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Gesetzlicher Unfallversicherungsschutz im Homeoffice

SG Schwerin – Az.: S 16 U 49/22 – Urteil vom 13.12.2022

Es wird unter Aufhebung des Bescheides vom 31.05.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.07.2022 festgestellt, dass die Klägerin am 01.03.2022 einen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten hat.

Die Beklagte erstattet der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin am 01.03.2022 einen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten hat.

Die am 16.02.1980 geborene Klägerin war seit 2015 als Sachbearbeiterin/Integrationsfachkraft bei der Bundesagentur für Arbeit in der H-Stadt beschäftigt. Die dortige Arbeitszeitvereinbarung sieht vor, dass die Hälfte der Arbeitszeit in der Dienststelle zu erbringen ist und die andere Hälfte im Homeoffice erbracht werden kann. Die Klägerin verrichtete ihre Arbeit an 3 Tagen der Woche (üblicherweise Montag, Mittwoch, Freitag) in der Dienststelle und an den anderen 2 Tagen der Woche (üblicherweise Dienstag und Donnerstag) im Homeoffice. Im Homeoffice begann sie häufig frühzeitig zu arbeiten, damit sie regelmäßig einen früheren Arbeitsschluss am Freitag herausarbeiten konnte. Sie wohnt in einer zweigeschossigen Wohnung, s.g. Maisonettewohnung in B-Stadt. Die unterschiedlichen Wohnungsetagen sind mit einer Metalltreppe verbunden. Ihr vollausgestattetes Arbeitszimmer (Telefon, Schreibtisch, Rechner, Notebook, 2 Monitore, Drucker, WLAN-Anschluss = PC-Arbeitsplatz/Büro) befindet sich im Dachgeschoss, dem Obergeschoss ihrer Wohnung. Die Metalltreppe führt von unten, gegenüber der Küche, direkt in das zweigeteilte Obergeschoss (ohne Flur), in dem sich rechts der Arbeitsbereich und links eine Abstellfläche befinden. Am Dienstag, den 01.03.2022 ging die Klägerin ab 06.00 Uhr ihrer Tätigkeit an ihrem häuslichen Arbeitsplatz im Homeoffice nach. Gegen 16.03 Uhr, nach dem digitalen Ausstempeln und Herunterfahren des Rechners, sammelte die Klägerin von ihrem Arbeitsplatz ihre Signaturkarte, ihr Headset, den Büroschlüssel und ihre Notizen vom Arbeitstag in einer üblicherweise hierfür von ihr verwendeten „blauen Mappe“ und verließ damit den Arbeitsbereich. Sie stürzte auf der Treppe auf dem direkten Weg vom Obergeschoss in den Wohnbereich im Untergeschoss ihrer Wohnung und zog sich hierbei eine Sprunggelenksdistorsion mit Außenbandteilruptur rechts zu. Eine knöcherne Verletzung wurde ausgeschlossen. Ab dem 04.05.2022 war die Klägerin wieder arbeitsfähig. Tätigkeitsbegleitend führte sie die physikalische Therapie weiter, die erst im November 2022 abgeschlossen werden konnte. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage nach Einschätzung des behandelnden D-Arztes Dr. J. 0 v.H. Für den Zeitraum vom 13.04.2022 bis zur Arbeitsfähigkeit (03.05.2022) gewährte die Beklagte der Klägerin Verletztengeld.

Gesetzlicher Unfallversicherungsschutz im Homeoffice
(Symbolfoto: goodluz /Shutterstock.com)

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 31.05.2022 lehnte die Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls vom 01.03.2022 und die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Zur Begründung führte sie aus, dass während der Homeoffice-Tätigkeit nur Unfallversicherungsschutz für Tätigkeiten in sachlichem Zusammenhang mit der Tätigkeit bestehe. Hier sei auf den konkreten Moment der Verrichtung abzustellen und die entsprechende objektivierte Handlungstendenz. Nach neuerer Rechtsprechung seien die Wege innerhalb des häuslichen Bereiches während der Homeoffice-Tätigkeit versichert, wenn es sich hierbei um einen Weg zur Toilette oder zur Nahrungsaufnahme handele. Hier bestehe der Unfallversicherungsschutz im gleichen Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Betriebsstätte, d.h., dass Wege innerhalb des häuslichen Bereiches in Ausgangs- und Zielpunkt durch die Notwendigkeit geprägt sein müssten, die betriebliche Arbeit zu verrichten. Im Unfallzeitpunkt sei – im Fall der Klägerin – die Tätigkeit bereits beendet gewesen und die Bürotür durchschritten. Als sie auf der Treppe stürzte, habe sich die Klägerin auf dem Weg in ihren Wohnbereich befunden. Nach dem Durchschreiten der Tür des Homeoffice-Büros sei die Homeoffice-Tätigkeit beendet gewesen, und die objektivierte Handlungstendenz für das Betreten der Treppe habe darin bestanden, eine private Verrichtung aufzunehmen. Da sich der Unfall im unversicherten privaten Bereich ereignet habe, bestehe hierfür kein Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, weshalb die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls gem. § 8 SGB VII und die Leistungspflicht der Beklagten nicht vorliegen würden.

Mit ihrem Widerspruch hiergegen wandte die Klägerin insbesondere ein, dass ihre Tätigkeit noch nicht beendet gewesen sei, denn sie habe im Unfallzeitpunkt die Arbeitsnotizen, das Headset, ihre digitale Dienstkarte und ihren Büroschlüssel noch in ihre unten in der Küche stehende Arbeitstasche stecken wollen, damit sie am Folgetag die Tätigkeit im Büro in der Unternehmensstätte hätte ausüben können. Ihre Tätigkeit habe erst geendet, sobald sie die für die Arbeit am nächsten Tag notwendigen Dinge in ihre Arbeitstasche gepackt habe. Sie habe deshalb im Sturzzeitpunkt keine private Handlungstendenz gehabt, es handele sich um einen Wegeunfall.

Mit dem Widerspruchsbescheid vom 21.07.2022 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung hielt die Beklagte daran fest, dass es sich bei dem Sturz auf der Treppe in der Häuslichkeit nicht um einen versicherten Wegeunfall handele, denn der Arbeitsweg beginne und ende mit dem Durchschreiten der Außenhaustür, die jedoch im Homeoffice nicht durchschritten werde. Es sei im Unfallzeitpunkt auch kein versicherter Betriebsweg in Ausübung der Tätigkeit zurückgelegt worden. Solche Wege müssten in unmittelbaren Betriebsinteresse stehen. Es komme dabei auf die objektivierte Handlungstendenz im Zeitpunkt der Verrichtung an. Das Hinabsteigen der Innentreppe im Unfallzeitpunkt sei objektiv und subjektiv darauf gerichtet gewesen, einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen. Die versicherte Tätigkeit sei mit dem Abmelden und Herunterfahren des Rechners beendet worden. Das Einpacken von Arbeitsgegenständen in die Arbeitstasche für den nächsten Tag stelle keine mit der bereits beendeten Tätigkeit in Zusammenhang stehende Verrichtung dar, es handele sich um eine eigenwirtschaftliche, unversicherte Vorbereitungshandlung. Diese sei unabhängig von der abgeschlossenen versicherten Tätigkeit im Homeoffice. Die anspruchsbegründenden Tatsachen seien nicht bewiesen, weshalb kein Leistungsanspruch gegenüber der gesetzlichen Unfallversicherung bestehe.

Hiergegen richtet sich die am 12.08.2022 erhobene Klage.

Zur Begründung wird vorgetragen, dass die Klägerin am 01.03.2022 im Rahmen der innerbetrieblichen Regelungen im Homeoffice gewesen sei und um 16.03 Uhr ihren Arbeitsplatz im Dachgeschoss der Wohnung verlassen habe, um ihre Büroschlüssel und das Headset in die im unteren Wohnungsgeschoss stehende Arbeitstasche zu bringen sowie die Notizen des Arbeitstages zu vernichten. Erst anschließend sei ihre Tätigkeit beendet. Sie habe sich deshalb auf dem Weg in die untere Etage der Wohnung noch bei versicherter Tätigkeit befunden. Das Verbringen der Gegenstände in die Arbeitstasche sei dienstlich veranlasst gewesen. Das Headset und den Büroschlüssel habe sie für die Tätigkeit am nächsten Tag am Unternehmenssitz benötigt. Wegen der Folgen des Bänderrisses bedürfe sie weiterhin physiotherapeutischer Behandlung.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Bescheides vom 31.05.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.07.2022 festzustellen, dass sie am 01.03.2022 einen von der Be- klagten zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten hat.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die angefochtene Entscheidung.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist auch begründet.

Der Bescheid vom 31.05.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.07.2022 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat am 01.03.2022 einen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung erlitten.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gem. §§ 54, 55 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Das Feststellungsinteresse der Klägerin auf Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ergibt sich aus den gesundheitlichen Folgen des Unfalls und der Leistungsablehnung der Beklagten. In dieser Situation kann die Klägerin die Grundlagen der möglicherweise in Zukunft in Frage kommenden Leistungsansprüche in der isolierten Feststellungsklage klären lassen, um ggf. (später) konkrete Leistungen geltend machen zu können (BSG, Urteil v. 20.08.2019 B 2 U 1/18 R juris Rn. 9).

Die Klägerin stand am 01.03.2022 auf dem Weg von ihrem Homeoffice-Arbeitsplatz im Dachgeschoss in den Wohnbereich ihrer Wohnung unter gesetzlichem Unfallversicherungsschutz.

Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle, Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.

Am 18.06.2021 ist mit der Anfügung von S. 3 in § 8 Abs. 1 SGB VII eine Neuerung zum Unfallversicherungsschutz im Homeoffice gesetzlich geregelt worden. Danach besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte, wenn die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt wird (§ 8 Abs. 1 S. 3 SGB VII).

Nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII sind versicherte Tätigkeiten auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit.

Versicherte Tätigkeiten sind nach § 8 Abs. 2 Nr. 5 SGB VII auch das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Ersatzbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt.

Nach ständiger unfallversicherungsrechtlicher Rechtsprechung müssen die Voraussetzungen der „versicherten Tätigkeit“, der „Verrichtung“, der „Einwirkung“ und des „Gesundheitsschadens“ vollbewiesen sein. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil v. 17.12.2015 B 2 U 8/14 R juris Rn. 24).

Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grad wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hierauf zu begründen (Keller im MKLS SGG-Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 128 beckonline Rn. 3b m.w.N.).

Nach der freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung steht für das Gericht fest (§ 128 Abs.1 SGG), dass sich die Klägerin am 01.03.2022 auf einem versicherten Betriebsweg befunden hat, als sie den Unfall zu Hause auf der Treppe erlitt. Sie befand sich bei versicherter Tätigkeit.

Zur Einordnung des Versicherungsschutzes im Homeoffice folgt die Kammer der insoweit grundlegenden Entscheidung des Bundessozialgerichts mit dem Urteil vom 08.12.2021 (B 2 U 4/21 R). Dort ereignete sich der Unfall (Hinabsteigen der Innentreppe) morgens auf dem Weg aus den Privaträumen des Klägers in sein häusliches Arbeitszimmer zum Zweck der Arbeitsaufnahme. Das Zurücklegen von Wegen im Homeoffice ist regelmäßig – und so auch im vorliegenden Fall – nicht die Ausübung der versicherten Kerntätigkeit selbst, sondern steht zu der eigentlichen versicherten Tätigkeit in einer mehr oder weniger engen Beziehung (a.a.O. Rn. 15). Entscheidende Bedeutung für die Einordnung des Versicherungsschutzes auf diesem Weg hat die objektivierte Handlungstendenz im Zeitpunkt der Verrichtung (a.a.O. Rn.17,20). Bestanden mehrere Handlungsmotive im Zeitpunkt der Verrichtung, liegt eine sog. gespaltene Handlungstendenz vor. In diesen Fällen besteht Versicherungsschutz dann, wenn die Verrichtung im Einzelfall betrieblichen Zwecken wesentlich zu dienen bestimmt war. Sie braucht betrieblichen Zwecken hingegen nicht überwiegend zu dienen bestimmt gewesen zu sein. Die Abgrenzung ist danach vorzunehmen, ob der Versicherte die Verrichtung auch dann vorgenommen hätte, wenn der private Zweck weggefallen wäre, wenn also die Verrichtung nach den objektiven Umständen in ihrer konkreten, tatsächlichen Ausgestaltung ihren Grund in der betrieblichen Handlungstendenz findet (G. Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 8 SGB VII (Stand: 29.06.2022), juris Rn. 53 mit weiteren zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen).

Bestätigt wird mit der bundessozialgerichtlichen Entscheidung vom 08.12.2021 die insoweit auch bis zur Einführung des § 8 Abs. 1 S. 3 SGB VII gezogene Grenze für die Wegeunfallversicherung gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII an der Außenhaustür. Sofern sich Beschäftigte an einem Heimarbeitsplatz befinden, stehen sie nicht unter Wegeunfallversicherungsschutz im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII, weil sich der Unfall nicht außerhalb des Wohngebäudes ereignet hat (a.a.O. Rn. 16). Da sich der Unfall der Klägerin innerhalb ihrer Wohnung ereignet hat, ist er nicht vom Wegeunfallversicherungsschutz gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII erfasst.

Die Klägerin hat hier aber einen (mit)-versicherten Betriebsweg zurückgelegt (§ 8 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Betriebswege sind Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden, Teil der versicherten Tätigkeit sind und damit der Betriebsarbeit gleichstehen. Sie werden im unmittelbaren Betriebsinteresse wahrgenommen und unterscheiden sich von Wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII dadurch, dass sie der versicherten Tätigkeit nicht lediglich vorausgehen oder sich ihr anschließen. Sie sind nicht auf das Betriebsgelände beschränkt, sondern können auch außerhalb der Betriebsstätte anfallen. Wenn sich Wohnung und Arbeitsstätte im selben Gebäude befinden, ist ein Betriebsweg ausnahmsweise auch im häuslichen Bereich denkbar (a.a.O Rn. 17).

Zur gerichtlichen Überzeugung steht in Würdigung der Umstände des Einzelfalles und nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere nach den glaubhaften Einlassungen der Klägerin selbst, fest, dass diese ihre Tätigkeit mit dem Ausstempeln und Herunterfahren des PC sowie der Mitnahme der Arbeitsgegenstände (Signierkarte, Headset, Büroschlüssel und Arbeitsnotizen in der blauen Mappe) beendet hatte und sich auf der Treppe auf dem Weg aus dem Arbeitsbereich nach Arbeitsschluss in ihren privaten Bereich befand. Das BSG hat in der o.a. Entscheidung den erstmaligen morgendlichen Weg aus den Privaträumen in das häusliche Arbeitszimmer zum (alleinigen) Zweck der Arbeitsaufnahme im konkreten Fall als Betriebsweg qualifiziert, weil das Hinabsteigen der Innentreppe zum Unfallzeitpunkt sowohl objektiv als auch nach der subjektiven Vorstellung des Klägers unmittelbar unternehmensdienlich war (a.a.O Rn.21). Im Homeoffice tritt insoweit die eigene Wohnung an die Stelle der Betriebsstätte und begründet den Versicherungsschutz (so auch Mülheims, NZS 2022, 5, 9). Hierin liegt keine unversicherte Vorbereitungshandlung, weil der Weg ins Arbeitszimmer in so engem Zusammenhang mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit steht, dass beide bei natürlicher Betrachtung eine Einheit bilden (BSG, Urteil v. 30.01.2020 B 2 U 19/18 R juris Rn. 33). Diese Einheit besteht wegen des engen räumlichen Zusammenhangs innerhalb des selbstbewohnten Hauses. Sie gilt daher auch für den Rückweg nach Beendigung der Arbeit (Römer, jurisPR-SozR 11/2022 juris Anm. 3). Nach langjähriger, ständiger Rechtsprechung und in konsequenter unfallversicherungsrechtlicher Systematik gilt darüber hinaus, dass ein Rückweg in der Regel den Charakter des Hinweges teilt (BSG, Urteil v. 22.08.2000 B 2 U 18/99 R juris Rn. 16). Es sind keine Gründe ersichtlich, diese gleiche rechtliche Charakterisierung für Hin- und Rückweg nicht auch für Betriebswege im Homeoffice gelten zu lassen.

Da die Klägerin nur über diese Metalltreppe in ihrer Wohnung überhaupt den Arbeitsbereich im Dachgeschoss betreten und verlassen konnte und sich im Dachgeschoss neben einer Abstellfläche letztlich auch nur ihr Arbeitsbereich befindet, war die Klägerin, die Maßstäbe des BSG auf den vorliegenden Fall angewendet, sowohl beim erstmaligen Hinaufsteigen der Treppe zur Arbeitsaufnahme im Homeoffice als auch beim Hinabsteigen der Treppe nach der Beendigung der Tätigkeit auf einem versicherten Betriebsweg. Sie ist deshalb unter Versicherungsschutz gem. § 8 Abs. 1 SGB VII zu stellen.

Die Klägerin hätte überdies auch bei einem vergleichbaren Unfall auf der Treppe im Gebäude der Betriebsstätte in der H-Stadt nach dem Ende der Tätigkeit unzweifelhaft unter gesetzlichem Unfallversicherungsschutz gestanden (versicherter Betriebsweg im Betriebsgebäude). Intention des Gesetzgebers mit der Einführung des § 8 Abs. 1 S. 3 SGB VII ist (auch) die versicherungsrechtliche Gleichbehandlung von Wegen im Homeoffice und auf der Betriebsstätte. In der Gesetzesbegründung zur Einführung von § 8 Abs. 1 S. 3 SGB VII (BT-DS 19/29819 S. 17/18) wird zum gesetzgeberischen Ziel angeführt, dass mit der Regelung eine Versicherungslücke geschlossen werden soll, die sich bei Tätigkeiten gezeigt habe, die von zu Hause aus erbracht werden. Eine Unterscheidung im Unfallversicherungsschutz zwischen Tätigkeiten, die auf der Arbeitsstätte oder im Homeoffice erbracht werden, lasse sich danach vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung mobiler Arbeitsformen nicht aufrechterhalten. Eine Gleichbehandlung im Unfallversicherungsschutz wie auf der Unternehmensstätte für bereits anerkannte Wege zum Drucker oder zum Holen eines Getränks sei danach gerechtfertigt, um Hürden bei der Inanspruchnahme von mobiler Arbeit zu beseitigen. Damit sei eine Gleichbehandlung beim Versicherungsschutz geboten, unabhängig davon, ob die Versicherten die Tätigkeit auf der Unternehmensstätte oder an einem anderen Ort ausüben.

Ein rechtlicher Qualitätsunterschied zwischen einem vergleichbaren Weg in der Betriebsstätte und im Homeoffice in der Häuslichkeit ist nach dieser Zielbestimmung des Gesetzgebers mit der Einführung von § 8 Abs. 1 S. 3 SGB VII nicht mehr zu rechtfertigen.

Selbst wenn das Verbringen und Verwahren der Gegenstände in der „blauen Mappe“ (Signierkarte, digitale Karte, Büroschlüssel, Headset, Arbeitsnotizen) als wesentliche Handlungsmotivation der Klägerin für das Hinabsteigen der Treppe angenommen und als Vorbereitungshandlung qualifiziert würde – wovon die Beklagte wohl ausgeht – bestände auch hierfür gesetzlicher Unfallversicherungsschutz gem. § 8 Abs. 2 Nr. 5 SGB VII. Überwiegend sind Vorbereitungshandlungen eigenwirtschaftlich und stehen deshalb nicht unter Unfallversicherungsschutz. Der Gesetzgeber hat mit den Regelungen in § 8 Abs. 2 SGB VII aber bestimmte typische Vorbereitungshandlungen selbst unter Versicherungsschutz gestellt, weil er hierfür ein besonderes Schutzbedürfnis anerkennt. Der Versicherungsschutz für vorbereitende Tätigkeiten ist deshalb grundsätzlich auf diejenigen Verrichtungen beschränkt, die das Gesetz ausdrücklich nennt (BSG, Urteil v. 23.01.2018 B 2 U 3/16 R juris Rn. 18-19). Mit § 8 Abs. 2 Nr. 5 SGB VII wird der Versicherungsschutz auf den Umgang mit Arbeitsgeräten erstreckt. Voraussetzung hierfür ist, dass der Gegenstand im Verhältnis zur gesamten Verwendung hauptsächlich zur Verrichtung der versicherten Tätigkeit in Abgrenzung zu Alltagsgegenständen (z.B. Lesebrille) gebraucht wird (G. Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 8 SGB VII (Stand: 29.06.2022), juris Rn. 258 m.w.N.). Daran, dass die Klägerin sowohl ihren Büroschlüssel, die digitale Karte für den Zugang zum Dienstgebäude in der H-Stadt, das Headset und auch die Signierkarte zur digitalen Identifikation in ihrer Tätigkeit weit überwiegend für die versicherte Tätigkeit nutzt und benötigt, besteht kein Zweifel. Erfasst vom Versicherungsschutz gem. § 8 Abs. 2 Nr. 5 SGB VII ist u.a. das Verwahren von Arbeitsgerät. Eine Verwahrungshandlung beschränkt sich auf den einmaligen Akt der Unterbringung. Die mit der Verwahrung in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Wege und Handlungen sowohl am Arbeitsplatz als auch an einer anderen Stelle sind Teil des Verwahrens, soweit sie mit der Verwahrung einen einheitlichen Lebensvorgang darstellen (G. Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 8 SGB VII (Stand: 29.06.2022), juris Rn. 261 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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