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Gesetzliche Unfallversicherung – isolierter traumatischer Tinnitus

SG Karlsruhe – Az.: S 1 U 4293/16 – Urteil vom 29.06.2018

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob ein Tinnitus rechts, ständige Kopfschmerzen und Schwindelanfälle als weitere Folgen eines Arbeitsunfalls festzustellen sind.

Der 1954 geborene, als Gießereiarbeiter beschäftigte Kläger erlitt am 03.03.2016 einen Arbeitsunfall, als er während seiner versicherten Tätigkeit an einer Treppe ausrutschte, stürzte und sich dabei den Kopf und die rechte Schulter anstieß. Bei der Erstuntersuchung durch den Chirurgen Dr. T. bestanden keine Amnesie, Bewusstlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen oder Kopfschmerzen. Der Kläger war wach, ansprechbar und allseits orientiert. Dr. T. konnte keinen Haut- oder Weichteildefekt, jedoch ein etwa 1 cm² großes Hämatom epikranian parietal links objektivieren. Die von ihm veranlasste bildgebende Diagnostik erbrachte keinen Hinweis auf eine Fraktur im Bereich der Halswirbelsäule bei Zeichen degenerativer Diskopathien in den Segmenten C4 bis C6 mit geringer Retrolisthesis von C4 und C5. Dr. T. diagnostizierte als Gesundheitsstörungen ein Hämatom epikranian parietal links und eine HWS-Distorsion (vgl. Durchgangsarztbericht vom 03.03.2016). Bei der Nachuntersuchung durch Dr. T. am 10.03.2016 gab der Kläger erstmals rezidivierende Schwindelerscheinungen an. Neurologische Auffälligkeiten konnte Dr. T. nicht objektivieren. Die von ihm veranlasste kernspintomografische Untersuchungen des Schädels und der Halswirbelsäule ergaben keinen Anhalt für eine Arteriendissektion oder traumatische Veränderungen (vgl. Nachschaubericht vom 10.03.2016 und Arztbrief des Radiologen E. vom selben Tag). Am 22.03.2016 stellte sich der Kläger bei der HNO-Ärztin Dr. M. vor. Diese äußerte den Verdacht auf einen paroxysmalen Lagerungsschwindel (vgl. HNO-Bericht vom 22.03.2016). Gegenüber dem Orthopäden Dr. Tr. gab der Kläger am 13.04.2016 unter anderem an, die Schwindelerscheinungen hätten abgenommen. Dafür hätten die Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule zugenommen. Außerdem klagte der Kläger über einen Pfeifton im rechten Ohr seit drei Tagen (vgl. Zwischenbericht vom 13.04.2016). Die HNO-Ärztin Dr. F. diagnostizierte aufgrund des Untersuchungsbefundes vom 15.04.2016 (u.a. Angabe eines Ohrgeräusches bei 750 Hz und 5 dB) als Gesundheitsstörungen einen Tinnitus rechts (vgl. Schreiben vom 19.04.2016). Am 25.04.2016 gab der Kläger gegenüber Dr. F. an, der Schwindel sei nicht mehr vorhanden. Bei der weiteren Nachuntersuchung am 03.05.2016 lokalisierte Dr. F. das Ohrgeräusch rechts bei 3000 Hz und 50 dB (vgl. HNO-Bericht vom 03.05.2016). Im Rahmen einer ambulanten Untersuchung im P.-Klinikum Bad K. diagnostizierte Dr. D. als Gesundheitsstörungen einen bewegungsabhängigen Drehschwindel ohne klinisch-neurologische Hinweise für einen Vestibularisausfall oder einen benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel. Er könne deshalb die Beschwerden des Klägers momentan nicht näher zuordnen (vgl. Behandlungsbericht vom 07.06.2016).

Im Rahmen des Reintegrations-Managements befand sich der Kläger vom 08. bis 28.06.2016 stationär im P.-Klinikum. Dabei verzeichneten die behandelnden Ärzte eine lediglich minimale Besserung der Schwindelerscheinungen bei im Übrigen unveränderter Beschwerdeschilderung. Ein sicheres Korrelat für den Schwindel ließ sich indes nicht nachweisen. Die Klinikärzte empfahlen eine stufenweise Wiedereingliederung des Klägers (Entlassungsbericht vom 28.06.2016). Eine erste Arbeits- und Belastungserprobung ab dem 11.07.2016 trat der Kläger nicht an. Eine weitere Arbeits- und Belastungserprobung ab dem 18.07.2016 brach der Kläger am 21.07.2016 unter Hinweis auf Schwindelerscheinungen und Kopfschmerzen ab. Eine im weiteren Verlauf durch Dr. Tr. veranlasste Kernspintomografie des Schädels erbrachte einen altersentsprechenden Befund des Neurocraniums mit vereinzelten unspezifischen Marklagergliosen, am ehesten mikroangiopathischer Genese (vgl. Arztbrief des Radiologen E. vom 01.08.2016). Nach weiterer medizinischer Sachaufklärung (u.a. Beizug des Vorerkrankungsverzeichnisses der AOK P. und der Tonaudiogramme der Dr. F., beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. B) anerkannte die Beklagte das Ereignis vom 03.03.2016 als Arbeitsunfall und als dessen Folgen:

„Jeweils vorübergehender Drehschwindel sowie vorübergehende Kopfschmerzen nach folgenlos verheilten Prellungen des Hinterkopfes sowie der Halswirbelsäule (HWS). Folgenlos verheilte Prellung der rechten Schulter.“

Gesetzliche Unfallversicherung - isolierter traumatischer Tinnitus
(Symbolfoto: Creative Cat Studio/Shutterstock.com)

Keine Folgen des Arbeitsunfalls seien ein subjektiver Tinnitus unklarer Genese, Kopfschmerzen, Schwindel und degenerative Veränderungen mit spinaler Stenose im mittleren und unteren HWS-Bereich. Ein Anspruch auf Leistungen, insbesondere Heilbehandlung und sonstige Lohnersatzleistungen (z. B. Verletztengeld) über den 21.08.2016 hinaus bestehe nicht: Die bildgebenden Untersuchungen hätten keine unfallspezifischen Begleitverletzungen im Bereich des Kopfes oder der Halswirbelsäule objektiviert, sondern ausschließlich degenerative Veränderungen im Sinne einer Verengung der Wirbelkörper der Halswirbelsäule. Auch Hirnschädigungen oder Einblutungen seien nicht festzustellen. Weiter hätten sich auch keine Hinweise für eine traumatische Schädigung des Innenohres ergeben. Überdies sei der Unfallhergang nach Art und Schwere nicht geeignet gewesen, eine Innenohrschädigung im unfallrechtlichen Sinne zu verursachen. Damit ließen sich auch die geklagten Ohrgeräusche nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Unfallereignis zurückzuführen. Gleiches gelte für die angegebenen Schwindelerscheinungen: Diese wären nur dann unfallbedingt, wenn sie unmittelbar nach dem Unfallereignis aufgetreten wären. Im Fall des Klägers seien Schwindelerscheinungen jedoch erst mehrere Monate nach dem Unfallereignis erneut aufgetreten. Insgesamt seien auf chirurgischem, neurologischem und HNO-ärztlichem Fachgebiet keine objektivierbar klinischen Befunde zu erheben, die einen Ursachenzusammenhang zwischen den Beschwerden und dem Unfallereignis wahrscheinlich werden ließen. Die unfallbedingten Verletzungen in Form eines vorübergehenden Drehschwindels und vorübergehender Kopfschmerzen sowie Prellungen des Hinterkopfes, der Halswirbelsäule und der rechten Schulter seien folgenlos ausgeheilt (Bescheid vom 17.08.2016, Widerspruchsbescheid vom 16.11.2016).

Deswegen hat der Kläger am 14.12.2016 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, die unfallbedingten starken Kopfschmerzen und Schwindelanfälle hielten weiterhin an. Hinzu kämen ein Tinnitus rechts und massive Schmerzen im Bereich des Trigeminusnervs. Vor dem Arbeitsunfall habe er diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht gehabt. Wegen der Unfallfolgen sei er weiterhin arbeitsunfähig krank.

Das Gericht hat zunächst Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens des Chirurgen Prof. Dr. W. auf Antrag und im Kostenrisiko des Klägers gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Dieser hat als Gesundheitsstörungen eine fortgeschrittene Verschleißerkrankung der Halswirbelsäule diagnostiziert. Diese Veränderungen seien anlagebedingt und hätten durch das Unfallereignis keine Verschlimmerung erfahren. Anhaltende unfallbedingte Gesundheitsstörungen seien nicht zu objektivieren. Die erst einige Zeit nach dem Unfallereignis aufgetretenen Nackenbeschwerden seien den Verschleißerscheinungen der Halswirbelsäule zuzuschreiben. Vonseiten seines Fachgebiets sei von einer Arbeitsunfähigkeit von allenfalls sieben bis zehn Tagen auszugehen.

Außerdem hat die Kammer von Amts wegen ein medizinisches Sachverständigengutachten des HNO-Arztes Prof. Dr. B. eingeholt. Diesem gegenüber hat der Kläger unter anderem angegeben, er habe nach dem Unfallereignis ein Schwindelgefühl gehabt und „Sterne gesehen“. Außerdem seien Kopfschmerzen und ein Pfeifen im rechten Ohr aufgetreten. Die Schwindelbeschwerden wie auch das Pfeifen seien jeweils einige Wochen nach dem Unfallereignis und gleichzeitig aufgetreten. Prof. Dr. B. hat zusammenfassend ausgeführt, die kurze Zeit nach dem Unfallereignis aufgetretenen Schwindelbeschwerden könnten Folge der Schädelprellung gewesen sein. Die objektivierten Hörverluste beidseits überschritten nicht das altersentsprechende Ausmaß. Ein Ohrgeräusch sei nur dann unfallbedingt, wenn ein entsprechendes Ereignis vorgelegen habe. Der Sturz auf den Hinterkopf sei jedoch nicht ohrnah erfolgt. Deshalb sei von einer anderen Ursache des Ohrgeräusches auszugehen. Weiter habe der Kläger das Ohrgeräusch erstmals rund fünf Wochen nach dem Unfallereignis bemerkt. Damit spreche bereits der zeitliche Ablauf gegen die Wahrscheinlichkeit eines traumatischen Tinnitusleidens. Gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs sprächen außerdem die unauffälligen Ergebnisse der Vestibularisprüfung ohne Spontan- oder Provokationsnystagmus und der kalorischen Vestibularisprüfung. Auf hno-fachärztlichem Gebiet seien keine Folgen des Arbeitsunfalls vom 03.03.2016 wahrscheinlich zu machen. Wegen der Schädelprellung habe Arbeitsunfähigkeit für eine Woche bestanden.

Hierzu hat der Kläger unter anderem vorgetragen, die behandelnden und begutachtenden Ärzte hätten bislang keine Verletzung am Atlasnerv untersucht. Eine solche sei nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen durch einen Sturz möglich und könne auch Auswirkungen auf seinen Gleichgewichtssinn haben.

In seiner ergänzenden Stellungnahme hat Prof. Dr. B. am Ergebnis seines Gutachtens festgehalten: Die vom Kläger nach dem Unfallereignis zunächst angegebenen Schwindelgefühle, das Sterne sehen und Kopfschmerzen könnten typische Beschwerden einer Gehirnerschütterung sein. Erst Wochen später auftretende Schwindelanfälle seien jedoch nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Arbeitsunfallereignis zurückzuführen. Die berichteten Schwindelempfindungen sprächen überdies gegen eine Unterfunktion oder gar einen Ausfall eines peripheren Gleichgewichtsorgans. Ein gegebenenfalls zu berücksichtigender Otolithenschwindel bzw. ein gutartiger paroxysmaler Lagerungsschwindel äußere sich jedoch niemals in Dauerbeschwerden und führe auch nicht zu ständigen Gleichgewichtsstörungen. Ebenso sprächen die Ergebnisse der Vestibularisprüfungen vorliegend gegen einen vestibulären Schwindel und damit gegen einen Innenohrschwindel.

Der Kläger beantragt – teilweise sinngemäß -, den Bescheid vom 17. August 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2016 abzuändern und „Tinnitus rechts, ständige Kopfschmerzen und Schwindelanfälle“ als weitere Folgen des Arbeitsunfalls vom 03. März 2016 festzustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Unter Bezugnahme auf die Gutachten der Prof. Dres. W. und B. erachtet sie die angefochtenen Bescheide für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die die Kammer mit Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs.2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG; zum Wahlrecht des Versicherten zwischen einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage oder einer Kombination aus Anfechtungs- und Feststellungsklage: vgl. BSG vom 15.05.2012 – B 2 U 8/11 R -, Rdnr. 13 m. w. N. und BSG vom 05.07.2016 – B 2 U 5/15 R -, Rdnr. 11 <jeweils juris>) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der streitgegenständlichen Gesundheitsstörungen als – weitere – Folgen des Arbeitsunfalls vom 03.03.2016.

1. Dass der Kläger am 03.03.2016 in Ausübung seiner versicherten Tätigkeit als Gießereiarbeiter einen Arbeitsunfall (§ 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 7 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Unfallversicherung – <SGB VII>) erlitten hat, hat die Beklagte durch die angefochtenen Bescheide ausdrücklich anerkannt. Dies ist zwischen den Beteiligten deshalb zu Recht auch nicht umstritten.

Als Folge eines Arbeitsunfalls sind Gesundheitsstörungen (nur) zu berücksichtigen, wenn das Unfallereignis und das Vorliegen der konkreten Beeinträchtigung bzw. Gesundheitsstörung jeweils bewiesen und die Beeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurück zu führen ist. Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist mithin ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall (Unfallkausalität), zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden oder dem Tod des Versicherten (haftungsbegründende Kausalität) und ggf. länger anhaltenden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein (vgl. hierzu u.a. BSGE 45, 1, 9; 58, 80, 83 und 60, 58 ff.), während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit ausreicht (vgl. u.a. BSGE 60, 58 ff.; BSG SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2 m.w.N.; BSG SozR 4-5671 Anlage 1 Nr. 4104 Nr. 2 und BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 9). „Hinreichend wahrscheinlich“ bedeutet, dass bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht, d.h. dass den für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Gründen ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 285, 286 und BSG SozR 1300 § 45 Nr. 49).

Ist ein Arbeitsunfall nicht nachgewiesen oder lässt sich der ursächliche Zusammenhang zwischen diesem und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht wahrscheinlich machen, geht dies nach dem in sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Versicherten (ständige Rechtsprechung: vgl. u.a. BSGE 6, 70, 72; 83, 279, 281; 96, 238, 245 und SozR 3-2200 § 548 Nrn. 11 und 14).

Der Ursachenzusammenhang im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung beurteilt sich nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. hierzu BSGE 1, 72, 76 und 1, 150, 156f; seither st. Rspr.). Diese Theorie beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. hierzu Grüneberg in Palandt, BGB, 76. Auflage 2017, Vorb. v. § 249, Rn. 26 und 68 ff m.w.N. sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung im Sozialversicherungsrecht deshalb in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (vgl. u.a. BSGE 1, 72, 76 und BSGE 12, 242, 246). Eine Rechtsvermutung dafür, dass die versicherte Einwirkung wegen ihrer objektiven Mitverursachung auch rechtlich wesentlich war, besteht nicht. Die Wesentlichkeit ist vielmehr zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründenden Norm zu beurteilen (vgl. BSG vom 30.03.2017 – B 2 U 6/15 R -, Rdnr. 16 m.w.N. <Juris>).

2. Daran orientiert sind die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden und hat es die Beklagte zu Recht abgelehnt, einen Tinnitus rechts sowie ständige Kopfschmerzen und Schwindelanfälle als – weitere – Folgen des Arbeitsunfalls vom 03.03.2016 anzuerkennen. Für diese Überzeugung stützt sich die Kammer auf die wohlbegründeten, kompetenten und widerspruchsfreien Darlegungen der Sachverständigen Prof. Dr. W. und Prof. Dr. B. sowie den Entlassungsbericht des P.-Klinikums Bad K. vom 28.06.2016, ferner den neurologischen Untersuchungsbericht des Dr. D. vom 07.06.2016, die Durchgangs-, Nachschau- und Zwischenberichte der Dres. T. und Dr. Tr. sowie die HNO-Arztberichte der Dres. M. und F., außerdem auf die Arztbriefe der Radiologen E. und Dr. S..

a) Danach ist das Tinnitusleiden rechts nicht mit der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 03.03.2016 zurückzuführen, wie Prof. Dr. B. zutreffend dargelegt hat. Dagegen spricht bereits der Umstand, dass ein Ohrgeräusch als Unfallerst-Schaden nicht zur Überzeugung des erkennenden Gerichts (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) erwiesen ist. Denn der Kläger gab erstmals bei der Nachuntersuchung durch Dr. Tr. am 13.04.2016, mithin rund fünf Wochen nach dem streitgegenständlichen Arbeitsunfallereignis, ein seit drei Tagen bestehendes Tinnitusleiden rechts an. Bestätigt wird dieser Zeitpunkt durch die Angaben des Klägers gegenüber der HNO-Ärztin Dr. F. bei der Nachuntersuchung am 15.04.2016, einem Freitag, denen zufolge er „seit Sonntag“, mithin seit dem 10.04.2016, „ein pfeifendes Ohrgeräusch im rechten Ohr bemerkt habe“. Demgegenüber finden sich weder im Durchgangsarztbericht des Dr. T. vom 03.03.2016 noch dessen Nachschaubericht vom 10.03.2016 noch dem HNO-Bericht von Dr. M. vom 22.03.2016 Angaben zu einem irgendwie gearteten Tinnitusleiden.

Weiter setzt ein traumatischer Tinnitus nach dem herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand voraus, dass gleichzeitig andere unfallbedingte Störungen des Innenohrs (Hörminderung, Schwindel) objektivierbar sind (vgl. hierzu Urteil des erkennenden Gerichts vom 20.04.2017 – S 1 U 3641/16 -, Rdnr. 35 m. w. N. <juris>). Den isolierten unfallbedingten Tinnitus gibt es demgegenüber nicht. Prof. Dr. B. hat jedoch bei seiner Untersuchung eine Hörminderung, die das altersphysiologische Ausmaß überschreitet, ausdrücklich verneint, vielmehr einen altersentsprechenden Normalbefund bestätigt. Auch das Gesamtwortverstehen war nach den von dem Sachverständigen erhobenen Befunden und Krankheitsäußerungen nur gering gegenüber dem Normalbefund eingeschränkt. Ungeachtet dessen hat der Kläger gegenüber Prof. Dr. B. im Zusammenhang mit dem Unfallereignis auch nicht über eine Hörminderung berichtet.

Hinweise auf eine unfallbedingte Störung der Gleichgewichtsorgane bestehen aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens ebenfalls nicht. Denn bei der von Prof. Dr. B. durchgeführten Vestibularisprüfung ließen sich weder ein Spontan- noch ein Provokationsnystagmus. Auch bei allen anderen Lagemanövern bzw. Lagerungsmanövern, die bei einem paroxysmalen Lagerungsschwindel pathologisch sein können, konnte der Sachverständige keinen Nystagmus objektivieren. Ebenso fanden sich keine sonstigen Reizzeichen. Wenn schließlich auch die kalorische Vestibularisprüfung mit Kalt- und Warmwasser (allein) eine seitengleiche und sehr starke Erregbarkeit auslöste, belegen die Untersuchungsergebnisse insgesamt nach den auch insoweit überzeugenden Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen, dass die peripheren Gleichgewichtsorgane durch das Unfallereignis vom 03.03.2016 nicht beeinträchtigt worden sind.

Soweit der Kläger gegenüber Prof. Dr. B. nach dem Unfallereignis ein Schwindelgefühl, „Sterne sehen“ und Kopfschmerzen angegeben hatte, handelt es sich bei diesen Symptomen im Anschluss an den Sachverständigen um typische und nur vorübergehende Beschwerden nach einer leichtgradigen Gehirnerschütterung. Darüber hinausgehende Schwindelanfälle hat der Kläger erstmals erst einige Wochen nach dem Unfallereignis angegeben, nachdem er gegenüber Dr. F. noch am 25.04.2016 berichtete, der Schwindel sei „nicht mehr vorhanden“. Dieser Verlauf spricht mit Prof. Dr. B. ebenfalls gegen einen unfallbedingten Gesundheitserstschaden und damit gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit dem Arbeitsunfallereignis.

Überdies sprechen gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Ohrgeräusch und dem Arbeitsunfallereignis die unterschiedlichen Frequenzangaben des Klägers bzgl. des Ohrgeräusches im Behandlungsverlauf: Während er bei der Untersuchung durch Dr. F. am 15.04.2016 das Ohrgeräusch bei einer Frequenz von 750 Hz und in einer Lautstärke von 5 dB angab, berichtete er bei der Nachuntersuchung dort am 25.04.2016 das Ohrgeräusch bei 2000 Hz und 35 dB und im zweiten Durchgang bei 750 Hz und 15 dB. Bei der weiteren Nachuntersuchung durch Dr. F. am 03.05.2016 gab der Kläger das Ohrgeräusch demgegenüber bei 3000 Hz und 50 dB an, ebenso gegenüber Prof. Dr. B.. Bei einem traumabedingten Ohrgeräusch ist jedoch nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen (vgl. hierzu Gerichtsbescheid des erkennenden Gerichts vom 02.10.2017 – S 1 U 723/17 – <nicht veröffentlicht>) regelmäßig zu erwarten, dass dessen Frequenz stabil bleibt und nicht wechselt.

Schließlich war nach den auch insoweit überzeugenden des Sachverständigen Prof. Dr. B. das Unfallereignis bereits dem Grunde nach nicht geeignet, einen traumatischen Tinnitus zu bewirken, weil der Sturz auf den Hinterkopf erfolgte und damit nicht ohrnah.

b) Auch die vom Kläger angegebenen Schwindelbeschwerden sind nicht ursächlich auf das Arbeitsunfallereignis vom 03.03.2016 zurückzuführen. Denn nach den anamnestischen Angaben des Klägers gegenüber Dr. Tr. bei der Nachuntersuchung am 13.04.2016 waren im zeitlichen Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Arbeitsunfallereignis geäußerte Schwindelerscheinungen, die Prof. Dr. B. überdies als vorübergehende Erscheinung bei einer leichtgradigen Gehirnerschütterung angesehen hat, „fast weg“ und schon bei der Nachuntersuchung bei Dr. F. am 25.04.2016 „nicht mehr vorhanden“. Auch Dr. D. konnte bei der ambulanten neurologischen Untersuchung im Juni 2016 keine Hinweise für einen Vestibularisausfall oder einen gutartigen paroxysmalen Lagerungsschwindel objektivieren und die subjektiven Beschwerden vonseiten seines Fachgebietes nicht näher zuordnen. Auch die durch die Vestibularisprüfungen durch Prof. Dr. B. nachgewiesene intakte Funktion der peripheren Gleichgewichtsorgane spricht – wie oben bereits ausgeführt – gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen den vom Kläger erneut angegebenen Schwindelerscheinungen und dem Unfallereignis. Ein von dem Sachverständigen in Betracht gezogener sogenannter Otolithenschwindel liegt ebenfalls nicht vor. Denn dieser äußert sich mit Prof. Dr. B. nicht– wie vom Kläger angegeben – in einem Dauerschwindel und führt auch nicht zu ständigen Gleichgewichtsstörungen, die der Kläger bei der Untersuchung und Begutachtung durch den gerichtlichen Sachverständigen demonstriert hat. Zutreffend weist Prof. Dr. B. überdies darauf hin, dass Schwindelbeschwerden zahlreiche Ursachen auf internistischem und neurologischem Fachgebiet haben und solche Beschwerden im Lebensverlauf irgendwann auftreten können, auch in einem gewissen zeitlichen Zusammenhang mit einem leichten Schädel-Hirn-Trauma, ohne dass insoweit jedoch ein ursächlicher Zusammenhang wahrscheinlich zu machen ist.

Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 28.02.2018 auf eine mögliche unfallbedingte Verletzung des Atlasnervs mit Auswirkungen auf seinen Gleichgewichtssinn geltend macht, ist eine derartige Verletzung aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens nicht zur Überzeugung des erkennenden Gerichts (§ 128 Abs. 1 S. 1 SGG) erwiesen. Denn die während des stationären Aufenthaltes des Klägers im P.-Klinikum Bad K. durchgeführte Überprüfung der Atlasgelenke ergab nach dem Entlassungsbericht der Klinik vom 28.06.2016 ein unauffälliges Ergebnis. Im Übrigen boten die zeitnah zum streitgegenständlichen Unfallereignis erhobenen bildgebenden Befunde keinen Anhalt für eine knöcherne oder diskoligamentäre Verletzung im Bereich der Halswirbelsäule.

c) Schließlich ist auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfallereignis und den vom Kläger geltend gemachten Kopfschmerzen nicht wahrscheinlich zu machen. Diese Überzeugung gewinnt die Kammer aus den zutreffenden Darlegungen des Dr. D. im Arztbrief vom 07.06.2016: Danach sind die von ihm diagnostizierten linksseitigen Zervikozephalgien am ehesten auf eine Neuralgie des Nervus occipitalis major zurückzuführen, ohne dass der Arzt insoweit einen ursächlichen Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Unfallereignis hergestellt hat. Auch die zeitnah zum Unfallereignis angefertigten, völlig normal ausgeprägten bildgebende Befunde im Bereich des Schädels und der Halswirbelsäule lassen einen solchen Zusammenhang nicht wahrscheinlich werden. Das weitere Schädel-MRT zeigte nach dem Arztbrief des Radiologen E. vom 01.08.2016 ebenfalls einen altersentsprechenden Befund des Neurocraniums mit vereinzelten unspezifischen Marklagergliosen, am ehesten mikroangiopathischer Genese. Im Übrigen sind bei dem Kläger degenerative Vorschäden an der Halswirbelsäule im Sinne einer Osteochondrose, Spondylose, Unkarthrose und Verschmälerung der Zwischenwirbelräume in den Segmenten C4 bis C6 und ein leichter Versatz der Wirbelkörper zwischen C4 und C5 erwiesen. Diese Gesundheitsstörungen, die unfallbedingt keine Veränderung, insbesondere keine – vorübergehende oder gar richtungweisende – Verschlimmerung, erfahren haben, sind nach den auch insoweit überzeugenden Darlegungen des Prof. Dr. W., die sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung zu eigen macht, Ursache der vom Kläger vermehrt angegebenen Nackenbeschwerden. Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der linksseitigen Zervikozephalgie und dem streitgegenständlichen Arbeitsunfallereignis haben zudem auch die Ärzte des P.-Klinikums Bad K. in ihrem Entlassungsbericht vom 28.06.2016 nicht beschrieben.

d) Soweit der Kläger seinem Vorbringen zufolge vor dem Arbeitsunfall vom 03.03.2016 weder an einem Ohrgeräusch rechts litt noch Kopfschmerzen oder Schwindelanfälle verspürte, ist auch dies nicht geeignet, die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit dem Arbeitsunfallereignis zu begründen. Denn ein allenfalls rein zeitlicher Zusammenhang zwischen einer versicherten Tätigkeit und dem Auftreten von Gesundheitsstörungen, der hier jedenfalls in Bezug auf das Ohrgeräusch rechts und die Schwindelerscheinungen ohnedies nicht gegeben ist, ist nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zu begründen (vgl. BSG vom 17.12.2015 – B 2 U 8/14 R -, Rdnr. 20 und – im Ergebnis – BSG vom 24.07.2012 – B 2 U 9/11 R -, Rdnr. 53; LSG Berlin vom 25.03.2003 – L 2 U 3/01 -, Rdnr. 23; Bay. LSG vom 11.11.2014 – L 2 U 398/13 -, Rdnr. 54 und Sächs. LSG vom 13.08.2014 – L 2 U 142/11 -, Rdnr. 41 <jeweils juris>). Selbst aus der Abwesenheit konkurrierender Ursachen für einen Körperschaden lässt sich die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen einem Arbeitsunfallereignis und dem Körperschaden nicht herleiten (vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, Rdnr. 18 und Bay. LSG vom 22.04.2009 – L 18 U 301/06 -, Rdnr. 32 <juris>).

3. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 Abs. 1 und 4 SGG.

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