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Impfschaden – Gesundheitliche Schädigung als Primärschädigung

Bayerisches Landessozialgericht – Az.: L 15 VJ 8/17 – Urteil vom 02.07.2019

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 19.06.2017 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger einen Anspruch auf Versorgung nach dem Impfschadensrecht gemäß §§ 60 ff Infektionsschutzgesetz (IfSG) hat.

Der 1976 geborene Kläger ist taub und leidet zudem an einer Sprachstörung.

Am 31.05.2003 beantragte er die Anerkennung dieser Gesundheitsstörungen als Folge einer Impfschädigung. Dabei machte er für die Gesundheitsstörungen eine Pockenschutzimpfung seiner 1949 geborenen Mutter, E. A., verantwortlich. Die Pockenschutzimpfung sei laut vorgelegter Kopie des Impfpasses am 09.06.1975 durchgeführt worden. Der Kläger legte weiter einen „Zeugenbericht“ seiner Eltern über seine frühkindliche Entwicklung vom 30.01.2005 vor.

Unter anderem auf eine Auskunft des Stadtgesundheitsamts der Stadt F. hin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 04.04.2005 den Antrag ab, da die Durchführung einer Pockenschutzimpfung der Mutter nicht nachgewiesen sei; der Impfpasseintrag sei vielmehr als Attest zu verstehen, wonach eine Pockenschutzimpfung der Mutter wegen Schwangerschaft kontraindiziert gewesen sei. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.05.2005 zurückgewiesen.

Hiergegen erhob der Kläger am 09.06.2005 Klage zum Sozialgericht (SG) München (Aktenzeichen S 33 VJ 3/05) und trug vor, dass in dem Impfbuch eindeutig eine Impfung seiner Mutter am 09.06.1975 dokumentiert sei.

In einem an den Beklagten gerichteten Schreiben vom 29.10.2009 erweiterte der Kläger seinen Antrag vom 31.05.2003. Er wies darauf hin, dass sich bei ihm alles immer wieder um die Frage drehe, weshalb er ertaubt sei, obgleich er vier normal hörende, gesunde Geschwister habe. Nun habe er auch den Impfpass seines Vaters, P. A. (geboren 1948), entdeckt und herausgefunden, dass dieser am 16.06.1975 (ebenfalls) gegen Pocken geimpft worden sei. Somit sei davon auszugehen, dass infolge des Geschlechtsverkehrs seiner Eltern während der Schwangerschaft, die am 24.04.1975 begonnen habe, die Impfviren von der Pockenimpfung seines Vaters auf ihn als Embryo übertragen worden seien und dadurch seine Taubheit entstanden sei. Der Kläger legte zahlreiche Unterlagen vor, insbesondere eine Kopie des Impfbuchs seines Vaters, aus dem sich eine Impfung gegen Pocken am 16.06.1975 durch das Stadtgesundheitsamt F. ergibt.

Das SG hat sodann Beweis erhoben durch ein medizinisches Sachverständigengutachten (§ 106 Sozialgerichtsgesetz – SGG) des Arztes Dr. H.. In seinem Gutachten vom 06.01.2011, das nach Aktenlage erstellt wurde, stellte Dr. H. fest, dass eine Impfung der Mutter gegen Pocken definitiv nicht vorgenommen worden sei. Wegen der geplanten Reise in den Libanon sei bei dem Vater des Klägers am 16.06.1975 eine Wiederholungsimpfung gegen Pocken durchgeführt worden. Über unerwünschte Wirkungen dieser zweiten Wiederholungsimpfung würde in den Akten, so Dr. H., nicht berichtet. In der Kindheit sei der Vater des Klägers bereits am 14.07.1950 und am 03.05.1960 gegen Pocken mit dokumentiertem Erfolg geimpft worden. Bei diesen Impfungen und auch bei der Wiederholungsimpfung vom 02.07.1968 seien keine Impfkomplikationen berichtet worden. Dr. H. hat im Gutachten weiter festgehalten, dass sich die Geburt des Klägers ebenfalls komplikationslos gestaltet habe. Es habe also mit Sicherheit keine auffällige Hauterscheinung im Sinne einer fetalen generalisierten Impfpockenerkrankung (Vaccinia fetalis) vorgelegen, die als Komplikation der Pockenimpfung bei Impfungen in der Schwangerschaft bekannt sei.

Der Kläger habe mit etwa 20 Monaten zu laufen und zu sprechen begonnen und habe im Sommer 1979 einen Wortschatz von etwa 30 Wörtern entwickelt. Der Wortschatz habe sich danach aber wieder reduziert und es sei, so Dr. H., zunehmend aufgefallen, dass der Kläger schlecht höre. Bei einer anschließenden Untersuchung in der HNO-Abteilung der Uniklinik M. sei eine hochgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit und eine audiogene Sprachentwicklungsverzögerung festgestellt worden. Die Taubheit bestehe unvermindert bis heute fort und auf Grund der Taubheit bestehe auch eine gravierende Sprachstörung. Die Ursache habe bisher nicht gefunden werden können.

Als Komplikationen nach Pockenschutzimpfungen seien schon seit langer Zeit u.a. schwere Fälle von Erkrankungen des zentralen Nervensystems beobachtet und beschrieben worden. Zu den Folgen dieser Impfkomplikationen würden, so Dr. H., auch die Fälle von Schwerhörigkeit und Taubheit gehören, die hinreichend in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben und die auch als Impfschäden anerkannt worden seien. In typischen Fällen trete auf der Höhe des impfbedingten Fiebers nach etwa 6 bis 10 Tagen ein schweres Krankheitsbild mit Krampfanfällen und Bewusstseinsstörungen auf; hierzu kämen oft fokale Zeichen wie Hemiparesen oder Aphasien.

Trotz Kontraindikation sei es in der Geschichte zu zahlreichen Anwendungen der Pockenimpfung bei Frauen gekommen; es sei auch von diaplazentar übertragenen generalisierten Vaccinia-Erkrankungen (fetale Vaccinia) von neugeborenen Kindern berichtet worden. Ein spezifisches Schädigungsmuster habe allerdings nicht nachgewiesen werden können und die Mehrzahl der Fälle von Impfungen (Erst- oder Wiederimpfung) in der Schwangerschaft hätten weder für Kind noch Mutter zu Komplikationen geführt. Hier liege also ein grundsätzlicher Unterschied zum Beispiel zur Rötelninfektion in der Schwangerschaft vor. Weiter hat der Sachverständige hervorgehoben, dass Berichte über isolierte Hörstörungen oder andere umschriebene Hirnentwicklungsstörungen durch eine intrauterine Vaccinia-Infektion nicht vorlägen.

Impfschaden -gesundheitliche Schädigung als Primärschädigung
(Symbolfoto: Von insta_photos/Shutterstock.com)

Bei Betrachtung des zeitlichen Ablaufs der Entwicklung des Klägers erscheine wichtig, dass es nach dem Aufbau eines Wortschatzes von etwa 30 Wörtern zu einer Rückbildung dieser bereits erworbenen Fähigkeiten des Klägers gekommen sei, was gegen einen bereits bei der Geburt vorliegenden Gehirnschaden oder Schaden des inneren Ohrs spreche. Es gebe eine Anzahl von gewichtigen Argumenten, die einer Entstehung der Hörstörung durch Übertragung des Impfvirus bei Wiederimpfung des Vaters auf die schwangere Mutter und dann auf das ungeborene Kind widersprächen. So sei die zweite Wiederholungsimpfung des Vaters auf Grund einer bereits bestehenden Immunität sehr wahrscheinlich nicht mit einer ausgedehnten Lokalreaktion verbunden gewesen. Über eine massive lokale oder gar systemische Impfreaktion werde beim Vater nicht berichtet. Die Übertragung auf die in ihrer Kindheit auf Grund der damaligen Impfpflicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls gegen Pocken geimpften Mutter erscheine durch direkten Kontakt der Haut daher zwar möglich, aber auch bei der Mutter sei ja, so Dr. H., während der Schwangerschaft keine Vaccinia-Infektion im Sinne einer lokalen Infektionsstelle beobachtet worden. Eine andere Übertragungsart als direkt von Haut zur Haut mit entsprechenden Hautbefunden auch bei der Mutter sei bei dem als unkompliziert zu betrachtenden Impfverlauf des Vaters – sicher ohne eine generalisierte Vaccinia-Infektion, die immer mit schwersten Krankheitszeichen einhergehe – nicht realistisch.

Es gebe also keinen echten Anhalt für eine Übertragung des Virus auf die Mutter des Klägers. Selbst wenn es eine unbemerkte Hautaffektion durch Vaccinia-Virus bei der Mutter doch gegeben haben sollte, so erscheine auf Grund der Erkenntnisse über Impfungen gegen Pocken in der Schwangerschaft die Auslösung einer isolierten Schwerhörigkeit als Schädigung des Embryos durch eine intrauterine Vaccinia-Infektion als nicht realistisch.

Im Hinblick auf die Kausalität zwischen Impfung und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen hat Dr. H. das WHO-Bewertungsschema angewandt und festgestellt, dass eine intrauterine Infektion mit Vaccinia-Virus bei unkomplizierter Wiederimpfung des Vaters während der Schwangerschaft der ebenfalls wahrscheinlich vorgeimpften Mutter nicht wahrscheinlich sei. Die aufgetretene Hörstörung sei keine typische Komplikation einer intrauterinen Vaccinia-Infektion und sei damit nicht als bekannte Impfkomplikation zu betrachten. Die Hörstörung des Klägers sei auf Grund des Geburtsverlaufs und der ersten Lebensjahre auch nicht angeboren, sondern habe sich später entwickelt, was gegen eine intrauterine Vaccinia-Infektion spreche. Auch das zeitliche Intervall sei somit ebenfalls nicht plausibel für eine Impfkomplikation. Andere Ursachen einer später erworbenen Hörschädigung seien im Fall des Klägers nicht ausgeschlossen. Insgesamt sei der kausale Zusammenhang zwischen der Pockenimpfung des Vaters des Klägers, P. A., und der Hörstörung des Klägers als unwahrscheinlich zu bewerten.

Auch liege kein Fall der Kann-Versorgung vor.

Mit Schreiben vom 14.01.2011 hat der Kläger umfassend zum Gutachten Stellung genommen und erklärt, dass es schwerwiegende Fehler, die zum Teil auf frühere Fehler zurückzuführen seien, enthalte. So sei zum Beispiel unrichtig, dass die Schwangerschaft ohne Komplikationen erfolgt sei, denn kurz vor der Rückreise aus dem Libanon nach Deutschland, also zwischen dem 06. und 09.07.1975, habe die Mutter des Klägers, wie sie dies am 19.01.2011 schriftlich bestätigt habe, einen schweren Anfall mit Abgeschlagenheit, Mutlosigkeit, Gefühlstaubheit etc. erlitten. Die Pockenimpfungsübertragung auf andere Menschen sei damals innerhalb von 35 Tagen grundsätzlich möglich gewesen. Es sei falsch, dass der Kläger im Sommer 1979 einen Wortschatz von etwa 30 Wörtern entwickelt gehabt habe. Vielmehr habe er bis zum Sommer 1980 kein einziges Wort gesprochen, sondern nur verschiedene Laute von sich gegeben. Die Darstellung von Dr. H., die Hörstörung habe sich auf Grund des Geburtsverlaufs und der ersten Lebensjahre erst später entwickelt, sei nur eine Behauptung. Sodann hat der Kläger mehrfach darauf hingewiesen, dass seine Familie zur Zeit der Schwangerschaft der Mutter damals in einer kleinen Mansardenwohnung in F. sehr eng miteinander gelebt hätte, also seine Eltern und die beiden Brüder R. und J.. Der Behauptung von Dr. H., es gebe keinen echten Anhalt für eine Übertragung, müsse natürlich widersprochen werden. Dass er, der Kläger, zwei gesunde ältere hörende Brüder und zwei gesunde jüngere hörende Schwestern habe, könne kein Zufall sein. Wenn Dr. H. schreibe, dass ein Hörschaden nach intrauteriner Infektion bei versehentlicher Schwangerschaftsimpfung bislang noch nicht beschrieben worden sei, heiße dies nicht, dass so etwas unmöglich sei, und wenn er meine, dass es eine gute Möglichkeit nicht gebe, drücke er damit nur mehr oder weniger seine eigene Vermutung aus.

Sodann hat das SG auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG Prof. Dr. K. beauftragt, ein Sachverständigengutachten zu erstellen. In seinem Gutachten vom 29.03.2011 hat Prof. Dr. K. unter anderem festgestellt, dass beim Kläger keine Schallleitungsstörung, sondern eine Schallempfindungsstörung, d.h. eine Funktionsstörung im Hörnerv bzw. in den entsprechenden Hirnzentren bestehe. Folge der praktischen Taubheit sei eine über Jahre anhaltende Sprachentwicklungsstörung. Weiter hat der Sachverständige hervorgehoben, dass auch eine erst im Alter von zwei Jahren und drei Monaten festgestellte Hörproblematik keinen Rückschluss auf das Entstehungsdatum der Hörstörung zulasse, denn selbst angeborene Hörstörungen würden in aller Regel erst zur Beginn des 3. Lebensjahres diagnostiziert.

Wenn man den o.g. ärztlichen Berichten folgen würde, so der Sachverständige, die davon ausgingen, dass der Kläger im Sommer 1979 einen aktiven Sprachschatz von etwa 30 Worten gehabt habe und dann allmählich wieder zurückgefallen sei, ergebe sich, dass eine Hörschädigung durch vorgeburtlichen Pockenimpfschaden nicht oder zumindest nicht in entscheidendem Umfang stattgefunden habe. Denn ein Impfschaden sei ein einmaliges, zeitlich eng begrenztes Schadensereignis und habe eine Dauerschädigung zur Folge.

Komme man jedoch zu dem Ergebnis, dass dem Vortrag des Klägers bzw. seiner Eltern zuzustimmen sei (kein aktiver Sprachschatz 1979), dann gelte Folgendes:

Zunächst besage der Text der Eintragung im Impfbuch der Mutter eindeutig, dass diese während der Schwangerschaft 1975 nicht gegen Pocken geimpft worden sei. Außerdem ergebe sich daraus, dass dem Gesundheitsamt F-Stadt hinsichtlich einer Pocken-erstimpfung der Mutter in deren Kindesalter ein alter Impfschein oder typische Impfnarben der Erstimpfung vorgelegen hätten.

Hinsichtlich der Impfung einer Schwangeren gegen Pocken sei in der Literatur festgehalten worden, dass sich dort keine Mitteilung über einen sicheren Fall von Embryopathie oder Foetopathie nach Wiederimpfung finde. Der Vater des Klägers sei tatsächlich am 16.06.1975 gegen Pocken geimpft worden. Ausweislich der Gerichtsakten habe es sich hierbei um die dritte Wiederimpfung gehandelt. Dies bedeute: Auch im Gefolge dieser Wiederimpfung sei eine Verbreitung des Impfvirus im Körper des Vaters (Virämie) zwar nicht völlig ausgeschlossen, jedoch mit Blick auf den höchstwahrscheinlich hohen Immunisierungsgrad unwahrscheinlich. Als mögliche Quelle einer Vaccinia translata der Mutter bleibe also nur die direkte Übertragung von der nässenden Impfstelle des Vaters (vermutlich die Haut auf Schulter bzw. Oberarm) auf eine verwundete Hautstelle oder Schleimhaut der Mutter. Selbst wenn dennoch eine Übertragung stattgefunden hätte, bleibe, so Prof. Dr. K., eine Verbreitung des Impfvirus im Organismus der Mutter fraglich. Wenn jedoch Beides theoretisch unterstellt würde, sei festzustellen, dass es bisher nur von Pockenerstimpfungen während der Schwangerschaft belegte Fälle von durch den Impfstoff geschädigte Kindern (Embryonen/Feten/Neugeborenen) belegte Fälle gebe. Weiter hat der Sachverständige zu dem von der Klägerseite berichteten „Anfall“ der Mutter im Libanon zwischen dem 06. und 09.07.1975 Stellung genommen.

Zusammenfassend sei somit festzustellen, so Prof. Dr. K., dass eine virämische Schädigung des Ungeborenen der mit dem Mechanismus einer Vaccinia translata möglicherweise revaccinierten Mutter nicht völlig undenkbar sei, ganz sicher sei eine solche Schädigung aber nicht wahrscheinlich, geschweige denn überwiegend wahrscheinlich oder literarisch belegt.

Die Voraussetzungen für die Anwendung der sog. Kann-Versorgung seien im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Zu dem Gutachten von Prof. Dr. K. hat der Kläger die Auffassung vertreten, dass dieses Gutachten schwere Fehler „aufgrund fehlender Erfahrung“ aufweise. Neben allgemeinen medizinischen Erklärungen ging der Kläger auch auf frühere Befunde ein. Dass er, der Kläger, im Januar 1978 keinerlei verbalen Kontakt aufnehmen habe können, obwohl er damals schon fast zwei Jahre alt gewesen sei, könne auch ein Onkel vor Gericht bezeugen. Weiter wies der Kläger u.a. darauf hin, dass sich für ihn die Ansteckung als Pockenerstimpfung dargestellt habe. Im Übrigen sei es nachweislich nicht so, dass es nur von Pockenerstimpfungen während der Schwangerschaft belegte Fälle von durch Pockenimpfstoffe erkrankten Embryonen gebe. Der o.g. einzigartige schwere Anfall seiner Mutter im Libanon sei sehr wohl als eine „collaterale Impfreaktion“ nach der Pockenimpfübertragung durch seinen Vater genau in der Inkubationszeit anzusehen. Sein Vater habe seine Mutter richtig schütteln müssen, um wieder normale Antworten von ihr zu bekommen.

Anders als Prof. Dr. K. annehme, gebe es keinen Beweis, dass seine Taubheit durch eine Psychoreaktion oder zufällig auftretende Intoxikation oder Zirkulationsstörung etc. seiner Mutter verursacht sein könnte. Vielmehr müsse seine Taubheit bei den vier gesunden Geschwistern und auch ohne Taubheit bei seinen eigenen Töchtern sehr wohl aufgrund der Pockenübertragung als Impfvirusenzephalitis durch den Vater auf die Mutter und auf ihn, den Kläger, als Embryo erfolgt sein. Abschließend stellte der Kläger fest, dass die WHO-Kriterien für die Feststellung eines wahrscheinlichen Zusammenhangs erfüllt seien. Schließlich verwies der Kläger erneut auf die Aussage der Amtsärztin Z., die dem Kläger am 17.04.2011 in einer E-Mail mitgeteilt habe, sehr zu bedauern, dem Kläger als Gutachterin nicht zur Verfügung stehen zu können, zumal die Angaben des Klägers ihre ursprüngliche Ansicht untermauere.

In einem weiteren Schriftsatz vom 24.06.2011 wies der Kläger erneut auf angebliche schwerwiegende Fehler in den Gutachten von Dr. H. und Prof. Dr. K. hin. Zudem teilte der Kläger nun mit, dass auch sein ältester Bruder R. A. am 16.06.1975, damals fünf Jahre alt, vor der gemeinsamen Libanonreise gegen Pocken wiedergeimpft worden sei. Der Kläger legte eine Kopie des Impfbuchs des genannten Bruders vor. Es sei gut möglich, dass das Pockenimpfvirus vom Bruder auf die Mutter übertragen worden sei und den Kläger geschädigt habe. Diese Gefährdung einer Ansteckung durch den Bruder R. sei jedenfalls zu der Gefährdung hinzugekommen, die durch alle körperlichen Kontakte des Vaters mit der Mutter in jenen Tagen für ihn, den Kläger, als Embryo ausgegangen sei. In vernünftiger Hinsicht könne keine begründete Alternative als Ursache für die Taubheit seit Geburt angenommen werden.

Mit Gerichtsbescheid vom 28.10.2011 wies das SG die Klage gegen den Bescheid vom 04.04.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.05.2005 ab. Die beim Kläger vorliegende Taubheit mit Sprachstörung sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf einen Impfschaden zurückzuführen. Zur Überzeugung des Gerichts habe eine Pockenimpfung der Mutter nicht stattgefunden, was sich aus dem Vermerk im Impfpass ergebe. Beim Kläger bestünden insgesamt mehr Argumente gegen als für einen Zusammenhang eines durch die Pockenimpfung des Vaters verursachten Impfschadens.

Hiergegen legte der Kläger Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) ein (L 15 VJ 8/11). In der mündlichen Verhandlung des Senats am 20.01.2015 nahm der Kläger nach einem Hinweis des Gerichts, dass es bezüglich der Streitgegenstände Impfung des Vaters und Impfung des Bruders an einem Verwaltungsverfahren fehle, so dass das SG diese Klagen schon als unzulässig hätte abweisen müssen, die Berufung zurück.

Mit Bescheid vom 25.03.2015 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers vom 29.10.2009 (Impfschaden durch Impfung des Vaters) unter Verweis auf die Sachverständigengutachten von Dr. H. und Prof. Dr. K. ab. Mit Bescheid vom nächsten Tag lehnte der Beklagte den Antrag vom 24.06.2011 (Impfschaden durch Impfung des Bruders R.) ebenfalls unter Hinweis auf das Gutachten von Prof. Dr. K. ab.

Gegen die Bescheide legte der Kläger fristgerecht Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.07.2015 wies der Beklagte die Widersprüche als unbegründet zurück. In den hinlänglich bekannten Gutachten von Prof. Dr. K. und Dr. H. seien auch schon die vom Kläger nachträglich vorgetragenen „hypothetischen“ Übertragungswege durch eine Pockenschutzimpfung des Vaters oder Bruders und Übertragung auf die mit dem Kläger schwangere Mutter in die Kausalitätsprüfung mit einbezogen worden. Von einer Schädigung des Ungeborenen im Sinne einer Vaccinia translata könne auch nach Auswertung der wissenschaftlichen Fachliteratur jedoch nicht eindeutig mit erforderlicher Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden. Es bleibe allenfalls eine denkbare, aber keinesfalls wahrscheinliche Ursache. Die Ursache für die beim Kläger von Geburt an bestehende Schwerhörigkeit und Taubheit sei somit letztlich unklar und als schicksalshaft anzusehen, wie viele andere von Geburt an bestehenden körperlichen Defizite auch. Gegen die Übertragung von Vater oder Bruder auf die schwangere Mutter spreche zum einen der hohe Immunisierungsgrad beim Vater des Klägers nach insgesamt drei Impfungen und zum anderen würden bei der Mutter jegliche Anzeichen für eine durch einen übertragenen Pockenvirus hervorgerufene Reaktion fehlen.

Hiergegen hat der Kläger beim SG München am 27.08.2015 Klagen erhoben (S 48 VJ 12/15 und S 48 VJ 13/15). Das SG hat die Klageverfahren mit Beschluss vom 10.04.2017 zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Im Klageverfahren hat der Beklagte beantragt, die Klage wegen Verfristung als unzulässig zu verwerfen. Mit Schriftsatz vom 21.10.2015 hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG beantragt und als Begründung vorgetragen, dass er den Widerspruchsbescheid vom 21.07.2015, der an die frühere Adresse des Klägers in W-Stadt gerichtet gewesen ist, erst am 19.08.2015 unter der alten Anschrift zu seinen Händen erhalten habe; er sei dann gleich vom 19. bis 23.08.2015 auf einer Beerdigung in D-Stadt und anschließend im Kurzurlaub in H-Stadt gewesen, so dass seine Klage aus diesen Gründen erst am 27.08.2015 beim SG eingegangen sei.

Mit Beschlüssen vom 04.08.2016 hat das SG in den beiden Klageverfahren PKH bewilligt und die Bevollmächtigte beigeordnet. Am 27.11.2015 ist mit gerichtlichem Schreiben darauf hingewiesen worden, dass nach den Unterlagen des Beklagten kein früherer Zugang als der 19.08.2015 nachgewiesen sei (§ 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch). Daher werde seitens des SG von fristgerechter Klageerhebung ausgegangen. Mit Schriftsatz vom 09.12.2015 hat der Beklagte ausdrücklich mitgeteilt, hiergegen keine Einwände zu erheben.

In der umfangreichen Klagebegründung hat die Bevollmächtigte darauf hingewiesen, dass die im früheren Sozialgerichtsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten (durch Dr. H. und Prof. Dr. K.) inzwischen etwa fünf Jahre zurückliegen würden und dass seitens des Beklagten medizinische Forschungen der vergangenen Jahre nicht eruiert worden seien, so dass der neueste Stand der medizinischen Wissenschaft den Feststellungen nicht zugrunde liege. Es ist angeregt worden, ein Sachverständigengutachten auf impfmedizinischem Fachgebiet in Auftrag zu geben. Im Übrigen ist darauf hingewiesen worden, dass kleine Hautverletzungen häufig unbemerkt blieben und dass es in Hautkontakt mit nahen Angehörigen üblicherweise häufig hierzu komme. Der Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung stehe auch nicht entgegen, dass der Vater zum dritten Mal geimpft worden sei. Gerade die Tatsache, dass eine nochmalige Impfung des Vaters zur Aufrechterhaltung seiner Immunisierung erforderlich gewesen sei, zeige dies ja. Die Mutter des Klägers sei auch nicht darüber aufgeklärt worden, bei der Wundversorgung ihres Sohns höchste Sorgfalt walten zu lassen.

Entgegen der Ansicht des SG und der Sachverständigen sei auch hinreichend wahrscheinlich, dass die Viren nach der Ansteckung vom Vater oder vom Bruder in die Blutbahn der Mutter gelangt seien, so dass sich der Kläger intrauterin angesteckt habe. Hierfür spreche insbesondere auch der Anfall der Mutter im Libanon. Sie habe sich genau in dem Zeitpunkt angesteckt, in dem das Risiko einer Schädigung besonders hoch gewesen sei, nämlich als sich die Nervenzellen des Klägers auszubilden begonnen hätten (in der achten bis zehnten Schwangerschaftswoche). Zudem sei nach gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen die Empfänglichkeit für Viruskrankheiten während einer Schwangerschaft erhöht. Die Tatsache, dass der Kläger bei Geburt dem äußeren Anschein nach als gesund erschienen sei, ändere natürlich nichts auch an dieser Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger von Geburt an aufgrund der Ansteckung der Mutter unter einer Taubheit mit Sprachstörungen leide. Wenn die erstinstanzlichen Sachverständigen bestätigen würden, dass nach Pockenimpfungen eine postvaccinale Encephalitis auftreten könne, die zu Hörstörungen führe, sei nicht einzusehen, weshalb für eine Ansteckung im Mutterleib etwas Anderes gelten solle. In diesem Zusammenhang sei dann auch irrelevant, ob bislang das Auftreten einer solchen Encephalitis nur bei Pockenimpfungen beschrieben worden sei, weil die Wirkungen dieselben seien, wenn sie direkt durch die Impfung verursacht würden wie dann, wenn die Ansteckung aufgrund einer Pockenimpfung im Mutterleib verursacht werde.

Im Übrigen habe die Taubheit des Klägers entgegen der Einschätzung des SG und der von diesem beauftragten Sachverständigen bereits seit der Geburt vorgelegen. Insoweit ist u.a. erneut auf die Versicherung der Eltern vom 19.11.2011 hingewiesen worden.

Im weiteren Verlauf des Klageverfahrens hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass auch Prof. Dr. K. im Gutachten zu dem Ergebnis gekommen sei, dass eine virämische Schädigung des Ungeborenen durch die mit dem Mechanismus einer Vaccinia translata möglicherweise revaccinierten Mutter nicht völlig undenkbar sei. Sie sei aber ganz sicher nicht überwiegend wahrscheinlich oder literarisch belegt. Die Beurteilung durch den Gutachter sei schlüssig und nachvollziehbar.

Am 19.04.2017 hat der Kläger beantragt, ein Gutachten gemäß § 109 SGG einzuholen und dem Kläger Ratenzahlung zu bewilligen. Das SG hat am 20.04.2017 mitgeteilt, dass dem Antrag grundsätzlich entsprochen werde und dass die Raten so festgesetzt werden würden, dass der Vorschuss binnen sechs Monaten vollständig eingezahlt sei. Auf die zuvor ergangene Mitteilung des SG hin hat der Beklagte am 20.04.2017 mitgeteilt, dass gegen eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid keine Einwände bestünden. Am 07.06.2017 hat die Klägerseite gebeten, die Frist zur Benennung des Sachverständigen nochmals zu verlängern, da bisher kein geeigneter und bereiter Sachverständiger gefunden habe werden können. Auch ist bzgl. der Ratendauer um Verlängerung gebeten worden.

Mit Gerichtsbescheid vom 19.06.2017 hat das SG die Klagen abgewiesen. Ein Zusammenhang zwischen den Impfungen des Vaters und des damals fünfjährigen Bruders des Klägers einerseits und der beim Kläger bestehenden Behinderung andererseits sei nicht wahrscheinlich. Das SG hat sich dabei auf die Feststellungen und Bewertungen der im Verfahren S 33 VJ 3/05 gehörten ärztlichen Sachverständigen Dr. H. und Prof. Dr. K. gestützt. Letzterer sei dem Gericht als ein außerordentlich erfahrener, kompetenter und gründlicher Fachmann auf dem Gebiet der Impfschäden bekannt.

Im Einzelnen hat das SG ausgeführt, dass vorliegend zwar der Anerkennung eines Impfschadens noch nicht zwingend der fehlende Nachweis einer sogenannten Primärschädigung entgegenstehe. Ein solcher könne nämlich ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn aufgrund der Gesamtumstände des Falls ein Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Impfschaden wahrscheinlich sei. Wie Prof. Dr. K. in seinem Gutachten überzeugend begründet habe, könne der von den Eltern des Klägers geschilderte schwere Anfall der Mutter zwischen dem 06. und 09.07.1975 im Libanon nicht mit hinreichender Sicherheit als Symptom einer Primärschädigung aufgrund einer Infektion mit dem Pockenimpfvirus gedeutet werden.

Entscheidend sei jedoch, dass eine Schädigung des Ungeborenen aufgrund der Übertragung des Impfstoffs vom Vater oder vom Bruder auf die Mutter zwar nicht völlig ausgeschlossen, keineswegs aber wahrscheinlich sei. So stehe bereits nicht fest, ob der Kläger überhaupt unter einer angeborenen Taubheit leide. Auch zwei behandelnde HNO-Ärzte des Klägers gingen ausweislich ihrer Mitte der 1990-er Jahre erstellten Arztberichte davon aus, dass der Kläger wahrscheinlich nach einem schweren Infekt im zweiten oder dritten Lebensjahr ertaubt sei. Somit erscheine fraglich, wie zuverlässig die Erinnerungen der Angehörigen des Klägers seien, wonach der Kläger von Anfang an überhaupt nicht gesprochen habe, da man nach dem oben Gesagten annehmen müsse, dass die Angehörigen sich ursprünglich gegenüber den behandelnden Ärzten anders geäußert hätten.

Gehe man dennoch – zugunsten des Klägers – von einer angeborenen Behinderung aus, sei zunächst zu beachten, dass, wie Dr. H. in seinem Gutachten vom 06.01.2011 ausführe, mangels Fallberichte über die Verursachung isolierter Hörstörungen oder anderer umschriebener Hirnentwicklungsstörungen durch eine intrauterine Vaccinainfektion eine solche Schädigung gerade nicht als typische Impfkomplikation zu betrachten sei. Hinzu komme, dass eine mögliche Infektion der Mutter mit dem Pockenimpfvirus des Vaters oder des Bruders des Klägers nicht den Charakter einer Erstimpfung, sondern den einer Wiederimpfung gehabt habe, weshalb die Wahrscheinlichkeit einer Virämie und erst Recht einer Schädigung des Ungeborenen relativ gering gewesen sei.

Zusammenfassend hat das SG dargelegt, dass, um im vorliegenden Fall zur Anerkennung eines ursächlichen Zusammenhangs zu kommen, angenommen werden müsse, dass eine angeborene Hörstörung im Sinne eines Residualschadens (ohne Progredienz) vorliege, sich die Mutter mit dem Impfvirus des Vaters oder des Bruders infiziert habe, ohne dies zu bemerken, sich der Impfvirus in ihrem Körper verbreitet habe, obwohl es sich um eine Wiederimpfung handele und dass sich dadurch nicht eine generalisierte Hirnschädigung, sondern eine isolierte Hörstörung, wie sie als Folge einer impfbedingten Schädigung im Mutterleib noch nie beschrieben worden sei, entwickelt habe. Dies sei nicht wahrscheinlich. Die vom Kläger vorgelegten Unterlagen, die belegen sollten, dass es in Einzelfällen auch infolge einer Revaccination nach langem Intervall zu einer Schädigung des ungeborenen Kindes kommen könne, würden an dieser Wahrscheinlichkeitsbeurteilung, so das SG, nichts zu ändern vermögen.

Auch lägen die Voraussetzungen der Kann-Versorgung nicht vor.

Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich seit den Begutachtungen durch Dr. H. und Prof. Dr. K. der medizinische Erkenntnisstand hinsichtlich der hier streitigen Fragen entscheidend geändert haben könnte, bestünden nicht. Weitere Ermittlungen seien deshalb nicht veranlasst.

Insbesondere sei dem Antrag des Klägers auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG nicht stattzugeben, so das SG, da es bereits an einem ordnungsgemäßen Antrag fehle, weil kein Arzt namentlich bezeichnet worden sei. Der Kläger habe den Antrag innerhalb der von ihm selbst erbetenen und vom Gericht gebilligten Frist nicht vervollständigt; eine Fristverlängerung würde den Rechtsstreit unangemessen verzögern.

Am 28.06.2017 hat der Kläger gegen den Gerichtsbescheid Berufung zum BayLSG erhoben. In der Berufungsbegründung ist zunächst darauf abgestellt worden, dass die Auffassung des SG im Gerichtsbescheid, der Kläger habe seinen Antrag nach § 109 SGG innerhalb der von ihm selbst erbetenen und vom Gericht gebilligten Frist nicht vervollständigt, nicht zutreffend sei. Schließlich sei auch das rechtliche Gehör verletzt worden, da nach dem Schriftsatz des Klägers vom 07.06.2017 diesem keine Möglichkeit mehr gegeben worden sei, entsprechend der späteren Auffassung im Gerichtsbescheid zu reagieren. Obwohl die Gutachten von Dr. H. und Prof. Dr. K. zwischenzeitlich ca. 6 Jahre zurückliegen würden, habe sich das SG nicht veranlasst gesehen, wenigstens ein Ergänzungsgutachten von Amts wegen einzuholen.

Der Beklagte hat im Rahmen des § 109 SGG-Antrags vor dem SGG keine Verfahrensmängel erkannt und auf die Schriftsätze im vorangegangenen Klageverfahren bzw. die Gründe des Gerichtsbescheids verwiesen.

Mit Beschluss vom 28.09.2017 hat der Senat PKH bewilligt und die Bevollmächtigte beigeordnet.

Auf gerichtliche Aufforderung hin hat die Bevollmächtigte mitgeteilt, dass dem Kläger der Widerspruchsbescheid erst am 19.08.2015 in der früheren Wohnung in W-Stadt von seinem Partner ausgehändigt worden sei, was Letzterer am 14.09.2018 schriftlich bestätigt hat; an das Zustelldatum könne er sich nicht mehr erinnern.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 11.09.2018 ist deutlich gemacht worden, dass nach der Rechtsprechung des Senats eine Primärschädigung nachgewiesen sein müsse.

Nach der Auswertung der vorliegenden Unterlagen, insbesondere der Sachverständigengutachten, werde derzeit kein Anlass für die Anordnung einer erneuten Gutachtenserstellung gesehen. Es würden denn auch keinerlei Hinweise von der Klägerseite vorgetragen, dass es auf diesem spezialisierten Fachgebiet einen wesentlich neuen Wissensstand geben würde; allein der Zeitablauf genüge selbstverständlich nicht. Der Klägerseite ist für einen Antrag gemäß § 109 SGG und die Benennung eines Arztes eine Frist bis 17.10.2018 gesetzt worden. Am 17.10.2018 ist Antrag gemäß § 109 SGG gestellt und Dr. C., A-Stadt, benannt worden. Das Gutachten solle auf HNO-fachärztlichem Gebiet eingeholt werden. Am 19.11.2018 hat der Kläger beantragt, Dr. C. als Gutachter auszuwechseln; das Gutachten solle nun Dr. D., Impfsachverständiger, erstellen. Dieser ist sodann vom Senat beauftragt worden, hat jedoch am 12.11.2018 mitgeteilt, kein Arzt zu sein, so dass er ein Gutachten nach § 109 SGG nicht übernehmen könne. Daraufhin ist vom Senat die eingeräumte Frist bis 23.01.2019 verlängert worden. Am 07.02.2019 hat der Kläger beantragt, Prof. Dr. E. gemäß § 109 SGG zu beauftragen. Dieser hat am 12.03.2019 dem Gericht mitgeteilt, das Gutachten nicht übernehmen zu können. Auch sei der ganze Vorgang seines Erachtens bizarr. Wie solle, so der Arzt für Klinische Pharmakologie, eine Impfung von Verwandten des Klägers bei diesem selbst einen gesundheitlichen Schaden ausgelöst haben?

Am 26.06.2019 hat der Kläger sodann beantragt, den Facharzt für HNO-Heilkunde Prof. Dr. S. gemäß § 109 SGG zu beauftragen. Für die umfangreiche Gutachtenserstellung werde ein Zeitraum von mindestens vier Monaten benötigt.

Der Kläger beantragt:

– Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 19.06.2017 (S 48 VJ 12/15) wird aufgehoben.

– Unter Aufhebung des Bescheides vom 25.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.07.2015 wird der Beklagte verurteilt, die Gesundheitsstörung „Taubheit mit Sprachstörung“ durch Übertragung des Impfvirus vom Vater auf den Kläger als Impfschaden im Sinne des Infektionsschutzgesetzes anzuerkennen und entsprechende Beschädigtenrente zu gewähren.

– Unter Aufhebung des Bescheides vom 26.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.07.2015 wird der Beklagte verurteilt, die Gesundheitsstörung „Taubheit mit Sprachstörung“ durch Übertragung des Impfvirus vom Bruder R. auf den Kläger als Impfschaden im Sinne des Infektionsschutzgesetzes anzuerkennen und entsprechende Beschädigtenrente zu gewähren.

– Hilfsweise wird beantragt, ein Sachverständigengutachten auf HNO-Gebiet gemäß § 109 SGG einzuholen durch Prof. Dr. med. T. S., Direktor der Klinik für HNO-Heilkunde, Universitätsklinikum F-Stadt, F-Straße in F-Stadt..

– Weiterhin wird hilfsweise beantragt, ein Sachverständigengutachten auf impfmedizinischen Gebiet von Amts wegen einzuholen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

In der mündlichen Verhandlung des Senats vom 02.07.2019 haben der Kläger und seine Bevollmächtigte sowie der Vertreter des Beklagten einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt.

Der Senat hat die erstinstanzliche Akte des SG sowie die Impfschadensakte des Beklagten zum Verfahren beigezogen, auf deren Inhalt sowie auf den Inhalt der streitgegenständlichen Berufungsakte im Übrigen zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen wird. Sämtlicher Inhalt war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten vom 02.07.2019 ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG. Hieran war er auch nicht im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Europäische Menschenrechtskonvention gehindert (vgl. z.B. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 153, Rdnr. 13a), weil das SG durch Gerichtsbescheid entschieden hat. Denn für den Kläger bestand im Berufungsverfahren die Möglichkeit der Durchführung einer (weiteren) mündlichen Verhandlung; er hat hierauf jedoch verzichtet.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Wie das SG zu Recht entschieden hat, steht dem Kläger kein Anspruch auf Anerkennung der Schallempfindungsstörung vom Grad einer praktischen Taubheit und der hiermit verbundenen Sprachentwicklungsstörung als Folge der am 16.06.1975 erfolgten Impfungen seines Vaters, P. A., und seines Bruders, R. A., gegen Pocken und auf Gewährung einer Versorgungsrente zu. Die streitgegenständlichen Bescheide des Beklagten vom 25.03.2015 und 26.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.07.2015 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG liegen nicht vor, weil es vorliegend schon am Nachweis des Primärschadens, also einer Impfkomplikation, fehlt. Zudem ist auch keine Kausalität gegeben.

Das Begehren des Klägers beurteilt sich nach dem IfSG, weil die Anträge vom 29.10.2009 und 24.06.2011 jeweils zu einem Zeitpunkt gestellt worden sind, als das – das Bundesseuchengesetz ohne Übergangsvorschrift ablösende (vgl. Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 Gesetz zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften vom 20.07.2000, BGBl. I, S. 1045) – IfSG (seit dem 01.01.2001) (längst) in Kraft war (vgl. BSG, Urteil vom 20.07.2005 – B 9a/9 VJ 2/04 R).

Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erhält, wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, auf Grund dieses Gesetzes angeordnet wurde, gesetzlich vorgeschrieben war oder auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), soweit das IfSG nichts Abweichendes bestimmt.

Der Impfschaden wird in § 2 Nr. 11 IfSG definiert als die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung, wobei ein Impfschaden auch vorliegt, wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft wurde und eine andere als die geimpfte Person geschädigt wurde.

Die Anerkennung als Impfschaden setzt eine dreigliedrige Kausalkette voraus (ständige Rspr., vgl. BSG, z.B. Urteile vom 25.03.2004 – B 9 VS 1/02 R, und vom 16.12.2014 – B 9 V 3/13 R, und z.B. das Urteil des Senats v. 11.07.2017 – L 15 VJ 6/14, m.w.N.): Ein schädigender Vorgang in Form einer „Schutzimpfung oder einer anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe“, die die genannten Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfüllen muss (1. Glied), muss zu einer „gesundheitlichen Schädigung“ (2. Glied), also einem Primärschaden (d.h. einer Impfkomplikation) geführt haben, die wiederum den „Impfschaden“, d.h. die dauerhafte gesundheitliche Schädigung, also den Folgeschaden (3. Glied) bedingt.

Diese drei Glieder der Kausalkette müssen – auch im Impfschadensrecht – im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (ständige Rspr., vgl. z.B. BSG, Urteile vom 15.12.1999 – B 9 VS 2/98 R – und vom 07.04.2011 – B 9 VJ 1/10 R; BayLSG, Urteil vom 25.07.2017 – L 20 VJ 1/17; Hessisches LSG, Urteil vom 26.06.2014 – L 1 VE 12/09; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.07.2016 – L 13 VJ 19/15). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 – B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 – 9/9a RV 1/92).

Seine frühere Rechtsprechung, nach der auf das Erfordernis des Vollbeweises bezüglich des Primärschadens verzichtet worden ist (vgl. hierzu näher im Urteil des Senats v. 26.03.2019 – L 15 VJ 9/16) hat der erkennende Senat mittlerweile aufgegeben (Urteile v. 26.03.2019 – L 15 VJ 9/16 -, vom 14.05.2019 – L 15 VJ 9/17 – und vom 02.07.2019 – L 15 VJ 4/16) und steht damit in Übereinstimmung mit dem ebenfalls für das Versorgungsrecht zuständigen 20. Senat des BayLSG (vgl. z.B. die Urteile v. 18.05.2017 – L 20 VJ 5/11 – und v. 11.07.2018 – L 20 VJ 7/15). Auch das BSG hat das Erfordernis eines Vollbeweises bezogen auf den Primärschaden bekräftigt (BSG, Beschlüsse v. 29.01.2018 – B 9 V 39/17 B – und v. 18.06.2018 – B 9 V 1/18 B).

Demgegenüber reicht es für den zweifachen ursächlichen Zusammenhang der drei Glieder der Kausalkette nach § 61 Satz 1 IfSG aus, wenn dieser jeweils mit Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999 – B 9 VS 2/98 R – in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 24.09.1992 – 9a RV 31/90, die für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität noch den Vollbeweis vorausgesetzt hat) als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität. Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung.

Eine potentielle, versorgungsrechtlich geschützte Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977 – 10 RV 15/77), also mehr für als gegen einen Kausalzusammenhang spricht (vgl. BSG, Urteile vom 19.08.1981 – 9 RVi 5/80, vom 26.06.1985 – 9a RVi 3/83, vom 19.03.1986 – 9a RVi 2/84, vom 27.08.1998 – B 9 VJ 2/97 R – und vom 07.04.2011 – B 9 VJ 1/10 R). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei das Wort „hinreichend“ nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 128, Rdnr. 3c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße – abstrakte oder konkrete – Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 26.11.1968 – 9 RV 610/66, und vom 07.04.2011, a.a.O.).

Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, so sind sie nach der versorgungsrechtlichen Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 08.08.1974 – 10 RV 209/73) rechtlich nur dann nebeneinander stehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolgs „annähernd gleichwertig“ sind. Während die ständige unfallversicherungsrechtliche Rechtsprechung (vgl. z.B. BSG, Urteile vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R – und vom 30.01.2007 – B 2 U 8/06 R) demgegenüber den Begriff der „annähernden Gleichwertigkeit“ für nicht geeignet zur Abgrenzung hält, da er einen objektiven Maßstab vermissen lasse und missverständlich sei, und eine versicherte Ursache dann als rechtlich wesentlich ansieht, wenn nicht eine alternative unversicherte Ursache von überragender Bedeutung ist, hat der für das soziale Entschädigungsrecht zuständige 9. Senat des BSG in seinem Urteil vom 16.12.2014 (B 9 V 6/13 R) zur annähernden Gleichwertigkeit festgelegt, dass diese dann anzunehmen ist, wenn eine vom Schutzbereich des BVG umfasste Ursache in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die Übrigen Umstände zusammen. Die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinn als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, ist im jeweiligen Einzelfall aus der Auffassung des praktischen Lebens abzuleiten (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2001 – B 9 V 5/00 R).

Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Gesundheitsschäden zu erfolgen (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R).

Kann eine Aussage zu einem (hinreichend) wahrscheinlichen Zusammenhang nur deshalb nicht getroffen werden, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kommt die sogenannte Kannversorgung gemäß § 61 Satz 2 IfSG in Betracht. Von Ungewissheit ist dann auszugehen, wenn es keine einheitliche, sondern verschiedene ärztliche Lehrmeinungen gibt, wobei nach der Rechtsprechung des BSG von der Beurteilung auf dem Boden der „Schulmedizin“ (gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft) auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.08.1998 – B 9 VJ 2/97 R). Aber auch bei der Kannversorgung reicht allein die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs oder die Nichtausschließbarkeit des Ursachenzusammenhangs nicht aus. Es muss vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs positiv vertritt; das BSG spricht hier auch von der „guten Möglichkeit“ eines Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 12.12.1995 – 9 RV 17/94 – und vom 17.07.2008 – B 9/9a VS 5/06). In einem solchen Fall liegt eine Schädigungsfolge dann vor, wenn bei Zugrundelegung der wenigstens einen wissenschaftlichen Lehrmeinung nach deren Kriterien die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs nachgewiesen ist (vgl. BayLSG, Urteile vom 19.11.2014 – L 15 VS 19/11, vom 21.04.2015 – L 15 VH 1/12 -, vom 15.12.2015 – L 15 VS 19/09 – und vom 26.01.2016 – L 15 VK 1/12). Existiert eine solche Meinung überhaupt nicht, fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht infolge einer Ungewissheit; denn alle Meinungen stimmen dann darin überein, dass ein Zusammenhang nicht hergestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993 – 9/9a RV 41/92).

Lässt sich der Zusammenhang nicht (hinreichend) wahrscheinlich machen und auch nicht über die Kannversorgung herstellen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache nach den allgemeinen Beweislastgrundsätzen zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs oder rechtlichen Handelns auf das Vorliegen des Zusammenhangs stützen möchte, also des Anspruchsstellers. Das BSG hat in seiner jüngsten Rechtsprechung Beweiserleichterungen auch in den Fällen besonders schwieriger Nachweiserbringungen (wie hinsichtlich der Blindheit bei zerebralen Schäden) eine eindeutige Absage erteilt (vgl. z.B. Urteil vom 14.06.2018 – B 9 BL 1/17 R).

1. Unter Anwendung dieser Grundsätze mangelt es vorliegend bereits am Primärschaden. Dieser ist nicht zur Gewissheit des Senats nachgewiesen.

Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind (BSG, Urteil v. 07.04.2011 – B 9 VJ 1/10 R – und Beschluss v. 29.01.2018 – B 9 V 39/17 B).

Vorliegend sind beide Voraussetzungen nicht erfüllt.

a. Zwar wurde von Klägerseite unter Vorlage einer Bestätigung der Mutter des Klägers vom 19.01.2011 vorgetragen, dass diese zwischen dem 06. und 09.07.1975 während des Libanonaufenthalts einen schweren Anfall mit Abgeschlagenheit, Mutlosigkeit Gefühlstaubheit und weiteren Störungen der Gesundheit bzw. der Befindlichkeit erlitten habe. Wie sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. K. ergibt, wäre dabei auch die zeitliche Komponente erfüllt.

Hierzu stellt der Senat jedoch fest: Selbst wenn man zugunsten des Klägers hinsichtlich der Primärschädigung (Impfkomplikation) auf den Gesundheitszustand der Mutter, nicht des (damals noch ungeborenen) Klägers abstellt, scheidet hier ein Nachweis aus. So ist ein entsprechendes Geschehen im Libanon, also die vorgetragene Gesundheits- oder Befindlichkeitsstörung der Mutter des Klägers, bereits nicht nachgewiesen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass nach so langer Zeit eine Erinnerungstäuschung vorliegt, dass beispielsweise nur unmaßgebliche Befindlichkeitsstörungen im Nachhinein und unzutreffender Weise als schwerere Krankheitserscheinungen interpretiert oder dass falsche Daten angegeben wurden. Nicht ausgeschlossen werden kann auch, dass die Erklärung der Mutter des Klägers aus dem Jahr 2011 interessensgeleitet (zugunsten des Klägers) abgegeben worden sein könnte; hierfür könnte auch die (beinahe tag-)genaue zeitliche Bestätigung sprechen, die nach mehreren Jahrzehnten eher ungewöhnlich erscheint.

 

b. Selbst wenn man jedoch, wiederum zugunsten des Klägers, davon ausgeht, dass die geschilderten Gesundheitsstörungen der Mutter tatsächlich und an den genannten Tagen vorgelegen haben, ergibt sich daraus keinesfalls ein Beleg für eine Impfkomplikation. Dies folgt vor allem aus dem fundierten und schlüssigen Sachverständigengutachten von Prof. Dr. K.. Der Senat macht sich diese sachverständigen Feststellungen nach eigener Prüfung zu eigen. Die Feststellungen stehen insbesondere auch in Übereinstimmung mit den gesamten vorliegenden Befunden.

Wie der Gutachter plausibel dargelegt hat, lassen die geschilderten Symptomen auch den Rückschluss zu, dass eine Psychoreaktion, eine zufällige Intoxikation oder Zirkulationsstörungen vorgelegen haben könnte. Im Übrigen gibt es keinerlei Anhalt für die tatsächliche Ursache des geschilderten kurzfristigen pathologischen Zustands der Mutter. Eine diagnostische Abklärung ist damals nicht erfolgt. Aus Sicht des Senats liegt jedoch eine (gegebenenfalls überwiegend psychisch vermittelte) Beeinträchtigung der Mutter des Klägers durch das unmittelbare Erleben des Ausbruchs des libanesischen Bürgerkriegs nahe. Der Kläger hat (in seiner Stellungnahme zum Gutachten von Prof. Dr. K. am 11.05.2011) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich seine Familie bzw. seine Mutter damals in einer Ausnahmesituation im Ort S. im Libanon befunden hätte, als dort gerade der Bürgerkrieg ausgebrochen sei.

Selbst wenn man jedoch annehmen würde, dass keine Intoxikation, Psychoreaktion oder Zirkulationsstörungen vorgelegen hätten, sondern, worauf der Sachverständige plausibel als ebenfalls denkbare Ursache hingewiesen hat, an eine im Rahmen einer Infektion flüchtige Enzephalitis, ist mit dem Gutachter hervorzuheben, dass gerade im Libanon (mehr noch als in Deutschland) eine zufällig akquirierte, obligat oder fakultativ auch neurotrophe Infektion mit flüchtiger Enzephalitis als Ursache medizinisch statistisch um ein Vielfaches wahrscheinlicher ist als eine Impfvirusenzephalitis (unter den Bedingungen einer Wiederimpfungs-Analogie), nachdem es sich bei der Mutter um eine postvakzinale Enzephalitis nach Wiederimpfung handeln hätte müssen, die sich mit einer Häufigkeit von einem Fall auf 1,5 Millionen Wiederimpfungen als extrem selten darstellen würde.

2. Darüber hinaus sind die Taubheit und die Sprachstörung des Klägers auch nicht kausal auf die o.g. Impfungen des Vaters und des Bruders des Klägers zurückzuführen.

Auch wenn der Senat, anders als der vom Kläger benannte Sachverständige Prof. Dr. E. (als Pharmakologe Mitglied der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft) nicht davon ausgeht, dass der ganze Vorgang „bizarr“ ist, muss hier festgestellt werden, dass von der Klägerseite relativ unwahrscheinliche Tatsachen und Zusammenhänge vorgetragen worden sind. Wie sich nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ergibt, kann nicht die Rede davon sein, dass nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände – wie (entsprechend den obigen Darlegungen) von der Rechtsprechung gefordert – der Verursachung der Gesundheitsschäden des Klägers durch die Impfungen gegenüber jeder anderen Möglichkeit der Verursachung ein deutliches Übergewicht zukommen würde (s.o., vgl. z.B. BSG, Urteil vom 22.09.1977 – 10 RV 15/77). Wie das SG anschaulich dargestellt hat, wäre ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Taubheit mit Hörstörung und den Impfungen des Vaters und des Bruders des Klägers nur dann möglich, wenn eine Reihe von unwahrscheinlichen bzw. zweifelhaften Annahmen erfüllt wären. Auch dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus dem plausiblen, auf Antrag des Klägers eingeholten Gutachten von Prof. Dr. K. und auch aus dem Gutachten von Dr. H.. Der Senat macht sich auch insoweit die sachverständigen Feststellungen nach eigener Prüfung zu eigen.

Die Verursachung der Gesundheitsschäden des Klägers durch die o.g. Impfungen wäre nur dann möglich, wenn eine angeborene Hörstörung im Sinne eines Residualschadens, also ohne Progredienz, vorliegen würde, sich die Mutter des Klägers, ohne dies zu bemerken, mit dem Impfvirus infiziert hätte, sich der Impfvirus trotz der Situation der Wiederimpfung der Mutter in ihrem Körper verbreitet hätte und sich dadurch nicht eine generalisierte Hirnschädigung, sondern eine isolierte Hörstörung entwickelt hätte.

Diese Annahmen lassen sich jedoch nicht belegen. Der Senat weist zusammenfassend auf folgende Punkte hin:

a. Entsprechend den vorliegenden Arztberichten hat der Kläger im Sommer 1979 einen aktiven Sprachschatz von etwa 30 Worten gehabt, den er schließlich bis 1980 wieder umfänglich verloren hat. Damit ist eine Hörschädigung, wie Prof. Dr. K. plausibel dargelegt hat, nicht durch eine vorgeburtliche „Impfung“ erfolgt, da ein solcher Impfschaden eine Dauerschädigung zur Folge hätte, nämlich im Sinne eines sogenannten Residualschadens, also ohne Progredienz. Der Senat übersieht nicht, dass die geschilderte Sprachentwicklung vom Kläger nachdrücklich bestritten wird, sodass auch er nicht davon ausgeht, dass diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht. Dies ist jedoch auch nicht maßgeblich. Aufgrund des letztlich unsicheren Verlaufs der Hör- und Sprachentwicklung des Klägers sieht der Senat jedenfalls bereits hinsichtlich dieses Punkts massive Zweifel an der Kausalität der angeschuldigten Impfungen.

b. Auch die Infizierung der Mutter mit dem Impfvirus ist nicht ausgeschlossen, jedoch keinesfalls überwiegend wahrscheinlich. Wie Prof. Dr. K. anschaulich dargestellt hat bleibt als mögliche Quelle einer Vaccinia translata der Mutter des Klägers nur die direkte Übertragung von der nässenden Impfstelle des Vaters (bzw. des Bruders), vermutlich die Haut auf der Schulter bzw. dem Oberarm, auf eine verwundete Hautstelle oder Schleimhaut der Mutter. Dies bestand als Möglichkeit nur in den ersten sieben Tage nach der Impfung des Vaters bzw. während einer gegebenenfalls verlängerten Frist nach der Impfung des Bruders des Klägers. Dem Senat erscheint es im Übrigen unwahrscheinlich, dass es während der Schwangerschaft der Mutter zu einer solchen Übertragung gekommen sein könnte, da – unabhängig von einer entsprechenden spezifischen medizinischen Aufklärung und Beratung – von einem generell vorsichtigen Umgang der Mutter mit offenen Wunden bei Familienangehörigen angesichts ihrer Schwangerschaft ausgegangen werden kann.

c. Vor allem aber erscheint dem Senat unwahrscheinlich, dass die Mutter des Klägers eine solche Übertragung des Impfvirus nicht bemerkt hätte. Angesichts der erfolgten Pockenimpfung der Mutter des Klägers hätte eine solche Übertragung des Impfvirus zwar nicht den Charakter einer Erst-, sondern einer Wiederimpfung gehabt; die Eintrittsstelle der (notwendig zuvor minimal verletzten) Haut bei der Mutter hätte sich also nur im Sinne einer Wiederimpfung entwickelt, sie wäre aber, wie der Sachverständige dargelegt hat, anhand Anblick und Missgefühl so gut wie sicher von der Mutter bemerkt worden, während sich eine Eintrittsstelle in der Schleimhaut zumindest wahrscheinlich wenigstens per Missgefühl bemerkbar gemacht hätte. Es erscheint im Übrigen aus Sicht des Senats ausgeschlossen, dass die Mutter des Klägers diese Symptome nur vergessen hätte, da sie andererseits ihre Gesundheit- bzw. Befindlichkeitsstörungen im Libanon, wie oben dargestellt, nach wie vor durchaus präsent hatte.

d. Weiter bleibt äußerst zweifelhaft, ob es im Falle einer dort stattgefundenen Übertragung überhaupt zu einer Verbreitung des Virus im Organismus der Mutter (Virämie) gekommen wäre. Wie Prof. Dr. K. anschaulich dargestellt hat, wäre dies zwar möglich, jedoch nicht überwiegend wahrscheinlich, weil nur in 10 % der Wiederimpfungen mit einer Virämie zu rechnen (gewesen) wäre. Wie der Sachverständige Dr. H. betont hat, stellt eine in die Blutbahn gelangende Infektion mit Vaccinia-Viren ein schweres Krankheitsbild dar. Dieses hätte aber vorliegen müssen, um eine aus dem Blutwege via Placenta übertragene Infektion des Foetus zu erklären. Eine solche bei der Mutter des Klägers in die Blutbahn gelangte Infektion hat nach der plausiblen Auffassung des Sachverständigen aber sicher nicht vorgelegen.

e. Hinzu kommt, dass nach der plausiblen Darlegung von Prof. Dr. K. selbst bei einer Übertragung des Impfvirus und einer anschließenden Virämie zu beachten wäre, dass es bisher nur von Pockenerstimpfungen während der Schwangerschaft belegte Fälle von durch Pockenimpfstoff erkrankten bzw. geschädigten Embryonen bzw. Neugeborenen belegte Fälle gibt und dass solche Vorkommnisse nach Wiederimpfung in der Schwangerschaft nicht ausreichend belegt sind. Wie der Sachverständige Dr. H. ausgedrückt hat, ist die Übertragung des Impfvirus auf das ungeborene Kind lediglich eine „sehr theoretische“.

f. Schließlich hat der Gutachter Dr. H. hervorgehoben, dass Fallberichte über isolierte Hörstörungen oder andere umschriebene Entwicklungsstörungen durch eine intrauterine Vaccinia-Infektion in der wissenschaftlichen Literatur nicht vorliegen. Aufgrund der Erkenntnisse über Impfungen gegen Pocken in der Schwangerschaft erscheint die Auslösung einer isolierten Schwerhörigkeit als Schädigung des Embryos als nicht realistisch.

An diesen Zweifeln vermögen auch die umfangreichen Darlegungen des Klägers nichts zu ändern, weil er keine konkreten Ansatzpunkte dafür bringt, wieso diese Zweifel unberechtigt wären bzw. wie eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Verursachung seiner (durchaus gravierenden) Gesundheitsstörung durch die Impfungen trotz der entgegenstehenden, von den Gutachtern im Einzelnen aufgezeigten Problemkreise zu begründen wäre. Wenn er dies letztlich mit der Alternativlosigkeit der von ihm gesehenen Kausalität – vor allem angesichts normal gehörender Familienangehöriger – versucht, kann ihm der Senat angesichts der denkbaren offensichtlichen Alternativursachen (wie z.B. schicksalshafter Verlauf) in keiner Weise folgen. Wie der Beklagte, z.B. im Schriftsatz vom 13.01.2017, zutreffend darauf hingewiesen hat, werden die Schlussfolgerungen der Gutachter vom Kläger zwar in Abrede gestellt, jedoch ohne entsprechende medizinisch-wissenschaftliche Behauptungen vorzutragen oder ähnliche Nachweise zur Untermauerung vorzulegen.

Auch aus dem Hinweis des Klägers auf die Äußerungen der Ärztin Z. ergibt sich nichts anderes. Wenn diese darauf hinweist, dass die Ärztin zu Recht zu dem Schluss komme, dass es aus medizinischer Sicht durchaus möglich sei, durch eine Pockenimpfung in der vulnerablen Phase in der Schwangerschaft eine Taubheit bei dem ungeborenen Kind zu verursachen, kann der Senat dem grundsätzlich sogar folgen. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens hält er dies durchaus nicht für gänzlich unmöglich, jedoch aufgrund der o.g. Einzelaspekte für sehr unwahrscheinlich. Eine bloße Möglichkeit reicht jedoch zur Annahme der Kausalität, wie oben umfangreich dargelegt, nicht aus.

Auch auf der Basis von § 61 Satz 2 IfSG (Kannversorgung) vermag der Kläger mit seinem Begehren nicht durchzudringen. Eine Versorgung kann danach auch gewährt werden, wenn die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung nur deswegen scheitert, weil in der medizinischen Wissenschaft über die Leidensursache allgemein Unkenntnis herrscht (s.o.). Dabei ist eine abstrakte theoretische Unsicherheit Voraussetzung, nicht eine bloße konkrete im Einzelfall (vgl. bereits das Urteil des Senats vom 31.07.2012 – L 15 VJ 9/09, m.w.N.). § 61 Satz 2 IfSG ist dahin zu interpretieren, dass mit Ausnahme des Wahrscheinlichkeitsnachweises alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sein müssen und zugleich keine Aspekte erkennbar sein dürfen, welche die Wahrscheinlichkeit der Verursachung unabhängig von der Ätiologie und der Pathogenese der betreffenden Krankheit ausschließen.

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben, wie sich ohne Weiteres aus dem nachvollziehbaren Gutachten von Prof. Dr. K. ergibt. Die verschiedenen möglichen Ursachen von angeborenen bzw. frühkindlichen Hörstörungen sind in der medizinischen Wissenschaft bekannt.

Der (erst) am 26.06.2019 gestellte Antrag auf Beauftragung des Sachverständigen Prof. Dr. S. gemäß § 109 SGG ist gemäß Abs. 2 der Vorschrift zurückzuweisen.

Gemäß § 109 Abs. 1 SGG ist im sozialgerichtlichen Verfahren auf Antrag des behinderten Menschen ein bestimmter Arzt gutachtlich zu hören. Die Anhörung kann von der Einzahlung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht werden (§ 109 Abs. 1 Satz 2 SGG). Abgelehnt werden kann die Anhörung nur unter den Voraussetzungen des § 109 Abs. 2 SGG. Eine Ablehnung ist möglich, wenn der Antrag entweder in Verschleppungsabsicht oder aus grober Nachlässigkeit zu spät vorgebracht worden ist und sich bei einer Zulassung des Beweisantrags die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde.

Die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Antrags gemäß § 109 SGG sind vorliegend gegeben.

Der Senat hat bereits am 11.09.2018 dem Kläger eine eher großzügige – das BSG hat eine Frist von sechs Wochen als unnötig lang angesehen (vgl. BSG, Beschluss vom 10.12.1958 – 4 RJ 143/58) – Frist zur Antragstellung (unter Benennung eines Arztes – ein Antrag gemäß § 109 SGG setzt voraus, dass der Antrag klar und unmissverständlich und mit dem zumindest bestimmbaren Namen des Arztes gestellt wird, eine lediglich unbestimmte Ankündigung eines Antrags gemäß § 109 SGG reicht nicht, vgl. BSG, Beschlüsse vom 23.10.1957 – 4 RJ 142/57 – und 04.11.1959 – 9 RV 862/56) gesetzt. Diese Frist ist in der Folge zugunsten des Klägers zunächst ein weiteres Mal bis 09.01.2019 und sodann sogar noch einmal bis 23.01.2019 verlängert worden. Dennoch ist bis 26.06.2019 kein zur Gutachtenserstellung bereiter Arzt benannt worden, wobei offenbleiben kann, ob der Prof. Dr. S. nun das Gutachten erstellt hätte, denn dieser wurde, wie ohne Weiteres ersichtlich, jedenfalls weit nach der gesetzten Frist benannt. Zwar hat der Senat – im Hinblick auf die eigenen Erfahrungen – durchaus Verständnis dafür, dass es mitunter schwierig sein kann, in Impfschadensfällen qualifizierte Sachverständige zu finden, die zur Gutachtenserstellung geeignet und bereit sind. Vorliegend muss jedoch beachtet werden, dass der Kläger bereits am 19.04.2017 erstmalig einen Antrag gemäß § 109 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren gestellt hat und dass er, nachdem damals ein geeigneter Sachverständige innerhalb von zwei Monaten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gefunden worden ist, bereits seit diesem Zeitpunkt von der Notwendigkeit gewusst hat, frühzeitig nach einem solchen Sachverständigen Ausschau zu halten. Dass aber innerhalb von zwei Jahren kein Sachverständiger gefunden hätte werden können, kann der Senat nicht nachvollziehen. Da die Zulassung des Beweisantrags einer Entscheidung am 02.07.2019 entgegengestanden wäre und daher das Verfahren (um viele Monate) verzögert hätte, war der Antrag zurückzuweisen.

Im Übrigen war(en) entgegen dem Antrag des Klägers vom 02.07.2019 keine weiteren Ermittlungen durchzuführen und insbesondere kein Gutachten gemäß § 106 SGG einzuholen. Der medizinische Sachverhalt ist im vorliegenden Verfahren aufgeklärt. Insbesondere wurden zwei Sachverständigengutachten eingeholt, die die vorliegend relevanten Fragen, insbesondere zur Kausalität, ausführlich beleuchtet und die maßgeblichen Problemkreise abgearbeitet haben. Dem steht nicht entgegen, dass die Sachverständigengutachten in einem gewissermaßen vorgeschalteten Gerichtsverfahren eingeholt worden sind. Denn die Sachverständigengutachten haben exakt die auch hier im vorliegenden Klage- und Berufungsverfahren maßgeblichen Fragen erörtert.

Soweit die Klägerseite vorbringt, dass die Gutachten, auf die sich der Senat bezieht, bereits einige Jahre alt seien und dass in Gerichtsverfahren stets der neueste wissenschaftliche Stand zu Grunde zu legen sei, ist Folgendes festzustellen: Zwar ist zutreffend, dass für das Gericht stets der aktuelle wissenschaftliche Stand maßgeblich ist (vgl. im Einzelnen hierzu z.B. Kater, Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, 2. Aufl. 2011, Seite 41, sowie das bereits oben erwähnte Urteil des BSG zu Kausalitätsbeurteilungen vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R). Dies wurde vorliegend jedoch auch berücksichtigt. Der Vortrag, dass sich innerhalb von nur wenigen Jahren der medizinische Wissensstand so weit verändert hätte, dass nun eine erneute Begutachtung vorzunehmen wäre, stellt eine bloße Behauptung „ins Blaue hinein“ dar, der das Gericht nicht nachgehen muss (vgl. z.B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ders., a.a.O., § 103, Rdnr. 8a, m.w.N.). Es ergeben sich keinerlei objektive Anhaltspunkte dafür, dass gerade auf dem Gebiet der Pockenimpfung, die grundsätzlich der Vergangenheit angehört, insoweit neue relevante Erkenntnisse im Raum stehen würden. Wie dem Senat aus vergleichbaren Verfahren und den dortigen Sachverhaltsermittlungen bekannt ist, hat sich das medizinische Fachwissen insoweit und vor allem hinsichtlich auch aller weiteren hier vorliegenden Problemkreise nicht maßgeblich erweitert bzw. verändert. Im Übrigen fällt auf, dass der Kläger selbst im Verfahren besonders alte Literaturstellen (nämlich aus den 1960er Jahren) bemüht hat. Eine – bloß höchst vorsorgliche – erneute Befragung der bereits beauftragten oder anderer Sachverständigen war daher nicht veranlasst.

Die Berufung bleibt daher ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

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