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Erwerbsminderungsrente – Grenzen der Ermittlungspflicht des Gerichts

Erwerbsminderungsrente: Gerichtliche Pflichten und Einschränkungen im Überblick

Das Landessozialgericht Hamburg wies die Berufung der Klägerin auf Erwerbsminderungsrente zurück, da sie nach Bewertung durch medizinische Sachverständige mindestens sechs Stunden täglich arbeiten könne. Trotz psychischer Erkrankungen wie gemischter Angst- und depressiver Störung und Somatisierungsstörung wurde kein aufgehobenes Leistungsvermögen festgestellt. Die Klägerin erfüllt demnach weder die medizinischen noch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Rente.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: L 3 R 67/20  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Berufung der Klägerin abgewiesen: Das Gericht bestätigte, dass kein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente besteht.
  2. Medizinische Einschätzungen: Diverse Gutachten attestierten der Klägerin ein Arbeitsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich.
  3. Psychische Erkrankungen: Die Klägerin litt unter gemischter Angst- und depressiver Störung, Somatisierungsstörungen und Lumboischialgien, aber diese führten nicht zu vollständiger Erwerbsunfähigkeit.
  4. Versicherungsrechtliche Voraussetzungen: Die Klägerin erfüllte nicht die notwendigen Kriterien für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
  5. Beweisführung und -würdigung: Das Gericht wertete ausführlich die medizinischen Unterlagen und Expertenmeinungen.
  6. Erwerbsfähigkeit bejaht: Trotz ihrer Erkrankungen konnte die Klägerin noch leichte bis mittelschwere Arbeiten verrichten.
  7. Konsistenz der Gutachten: Drei Sachverständige kamen unabhängig voneinander zu ähnlichen Schlussfolgerungen bezüglich der Leistungsfähigkeit der Klägerin.
  8. Keine wesentliche depressive Symptomatik: Die Gutachten ergaben, dass keine schwere Depression vorlag, die eine Erwerbsminderung rechtfertigen würde.

Erwerbsminderungsrente: Ein juristischer Überblick

Erwerbsminderungsrente und ihre rechtlichen Rahmenbedingungen sind ein zentrales Thema im Sozialrecht, das sowohl Arbeitnehmer als auch Juristen immer wieder herausfordert. Im Fokus steht dabei die Frage, unter welchen Bedingungen ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente besteht. Dies beinhaltet die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit einer Person und die damit verbundenen sozialrechtlichen Konsequenzen.

Kernstück eines solchen Verfahrens sind medizinische Gutachten, die eine entscheidende Rolle in der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit und somit auch in der Entscheidung über den Rentenanspruch spielen. Die Bewertung von Arbeitsunfähigkeit in diesem Kontext ist häufig Gegenstand von Gerichtsverfahren am Sozialgericht. Diese Verfahren bieten interessante Einblicke in die Schnittstelle zwischen Medizin, Recht und individuellen Schicksalen.

Tauchen Sie mit uns in die Details eines konkreten Falls ein, bei dem es um die Grenzen der Ermittlungspflicht des Gerichts und die damit verbundenen Herausforderungen geht. Erfahren Sie mehr über die juristischen Feinheiten und die menschlichen Aspekte, die in solchen Fällen eine Rolle spielen.

Der lange Weg zum Urteil: Klägerin fordert Erwerbsminderungsrente

Im komplexen Fall der Erwerbsminderungsrente, verhandelt am Landessozialgericht Hamburg, stand die Klägerin, geboren 1965 und ohne abgeschlossene Berufsausbildung, im Mittelpunkt. Ihre berufliche Laufbahn endete 2008, als ihre letzte versicherungspflichtige Tätigkeit als Reinigungskraft auslief. Zuvor hatte sie von der Beklagten, einer Versicherung, eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme erhalten, nach der sie als arbeitsfähig für sechs Stunden täglich eingestuft wurde. Dennoch stellte sie 2007 einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente, der jedoch abgelehnt wurde. Ein nervenärztliches Gutachten bestätigte ihre Arbeitsfähigkeit, trotz diagnostizierter leichter psychischer Störungen und Lumboischialgien.

Zweite Antragstellung und medizinische Begutachtung

2013 reichte die Klägerin erneut einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente ein, der wiederum abgelehnt wurde. Die Beklagte berief sich dabei auf nicht erfüllte versicherungsrechtliche Voraussetzungen und mangelnde medizinische Indizien für eine Erwerbsminderung. Die Klägerin legte Widerspruch ein und argumentierte mit ihrer kontinuierlichen Arbeitsunfähigkeit seit dem Ende ihrer letzten Beschäftigung, verstärkt durch gesundheitliche Probleme wie Ohnmachtsanfälle und schwere Depressionen. Trotz weiterer medizinischer Stellungnahmen und gutachterlicher Untersuchungen blieb die Beklagte bei ihrer Entscheidung.

Sozialgerichtliches Verfahren und differierende medizinische Meinungen

Nach Abweisung ihres Widerspruchs zog die Klägerin vor das Sozialgericht Hamburg. Sie legte diverse medizinische Unterlagen vor, die auf eine schwerwiegende psychische Erkrankung hindeuteten. Der behandelnde Psychiater untermauerte diese Einschätzung. Jedoch erkannte die Beklagte nur einen begrenzten Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit an und argumentierte, dass nach drei Jahren der Berufsschutz entfalle und die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei. Das Sozialgericht folgte dieser Auffassung und wies die Klage ab. Es stützte sich auf sachverständige Bewertungen, die der Klägerin ein Leistungsvermögen von täglich mindestens sechs Stunden attestierten, und sah keine durchgehende Erwerbsminderung.

Berufungsverfahren: Endgültige Entscheidung des Landessozialgerichts

Die Klägerin legte Berufung ein, wobei sie die Bewertung des Sozialgerichts kritisierte und die medizinischen Einschätzungen hinterfragte. Das Berufungsgericht holte weitere aktuelle medizinische Gutachten ein. Diese bestätigten die früheren Einschätzungen und fanden keine Hinweise auf eine entscheidende körperliche oder psychische Erkrankung, die eine Leistungsunfähigkeit begründen würde. Trotz der Vorlage neuer Atteste und Behandlungsverläufe sah das Gericht keine Grundlage für eine andere Entscheidung und wies die Berufung zurück. Es betonte die Konsistenz und Plausibilität der Sachverständigengutachten, die die Arbeitsfähigkeit der Klägerin bestätigten und die Diskrepanz zwischen ihren subjektiven Beschwerdeschilderungen und dem objektiven medizinischen Befund hervorhoben.

Ausblick: Das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg

Das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg markiert den Abschluss eines langwierigen gerichtlichen Verfahrens, in dem die Klägerin um die Anerkennung einer Erwerbsminderung kämpfte. Trotz ihrer wiederholten Anträge, unterstützt durch umfangreiche medizinische Dokumentation, blieb das Gericht bei seiner Entscheidung, dass keine vollständige Erwerbsminderung vorliegt. Dieses Urteil unterstreicht die Bedeutung objektiver medizinischer Bewertungen in Fällen von Erwerbsminderungsrenten und zeigt auf, dass die Gerichte eine gründliche Überprüfung der Sachlage vornehmen, um eine gerechte Entscheidung zu treffen.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Wie definiert das Sozialrecht die Begriffe „volle“ und „teilweise“ Erwerbsminderung?

Im deutschen Sozialrecht werden die Begriffe „volle“ und „teilweise“ Erwerbsminderung klar definiert.

Eine „volle Erwerbsminderung“ liegt vor, wenn eine Person aufgrund von Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dies bedeutet, dass die betroffene Person weniger als drei Stunden pro Tag arbeiten kann. Es gibt jedoch Ausnahmen, bei denen trotz einer Arbeitsfähigkeit von mindestens drei bis unter sechs Stunden pro Tag eine volle Erwerbsminderung anerkannt wird. Dies ist der Fall, wenn der Teilzeitarbeitsmarkt für die betroffene Person verschlossen ist.

Eine „teilweise Erwerbsminderung“ liegt vor, wenn eine Person aufgrund von Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dies bedeutet, dass die betroffene Person mindestens drei, aber nicht mehr als sechs Stunden pro Tag arbeiten kann.

Ob eine volle oder teilweise Erwerbsminderung vorliegt, wird durch einen Gutachter des sozialmedizinischen Dienstes oder einen Gutachter mit der erforderlichen sozialmedizinischen Sachkunde festgestellt.

Die Erwerbsminderungsrente dient als finanzieller Ausgleich für den Verlust der Erwerbsfähigkeit. Je nachdem, wie stark die Erwerbsfähigkeit eingeschränkt ist, kann entweder eine volle Erwerbsminderungsrente oder eine halbe Erwerbsminderungsrente in Anspruch genommen werden.


Das vorliegende Urteil

Landessozialgericht Hamburg – Az.: L 3 R 67/20 – Urteil vom 28.02.2023

Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Die im Jahre 1965 geborene Klägerin, die keine Berufsausbildung abgeschlossen hat, war zuletzt als Reinigungskraft tätig. Die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung der Klägerin endete am 30. Juni 2008.

Für die Zeit vom 5. April 2007 bis zum 3. Mai 2007 gewährte die Beklagte der Klägerin eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der M. in B.. Die Klägerin wurde mit einem Leistungsvermögen von täglich sechs Stunden und mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen.

Im September 2007 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung. Diesen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. September 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2008 ab. Die hiergegen von der Klägerin bei dem Sozialgericht Hamburg erhobene Klage zum Aktenzeichen S 20 R 398/08 wies das Sozialgericht mit Urteil vom 10. Dezember 2009 ab. Grundlage dieses Urteils war unter anderem ein nervenärztliches Gutachten der Sachverständigen Dr. M1 vom 27. Oktober 2009. Danach sei die Leistungsfähigkeit der Klägerin durch eine gemischte Angststörung und depressive Störung in leichter Form, eine undifferenzierte Somatisierungsstörung und Lumboischialgien ohne neurologische Ausfallerscheinungen beeinträchtigt. Die Klägerin verfüge über ein Leistungsvermögen von täglich sechs Stunden und mehr unter Beachtung im Gutachten genannter qualitativer Leistungseinschränkungen.

Am 22. November 2013 beantragte die Klägerin bei der Beklagten erneut eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Beklagte holte Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte sowie ein Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. vom 4. Juli 2014 ein. Auf dieser Grundlage lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 11. Juli 2014 ab. Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung seien nicht erfüllt. Als möglichen Eintritt der Erwerbsminderung habe die Beklagte den 22. November 2013 angenommen. Daraus folge, dass das Versicherungskonto der Klägerin die Mindestzahl von 36 Monaten Pflichtbeiträgen im Zeitraum vom 22. November 2008 bis zum 21. November 2013 enthalten müsse. In diesem Zeitraum habe die Klägerin jedoch nur 13 Monate mit Pflichtbeiträgen. Im Übrigen sei die Klägerin nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen nicht erwerbsgemindert. Sie erfülle damit auch die medizinischen Voraussetzungen für die begehrte Rente nicht.

Mit ihrem hiergegen am 25. Juli 2014 eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass ihre letzte Beschäftigung am 30. Juni 2008 geendet habe. Danach habe sie keinen weiteren Anspruch auf Krankengeld mehr gehabt, da dieser bereits ausgeschöpft gewesen sei. Sie beantrage eine Anrechnungszeit wegen Krankheit ab dem 1. Juli 2008 bis zum       30. Juni 2011 und bat um eine erneute Prüfung des Eintritts der Erwerbsminderung. Der     22. November 2013 sei das Datum der Antragstellung, nicht aber das Datum des Eintritts der Erwerbsminderung. Ihr Ehemann könne sie nicht mehr allein lassen, da sie unter Ohnmachtsanfällen leide sowie unter starken Depressionen. Deshalb sei es auch zu mehreren Krankenhausaufenthalten gekommen.

Die Beklagte veranlasste gutachterliche Stellungnahmen des Facharztes für Innere Medizin und Sozialmedizin Dr. F1 vom 6. Februar 2015 sowie vom 13. Oktober 2015. Auf dieser Grundlage wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 2016 als unbegründet zurück. Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Ferner liege weder teilweise noch volle Erwerbsminderung vor. Es seien medizinische Unterlagen aus den Jahren 2012 bis 2014 ausgewertet worden. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens seien weitere ärztliche Unterlagen berücksichtigt worden. Es bestehe ein zeitweise depressiv getönter Versagungszustand mit Somatisierungstendenzen ohne wesentliche nachvollziehbare Beeinträchtigung psychosozialer Kompetenzen. Die Klägerin könne noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes folgende Arbeiten verrichten: mittelschwere Arbeiten ohne besondere Stressbelastung, ohne besonderen Zeitdruck, ohne Nachtschichtarbeit in einem überschaubaren Arbeitsbereich, ohne Wirbelsäulenzwangshaltungen oder ständiges Überkopfarbeiten oder Arbeiten mit besonderer Verantwortung. Die Unterarmfraktur sei ein Behandlungsleiden ohne rentenrechtliche Relevanz.

Hiergegen hat die Klägerin am 3. Juni 2016 Klage bei dem Sozialgericht Hamburg erhoben. Zu deren Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen, dass sich aus dem vorläufigen Entlassungsbericht der S. vom 27. Januar 2016 über den teilstationären Aufenthalt vom 4. Januar bis zum 4. März 2016 ergebe, dass sie unter einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig schweren Störung ohne psychotische Symptome, unter Zwangsgedanken und Zwangshandlungen gemischt, einer generalisierten Angststörung, einer posttraumatischen Belastungsstörung, Migräne ohne Aura sowie einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren und sonstigen somatoformen Störungen leide. Die Gutachterin Dr. F. habe in ihrem Gutachten aus Juli 2014 die Angabe der Klägerin, durchgehend 24 Stunden am Tag unter Schmerzen zu leiden, heruntergespielt. Ihr behandelnder Psychiater Dr. H. habe beschrieben, dass sie die pathologische Trauerreaktion nach dem Verlust des ersten Sohnes im Kleinkindalter nicht überwunden habe. Das Krankheitsbild auf neurologischem und psychiatrischem Gebiet sei hoffnungslos chronifiziert ohne jegliche Möglichkeit einer erfolgreichen Einflussnahme. Ein positives Leistungsbild im Hinblick auf eine Erwerbstätigkeit sei nicht denkbar. Einem Bericht des Krankenhauses Lindenbrunn vom 16. Mai 2014 sei zu entnehmen, dass sie neben einer mittelgradigen depressiven Episode auch unter einem täglichen Kopfschmerz leide. In einem Bericht des UKE vom 10. Juni 2016 werde ein depressives Syndrom, chronische Migräne und Schmerzmittelübergebrauch beschrieben. Sie erfülle auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Bis Dezember 2006 sei sie sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Von Januar 2007 bis ca. Juni 2008 habe sie Krankengeld erhalten. Nach ihrer Aussteuerung habe sie keine weiteren Leistungen erhalten. Die Berechtigung für Arbeitslosengeld sei ihr unbekannt gewesen. Einen entsprechenden Hinweis habe sie von einem Richter des Sozialgerichts Hamburg im Dezember 2009 erhalten. Das Arbeitslosengeld habe sie sodann umgehend beantragt. Sie sei sowohl nach der Aussteuerung aus ihrem Krankengeldbezug als auch nach dem Bezug des Arbeitslosengeldes durchgehend arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Dies bestätige Herr Dr. H.. Die Klägerin hat diverse medizinische Unterlagen zur Gerichtsakte gereicht.

Die Beklagte hat sich zur Begründung auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides in Gestalt des Widerspruchsbescheides bezogen. Im Mai 2010 sei die Klägerin mit einem Merkblatt über die Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes informiert worden. Nach Auskunft der City BKK vom 18. Juni 2018 sei die Klägerin vom 16. Januar 2007 bis 12. Juni 2008 arbeitsunfähig gewesen. Gemäß Angabe von Herrn Dr. H. vom 9. April 2019 sei dort Arbeitsunfähigkeit vom 16. Januar 2007 bis 2. September 2008 bescheinigt worden. Im vorherigen sozialgerichtlichen Verfahren sei die Klägerin am 27. Oktober 2009 nervenärztlich begutachtet worden. Die Beklagte erkenne an, dass bei der Klägerin auch für die Zeit vom 1. August 2008 bis 10. Dezember 2009 Arbeitsunfähigkeit bestanden habe, sodass für diesen Zeitraum eine Anrechnungszeit nach § 58 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) vorzumerken sei. Ab dem 11. Dezember 2009 bis 9. Dezember 2010 sei im Versicherungskonto der Klägerin eine Pflichtbeitragszeit wegen Bezuges von Arbeitslosengeld vorgemerkt. Unter Berücksichtigung dieser Anrechnungszeit wären die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt, sofern der Leistungsfall der Erwerbsminderung bis zum 31. Januar 2013 eingetreten wäre. Die Vormerkung einer weiteren Anrechnungszeit wegen Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf der Pflichtbeitragszeit am 9. Dezember 2010 komme nicht in Betracht. Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit habe dieselbe Bedeutung wie in der gesetzlichen Krankenversicherung. Danach seien Versicherte arbeitsunfähig, wenn sie infolge Krankheit weder ihre zuletzt ausgeübte Beschäftigung oder Tätigkeit noch eine ähnlich geartete Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben könnten. Der Berufsschutz und damit die Arbeitsunfähigkeit bestimme sich aber nicht unbegrenzt nach der letzten Beschäftigung. Nach Ablauf eines Dreijahreszeitraumes entfalle der Berufsschutz. Versicherte seien dann auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Bei der Klägerin habe ab dem 16. Januar 2007 Arbeitsunfähigkeit vorgelegen. Der maßgebende Dreijahreszeitraum habe somit am 15. Januar 2010 geendet. Zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin Arbeitslosengeld I bezogen, sodass davon auszugehen sei, dass sie dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden habe, also nicht mehr arbeitsunfähig gewesen sei. Davon abgesehen lägen keine medizinischen Unterlagen vor, wonach die Klägerin ab dem 10. Dezember 2010 nicht mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig hätte tätig sein können. Auch unter Berücksichtigung des Entlassungsberichtes über die Rehabilitationsmaßnahme vom 14. Mai 2019 bis zum 12. Juni 2019 könne die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich leichte Arbeiten unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten.

Die Klägerin hat sich in der Zeit vom 12. Dezember 2016 bis 27. Januar 2017 erneut in tagesklinischer Behandlung der S. befunden (s. Entlassungsbericht vom 13. Juli 2017). Das Sozialgericht hat zur weiteren Sachaufklärung Befund- und Behandlungsberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte und die Entlassungsberichte der S. beigezogen. Der behandelnde Nervenarzt Dr. H. hat dem Gericht mit Bericht vom 9. April 2019 mitgeteilt, dass er eine Arbeitsunfähigkeit vom 16. Januar 2007 bis zum 2. September 2008 bescheinigt habe. Ferner hat das Sozialgericht Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigen des Arztes für Psychiatrie und Neurologie sowie Sozialmedizin Dr. N. vom 23. April 2020. Der medizinische Sachverständige hat bei der Klägerin sowohl für den Zeitpunkt 31. Januar 2013 als auch aktuell ein quantitatives Leistungsvermögen von täglich sechs Stunden und mehr bei Beachtung im Gutachten genannter qualitativer Leistungseinschränkungen festgestellt. Wegen des weitergehenden Inhalts des Gutachtens wird auf Blatt 152 bis 173 der Gerichtsakte Bezug genommen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme am 12. Juni 2020 hat die Kammer den Sachverständigen Dr. N. vernommen. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass im Zeitraum von 2013 bis heute keine Aufhebung des Leistungsvermögens bestanden habe.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 12. Juni 2020 abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass die Frage, ob der Leistungsfall der Erwerbsminderung bis zum 31. Januar 2013 letztmöglich hätte eintreten müssen, dahinstehen könne. Denn die Klägerin sei nach der durchgeführten Beweisaufnahme im Zeitraum von Januar 2013 bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weder teilweise noch voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 SGB VI gewesen. Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet sei von einer gemischt ängstlich depressiven Störung auszugehen. Der Sachverständige Dr. N. habe die Diagnose einer mittelschweren oder gar schweren Depression nicht nachvollziehen können. Soweit in der Vergangenheit eine derartige Erkrankung diagnostiziert worden sei, sei davon auszugehen, dass dieser Zustand zwischenzeitlich abgeklungen sei. Die Klägerin habe sich in psychischer Hinsicht wach, orientiert und bewusstseinsklar gezeigt. Merkfähigkeit, Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis seien intakt gewesen. Der Sachverständige habe keine kognitiv-mnestischen Defizite feststellen können. Auch gegen Ende der Begutachtung hätten sich keine Hinweise auf vorzeitige Erschöpfung, Ermüdung oder Konzentrationsschwierigkeiten gezeigt. Die Grundstimmung sei zwar leicht ängstlich depressiv ausgelenkt gewesen, ein vollständiger Interessenverlust und außergewöhnlicher sozialer Rückzug aus allen Lebensbereichen könne jedoch nicht angenommen werden. Eine schwerwiegende Antriebsstörung würde nicht vorliegen. Die Willenskräfte der Klägerin seien nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. N. durchaus zielgerichtet und es gelinge der Klägerin intentionale Spannungsbögen zu initiieren. Der Sachverständige habe im Rahmen der mündlichen Verhandlung noch einmal dargelegt, dass das Leistungsvermögen im gesamten relevanten Zeitraum rentenrechtlich nicht eingeschränkt gewesen sei. Es habe lediglich Zeiten der Arbeitsunfähigkeit gegeben, in denen die Klägerin teilstationär oder stationär behandelt worden sei. Auch könne nach dem Sachverständigengutachten eine maßgebliche Beeinträchtigung durch chronische Kopfschmerzen nicht angenommen werden. Das vorhandene lumbale Wirbelsäulensyndrom würde nicht zu neurologischen Ausfällen führen. Lediglich qualitative Leistungseinschränkungen würden hieraus folgen. Auch die Wegefähigkeit sei nach dem Sachverständigengutachten nicht aufgehoben.

Gegen das am 29. Juni 2020 zugestellt Urteil hat die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, am 7. Juli 2020 Berufung eingelegt. Das Sozialgericht habe das Sachverständigengutachten von Dr. N. keiner kritischen Würdigung unterzogen. Es seien Leerformeln verwendet worden, ohne dass eine Prüfung stattgefunden habe. Es hätte gewürdigt werden müssen, dass die Klägerin nach der Aussteuerung vom Krankengeld durchgehend arbeitsunfähig krankgeschrieben worden sei. Der behandelnde Psychiater habe gegenüber dem Sozialgericht dargelegt, dass eine Erwerbsfähigkeit nicht mehr gegeben sei. Dr. N. habe unzutreffend ausgeführt, dass durchgängig keine relevante Einschränkung bestanden hätte. Hiergegen würden die stationären und teilstationären Aufenthalte mit einer schweren depressiven Episode sprechen. Auch nach der Entlassung aus der tagesklinischen Behandlung sei vom behandelnden Psychiater eine schwere Depression diagnostiziert worden. Die ausführlichen Befundberichte des behandelnden Arztes seien nicht ausreichend gewürdigt worden.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. Juni 2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Juli 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2016 zu verurteilen, der Klägerin eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat sich zur Begründung auf die Ausführungen des Sozialgerichts bezogen.

Das Berufungsgericht hat aktuelle Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin eingeholt. Darüber hinaus ist ein weiteres medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt worden. Der Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Neurologie und Psychiatrie Dr. S. ist in seinem Gutachten vom 7. Januar 2022 nach Untersuchung der Klägerin zu dem Ergebnis gelangt, dass bei einer anhaltenden Belastungsstörung und bekannten degenerativen Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule ohne neurologische Ausfälle und Asthma bronchiale leichte körperliche Arbeiten einfacher geistiger Art mit geringer Verantwortung und weiteren qualitativen Einschränkungen in einem Umfang von sechs Stunden täglich und mehr ausgeübt werden könnten. Zusammenfassend könne festgestellt werden, dass sich im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung kein Hinweis auf eine körperliche Erkrankung ergeben würde, die eine entscheidende Leistungseinschränkung bedinge. Die Klägerin sei wach und in allen Qualitäten sicher orientiert gewesen. Weitergehende Beeinträchtigungen von Auffassung, Aufmerksamkeit und Konzentration hätten nicht festgestellt werden können. Ebenso sei keine Verstimmung vitaler Tiefe und kein ausgeprägtes Antriebsdefizit vorhanden. In der Gesamtschau der Befunde könne eine posttraumatische Belastungsstörung nicht festgestellt werden. Dies gelte auch für die Ausführungen in den Entlassungsberichten der S.. Dem Sachverständigen Dr. N. sei zuzustimmen, dass sich Hinweise auf eine mittelschwere oder schwere depressive Episode nicht finden lassen. Die Schilderung des psychopathologischen Befundes erscheine im Hinblick auf die diagnostischen Feststellungen aus gutachterlicher Sicht nicht konsistent zu sein. Selbst wenn man annehmen würde, dass es in der Vergangenheit eine schwere depressive Episode gegeben habe und diese Anlass zu teilstationären Behandlungen gegeben hätte, sei festzustellen, dass eine entsprechende Symptomatik abgeklungen bzw. remittiert sei. Soweit es die Ausführungen des behandelnden Arztes in seinen Befundberichten betreffe, könne hieraus auch keine schwere depressive Episode abgeleitet werden. Die vorgenommene Medikation scheine langfristig kaum einen Behandlungserfolg erbracht zu haben und in der jetzigen gutachterlichen Untersuchungssituation sei keine wesentliche depressive Symptomatik zu erkennen gewesen, auch kein entscheidendes Antriebsdefizit. Eine somatoforme Belastungsstörung mit einer chronifizierten Schmerzsymptomatik sei aus gutachterlicher Sicht angesichts der Schmerzsymptomatik anzunehmen. Ein erhöhter Einsatz von Analgetika sei gegenwärtig jedoch nicht festzustellen. Insgesamt werde vor dem Hintergrund des Unfalltodes des ältesten Sohnes im Alter von zweieinhalb Jahren 1988 eine durch die Lebensumstände und die lebensgeschichtliche Entwicklung der Klägerin bedingte seelische Belastung angenommen, in der Schuld und Scham eine wesentliche Rolle gespielt hätten, begleitet von depressiven Einbrüchen. Letztendlich könne aus gutachterlicher Sicht jedoch keine seelische Alteration im Sinne einer seelischen Erkrankung angenommen werden, die eine Leistungsunfähigkeit begründen würde. Begrenzte Zeiten der Arbeitsunfähigkeit seien jedoch anzunehmen.

Auf Antrag der Klägerin ist eine weitere Begutachtung durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Dr. B1 gemäß § 109 SGG erfolgt. Dieser ist in seinem Gutachten vom 2. August 2022 nach Untersuchung der Klägerin am 27. Juli 2022 zu dem Ergebnis gelangt, dass bei einer situationsgeprägten persönlichkeitsgetragenen Anpassungsstörung mit begleitender Somatisierungsbeeinträchtigung körperlich leichte Arbeiten mit einfacher geistiger Beanspruchung und geringer Verantwortung in einem Umfang von sechs Stunden täglich und mehr mit weiteren Einschränkungen möglich seien. Die Wegefähigkeit sei nicht beeinträchtigt, weitere Gutachten auf anderen Fachgebieten nicht erforderlich. Es bestehe unbedingt Übereinstimmung mit den Vorgutachtern Dr. N. und Dr. S.. Als Ergebnis der (hier) durchgeführten persönlichen Untersuchung sei unmissverständlich die Diskrepanz zwischen dem Beschwerdevortrag und dem in jeder Beziehung unauffälligen Auftreten und Verhalten, das die Klägerin als eine aufgeweckte patente Frau aufweise, weit entfernt von einer depressiven Symptomatik oder einer maßgeblichen Schmerzbeeinträchtigung, hervorzuheben.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 1. November 2022 vorgetragen, dass die Klägerin nicht, wie der Sachverständige Dr. B1 angegeben habe, ohne Begleitung erschienen sei. Ihr Sohn habe sie gefahren und später sei sie von ihrem Ehemann abgeholt worden. Sie sei in Behandlung wegen einer Bandscheibenarthrose. Wenn sie ein paar Meter laufen müsse, müsse sie das rechte Bein wegen starker Schmerzen nachziehen. Beschwerden habe sie auch beim Sitzen. Sie könne sich nicht waschen und ihren rechten Arm heben. Sie habe auch Platzangst, eine Untersuchung im Krankenhaus sei abgebrochen worden, weil sie in der „Röhre“ einen Panikanfall bekommen haben. Mit weiterem Schriftsatz vom 5. Dezember 2022 ist ein ärztliches Attest des behandelnden Orthopäden Dr. S1 vom 8. November 2022 und ein Attest des Psychiaters Dr. H. vom 24. November 2022 eingereicht worden. Nach Auffassung des Prozessbevollmächtigten ergebe sich ein Nachweis über die letzten orthopädischen Behandlungen bis zum 10. Oktober 2022 und einer Verordnung von Novaminsulfon 500, ein bis zwei Tabletten alle vier bis sechs Stunden täglich. Es wird inhaltlich Bezug genommen auf die vorgelegten Atteste. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. hat ein komplexes und vielfältiges Krankheitsbild mit einer chronifizierten schwerwiegenden depressiven Störung diagnostiziert. Zusätzlich leide die Klägerin unter Klaustrophobie und könne sich nicht in beengten geschlossenen Räumen aufhalten oder Fahrstühle benutzen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und insbesondere gemäß § 151 SGG form- und fristgerechte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet. Es besteht kein Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Gemäß § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch (SGB VI) sind Versicherte voll erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Eine teilweise Erwerbsminderung im Sinne von § 43 Abs. 1 SGB VI liegt vor, wenn der Versicherte krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Das Sozialgericht hat im angefochtenen Urteil zu Recht und mit zutreffender Begründung dargelegt, dass nach der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme keine relevante Erwerbsminderung vorliegt und die Klägerin noch in der Lage ist, in einem Umfang von täglich mindestens sechs Stunden Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Deshalb kann auch dahinstehen, ob die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nur bei einem Leistungsfall bis zum 31. Januar 2013 erfüllt sind. Der Senat verweist zur weiteren Begründung auf das Urteil vom 12. Juni 2020 (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend ist anzumerken, dass nunmehr – nach der in der zweiten Instanz durchgeführten Beweisaufnahme – insgesamt drei Sachverständige auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet zu der eindeutigen Einschätzung gelangt sind, dass keine gravierendere psychische Erkrankung der Klägerin vorliegt und für den gesamten zur Beurteilung anstehenden Zeitraum das Leistungsvermögen nicht aufgehoben gewesen ist, sondern allenfalls Arbeitsunfähigkeitszeiten vorgelegen haben. Die Sachverständigen sind zu einer ähnlichen Diagnose gelangt. Der Sachverständige Dr. N. hat auf seinem Fachgebiet eine gemischte ängstlich depressive Störung von insgesamt geringem Ausprägungsgrad festgestellt. Dr. S. hat eine anhaltende Belastungsstörung und eine somatoforme Belastungsstörung festgestellt. Der gemäß § 109 SGG auf Initiative der Klägerin befasste Sachverständigen Dr. B1 ist von einer situationsgeprägten persönlichkeitsgetragenen Anpassungsstörung mit begleitender Somatisierungsbeinträchtigung ausgegangen. Ausgehend von diesen Diagnosen ist die Einschätzung der Sachverständigen, dass das Leistungsvermögen nicht zeitlich aufgehoben ist und war, plausibel.

Die Schilderungen der Sachverständigen sind in einem hohen Ausmaß übereinstimmend und deckungsgleich. So hat der Sachverständige Dr. N. die Klägerin als wach, orientiert und bewusstseinsklar beschrieben. Die Eröffnung des Gesprächs sei unkompliziert und unproblematisch gewesen, durchgehend habe eine höfliche und freundliche Gesprächsatmosphäre geherrscht. Die Klägerin habe bereitwillig und freundlich die gestellten Fragen beantwortet. Merkfähigkeit, Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis seien intakt. Die Klägerin habe sich stets auf die jeweiligen Gesprächsinhalte und auf das Gesprächstempo ein- und umstellen können. Die Auffassungsgabe für komplexe Sachverhalte sei ausreichend differenziert. Auch gegen Ende der Exploration hätten sich keine Hinweise auf vorzeitige Erschöpfung, Ermüdung oder Konzentrationsschwierigkeiten gezeigt. Der formale Gedankengang sei geordnet und die Klägerin bleibe auch nicht in depressiven Grübelzwängen gefangen. Der Sachverständige Dr. S. hat ausgeführt, dass die Klägerin in allen Qualitäten sicher orientiert gewesen sei, sich kein Hinweis auf formale oder inhaltliche Denkstörungen gegeben habe. Weiterhin seien keine weitergehenden Beeinträchtigungen von Auffassung, Aufmerksamkeit, Konzentration oder kognitiven bzw. mnestischen Einschränkungen erkennbar gewesen. Eine Verstimmung vitaler Tiefe oder ein ausgeprägtes Antriebsdefizit habe nicht vorgelegen. Lediglich das Durchhaltevermögen hat der Sachverständige als gering angesehen. Er hat weiter ausgeführt, dass die Angaben der Klägerin im Hinblick auf ihre Beschwerdeschilderung wenig plastisch und nachvollziehbar seien. Sie stünden im Gegensatz zu dem Eindruck, den die Klägerin in der Untersuchungssituation vermittelt habe. Es habe sich kein Hinweis auf depressive Gedankeninhalte im Sinne von Grübelzwängen und auch keine Hinweise auf eine Zwangssymptomatik ergeben. Das wird auch dadurch deutlich, dass der Sachverständige geschildert hat, dass die Klägerin während des Berichtes vom Unfalltod ihres ältesten Sohnes zu weinen begonnen habe, dieses Weinen aber rasch habe begrenzen können und sich wenig affektiv beteiligt gezeigt habe. Zuletzt hat der Sachverständige Dr. B1 (Untersuchung am 20. Juli 2022) die Klägerin begutachtet und diese ebenfalls als wach, bewusstseinsklar und vollorientiert beschrieben. Sie mache einen in jeder Beziehung ausgeruhten Eindruck und wirke nicht müde oder gar übermüdet. Sie sei durchweg aufmerksam und habe an der Erstellung des Gutachtens kompetent und engagiert mitgearbeitet. Sie habe sich zu allen relevanten Themen äußern können. Die Stimmung sei ausgeglichen, situationsangemessen und affektiv schwingungsfähig gewesen. Auf den Gutachter habe sie sich hervorragend einstellen können und alle Fragen sachdienlich und umfassend ohne erkennbares Übertreibungsverhalten oder Verschleierungsbemühungen beantwortet. Sie sei durchweg aufmerksam und attent gewesen. Es würde keine Einschränkungen der Konzentrationen geben. Der Beschwerdevortrag sei sachlich, gleichzeitig aber auch bestimmt dahingehend, dass sie sich eben gerade nicht mehr für leistungsfähig halte, erfolgt.

Der Beweiswert der Sachverständigengutachten ist als hoch einzustufen Es handelt es sich bei den eingeholten Gerichtsgutachten nicht mehr um punktuelle Feststellungen. Denn durch die Untersuchungen ist ein verhältnismäßig langer Zeitraum von etwa zwei Jahren abgedeckt worden. Die Erstuntersuchung von Dr. N. fand am 22. April 2020 statt, der Sachverständige Dr. S. hat die Klägerin am 22. November 2021 untersucht und Dr. B1 am 20. Juli 2022. In diesem recht langen Zeitraum ist die Klägerin stets so wie von den Sachverständigen beschriebenen aufgetreten, ohne dass ein schwerwiegender Befund hätte festgestellt werden können. Würde die Klägerin tatsächlich an einer so schwerwiegenden Depression leiden, wie sie es selbst behauptet und auch vom behandelnden Arzt Dr. H. berichtet wird, hätte dies in einer der Untersuchungen und den ausführlichen Befragungen zumindest ansatzweise zutage treten müssen. Dies ist jedoch nicht der Fall gewesen. Die Einschätzung der Sachverständigen steht auch im Einklang mit der Begutachtung aus dem Verwaltungsverfahren. Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie F. ist in ihrem Gutachten vom 4. Juli 2014 zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt. Hierauf hat der Sachverständige Dr. N. in seinem Gutachten bereits hingewiesen und ausgeführt, dass der Vergangenheit erhobenen psychopathologischen Befunde mit dem bei ihm festgestellten Befunden vergleichbar seien und sich eine Veränderung nicht eingestellt habe.

Die Sachverständigen haben ihre Einschätzung ausführlich anhand der vorliegenden Befunde und des in der Untersuchungssituation gewonnenen Eindrucks nachvollziehbar begründet. Dabei ergibt sich auch nicht – wie im Berufungsverfahren von der Klägerin vorgetragen – ein Wertungswiderspruch zu den Aufenthalten der Klägerin in der Tagesklinik der Schönklinik vom 4. Januar 2016 bis zum 4. März 2016 und in der Zeit vom 12. Dezember 2016 bis 27. Januar 2017. Es kann lediglich davon ausgegangen werden, dass es bei der Klägerin vorübergehend zu einer stärkeren Ausprägung der vorhandenen psychischen Erkrankungen gekommen ist. Hierbei handelt es sich um Behandlungsleiden und hieraus folgen lediglich Arbeitsunfähigkeitszeiten. Von einer längerfristigen über einen Zeitraum von sechs Monate hinausgehenden Erwerbsminderung kann hingegen nach der durchgeführten Beweisaufnahme vor dem Sozialgericht und Landessozialgericht nicht ausgegangen werden. Der Sachverständige Dr. N. hat in diesem Zusammenhang auf die im Verwaltungsverfahren erhobenen psychopathologischen Befunde durch die Gutachterin Dr. F. hingewiesen und ist insgesamt zu der Einschätzung gelangt, dass das von ihm festgestellte Leistungsvermögen durchgehend anzunehmen sei. Dies hat er in der mündlichen Verhandlung vom 12. Juni 2020 bekräftigt und für die Zeit der teilstationären Aufenthalte lediglich eine Arbeitsunfähigkeit konstatiert. Der Sachverständige Dr. S. hat in seinem Gutachten dargelegt, dass sich auch aus dem Entlassungsbericht in der S. eine posttraumatische Belastungsstörung und entsprechende Symptomatik nicht belegen lasse. Der Einschätzung von Dr. N. sei zu folgen. Er hat darüber hinaus die Auffassung vertreten, dass sich Hinweise auf eine mittelschwere oder schwere depressive Episode auch aus den verschiedenen Befund- und Entlassungsberichten nicht ergeben würden. Die Schilderung des psychopathologischen Befundes erscheine aus gutachterlicher Sicht nicht konsistent im Hinblick auf die diagnostische Feststellung. Auch wenn man annehmen würde, dass der Vergangenheit eine schwere depressive Episode bestanden habe und diese zu teilstationären Behandlung Anlass gegeben habe, sei festzustellen, dass die Symptomatik abgeklungen und remittiert sei.

Die Auffassung der Sachverständigen, dass zu keiner Zeit von einem aufgehobenen Leistungsvermögen im rentenrechtlichen Sinne auszugehen ist, ist plausibel. Betrachtet man die Entlassungsberichte der S., so ist für den ersten Aufenthalt vom 4. Januar 2016 bis 4. März 2016 festzustellen, dass die Klägerin dort als tief niedergeschlagen, kaum auslenkbar, in psychomotorischem Tempo reduziert und affektiv labil beschrieben worden ist. Die Klägerin ist in unveränderter Befindlichkeit entlassen worden. Anders stellt sich die Situation nach dem zweiten Aufenthalt in der Zeit vom 12. Dezember 2016 bis 27. Januar 2017 dar. Hier wird die Klägerin bei Aufnahme als wach und orientiert beschrieben, im Kontakt freundlich und zugewandt beschrieben, Konzentration und Merkfähigkeit seien subjektiv herabgesetzt, Orientierung, Merkfähigkeit und Auffassung jedoch intakt. Der Gedankengang sei geordnet, teilweise eingeengt. Es bestünde eine ausgeprägte Grübelneigung, keine Ängste, keine Zwänge. Darüber hinaus ist die subjektive Befindlichkeit der Klägerin ausführlich beschrieben worden, ebenso ausgeprägte Somatisierungstendenzen und mangelnde Veränderungsmotivation. Aus den Schilderungen beider Entlassungsberichte ergeben sich Schwierigkeiten bei der Behandlung und letztendlich auch deren Erfolglosigkeit. Dies steht jedoch nicht im Widerspruch zu den Einschätzungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen. Der Sachverständige Dr. S. hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Inkonsistenzen im Hinblick auf die Diagnose einer schweren depressiven Episode bestehen. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund plausibel, dass die subjektiven Schilderungen der Klägerin im Vordergrund standen und immer wieder deutlich wird, dass eine Behandlung an der Motivation der Klägerin gescheitert ist. Die von den Sachverständigen hervorgehobene subjektive Sichtweise der Klägerin, nicht mehr arbeiten zu können, spiegelt sich hierin. Die Sachverständigen sind jedoch mit großer Übereinstimmung zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin in der Lage wäre, diese Hemmungen zu überwinden. Dies ist anhand des geschilderten Verhaltens in der Untersuchungssituation, welches jeweils, insbesondere bei der Begutachtung von Dr. B1, von einer hohen Kooperationsbereitschaft getragen war, durchaus plausibel. Die Klägerin ist jeweils motiviert gewesen, an der Begutachtung mitzuwirken und es haben sich keinerlei Einschränkungen gezeigt. Diesem Befund kommt eine hohe Beweiskraft zu, da während der Befragung von den Sachverständigen untersucht wird, inwiefern die Probanden in der Lage sind, der Befragung zu folgen und hierauf einzugehen. Hierbei haben sich nur sehr wenig Einschränkungen ergeben, was den Rückschluss zulässt, dass die Klägerin auch in der Lage wäre, ein entsprechendes Verhalten am Arbeitsplatz zu zeigen und hieran nicht aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung gehindert ist. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Klägerin – so wie es der Sachverständige Dr. S. geschildert hat – aufgrund einer akuten Verschlechterung tagesklinisch behandelt werden musste, ergibt sich nur eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit. Dass diese länger als sechs Monate gedauert hat, kann nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit der vollen richterlichen Überzeugungsbildung angenommen werden.

Auch das weitere Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren führt zu keiner abweichenden Einschätzung. Die Klägerin hatte zuletzt nach der Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. B1 vortragen lassen, dass sie unter arthrosebedingten Schmerzen an der Wirbelsäule, Schwierigkeiten beim Gehen und unter Schmerzen in weiteren Extremitäten sowie unter Platzangst leide. Vorgelegt worden ist ein weiteres Attest des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. H. vom 24. November 2022. Darüber hinaus ist ein Behandlungsverlauf bzw. ein Attest des behandelnden Orthopäden Dr. S1 eingereicht worden. Aus den Schilderungen des behandelnden Psychiaters ergibt sich nichts Neues. Sie entsprechen den bislang vorliegenden Befundberichten und diese sind von den gerichtlich bestellten Sachverständigen bereits berücksichtigt worden. Die beschriebene Klaustrophobie mit der Folge, dass die Klägerin Probleme habe, sich in beengten geschlossenen Räumen aufzuhalten und alleine Fahrstühle zu benutzen, vermag ein aufgehobenes Leistungsvermögen nicht zu begründen. Aus dem Behandlungsverlauf des behandelnden Orthopäden ergeben sich lediglich Arzttermine am 22. August 2022 und 10. Oktober 2022. Beschrieben werden eine eingeschränkte Schulterbeweglichkeit rechts und Druckschmerzen. Weiter wurde eine Wurzelreizung im LWS-Bereich und eine Blockierung der Lendenwirbelsäule festgestellt. Verordnet worden ist Novaminsulfon 500 alle vier bis sechs Stunden bei Bedarf. Die Medikation entspricht auch den Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen, wonach die Klägerin Schmerzmittel nach Bedarf einnehme. Ein übermäßiger Analgetikagebrauch ist nach den Feststellungen der Sachverständigen nicht feststellbar gewesen. Die Sachverständigen Dr. N. und Dr. S. haben sich auch ausführlich mit den orthopädischen Beschwerden auseinandergesetzt. Sie sind zu der Auffassung gelangt, dass hieraus lediglich qualitative Leistungseinschränkungen folgen. Dr. N. hat ausgeführt, dass das lumbale Wirbelsäulensyndrom der Klägerin aktuell nicht mit nervenwurzelbezogenen neurologischen Ausfällen einhergehe. Auch aus den wiederkehrenden Lumbalgien würden sich keine quantitativen Leistungseinschränkungen ergeben. Zu einem ähnlichen Ergebnis ist der Sachverständige Dr. S. gelangt, der keinen Hinweis auf eine körperliche Erkrankung festgestellt hat, aus der entscheidende Leistungseinschränkungen folgen würde. Bei einer anhaltenden Schmerzsymptomatik der Klägerin würde keine andauernde orthopädische Behandlung erfolgen. Dass keine intensive Behandlung stattfindet, wird im Übrigen durch den vorgelegten Behandlungsverlauf des Orthopäden Dr. S1 bestätigt. Aufgeführt sind Behandlungen im August und Oktober 2022. Dr. S. hat weiter dargelegt, dass sich Beeinträchtigungen der Klägerin aufgrund degenerativer Veränderungen im Wirbelsäulenbereich aus den vorliegenden Unterlagen nicht ergeben würden und auch von der Klägerin selbst nicht beschrieben worden seien. Im Rahmen der Untersuchung hätten sich keinerlei Hinweise auf radikuläre Symptome im Zusammenhang mit degenerativen Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule ergeben. Gegenüber dem Sachverständigen Dr. B1 hat die Klägerin nur über belastungsabhängige Rückenschmerzen geklagt. Bei den nunmehr sich aus dem Behandlungsverlauf ergebenen Schulterbeschwerden handelt es sich um ein Behandlungsleiden. Es ist nicht ersichtlich, dass hieraus eine zeitliche Leistungseinschränkung folgen würde. Auch der Sachverständige Dr. B1 hat dargelegt, dass die Klägerin den rechten Arm nur mit Mühe über die Horizontale hinausheben könne. Derartige Einschränkungen sind bei der Feststellung des Leistungsvermögens bereits berücksichtigt worden. Es handelt sich jedoch lediglich um qualitative Leistungseinschränkungen im Hinblick auf Tätigkeiten, die eine besondere Beweglichkeit der Arme und Schultern erfordern. Sämtliche Sachverständige haben keine Veranlassung für eine Begutachtung auf anderen Fachgebieten gesehen. Zuletzt ist Dr. B1 im Juli 2022 zu dieser Einschätzung gelangt. Die vorgelegten Atteste und Befundberichte geben keinen Anlass für weitere medizinische Ermittlungen. Soweit es die geklagten Schmerzen betrifft, ist bereits eine Somatisierungsstörung von den Sachverständigen festgestellt und berücksichtigt worden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 160 Abs. 2 SGG).

 

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