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Fahrtkostenerstattung zur Arbeitsstelle während stufenweiser Wiedereingliederung

SG Leipzig – Az.: S 22 KR 100/21 – Urteil vom 08.09.2021

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Streitig ist die Erstattung von Fahrtkosten zur Arbeitsstelle des Klägers während seiner stufenweisen Wiedereingliederung.

Der 1969 geborene Kläger ist Pflichtmitglied der Beklagten. Er ist als Sachbearbeiter beschäftigt und hat einen einfachen Arbeitsweg von 42 km. Nach längerer krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit erfolgte mit Zustimmung des Arbeitgebers eine betriebliche Wiedereingliederung im Zeitraum vom 12.08.2020 bis 22.09.2020 unter laufender Krankengeldgewährung durch die Beklagte. Der Kläger erschien in diesem Zeitraum planmäßig an insgesamt 30 Arbeitstagen an seinem Arbeitsplatz. Dazu legte er mangels zumutbarer öffentlicher Verkehrsmittel mit seinem Pkw insgesamt 2520 km zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zurück (30 Tage x 42 km x 2). Finanzielle Leistungen des Arbeitgebers für diesen Zeitraum erhielt der Kläger nicht. Die Beklagte wies den Antrag des Klägers auf Erstattung der Fahrtkosten mit Bescheid vom 03.11.2020 zurück. Der Widerspruch des Klägers blieb mit Widerspruchsbescheid vom 25.01.2021 ohne Erfolg.

Der Kläger ist der Auffassung, bei der stufenweisen Wiedereingliederung handele es sich um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation. Daher bestehe in Anlehnung an das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 17.06.2020 – Az. S 18 KR 967/19 – Anspruch auf Fahrtkostenerstattung aus § 60 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in

Verbindung mit § 73 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX), der sich in Anlehnung an § 5 JVEG auf 0,35 € je gefahrenen Kilometer belaufe.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 03.11.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2021 zu verurteilen, an den Kläger Fahrtkosten in Höhe von 882,- € für die stufenweise Wiedereingliederungsmaßnahme vom 12.08. bis 23.09.2020 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, Klageabweisung.

Sie verweist auf die Begründung der angefochtenen Bescheide, wonach Wiedereingliederung nach dem SGB V lediglich eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben, nicht aber eine Belastungserprobung nach § 42 SGB V im Rahmen einer komplexen medizinischen Rehabilitationsleistung darstellt, und den Beschluss des Thüringer Landessozialgerichts vom 01.08.2013 – Az. L 6 KR 299/13 NZB -.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt. Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Klage, über die die Kammer im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen Rechte des Klägers nicht.

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Fahrtkostenerstattung aus § 60 SGB V.

Fahrtkostenerstattung zur Arbeitsstelle während stufenweiser Wiedereingliederung
(Symbolfoto: Monkey Business Images/Shutterstock.com)

a) Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB V übernimmt die Krankenkasse nach den Absätzen 2 und 3 die Kosten für Fahrten […], wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind. Die Tatbestandsvoraussetzungen von § 60 Abs. 2, 3 SGB V sind offensichtlich nicht erfüllt, weil die Arbeitstätigkeit zur Wiedereingliederung keine stationär erbrachte Leistung oder Krankenbehandlung darstellt.

b) Gemäß § 60 Abs. Abs. 5 SGB V werden Fahr- und andere Reisekosten im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach § 73 Abs. 1 bis 3 SGB IX übernommen. Allerdings handelt es sich bei der stufenweisen Wiedereingliederung nicht um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation. Leistungen der Krankenkasse zur medizinischen Rehabilitation sind abschließend in §§ 40 bis 43 SGB V aufgeführt. Die stufenweise Wiedereingliederung nach § 74 SGB V ist dabei jedoch nicht mit der Belastungserprobung als Leistung nach § 42 SGB V deckungsgleich.

aa) Denn die Belastungserprobung ist in einen ärztlichen Behandlungsplan eingebettet und erfolgt auf Verordnung des Vertragsarztes ggf. auch außerhalb eines Arbeitsverhältnisses zur Feststellung, ob der Versicherte bereits den Anforderungen einer – ggf. seiner bisherigen – Erwerbstätigkeit ohne gesundheitliche Gefährdung gewachsen, d. h. belastbar ist oder weitere Therapieschritte erforderlich sind (vgl. Welti in Becker/Kingreen, SGB V, 7. Auflage, § 42 Rz. 6, eingehend Waßer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 42 SGB V [Stand: 15.06.2020], Rz. 18 – 21 m. w. N….). Die Belastungserprobung stellt sich der Kammer damit als Teil der ärztlichen Diagnostik und Krankenbehandlung dar und ist insoweit auch Leistung der Krankenkasse.

bb) Demgegenüber setzt die stufenweise Wiedereingliederung als bloße Maßnahme – nicht Leistung – der medizinischen Rehabilitation (vgl. Sichert in Becker/Kingreen, SGB V, 7. Auflage, § 74 Rz. 1) bereits die ärztliche Feststellung voraus, dass der Versicherte ungeachtet fortbestehender Arbeitsunfähigkeit bereits eingeschränkt belastbar ist (Sichert a. a. O…., Rz. 6 m. w. N….). Damit bestimmt sich die Maßnahme allein nach dem Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Versichertem in dem ärztlich empfohlenen Rahmen der teilweisen Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit. Die Krankenkasse gewährt, abgesehen von der durch fortbestehende Arbeitsunfähigkeit bedingten Krankengeldzahlung, dabei gerade keine eigene Leistung (vgl. Sichert a. a. O, Rz. 27 mit Darstellung des Streitstandes). Entsprechend ist die Regelung der stufenweisen Wiedereingliederung systematisch auch nicht im Leistungsrecht des 3. Kapitels, sondern im die Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern regelnden 4. Kapitel des SGB V erfolgt. Der bei abweichender Betrachtung unvermeidlich entstehende Wertungswiderspruch zwischen einerseits für Fahrten zur Krankenbehandlung überaus restriktiv gewährten Fahrtkosten nach § 60 Abs. 1 SGB V (Fahrtkosten nur bei zwingenden medizinischen Gründen) und andererseits weitgehender Kostenerstattung für Fahrten bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach § 60 Abs. 5 SGB V bestärkt die Kammer in ihrer Überzeugung von der Tragfähigkeit des systematischen Arguments mit klarer Unterscheidung von Leistungen und Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation. Der durch die Klägerseite zitierten Auffassung der 18. Kammer des Sozialgerichts Dresden vermag sie daher nicht zu folgen.

2. Mangels Leistung der medizinischen Rehabilitation seitens der Beklagten scheidet auch § 73 SGB IX als Anspruchsgrundlage aus.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183 Satz 1, 193 Abs. 1 SGG und entspricht mangels abweichender Veranlassungsgesichtspunkte dem Ausgang in der Hauptsache.

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