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Gesetzliche Krankenversicherung – Umfang der Versorgung des Versicherten mit Zahnersatz

Landessozialgericht Hamburg – Az.: L 1 KR 118/13 – Urteil vom 20.08.2014

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 5. Juli 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über den Umfang des Anspruchs des Klägers auf die Versorgung mit Zahnersatz.

gesetzliche Krankenversicherung - Umfang der Versorgung des Versicherten mit Zahnersatz
Symbolfoto: Von FS Stock /Shutterstock.com

Der 1961 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Kläger legte der Beklagten einen Heil- und Kostenplan vom 11. April 2012 für eine prothetische Versorgung der Zähne in regio 44 bis 48 zur Genehmigung vor. Die Beklagte bewilligte ihm hierfür mit Bescheid vom 11. April 2012 den doppelten Festzuschuss in Höhe von EUR 1.021,76. Der Kläger erhob dagegen Widerspruch und führte aus, für ihn verbleibe aufgrund der Verwendung von höherwertigen Edelmetall-Legierungen und vollkeramischen Verblendungen ein Eigenanteil von EUR 1.054,55. Die Verwendung dieser Materialien sei aber medizinisch notwendig, da sich zahlreiche Metallsplitter in seinen Knochen befänden und außerdem durch einen Epicutantest eine Allergie gegen die Metalle nachgewiesen sei, die Bestandteil der Regelversorgung seien.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22. November 2012 zurück mit der Begründung, der Anspruch sei auf den Festzuschuss für die jeweilige Regelversorgung begrenzt. Die Mehrkosten für eine von der Regelversorgung abweichende gleichartige Versorgung könnten daher nicht übernommen werden. Dies gelte auch dann, wenn die Versorgung mit Zahnersatz aus anderen als zahnmedizinischen Gründen erfolge.

Seine dagegen am 20. Dezember 2012 erhobene Klage hat das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid vom 5. Juli 2013 abgewiesen. In den Gründen heißt es, die Leistungspflicht der Krankenkasse bleibe auch dann auf die zu leistenden Festzuschüsse beschränkt, wenn der Zahnersatz anderen als zahnmedizinischen Zwecken diene oder integrierender Bestandteil einer anderen Behandlung sei. Es liege auch keine Sonderkonstellation unter Berücksichtigung des Aufopferungsgedankens vor, denn diese setze voraus, dass der erstbehandelnde Arzt rechtlich verpflichtet gewesen sei, eine bestimmte Untersuchungs- oder Behandlungsmethode anzuwenden, mit der die Gesundheit des Versicherten geschädigt worden sei. Dies sei nicht der Fall, denn die Verwendung von Amalgam sei auch früher nicht vorgeschrieben gewesen.

Der Kläger hat gegen den ihm am 10. Juli 2013 zugestellten Gerichtsbescheid am Montag, den 12. August 2013 Berufung eingelegt. Er trägt erneut vor, dass die Verwendung von vollkeramischem Zahnersatz medizinisch und zahnmedizinisch notwendig sei. Aufgrund der im Knochengewebe vorhandenen Metallsplitter würden anderenfalls galvanische Elemente entstehen, die zu Irritationen und Entzündungen im Zahnfleisch führen würden. Es liege sehr wohl eine Sonderkonstellation der Aufopferung vor, da der jetzige Behandlungsbedarf durch frühere Leistungen der Krankenkasse veranlasst worden sei. Der Zahnarzt, der vor 1985 die Erstbehandlung vorgenommen habe, sei nämlich verpflichtet gewesen, bei Zahnfüllungen Amalgam zu verwenden. Hierdurch hätten sich bei ihm eine Amalgamallergie und eine Quecksilbervergiftung entwickelt.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 5. Juli 2013 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 11. April 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2012 zu verurteilen, ihm EUR 1.054,55 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung (§§ 143, 151 SGG) ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erstattung weiterer Kosten für die Versorgung mit Zahnersatz. Die Beklagte hat seinen diesbezüglichen Anspruch vielmehr mit der Zahlung des doppelten Festzuschusses erfüllt.

Gemäß § 27 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, die unter anderem zahnärztliche Behandlung umfasst, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Anspruch auf Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen (zahnärztliche und zahntechnische Leistungen) ist in den §§ 55 ff. SGB V näher geregelt. Nach § 55 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte nach den Vorgaben in S. 2 bis 7 Anspruch auf diese Leistungen in den Fällen, in denen eine zahnprothetische Versorgung notwendig ist und die geplante Versorgung einer Methode entspricht, die gemäß § 135 Abs. 1 SGB V anerkannt ist. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in Richtlinien die Befunde, für die Festzuschüsse nach § 55 SGB V gewährt werden und ordnet diesen prothetische Regelversorgungen zu (§ 56 Abs. 1 SGB V). Die Bestimmung der Befunde erfolgt auf der Grundlage einer international anerkannten Klassifikation des Lückengebisses. Dem jeweiligen Befund wird eine zahnprothetische Regelversorgung zugeordnet, die sich an zahnmedizinisch notwendigen zahnärztlichen und zahntechnischen Leistungen zu orientieren hat, die zu einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung mit Zahnersatz nach dem allgemein anerkannten Stand der zahnmedizinischen Erkenntnisse gehören (§ 56 Abs. 2 S. 1 bis 3 SGB V). Wählen Versicherte einen über die Regelversorgung gemäß § 56 Abs. 2 SGB V hinausgehenden gleichartigen Zahnersatz, haben sie die Mehrkosten hierfür selbst zu tragen (§ 55 Abs. 4 SGB V). Wählen Versicherte, die unzumutbar belastet würden, einen über die Regelversorgung hinausgehenden gleichartigen Zahnersatz, leisten die Krankenkassen den doppelten Festzuschuss (§ 55 Abs. 2 S. 1, 2. Halbsatz SGB V).

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat aufgrund der in den §§ 56 und 56 SGB V enthaltenen Ermächtigung die Richtlinien für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen (Zahnersatz-Richtlinie) vom 8. Dezember 2004 (BAnz 2005, S. 4094, zuletzt geändert am 7. November 2007, BAnz 2007, S. 8383) sowie die Richtlinie zur Bestimmung der Befunde und der Regelversorgungsleistungen für die Festzuschüsse nach §§ 55, 56 SGB V (Festzuschuss-Richtlinie) in der hier maßgeblichen Fassung vom 3. November 2004 (BAnz 2004, S. 24463), zuletzt geändert am 24. November 2011 (BAnz 2011, S. 4511 und 4655) erlassen. Wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, hat die Beklagte den sich hiernach ergebenden Festzuschuss zutreffend berechnet und dem Kläger wegen unzumutbarer Belastung den doppelten Festzuschuss in Höhe von EUR 1.021,76 gewährt (§ 55 Abs. 2 S. 1, 2. Halbsatz SGB V).

Der Anspruch des Klägers auf Versorgung mit Zahnersatz ist damit vollständig erfüllt; darüber hinaus gehende Ansprüche kann er nicht geltend machen. Dies gilt unabhängig davon, aus welchen medizinischen Gründen die Versorgung mit Zahnersatz notwendig ist, also auch dann, wenn die Versorgung mit Zahnersatz zur Beseitigung einer nicht dem zahnmedizinischen Bereich zuzuordnenden Erkrankung erforderlich ist. Die §§ 55, 56 SGB V knüpfen die Beschränkung der Kassenleistung auf Festzuschüsse an die Befunde und nicht an die Ursache des Behandlungsbedarfs (vgl. BSG, Urteil vom 06.10.1999 – B 1 KR 9/99 R – Juris).

Ein Anspruch des Klägers auf volle Kostenübernahme ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Aufopferung. Allerdings kann mit Rücksicht auf den verfassungsrechtlichen Schutz der körperlichen Unversehrtheit eine Befreiung vom Eigenanteil bei der Versorgung mit Zahnersatz geboten sein, wenn eine frühere Leistung der Krankenkasse den jetzigen Behandlungsbedarf veranlasst hat und sich als hoheitlicher Eingriff darstellt. Dies gilt jedoch nur, wenn der früher behandelnde Zahnarzt verpflichtet war, eine ihm keinen Spielraum belassende gesetzliche Vorgabe zu beachten und nur eine bestimmte Untersuchungs- oder Behandlungsmethode anzuwenden. Hat der Zahnarzt dagegen eine Behandlungsmethode gewählt, die sich im konkreten Fall als schädlich erweist, handelt es sich nicht um einen der Risikosphäre der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuordnenden Schaden. Dessen Auswirkungen sind dann nach dem für die Ärzte und sonstige Leistungserbringer geltenden Haftungsrecht zu beurteilen (BVerfG, Beschluss vom 14.08.1998 – 1 BvR 897/98 – Juris). Diese Abgrenzung ist vorliegend danach vorzunehmen, ob der Vertragszahnarzt bei der Erstbehandlung verpflichtet war, nur Amalgam als Füllungswerkstoff zu verwenden. Demgegenüber handelt es sich nicht um ein Sonderopfer, sondern vielmehr um die Realisierung des allgemeinen Lebensrisikos, wenn der Arzt aus einer Mehrzahl von zugelassenen Materialien eines ausgewählt hat, das sich im konkreten Fall als schädlich erweist (BSG, Urteil vom 06.10.1999 – B 1 KR 10/99 R – www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Eine zwingende rechtliche Vorgabe, Amalgam für Füllungen zu verwenden, kann zum Zeitpunkt der Erstbehandlung des 1961 geborenen Klägers nicht gegolten haben, sodass nicht ermittelt zu werden braucht, wann genau diese Behandlung stattgefunden hat und ob sie tatsächlich zu den von dem Kläger vorgetragenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hat. Denn bereits die noch auf der Grundlage des § 368p Reichsversicherungsordnung erlassenen Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche kassenzahnärztliche Versorgung vom 7. Dezember 1962 (BAnz 1963, Nr. 116) sahen vor, dass bei der konservierenden Behandlung die üblichen und erprobten plastischen Füllungsmaterialien verwendet werden sollten. Bei Molaren und Prämolaren sei „in der Regel Amalgam als Füllungsmaterial angezeigt“ (zitiert nach: BSG, Urteil vom 06.10.1999 – B 1 KR 10/99 R, a.a.O.). Diese Formulierung gab wieder, was dem damaligen Stand der zahnmedizinischen Wissenschaft entsprach, enthielt jedoch einen Spielraum für die Therapieentscheidung des behandelnden Zahnarztes, der berechtigt war, aus besonderen Gründen im Einzelfall auch ein anderes Material als Amalgam auszuwählen. Die späteren Fassungen der Richtlinie enthielten sogar noch weitere Vorgaben. So heißt es in der ab 1. April 1996 geltenden Richtlinie, dass „nur anerkannte und erprobte plastische Füllungsmaterialien (z.B. Amalgam, Komposites) gemäß ihrer medizinischen Indikation verwendet werden“ sollen. Von einem hoheitlichen Eingriff durch zwingende Vorgabe eines sich später als schädlich herausstellenden Materials kann daher zu keinem Zeitpunkt ausgegangen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision gegen das Urteil ist nicht zugelassen worden, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

 

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