder legt, und sich auf den Gedanken konzentriert, nicht das Bewusstsein zu verlieren, klingt die Symptomatik nach wenigen Minuten (zwischen 3 und 10 Minuten) ohne Bewusstseinsverlust ab. Während des Anfalls hat er einen starren Blick und reagiert auf Ansprache mit der Bitte, „in Ruhe gelassen zu werden“. Nach dem Anfall ist er wieder orientiert, leidet aber anschließend unter einem starken occipitalen nach frontal ziehenden Kopfschmerz, der mit Übelkeit, Lichtempfindlichkeit und häufig Erbrechen verbunden ist, so dass er sich für zwei bis drei Stunden in einen abgedunkelten Raum zurückziehen muss. Die Anfälle unterliegen keinen besonderen Provokationsfaktoren und sind auch nicht an bestimmte Tageszeiten gebunden. Daneben leidet der Kläger unter Anfällen mit Bewusstlosigkeit. Diese sind in der Vergangenheit mit einem Abstand von mehreren Jahren eingetreten. In dem hier streitigen Zeitraum kündigen sich die zur Bewusstlosigkeit führenden Anfälle nicht mehr an und der Kläger wird monatlich einmal bewusstlos. Dies entnimmt der Senat den Anfallsbeschreibungen des Klägers, wie er sie im Rahmen der Begutachtung durch H5, S2, H2, B2 und D1 und der nichtöffentlichen Sitzung vor dem SG am 11.02.2016 im Wesentlichen deckungsgleich gemacht hat sowie den Zeugenaussagen seiner Ehefrau und seiner Tochter, wie diese sie in der nichtöffentlichen Sitzung vor dem SG am 11.02.2016 gemacht haben sowie deren schriftlichen Angaben vom 11.02.2015 und vom 17.02.2015. Der Senat hat keine Zweifel am Wahrheitsgehalt der vom Kläger gemachten Angaben zu Ablauf und Häufigkeit der Anfälle. Er hat die Angaben zu Anfallsablauf und -häufigkeit gegenüber allen Behandlern seit dem ersten ausführlichen, hierzu aktenkundigen Bericht des Universitätsklinikums M2, Universitätsklinik vom 12.05.2001 im Wesentlichen gleichbleibend und in sich widerspruchsfrei geschildert. Auch ist die Angabe des Klägers, dem Bewusstseinsverlust durch „starke Konzentration“ begegnen zu können, durch den wissenschaftlichen Erkenntnisstand gedeckt, da B2 die vom Kläger beschriebene Möglichkeit als ein in der Medizin bekanntes Phänomen zur Verhinderung der Anfalls- und Auraausweitung bestätigt hat. Soweit der Kläger im Laufe des Rentenverfahrens von dem dargestellten Ablauf abweichende Schilderungen gemacht hat, sind diese durch Änderungen im Anfallsverlauf begründet gewesen (wie z.B. die Änderung bei Ablauf und Häufigkeit der Anfälle mit Bewusstlosigkeit seit den Jahren 2013/2014). Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben des Klägers zu Ablauf und Häufigkeit der Anfälle ergeben sich zur Überzeugung des Senats auch nicht im Hinblick auf seine inkonsistenten Angaben zu der Frage seiner Freizeitgestaltung, namentlich des Tennisspiels. Insoweit hat das SG zwar zu Recht die Widersprüchlichkeiten in den Angaben des Klägers aufgezeigt. So hat der Kläger gegenüber H2 am 01.02.2012 angegeben, kein Tennis mehr zu spielen und gegenüber S2 im November 2013 angegeben, den Sport seit Mitte 2012 aufgegeben zu haben, während er nach den aktenkundigen Spielberichten noch bis ins Jahr 2013 fortgesetzt Tennis gespielt hat. Ebenso wie das SG leitet auch der Senat hieraus die Bereitschaft des Klägers zu negativer Antwortverzerrung ab. Allerdings belegt dies zur Überzeugung des Senats keine fehlende Glaubwürdigkeit seiner Person in Gänze. Vielmehr wertet der Senat diese wahrheitswidrigen Angaben vor dem Hintergrund des Rentenverfahrens als Versuch, seine durch das Anfallsleiden erlittenen Einschränkungen in der Tagesstrukturierung zu übersteigern, da er dies für die Annahme einer eingeschränkten beruflichen Leistungsfähigkeit als zuträglich angesehen hat. Zur Überzeugung des Senats beschränken sich diese Unplausibilitäten allerdings auf die Darstellung der Tagesstrukturierung. Demgegenüber lassen seine Darstellungen zum Anfallsablauf und Anfallshäufigkeit keine vergleichbar widersprüchlichen Veränderungen erkennen. So bleiben seine Schilderungen zu den Anfällen ohne Bewusstseinsverlust über die gesamte Zeit konstant. In Bezug auf die Anfälle mit Bewusstseinsstörung hat er zwar in der persönlichen Befragung durch das SG am 11.02.2016 ab den Jahren 2013/2014 eine Veränderung dieser Anfälle insofern angegeben, als sich die Anfälle nicht mehr ankündigten, weshalb er nunmehr einmal monatlich Bewusstlosigkeit erleide. Diese Veränderung des Anfallsgeschehens wird allerdings auch durch die Zeugenaussagen von Mutter und Tochter vom 11.02.2016 und durch ihre schriftlichen Angaben bestätigt. Beide berichten von unkontrollierten Anfällen, bei denen der Kläger „einfach ohne eine Reaktion zu zeigen,“ auf den Boden fällt, die es wenige Jahre zuvor noch nicht gegeben hat. Der Senat hält die Aussagen von Ehefrau und Tochter für glaubhaft, zumal beide ihre Aussagen durch konkrete Ereignisse veranschaulichen konnten, bei denen der Kläger – wie insbesondere die Tochter glaubhaft bekundet, für die Familie jeweils sehr erschreckend – plötzlich umgefallen ist und sich zum Teil auch erhebliche Schnittwunden zugezogen hat. Entgegen der Auffassung des SG hält der Senat die Aussagen von Ehefrau und Tochter nicht bereits aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses für weniger überzeugend. Zwar hält der Senat es für naheliegend, dass insbesondere die Ehefrau ein eigenes Interesse an der Fortzahlung der Erwerbsminderungsrente ihres Ehemanns hat, da dies Auswirkungen auf die finanzielle Lage beider Eheleute hat, zumal sie nach ihren Angaben die Realisierung einer angestrebten eigenen Arbeitszeitreduzierung von der Rentenzahlung ihres Ehemanns abhängig gemacht hat. Dies begründet als solches aber keine Zweifel am Wahrheitsgehalt ihrer Aussage. Vielmehr ist diese in sich stimmig und steht in Einklang mit der Aktenlage. Zudem werden die Angaben der Ehefrau auch durch die der Tochter bestätigt, die zwar ebenfalls in einem familiären Näheverhältnis zum Kläger steht, bei der der Senat aber kein darüber hinausgehendes eigenes Interesse erkennen kann.

Entgegen der Auffassung der Beklagten und des S2 in dessen gutachterlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 14.04.2016 vermag der Senat auch aus dem Umstand, dass der Kläger nicht sämtlichen in den vielzähligen Gutachten und ärztlichen Befundberichten vorgeschlagenen weiteren Diagnosemöglichkeiten nachgegangen ist, keine begründeten Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben des Klägers zu Ablauf und Häufigkeit der Anfälle abzuleiten. Vielmehr hat der Kläger, was der Senat durch die Vielzahl an ärztlichen Berichten belegt sieht, in dem durch die aktenkundigen Berichte erfassten Zeitraum mehrfach den Versuch einer diagnostischen Abklärung des Anfallsleidens unternommen, zuletzt im Rahmen der Behandlung durch R4, der ohne dass hieraus weitere Erkenntnisse gefolgt wären, eine Abklärung durch die Epilepsiesprechstunde der neurologischen Universitätsklinik M2 und eine kardiologische Abklärung veranlasst hatte. Dass bei fehlender Diagnose die Behandlungsmöglichkeiten limitiert sind, hat auch S2 in seiner Stellungnahme vom 14.04.2016 ausgeführt. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch aus aktuell fehlenden therapeutischen Maßnahmen kein Rückschluss auf den Leidensdruck und damit auf den Wahrheitsgehalt der Angaben des Klägers ziehen.

Das so bestehende Anfallsleiden führt sowohl im Hinblick auf die Häufigkeit der Anfälle als auch im Hinblick auf die mit jedem Anfallsereignis einhergehenden Beeinträchtigungen zu erheblichen qualitativen Leistungseinbußen.

Zur Quantifizierung der Anfallsfrequenz legt der Senat angesichts der vergleichbaren Folgen von epileptischen Anfällen mit sonstigen Anfallsleiden entsprechend der oben dargestellten Rechtsprechung des BSG die für epileptische Anfälle geltenden DGUV Informationen 250-001 (Berufliche Beurteilung bei Epilepsie und nach erstem epileptischen Anfall, Ausgabedatum Januar 2015, aktualisierte Fassung Dezember 2019, abrufbar unter https://publikationen.dguv.de/regelwerk/dguv-informationen/345/berufliche-beurteilung-bei-epilepsie-und-nach-erstem-epileptischen-anfall) zugrunde. Hiernach erfolgt die Einteilung in vier Kategorien, beginnend mit der niedrigsten Kategorie (anfallsfrei), über die zweite Kategorie (weniger als ein Anfall pro Jahr), die dritte Kategorie (bis zu zwei Anfälle pro Jahr) bis hin zur höchsten Kategorie (mehr als drei Anfälle pro Jahr – vgl. DGUV Informationen 250-001, S. 7). Die beim Kläger bestehenden Anfälle liegen unter dem Gesichtspunkt der Anfallshäufigkeit im streitgegenständlichen Zeitraum sowohl in Bezug auf die mehrfach wöchentlich auftretenden Anfälle ohne Bewusstseinsverlust als auch auf die monatlich auftretenden Anfälle mit Bewusstseinsverlust in der höchsten Kategorie der Anfallshäufigkeit. Damit leidet er unter einem quantitativ erheblichen Anfallsleiden, weshalb es zur Beantwortung der Frage nach der Fähigkeit einer Arbeitsleistung „unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarkts“ der weiteren Klärung bedarf, welche qualitativen Leistungseinbußen mit einem jeden Anfall einhergehen (vgl. BSG, a.a.O, Rn. 18).

Die Bestimmung der mit den Anfällen verbundenen qualitativen Einschränkungen erfolgt insbesondere für den Gesichtspunkt der Selbst- und Fremdgefährdung in Anlehnung der für epileptische Anfälle entwickelten Kategorien, die – von gering bis stark gefährdend – wie folgt umschrieben sind (vgl. DGUV Informationen 250-001, S. 6): Kategorie „O“ – erhaltenes Bewusstsein, erhaltene Haltungskontrolle und Handlungsfähigkeit; Kategorie „A“ – Beeinträchtigungen der Handlungsfähigkeit bei erhaltenem Bewusstsein mit Haltungskontrolle; Kategorie „B“ – Handlungsunterbrechung bei Bewusstseinsstörung mit Haltungskontrolle; Kategorie „C“ – Handlungsunfähigkeit mit/ohne Bewusstseinsstörung bei Verlust der Haltungskontrolle; Kategorie „D“ – unangemessene Handlungen bei Bewusstseinsstörungen mit/ohne Haltungskontrolle.

Ausgehend von dem Erscheinungsbild der Anfälle ohne Bewusstseinsverlust ist vorliegend eine Zuordnung zur Gefährdungskategorie B vorzunehmen. Während dieser Anfälle ist die Handlungsfähigkeit bei erhaltenem Bewusstsein gestört, gleichzeitig ist die Haltungskontrolle erhalten. Demgegenüber sind die Anfälle mit Bewusstseinsverlust der Gefährdungskategorie C zuzuordnen, da während der Anfälle das Bewusstsein gestört ist, die Handlungsfähigkeit aufgehoben ist und ein Verlust der Haltungskontrolle eintritt. Einer Zuordnung zur Kategorie D steht das Fehlen unangemessener Handlungen entgegen.

Neben dem durch die Gefährdungskategorien ausgedrückten Gefährdungspotential eines Anfallsleidens haben für die Frage der Arbeitsleistung „unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarkts“ nach der oben dargestellten Rechtsprechung des BSG auch das Verhalten nach dem Anfall, die Dauer des Anfalls, die Ursache bzw. die auslösenden Faktoren, die Vorhersehbarkeit („Auren“), die tageszeitliche Bindung und der Verlauf der Erkrankung Relevanz. Vorliegend führen nach den Feststellungen des Senats auch die Anfälle ohne Bewusstseinsverlust zu Kopfschmerzen sowie zum Teil zu Übelkeit, die Erholungszeiten von zwei bis drei Stunden aufgrund der Lichtempfindlichkeit in abgedunkelten Räumen erfordern. Der Eintritt der Anfälle ist nicht an bestimmte Faktoren oder eine bestimmte Tageszeit gebunden. Diese Umstände begründen unter Berücksichtigung der hohen Anfallsfrequenz zumindest eine schwere spezifische Leistungseinschränkung. Denn selbst wenn nicht jeder Anfall mit einer den ganzen Tag überdauernden Arbeitsunfähigkeit des Klägers verbunden ist, führt jedes Anfallsereignis doch zu einer mehrstündigen Arbeitsunfähigkeit. Während dieser Zeit ist die Leistungsfähigkeit des Klägers vollständig aufgehoben. Insgesamt liegen damit bei ihm wöchentlich zwei bis drei Mal plötzlich eintretende Zeiten der Leistungsunfähigkeit von der Dauer ungefähr eines halben Arbeitstages vor. Diese Einschränkungen stehen einem regelmäßigen vollschichtigen Arbeitseinsatz entgegen. Angesichts der fehlenden Planbarkeit der Anfallsereignisse kann den Einschränkungen auch nicht durch eine Reduzierung der Arbeitszeit oder einer besonderen Arbeitszeitverteilung begegnet werden. Ebenso wenig können die benannten Verweisungstätigkeiten des Registrators, des Mitarbeiters in der Poststelle einer Behörde oder des Telefonisten die dargestellten Leistungseinschränkungen auffangen. Insgesamt liegt damit – wie auch schon der 4. Senat des LSG in seinem Urteil vom 23.01.2009 festgestellt hat – weiterhin eine schwere spezifische Leistungseinschränkung vor, weshalb der Kläger auch über den 30.04.2014 hinaus erwerbsgemindert ist.

Nachdem bereits das Anfallsleiden eine Erwerbsminderung begründet, kommt es auf die Auswirkungen der orthopädischen Beschwerden auf die berufliche Leistungsfähigkeit nicht an.

Aufgrund der über den 30.04.2014 hinaus weiterhin bestehenden Erwerbsminderung hat der Kläger einen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung über dieses Datum hinaus, antragsgemäß bis zum 30.06.2019, dem Tag vor dem Beginn des Bezugs der Altersrente für Schwerbehinderte. Eine erneute (kürzere) Befristung im Sinne von § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI wegen der Möglichkeit der Behebung der Minderung der Erwerbsfähigkeit war nicht auszusprechen, da der Kläger bereits für die Zeit vom 01.03.2006 bis zum 28.02.2010, sodann verlängert bis zum 30.06.2012 und wiederum verlängert bis zum 30.04.2014, mithin bereits für acht Jahre und zwei Monate eine Rente wegen Erwerbsminderung bezogen hat und die nochmalige Verlängerung des Rentenanspruchs zu einem längeren Rentenbezug als neun Jahre führt, vgl. § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen liegen weiterhin vor. Maßgeblicher Zeitpunkt ist insoweit weiterhin der Rentenbeginn zum 01.03.2006 (vgl. § 102 Abs. 2 Satz 6 SGB VI).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist

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