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Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen

SG Hamburg – Az.: S 44 AL 257/20 – Urteil vom 16.11.2022

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen.

Die 1960 geborene Klägerin arbeitet seit dem 25.5.2011 als Serviceassistentin im Gesundheitswesen, seit 24.5.2013 unbefristet. Im Nachtrag 5 zum Arbeitsvertrag vom 1.5.2018 war Folgendes geregelt:

„Zu § 4 – Arbeitszeit/Arbeit auf Abruf

(II) Die regelmäßige Arbeitszeit wird ab dem 1.5.2018 auf 15 Stunden/Woche reduziert.

(III) Darüber hinaus erbringt der Arbeitnehmer Arbeit auf Abruf (§ 12 TzBfG) in Höhe von max. 3 Stunden in der Woche.

(IV) Der Arbeitgeber kann je nach Bedarf die zusätzlichen 3 Stunden ganz oder teilweise abrufen, ohne dass er zum Abruf verpflichtet ist. Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf die Vergütung nicht abgerufener Stunden nach Abs. III.

Sämtliche anderen Bestandteile des Arbeitsvertrages vom 30.10.2012 und der Nachträge bleiben ansonsten unberührt.“

Mit Schreiben vom 16.7.2019 teilte die Klägerin ihrem Arbeitgeber mit, an der Fortbildung G. nicht teilnehmen zu wollen. Aufgrund Krankheit und Pflege ihres Mannes wolle sie weiterhin im Raum H. als Serviceassistentin tätig bleiben.

Mit Neufeststellungsbescheid vom 24.9.2019 stellte das Versorgungsamt H1 einen Grad der Behinderung von 40 ab 26.7.2019 fest.

Am 29.11.2019 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Sie führte aus, sie könne ihre seit 25.5.2011 als Serviceassistentin im Gesundheitswesen ausgeübte Tätigkeit mit behinderungsbedingten Einschränkungen weiterhin ausüben. Eine innerbetriebliche Umsetzung sei vorgesehen. Sie habe keinen besonderen Kündigungsschutz und ihr Arbeitsverhältnis sei nicht gekündigt. Weiterhin gab sie an, 15 Stunden wöchentlich und 3 Stunden wöchentlich auf Abruf zu arbeiten. Sie sei wegen Schmerzen und Dranginkontinenz in laufender ärztlicher Behandlung. Ihre Beschäftigung als Serviceassistentin werde es bald nicht mehr geben. Ihr sei eine Weiterbildung zur Pflegeassistenz angeboten worden. Wenn sie dies ablehne, werde sie versetzt, wolle aber gern in H. bleiben, um ihren Mann mit einem Grad der Behinderung von 100 pflegen zu können, weswegen sie nicht weiter wegarbeiten könne. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 7.1.2020 ab. Zur Begründung führte sie aus, der Begriff des Arbeitsplatzes sei in § 156 Abs. 1 SGB IX definiert. Es seien Stellen, auf denen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt würden. Dem behinderten Menschen müsse eine Beschäftigung mit einer Mindeststundenzahl von 18 Stunden wöchentlich möglich sein. Die Prüfung des Antrages habe ergeben, dass die Klägerin momentan eine Tätigkeit von 15 Stunden die Woche ausübe und auf Abruf maximal 3 zusätzliche Stunden in der Woche anfallen könnten. Da es sich hierbei nicht um vertraglich fest vereinbarte 18 Stunden wöchentlich handele, seien die Voraussetzungen auf eine Gleichstellung nicht erfüllt. Mit ihrem Widerspruch vom 17.1.2020 machte die Klägerin geltend, es handele sich bei den 3 Zusatzstunden pro Woche um fest vereinbarte Stunden. Der Umstand, dass diese nur auf Abruf von der Klägerin geleistet würden, bedeute nicht, dass die Ableistung freiwillig wäre. Der Widerspruch blieb erfolglos und wurde durch Widerspruchsbescheid vom 25.5.2020 als unbegründet zurückgewiesen. Die Gleichstellung mit den schwerbehinderten Menschen könne u.a. nur dann ausgesprochen werden, wenn ein Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX aufgrund der Behinderung gefährdet sei. Arbeitsplätze im Sinne des Gesetzes seien nicht Stellen, auf denen Beschäftigte weniger als 18 Stunden wöchentlich beschäftigt würden. Die Klägerin sei als Serviceassistentin mit 15 Stunden wöchentlich bei der A. GmbH beschäftigt. Damit erfülle ihr Arbeitsplatz nicht die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 i.V.m. § 156 Abs. 3 SGB IX. Eine Gleichstellung für diesen Arbeitsplatz könne daher nicht erfolgen. Dabei sei es unerheblich, aus welchen Gründen die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit nicht die geforderten 18 Stunden erreiche. Der Gesetzgeber habe diese wöchentliche Stundenzahl als unabdingbare Voraussetzung der Gleichstellung festgelegt, sodass keine andere Entscheidung getroffen werden könne. Bei einer Änderung der Sachlage könne jederzeit erneut einen Antrag auf Gleichstellung mit den schwerbehinderten Menschen gestellt werden.

Mit ihrer am 29.6.2020 eingereichten Klage begehrt die Klägerin nach wie vor die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Sie hat ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren wiederholt und vertieft. Die Reduzierung der Arbeitszeit durch einen Nachtrag 5 zum Arbeitsvertrag vom 1.3.2018 stelle einen Versuch des Arbeitgebers dar, sich durch eine scheinbare Reduzierung der Arbeitszeit den Verpflichtungen des Schwerbehindertengesetzes zu entziehen. Es komme nicht darauf an, wie viel Stunden die Klägerin tatsächlich gearbeitet habe, sondern auf die rechtlich mögliche Stundenzahl.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 7.1.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.5.2020 zu verurteilen, die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen.

Die Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 27.8 2020, die Klage abzuweisen.

Sie hat auf den Inhalt der Verwaltungsakte sowie die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid verwiesen. Da die Klägerin als Serviceassistentin mit 15 Stunden wöchentlich bei der A. GmbH beschäftigt sei, erfülle ihr Arbeitsplatz nicht die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Gleichstellung. Maßgebend für die Beurteilung des Umfangs der Beschäftigung sei die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit. Diese betrage seit dem 1.5.2018 15 Stunden wöchentlich und damit weniger als die geforderten 18 Stunden. Dass der Arbeitgeber vertraglich berechtigt sei, darüber hinaus zusätzlich 3 Arbeitsstunden in der Woche abzurufen, sei unbeachtlich und werde von dem Arbeitgeber ohnehin nicht abgefordert. Eine Prüfung der weiteren Voraussetzungen einer Gleichstellung sei vorliegend entbehrlich. Eine Gleichstellung könne nicht mit Rationalisierungs- oder Umstrukturierungsmaßnahmen beim Arbeitgeber begründet werden.

Das Gericht hat die Beteiligten vor Erlass des Gerichtsbescheids hierzu angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte der Kammer und die Akte der Beklagten, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§ 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen, da sie keinen Arbeitsplatz i.S.v. § 2 Abs. 3 i.V.m. § 156 Abs. 3 SGB IX inne hat. Das Gericht sieht insoweit von einer vertieften Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 136 Abs. 3 SGG ab. Es verweist stattdessen auf die Begründung des Widerspruchsbescheids vom 25.5.2020. Der Widerspruchsbescheid ist schlüssig und nachvollziehbar. Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, an seiner Richtigkeit zu zweifeln.

Stellen – wie vorliegend –, auf denen Personen mit weniger als 18 Stunden wöchentlich beschäftigt werden, gelten nicht als Arbeitsplätze im Sinne des § 156 Abs. 1 SGB IX. Dahinter steckt der rechtspolitisch nachvollziehbare Gedanke, dass nicht jede geringfügige Beschäftigung zu einer bürokratischen Belastung führen soll. Auszugehen ist dabei von der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit (LPK-SGB IX/Jacob Joussen, 6. Aufl. 2022, SGB IX § 156 Rn. 21). Ausweislich der arbeitsvertraglichen Vereinbarung vom 1.3.2018 (Nachtrag 5 zum Arbeitsvertrag) beträgt die regelmäßige Arbeitszeit ab dem 1.5.2018 15 Stunden wöchentlich. Die theoretische Möglichkeit des Arbeitgebers, zusätzlich bis zu 3 Stunden wöchentlich abzurufen, ändert hieran nichts. Schließlich wird diese Möglichkeit der Erhöhung der Arbeitszeit von dem Arbeitgeber auch nicht abgerufen, sodass offensichtlich regelmäßig kein Bedarf an einer über 15 Stunden wöchentlich hinausgehenden Arbeitszeit besteht.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis der Klägerin auf die Berechtigung des Arbeitgebers und die spiegelbildliche Verpflichtung der Klägerin, weitere 3 Stunden auf Abruf zu arbeiten, wenn der Arbeitgeber dies verlangt. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgehen sollte, dass der vertraglichen Regelung eine unregelmäßige Wochenarbeitszeit zugrunde liegt, führt dies zu keiner anderen Einschätzung. Im Falle unregelmäßiger Wochenarbeitszeiten ist auf die durchschnittliche Wochenarbeitszeit abzustellen (Goebel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 156 SGB IX (Stand: 25.07.2022), Rn. 34). Diese lag hier unstreitig bei unter 18 Stunden wöchentlich.

Selbst wenn man zugunsten der Klägerin abweichend von dem Grundsatz der Erheblichkeit der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit ausnahmsweise auf die tatsächliche Arbeit abstellen wollte, führte dies zu keinem anderen Ergebnis (vgl. zu dieser Möglichkeit, wenn bei tatsächlich längeren Arbeitszeiten von mehr als 18 Stunden eine Arbeitszeitvereinbarung von unter 18 Stunden getroffen worden ist, um einer Ausgleichsabgabenpflicht zu entgehen Goebel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 156 SGB IX (Stand: 25.07.2022), Rn. 34_1 unter Hinweis auf VG Gelsenkirchen v. 24.11.2021 – 11 K 10610/17). Unstreitig hat der Arbeitgeber weniger als 18 Stunden wöchentlich abgerufen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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