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Gesetzliche Unfallversicherung – Arbeitsunfall – Meniskusschadens am Knie

SG Karlsruhe – Az.: S 1 U 3879/18 – Urteil vom 27.06.2019

Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist – zuletzt noch – umstritten, ob weitere Gesundheitsstörungen im Bereich des linken Kniegelenks als Folge eines Arbeitsunfalls anzuerkennen sind. Soweit der Kläger zunächst auch die Gewährung von Verletztenrente und über den 20.12.2017 hinaus einen Anspruch auf Heilbehandlung geltend gemacht hatte, hat er die Klage in der mündlichen Verhandlung am 27.06.2019 zurückgenommen.

Der 1964 geborene Kläger rutschte am 24.10.2017 bei seiner Tätigkeit als Montagehelfer auf einer Leiter stehend aus etwa 2 m Höhe ab. Seine Arbeit setzte er zunächst fort. Am 10.11.2017 suchte er den Chirurgen Dr. J. auf, der einen Druckschmerz des medialen Kniegelenks bei freier Beweglichkeit ohne Schwellung und ohne Erguss und radiologisch ohne Anhalt für eine frische knöcherne Verletzung erhob. Dr. J. diagnostizierte als Gesundheitsstörung einen Reizzustand nach Distorsion linkes Kniegelenk (vgl. Durchgangsarztbericht vom 10.11.2017). Die von ihm veranlasste kernspintomographische Untersuchung erbrachte den Nachweis einer Distorsion mit schmalem Einriss des Innenmeniskus-Hinterhorns, Innenbandüberdehnung und Kontusionsödem des medialen Tibiakopfes (differentialdiagnostisch: überlastungsbedingtes Ödem), eine beginnende Chondropathie des Gelenkknorpels femorotibial lateral, mukoide Veränderungen des Außenmeniskus und eine Patelladysplasie Typ Wiberg III (vgl. Arztbrief de Radiologin Dr. M. vom 14.11.2017).

Die weitere Behandlung des Klägers übernahm ab dem 23.11.2017 der Orthopäde Dr. T … Dieser diagnostizierte aufgrund des Untersuchungsbefundes vom 14.12.2017 als Gesundheitsstörung eine traumatische Komplexrissbildung des Innenmeniskushinterhorns links (vgl. Zwischenbericht vom 15.12.2017). Am 20.12.2017 erfolgte eine Innenmeniskus-Teilresektion links. Intraoperativ erhob Dr. T. eine horizontale Rissbildung des Innenmeniskus mit noch Auffaserungen im Abriss der Pars intermedia sowie eine großflächige zweitgradige Chondropathie des Tibiaplateaus. Der Riss machte vom Aspekt her eher einen degenerativen Eindruck (vgl. Operationsbericht vom 21.12.2017).

Gestützt auf das Ermittlungsergebnis und eine beratungsärztliche Stellungnahme des Chirurgen Dr. S. anerkannte die Beklagte das Unfallereignis vom 24.10.2017 als Arbeitsunfall, lehnte jedoch die Zahlung von Verletztengeld sowie Ansprüche auf unfallbedingte Heilbehandlung und Arbeitsunfähigkeit über den 20.12.2017 hinaus ab. Unfallbedingt habe der Kläger allein eine ohne wesentliche Folgen ausgeheilte Distorsion des linken Kniegelenks erlitten. Eine solche heile erfahrungsgemäß innerhalb von vier bis sechs Wochen vollständig aus und bedinge danach keine Behandlungsbedürftigkeit mehr. Die zum Zeitpunkt der Arthroskopie am 20.12.2017 noch bestehenden Gesundheitsstörungen und Beschwerden am linken Kniegelenk seien nicht mit Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall zurückzuführen, sondern degenerativ entstanden (Bescheid vom 26.04.2018).

Gesetzliche Unfallversicherung - Arbeitsunfall - Meniskusschadens am Knie
(Symbolfoto: Flystock/Shutterstock.com)

Zur Begründung seines dagegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger im Wesentlichen vor, er habe sich zum Unfallzeitpunkt auf einer Leiter stehend, um ein weiteres Regalteil zu erreichen, schwungvoll mit dem Oberkörper und den Füßen auf der Sprosse zur linken Seite hingedreht. Dabei habe sich der linke Schuh verkantet und es sei zu einer Fixierung des linken Fußes gekommen. Dadurch sei er bei geradem Fuß und gedrehtem Bein und Oberkörper von der Sprosse abgerutscht, in die Tiefe gestürzt und habe versucht, sich aufzufangen. Er sei mit dem verdrehten Knie auf die Sprossen der Leiter geprallt. Hierdurch sei es auch zu einem Meniskusriss und weiteren Folgeschäden gekommen. Er habe unmittelbar nach dem Unfallereignis starke Schmerzen bei bestimmten Bewegungsabläufen gespürt. Zuvor habe er keine Kniegelenksbeschwerden gehabt. Zur Stützung seines Widerspruchsbegehrens legte er das Vorerkrankungsverzeichnis der AOK vor. Gestützt auf beratungsärztliche Stellungnahmen des Orthopäden PD Dr. K. wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Ein ursächlicher Zusammenhang der Kniegelenksbeschwerden mit dem Arbeitsunfallereignis bestehe nicht. Die intraoperativen Befunde belegten einen degenerativ veränderten Meniskus mit Ausfransung und Auffaserung und vorbestehende Knorpelschäden II. Grades im Bereich des Tibiaplateaus ohne erkennbare akute Traumafolge; die kernspintomographisch objektivierte Baker-Zyste sei Zeichen einer vorbestehenden Meniskusdegeneration. Zudem leide der Kläger an einer den Meniskusschaden begünstigenden Patelladysplasie. Auch spreche die Lokalisation des Meniskusschadens am Hinterhorn für einen degenerativen Schaden. Schließlich sei der Unfallhergang für sich nicht geeignet gewesen, einen traumatischen Innenmeniskushinterhornschaden zu bewirken (Widerspruchsbescheid vom 29.10.2018).

Deswegen hat der Kläger am 14.11.2018 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zur Begründung trägt er neben der Wiederholung seines Widerspruchsvorbringens im Wesentlichen vor, PD Dr. K. sei von einem unrichtigen Unfallhergang und Unfalldatum ausgegangen.

Das Gericht hat zu Beweiszwecken schriftliche Auskünfte der Dres. J., T. und Sc. als sachverständige Zeugen eingeholt: Dr. J. hat mitgeteilt, er sei seit 18.12.2018 nicht mehr berufstätig. Dr. T. hat über die von ihm erhobenen Befunde und Krankheitsäußerungen berichtet und ausgeführt, ihm seien weder Unfallfolgen noch eine Vorerkrankung im Bereich des linken Kniegelenks bekannt. Dr. Sc. hat bekundet, er behandle den Kläger seit 18.10.2018. Kernspintomographisch bestünden keine krankhaften Befunde im linken Kniegelenk. Zur Frage eines ursächlichen Zusammenhangs mit dem Arbeitsunfall vom Oktober 2017 hat er sich nicht geäußert. Seiner Auskunft hat Dr. Sc. beigefügt.

Der Kläger beantragt – zuletzt -, den Bescheid vom 26. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2018 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, „Distorsion sowie schmaler Einriss im Bereich des Innenmeniskushinterhorns, Innenbandüberdehnung, Zeichen eines Kontusionsödems im Bereich des medialen Tibiakopfes, initiale Chondropathie femorotibial medialbetont, Innenmeniskusteilresektion links nach intraoperativ festgestellter horizontaler Rissbildung am Innenmeniskus mit noch Auffaserungen im Abriss der Pars intermedia und zweitgradige großflächige Chondropathie des Tibiaplateaus“ als weitere Folgen des Arbeitsunfalls vom 24. Oktober 2017 anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der Beklagten sowie den der in elektronischer Form geführten Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1. Mit dem zuletzt in der mündlichen Verhandlung am 27.06.2019 gestellte Antrag ist die Klage als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Zu Recht hat es die Beklagte abgelehnt, die streitgegenständlichen Kniebinnenschäden als – weitere – Folgen des Arbeitsunfalls vom 24.10.2017 anzuerkennen.

a) Dass der Kläger am 24.10.2017 in Ausübung seiner versicherten Tätigkeit als Montagehelfer (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) einen Arbeitsunfall (§ 7 Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII) erlitten hat, hat die Beklagte durch den Bescheid vom 26.04.2018 anerkannt. Dies ist zwischen den Beteiligten daher zu Recht nicht umstritten.

b) Zur Überzeugung des erkennenden Gerichts (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) steht aufgrund der aktenkundigen medizinischen Unterlagen, insbesondere des Arztbriefes der Radiologin Dr. M. vom 14.11.2017 und des Operationsberichtes des Dr. T. vom 21.12.2017 fest, dass der Kläger an einem Einriss des Innenmeniskus-Hinterhorns links, einer Innenbandüberdehnung, einem Kontusionsödem des medialen Tibiakopfes, einer initialen Chondropathie femorotibial medialbetont und einer großflächigen zweitgradigen Chondropathie des Tibiaplateaus leidet bzw. litt, weshalb am 20.12.2017 eine Innenmeniskusteilresektion links erfolgte.

c) Diese Gesundheitsstörungen sind indes nicht mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis vom 24.10.2017 zurückzuführen.

aa) Als Folge eines Arbeitsunfalls sind Gesundheitsstörungen (nur) zu berücksichtigen, wenn das Unfallereignis und das Vorliegen der konkreten Beeinträchtigung bzw. Gesundheitsstörung jeweils bewiesen und die Beeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurück zu führen ist. Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist mithin ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall (Unfallkausalität), zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden oder dem Tod des Versicherten (haftungsbegründende Kausalität) und ggf. länger anhaltenden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein (vgl. hierzu u.a. BSGE 45, 1, 9; 58, 80, 83 und 60, 58 ff.), während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit ausreicht (vgl. u.a. BSGE 60, 58 ff.; BSG SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2 m.w.N.; BSG SozR 4-5671 Anlage 1 Nr. 4104 Nr. 2 und BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 9). „Hinreichend wahrscheinlich“ bedeutet, dass bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht, d.h. dass den für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Gründen ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 285, 286 und BSG SozR 1300 § 45 Nr. 49).

Ist ein Arbeitsunfall nicht nachgewiesen oder lässt sich der ursächliche Zusammenhang zwischen diesem und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht wahrscheinlich machen, geht dies nach dem in sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Versicherten (vgl. u.a. BSGE 6, 70, 72; 83, 279, 281; 96, 238, 245 und SozR 3-2200 § 548 Nrn. 11 und 14).

bb) Der Ursachenzusammenhang im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung beurteilt sich nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. hierzu BSGE 1, 72, 76 und 1, 150, 156f; seither st. Rspr.). Diese Theorie beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. hierzu Grüneberg in Palandt, BGB, 78. Auflage 2019, Vorb. v. § 249, Rn. 26 und 68 ff m.w.N. sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung im Sozialversicherungsrecht deshalb in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (vgl. BSGE 1, 72, 76).

Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung Grundsätze herausgearbeitet, die das BSG in zwei Entscheidungen vom 09.05.2006 (B 2 U 1/05 R (= SozR 4-2700 § 8 Nr. 17) und B 2 U 26/04 R (= UV-Recht Aktuell 2006, 497ff)) zusammenfassend wie folgt dargestellt hat:

Für eine Gesundheitsstörung kann es mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. „Wesentlich“ ist dabei nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Die Wertung zweier Mitursachen und damit des Arbeitsunfalls als rechtlich wesentlich neben z.B. einem anlagebedingten psychischen Vorschaden setzt deshalb nicht notwendig ein Verhältnis 50:50 voraus. Auch wenn der Arbeitsunfall eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache der körperlichen oder psychischen Erkrankung des Versicherten darstellt, kann er dennoch für diesen „Erfolg“ rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (vgl. BSG SozR Nr. 69 zu § 542 a.F. RVO und BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO; ferner Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Seite 27 sowie Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. 3, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2006, § 8 Rdnr. 314). Daher ist es auch zulässig, eine – rein naturwissenschaftlich betrachtet – nicht gleichwertige, d.h. prozentual also verhältnismäßig niedrig zu bewertende Ursache, rechtlich als „wesentlich“ anzusehen, weil gerade und nur durch ihr Hinzutreten zu der anderen wesentlichen Ursache „der Erfolg“ eintreten konnte. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) „wesentlich“ und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts (vgl. BSGE 12, 242, 245 und BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO). Die naturwissenschaftliche Ursache, die nicht „wesentlich“ und damit keine Ursache i.S.d. der Theorie der wesentlichen Bedingung ist, kann als „Gelegenheitsursache“ oder „Auslöser“ bezeichnet werden (vgl. u.a. BSGE 62, 220, 222 f; BSG SozR 2200 § 548 Nr. 75; BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 15 und BSG, UV-Recht Aktuell 2007, 860 ff).

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Dies wird häufig bei einem klar erkennbaren Ursache-Wirkungszusammenhang, vor allem, wenn es keine feststellbare konkurrierende Ursache gibt, kein Problem sein. Es gibt aber im Bereich des Arbeitsunfallrechts keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies insbesondere bei komplexen Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, Rdnr. 18).

c) Daran orientiert hat es die Beklagte durch die angefochtenen Bescheide zu Recht abgelehnt, Binnenschäden im linken Kniegelenk des Klägers als weitere Folgen des Arbeitsunfalls vom 24.10.2017 anzuerkennen. Dies belegen zur Überzeugung der Kammer folgende Umstände:

aa) Dr. M. hat kernspintomographisch am 14.11.2017 neben dem schmalen Einriss des Innenmeniskushinterhorns und einer leichten Innenbandüberdehnung ohne eindeutige Rupturzeichen keine Begleitverletzungen am Kapsel-Band-Apparat des linken Kniegelenks und auch keinen signifikanten Kniegelenkserguss objektiviert. Es entspricht indes herrschender medizinisch-wissenschaftlicher Lehrmeinung, der die Kammer folgt, dass es den sogenannten „isolierten Meniskusriss“ ohne verletzungsspezifische Begleitveränderungen an anderen (knöchernen oder Band-) Strukturen des betroffenen Gelenkes nicht gibt (vgl. LSG Baden-Württemberg vom 22.07.2015 – L 6 U 2394/15 -, Rn. 39 f.; LSG Niedersachsen – Bremen vom 30.10.2013 – L 3 U 151/10 – Rn. 28 ff; SG Münster vom 16.03.2011 – S 13 U 329/08 -, Rn. 36 und OLG Nordrhein-Westfalen vom 04.06.2014 – 1 A 2162/13 -, Rn. 13, ferner Urteil des erkennenden Gerichts vom 14.10.2016 – S 1 U 2298/16 -, Rn. 23 und Gerichtsbescheid vom 08.08.2018 – S 1 U 3722/17 -, Rn. 27 m. w. N. (jeweils juris); vgl. auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Seite 643). Bei einem traumatisch bedingten Innenmeniskushinterhornriss müssen sich deshalb derartige Begleitverletzungen im geeigneten bildgebenden Verfahren darstellen lassen (vgl. LSG Niedersachsen – Bremen vom 30.10.2013 – L 3 U 151/10 -, Rn. 28 (juris)). Die Kernspintomographie-Bildtechnik ermöglicht dabei eine Unterscheidung zwischen einer frischen und einer alten Verletzung (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Seite 655).

bb) Außerdem sind durch Dr. M. bereits nur drei Wochen nach dem Unfallereignis am linken Kniegelenk degenerative Veränderungen im Sinne einer mukoiden Degeneration, d.h. einer schleimartigen Umwandlung des Gewebes, des Außenmeniskus, einer großflächigen, zweitgradigen Chondropathie des Tibiaplateaus, d. h. Knorpelunregelmäßigkeiten im Bereich der oberen Gelenkfläche des Schienbeinkopfes, und einer Patelladysplasie vom Typ Wiberg III, d. h. einer Fehlbildung der Kniescheibe, bildgebend belegt. Die von ihr außerdem beschriebene angedeutete Baker-Zyste ist dem gegenüber kein Nachweis einer unfallbedingten Binnenschädigung des Kniegelenks, sondern spricht im Anschluss an die zutreffenden Darlegungen von PD Dr. K. ebenfalls für eine degenerative Läsion.

cc) Bestätigt wird der fehlende ursächliche Zusammenhang weiter durch den intraoperativ von Dr. T. am 20.12.2017 erhobenen Untersuchungsbefund im Sinne einer horizontalen Rissbildung des Innenmeniskus mit noch Auffaserung im Abriss der Pars intermedia. Denn ein Horizontalriss des Innenmeniskus spricht regelmäßig für eine Verursachung durch vorbestehende Texturstörungen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Seite 665; so auch Thür. LSG vom 21.02.2019 – L 1 U 1530/17 -, Rn. 35 (juris)). Dementsprechend hat auch Dr. T. im Operationsbericht zu Recht ausgeführt, dass der Riss „vom Aspekt her einen degenerativen Eindruck“ macht.

dd) Schließlich war auch zur Überzeugung des erkennenden Gerichts der vom Kläger zunächst gegenüber Dr. J., Dr. T. und der Beklagten geschilderte Unfallhergang im Sinne eines Sturzes aus dem Stand aus etwa 2 m Höhe von einer Leiter bereits dem Grunde nach nicht geeignet, eine Verletzung des Innenmeniskushinterhorns zu bewirken. Speziell die Schädigung eines gesunden Meniskus setzt das Vorhandensein eines geeigneten Verletzungsmechanismus voraus. Hierzu bedarf es eines erzwungenen, regelwidrigen Bewegungsablaufs im Kniegelenk, der die physiologischen Verschiebungen der Menisken behindert bzw. verhindert. Nach den Erkenntnissen der Kammer aus vergleichbaren Rechtsstreitigkeiten im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung ist bei – wie hier – fehlenden knöchernen Verletzungen des Kniegelenks und insbesondere einem fehlenden bone bruise, d.h. einem Knochenmarködem, und nachgewiesenen stabilen Bandverhältnissen bereits aus anatomischen Gründen eine (unfallbedingte) Verletzung der Menisken nicht denkbar. Diese geraten nämlich erst dann unter Stress, wenn der Kapsel-Band-Apparat, d. h. der primäre Gelenkstabilisator selbst, im Sinne eines Zerreißens verletzt ist (vgl. Urteil vom 14.10.2016 – S 1 U 2298/16 -, Rn. 23 m.w.N. (juris); so auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Seite 657 m.w.N. aus der medizinischer Literatur). Nach gegenwärtig vertretenen medizinischen Erkenntnissen wird eine isolierte Meniskusverletzung heute nur noch diskutiert infolge eines sogenannten „wuchtigen Drehsturzes“, bei dem das gebeugte und rotierte Kniegelenk bei fixiertem Unterschenkel oder Fuß plötzlich passiv in die Streckstellung gezwungen wird, sodass die physiologische Schlussrotation nicht mehr ablaufen kann (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Seite 657), d.h. wenn die physiologischen Bewegungs- und Belastungsgrenzen überschritten werden. Hierzu bedarf es indes eines unüberwindlichen äußeren Bewegungshemmnisses mit brüsker und wuchtig ablaufender, erzwungener Kniestreckung, wobei es nicht ausreichend ist, wenn der Fuß nur durch das Körpergewicht und/oder eine Schuhsohle am Boden oder – wie hier – auf einer Leitersprosse haftet. Einen solchen wuchtigen Drehsturz erachtet die Kammer indes auch aufgrund der in der Widerspruchsbegründung vorgetragenen abweichenden Unfallschilderung des Klägers nicht für erwiesen. Zunächst misst sie den ersten Angaben des Klägers zum Unfallablauf, die unbefangen von rechtlichen Erwägungen erfolgte, regelmäßig einen höheren Beweiswert zu als hiervon abweichenden und erst in Kenntnis einer negativen Verwaltungsentscheidung gemachten Unfallangaben (so auch LSG Nordrhein-Westfalen vom 28.4.1998 – L 5 U 92/97 -; LSG Berlin-Brandenburg vom 31.05.2012 – L 3 U 198/09 -, Bay. LSG vom 20.02.2014 – L 2 U 46/13 – sowie LSG Baden-Württemberg vom 21.05.2015 – L 6 U 1053/15 – und vom 05.10.2017 – L 6 U 774/17 – (jeweils juris)). Überdies müssen auch bei einem Drehsturz Hinweise auf eine Mitbeteiligung des Kapsel-Band-Apparates, z. B. in Form von Einblutungen, vorliegen, auch wenn diese im Einzelfall gering ausgeprägt sind. Derartige Befunde lagen jedoch nach dem Arztbrief von Dr. M. wie auch dem Operationsbericht des Dr. T. vom 21.12.2017 nicht vor. Weiter entspricht die Unfallschilderung des Klägers in der Widerspruchsbegründung auch keinem „wuchtigen Drehsturz“ mit fixiertem Fuß; denn die behauptete „Fixierung“ des Fußes erfolgte allein über die durch das Körpergewicht und ggfs. den verkanteten linken Schuh bewirkte Anhaftung auf einer Leitersprosse, was gerade nicht ausreicht (vgl. nochmals Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Seite 657). Schließlich kam es auch nach der abweichenden Unfallschilderung des Klägers gerade nicht zu einer passiv erzwungenen Streckstellung des linken Kniegelenks.

d) Die vom Gericht eingeholten Auskünfte der sachverständigen Zeugen führen mangels Äußerungen der Ärzte zum ursächlichen Zusammenhang zu keinem anderen Ergebnis.

e) Eine bereits bei der Untersuchung durch Dr. M. im November 2017, und damit nur drei Wochen nach dem streitgegenständlichen Unfallereignis, objektivierte beginnende Chondropathie wie auch die von Dr. T. beschriebene großflächige zweitgradige Chondropathie des Tibiaplateaus sind ebenfalls nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Unfallereignis zurückzuführen. Vielmehr handelt es sich dabei um degenerative Veränderungen, die sich nicht innerhalb eines derart kurzen Zeitraums nach dem Unfallereignis entwickeln. Dies entnimmt die Kammer dem Ergebnis der beratungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. S. und PD Dr. K.

4. Anders ist auch nicht vor dem Hintergrund zu entscheiden, dass die vorliegend als Unfallfolgen geltend gemachten Kniebinnenschäden erstmals nach dem streitgegenständlichen Unfallereignis diagnostiziert worden sind und nach dem Vorbringen des Klägers wie auch dem Inhalt des Vorerkrankungsverzeichnisses der AOK Karlsruhe insoweit zuvor keine ärztlichen Behandlungsmaßnahmen erforderlich waren. Denn Schadensanlagen können lange Zeit klinisch stumm verlaufen (vgl. LSG Baden-Württemberg vom 29.03.2018 – L 8 U 1532/17 – (unveröffentlicht); LSG Baden-Württemberg vom 23.10.2015 – L 8 U 1345/14 – Rn. 35 und vom 16.01.2011 – L 2 U 1936/09 -, Rn. 33 m. w. N. (jeweils juris)). Eine „leere Anamnese“ schließt deshalb weder eine Schadensanlage noch einen Vorschaden aus. Allein der – wie hier – rein zeitliche Zusammenhang zwischen einer versicherten Tätigkeit und dem Auftreten von Gesundheitsstörungen ist ungeachtet des bereits dem Grunde ungeeigneten Unfallhergangs nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zu begründen (vgl. BSG vom 17.12.2015 – B 2 U 8/14 R -, Rn. 20; ferner LSG Berlin vom 25.03.2003 – L 2 U 3/01 -, Rn. 23; Bay. LSG vom 11.11.2014 – L 2 U 398/113 -, Rn. 54 und Sächs. LSG vom 13.08.2014 – L 6 U 142/11 -, Rn. 41 (jeweils juris)). Selbst aus der Abwesenheit konkurrierender Ursachen für einen Körperschaden lässt sich die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen einem Arbeitsunfallereignis und einem Körperschaden nicht herleiten (vgl. SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, Rn. 18 und Bay. LSG vom 22.04.2009 – L 18 U 301/06 -, Rn. 32 (juris)).

Damit kommt dem Unfallhergang allein der Stellenwert einer rechtlich nicht relevanten (vgl. BSGE 96, 196, 200 und BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, Rn. 11) Gelegenheitsursache für die dabei zutage getretenen Kniebinnenschäden zu.

5. Aus eben diesen Gründen hat die Beklagte durch die angefochtenen Bescheide zu Recht als Unfallfolge allein eine innerhalb von längstens vier bis sechs Wochen nach dem Unfallereignis folgenlos ausgeheilte Distorsion des linken Kniegelenks anerkannt und die Anerkennung weiterer Kniegelenksbinnenschäden als Unfallfolgen abgelehnt. Damit erweisen sich die angefochtenen Bescheide als rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 Abs. 1 und 4 SGG.

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