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Gesetzliche Unfallversicherung – Gefälligkeitsleistung durch Verwandte

Gesetzliche Unfallversicherung – Erbringung von Bauleistungen durch Verwandte – Gefälligkeitsleistung

SG Heilbronn, Az.: S 6 U 138/17

Urteil vom 15.11.2017

1. Die Bescheide vom 20.01.2016 und der Widerspruchsbescheid vom 14.12.2016 werden aufgehoben.

2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen Beiträge, welche die Beklagte für die Mithilfe der beiden Väter und dreier Brüder der Kläger bei dem Neubau des Hauses der Kläger erhoben hat.

Die Kläger haben als Bauherren ein Wohnhaus mit Garage und Carport in Eigenleistung errichtet. Dabei wurden Sie von ihren Vätern und Brüdern während der Bauphase von Juni 2012 bis November 2014 unterstützt. Die Väter und Brüder verrichteten an Samstagen Erd-, Maurer- Schalungs- und Betonbearbeiten in einem Umfang von zusammen insgesamt 505 Stunden. Nachdem die Beklagte Kenntnis von dem Bauvorhaben erhalten hatte schrieb sie die Kläger an. Sie bat um Auskunft, welche nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten ausgeführt werden und welche Unternehmen beauftragt sind. Die Kläger legten in der Folge Bautagebücher für die mithelfenden Verwandten und die Fragebögen zur Versicherungs- und Beitragspflicht vor. Bezüglich des Inhalts wird auf die Seiten 9ff der Verwaltungsakte verwiesen. Für die Folgezeiträume legten die Bauherren während der weiteren Bauphase die Bautagebücher für den Zeitraum bis Ende November 2014 vor. Mit Bescheiden vom 20.01.2016 setzte die Beklagte für den Zeitraum vom 28.06. bis 30.11.2012 für 329 Helferstunden einen Beitrag von 679,48 €, für den Zeitraum Dezember 2012 für neun Helferstunden 18,59 €, für den Zeitraum von Januar bis Mai 2013 für 17 Helferstunden 24,17 €, für den Zeitraum von Juni bis November 2013 für 40 Helferstunden 56,87 €, für den Zeitraum Januar bis Mai 2014 für 26 Helferstunden 36,42 € und für den Zeitraum von Juni bis November 2014 für 84 Helferstunden 117,66 € fest.

Gesetzliche Unfallversicherung - Gefälligkeitsleistung durch Verwandte
Foto: Pixabay

Hiergegen wandten sich die Kläger mit ihren Widersprüchen. Die Helfer seien engste Familienangehörige, die unentgeltlich ihre Hilfeleistung erbracht hätten. Die Helfer hätten über einen Zeitraum von 29 Monaten 505 Helferstunden erbracht. Dies entspreche pro Helfer im Monat nur 3,48 Stunden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2016 wies die Beklagte die Widersprüche der Kläger zurück. Zur Begründung führte sie aus, eine Gefälligkeitsleistung sei aufgrund der hohen Anzahl an erbrachten Helferstunden auszuschließen. Die erbrachte Helferstundenzahl überschreite den Rahmen einer Gefälligkeitsleistung sowie übliche Handreichungen innerhalb einer Familie. Außerdem werde regelmäßig die Art der verrichteten Tätigkeit berücksichtigt. Die Helfer hätten Erd-, Maurer-, Schalungs- und Betonarbeiten erbracht. Es handle sich hier um keine bloßen, einfacheren Handreichungen. Es seien handwerkliche Leistungen von erheblichem Gewicht erbracht worden. Daher seien die Helfer gemäß § 2 Abs. 2 SGB 7 versichert.

Hiergegen richtet sich die Klage. Zur Begründung vertiefen die Kläger ihren Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren.

Die Kläger beantragen, die Bescheide vom 20.01.2016 und den Widerspruchsbescheid vom 14.12.2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf die angegriffenen Bescheide.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Bescheide der Beklagten vom 20.01.2016 und der Widerspruchsbescheid vom 14.12.2016 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten.

Die Beitragsbescheide der Beklagten sind rechtswidrig, da die Kläger nicht beitragspflichtig waren. Nach § 150 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind die Unternehmer beitragspflichtig, für deren Unternehmen Versicherte tätig sind oder zu denen Versicherte in einer besonderen, die Versicherung begründenden Beziehung stehen. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Brüder und Väter der Kläger waren im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Kläger nicht versichert.

Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII liegen nicht vor, denn die Helfer waren nicht für die Kläger im Rahmen eines durch eine persönliche Abhängigkeit von einem Arbeitgeber gekennzeichneten Beschäftigungsverhältnisses tätig geworden.

Die Helfer waren auch nicht jeweils „wie ein Versicherter“ nach § 2 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Nr. 1 SGB VII tätig. Wie die inhaltlich übereinstimmende Vorgängerbestimmung des § 539 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) will § 2 Abs. 2 SGB VII aus sozialpolitischen und rechtssystematischen Gründen den Versicherungsschutz auf Tätigkeiten erstrecken, die zwar nicht sämtliche Merkmale eines Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnisses aufweisen, in ihrer Grundstruktur aber einer abhängigen Beschäftigung ähneln, indem eine ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende, dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert erbracht wird, die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden könnte, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen.Allerdings ist zu beachten, dass nicht jede Tätigkeit, die einem fremden Unternehmen objektiv nützlich und ihrer Art nach sonst üblicherweise dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugänglich ist, beschäftigtenähnlich verrichtet wird. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG kommt nämlich der mit dem – objektiv arbeitnehmerähnlichen – Verhalten verbundenen Handlungstendenz, die vom bloßen Motiv für das Tätigwerden zu unterscheiden ist, ausschlaggebende Bedeutung zu. Verfolgt eine Person mit einem Verhalten, das ansonsten einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnelt, in Wirklichkeit wesentlich allein eigene Angelegenheiten, ist sie nicht mit fremdwirtschaftlicher Zweckbestimmung und somit nicht wie im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses, sondern wie ein Unternehmer eigenwirtschaftlich tätig und steht daher auch nicht nach § 2 Abs. 2 SGB VII wie ein nach Abs. 1 Nr. 1 dieser Vorschrift Tätiger unter Versicherungsschutz (so ausdrücklich, BSG, Urteil v. 5. Juli 2005 -B 2 U 22/04 R- m.w.N.).

Dabei ist eine arbeitnehmerähnliche Beschäftigung abzugrenzen von unternehmerähnlicher Tätigkeit (vgl. hierzu umfassend BSG, Urteil v. 31. Mai 2005 – B 2 U 35/04 R -). Entscheidend ist, ob nach dem Gesamtbild die Tätigkeit wie von einem Beschäftigten oder einem Unternehmer ausgeübt wurde. Ob die Helfer arbeitnehmerähnlich tätig waren oder unternehmerähnlich hat die Beklagte nicht ermittelt. Gegen eine arbeitnehmerähnliche Beschäftigung spricht die Begründung des Widerspruchsbescheids, wonach keine bloßen einfacheren Handreichungen sondern handwerkliche Leistungen von erheblichem Gewicht erbracht worden seien. Sollten die Helfer hier aufgrund ihrer überlegenen Fachkompetenz gegenüber den Bauherrn wie Unternehmer tätig geworden sein, bestünde bereits deshalb kein Versicherungsschutz. Dies kann aber offen bleiben, da die Tätigkeit der Helfer Gefälligkeitsleistungen sind.

Zwar schließen Verwandtschaftsdienste den Versicherungsschutz nicht grundsätzlich aus (vgl. SG Berlin, Urteil vom 15.06.2009 – S 25 U 741/08 -). Bei Gefälligkeitsleistungen, die ihr gesamtes Gepräge durch das verwandtschaftliche Verhältnis zwischen den beteiligten Personen erhalten, besteht kein Versicherungsschutz. Dabei sind die gesamten Umstände des Einzelfalles zu würdigen und es ist nicht nur auf die unmittelbar zum Unfall führende Verrichtung abzustellen. Bei Gefälligkeitsleistungen, die ihr gesamtes Gepräge durch das verwandtschaftliche Verhältnis zwischen den beteiligten Personen erhalten, besteht kein Versicherungsschutz. Dabei sind die gesamten Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu beachten, insbesondere Art, Umfang und Zeitdauer der verrichteten Tätigkeit sowie die Intensität der tatsächlichen verwandtschaftlichen Beziehungen. Je enger eine Gemeinschaft ist, umso größer wird regelmäßig der Rahmen sein, innerhalb dessen bestimmte Tätigkeiten ihr Gepräge daraus erhalten. Dabei können im Rahmen eines engsten verwandtschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses auch Tätigkeiten von erheblichem Umfang und größerer Zeitdauer diesem Gemeinschaftsverhältnis ihr Gepräge geben (vgl. BSG, Urteil vom 20.04.1993 – 2 RU 38/92, – m. w. N., LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.01.2009 – L 31 U 369/08 -). Dabei gilt je enger der Verwandtschaftsgrad ist, desto eher wird die Tätigkeit allein aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses durchgeführt (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.1997 – 2 BU 52/97 -). Die Beziehung der Eltern zu ihren Kindern bzw. umgekehrt als engstes verwandtschaftliches Gemeinschaftsverhältnis kann selbst bei einem erheblichen Umfang der Tätigkeit der Leistung das Gepräge geben, so dass kein Versicherungsschutz besteht (vgl. BSG, Urteil vom 25.10.1989 – 2 RU 4/89 -).

Im konkreten Fall sprechen weder Art noch Umfang der Leistungen gegen eine Gefälligkeit. Die Kläger sind mit den Helfern eng verwandt. Es liegt auch nicht nur ein formales Verwandtschaftsverhältnis vor. Die Beziehung zwischen den Klägern und ihren Helfern ist durch regelmäßige Treffen und gegenseitige Unterstützung geprägt. Dies ergibt sich aus den Angaben der Brüder und Väter in den Fragebögen und der Parteivernehmung im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Die Beteiligten treffen sich regelmäßig zu Feiern wie Geburts- und Feiertagen und kommen auch sonst zu familiären Treffen zusammen. Die Kläger und ihre Brüder unterstützen sich gegenseitig bei Autoreparaturen, Renovierungen, Umzügen und finanziellen Angelegenheiten. Dies spricht entscheidend für eine Gefälligkeit. Auch Art und Umfang der Tätigkeiten sprechen nicht gegen eine Gefälligkeit. Hinsichtlich der Art liegt bei den Bauarbeiten keine derart gefährliche Tätigkeit vor, dass diese den Umfang einer Gefälligkeit sprengen würde. Hinsichtlich des Umfangs liegt zwar in der Gesamtzahl eine erhebliche Stundenzahl vor. Es gibt aber keine starre Stundengrenze, deren Überschreitung eine Gefälligkeitsleistung ausschließt. Die Zahl der erbrachten Stunden muss in ein Verhältnis zu dem Zeitraum gesetzt werden, in dem diese Stunden erbracht worden sind. Der Klägerbevollmächtigte hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der durchschnittliche Umfang der erbrachten Hilfeleistung über den gesamt veranlagten Zeitraum für jeden Helfer in der Woche weniger als 3 ½ Stunden beträgt. Die Verwandten haben anfangs während der Rohbauphase die Kläger wöchentlich unterstützt. Im weiteren Ablauf haben die Helfer die Kläger nur noch unregelmäßig. Dieser Umfang spricht angesichts der engen familiären Bindung für eine Gefälligkeit.

Die Klage hat daher mit der sich aus § 193 SGG ergebenden Kostenfolge Erfolg.

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