Kurzarbeitergeld-Anspruch: Gerichtsurteil zu Ausschlussfristen
Das Sozialgericht Mannheim wies die Klage einer Einzelhändlerin auf Gewährung von Kurzarbeitergeld für Januar 2021 ab, da der Antrag nach der dreimonatigen Ausschlussfrist eingegangen war. Trotz Einwände der Klägerin hinsichtlich Verzögerungen im Postweg und der Verarbeitung durch einen Scandienstleister urteilte das Gericht, dass die Fristversäumnis nicht der Beklagten anzulasten sei und die Klägerin das volle Risiko der Postbeförderung trage.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Die zentralen Punkte aus dem Urteil:
- Abweisung der Klage: Die Klage auf Kurzarbeitergeld und pauschalierte Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen wurde abgewiesen.
- Ausschlussfrist: Der Antrag wurde nach Ablauf der dreimonatigen Ausschlussfrist gestellt.
- Postweg und Frist: Verzögerungen auf dem Postweg und bei der Verarbeitung durch den Scandienstleister wurden nicht als Grund für eine Fristverlängerung anerkannt.
- Tragung des Übermittlungsrisikos: Die Klägerin trägt das volle Risiko der Postbeförderung.
- Keine Wiedereinsetzung: Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumnis ist rechtlich nicht möglich.
- Beweislast: Die Beweislast für einen fristgerechten Zugang des Leistungsantrags lag bei der Klägerin.
- Keine Rechtsmissbräuchlichkeit: Die Berufung der Beklagten auf den Fristablauf wurde nicht als rechtsmissbräuchlich betrachtet.
- Kein Anspruch auf Leistungen: Da kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld besteht, scheidet auch die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen aus.
Übersicht
- Kurzarbeitergeld-Anspruch: Gerichtsurteil zu Ausschlussfristen
- ✔ Das Wichtigste in Kürze
- Kurzarbeitergeld und Ausschlussfristen: Ein rechtlicher Diskurs
- Streit um Kurzarbeitergeld: Fristgerechte Beantragung vor Gericht
- Problematik der Ausschlussfrist: Kern der Auseinandersetzung
- Gerichtliche Bewertung der Fristwahrung und Beweislast
- Abschlussbetrachtungen: Kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld
- ✔ Wichtige Begriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Kurzarbeitergeld und Ausschlussfristen: Ein rechtlicher Diskurs
Im Fokus der juristischen Auseinandersetzung steht das Kurzarbeitergeld, eine essentielle Unterstützungsleistung für Unternehmen in Krisenzeiten. Dabei spielt die Einhaltung von Ausschlussfristen eine entscheidende Rolle. Diese Fristen definieren den Zeitrahmen, in dem Anträge auf Kurzarbeitergeld gestellt werden müssen, um rechtliche Ansprüche geltend machen zu können. Das Thema gewinnt insbesondere bei Arbeitsausfall in Unternehmen an Brisanz und stellt sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer eine rechtliche Herausforderung dar.
Die Komplexität der Materie offenbart sich in der genauen Betrachtung der Fristversäumnisse und den damit verbundenen rechtlichen Konsequenzen. Dies betrifft sowohl die Frage, wie mit verspätet eingereichten Anträgen umgegangen wird, als auch die Beweislast bei der Geltendmachung von Sozialversicherungsbeiträgen. Die daraus resultierenden gerichtlichen Auseinandersetzungen bieten tiefe Einblicke in die Arbeitsweise der Justiz im sozialrechtlichen Kontext. Im nächsten Abschnitt erwartet Sie eine detaillierte Analyse eines konkreten Urteils, das diese Thematik veranschaulicht und wesentliche Fragen aufwirft. Tauchen Sie ein in die Welt des Sozialrechts und entdecken Sie die spannenden Aspekte dieses juristischen Falles.
Streit um Kurzarbeitergeld: Fristgerechte Beantragung vor Gericht
Im Zentrum des juristischen Streits steht die Klage eines Einzelhandelsunternehmens, das gegenüber der Beklagten, einer Agentur für Arbeit, Ansprüche auf Kurzarbeitergeld und die pauschalierte Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen für Januar 2021 geltend macht. Auslöser war der Arbeitsausfall im Dezember 2020, aufgrund dessen das Unternehmen eine Reduzierung der Arbeitszeit für den Gesamtbetrieb ankündigte. Nachdem die Beklagte die Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld als erfüllt ansah, wurde dies ab Dezember 2020 bis maximal Ende März 2021 zugesagt, unter der Bedingung, dass die Arbeitnehmer die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllen.
Problematik der Ausschlussfrist: Kern der Auseinandersetzung
Der Konflikt entzündete sich an der Einhaltung der Ausschlussfrist für die Beantragung des Kurzarbeitergeldes. Die Klägerin reichte den Antrag am 19. April 2021 ein, dokumentiert durch das Postausgangsbuch ihrer Steuerberatungsgesellschaft. Die Beklagte erhielt den Antrag jedoch erst am 6. Mai 2021, wie der maschinelle Eingangsstempel belegt. Die Beklagte lehnte daraufhin die Zahlung ab, da die dreimonatige Ausschlussfrist bereits am 30. April 2021 abgelaufen war, was im Einklang mit § 325 Abs. 3 SGB III steht. Diese Entscheidung führte zur Klageerhebung vor dem Sozialgericht Mannheim.
Gerichtliche Bewertung der Fristwahrung und Beweislast
Das Gericht musste klären, ob der Leistungsantrag fristgerecht bei der Beklagten eingegangen ist. Hierbei spielte die Beweislast eine entscheidende Rolle. Grundsätzlich liegt die Beweislast für einen fristgerechten Zugang des Antrags bei der Klägerin. Das Gericht folgte der Argumentation der Beklagten, dass der Antrag erst nach Ablauf der Frist eingegangen sei. Die Beklagte legte dar, dass die Poststücke mit der Großempfänger-Postleitzahl direkt an den Scandienstleister geleitet und dort digitalisiert werden, was keinen Einfluss auf die übliche Postlaufzeit habe. Die Aussage, dass alle Sendungen taggleich bearbeitet werden, stärkte die Position der Beklagten.
Abschlussbetrachtungen: Kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld
Schlussendlich wurde die Klage abgewiesen, da das Gericht keinen fristgerechten Zugang des Antrags feststellen konnte. Die Argumentation, dass der Scanaufdruck kein Posteingangsstempel sei und daher nicht das tatsächliche Posteingangsdatum darstelle, fand beim Gericht keinen Anklang. Ebenso wurde der geltend gemachte sozialrechtliche Herstellungsanspruch abgelehnt, da die Beklagte ihre Beratungspflichten nicht verletzt habe. Infolgedessen wurde entschieden, dass der Klägerin kein Kurzarbeitergeld für den Monat Januar 2021 zusteht. Dies umfasst auch den Anspruch auf pauschalierte Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge, da diese eine Annexleistung zum Kurzarbeitergeld darstellen.
Das Urteil verdeutlicht die Bedeutung der strikten Einhaltung von Ausschlussfristen im Sozialrecht und betont die Verantwortung der Antragsteller, sich über die postalische Beförderung und die damit verbundenen Risiken im Klaren zu sein.
✔ Wichtige Begriffe kurz erklärt
Welche Rolle spielen Sozialversicherungsbeiträge bei Kurzarbeitergeld?
Sozialversicherungsbeiträge spielen eine wichtige Rolle beim Kurzarbeitergeld. Während der Kurzarbeit erstattet die Bundesagentur für Arbeit die Sozialversicherungsbeiträge. Wenn für das ausfallende Arbeitsentgelt Kurzarbeitergeld gezahlt wird, muss der Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge sowie den Zusatzbeitrag der Krankenkassen für das fiktive Arbeitsentgelt allein tragen. Die Bemessungsgrundlage für die Höhe der Beiträge sind 80 Prozent der Bruttoentgeltdifferenz. Für das während des Bezugs von Kurzarbeitergeld erzielte Arbeitsentgelt (Kurzlohn) erfolgt die Beitragsabführung mit den Anteilen des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers.
Das vorliegende Urteil
SG Mannheim – Az.: S 6 AL 1786/21 – Urteil vom 23.02.2023
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin macht einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld und eine pauschalierte Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen für den Monat Januar 2021 gegenüber der Beklagten geltend.
Die Klägerin betreibt einen Einzelhandel mit … . Am 30.12.2020 ging bei der Beklagten eine Anzeige über Arbeitsausfall im Betrieb der Klägerin bei der Beklagten ein. Es wurde angezeigt, dass die regelmäßige betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit mit Wirkung des Monats Dezember 2020 bis voraussichtlich Januar 2021 für den Gesamtbetrieb herabgesetzt werde.
Mit Bescheid vom 12.01.2021 stellte die Beklagte fest, dass aufgrund der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen ein erheblicher Arbeitsausfall vorliege und die betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld erfüllt seien (§ 99 Abs. 3 Sozialgesetzbuch/Arbeitsförderung – SGB III i.V.m. §§ 95, 96 und 97 SGB III). Kurzarbeitergeld werde deshalb den von dem Entgeltausfall betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des klägerischen Betriebes ab dem 01.12.2020 für die Zeit des Vorliegens aller Anspruchsvoraussetzungen, längstens jedoch bis zum 31.03.2021 unter der Voraussetzung bewilligt, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllten (§ 98 SGB III). Das Kurzarbeitergeld sei jeweils für den Anspruchszeitraum (Kalendermonat) zu beantragen. Die Anträge müssten innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten zur Vermeidung von Rechtsnachteilen bei der … eingereicht werden. Die Ausschlussfrist beginne mit Ablauf des Kalendermonats, für den Kurzarbeitergeld beantragt werde. Aufgrund von Anträgen, die nach Ablauf der jeweils maßgeblichen Ausschlussfrist bei der Agentur für Arbeit eingingen, könnten keine Leistungen gewährt werden.
Im Anschluss stellte die Klägerin einen am 19.04.2021 unterschriebenen Antrag auf Kurzarbeitergeld und pauschalierte Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge für die Bezieher von Kurzarbeitergeld für den Monat Januar 2021 über einen Gesamtbetrag von 19.382,84 €. Der Antrag wurde an die Beklagte über deren Großempfänger-Postleitzahl versandt. Auf dem Antrag findet sich ein maschineller Eingangsstempel der Beklagten vom 06.05.2021.
Mit E-Mail vom 25.05.2021 übersandte die für die Klägerin tätige Steuerberatungsgesellschaft der Beklagten einen Scan des Postausgangsbuches vom 19.04.2021 und teilte dieser mit, dass nach dem Auszug aus dem Postausgangsbuch vom 19.04.2021 alle die Klägerin betreffenden Leistungsanträge an die jeweilig zuständigen Agenturen im Postausgangsbuch an diesem Tag erfasst und zur Post aufgegeben worden seien.
Mit Bescheid vom 26.05.2021 lehnte die Beklagte den Leistungsantrag der Klägerin ab. Gemäß § 325 Abs. 3 SGB III sei Kurzarbeitergeld für den jeweiligen Kalendermonat innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Kalendermonaten zu beantragen. Die Frist beginne mit Ablauf des Monats, in dem die Tage lägen, für den die Leistung beantragt werde. Für den am 06.05.2021 bei der Beklagten eingegangenen Leistungsantrag habe die Ausschlussfrist damit am 30.04.2021 geendet.
Die für die Klägerin tätige Steuerberatungsgesellschaft übersandte daraufhin per E-Mail das Schreiben der Klägerin vom 19.04.2021, ausweislich dessen sie die unterschriebenen Kurzarbeitergeldanträge für Januar 2021 unter anderem für den Firmensitz … an diesem Tag der Steuerberatungsgesellschaft übersandt habe. Das Schreiben sei im Posteingangsbuch erfasst. Die Anträge seien sofort weitergeleitet worden.
Am 17.06.2021 legte die Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 26.05.2021 Widerspruch ein. Der Leistungsantrag sei nicht verspätet zugegangen. Er sei am 19.04.2021 auf dem Postweg an die … versandt worden. Der Antrag sei von einer Mitarbeiterin der betrauten Steuerberatungsgesellschaft vor der Abendleerung um 17:00 Uhr in den Briefkasten … eingeworfen worden. Die postalische Versendung sei ordnungsgemäß im Postausgangsbuch dokumentiert worden.
Nach telefonischer Auskunft des zuständigen Sachbearbeiters bei …sei als Eingangsdatum auf den Leistungsanträgen das Datum des Scan-Zentrums in Berlin maßgeblich. Die für die … eingehenden Briefe würden direkt in das Scan-Zentrum nach … weitergeleitet und dort sei der Leistungsantrag am 06.05.2021 eingegangen. Diese internen Organisationsvorgaben seien jedoch nicht entscheidungserheblich. Denn mit dem Eingang in dem angegebenen und genutzten Postfach der Beklagten sei der Leistungsantrag in ihren Verfügungsbereich gelangt und ihr damit zugegangen. Agenturinterne Abläufe zur elektronischen Erfassung von Anträgen stünden einem Eingang nach § 130 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) nicht entgegen. Bei einer postalischen Versendung am 19.04.2021, also zwei Wochen vor Ablauf der Ausschlussfrist, sei davon auszugehen, dass unter Annahme der üblichen Postlaufzeiten eine Zustellung an den Empfänger erfolgreich erfolgt sei. Dies gelte umso mehr, als die zusammen mit dem streitigen Antrag zur Post aufgegebenen weiteren Leistungsanträge fristgemäß eingingen.
Hilfsweise werde die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 Sozialgesetzbuch/Verwaltungsverfahren (SGB X) beantragt, da ein verzögerter Postlauf, der zu einer Fristversäumnis führe, nicht vorwerfbar sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21.06.2021 wies die Beklagte den klägerischen Widerspruch zurück. Sie wiederholt zunächst die Ausführungen des Ablehnungsbescheides vom 26.05.2022 hinsichtlich der versäumten Ausschlussfrist des § 325 Abs. 3 SGB III. Der Leistungsantrag sei erst am 06.05.2021 und damit nach Ablauf der Frist am 30.04.2021 eingegangen.
An die Großempfänger-Postleitzahl der Agentur für Arbeit adressierte Poststücke würden direkt dem Scandienstleister der Agentur für Arbeit zur Digitalisierung zugeleitet (Routingpost (= DR). Der Antrag auf Kurzarbeitergeld für Januar 2021 sei bei der Agentur für Arbeit als Routingpost am 06.05.2021 eingegangen, was anhand der codierten Auftragsart DR zu erkennen sei. Bei dem mit den ersten 8 Ziffern codierten Datum handele es sich um das Posteingangsdatum. Die Dokumentation im Postausgangsbuch des Steuerberaterbüros sei als Nachweis für die rechtzeitige Beantragung von Kurzarbeitergeld im Übrigen nicht ausreichend. Bei der Antragstellung trage der Arbeitgeber das Risiko der Postbeförderung. Verzögerungen auf dem Postweg gingen deshalb zu seinen Lasten.
Die Ausschlussfrist des §325 Absatz 3 SGB III sei eine materiell-rechtliche Frist, gegen deren Versäumung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 05.02.2004 – B 11 AL 47/03 R).
Am 19.07.2021 hat die Klägerin zum Sozialgericht Mannheim Klage erhoben.
Der Leistungsantrag auf Zahlung des Kurzarbeitergeldes für den streitigen Abrechnungszeitraum Januar 2021 sei stellvertretend für die Klägerin von dem Steuerberaterbüro … am 19.04.2021 auf dem Postweg an die Beklagte versandt worden. In der Sendung seien Anträge für insgesamt sieben Betriebe bzw. Betriebsstandorte der Unternehmensgruppe der Klägerin enthalten gewesen. Die postalische Versendung sei laut dem Postausgangsbuch des Steuerberaters taggleich versandt worden. Entgegen des Vortrags der Beklagten erscheine es nach allgemeiner Lebenserfahrung als unwahrscheinlich und werde ausdrücklich bestritten, dass das Scandatum … das tatsächliche Posteingangsdatum darstelle. Wegen des erheblichen Anfalls an Einzeldokumenten in einem Krisenzeitraum mit erheblichen organisatorischen Anforderungen widerspräche es der Lebenserfahrung, dass die Beklagte einen derartigen zeitlichen Ablauf grundsätzlich und vor allem gesichert organisieren könne. Es werde mit Nichtwissen bestritten, dass die personellen und technischen Kapazitäten des Scandienstleisters ausreichten, um stets und zuverlässig eine taggleiche Postbearbeitung sicherzustellen. Mangels Kenntnis und Information durch die Beklagte habe die Klägerin sich nicht auf einen möglicherweise verlängerten Zustellweg mit zusätzlichen Fehlerquellen einstellen können.
Im Ergebnis könne von einem Ablauf der Ausschlussfrist des § 325 Abs. 3 SGB III seit Ablauf des Antragsmonats zum Zeitpunkt des Zugangs des Leistungsantrags bei der Beklagten nicht ausgegangen werden. Der Antrag sei bereits fristgerecht zugegangen. Diesbezüglich sei in Anbetracht der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalles eine Beweislastumkehr anzunehmen, da eine besondere Beweisnähe zur Beklagten bestehe. Denn es obliege der Beklagten, ihren Herrschaftsbereich so zu organisieren, dass der Eingangszeitpunkt fristgebundener Anträge bei ihr jederzeit beweissicher dokumentiert sei. Der Beweis eines verspäteten Zugangs sei der Beklagten nicht gelungen. Denn ein Scanaufdruck sei kein Posteingangsstempel. Er dokumentiere nicht das Datum des Posteingangs, sondern das Datum des Scanvorgangs. Es sei nicht gewährleistet, dass der Scanvorgang an demselben Tag erfolgt wie die Abholung der Post im Briefzentrum. So sei die Annahme gerechtfertigt, dass der Leistungsantrag zwar noch im April 2021 für die Beklagte im … hinterlegt, von dort aber erst am 06.05.2021 abgeholt wurde.
Jedenfalls stehe der Klägerin ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch gegen die Beklagte zu mit der Folge, dass sich die Beklagte nicht auf den behaupteten verspäteten Zugang des Leistungsantrags berufen könne. Die Beklagte als Sozialleistungsträger habe gegenüber der Klägerin eine Nebenpflicht, nämlich die zur Auskunft und Belehrung, verletzt. Es habe ein Anlass zu einer sogenannten Spontanberatung über das erhöhte Verzögerungs- und Verlustrisiko eingereichter Anträge durch Einschaltung eines externen Scandienstleisters in Berlin bestanden.
Schließlich sei es rechtsmissbräuchlich, dass die Beklagte sich angesichts der im Abrechnungszeitraum Januar 2021 in Deutschland herrschenden pandemischen Sondersituation auf den Fristablauf berufe.
Die Klägerin beantragt, den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 26.05.2021 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 21.06.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die mit Antrag vom 19.04.2021 beantragten Erstattungen für Kurzarbeitergeld und Sozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum Januar 2021 in Höhe von EUR 19.382,84 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Digitalisierung des Schriftgutes der Beklagten erfolge durch … . Die Routingpost werde durch den Scandienstleister zweimal an jedem Arbeitstag vom Briefzentrum abgeholt und direkt in das zugeordnete Scanzentrum befördert. Als Eingangsdatum werde das Datum des Eingangs im Scanzentrum vermerkt. Dies entspreche dem Eingang eines Poststückes auf üblichem Weg in eine Dienststelle der Beklagten. Auch dort wäre, entgegen der Ausführungen des Bevollmächtigten der Klägerin, als Eingang nicht der Eingang im Briefzentrum der Post, sondern bei der Beklagten dokumentiert worden, sodass von einer gleichen Postlaufzeit auszugehen sei. Entgegen der Behauptungen der Klägerin sei sichergestellt, dass in den vier Rechenzentren, die exklusiv durch … für die Beklagte betrieben würden, ein entsprechendes Volumen verarbeitet werden könne.
Eine rechtsmissbräuchliche Berufung auf den Fristablauf liege jedenfalls dann nicht vor, wenn die Leistung erst spät beantragt werde und in den folgenden Wochen auch nicht bei der Beklagten nachgefragt werde, wo das Geld bleibe (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27.08.2019 – L 7 AL 124/18).
Nach entsprechender Recherche habe festgestellt werden können, dass die strittige Sendung vom 19.04.2021 sich in einem Verarbeitungsbehälter mit verschiedenen Schreiben anderer Kunden befunden habe, die allesamt von Anfang Mai 2021 datierten. Nach einer Recherche im Briefzentrum wurde durch den Scandienstleister festgestellt, dass ab Mitte April 2021 (nach Ostern) alle Mitarbeitenden vor Ort waren und es keine Rückstände und keine nachweisbaren Unregelmäßigkeiten gegeben habe.
Auf gerichtliche Anfrage hat … unter dem 07.03.2022 mitgeteilt, dass die Bearbeitung im Scanzentrum … keine zeitliche Verzögerung in der Zustellung der an die Beklagte gerichteten Poststücke bedeute. Durch die automatische Umleitung der Empfänger-Postleitzahl im Briefstrom am Eingangsbriefzentrum gehe der Brief ohne längere Laufzeit gegenüber einer „normalen“ Sendung im für den Standort des Scan-Zentrums zuständigen Ausgangsbriefzentrum ein. Die Abholung der Poststücke am Briefzentrum erfolge zweimal täglich nach der Sortierung der Sendungen im Briefzentrum. Dies gelte als Eingangstag für den Zugang der Schriftstücke bei den Dienststellen der … . Die Verarbeitung, also das Scannen und das Übergeben der hieraus resultierenden, signierten Datensätze, sei vertraglich so geregelt, dass dies für Routingpost bis spätestens 20:00 Uhr des Eingangstages erfolgen müsse. Der Eingangstag werde im Scanzentrum bei der nachfolgend beschriebenen taggleichen Digitalisierung oben rechts auf den Blättern aufgebracht. Das Aufbringen erfolge in einem automatisierten Prozess beim Scannen. Die Übergabe an das Scan-Zentrum und die Erfassung der Routingpost im Scan-Zentrum erfolgten immer am Tag des Eingangs im Briefzentrum. Sollte es zu Rückständen in der Verarbeitung kommen, werde im Prozess sichergestellt, dass für die Aufbringung des Posteingangsdatums immer das Datum des Eingangs der Schriftstücke im Scan-Zentrum, also Übergabe vom Briefzentrum, und nicht das Digitalisierungsdatum verwendet werde. Gemäß den Anforderungen … erfolge die Eingangsregistrierung immer taggleich beim Eingang der Schriftstücke im Scan-Zentrum.
Die Beteiligten haben sich mit einer gerichtlichen Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht entscheidet den Rechtsstreit im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 und Abs. 4 SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist indes nicht begründet.
Gemäß § 325 Abs. 3 SGB III in der hier maßgeblichen Fassung vom 03.12.2020 (BGBl. I, S. 2691) sind Kurzarbeitergeld und ergänzende Leistungen nach § 102 SGB III für den jeweiligen Kalendermonat innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Kalendermonaten zu beantragen; die Frist beginnt mit Ablauf des Monats, in dem die Tage liegen, für die die Leistungen beantragt werden. Der Antrag wird als Willenserklärung erst in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er der Arbeitsagentur zugeht (§ 130 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch). Der Antragsteller trägt somit ohne Rücksicht auf ein etwaiges Verschulden das volle Übermittlungsrisiko der Postbeförderung (BSG, Urteil vom 21. 02.1993 – 7 RAr 74/89). Wegen des Charakters als Ausschlussfrist kommt bei Fristversäumnis eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht (BSG, Urteil vom 05.02.2004 – B 11 AL 47/03 R; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 16.09.2022 – L 7 AL 193/21; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27.08.2019 – L 7 AL 124/18; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 16.02.2011 – L 3 AL 2195/10;vgl. Siefert, in: Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 27 Rn. 45). Auch die Zulassung einer verspäteten Antragstellung bei Versäumung der Frist aus nicht selbst zu vertretenden Gründen gem. § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III kommt nicht in Betracht. Diese Vorschrift bezieht sich ausschließlich auf die Beantragung von Insolvenzgeld (§ 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III).
Die Klägerin hat die Frist des § 325 Abs. 3 SGB III nicht eingehalten. Diese endet mit Ablauf des dritten Monats nach Ablauf des Anspruchszeitraums, also für die im anhängigen Rechtsstreit streitgegenständlichen Leistungen für Januar 2021 am 30.04.2021. Der Antrag der Klägerin für diesen Abrechnungsmonat ist aber verspätet erst im Mai 2021 eingegangen. Einen früheren Zugang kann die Kammer nicht feststellen.
Das Eingangsdatum geht aus dem Aufdruck oben rechts auf dem eingescannten Dokument hervor. Der Antrag enthält oben den Aufdruck „…“. Dabei steht die Zahlenfolge … für den 06.05.2021. Die Buchstabenfolge … bedeutet, dass das Dokument im Scanzentrum … als Routingpost … mit einer internen Kennzeichnung des Scandienstleisters … unter einer fortlaufenden Nummer … eingescannt wurde.
Grundsätzlich obliegt die Beweislast für einen früheren, insbesondere fristgerechten Zugang des Leistungsantrags bei der Beklagten der Klägerin. Denn nach den allgemeinen Regeln zu objektiven Beweislast gilt der Grundsatz, dass jeder im Rahmen des anzuwendenden materiellen Rechts die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (vgl. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 103 Rn. 19 a). Für einen Zugang des Leistungsantrags bei der Beklagten bis zum 30.04.2021 trägt mithin die Klägerin die objektive Beweislast. Ob – wie vom Klägerbevollmächtigten behauptet – eine Beweislastumkehr dahingehend zu erfolgen hat, dass die Beklagte den verspäteten Zugang des Leistungsantrags beweisen muss, weil eine besondere Beweisnähe zu Beklagten bestehe, da es dieser obliege, ihren Herrschaftsbereich so zu organisieren, dass der Eingangszeitpunkt fristgebundener Anträge bei ihr jederzeit beweissicher dokumentiert ist, kann vorliegend dahinstehen. Denn ausweislich des umfänglichen Vortrags der Beteiligten sowie der schriftlichen Auskunft … vom … ist das Gericht davon überzeugt, dass der Leistungsantrag jedenfalls nicht bis zum 30.04.2021, dem letzten Tag der hier maßgeblichen Frist, bei der Beklagten eingegangen ist.
Das Gericht ist davon überzeugt, dass nach dem Einwurf des maßgeblichen Leistungsantrags in den Briefkasten … dieser im Eingangsbriefzentrum … wegen der auf dem Kuvert angegebenen Großempfänger-Postleitzahl ohne Umleitung über ein anderes Briefzentrum direkt dem Postausgangsbriefzentrum am Standort des Scan-Zentrums … zugeleitet wurde. Dort wurde es nach dem angegebenen Empfänger sortiert, in eine Transportbox des Briefzentrums eingelegt und zur Abholung für das Scan-Zentrum bereitgestellt. Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Bereitstellung zur Abholung durch das Ausgangsbriefzentrum nicht vor dem 05.05.2021 erfolgte. Woran dies lag, kann dahinstehen. Denn unabhängig davon, ob die Verzögerung vom Briefkasten zum Eingangsbriefzentrum oder vom Eingangsbriefzentrum zum Ausgangsbriefzentrum oder in den Räumen des Ausgangsbriefszentrums bis zur Bereitstellung zur Abholung erfolgte, ist dies der Beklagten nicht zuzurechnen. Hierbei handelt es sich um den Verantwortungsbereich der Deutschen Post AG. Für die Beförderung durch die Deutsche Post AG trägt der Absender einer Briefsendung, hier also die Klägerin, das volle Risiko (s.o.).
Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Leistungsantrag durch das Scan-Zentrum am 06.05.2021 im Briefausgangszentrum erfolgte. Denn nach Auskunft der Deutschen Post AG vom … und den ergänzenden Ausführungen der Beklagten steht für das Gericht fest, dass zweimal täglich die Posteingänge für die Beklagte im Briefausgangszentrum abgeholt werden. D. h. selbst dann, wenn der Leistungsantrag zur Abholung bereits am 05.05.2021 durch das Briefausgangszentrum bereitgestellt wurde, wäre er spätestens am 06.05.2021 dort abgeholt worden. Das Gericht sieht es als überzeugend an, dass als Eingangsdatum das Datum der Abholung im Briefausgangszentrum auf den jeweiligen Schriftstücken vermerkt wird, nicht aber das Datum des Scan-Vorgangs. Dies wird sowohl durch die Auskunft der Deutschen Post AG als auch die Beklagte bestätigt. Die Deutsche Post AG führt ausdrücklich aus, dass für den Fall, dass der Scan nicht taggleich mit Eingang der Post im Scanzentrum möglich sein sollte, das Eingangsdatum auf dem Schriftstück immer das des Eingangs im Scanzentrum und nicht das Scandatum ist. Denn bei Eingang im Scanzentrum erfolgt eine Sortierung in sogenannte Verarbeitungsbehälter mit einem Laufblatt, auf dem das Eingangsdatum im Scanzentrum steht. Dieses Eingangsdatum wird – auch bei einem späteren – Scannen berücksichtigt. D. h. bei einem Scan am Folgetag wird als Eingangsdatum das Datum des Vortages berücksichtigt. Die Deutsche Post AG stellt ausdrücklich klar, dass das im Scanvorgang auf das Dokument aufgedruckte Datum nicht das Datum der Verarbeitung, sondern das Datum des Eingangs im Scanzentrum ist. Insoweit kann es dahinstehen, dass die Beklagte überzeugend ausführt, dass ab Mitte April 2021 alle Mitarbeitenden vor Ort waren und keine Rückstände oder nachweisbaren Unregelmäßigkeiten vorlagen. Denn selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, wäre bei einem verspäteten Scanvorgang als Datum der Tag des Eingangs im Zentrum bzw. der Abholung im Briefausgangszentrum auf dem Schriftstück vermerkt worden. Anhaltspunkte dafür, dass die zweimal werktägliche Abholung im Briefausgangszentrum gestört war, bestehen nicht. Dies ist seitens der Klägerin auch nicht vorgetragen worden.
Wenn der Klägerbevollmächtigte behauptet, dass als Zugangsdatum bei der Beklagten nicht erst das Datum der Abholung im Briefzentrum, sondern bereits das Datum der Hinterlegung im Briefzentrum anzunehmen ist, folgt das Gericht dieser Ansicht nicht. Denn solange der Postdienstleister die Schriftstücke nicht zur Abholung bereitstellt, was wie nachgewiesen zweimal werktäglich erfolgt, können sie vom Empfänger der Sendung auch nicht abgeholt werden. Hier gestaltet es sich nicht anders als bei der Nutzung eines Postfachs. Auch dort holen Behördenmitarbeiter die Post werktäglich ab und können auf diese erst dann zugreifen, wenn sie in das Postfach eingelegt wird. Verzögerungen zuvor sind dem Postdienstleister, also letztendlich der Klägerin, und nicht der Beklagten zuzurechnen. Unabhängig davon hat die Deutsche Post AG ausgeführt, dass die Übergabe immer am Tag des Eingangs im Briefzentrum erfolgt und die Eingangsregistrierung immer am Tag der Übernahme durch den Empfänger, hier die Beklagte. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass die Post mehrere Tage im Briefzentrum in einer Transportbox gesammelt wird, wie vom Klägerbevollmächtigten vorgetragen, und dann erst zur Abholung bereitgestellt wird, gilt hier auch das oben Gesagte. Dies unterfällt dem Verantwortungsbereich des Postdienstleisters bzw. letztendlich der Klägerin und ist nicht zulasten der Beklagten zu werten. Dass die Klägerin keine Information über die Postumleitung bzw. die Abholintervalle im Briefausgangszentrum hatte und im Übrigen weitere Post der Klägerin bei der Beklagten überhaupt nicht eingegangen ist, ändert an der Einschätzung des Gerichts nichts. Denn wie dargelegt bedeutet die unmittelbare Umleitung der Post im Eingangsbriefzentrum zum Ausgangsbriefzentrum am Ort des Scan-Dienstleisters keinerlei zeitliche Verzögerung und kann der Verlust von Poststücken Ursachen haben, die auch im Verantwortungsbereich der Klägerin oder des Postdienstleisters liegen. Nach allgemeiner Lebenserfahrung und aktueller Berichterstattung in den öffentlich-rechtlich Nachrichten kommt es in der Vergangenheit vermehrt zu dem Verlust von Poststücken insbesondere im Bereich der Deutschen Post AG. Dies ist der Beklagten nicht zuzurechnen. Dieses Postbeförderungsrisiko trägt die Klägerin.
Soweit der Kläger Bevollmächtigte die AGB für E-Postscan vorgelegt hat und diesbezüglich auf Verzögerungsmöglichkeiten im Ablauf hinweist, ist der Beklagten dahingehend zuzustimmen, dass diese für das Procedere der Postumleitung für die Beklagte nicht anwendbar sind. Wie sich diesen AGB entnehmen lässt, gelten diese nach deren Ziffer 1 (1) und (2) für Privatkunden bzw. Verbraucher, nicht aber für die Beklagte als Behörde.
Eine Vernehmung der Mitarbeiterinnen der eingeschalteten Steuerberatungsgesellschaft über die Modalitäten, wann genau sie welchen Antrag versandfertig gemacht bzw. in den Briefkasten eingeworfen haben, ist nicht entscheidungserheblich. Klärungsbedürftig ist lediglich, an welchem Tag der Antrag bei der Beklagten eingegangen ist. Der Erklärende kann sich nicht für den Zugang auf einen Anscheinsbeweis berufen, weil allein der Nachweis der Absendung hierfür nicht ausreicht (BGH, Urteil vom 19.01.1978 – IX ZR 204/75; OLG München, Urteil vom 11.08.2003 – 29 W 1912/03). Für den Nachweis des rechtzeitigen Zugangs genügt der Nachweis der Absendung schon deshalb nicht, weil aufgegebene Sendungen teilweise mit erheblicher Verzögerung den Adressaten erreichen. Wenn die Klägerin sich dabei eines postalischen Beförderungsweges bedient, muss sie unabhängig von dem Tag der Abgabe zur Post beweisen, dass der Antrag rechtzeitig eingegangen ist. Dies unabhängig davon, ob auf dem Antrag ein herkömmlicher Stempel oder ein Scanaufdruck aufgebracht wird. Genauso wenig wie die Klägerin vor Einführung der elektronischen Akte von einer Behörde verlangen durfte, dass diese als Nachweis für den Antragsteller irgendwelche Stempel aufbringen muss, kann sie jetzt nicht erwarten, dass anlässlich der elektronischen Aktenbearbeitung irgendwelche Vorkehrungen getroffen werden, damit der Absender von der ihm obliegenden Pflicht eines rechtzeitigen Zugangsnachweises befreit werden kann.
Im Einzelfall kann die Berufung auf den Fristablauf durch die Beklagte rechtsmissbräuchlich sein, wenn zum Beispiel die Einhaltung der Ausschlussfrist für die Verwaltung von geringerer Bedeutung ist und ganz erhebliche langfristig wirkende Interessen des Antragstellers auf dem Spiel stehen (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27.08.2019 – L 7 AL 124/18 unter Hinweis auf Radüge in: Hauck/Noftz, SGB III, Kommentar, § 325 Rdnr. 15; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 16.09.2022 – L 7 193/21). Derartige Umstände werden vorliegend von der Klägerin nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. Gegen eine wirtschaftliche Überforderung der Klägerin als Folge der Nichtgewährung der beantragten Leistungen spricht bereits der Umstand, dass sie das Kurzarbeitergeld, das sie pünktlich im jeweiligen Monat an die Arbeitnehmer vorab auszahlen musste, nicht – wie bei anderen Arbeitgebern üblich – sofort, sondern nach eigenen Angaben erst circa zweieinhalb Monate später beantragt und in den folgenden Wochen auch nicht bei der Beklagten nachgefragt hat, wo das Geld bleibe (ebenso Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27.08.2019 – L 7 AL 124/18; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 16.09.2022 – L 7 AL 193/21). Hieran war die Klägerin auch nicht durch die Corona-Pandemie gehindert, die als unabwendbares Ereignis im Sinne des § 96 Abs. 3 SGB III anzusehen ist. Weder die Corona-Pandemie selbst noch die im Zuge dieser seitens der Behörden verfügten Einschränkungen im Betrieb der Klägerin haben diese daran gehindert, den Antrag für Januar 2021 der zuständigen Agentur für Arbeit bis spätestens 30.04.2021 zukommen zu lassen. Das zeigt bereits der Umstand, dass die Anträge für die Monate davor und auch die Monate danach rechtzeitig eingereicht wurden.
Die Klägerin kann vorliegend auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt werden, als habe sie den Leistungsantrag für Januar 2021 bereits bis spätestens 30.04.2021 gestellt. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch hat u.a. zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 Sozialgesetzbuch/Allgemeine Vorschriften – SGB I), verletzt hat und dadurch dem Betroffenen einen rechtlichen Nachteil zufügt. Das Bundessozialgericht hat dies für einen Fall angenommen, in dem es der ständigen Übung einer Arbeitsagentur entsprach, alle Unternehmen, die einen Arbeitsausfall angezeigt, aber noch keine Anträge gestellt hatten, auf den drohenden Fristablauf aufmerksam zu machen. Durch ein Abrücken von dieser Praxis ohne vorherige Ankündigung habe sich die Arbeitsagentur in Widerspruch zu ihrem früheren Verhalten gesetzt und sich somit pflichtwidrig verhalten (BSG, Urteil vom 23.06.1976 – 12/7 RAr 80/74). So liegt der Fall hier jedoch nicht. Vielmehr hat die Beklagte in ihrem Bescheid vom 12.01.2021 ausdrücklich auf die Ausschlussfrist von drei Monaten hingewiesen. Sie hat somit gerade nicht durch Verletzung einer ihr obliegenden Beratungs- oder Betreuungsplicht die Versäumung der Antragsfrist verursacht. Es ist zudem nicht ihre Aufgabe, nach einem Anerkennungsbescheid vor dem denkbaren Ablauf einer Antragsfrist Betriebe an rechtzeitige Anträge zu erinnern. Eine konkrete Hinweispflicht der Beklagten im vorliegenden Fall auf den fehlenden Antrag für den Monat Januar 2021 bestand somit nicht.
Die Klägerin hat nach alledem keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld für den Monat Januar 2021. Dies betrifft auch den Anspruch auf eine pauschalierte Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge für diesen Monat. Denn hierbei handelt es sich um eine Annexleistung zum Kurzarbeitergeld (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27.08.2019 – L 7 AL 124/18). Besteht kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld, scheidet daher auch die Erstattung von Beiträgen zur Sozialversicherung aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.