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GdB 50: Feststellung rückwirkend – Beweislast beim Zugang von Bescheiden im Sozialrecht

Ein Bürger kämpfte jahrelang um die GdB 50: Feststellung rückwirkend seit 2012, da er nie einen Ablehnungsbescheid erhalten hatte. Das Gericht stellte den fehlenden Zugang des Bescheids fest, doch die ersehnte rückwirkende Anerkennung begann erst sechs Jahre später.

Zum vorliegenden Urteil Az.: L 3 SB 139/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Landessozialgericht Baden‑Württemberg
  • Datum: 18.12.2024
  • Aktenzeichen: L 3 SB 139/23
  • Verfahren: Berufungsverfahren
  • Rechtsbereiche: Sozialrecht, Feststellung des Grades der Behinderung

  • Das Problem: Ein Kläger forderte die rückwirkende Anerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 ab dem Jahr 2012. Die Behörde hatte den Antrag abgelehnt und den späteren Widerspruch als zu spät eingereicht zurückgewiesen.
  • Die Rechtsfrage: War der Widerspruch des Klägers zulässig oder war der Ablehnungsbescheid bereits bestandskräftig geworden? Und ab welchem Zeitpunkt stand dem Kläger tatsächlich ein GdB von 50 zu?
  • Die Antwort: Der Widerspruch war zulässig, weil die Behörde nicht nachweisen konnte, wann der Ablehnungsbescheid dem Kläger zuging. Das Gericht verneinte GdB 50 ab 2012, stellte aber GdB 30 ab 2012, GdB 40 ab 2016 und GdB 50 ab 2018 fest.
  • Die Bedeutung: Behörden müssen den Zugang von Bescheiden beweisen, sonst tritt keine Bestandskraft ein und die Widerspruchsfrist beginnt nicht. Der festgestellte Grad der Behinderung richtet sich streng nach dem Zeitpunkt, an dem sich die einzelnen Gesundheitsstörungen verschlechtert haben oder neu aufgetreten sind.

Der Fall vor Gericht


War der jahrelange Kampf um GdB 50 umsonst, weil ein Brief verschwunden war?

Ein Brief, der jahrelang verschollen war – oder vielleicht nie existierte. Für einen Mann, der seit einem Unfall 2008 mit den Folgen kämpft, wurde dieses eine Schriftstück zur entscheidenden Hürde in seinem Ringen um die Anerkennung seiner Schwerbehinderung.

Ein Antragsteller klärt mit seinem Anwalt, ob die Behörde den Zugang des Bescheids zur Feststellung des GdB 50 beweisen muss.
Das Gericht entschied, dass die Behörde den Zugang eines Bescheids beweisen muss; GdB 50 wurde ab Januar 2018 zuerkannt. | Symbolbild: KI

Die Behörde behauptete, sie hätte seinen Antrag bereits 2012 abgelehnt. Der Mann entgegnete: „Diesen Brief habe ich nie bekommen.“ Damit stand eine simple, aber folgenschwere Frage im Raum, bevor die Ärzte überhaupt zu Wort kamen: Wer muss beweisen, dass ein Brief sein Ziel erreicht hat?

Muss die Behörde den Zugang eines Bescheids beweisen?

Ja, das muss sie. Der Streit begann mit einem formalen K.o.-Argument der Behörde. Der Mann habe seinen Widerspruch gegen die Ablehnung von 2012 erst im Jahr 2017 eingelegt – fünf Jahre zu spät. Der Ablehnungsbescheid sei damit unanfechtbar geworden. Ein klassischer Fall von „fristverpasst, Pech gehabt“.

Das Gericht sah das anders. Es stellte eine grundlegende Regel des Verwaltungsrechts klar: Eine Behörde, die sich auf die Wirksamkeit eines Bescheids beruft, muss dessen Zugang im Zweifel auch beweisen. Zwar gibt es im Sozialrecht eine Regelung, die vermutet, dass ein Brief drei Tage nach der Aufgabe zur Post als zugegangen gilt (§ 37 Abs. 2 SGB X). Diese Vermutung ist aber kein unumstößliches Gesetz. Bestreitet der Empfänger den Zugang glaubhaft, zerbricht die Fiktion. Die Beweislast kehrt zur Behörde zurück. Sie muss dann konkret nachweisen, dass der Bescheid den Machtbereich des Empfängers erreicht hat. Das konnte die Behörde hier nicht. Der Weg für eine inhaltliche Prüfung des Anspruchs war frei.

Wie entsteht aus Tinnitus, Knieschmerz und Depression ein einziger GdB-Wert?

Nachdem die formale Hürde gefallen war, begann die eigentliche Arbeit: die medizinische Bewertung. Die Aufgabe des Gerichts war es, aus einem Mosaik verschiedener Leiden, die sich über Jahre entwickelt hatten, einen einzigen Grad der Behinderung (GdB) zu formen. Die Grundlage dafür sind die „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ (VG) – das offizielle Regelwerk zur Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen.

Das Gericht analysierte jede einzelne Gesundheitsstörung und ordnete sie einem Funktionssystem zu.

Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“: Hier fasste das Gericht den chronischen Tinnitus und die depressive Störung des Mannes zusammen. Die Gutachter bestätigten, dass der seit 2008 bestehende Tinnitus zu erheblichen Belastungen wie Schlaf- und Konzentrationsstörungen führte. Das allein rechtfertigte einen Einzel-GdB von 30. Die depressive Erkrankung wurde erst später, ab 2018, in einem Ausmaß aktenkundig, das eine stärkere Beeinträchtigung belegte. Das Gericht erhöhte den Einzel-GdB für dieses System ab diesem Zeitpunkt auf 40. Die Einwände der Behörde, der Mann sei zu selten in Therapie gewesen, wies das Gericht zurück. Eine geringe Behandlungsfrequenz widerlegt nicht die Existenz der Krankheit, verhinderte aber eine noch höhere Einstufung.

Funktionssystem „Beine“: Der Mann litt an schweren Knorpelschäden in beiden Knien. Entscheidend für die Bewertung war hier der Nachweis von „anhaltenden Reizerscheinungen“ – also wiederkehrende Schwellungen, Ergüsse oder Schmerzen. Das Gericht durchforstete die Krankenakten der letzten zehn Jahre wie ein Detektiv. Das Ergebnis: Für das linke Knie waren solche Reizungen seit 2012 dokumentiert, was einen Einzel-GdB von 20 ergab. Für das rechte Knie waren sie erst ab 2022 ausreichend nachgewiesen.

Weitere Funktionssysteme: Der Bluthochdruck mit leichter Herzbelastung wurde ab 2016 mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet. Die Beschwerden der Halswirbelsäule führten zu einem GdB von 10.

Warum wurde der GdB 50 erst ab Januar 2018 zuerkannt?

Der Gesamt-GdB wird nicht durch simple Addition der Einzelwerte gebildet. Das Gesetz verlangt eine Gesamtschau, bei der die wechselseitigen Auswirkungen der Störungen berücksichtigt werden. Man beginnt mit dem höchsten Einzel-GdB und prüft, ob die weiteren Leiden das Gesamtbild so sehr verschlimmern, dass eine Erhöhung gerechtfertigt ist.

Das Landessozialgericht zeichnete die gesundheitliche Entwicklung des Klägers präzise nach und kam zu einer zeitlichen Staffelung:

  • Ab 1. Januar 2012: Höchster Einzelwert war die Psyche mit 30. Die Knieprobleme (GdB 20) und die Wirbelsäulenbeschwerden (GdB 10) reichten nicht aus, um diesen Wert auf 40 oder mehr anzuheben. Das Gericht setzte den Gesamt-GdB auf 30 fest.
  • Ab 15. Februar 2016: Nun kam der Bluthochdruck (GdB 20) als relevante Beeinträchtigung hinzu. In der Gesamtschau mit den bestehenden Leiden erhöhte das Gericht den Gesamt-GdB auf 40.
  • Ab 26. Januar 2018: Das war der Wendepunkt. Durch die nachgewiesene Verschlechterung der Depression stieg der führende Einzel-GdB für das System „Gehirn/Psyche“ auf 40. Dieser hohe Ausgangswert, kombiniert mit den orthopädischen und internistischen Problemen, durchbrach die entscheidende Schwelle. Das Gericht stellte einen Gesamt-GdB von 50 fest.

Der Kläger bekam seinen Status als schwerbehinderter Mensch – nicht rückwirkend zum Wunschdatum 2012, aber als Ergebnis einer minutiösen juristischen und medizinischen Aufarbeitung seiner Krankengeschichte. Das Urteil des Sozialgerichts Freiburg, das ihm den GdB 50 pauschal ab 2012 zugesprochen hatte, wurde entsprechend korrigiert.

Die Urteilslogik

Die Glaubwürdigkeit der Justiz erfordert, dass staatliche Stellen den formalen Zugang ihrer Bescheide beweisen müssen, bevor sie sich auf Fristversäumnisse der Bürger berufen können.

  • Der Beweiszwang der Verwaltung: Bestreitet der Empfänger den Zugang eines Verwaltungsaktes glaubhaft, muss die Behörde den tatsächlichen Zugang des Bescheids lückenlos nachweisen, da die gesetzliche Vermutung des Zugangs nach drei Tagen sofort zerbricht.
  • Die Gesamtschau der Beeinträchtigungen: Die Feststellung des Gesamt-GdB erfolgt zwingend durch eine Gesamtschau nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen; die einzelnen Grade der Behinderung addieren sich nicht, sondern werden auf Basis des höchsten Einzelwertes bewertet.
  • Nachweis der Verschlechterung: Eine Erhöhung des Grades der Behinderung ist erst ab dem genauen Zeitpunkt festzustellen, an dem die medizinischen Unterlagen eine relevante, dauerhafte Verschlechterung des Leidens innerhalb des jeweiligen Funktionssystems belegen.

Die Anerkennung eines Schwerbehindertenstatus erfordert somit sowohl die Einhaltung formaler Verfahrenspflichten durch die Behörden als auch eine lückenlose medizinische Dokumentation der gesundheitlichen Entwicklung des Klägers.


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Experten Kommentar

Ein verschwundener Bescheid aus 2012 hätte den jahrelangen Kampf um GdB 50 abrupt beenden können. Das Gericht zieht hier eine klare rote Linie: Bevor eine Behörde sich auf verpasste Fristen berufen darf, muss sie den tatsächlichen Zugang des Schriftstücks beim Bürger beweisen. Die pauschale 3-Tages-Fiktion des Sozialrechts ist eben nur eine Vermutung, die man mit gutem Grund erschüttern kann. Wer glaubhaft bestreitet, einen Bescheid erhalten zu haben, zwingt die Verwaltung konsequent in die Beweispflicht – das ist oft der einzige Weg, um die inhaltliche Prüfung der Ansprüche überhaupt erst zu ermöglichen.


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Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Muss die Behörde beweisen, dass mein Verwaltungsbescheid tatsächlich zugegangen ist?

Ja, die Behörde muss den Zugang Ihres Verwaltungsbescheids im Zweifel beweisen. Die Beweislast liegt immer bei der Stelle, die sich auf die Wirksamkeit eines Bescheids und die damit verbundene Frist beruft. Zwar besteht zunächst eine gesetzliche Vermutung, dass Briefe nach drei Tagen als zugestellt gelten (§ 37 Abs. 2 SGB X). Diese Zustellfiktion können Sie jedoch leicht widerlegen.

Diese Drei-Tages-Fiktion ist kein unumstößliches Gesetz, das den Sachverhalt endgültig klärt. Sobald Sie den Erhalt des Bescheids glaubhaft bestreiten, zerbricht diese Vermutung automatisch. Es reicht, wenn Sie schlüssig darlegen, dass das Schriftstück nie in Ihren Machtbereich gelangt ist. Die Behörde muss dann einen konkreten Zustellnachweis erbringen, beispielsweise in Form eines Rückscheins oder einer Postzustellungsurkunde. Ohne diesen Nachweis kann sich die Behörde nicht auf eine abgelaufene Widerspruchsfrist berufen.

Der fehlende Zugang führt schnell zu Frustration, da die Behörde oft versucht, den Vorgang mit dem Argument der Fristversäumnis abzuwürgen. Der teuerste Fehler wäre, die Behauptung der Behörde hinzunehmen und den Fall auf sich beruhen zu lassen. Kann die Behörde keinen Nachweis liefern, dann wird ihr formaler Einwand verworfen und die inhaltliche Prüfung Ihres Anspruchs beginnt.

Legen Sie gegen eine Fristablehnung sofort Widerspruch ein und erklären Sie explizit: „Ich bestreite den Zugang des Bescheides vom [Datum] glaubhaft.“


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Was tun, wenn die Behörde meinen Widerspruch wegen eines angeblich verpassten Bescheids ablehnt?

Wenn die Behörde Ihren Widerspruch formal wegen Fristversäumnis ablehnt, müssen Sie sofort den Weg zum zuständigen Sozialgericht einschlagen. Der formelle Ablehnungsbescheid der Behörde, der sogenannte Widerspruchsbescheid, wird nun zum neuen Angriffspunkt. Sie müssen die Klage innerhalb der strengen Monatsfrist erheben. Nur vor Gericht können Sie die Behörde zwingen, den konkreten Nachweis des tatsächlichen Zugangs zu erbringen.

Ihr Ziel ist es, die formale K.o.-Hürde der Fristversäumnis zu überwinden. Das Gericht prüft zunächst die Glaubhaftigkeit Ihrer Behauptung, den ursprünglichen Bescheid nie erhalten zu haben. Ist Ihre Bestreitung glaubhaft dargelegt, zerbricht die gesetzliche Vermutung der Zustellung. Die Behörde kann sich nicht mehr auf die Fiktion stützen, dass der Brief drei Tage nach Aufgabe zur Post als zugegangen gilt (§ 37 Abs. 2 SGB X).

Die Beweislast liegt dann vollständig bei der Behörde, die einen harten Zustellnachweis liefern muss, etwa eine Postzustellungsurkunde. Kann sie diesen konkreten Beweis nicht erbringen, verwirft das Gericht den formalen Einwand wegen Fristversäumnis. Erst wenn diese juristische Vorklärung erfolgreich ist, beginnt die inhaltliche Prüfung Ihres GdB-Anspruchs. Sie selbst müssen dabei niemals beweisen, dass das Dokument nicht bei Ihnen angekommen ist.

Nehmen Sie den Widerspruchsbescheid und suchen Sie dringend juristischen Beistand, idealerweise einen Fachanwalt für Sozialrecht, um die Klagefrist nicht verstreichen zu lassen.


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Wie berechnet das Gericht den Gesamt-GdB aus mehreren Krankheiten wie Tinnitus, Knieproblemen und Depression?

Gerichte berechnen den Gesamt-GdB nicht durch einfache Addition der einzelnen Werte, auch wenn dies für viele Antragsteller intuitiv wäre. Diese Herangehensweise, beispielsweise 40 plus 20 plus 20 zu rechnen, ist rechtlich ausgeschlossen, da sich Leiden nicht einfach aufsummieren. Stattdessen erfolgt eine Gesamtschau der Beeinträchtigungen, die den Fokus auf die tatsächliche Auswirkung im Alltag legt. Dabei wird zuerst der höchste Einzelwert identifiziert, der als Ausgangspunkt für die Gesamtbewertung dient.

Die Grundlage dieser Bewertung bilden die Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG). Diese ordnen die Leiden verschiedenen Funktionssystemen zu, beispielsweise dem System ‚Psyche‘ für Depressionen und Tinnitus oder dem System ‚Beine‘ für Knieprobleme. Das höchste Einzel-GdB, oft als führender Schaden bezeichnet, bildet den maßgeblichen Startwert. Nur wenn die kombinierten Einschränkungen in ihrer Gesamtwirkung eine wesentliche neue Behinderungsstufe erreichen, darf der GdB erhöht werden.

Andere, niedrigere GdB-Werte werden nur dann berücksichtigt, wenn sie den führenden Schaden substanziell verschlimmern. Nehmen wir an, der höchste Einzelwert für die Psyche beträgt 40. Der zusätzliche Tinnitus, der Schlafstörungen verursacht, erhöht indirekt die Beeinträchtigung des psychischen Funktionssystems. Solche wechselseitigen Auswirkungen sind entscheidend, um die nächste Zehnerschwelle (GdB 50) zu durchbrechen. Die reine Auflistung von Einzelwerten ohne Beschreibung dieser Wechselwirkungen ist der häufigste Fehler im Antragsprozess.

Sammeln Sie gezielte medizinische Berichte, die beschreiben, wie Ihre Nebenerkrankungen die Funktionsfähigkeit des führenden Schadens im Alltag verschärfen.


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Welche medizinischen Befunde sind entscheidend, um den GdB von 40 auf 50 zu erhöhen?

Um die Schwelle zur Schwerbehinderung (GdB 50) zu überschreiten, müssen Sie den höchsten Einzelwert, den sogenannten führenden GdB, auf mindestens 40 steigern. Die einfache Addition kleinerer Leiden, wie Tinnitus oder leichte Knieprobleme, reicht hierfür nicht aus. Entscheidend ist der aktenkundige Nachweis einer deutlichen und zeitlich dokumentierten Verschlechterung in diesem führenden Funktionssystem.

Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze fordern detaillierte, lückenlose Verlaufsberichte, um eine Steigerung des GdB zu rechtfertigen. Bei psychischen Leiden benötigen Sie den Nachweis einer gut dokumentierten, mittelgradigen Störung des sozialen Leistungsvermögens, um den Einzel-GdB 40 zu erreichen. Dies bedeutet, dass Isolation, schwere Schlaf- oder Konzentrationsstörungen mit deutlicher Beeinträchtigung der Teilhabe belegt sein müssen. Behörden versuchen oft, die Einstufung durch Verweis auf eine geringe Behandlungsfrequenz zu verhindern – nur der konkrete Befund zählt.

Der Gesamt-GdB 50 wird erreicht, wenn der führende Wert 40 durch mindestens ein weiteres Leiden gestützt wird (GdB 20 oder mehr), das eine zusätzliche erhebliche Einschränkung darstellt. Bei orthopädischen Problemen sind beispielsweise nicht nur die Knorpelschäden wichtig, sondern der Nachweis von anhaltenden Reizerscheinungen. Wiederkehrende Schwellungen oder Gelenkergüsse, die über Jahre in Ihren Akten dokumentiert sind, liefern den nötigen Beweis für die funktionelle Schwere der Beeinträchtigung.

Prüfen Sie Ihre Akten auf spezifische, zeitlich markierte Verlaufsberichte, um die Steigerung der Symptome im führenden Funktionssystem lückenlos zu belegen.


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Ab welchem Zeitpunkt wird mein GdB 50 Status bei sich entwickelnden Leiden rückwirkend gewährt?

Die Rückwirkende Zuerkennung des Grades der Behinderung (GdB) hängt ausschließlich vom präzisen medizinischen Nachweis ab. Ihr GdB 50 Status wird genau ab dem Zeitpunkt gewährt, an dem die medizinische Aktenlage zweifelsfrei belegt, dass Ihre Gesundheitsstörungen erstmals in Kombination die Schwelle von GdB 50 erreicht haben. Das gewünschte Datum des Erstantrags oder der Beginn der allerersten Erkrankung sind dafür unerheblich.

Gerichte führen eine minutiöse juristische und medizinische Aufarbeitung Ihrer gesamten Krankengeschichte durch. Dabei prüfen sie, wann exakt jede einzelne Funktionsstörung ihr notwendiges Ausmaß erreichte. Entscheidend ist der Nachweis, wann die Leiden in der Gesamtschau das notwendige Ausmaß erreichten, um den führenden GdB auf mindestens 40 zu heben. Nur dieser hohe Ausgangswert ermöglicht die anschließende Steigerung auf den Gesamt-GdB 50.

Nehmen wir an, Sie litten schon seit 2012 unter Beschwerden, die nur einen GdB von 30 rechtfertigten. Zeigte jedoch die führende Störung, beispielsweise eine Depression, erst ab Januar 2018 aktenkundig eine massive Verschlechterung, wird der GdB 50 auch erst ab diesem späten Zeitpunkt festgesetzt. Das Landessozialgericht zeichnet die gesundheitliche Entwicklung präzise nach und nimmt eine zeitliche Staffelung vor. Dies korrigiert oft pauschale Zuspruchsdaten aus niedrigeren Instanzen und legt den tatsächlichen Zeitpunkt der Verschlechterung fest.

Erstellen Sie zur Untermauerung Ihrer Forderung eine detaillierte Zeitleiste, die die genauen Daten der relevanten Befunde für Ihr führendes Funktionssystem dokumentiert.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


**Bildtyp:** Editorial-Foto

**Hauptmotiv:** Schreibtisch mit Büromaterialien

**Text im Bild:** 
- SOZIALRECHT GLOSSAR
- Fachbegriffe einfach erklärt.
- KINDERGELD
- ALG I ANTRAG
- PFLEGEGRAD EINSTUFUNG.
- BEWILLIGT

**Wesentliche Bildelemente:** Buch, Lupe, Kugelschreiber

**Bildbeschreibung:** Das Bild zeigt eine büroähnliche Umgebung mit einem Schreibtisch. Auf dem Tisch liegen ein geöffnetes Buch, eine Lupe und Kugelschreiber. Ein Ordner mit der Aufschrift "BEWILLIGT" und ein Aktenkorb mit beschrifteten Unterlagen sind ebenfalls sichtbar.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Beweislast

Die Beweislast bestimmt, welche Partei in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren die konkreten Tatsachen beweisen muss, um vor Gericht oder bei der Behörde Recht zu bekommen. Juristen legen die Beweislast fest, um bei unklaren Sachverhalten zu entscheiden, wessen Anspruch oder Einwand scheitert, wenn der notwendige Nachweis nicht gelingt.
Beispiel: Im vorliegenden Verwaltungsstreit trug die Behörde die Beweislast für den tatsächlichen Zugang des Ablehnungsbescheids aus dem Jahr 2012, da der Kläger den Erhalt des Schriftstücks glaubhaft bestritten hatte.

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Funktionssystem

Das Funktionssystem ist eine juristisch-medizinische Kategorisierung, die im Sozialrecht angewandt wird, um alle gesundheitlichen Störungen nach ihrem Wirkungsbereich (zum Beispiel Herz, Gehirn/Psyche oder Beine) zu ordnen und zu bewerten. Dieses System gewährleistet eine standardisierte und vergleichbare Bewertung, indem es verschiedene Diagnosen, wie Tinnitus und Depression, unter einem gemeinsamen Dach zusammenfasst.
Beispiel: Die Gutachter ordneten den chronischen Tinnitus des Klägers sowie seine depressive Störung dem Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ zu, um darauf basierend einen gemeinsamen Einzel-GdB festzulegen.

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Führender GdB

Der Führende GdB bezeichnet den höchsten Einzel-Grad der Behinderung, den eine Person in einem spezifischen Funktionssystem erreicht hat und der als maßgeblicher Startwert für die spätere Berechnung des Gesamt-GdB dient. Dieser Wert ist deshalb so wichtig, weil er die Obergrenze des Gesamt-GdB bildet, es sei denn, andere Leiden erhöhen diesen Wert durch ihre wechselseitige Verschlimmerungswirkung.
Beispiel: Mit der nachgewiesenen Verschlechterung der Depression stieg der führende GdB des Klägers für das System „Gehirn/Psyche“ auf 40, was kombiniert mit den orthopädischen Problemen den Durchbruch zur Gesamtbewertung 50 ermöglichte.

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Gesamtschau

Bei der Gesamtschau handelt es sich um das vorgeschriebene Verfahren, bei dem Gerichte und Behörden alle einzelnen Beeinträchtigungen eines Menschen zusammenfassend betrachten, um den Gesamt-GdB festzulegen. Das Gesetz verbietet die einfache Addition der Einzelwerte; stattdessen prüft man aktiv, wie sich die verschiedenen Leiden gegenseitig negativ beeinflussen oder verschlimmern, um eine realistische Einschätzung der Teilhabe zu treffen.
Beispiel: Nur durch die genaue Gesamtschau aller Einzelleiden des Klägers, wie die Knieprobleme (GdB 20) und der Bluthochdruck (GdB 20), konnte das Landessozialgericht begründen, warum der führende GdB 40 auf den Gesamt-GdB 50 angehoben werden musste.

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Rückwirkende Zuerkennung

Die Rückwirkende Zuerkennung legt fest, dass ein bestimmter rechtlicher Status, wie die Schwerbehinderung (GdB 50), zeitlich in die Vergangenheit festgesetzt wird, obwohl der Bescheid über die Feststellung erst aktuell erlassen wurde. Das Sozialrecht stellt sicher, dass Ansprüche ab dem tatsächlichen Eintritt der medizinischen Voraussetzungen gewährt werden und nicht erst ab dem Datum der Antragstellung.
Beispiel: Die rückwirkende Zuerkennung des GdB 50 wurde im Fall des Klägers nicht ab 2012 gewährt, sondern nur ab dem 26. Januar 2018, da erst zu diesem Zeitpunkt die Aktenlage die notwendige medizinische Verschlechterung belegte.

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Versorgungsmedizinische Grundsätze (VG)

Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) sind das offizielle, vom Gesetzgeber erlassene Regelwerk zur einheitlichen und verbindlichen Bewertung aller Funktionsbeeinträchtigungen im deutschen Sozialrecht. Diese Grundsätze bilden die zwingende Berechnungsgrundlage für alle Gerichte und Behörden, um Willkür zu vermeiden und die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) objektiv zu standardisieren.
Beispiel: Zur Bemessung des Einzel-GdB für die Knieprobleme durchforstete das Gericht die Krankenakten der letzten zehn Jahre akribisch nach Nachweisen von anhaltenden Reizerscheinungen, wie sie in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen gefordert werden.

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Zustellfiktion

Die Zustellfiktion ist eine gesetzliche Vermutung nach § 37 Abs. 2 SGB X, wonach ein einfacher Brief der Behörde drei Tage nach der Aufgabe zur Post als beim Empfänger zugegangen gilt. Dieses Prinzip dient der Verwaltungseffizienz, da es Behörden erspart, jeden einfachen Brief per aufwendigem Einschreiben zu versenden, um eine Widerspruchsfrist in Gang zu setzen.
Beispiel: Das Gericht stellte fest, dass die Zustellfiktion in diesem Fall keine Anwendung fand, weil der Kläger den Zugang des Ablehnungsbescheids glaubhaft bestritt und die Behörde den tatsächlichen Zustellnachweis nicht erbringen konnte.

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Das vorliegende Urteil


Landessozialgericht Baden-Württemberg – Az.: L 3 SB 139/23 – Urteil vom 18.12.2024


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