I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 18. April 2023 abgeändert und die Klage – über das angenommene Teilanerkenntnis vom 3. November 2022 hinaus – vollständig abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander in beiden Instanzen keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1967 geborene Klägerin ist gelernte Friseurin und arbeitete bis August 2018 durchgehend in diesem Beruf. In der Folge war sie kurzzeitig als Kassiererin in einem Supermarkt tätig, beendete diese Tätigkeit jedoch aus gesundheitlichen Gründen. Seit dem 23. August 2018 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Ab dem 6. November 2018 führte die Klägerin eine Psychotherapie bei der Dipl.-Psych. C. durch.
Die Klägerin bezog vom 23. August 2018 bis 17. Januar 2019 Krankengeld. Eine Weitergewährung wurde abgelehnt nach Einholung eines Gutachtens des medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) vom 17. Januar 2019 des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. D. nach einer Untersuchung der Klägerin am selben Tag. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin keine AU-relevante psychische Beeinträchtigung mehr vorliege. Diagnostiziert wurde eine depressive Anpassungsstörung mit Somatisierung bei zurückliegender beruflicher Konfliktsituation. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit liege nicht vor.
Laut einer gutachterlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 10. Februar 2019 der Dr. E. von der Agentur für Arbeit Offenbach wurde die Leistungsfähigkeit der Klägerin mit weniger als drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eingeschätzt. Die Klägerin bezog nach Wegfall des Krankengelds noch bis zum 3. Juni 2020 Arbeitslosengeld.
Vom 6. Februar 2019 bis 3. April 2019 wurde die Klägerin stationär in der Psychiatrie Hohe Mark in C-Stadt behandelt. Laut Entlassbrief vom 30. April 2019 wurden bei ihr die Diagnosen rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, Panikstörung, Hypercholesterinämie und Bilirubinerhöhung gestellt.
Zur Akte gelangt ist ein Arztbrief des Sana Klinikums E-Stadt, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie vom 30. April 2019, wonach die Klägerin dort vom 8. bis 29. April 2019 in der Psychiatrischen Tagesklinik behandelt worden sei bei den Diagnosen rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst) und Psychische und Verhaltensstörungen durch Tabak: Abhängigkeitssyndrom.
Im Rahmen eines Rehabilitationsantrags ließ die Beklagte die Klägerin durch den Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Neurologie Dr. F. begutachten. Dieser kam in seinem Gutachten vom 22. August 2019 nach Untersuchung der Klägerin am gleichen Tag bei den Diagnosen
– Depression rezidivierend, mittelgradige Episode,
– Angststörung, Panikstörung episodisch,
– Akzentuierung von Persönlichkeitszügen,
– Abhängigkeit vom Nikotintyp und
– Kopfschmerz-Kombination
zu der Einschätzung, angesichts der Krankheitsgeschichte, dem bisherigen Behandlungsverlauf und der aktuell erhobenen Befunde sei von einer erheblichen Gefährdung der prinzipiell noch vollschichtigen Leistungsfähigkeit auszugehen. Nach dem Prinzip Reha vor Rente sei eine stationäre psychosomatische Rehabilitation indiziert. Die Klägerin sei noch mit Mühe und teilweise vermehrtem Kraftaufwand in der Lage, ihre alltagsrelevanten Tätigkeiten und Verpflichtungen zu erledigen. Es zeigten sich aber deutliche Tendenzen zum sozialen Rückzug und zur Aufgabe von persönlichen Interessen.
Vom 10. Dezember 2019 bis 14. Januar 2020 absolvierte die Klägerin eine stationäre psychosomatische Rehabilitationsmaßnahme in der Vogelsbergklinik in D-Stadt. Der Entlassungsbericht vom 27. Februar 2020 kam ausgehend von den Diagnosen
– rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode,
– chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren,
– Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst),
– Hypothyreose nach Thyreoidektomie wegen heißer Knoten und
– chronisches BWS-Syndrom
zu der Einschätzung, dass die Klägerin sowohl ihre letzten beruflichen Tätigkeiten als Friseurin und Kassiererin im Supermarkt als auch leichte bis mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit qualitativen Einschränkungen noch sechs Stunden und mehr arbeitstäglich verrichten könne.
Am 17. Februar 2020 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Im Rahmen der Amtsermittlung ließ die Beklagte die Klägerin durch den Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H. begutachten. Dieser kam in seinem Gutachten vom 6. April 2020 nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am gleichen Tag ausgehend von den Diagnosen
– rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte bis mittelgradige Episode, mit Somatisierungstendenz,
– Panikstörung mit Agoraphobie,
– Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren und
– einfache Migräne
zu der sozialmedizinischen Einschätzung, die Klägerin sei, übereinstimmend mit der gutachterlichen Beurteilung der Reha-Klinik in D-Stadt, noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit qualitativen Einschränkungen sechs Stunden und mehr arbeitstäglich auszuüben. Nicht zumutbar seien Arbeiten mit besonderen Anforderungen an das Anpassungs- und Umstellungsvermögen, Tätigkeiten unter Stress, mit der Überwachung und Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge sowie Tätigkeiten mit vermehrtem Publikumsverkehr.
Mit Bescheid vom 27. April 2020 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung mit der Begründung ab, die Klägerin erfülle nicht die medizinischen Voraussetzungen. Sie könne noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein. Hiergegen legte die Klägerin am 13. Mai 2020 Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2020 wies die Beklagte den Widerspruch weiterhin mit der Begründung zurück, die Klägerin erfülle nicht die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung der begehrten Rente. Sie könne zumindest leichte Arbeiten mit Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes ausüben.
Gegen den Widerspruchsbescheid erhob die Klägerin am 30. Oktober 2020 Klage bei dem Sozialgericht Darmstadt.
Das Sozialgericht holte Befundberichte des Facharztes für Innere Medizin Dr. G. vom 3. Dezember 2020, des Facharztes für Neurologie Dr. K. vom 4. Februar 2021 und der Dipl.-Psych. C. vom 14. April 2021 ein und beauftragte ergänzend die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie L. mit einer Begutachtung der Klägerin. Die Sachverständige kam in ihrem Gutachten vom 20. November 2021 nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 12. November 2021 bei den Diagnosen
– rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwer ohne psychotische Symptome,
– Panikstörung und
– chronisches Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Faktoren
zu der sozialmedizinischen Einschätzung, die Klägerin sei nur noch in der Lage, unter drei Stunden arbeitstäglich Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Die Klägerin sei sogar zu keinerlei Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr fähig. Qualitative Einschränkungen werden von der Sachverständigen nicht genannt. Die Klägerin sei körperlich in der Lage, Fußstrecken von mehr als 500 m viermal täglich zurückzulegen, sie sei jedoch aufgrund ihrer Ängste nicht in der Lage, dies alleine ohne die Unterstützung ihres Ehemannes zu bewältigen. Derzeit besitze die Klägerin keine ausreichende Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit. Das festgestellte Leistungsvermögen habe schon vor dem 1. August 2019 bestanden, was sich aus dem Arztbrief der Klinik Hohe Mark vom 30. April 2019 ergebe. Eine Verbesserung der Symptomatik sei u.a. bei einer spezifischen Traumatherapie mittelfristig, d.h. nach drei bis fünf Jahren, möglich.
Mit Schreiben vom 16. Februar 2022 legte die Beklagte ein Vergleichsangebot vor, wonach sie eine volle Erwerbsminderung ab dem 20. November 2021 anerkenne und bereit sei, eine Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. Juni 2022 bis 31. Januar 2024 zu gewähren. Auf Anregung des Gerichts erweiterte die Beklagte ihren Vergleichsvorschlag mit Schreiben vom 5. September 2022 dahingehend, dass eine Befristung der Rente wegen Erwerbsminderung nunmehr bis zum 31. Mai 2025 angeboten wurde. Die Klägerin nahm die Vergleichsangebote nicht an. Mit Schreiben vom 3. November 2022 gab die Beklagte ihr modifiziertes Vergleichsangebot vom 5. September 2022 als Teilanerkenntnis ab. Die Klägerin nahm das Teilanerkenntnis mit Schreiben vom 5. Dezember 2022 an und führte den Rechtsstreit im Übrigen fort.
Mit Urteil vom 18. April 2023 verurteilte das Sozialgericht die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 27. April 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Oktober 2020 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 3. November 2022, der Klägerin bereits ab dem 1. Februar 2020 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit auf den Leistungsfall vom 6. Februar 2019 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, der Klägerin stehe ein Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung bereits ab dem 1. Februar 2020 auf Zeit, ausgehend von einem Leistungsfall am 6. Februar 2019, zu. Die Klägerin sei aufgrund ihrer psychischen Leiden seit der stationären Behandlung in der Klinik Hohe Mark am 6. Februar 2019 voll erwerbsgemindert. Sie leide seither an einer schweren, rezidivierenden depressiven Störung, an einer Panikstörung sowie unter einem chronischen Schmerzsyndrom mit psychischen und körperlichen Leiden. Die mit diesen Krankheiten einhergehenden Einschränkungen führten dazu, dass ihr Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufgehoben und sie nicht mehr in der Lage sei, einer Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes in einem Umfang von drei Stunden und mehr nachzugehen. Die Kammer stütze ihre Auffassung auf das Gutachten der Sachverständigen L., auf die Befundberichte der Dipl.-Psych. C. und den Entlassungsbericht der Klinik Hohe Mark. Auch die Entlassungsberichte des Sana Klinikums E-Stadt und der Vogelsbergklinik D-Stadt sowie die Gutachten der Beklagten stützten die Feststellung eines durchgängig aufgehobenen Leitungsvermögens, auch wenn diese Ärzte eine abweichende Bewertung vorgenommen hätten. Alle stationären Einrichtungen und die Gutachter der Beklagten hätten das schwere depressive Zustandsbild der Klägerin, deren Schmerzen, ihre Suizidgedanken und die Panikstörung beschrieben. Für die Kammer nicht nachvollziehbar und in sich widersprüchlich sei jedoch – mit Ausnahme der Klinik Hohe Mark – ein vollschichtiges Leistungsvermögen festgestellt worden. Die Klägerin sei in einem leicht gebesserten Zustand aus der Klinik Hohe Mark in die Tagesklinik entlassen worden. Allerdings folge hieraus kein teilweises oder vollschichtiges Leistungsvermögen. In der Tagesklinik des Sana Klinikums E-Stadt seien bei der Klägerin deutliche Konzentrationsstörungen festgestellt worden, darüber hinaus sei die Klägerin psychomotorisch unruhig und im Antrieb leicht reduziert gewesen. Ein ruhiges und konzentriertes Arbeiten sei ihr schwergefallen. Auch Dr. F. habe im Rahmen seiner Untersuchung der Klägerin am 22. August 2019 festgestellt, dass sie sprunghaft, unkonzentriert und hektisch gewirkt habe. Die Aussage des Gutachters, die Klägerin verfüge „prinzipiell“ noch über ein ungemindertes Leistungsvermögen, überzeuge die Kammer nicht. Der Untersuchungsbefund von Dr. H. decke sich mit dem von Dr. F. Schließlich sei auch die Bewertung eines vollschichtigen Leistungsvermögens durch die Vogelsbergklinik D-Stadt nicht nachvollziehbar, welche bei gleichbleibender Diagnosen eine Arbeitsunfähigkeit für weitere acht bis zehn Wochen feststellt und zugleich neben der Fortführung der ambulanten Psychotherapie auch eine intensive, psychotherapeutische Akutbehandlung stationär oder teilstationär empfohlen habe. Die Feststellung eines vollschichtigen Leistungsvermögens bei einer gleichzeitig dermaßen akuten Behandlungsbedürftigkeit sei nicht schlüssig. Keine Relevanz messe die Kammer dem MDK-Gutachten durch Dr. D. vom 17. Januar 2019 bei. Dieses vierseitige psychiatrische Gutachten erfülle in keiner Weise die Anforderungen an ein verwertbares Sachverständigengutachten. Die Begutachtung habe ausweislich der Anlage zum Gutachten exakt 23 Minuten gedauert, eine adäquate Begutachtung und eine seriöse Beurteilung sei in dieser Zeit nicht möglich gewesen. Der Anspruch auf die Gewährung einer vollen Erwerbsminderungsrente bestehe gemäß §§ 99 Abs. 1 S. 2, 101 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) bereits ab dem 1. Februar 2020. Ausgehend von einem Leistungsfall vom 6. Februar 2019 ergebe sich dieser Rentenbeginn, nachdem die Klägerin einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung erst am 17. Februar 2020 gestellt hatte. Der Zeitraum der Befristung sei aufgrund des Teilanerkenntnisses unstreitig. Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung auf Dauer seien nicht erfüllt.
Gegen das ihr am 27. April 2023 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11. Mai 2023 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt.
Die Beklagte ist im Wesentlichen der Auffassung, der Eintritt der Erwerbsminderung sei erst ab der Begutachtung durch die Sachverständige L. im November 2021 nachgewiesen. Die Rückdatierung des Leistungsfalls auf ein Datum vor dem 1. August 2019, wie von der Sachverständigen L. vorgenommen, könne nach Würdigung der Berichte und Vorgutachten nicht nachvollzogen werden. Insbesondere im Vergleich zu den beiden Rentengutachten von Dr. F. vom 22. August 2019 und Dr. H. vom 6. April 2020 habe sich in dem Gutachten der Sachverständigen L. vom 20. November 2020 eine deutliche Verschlechterung der vorliegenden Erkrankungen in wesentlichen Punkten abgezeichnet (Grad der Depression, psychopathologische Auffälligkeiten, kognitive Störungen). Eine Erwerbsminderung könne daher nur ab dem Datum ihrer Untersuchung als nachgewiesen angesehen werden. Das Urteil sei zudem überraschend gewesen, da das Gericht noch mit gerichtlicher Verfügung vom 20. August 2022 mitgeteilt hatte, dass aus dessen Sicht ein früherer Leistungsfall als der 12. November 2021 nicht erwiesen sei.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 18. April 2023 abzuändern und die Klage – über das angenommene Teilanerkenntnis vom 3. November 2022 hinaus – vollständig abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und schließt sich der Argumentation des Sozialgerichts an.
Mit Rentenbescheid vom 27. Februar 2023 setzte die Beklagte das angenommene Teilanerkenntnis um und bewilligte der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Juni 2022 befristet bis zum 31. Mai 2025.
Zum weiteren Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 Sozialgerichtsgesetz ).
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nach alleiniger Berufungseinlegung durch die Beklagte lediglich die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 1. Februar 2020 bis 31. Mai 2022. Die Leistungsgewährung im Zeitraum vom 1. Juni 2022 befristet bis zum 31. Mai 2025 hat sich nach angenommenen Teilanerkenntnis insoweit erledigt (§ 101 Abs. 2 SGG) und ist nicht mehr Gegenstand des Verfahrens. Ebenso ist die Ablehnung einer Rente wegen Erwerbsminderung auf Dauer durch das Sozialgericht, dem die Klägerin nicht im Wege der Berufung entgegengetreten ist, rechtskräftig geworden.
Die Berufung ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 18. April 2023 kann keinen Bestand haben. Der Bescheid vom 27. April 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2020, geändert infolge des Teilanerkenntnisses vom 3. November 2022 durch Rentenbescheid vom 27. Februar 2023, ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung vor dem 1. Juni 2022. Ein etwaiger Verstoß gegen das rechtliche Gehör aufgrund einer erstinstanzlichen Überraschungsentscheidung nach gerichtlichem Hinweis vom 20. August 2022 kann die Beklagte im Ergebnis nicht mehr belasten.
Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI demgegenüber Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch
1. Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und
2. Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Erwerbsgemindert ist der Vorschrift des § 43 Abs. 3 SGB VI zufolge nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Der für den Nachweis der sog. Vorversicherungszeit im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI maßgebliche Fünf-Jahres-Zeitraum verlängert sich gemäß § 43 Abs. 4 und § 241 Abs. 1 SGB VI um die im Gesetz im Einzelnen aufgeführten sog. Aufschubzeiten (insbesondere Anrechnungs- und Ersatzzeiten). Gemäß § 43 Abs. 5 SGB VI ist eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren dann nicht erforderlich, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund eines Tatbestands eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit der Vorschrift des § 53 SGB VI zufolge (z. B. wegen eines Arbeitsunfalls) vorzeitig erfüllt ist. Nach der Sonderregelung des § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit außerdem nicht erforderlich für Versicherte, die vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit mit den im Gesetz im Einzelnen aufgeführten sog. Anwartschaftserhaltungszeiten (insbesondere Beitragszeiten, beitragsfreien Zeiten, Berücksichtigungszeiten oder Rentenbezugszeiten) belegt ist oder wenn die Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit vor dem 1. Januar 1984 eingetreten ist. Für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, bedarf es gemäß § 241 Abs. 2 Satz 2 SGB VI keiner Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten.
Die für eine Rente wegen Erwerbsminderung erforderliche allgemeine Wartezeit im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI ist gemäß § 50 Abs. 1 SGB VI erfüllt, wenn vor Eintritt der Erwerbsminderung eine Versicherungszeit von fünf Jahren zurückgelegt ist.
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Klägerin vor dem 1. Juni 2022 weder einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung noch einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, weil ihre Erwerbsfähigkeit bis zum Nachweis einer Minderung der Erwerbsfähigkeit am 12. November 2021, dem Zeitpunkt der Untersuchung durch die Sachverständige L., nicht in rentenberechtigendem Ausmaß herabgemindert gewesen ist. Nach den vom Senat getroffenen Feststellungen sind der Klägerin bis zu diesem Zeitpunkt noch leichte körperliche Arbeiten im Umfang von sechs Stunden täglich mit qualitativen Einschränkungen (keine Arbeiten mit besonderen Anforderungen an das Anpassungs- und Umstellungsvermögen, keine Tätigkeiten unter Stress, mit der Überwachung und Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge sowie keine Tätigkeiten mit vermehrtem Publikumsverkehr) unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zumutbar gewesen.
Diese Beurteilung des Leistungsvermögens ergibt sich unter Berücksichtigung aller Einzelumstände des vorliegenden Falles aus einer Gesamtschau der über den Gesundheitszustand der Klägerin vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen und medizinischen Gutachten im Sinne einer Längsschnittbetrachtung. So stützt der Senat seine Auffassung zum Leistungsvermögen der Klägerin für den Zeitraum vor dem 12. November 2021 insbesondere auf die Gutachten des Dr. F. nach Untersuchung der Klägerin am 22. August 2019 und des Dr. H. nach Untersuchung am 6. April 2020 sowie auf den Entlassungsbericht der psychosomatischen Rehabilitationsmaßnahme in der Vogelsbergklinik in D-Stadt vom 27. Februar 2020. Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung den sozialmedizinischen Leistungseinschätzungen sowohl der Rehabilitationseinrichtung als auch der Gutachter Dr. F. und Dr. H. an, die seinerzeit jeweils von einem Restleistungsvermögen der Klägerin von sechs Stunden und mehr arbeitstäglich für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgegangen waren. Der abweichenden Einschätzung der Sachverständigen L., welche eine Rückdatierung des Leistungsfalls auf den Zeitraum vor dem 1. August 2019 vorgenommen hat und die Grundlage der Entscheidung des Sozialgerichts gewesen ist, welches letztlich sogar die stationäre Behandlung in der Klinik Hohe Mark am 6. Februar 2019 als Leistungsfall zugrunde gelegt hat, vermag sich der Senat dagegen nicht anzuschließen.
Die Klägerin leidet auf dem im Vordergrund stehenden psychiatrischen Fachgebiet unter einer rezidivierenden depressiven Störung, zuletzt schwerer Ausprägung, einer Panikstörung und einem chronischen Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Faktoren. Zwischen den Beteiligten unstreitig lag aufgrund der hieraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin eine Minderung der Erwerbsfähigkeit ab der Untersuchung durch die Sachverständige L. am 12. November 2021 vor. Ein früherer Leistungsfall ist zur Überzeugung des Senats dagegen nicht nachgewiesen.
Der vollständige Beweis (Nachweis) für das Vorliegen einer Rentenberechtigung ist erst dann geführt, wenn für das Vorliegen der behaupteten rentenerheblichen Tatsachen ein derart hoher, an Gewissheit grenzender Grad von Wahrscheinlichkeit spricht, dass sämtliche begründeten Zweifel demgegenüber zurücktreten. Dabei ist weiter zu berücksichtigen, dass für das tatsächliche Vorliegen von rentenrelevanten Erkrankungen und ihre Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit den Rentenbewerber die (objektive) Beweislast trifft (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 2004, B 5 RJ 48/03 R m. w. N.). Für den Eintritt eines Leistungsfalls in der Vergangenheit gilt, dass der Beweiswert einer rückschauenden Leistungsbeurteilung umso größer ist, je genauer seitens des Sachverständigen differenziert wird zwischen den anlässlich der (eigenen) Untersuchung getroffenen aktuellen Feststellungen und der daraus bezogen auf diesen Zeitpunkt abgeleiteten Beurteilung einerseits und der hiervon ausgehend – unter Zuhilfenahme von geeigneten Anknüpfungspunkt der medizinischen Berichtswesen – entwickelten Einschätzung hinsichtlich der Vergangenheit andererseits. Je lückenloser die Kette der so genannten Brückensymptome in die Vergangenheit zurückreicht und je eingehender die Aussagekraft von Untersuchungsberichten aus früherer Zeit im Gutachten erläutert wird, umso nachvollziehbarer, einleuchtender und schließlich auch überzeugender kann eine rückschauende Leistungsbeurteilung sein, mit der Folge eines dann nachvollziehbar auch in der Vergangenheit eingetretenen Leistungsfalles (vgl. Urteil des Senats vom 7. August 2018, L 2 R 21/16).
Ausgehend von diesen Grundsätzen vermag sich der Senat der Rückdatierung des Leistungsfalls durch die Sachverständige L. nicht anzuschließen.
So hat der Gutachter Dr. F. bei Annahme einer erheblichen Gefährdung der prinzipiell noch vollschichtigen Leistungsfähigkeit der Klägerin ausgeführt, die Klägerin habe, entgegen ihrer Schmerzklage, während der einstündigen Exploration ruhig und ohne häufige Positionswechsel auf dem Besucherstuhl sitzen können. In den Praxisräumen habe sie sich flüssig und zügig bewegt. Das Aus- und Ankleiden einer Strickjacke und Schuhwerk sowie die Lagerung auf der Liege und das Widderaufstehen seien prompt gelungen sowie flüssig und beschwerdefrei erfolgt. Die Klägerin habe etwas sprunghaft, unkonzentriert und hektisch gewirkt. Sonst seien keine wesentlichen Störungen von Merkfähigkeit und Gedächtnis erkennbar gewesen. Eine Minderung der Intelligenz habe nicht vorgelegen, das formale Denken sei geringfügig sprunghaft gelockert gewesen, wobei die Klägerin aber rasch wieder zur Ursprungsthematik habe zurückgeführt werden können. Im inhaltlichen Denken habe eine Zentrierung auf die Beschwerden, ihr Überforderungserleben und ihre Entlastungswünsche bestanden. Die Stimmung sei depressiv, ängstlich und somatisierend gewesen. Die Psychomotorik habe angespannt, unruhig und etwas hektisch gewirkt. Der Antrieb sei während der Untersuchung intakt gewesen. Die Klägerin habe von Rückzugstendenzen berichtet. Sie habe angegeben, in der Freizeit Mandalas auszumalen. Sie habe einige Bücher, könne sich aber hierbei nicht ausreichend konzentrieren, sonst habe sie keine wesentlichen Interessen. Für den Senat nachvollziehbar hat der Gutachter hieraus qualitative Leistungseinschränkungen abgeleitet, trotz Gefährdung jedoch noch ein zeitliches Leistungsvermögen zum Zeitpunkt der Begutachtung von sechs Stunden und mehr angenommen.
Der Entlassungsbericht der Vogelsbergklinik beschrieb im psychischen Befund, die Klägerin habe über Konzentrationsstörungen und eine Grübelneigung geklagt. Es hätten sich Existenz- und Zukunftsängste gezeigt, Angst- und Panikanfälle seien beschrieben worden. Inhaltliche Denkstörungen hätten sich nicht ergeben. Der Affekt sei niedergedrückt, rat- und hilflos gewesen. Ein Insuffizienzerleben sei vorhanden gewesen, die affektive Schwingungsfähigkeit sei aber nicht reduziert erschienen. Die Psychomotorik sei ohne pathologischen Befund geblieben, die Klägerin habe aber einen sehr verminderten Antrieb angegeben. Im Rahmen der psychologischen Testdiagnostik berichtete der Rehabilitationsträger, dass die Klägerin nach der Selbstbewertung anhand des Beck Depressions-Inventar/BDI II zwar den Summenwert für eine schwere depressive Symptomatik erreicht habe, im klinischen Gesamtbild habe sich jedoch lediglich eine mittelgradige depressive Symptomatik mit histrionischen Verdeutlichungstendenzen gezeigt. Folgerichtig diagnostizierte die Vogelsbergklinik seinerzeit noch eine gegenwärtig mittelgradige Episode und schätze das Leistungsvermögen für den Senat nachvollziehbar auf sechs Stunden und mehrarbeitstäglich bei qualitativen Einschränkungen ein.
Der Gutachter Dr. H. hat anlässlich seiner Untersuchung im psychischen Befund berichtet, die Klägerin gebe an, überfordert zu sein und wirke getrieben. Es bestünden keine Einschränkungen im Bereich der Sprache und des Ausdrucks, ein guter Blickkontakt und ein emotionaler Kontakt seien schnell herstellbar gewesen. Der Rapport sei ruhig und geordnet erfolgt, die Klägerin habe glaubhaft von Ängsten sowie situationsbedingten Ängsten mit Panikattacken, Stimmungsschwankungen und Schmerzen des Bewegungs- und Haltungsapparates berichtet. Sie sei subdepressiv gestimmt, ängstlich angespannt, aber affektiv ausreichend schwingungsfähig gewesen. Sie habe Antrieb und Psychomotorik betreffend getrieben gewirkt, teilweise etwas hektisch, unkonzentriert, ohne dass jedoch eine wesentliche Störung der Aufmerksamkeit und Konzentration während der längeren Anamneseerhebung zu erkennen gewesen seien. Inhaltliche Denkstörungen oder Wahrnehmungsstörungen hätten nicht vorgelegen, die mnestischen Funktionen seien ungestört gewesen. Die beklagten Konzentrations- und Gedächtnisstörungen seien bei der Untersuchung nicht verifizierbar gewesen. Die Einschränkungen durch die Angststörung seien seit Jahren im Alltag integriert. Für den Senat ergeben sich hieraus nachvollziehbar Funktionsbeeinträchtigungen, insbesondere im Hinblick auf Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit, die grundsätzlich geeignet sind, auch Einfluss auf das zeitliche Restleistungsvermögen der Klägerin zu nehmen. Anlässlich der Untersuchung der Klägerin durch Dr. H. kam dieser jedoch für den Senat ebenso nachvollziehbar zu der Einschätzung, dass der Schweregrad der Beeinträchtigungen eine Minderung des zeitlichen Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden arbeitstäglich für leichte Arbeiten noch nicht rechtfertigen konnte, d.h. neben den qualitativen Leistungseinschränkungen eine quantitative Leistungsminderung noch nicht feststellbar gewesen ist.
Auch aus den von der Klägerin geschilderten Tagesabläufen ergeben sich für den Senat keine Anhaltspunkte für rentenrelevante gravierende Beeinträchtigungen mit Einfluss auf das zeitliche Restleistungsvermögen der Klägerin. So hat sie gegenüber Dr. H. berichtet hat, dass sie langsam zwischen 07.00 und 09.00 Uhr aufstehe, oft vom Bett auf die Couch gehe und sich dann erst langsam fertig mache. Anschließend mache sie mit Pausen den Zwei-Personen-Haushalt und koche zweimal die Woche. Nachmittags gehe sie spazieren, mache progressive Muskelentspannung, sitze auf dem Balkon, schaue fern (Filme) und male ungefähr 2-3 Mal pro Woche, aktuell weniger. Sie sei viel alleine, kaufe überwiegend mit dem Ehemann ein. Dieser komme um 16.00 Uhr von der Arbeit. Sie tränken gemeinsam Kaffee, redeten miteinander und würden zu Abend essen. Dann schaue sie fern und gehe ungefähr um 22.00 Uhr ins Bett. Ebenso hat die Klägerin gegenüber Dr. F. ausgeführt, sie stehe normalerweise um 8.00 Uhr auf, setze sich dann bis 11.00 Uhr mit dem Schlafanzug auf den Balkon, den sie sich mit Pflanzen gemütlich gemacht habe. Dort trinke sie Kaffee und rauche. Wenn sie Lust habe, erledige sie den Haushalt, aber in Etappen. Per DVD mache sie nach Anleitung Yoga und auch regelmäßig Progressive Muskelentspannung. Sie gehe einkaufen – oft auch gemeinsam mit ihrem Ehemann. Sie koche ein schnelles Abendessen, das sie zusammen mit ihm esse. Nachmittags gehe sie spazieren, oft mit der Mutter und deren Hund. Die Mutter wohne am Wald. Abends schaue sie fern. Zwischen 21.00 und 23.00 Uhr gehe sie zu Bett, schaue auf dem Tablett noch eine Serie, wache aber in der Nacht bis zu zehnmal auf. Aus den Tagesabläufen ergab sich zu den damaligen Zeitpunkten keine Hinweise auf eine Rückzugstendenz, die auch bei zumutbarer Willensanstrengung nicht überwunden werden könnte oder eine derart gravierende Antriebslosigkeit, als dass hieraus Auswirkungen auf das zeitliche Leistungsvermögen unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes abzuleiten wären. Eine deutliche Verschlechterung des Gesundheitszustands zeigt sich erst anlässlich der Untersuchung am 12. November 2021 durch die Sachverständige L., gegenüber der die Klägerin angegeben hat, sich komplett zu Hause zurückgezogen zu haben. Sie stehe morgens auf wegen ihrer Schmerzen, frühstücke nicht. Der Tagesablauf sei unstrukturiert, sie „hänge nur ab“. Sie führe auch nicht mehr den Haushalt, koche nicht. Abends esse sie mit ihrem Mann, der etwas mitbringe. Dies sei ihre einzige Mahlzeit am Tag. Sie habe keinerlei Interessen, keinerlei Außenaktivitäten.
Die Sachverständige L. begründet demgegenüber die Rückdatierung des Leistungsfalls auf einen früheren Zeitpunkt vor dem 12. November 2021 damit, dass die Klägerin seit 20 Jahren unter Panikattacken und depressiven Zustandsbildern gelitten habe, die sich seit 2018 im Rahmen eines Arbeitsplatzkonfliktes massiv verstärkt und letztendlich zur Arbeitsunfähigkeit geführt hätten. Die Klägerin leide unter schweren depressiven Symptomen mit im Vordergrund stehender Lebensunlust, Interesselosigkeit, Ermüdbarkeit und Gleichgültigkeit. Sie sei angespannt, habe Konzentrationsstörungen und sei nicht in der Lage, ohne die Hilfe ihres Ehemannes nach außen hin zu fungieren. Es liege ein nahezu kompletter Rückzug in die eigene Wohnung vor. Der Zustand der Klägerin sei bereits im Arztbrief der Klinik Hohe Mark vom 30. April 2019 beschrieben worden, habe also schon vor dem 1. August 2019 bestanden. Dies ist für den Senat insofern nicht nachvollziehbar, als nach der Diagnose einer schweren Depression durch die Klinik Hohe Mark bereits der Arztbrief des Sana Klinikums E-Stadt vom 30. April 2019 nach Behandlung der Klägerin in der Psychiatrischen Tagesklinik vom 8. bis 29. April 2019 nach Besserung ihres Gesundheitszustands lediglich noch eine depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, diagnostiziert hat. Im psychopathologischen Befund gab das Sana Klinikum an, bei der Klägerin seien keine Auffassungs- oder Merkfähigkeitsstörungen, jedoch deutliche Konzentrationsstörungen aufgetreten. Sie sei im Antrieb leicht reduziert gewesen. Anhaltspunkte für derart gravierende Funktionsbeeinträchtigungen, die bereits zum damaligen Zeitpunkt eine Minderung des zeitlichen Restleistungsvermögens rechtfertigen könnten, ergeben sich für den Senat hieraus nicht. In der Folge diagnostizierten sowohl die Gutachter Dr. F. und Dr. H. als auch die Vogelsbergklinik im Rahmen der Rehabilitationsmaßnahme lediglich Beeinträchtigungen der Klägerin im Schweregrad einer mittelgradigen depressiven Episode und trafen jeweils Leistungseinschätzung von arbeitstäglich sechs Stunden und mehr für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, ohne dass sich die Sachverständige L. hiermit in der Sache auseinandergesetzt hätte.
Zur Überzeugung des Senats vermögen die Ausführungen der Sachverständigen L. die Leistungseinschätzungen der Gutachter sowie der Rehabilitationseinrichtung nicht zu widerlegen. Die Sachverständige L. hat auf Grundlage des subjektiven Anamnesevortrags der Klägerin bereits nicht hinreichend dargestellt, inwieweit sie eine objektivierende Konsistenzprüfung der u.a. mit histrionischen Verdeutlichungstendenzen auffällig gewordenen Klägerin vorgenommen hat. Unklar bleibt insoweit, inwiefern sich ihre Einschätzung auf den Vortrag der Klägerin oder ihre eigenen objektiven Befunde stützt. Insbesondere ist für den Senat nicht erkennbar, über welches Leistungsvermögen die Klägerin bei zumutbarer Willensanstrengung für den Zeitraum bis zum 12. November 2021 noch verfügt hat, wenn die Sachverständige sich u.a. auf die als gravierend beschriebenen Rückzugtendenzen bezieht, die von der Klägerin angegebenen typischen Tagesabläufe zum Zeitpunkt der Begutachtungen jedoch noch diverse Alltagsaktivitäten auch außerhalb der Wohnung der Klägerin beschrieben. Der Senat verkennt insoweit auch nicht den sekundären Krankheitsgewinn der Klägerin, die aufgrund ihrer Beschwerden im Alltag von ihrem Ehemann unterstützt wurde. Vor diesem Hintergrund hätte es einer nachvollziehbaren Konsistenzprüfung des klägerischen Vortrags bedurft, welcher der Begutachtung durch die Sachverständige L. nicht zu entnehmen ist. Für den Senat ergab sich auch kein objektiv nach außen hin dokumentierter Leidensdruck der Klägerin, der als Indiz für eine gravierende Beeinträchtigung ihrer Lebensgestaltung bereits vor dem 12. November 2021 herangezogen werden könnte. Eine Intensivierung der medikamentösen Behandlung und der psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlung sowie ein erneuter stationärer Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik wurden nach dem Aufenthalt in der Klinik Hohe Mark weder von der Klägerin noch von ihren behandelnden Ärzten eingeleitet. Auch dies spricht aus Sicht des Senats nicht für den Nachweis einer durchgehenden Erwerbsminderung ab Beginn der Behandlung in der Klinik Hohe Mark, d.h. ab dem 6. Februar 2019, wie zuletzt vom Sozialgericht zugrunde gelegt.
Insgesamt hat sich das Leistungsvermögen der Klägerin im Laufe des Verfahrens fortlaufend reduziert. Der Senat ist jedoch nicht im Sinne des Vollbeweises davon überzeugt, dass die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin aufgrund ihrer rezidivierenden Depression bereits vor dem 12. November 2021 derart gravierend waren, dass hierauf die Annahme einer rentenrelevanten Minderung des Leistungsvermögens der Klägerin gestützt werden könnte.
Auf orthopädischem Fachgebiet leidet die Klägerin unter einem chronischen Brustwirbelsäulensyndrom. Hieraus ergeben sich nachvollziehbar Beeinträchtigungen des Bewegungsapparats der Klägerin, die allerdings eine Minderung ihres zeitlichen Leistungsvermögens nicht rechtfertigen. Über die für eine leidensgerechte Tätigkeit zu beachtenden qualitativen Leistungseinschränkungen hinaus ergeben sich für den Senat keine Anhaltspunkte dafür, dass die orthopädischen Beschwerden der Klägerin eine Minderung ihres zeitlichen Leistungsvermögens für leichte Arbeiten zu rechtfertigen vermögen.
Die darüber hinaus bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen in Form einer Migräne und einer Hypothyreose nach Thyreoidektomie vermögen ihr Restleistungsvermögen allenfalls qualitativ zu beeinträchtigen. Konkrete Funktionsbeeinträchtigungen mit Einfluss auf das zeitliche Leistungsvermögen ergeben sich auch hieraus nicht.
Der Senat hat keine Bedenken, den Gutachten des Dr. F. und des Dr. H. hinsichtlich der Beurteilung des Leistungsvermögens zum Zeitpunkt ihrer Untersuchungen zu folgen. Die Gutachten beruhen auf einer ausführlichen Untersuchung der Klägerin und berücksichtigen die Beschwerden der Klägerin sowie die vorhandenen medizinischen Unterlagen. Die Beurteilung des Leistungsvermögens ist nach den erhobenen Befunden überzeugend; Widersprüche zwischen Befunderhebung und Beurteilung des Leistungsvermögens sind nicht ersichtlich.
Der Nachweis einer vollen oder teilweisen Erwerbsminderung vor dem 12. November 2021 ergibt sich auch nicht aus dem sonstigen medizinischen Berichtswesen, insbesondere nicht aus den Befundberichten der behandelnden Ärzte der Klägerin. Die Befundberichte und ärztlichen Stellungnahmen, insbesondere die Befundberichte der behandelnden Dipl.-Psych. C., lassen bereits nicht in hinreichendem Maße erkennen, inwieweit die dort beschriebenen Befunde allein oder zumindest maßgeblich auf die subjektiven Angaben der Klägerin gestützt wurden. Ebenso fehlt es an einer sozialmedizinischen Einordnung des verbliebenen Restleistungsvermögens der Klägerin sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht. Maßgeblich ist insoweit die Erwerbsfähigkeit, d.h. eine Bezugnahme auf leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, nicht eine mögliche Arbeitsunfähigkeit der Klägerin. Bei allen Befundberichten ist zu berücksichtigen, dass aus den reinen Diagnosen der Gesundheitsbeeinträchtigungen der Klägerin für den Senat keine konkreten, für das rentenrechtliche Leistungsvermögen maßgeblichen Funktionsbeeinträchtigungen abgeleitet werden können. Den Befundberichten mangelt es an einer Beschreibung solcher konkreten Funktionsbeeinträchtigungen mit Einfluss auf das zeitliche Leistungsvermögen, um die entgegenstehenden Gutachten des Dr. F. und des Dr. H. zu entkräften.
Anhaltspunkte für das Vorliegen weiterer, in den vorliegenden Gutachten oder im sonstigen medizinischen Berichtswesen bislang nicht berücksichtigter Gesundheitsbeeinträchtigungen mit ernsthaft ins Gewicht fallendem erwerbsmindernden Dauereinfluss, aufgrund derer eine andere Sicht der Dinge geboten erscheinen könnte, sind weder von der Klägerin aufgezeigt worden noch sonst erkennbar. Der Senat hält damit den Gesundheitszustand und das Leistungsvermögen der Klägerin bis zum 12. November 2021 mit den von medizinischer Seite insgesamt getroffenen Feststellungen für ausreichend aufgeklärt und weitere Begutachtungen von Amts wegen für nicht geboten. Danach steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin bis zum 12. November 2021 noch in der Lage gewesen ist, regelmäßig mindestens sechs Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche leichte Arbeiten mit den genannten qualitativen Einschränkungen zu verrichten.
In Anbetracht des ausgeführten Restleistungsvermögens kann die Klägerin auch im Übrigen nicht damit gehört werden, dass ihre Resterwerbsfähigkeit im Arbeitsleben bis zum 12. November 2021 wegen der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt praktisch nicht mehr verwertbar gewesen sind. Denn es gab zur Überzeugung des Senats auf dem für die Klägerin in Betracht kommenden Arbeitsmarkt noch eine nennenswerte Zahl von Tätigkeiten, die sie trotz ihres eingeschränkten Leistungsvermögens hat ausüben können. Unter Berücksichtigung des festgestellten Leistungsvermögens lagen bei der Klägerin insbesondere auch keine ins Gewicht fallenden besonderen Umstände vor, welche die Ausübung einer leichten körperlichen Tätigkeit in ungewöhnlicher Weise erschwerten. Insoweit bedarf es im Rahmen der – bezüglich des hier streitigen Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung allein maßgeblichen – Frage nach dem Bestehen realer Erwerbsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsfeld einer besonders eingehenden Prüfung lediglich dann, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine spezifische Leistungsbehinderung festgestellt ist (vgl. BSG, Urteil vom 1. März 1984, 4 RJ 43/83, mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 30. November 1982, 4 RJ 1/82) oder wenn der Rentenbewerber wegen eines besonders gearteten Berufslebens deutlich aus dem Kreis vergleichbarer Versicherter heraus fällt (vgl. BSG, Urteile vom 27. April 1982, 1 RJ 132/80 sowie vom 18. Februar 1981, 1 RJ 124/79). Derart gravierende Einschränkungen lagen bei der Klägerin nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vor.
Ob die für die Klägerin in Betracht kommenden Arbeitsplätze bis zum 12. November 2021 frei waren oder besetzt, ist für die Entscheidung des vorliegenden Falles unerheblich, denn die Erwerbsfähigkeit von Versicherten, die wie die Klägerin noch zumindest sechs Stunden arbeitstäglich einsatzfähig gewesen sind, hängt nicht davon ab, ob das Vorhandensein von für sie offenen Arbeitsplätzen für die in Betracht kommenden Erwerbstätigkeiten konkret festgestellt werden kann oder nicht. Der im Sinne der sog. konkreten Betrachtungsweise auf die tatsächliche Verwertbarkeit der Resterwerbsfähigkeit abstellende Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG, Beschluss vom 10. Dezember 1976, GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75 u. GS 3/76, BSGE 43, 75-86) kann bei Versicherten, die noch zumindest sechs Stunden arbeitstäglich einsatzfähig sind, grundsätzlich nicht herangezogen werden. Das hat der Gesetzgeber in § 43 Abs. 3 SGB VI nochmals ausdrücklich mit dem Hinweis darauf klargestellt, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer – ungeachtet der jeweiligen Arbeitsmarktlage – unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Ausnahmen können allenfalls dann in Betracht kommen, wenn ein Versicherter außerstande ist, Arbeitsplätze dieser Art von seiner Wohnung aus aufzusuchen (vgl. BSG, Urteil vom 27. Februar 1980, 1 RJ 32/79). Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben.
Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nach § 101 Abs. 1 SGB VI nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet. Der siebte Kalendermonat nach Eintritt der nachgewiesenen Erwerbsminderung am 12. November 2021 begann am 1. Juni 2022. Ein früherer Anspruch auf Leistungsgewährung ergibt sich auch nicht aus dem Vorliegen eines Anspruchs der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung auf Dauer. Ein solcher Anspruch ist durch das Sozialgericht bereits rechtskräftig abgelehnt worden. Im Übrigen erscheint es für den Senat auch nicht unwahrscheinlich, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin behoben werden kann. So bleiben neben der Aufnahme einer intensivierten Psychotherapie und einer engmaschigeren psychiatrischen Behandlung als bisher mit Anpassung der medikamentösen Behandlung sowie die Inanspruchnahme einer stationären Behandlung valide Behandlungsoptionen, die eine Besserung des psychischen Gesundheitszustands der Klägerin nicht unwahrscheinlich erscheinen lassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei war zu berücksichtigen, dass die Beklagte nach der Feststellung des Eintritts einer Erwerbsminderung im laufenden erstinstanzlichen Verfahren durch die Sachverständige L. unverzüglich den Eintritt eines Leistungsfalls zum Zeitpunkt ihrer Untersuchung am 12. November 2021 in der Sache anerkannt hat. Nach dem auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbaren Rechtsgedanken des § 93 Zivilprozessordnung (ZPO) wäre es danach unbillig, die Beklagte auch nur anteilig mit den Kosten des Verfahrens zu belasten.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.