Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Wenn der Job krank macht: Der Kampf eines Handwerkers um Anerkennung
- Was ist eine Berufsgenossenschaft und was prüft sie?
- Der lange Weg durch die Instanzen: Von der Ablehnung zur Klage
- Die Suche nach der Ursache: Ein Puzzle aus Gutachten
- Die entscheidende Frage: Ein Formfehler oder eine Frage der Beweise?
- Ein Sieg aus formalen Gründen: Warum der Ablehnungsbescheid aufgehoben wurde
- Die Hürde der Beweislast: Warum die Krankheit dennoch nicht anerkannt wurde
- Das Urteil im Detail: Ein formaler Erfolg, aber eine materielle Niederlage
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wie erkenne ich, ob meine Krankheit eine Berufskrankheit sein könnte?
- Welche Schritte muss ich unternehmen, um eine Berufskrankheit anerkennen zu lassen?
- Welche Nachweise sind erforderlich, um einen Zusammenhang zwischen meiner Arbeit und der Krankheit zu belegen?
- Was kann ich tun, wenn meine Berufskrankheit von der Berufsgenossenschaft nicht anerkannt wird?
- Bin ich auch versichert, wenn ich zum Zeitpunkt der Diagnose nicht mehr arbeite oder selbstständig bin?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: L 9 U 56/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: Hessisches Landessozialgericht
- Datum: 27.09.2024
- Aktenzeichen: L 9 U 56/23
- Verfahrensart: Berufungsverfahren im Sozialrecht
- Rechtsbereiche: Sozialrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Ein ehemaliger Kfz-Mechaniker, der die Anerkennung seiner Harnblasenkrebserkrankung als Berufskrankheit beantragte und gegen die Ablehnung durch die Berufsgenossenschaft klagte.
- Beklagte: Die Berufsgenossenschaft, die für die Anerkennung von Berufskrankheiten zuständig ist und die Anerkennung zunächst ablehnte.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Der Kläger, ein ehemaliger Kfz-Mechaniker, erkrankte an Harnblasenkrebs. Er vermutete einen Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit durch Kontakt zu potenziell schädlichen Substanzen wie Mineralölprodukten und Azofarbstoffen, die aromatische Amine enthalten könnten. Die beklagte Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung als Berufskrankheit ab, da die Exposition als zu gering eingeschätzt wurde und eine freiwillige Versicherung in späteren Berufsjahren fehlte.
- Kern des Rechtsstreits: Die zentrale Frage war, ob die Harnblasenkrebserkrankung des Klägers als Berufskrankheit (BK Nr. 1301) anerkannt werden muss, insbesondere ob ein hinreichend wahrscheinlicher kausaler Zusammenhang zwischen der beruflichen Exposition gegenüber aromatischen Aminen und der Krankheit besteht.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Gericht hob den ablehnenden Bescheid der Berufsgenossenschaft aus formellen Gründen auf. Die Klage auf materielle Anerkennung der Krankheit als Berufskrankheit wurde jedoch abgewiesen.
- Begründung: Die formelle Aufhebung erfolgte aufgrund der Unzuständigkeit des Rentenausschusses der Berufsgenossenschaft für die Ablehnung des Versicherungsfalls. Materiell wurde die Anerkennung der Berufskrankheit abgelehnt, weil der Nachweis einer ausreichenden Exposition gegenüber kanzerogenen aromatischen Aminen, die eine Hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Krankheitsverursachung begründet hätte, nicht erbracht werden konnte. Auch die Zeit der selbstständigen Tätigkeit wurde nicht berücksichtigt, da keine freiwillige Versicherung bestand.
- Folgen: Der ursprüngliche Ablehnungsbescheid der Berufsgenossenschaft ist aufgehoben, aber die Krebserkrankung des Klägers wird materiell nicht als Berufskrankheit anerkannt. Die Berufsgenossenschaft muss einen geringen Teil der außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen. Eine Revision wurde nicht zugelassen.
Der Fall vor Gericht
Wenn der Job krank macht: Der Kampf eines Handwerkers um Anerkennung
Viele Menschen arbeiten täglich mit Materialien, die auf lange Sicht gesundheitsschädlich sein können.

Ein Mechaniker kommt mit Ölen und Kraftstoffen in Berührung, ein Maler mit Dämpfen und ein Bauarbeiter mit Stäuben. Doch was passiert, wenn man Jahrzehnte nach dem Berufsleben schwer erkrankt und vermutet, dass die Arbeit von damals die Ursache ist? Genau diese Frage stand im Mittelpunkt eines komplexen Rechtsstreits, den das Hessische Landessozialgericht entscheiden musste. Ein ehemaliger Handwerker, Herr K., kämpfte darum, seine Harnblasenkrebserkrankung als Folge seiner Arbeit anerkennen zu lassen.
Herr K., geboren 1955, begann 1969 eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker. Später arbeitete er vor allem im Baugewerbe. Nach einer Umschulung machte er sich 1994 als Trockenbauer selbstständig. Im Jahr 2016 erhielt er die schwere Diagnose: Harnblasenkrebs. Er war überzeugt, dass die Ursache in seiner jahrzehntelangen Arbeit mit potenziell gefährlichen Stoffen lag – Benzin, Diesel, Farben, Lösungsmittel und Teerpappe. Deshalb meldete er seinen Fall bei der zuständigen Berufsgenossenschaft.
Was ist eine Berufsgenossenschaft und was prüft sie?
Die Berufsgenossenschaft ist eine Art gesetzliche Unfallversicherung für Arbeitnehmer. Sie springt ein, wenn jemand durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit einen gesundheitlichen Schaden erleidet. Eine Berufskrankheit ist jedoch nicht einfach nur eine Krankheit, die man während des Berufslebens bekommt. Es muss sich um eine Krankheit handeln, die offiziell in einer Liste der Bundesregierung aufgeführt ist und nachweislich durch die berufliche Tätigkeit verursacht wurde.
Im Fall von Herrn K. ging es um die Berufskrankheit (BK) mit der Nummer 1301. Diese betrifft Krebserkrankungen der Harnwege, die durch den Kontakt mit sogenannten aromatischen Aminen ausgelöst werden. Das sind bestimmte chemische Verbindungen, die früher in manchen Farbstoffen, Pestiziden oder bei der Gummiherstellung verwendet wurden und als krebserregend gelten. Die Berufsgenossenschaft musste also klären: Kam Herr K. bei seiner Arbeit mit genau diesen Stoffen in Kontakt und haben sie seinen Krebs verursacht?
Der lange Weg durch die Instanzen: Von der Ablehnung zur Klage
Die Ermittlungen der Berufsgenossenschaft gestalteten sich schwierig. Jahrzehnte nach den betreffenden Tätigkeiten war es kaum noch möglich, genau herauszufinden, welche Chemikalien in den damals verwendeten Produkten enthalten waren. Der Präventionsdienst der Berufsgenossenschaft vermutete, dass Herr K. während seiner Ausbildung zum Kfz-Mechaniker mit Kraftstoffen in Berührung kam, die mit Azofarbstoffen gefärbt waren. Aus diesen Farbstoffen könnten theoretisch die gefährlichen aromatischen Amine freigesetzt worden sein. Aber wie hoch war die Belastung wirklich? Eine genaue Messung oder Quantifizierung war unmöglich. Da die Beweise fehlten, lehnte die Berufsgenossenschaft die Anerkennung als Berufskrankheit ab. Die Einwirkung sei zu gering gewesen, um den Krebs zu erklären.
Herr K. wollte diese Entscheidung nicht akzeptieren und klagte vor dem Sozialgericht Fulda. Er war der Meinung, die Berufsgenossenschaft habe nicht gründlich genug ermittelt. Das Gericht stand nun vor der Aufgabe, das Puzzle aus medizinischen Befunden, beruflichem Werdegang und wissenschaftlichen Gutachten zusammenzusetzen.
Die Suche nach der Ursache: Ein Puzzle aus Gutachten
Um Licht ins Dunkel zu bringen, beauftragte das Gericht mehrere Sachverständige. Ein Ingenieur bestätigte, dass Herr K. als junger Auszubildender beim Reinigen von Autoteilen mit Benzin intensiven Hautkontakt gehabt haben muss. Ein anderer Experte, ein Toxikologe, rechnete die mögliche Belastung hoch. Sein Ergebnis: Selbst unter den ungünstigsten Annahmen sei die Dosis an aromatischen Aminen, der Herr K. ausgesetzt war, viel zu gering gewesen, um das Krebsrisiko nennenswert zu erhöhen. Er berücksichtigte auch den Kontakt mit dem Holzschutzmittel Carbolineum in den späten 70er-Jahren, kam aber zum selben Schluss. Das Gericht holte weitere Gutachten ein, doch am Ende blieb die Unsicherheit.
Das Sozialgericht Fulda wies die Klage von Herrn K. schließlich ab. Die Richter argumentierten, dass für die Anerkennung einer Berufskrankheit zwar keine Mindestdosis an aromatischen Aminen vorgeschrieben sei. Es müsse aber ein überzeugender ursächlicher Zusammenhang bestehen. Angesichts der sehr geringen geschätzten Belastung, der langen Zeitspanne zwischen Kontakt und Erkrankung sowie des leichten Tabakkonsums von Herrn K. sah das Gericht diesen Zusammenhang nicht als bewiesen an. Herr K. legte gegen dieses Urteil Berufung ein und der Fall landete vor der nächsthöheren Instanz, dem Hessischen Landessozialgericht.
Die entscheidende Frage: Ein Formfehler oder eine Frage der Beweise?
Das Landessozialgericht musste nun zwei Kernfragen beantworten, die auf den ersten Blick kompliziert klingen, aber einer klaren Logik folgen:
- War der ursprüngliche Ablehnungsbescheid der Berufsgenossenschaft überhaupt formell gültig? Anders gefragt: Hat die richtige Abteilung die Entscheidung getroffen?
- Unabhängig von der ersten Frage: Ist der Krebs von Herrn K. materiell, also in der Sache selbst, eine Berufskrankheit?
Um das zu verstehen, muss man wissen, dass Herr K. eine sogenannte kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erhoben hatte. Man kann sich das wie einen zweistufigen Angriff vorstellen. Mit der Anfechtungsklage wollte er erreichen, dass der Ablehnungsbescheid für ungültig erklärt wird („Euer Nein ist nicht rechtens!“). Mit der Verpflichtungsklage wollte er die Berufsgenossenschaft zwingen, die Krankheit anzuerkennen („Ihr müsst Ja sagen!“).
Ein Sieg aus formalen Gründen: Warum der Ablehnungsbescheid aufgehoben wurde
Bei der ersten Frage kam das Gericht zu einem überraschenden Ergebnis: Der ursprüngliche Bescheid der Berufsgenossenschaft war tatsächlich rechtswidrig. Der Grund war ein Formfehler. Die Entscheidung wurde von einem sogenannten „Rentenausschuss“ getroffen. Das Gesetz legt jedoch genau fest, welche Aufgaben solche Ausschüsse übernehmen dürfen. Die alleinige Ablehnung einer Berufskrankheit gehört nicht dazu. Diesen Fehler nennt man sachliche Unzuständigkeit.
Man kann sich das wie im Rathaus vorstellen: Die Abteilung für Baugenehmigungen darf keine Strafzettel für Falschparken ausstellen. Auch wenn das Auto falsch geparkt hat, ist der Strafzettel von der falschen Abteilung ungültig. Genauso war es hier. Weil eine unzuständige Stelle entschieden hatte, war der Ablehnungsbescheid fehlerhaft. Deshalb hatte Herr K. mit seiner Anfechtungsklage Erfolg – das Gericht hob den Bescheid auf.
Die Hürde der Beweislast: Warum die Krankheit dennoch nicht anerkannt wurde
Dieser formale Sieg bedeutete aber noch nicht, dass Herr K. seine Krankheit nun als Berufskrankheit anerkannt bekam. Denn nun kam die zweite, in der Sache entscheidende Frage: Gibt es genügend Beweise dafür, dass die Arbeit den Krebs verursacht hat? Hier folgte das Landessozialgericht der Einschätzung der ersten Instanz und verneinte dies.
Die Richter erklärten die hohen Hürden für einen solchen Nachweis. Das Gericht muss bei einer Berufskrankheit zweifelsfrei überzeugt sein. Dafür gibt es zwei Stufen:
- Die Einwirkung: Es muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen werden, dass der Versicherte bei seiner Arbeit überhaupt Kontakt mit den schädlichen Stoffen hatte. Juristen nennen das den Vollbeweis.
- Die Ursache: Wenn die Einwirkung bewiesen ist, muss eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass genau diese Einwirkung die Krankheit verursacht hat. Das bedeutet, es muss mehr dafür als dagegen sprechen.
Herr K. scheiterte bereits an der ersten Stufe. Niemand konnte mit der erforderlichen Sicherheit beweisen, dass die damals verwendeten Kraftstoffe und Materialien tatsächlich die krebserregenden aromatischen Amine in relevanten Mengen enthielten. Alle Gutachten basierten auf Annahmen und „Worst-Case“-Szenarien. Das reichte dem Gericht für den geforderten Vollbeweis nicht aus. Ein weiterer wichtiger Punkt war, dass die Zeit seiner Selbstständigkeit ab 1994 nicht berücksichtigt werden konnte, da er in dieser Zeit nicht freiwillig bei der Berufsgenossenschaft versichert war. Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung galt nur für seine früheren Angestelltentätigkeiten.
Das Urteil im Detail: Ein formaler Erfolg, aber eine materielle Niederlage
Das endgültige Urteil war daher zweigeteilt. Der Ablehnungsbescheid der Berufsgenossenschaft wurde wegen des Formfehlers aufgehoben. Die Klage von Herrn K. auf Anerkennung der Berufskrankheit wurde jedoch abgewiesen. Im Ergebnis bedeutet das: Die Berufsgenossenschaft müsste zwar einen neuen, formell korrekten Bescheid erlassen, dürfte darin aber die Anerkennung erneut ablehnen, da die Beweise aus Sicht des Gerichts nicht ausreichen.
Die Kosten des Verfahrens spiegeln dieses Ergebnis wider: Weil Herr K. in einem Punkt (dem Formfehler) gewonnen, aber in der Hauptsache verloren hatte, musste die Berufsgenossenschaft ein Zehntel seiner Anwaltskosten tragen.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil zeigt, dass selbst bei jahrzehntelangem Kontakt mit potenziell krebserregenden Arbeitstoffen die Anerkennung einer Berufskrankheit extrem schwierig ist, wenn nicht zweifelsfrei bewiesen werden kann, welche schädlichen Stoffe tatsächlich verwendet wurden. Obwohl die Berufsgenossenschaft einen Verfahrensfehler gemacht hatte, scheiterte der erkrankte Handwerker letztendlich daran, dass nach so langer Zeit keine ausreichenden Beweise für den ursächlichen Zusammenhang zwischen seiner Arbeit und der Krebserkrankung mehr vorhanden waren. Die Entscheidung verdeutlicht, wie wichtig es ist, Arbeitsplatzbelastungen frühzeitig zu dokumentieren und dass die Beweislast bei den Betroffenen liegt – eine oft unüberwindbare Hürde bei Krankheiten, die erst Jahre nach der Belastung auftreten. Für Arbeitnehmer in ähnlichen Situationen bedeutet dies, dass sie umfassende Dokumentationen ihrer Tätigkeiten sammeln sollten und sich bewusst sein müssen, dass der Nachweis einer Berufskrankheit rechtlich sehr anspruchsvoll ist.
Befinden Sie sich in einer ähnlichen Situation? Fragen Sie unsere Ersteinschätzung an.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wie erkenne ich, ob meine Krankheit eine Berufskrankheit sein könnte?
Eine Krankheit gilt dann als Berufskrankheit, wenn sie nachweislich durch eine bestimmte berufliche Tätigkeit oder durch dabei auftretende schädigende Einflüsse verursacht wurde. Es geht also nicht darum, ob eine Krankheit während der Arbeit auftritt, sondern ob die Arbeit selbst die Ursache für die Erkrankung ist.
Der Gesetzgeber hat eine offizielle Liste von Krankheiten festgelegt, die als Berufskrankheiten anerkannt werden können. Diese sogenannte Berufskrankheiten-Liste (BK-Liste) ist im Anhang zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) zu finden. Sie enthält Krankheiten, die nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen durch bestimmte berufliche Tätigkeiten oder Einwirkungen entstehen können. Ein Beispiel wäre eine bestimmte Form der Lärmschwerhörigkeit bei langjähriger Arbeit in sehr lauter Umgebung oder bestimmte Hauterkrankungen durch häufigen Kontakt mit reizenden Stoffen am Arbeitsplatz. Wenn Sie den Verdacht haben, dass Ihre Erkrankung zu den dort genannten Krankheiten gehört und ein solcher spezifischer Zusammenhang zu Ihrer Arbeit besteht, könnte es sich um eine Berufskrankheit handeln.
Es ist entscheidend, dass der kausale Zusammenhang zwischen Ihrer beruflichen Tätigkeit und der Erkrankung belegbar ist. Das bedeutet, es muss plausibel sein, dass Ihre Arbeit die Krankheit ausgelöst oder wesentlich verschlimmert hat. Eine Grippe, die Sie bei der Arbeit bekommen, ist beispielsweise keine Berufskrankheit, da der Erreger nicht spezifisch durch die berufliche Tätigkeit bedingt ist, auch wenn die Ansteckung am Arbeitsplatz erfolgte.
Für eine erste Einschätzung ist Ihr behandelnder Arzt ein wichtiger Ansprechpartner. Ärzte sind oft in der Lage, einen Verdacht auf eine Berufskrankheit zu äußern und dies gegebenenfalls der zuständigen Berufsgenossenschaft zu melden. Die Berufsgenossenschaften sind die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung und für die Anerkennung und Entschädigung von Berufskrankheiten zuständig. Sie können auch direkt Kontakt mit der für Sie zuständigen Berufsgenossenschaft aufnehmen, um sich über das Vorgehen zu informieren.
Welche Schritte muss ich unternehmen, um eine Berufskrankheit anerkennen zu lassen?
Wenn der Verdacht auf eine Berufskrankheit besteht, ist der Weg zur offiziellen Anerkennung ein klar strukturierter Prozess, der von der gesetzlichen Unfallversicherung – den sogenannten Berufsgenossenschaften oder Unfallkassen – durchgeführt wird. Für Betroffene ist es hilfreich, die einzelnen Phasen dieses Verfahrens zu kennen, um dessen Komplexität besser zu verstehen.
Die Meldung einer Berufskrankheit
Der erste und entscheidende Schritt ist die Meldung des Verdachts auf eine Berufskrankheit. Diese Meldung ist der Auslöser für das gesamte weitere Verfahren und kann auf verschiedenen Wegen erfolgen:
- Durch behandelnde Ärzte: Ärzte, die eine Erkrankung feststellen und einen möglichen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit vermuten, sind gesetzlich verpflichtet, diesen Verdacht der zuständigen Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse zu melden.
- Durch Arbeitgeber: Auch Arbeitgeber sind zur Meldung verpflichtet, wenn ihnen Anhaltspunkte für eine Berufskrankheit bei ihren Mitarbeitern bekannt werden.
- Durch die betroffene Person selbst: Sie können den Verdacht auf eine Berufskrankheit ebenfalls direkt bei Ihrer zuständigen Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse anzeigen. Dies ist besonders wichtig, wenn Sie Symptome bemerken, die Sie mit Ihrer Arbeit in Verbindung bringen, und bisher keine Meldung erfolgt ist.
Die Meldung sollte dabei möglichst präzise Informationen über Ihre ausgeübte Tätigkeit, die konkreten Belastungen am Arbeitsplatz und die auftretenden Beschwerden enthalten.
Die Ermittlungen der Berufsgenossenschaft
Nach Eingang der Meldung leitet die Berufsgenossenschaft umfassende Ermittlungen ein. Ihr zentrales Ziel ist es, objektiv zu klären, ob die vorliegende Erkrankung tatsächlich eine anerkannte Berufskrankheit ist und ob sie durch die versicherte Tätigkeit verursacht wurde. Dieser Untersuchungs- und Klärungsprozess ist sehr gründlich und kann daher langwierig sein.
Im Rahmen dieser Ermittlungen wird die Berufsgenossenschaft verschiedene Schritte unternehmen:
- Einholung medizinischer Unterlagen: Sie fordert alle relevanten Krankenakten, Befunde, Diagnosen und Behandlungsberichte von Ihren behandelnden Ärzten und Krankenhäusern an.
- Veranlassung medizinischer Sachverständigengutachten: Oft werden Sie zu Untersuchungen bei spezialisierten, unabhängigen Ärzten, den sogenannten Sachverständigen, eingeladen. Diese Mediziner erstellen detaillierte Gutachten, in denen sie Ihren Gesundheitszustand beurteilen und prüfen, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Ihrer Erkrankung und Ihrer beruflichen Tätigkeit besteht. Gegebenenfalls werden auch mehrere Gutachten von unterschiedlichen Fachrichtungen eingeholt.
- Durchführung technischer und arbeitsplatzbezogener Ermittlungen: Die Berufsgenossenschaft prüft auch die Verhältnisse an Ihrem Arbeitsplatz. Dies kann die Einholung von Informationen über die Arbeitsbedingungen, die Art der Belastungen (z.B. Lärm, Gefahrstoffe, körperliche Anstrengung) und die Dauer Ihrer Exposition umfassen. Es können auch technische Sachverständige oder Betriebsärzte hinzugezogen werden, um beispielsweise Belastungen objektiv zu messen oder Arbeitsabläufe zu analysieren.
Die Berufsgenossenschaft hat dabei die Aufgabe, den Sachverhalt vollständig und fair aufzuklären und alle relevanten Beweise zu sammeln.
Die Entscheidungsfindung
Nach Abschluss aller Ermittlungen, der sorgfältigen Auswertung der medizinischen und technischen Gutachten sowie der Prüfung aller gesammelten Informationen trifft die Berufsgenossenschaft eine Entscheidung. Sie prüft, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit erfüllt sind. Eine Erkrankung wird in der Regel als Berufskrankheit anerkannt, wenn sie durch die berufliche Tätigkeit verursacht wurde und in der Liste der Berufskrankheiten (einer gesetzlichen Verordnung) aufgeführt ist oder dieser ähnelt. Diese Liste benennt spezifische Krankheiten und die dazugehörigen beruflichen Verursachungen, wie beispielsweise Lärmschwerhörigkeit bei langjähriger Lärmexposition oder bestimmte Hauterkrankungen bei Kontakt mit spezifischen Arbeitsstoffen.
Die Berufsgenossenschaft teilt Ihnen ihre Entscheidung schriftlich mit und begründet diese. Bei einer Anerkennung erhalten Sie, falls Ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist, entsprechende Leistungen. Wird die Anerkennung abgelehnt, erhalten Sie ebenfalls eine schriftliche Begründung. Für Sie als betroffene Person ist dieser Prozess der Ermittlung und Entscheidungsfindung maßgeblich, um eine fundierte und rechtlich korrekte Bewertung Ihres Falles sicherzustellen.
Welche Nachweise sind erforderlich, um einen Zusammenhang zwischen meiner Arbeit und der Krankheit zu belegen?
Um einen Zusammenhang zwischen einer Arbeit und einer Krankheit als sogenannte Berufskrankheit rechtlich anerkennen zu lassen, sind umfangreiche und detaillierte Nachweise erforderlich. Das zentrale Problem liegt hierbei in der Beweisführung, denn es müssen zwei unterschiedliche Aspekte belegt werden, die jeweils spezifische Anforderungen an die Nachweise stellen.
Die Beweisanforderungen: Einwirkung und Ursache
Zunächst muss bewiesen werden, dass Sie bei Ihrer Arbeit schädlichen Stoffen oder Einwirkungen ausgesetzt waren, die typischerweise die festgestellte Krankheit verursachen können. Dies erfordert den sogenannten Vollbeweis. Das bedeutet, die konkrete Exposition gegenüber schädlichen Einflüssen muss zweifelsfrei feststehen. Es muss also vollständig und ohne ernsthafte Zweifel nachgewiesen werden, wann, wo, wie lange und in welchem Ausmaß Sie beispielsweise Chemikalien, Stäuben, Lärm oder bestimmten körperlichen Belastungen ausgesetzt waren.
Anschließend muss der ursächliche Zusammenhang zwischen dieser nachgewiesenen Exposition und Ihrer Erkrankung belegt werden. Hierfür ist juristisch die hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend. Das bedeutet, es muss überzeugend dargelegt werden, dass die berufliche Einwirkung die wesentliche Ursache für die Krankheit ist. Es muss also deutlich wahrscheinlicher sein, dass die Krankheit durch die berufliche Tätigkeit verursacht wurde als durch andere Faktoren. Eine absolute Sicherheit ist hierfür nicht zwingend erforderlich, aber die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs muss deutlich überwiegen.
Welche Nachweise sind entscheidend?
Für beide Beweisstufen sind verschiedene Arten von Nachweisen von großer Bedeutung:
- Detaillierter beruflicher Werdegang: Eine vollständige und präzise Auflistung aller Arbeitsstellen, Aufgabenbereiche und Tätigkeiten ist unerlässlich. Hierbei sind genaue Angaben zu den konkreten Arbeitsabläufen, verwendeten Materialien, Maschinen und Arbeitsumgebungen wichtig. Dokumente wie Arbeitszeugnisse, Arbeitsverträge oder frühere Stellenbeschreibungen können hierbei helfen.
- Informationen zu verwendeten Stoffen und Einwirkungen: Es ist entscheidend, genau zu dokumentieren, welchen schädlichen Stoffen (z.B. Chemikalien, Lösungsmittel, Stäube) oder physikalischen Einwirkungen (z.B. Lärm, Vibrationen, Strahlen, extreme Kälte/Hitze) Sie ausgesetzt waren. Hierzu zählen auch Informationen über deren Konzentration, Dauer der Exposition und Schutzmaßnahmen, die möglicherweise nicht ausreichend waren. Sicherheitsdatenblätter, Betriebsanweisungen oder Messprotokolle des Arbeitsschutzes können hier wertvolle Hinweise liefern.
- Medizinische Gutachten: Ärztliche Gutachten sind ein zentrales Beweismittel. Spezialisierte Mediziner und Arbeitsmediziner bewerten, ob die Art Ihrer Erkrankung und ihr Verlauf mit den dokumentierten beruflichen Einwirkungen typischerweise zusammenpassen. Sie prüfen auch, ob andere mögliche Ursachen ausgeschlossen werden können. Diese Gutachten spielen eine entscheidende Rolle bei der Feststellung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.
- Zeugenaussagen: Kollegen oder Vorgesetzte, die die Arbeitsbedingungen und Expositionen bestätigen können, sind ebenfalls wichtige Zeugen.
- Betriebliche Unterlagen: Interne Aufzeichnungen des Unternehmens, Unfallberichte, Gefährdungsbeurteilungen oder frühere Messungen am Arbeitsplatz können ebenfalls relevante Informationen enthalten.
Besondere Herausforderungen
Der Nachweis eines Zusammenhangs wird besonders schwierig, wenn die schädigenden Einwirkungen weit zurückliegen. Mit der Zeit können Erinnerungen verblassen, Unterlagen verloren gehen und die Beweisführung wird komplexer. Zudem können über Jahrzehnte hinweg weitere Faktoren auf die Gesundheit eingewirkt haben, die die eindeutige Zuordnung der Krankheit zu einer früheren beruflichen Exposition erschweren.
Was kann ich tun, wenn meine Berufskrankheit von der Berufsgenossenschaft nicht anerkannt wird?
Wenn die Berufsgenossenschaft eine von Ihnen gemeldete Erkrankung nicht als Berufskrankheit anerkennt, ist dies nicht die endgültige Entscheidung. Das deutsche Sozialrecht sieht für solche Fälle bestimmte Schritte vor, die es Ihnen ermöglichen, diese Ablehnung überprüfen zu lassen.
Der Widerspruch
Der erste Schritt nach einer Ablehnung ist die Einlegung eines Widerspruchs. Dies bedeutet, dass Sie die Entscheidung der Berufsgenossenschaft formal anfechten. Für Sie ist wichtig:
- Frist: Der Widerspruch muss innerhalb eines Monats nach Erhalt des Ablehnungsbescheides bei der Berufsgenossenschaft eingehen. Die genaue Frist ist im Bescheid selbst angegeben.
- Form: Der Widerspruch muss schriftlich erfolgen, zum Beispiel per Brief oder Fax. Eine kurze Begründung, warum Sie mit der Entscheidung nicht einverstanden sind, ist hilfreich. Es ist sinnvoll, alle Argumente und Belege, die für die Anerkennung der Berufskrankheit sprechen, erneut vorzulegen oder neue Informationen hinzuzufügen.
- Prüfung: Die Berufsgenossenschaft prüft dann ihre eigene Entscheidung noch einmal. Dabei werden oft die medizinischen Unterlagen und die rechtliche Einschätzung erneut begutachtet. Sie kann daraufhin die ursprüngliche Entscheidung ändern (sogenannter Abhilfebescheid) oder am ursprünglichen Ablehnungsbescheid festhalten. Im Falle einer Ablehnung erhalten Sie einen Widerspruchsbescheid.
Die Klage vor dem Sozialgericht
Sollte Ihr Widerspruch keinen Erfolg haben und die Berufsgenossenschaft an ihrer Ablehnung festhalten, ist der nächste Schritt die Klage vor dem Sozialgericht.
- Frist: Auch hier gibt es eine Frist: Die Klage muss innerhalb eines Monats nach Erhalt des Widerspruchsbescheides beim zuständigen Sozialgericht eingereicht werden. Welches Sozialgericht zuständig ist, steht ebenfalls im Widerspruchsbescheid.
- Verfahren: Das Sozialgericht prüft den Fall dann von Grund auf neu. Es ist nicht an die vorherigen Entscheidungen der Berufsgenenschaft gebunden. Das Gericht holt oft eigene medizinische Gutachten ein, um sich ein unabhängiges Bild von Ihrer Erkrankung und deren Ursachen zu machen. Es kann auch Zeugen anhören oder weitere Unterlagen anfordern.
- Kosten: Das Verfahren vor dem Sozialgericht ist für Sie als Kläger in der Regel kostenfrei. Es fallen also keine Gerichtskosten an.
Die Berufung vor dem Landessozialgericht
Wenn das Sozialgericht die Klage abweist und Ihre Berufskrankheit weiterhin nicht anerkennt, gibt es unter bestimmten Voraussetzungen noch die Möglichkeit der Berufung vor dem Landessozialgericht.
- Zulassung: Eine Berufung ist nicht immer automatisch möglich. Sie muss entweder vom Sozialgericht im Urteil zugelassen werden, oder es muss ein bestimmter Wert in dem Verfahren erreicht werden, oder es muss sich um eine grundsätzliche rechtliche Frage handeln.
- Prüfung: Das Landessozialgericht überprüft dann die Entscheidung des Sozialgerichts. Auch hier werden die Fakten und die Rechtslage nochmals genau betrachtet.
Im gesamten Verfahren, sowohl im Widerspruchs- als auch im Klageverfahren, spielen formale Fehler seitens der Berufsgenossenschaft eine Rolle. Wenn die Berufsgenossenschaft bei ihrer Bearbeitung oder Entscheidungsfindung bestimmte rechtliche Vorgaben nicht eingehalten hat, kann dies Auswirkungen auf die Gültigkeit ihrer Bescheide haben. Dies wird von den Gerichten ebenfalls überprüft.
Bin ich auch versichert, wenn ich zum Zeitpunkt der Diagnose nicht mehr arbeite oder selbstständig bin?
Ja, der Versicherungsschutz für eine Berufskrankheit besteht in der Regel auch dann, wenn Sie zum Zeitpunkt der Diagnose nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis stehen oder selbstständig sind. Entscheidend für die Anerkennung einer Berufskrankheit ist nicht Ihr aktueller Beschäftigungsstatus, sondern ob die Erkrankung durch eine versicherte Tätigkeit verursacht wurde.
Wann entsteht der Versicherungsschutz?
Der Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung bei einer Berufskrankheit knüpft an die schädigende Einwirkung während einer versicherten Tätigkeit an. Viele Berufskrankheiten, wie zum Beispiel Asbestose oder bestimmte Krebserkrankungen, entwickeln sich erst Jahre oder sogar Jahrzehnte nach der eigentlichen Exposition gegenüber schädigenden Stoffen oder Bedingungen. Es ist also unerheblich, ob Sie zum Zeitpunkt der Feststellung der Krankheit noch im selben Beruf tätig sind, den Beruf gewechselt haben, Rentner sind, arbeitslos gemeldet oder selbstständig sind. Die entscheidende Frage ist, ob die Krankheit während einer früheren Tätigkeit entstanden ist, die unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand.
Was gilt für Selbstständige?
Für selbstständige Personen gibt es eine wichtige Besonderheit. Selbstständige sind grundsätzlich nicht automatisch in der gesetzlichen Unfallversicherung pflichtversichert. Das bedeutet, dass sie ohne eine freiwillige Versicherung bei der Berufsgenossenschaft in der Regel keinen Schutz bei Berufskrankheiten genießen. Wenn Sie also zum Zeitpunkt der schädigenden Einwirkung selbstständig waren und keine freiwillige Versicherung abgeschlossen hatten, besteht in den meisten Fällen kein Versicherungsschutz für eine daraus resultierende Berufskrankheit. Der Abschluss einer freiwilligen Versicherung sichert Selbstständige jedoch für den Fall einer Berufskrankheit oder eines Arbeitsunfalls ab.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Berufskrankheit
Eine Berufskrankheit ist eine Krankheit, die nicht nur zufällig während der Arbeit auftritt, sondern die Folge einer besonderen gesundheitsschädlichen Einwirkung bei der beruflichen Tätigkeit ist. Diese Krankheiten sind in einer offiziellen Liste der Bundesregierung (der Berufskrankheiten-Liste, BKV) aufgeführt. Um als Berufskrankheit anerkannt zu werden, muss nachgewiesen werden, dass die Erkrankung überwiegend durch die berufliche Tätigkeit verursacht wurde und typische Ursachen aufweist, die in dieser Liste stehen. Beispiel: Lärmschwerhörigkeit durch jahrelange Arbeit in einer lauten Fabrikhalle kann als Berufskrankheit anerkannt werden.
Vollbeweis
Der Vollbeweis bedeutet, dass eine Tatsache – hier die schädliche Einwirkung am Arbeitsplatz – mit nahezu absoluter Sicherheit und ohne vernünftigen Zweifel nachgewiesen werden muss. Im Kontext von Berufskrankheiten heißt das, es muss genau feststehen, wann, wo und wie lange jemand den schädlichen Stoffen ausgesetzt war. Der Vollbeweis ist besonders wichtig als erste Beweisstufe, weil ohne diesen Nachweis die folgenden Überlegungen zur Ursachenwahrscheinlichkeit nicht greifen können.
Beispiel: Wenn jemand behauptet, jahrelang mit Lösungsmitteln gearbeitet zu haben, muss auch dokumentiert werden, dass er tatsächlich Kontakt hatte und in welchem Umfang, um einen Vollbeweis zu erbringen.
Hinreichende Wahrscheinlichkeit
Die hinreichende Wahrscheinlichkeit ist eine juristische Beweisstufe, bei der es ausreicht, dass es deutlich wahrscheinlicher ist, dass eine Ursache zum Schaden geführt hat, als dass sie es nicht getan hat. Im Zusammenhang mit Berufskrankheiten heißt das: Sobald der Vollbeweis für die Einwirkung erbracht ist, muss gezeigt werden, dass diese Einwirkung mit hoher Wahrscheinlichkeit die Erkrankung verursacht hat. Eine absolute Sicherheit ist nicht nötig, aber das Gericht muss überzeugt sein, dass der Zusammenhang mehrheitlich wahrscheinlich ist.
Beispiel: Wenn jemand nachgewiesenermaßen mit Asbest gearbeitet hat und später an einer typischen Asbestkrankheit erkrankt, kann das Gericht den ursächlichen Zusammenhang als hinreichend wahrscheinlich ansehen.
Sachliche Unzuständigkeit
Sachliche Unzuständigkeit liegt vor, wenn eine Behörde oder ein Gremium eine Entscheidung trifft, obwohl das Gesetz ihnen hierfür keine Zuständigkeit gibt. In dem Fall ist die getroffene Entscheidung rechtswidrig und ungültig. Im vorliegenden Fall hatte ein sogenannter Rentenausschuss eine Ablehnung der Berufskrankheit entschieden, obwohl nach den gesetzlichen Vorschriften nur andere Gremien diese Aufgabe übernehmen dürfen. Man kann das mit einer falschen Fachabteilung in einer Behörde vergleichen, die einen Bescheid erlässt, obwohl sie dafür nicht zuständig ist.
Kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage
Diese Klageart kombiniert zwei gerichtliche Forderungen: Zum einen wird die Überprüfung und Aufhebung eines fehlerhaften Verwaltungsaktes verlangt (Anfechtungsklage), zum anderen soll die Behörde verpflichtet werden, eine bestimmte Entscheidung zu treffen (Verpflichtungsklage). Im Fall von Herrn K. bedeutete das: Er wollte erst den falschen Bescheid der Berufsgenossenschaft für ungültig erklären lassen und gleichzeitig erreichen, dass die Behörde seine Krankheit anerkennt. Diese doppelte Klageform ist typisch im Sozialrecht, wenn Betroffene gegen Entscheidungen von Sozialversicherungsträgern vorgehen.
Beispiel: Ein Angestellter, dessen Antrag auf Rentenleistung abgelehnt wurde, kann eine kombinierte Klage erheben, um erst die Ablehnung aufzuheben und dann auf die Zahlung zu klagen.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII), §§ 9, 44 ff.: Regelungen zur gesetzlichen Unfallversicherung und Anerkennung von Berufskrankheiten; § 9 SGB VII definiert Berufskrankheiten, § 44 ff. beschreibt Verfahren und Rechte im Leistungsfall. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Berufsgenossenschaft prüft aufgrund dieser Vorschriften, ob Herr K.s Harnblasenkrebs als Berufskrankheit anzuerkennen ist und ob er Anspruch auf Leistungen hat.
- Berufskrankheiten-Verordnung (BKV), insbesondere Nummer 1301: Listet offiziell anerkannte Berufskrankheiten auf, darunter Krebs der Harnwege durch aromatische Amine, und regelt die Voraussetzungen der Anerkennung. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Nur wenn die Erkrankung von Herrn K. als BK Nr. 1301 anerkannt wird, kann seine Krankheit als berufsbedingt gelten und Ansprüche begründen.
- Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), insbesondere §§ 37 und 39 (Formvorschriften für Bescheide): Bestimmt, welche Behörden für Entscheidungen zuständig sind und wie rechtswirksame Bescheide zu erlassen sind. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Ablehnungsbescheid der Berufsgenossenschaft war rechtswidrig, da er von einer unzuständigen Stelle (Rentenausschuss) erlassen wurde und damit formell unwirksam war.
- Sozialgerichtsgesetz (SGG), §§ 54 ff. (Klagearten im Sozialrecht): Regelt die verschiedenen Klagearten, darunter die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, die es ermöglicht, gleichzeitig die Aufhebung eines Bescheides und dessen Neuentscheidung zu verlangen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Herr K. nutzte diese Klageform, um den fehlerhaften Ablehnungsbescheid anzugreifen und gleichzeitig die Anerkennung der Berufskrankheit zu erwirken.
- Beweisrecht im Sozialverwaltungsverfahren (grundlegend §§ 88 ff. SGG): Die Anforderungen an den Nachweis von Ursachen und Wirkungen im Sozialrecht, insbesondere die Anforderungen an den Vollbeweis und die hinreichende Wahrscheinlichkeit bei Berufskrankheiten. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht verlangte den Vollbeweis des Kontakts mit schädlichen Stoffen und die hinreichende Wahrscheinlichkeit der Kausalität für die Anerkennung, was bei Herrn K. nicht erbracht wurde.
- Gesetz über die Angelegenheiten der gesetzlichen Unfallversicherung (UV-Träger): Regelt Zuständigkeiten und Organisation der Berufsgenossenschaften sowie Rechtsstellungen der Versicherten. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Versicherungspflicht und der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung bestanden nur während der angestellten Tätigkeiten, nicht jedoch während der Selbstständigkeit ab 1994, was die Anerkennung erschwerte.
Das vorliegende Urteil
Hessisches Landessozialgericht – Az.: L 9 U 56/23 – Urteil vom 27.09.2024
* Der vollständige Urteilstext wurde ausgeblendet, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu verbessern. Klicken Sie auf den folgenden Link, um den vollständigen Text einzublenden.