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Impfschadensrecht – Anspruch auf Versorgung

Bayerisches Landessozialgericht – Az.: L 15 VJ 9/16 – Urteil vom 26.03.2019

I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24. Oktober 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Versorgung nach dem Impfschadensrecht gemäß §§ 60 ff Infektionsschutzgesetz (IfSG) hat.

Die 1978 geborene Klägerin, für die mit Bescheid vom 27.11.2013 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 mit einem Einzel-GdB von 20 für eine Blutgerinnungsstörung festgestellt wurde, erhielt am 29.07.2010 und 13.03.2012 von ihrem Arzt Dr. F. jeweils eine Impfung gegen Hepatitis A mit dem Impfstoff Havrix(r) 1440.

Laut Befundbericht vom 07.03.2013 des Allgemeinarztes Dr. M. kam die Klägerin wegen Petechien am Bauch und am Oberschenkel am 06.08.2012 zu diesem. Dabei habe sich, so der Arzt, eine Thrombopenie gezeigt. Vom 07. bis 18.08.2012 wurde die Klägerin stationär im Klinikum P. behandelt. In dem Entlassungsbericht wurden unter anderem die Diagnosen Verdacht auf Idiopathische Thrombozytopenische Purpura, Morbus Werlhof, 08/12, Zustand nach Abrasio und Neurodermitis gestellt. Im Rahmen der Anamneseschilderung ist festgehalten, dass sich die Klägerin aktuell im Urlaub befinde und dass ihr aktuell Petechien im Bereich des Bauches aufgefallen seien, die sich zunehmend auch am Oberschenkel sowie an den Extremitäten ausbreiten würden. Infekt habe sie zuletzt keinen gehabt. Aktuell präsentiere die Klägerin keine Infektzeichen, der Allgemeinzustand sei stabil. Weiter wird in dem ärztlichen Bericht der Verdacht auf ein Uterusmyom (ca. 5,8 cm messbar) geäußert, von starken Regelblutungen berichtet und eine zeitnahe gynäkologische Vorstellung empfohlen. Von 23. bis 29.08.2012 wurde die Klägerin erneut im Klinikum P. behandelt. In dem ärztlichen Bericht des Klinikums vom 27.08.2012 wurde im Hinblick auf die Laborergebnisse bezüglich der Thrombozytenmessung ein „insgesamt diskreter Befund, vereinbar mit einer Autoimmunthrombozytopenie des manchmal akuten Typs, z.B. postinfektiös und reversibel gestellt. Auch in diesem Bericht findet sich die Diagnose Idiopathische Thrombozytopenische Purpura, Morbus Werlhof, 08/12. Am 17.09.2012 suchte die Klägerin ihren Frauenarzt Dr. B. wegen Hypermenorrhoe und Dauerblutung, wie dieser im Befundbericht vom 07.04.2015 mitteilte, auf.

Am 20.02.2013 beantragte die Klägerin beim Beklagten Versorgung nach dem IfSG, da sie an der Morbus Werlhof-Erkrankung infolge der Impfung vom 13.03.2012 leide. Erstmals habe sie ab April 2012 verstärkte Monatsblutungen und ab August 2012 eine Müdigkeit, Petechien und Hämatome bemerkt. Der Beklagte zog die Verwaltungsakte des Verfahrens nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch bei, wertete die o.g. Befundunterlagen aus und beauftragte Prof. Dr. K. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 10.08.2013 fest, dass an der Diagnose einer immunthrombozytopenischen Purpura (Immunthrombozytopenie – ITP), akut im August 2012 aufgetreten, anhand der Befunde nicht gezweifelt werden könne. Da der schubweise Verlauf sechs Monate überschreite, sei definitionsgemäß von einer chronischen ITP zu sprechen, d.h. von Morbus Werlhof.

Zur Hepatitis A-Impfung schreibe die Ständige Impfkommission (STIKO) im Epidemiologischen Bulletin vom 22.06.2007, dass in Einzelfällen in der medizinischen Fachliteratur über das Auftreten von neurologischen Störungen sowie über Blutgerinnungsstörungen (Thrombozytopenische Purpura) berichtet worden sei, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung aufgetreten seien. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung sei bei diesen Beobachtungen fraglich, es könnte sich in der Mehrzahl dieser Einzelfallberichte, so die STIKO, um das zufällige zeitliche Zusammentreffen von miteinander nicht ursächlich verbundenen selbstständigen Ereignissen handeln. Prof. Dr. K. wies darauf hin, dass für die Minderzahl postvakzinaler thrombozytopenischer Fälle auch die (sehr zurückhaltende) STIKO ernsthaft einen ursächlichen Zusammenhang erwäge. Weiter machte der Sachverständige auf die Rote Liste 2012 aufmerksam, wo unter Nebenwirkungen von Havrix(r) 1440 unter anderem ausdrücklich eine Idiopathische Thrombozytopenische Purpura genannt werde.

Nach den Auswertungen der anamnestischen Angaben betrage das Intervall zwischen den ersten Symptomen einerseits und vorangegangener Infektionskrankheit bzw. Impfung eine bis drei (bis vier) Wochen; dies sei exakt die Spanne akzeptierter postvakzinaler Inkubationszeit auch für andere Impfschäden (speziell für die postvakzinale Polyneuropathie setze das Paul-Ehrlich-Institut ausnahmsweise eine Spanne von maximal 42 Tagen an). Im vorliegenden Fall der Klägerin reiche das Intervall vom 13.03.2012 bis Anfang August 2012 (erste Konsultation beim Hausarzt Dr. M. am 06.08.2012); damit sei jegliche Spanne akzeptierter oder denkbarer postvakzinaler Inkubationszeit weit überschritten. Vollursächlicher oder teilursächlicher oder gelegenheitsursächlicher Zusammenhang zwischen der angeschuldigten Hepatitis A-Impfung und Morbus Werlhof seien im vorliegenden Fall so gut wie sicher ausgeschlossen.

Weiter verwies Prof. Dr. K. auch auf den Befall mit Helicobacter pylori als möglicher Verursacher der Manifestationsprovokation eines Morbus Werlhof, was seit einiger Zeit diskutiert werde. Bei der Klägerin sei im August 2012 eine aktive Helicobacterinfektion nachgewiesen worden. Es könne diskutiert werden, dass diese Infektion im vorliegenden Fall die Manifestationsprovokation des Leidens verursacht habe.

Zusammenfassend hob Prof. Dr. K. hervor, dass nach gegebener Aktenlage so gut wie sicher keinerlei Zusammenhang zwischen der Impfung und der Erkrankung bestehe.

Mit Bescheid vom 22.10.2013 lehnte der Beklagte den Antrag auf Beschädigtenversorgung sodann ab. Ein Impfschaden sei nicht gegeben.

Hiergegen erhob die Klägerin am 06.11.2013 Widerspruch. Zur Begründung wurde hervorgehoben, dass bei der Klägerin bereits Ende März 2012 sehr starke Regelblutungen aufgetreten seien. Ebenfalls hätten bereits am Körper kleine rote Einblutungen (Petechien) erkannt werden können, die die Klägerin fälschlicherweise zunächst einer Neurodermitis zugeordnet habe. Weiter wurde auf die Herstellerinformation von Havrix(r) 1440, wonach als Nebenwirkung eine erhöhte Neigung zu Blutungen oder zu Blutergüssen (Idiopathische Thrombozytopenische Purpura) auftreten würde, hingewiesen. Bei einer Routineuntersuchung im Januar 2012 habe die Klägerin 367.000 Thrombozyten gehabt, im August nur noch 7.000. Grund dafür, dass die Klägerin erst im August ärztliche Hilfe aufgesucht habe, sei, dass die Symptome bis dahin unspezifisch gewesen seien. Nachdem die Beschwerden sich zunehmend verschlimmert hätten (vermehrtes Schwitzen, Verschlechterung des Sehvermögens, gelegentlicher Schwindel), habe die Klägerin dann ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Es sei falsch, die erste Konsultation beim Hausarzt (06.08.2012) mit dem erstmaligen Auftreten von Symptomen gleichzusetzen.

Im Widerspruchsverfahren wurde noch ein Arztbericht des Medizinischen Versorgungszentrums am Klinikum P. vom 28.09.2012 ausgewertet, in dem keine Blutungen, jedoch leichte Hämatomneigungen, Petechien, chronische Müdigkeit und Erschöpfungszustand als Diagnosen gestellt wurden.

In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. S. des Beklagten vom 20.01.2014 wurde von einer Idiopathischen Immunthrombozytopenischen Purpura (ITP) ohne erkennbare Ursache ausgegangen. Wenn die jetzt berichteten ersten Hauterscheinungen und die verstärkte Regelblutung Ende März 2012 bereits Ausdruck einer ITP gewesen wären, so Dr. S., wäre zwischen März und August 2012 keine beschwerdefreie Latenzzeit zu erwarten gewesen. Die zunehmenden Hautveränderungen, die im August 2012 in die Notaufnahme des Klinikums P. geführt hätten, wären bei ersten Anzeichen einer ITP bereits Ende März 2012 viel früher zu erwarten gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.02.2014 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde vor allem hervorgehoben, dass die Klägerin zwar angegeben habe, bereits zwei Wochen nach der Impfung (nämlich Ende März 2012) sehr starke Regelblutungen und am Körper kleine rote Einblutungen gesehen zu haben, dass aus den anamnestischen Angaben des Arztbriefes des Klinikums P. jedoch ersichtlich sei, dass der Klägerin erst im August 2012 Petechien im Bereich des Bauches aufgefallen seien, die sich zunehmend auf Oberschenkel und Extremitäten ausgebreitet hätten. Wenn die jetzt berichteten ersten Hauterscheinungen und die verstärkte Blutung Ende März 2012 bereits Ausdruck einer ITP gewesen wäre, wäre es zu einer entsprechend früheren stationären Krankenhausbehandlung gekommen; eine beschwerdefreie Latenzzeit wäre nicht zu erwarten gewesen.

Am 28.02.2014 hat die Klägerin hiergegen Klage zum Sozialgericht (SG) Landshut erhoben. Zur Begründung ist entsprechend der Widerspruchsbegründung vorgetragen und auf die von der Klägerin eingeholte Äußerung von Prof. Dr. K., Direktor des Instituts für Pathologie der Medizinischen Hochschule H-Stadt vom 28.10.2013 verwiesen worden, wonach angesichts der von der Klägerin geschilderten Symptome die Thrombozytopenie schon im März bestanden habe können, was ohne Kenntnis des klinischen Bildes aus der Ferne aber nicht sicher zu entscheiden sei. Die Dauer einer ITP in Wochen oder Monaten anzugeben, sei nicht möglich. Zudem hat die Klägerin über ihren Bevollmächtigten auf die Kongruenz zwischen dem Schadensverlauf und dem Wirkmechanismus von Havrix(r) 1440 verwiesen. Weiter ist hervorgehoben worden, dass zwischen März und August Symptome nicht gefehlt hätten. Vielmehr hätten sich die kurz nach der Impfung auftretenden Beschwerden zunehmend verschlechtert.

Zur Sachverhaltsermittlung hat das SG Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt, nämlich vom Hämatologen und Onkologen P. (13.02.2015), vom Frauenarzt Dr. B. (07.04.2015), vom Hausarzt Dr. M. (10.04.2015) und vom Internisten und Kardiologen Dr. J. (26.09.2012).

Sodann hat das SG Beweis erhoben und den Facharzt für Hämatologie und Onkologie Prof. Dr. O. (L-Universität M-Stadt) mit Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 23.09.2015 nach Untersuchung der Klägerin (vom 21.09.2015) hat der Sachverständige als Diagnosen „idiopathische thrombozytopenische Purpura (ITP)“, Morbus Werlhof, Autoimmunthrombozytopenie – Erstdiagnose 08/2012, Zustand nach Impfung mit Havrix(r) 1440, Neurodermitis, Asthma bronchiale, Adipositas, Zustand nach arterieller Hypertonie, Eradikationstherapie bei Helicobacter pylori-positivem Antigen in der Stuhlkultur 08/2012 gestellt. Unter Auswertung der vorliegenden medizinischen Unterlagen hat Prof. Dr. O. festgestellt, dass es unter der Kortikosteroidbehandlung zu einem raschen Anstieg der Thrombozytenwerte und Rückbildung der petechialen Einblutungen gekommen sei. Bei der durch ihn durchgeführten körperlichen Untersuchung der Klägerin habe diese keinerlei Blutungszeichen gezeigt.

Der Sachverständige hat dargelegt, dass für einen möglichen Zusammenhang zwischen der Impfung und der späteren Diagnose einer ITP spreche, dass laut Gebrauchsinformation des Impfstoffs eine ITP tatsächlich als mögliche Nebenwirkung beschrieben sei. In der Regel gehe er von einer chronischen ITP aus, wenn die erniedrigten Thrombozytenwerte mindestens über einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten bestünden. Prof. Dr. O. hat jedoch ausdrücklich festgestellt, dass vorliegend jegliche Blutuntersuchungen und Verlaufskontrollen im Zeitraum vom 13.03.2012 bis 07.08.2012 (Zeitpunkt der erstmaligen Feststellung einer Thrombozytopenie mit Werten von 7.000) fehlen würden. Insofern sei es schwierig festzustellen, ab wann die ITP bestanden habe. Der einzige Thrombozytenwert vor dem 07.08.2012 sei vom 03.01.2012 im Rahmen einer Routineuntersuchung (Wert 367.000). Die Schwierigkeit hinsichtlich der von der Klägerin vorgetragenen verstärkten Regelblutung und behaupteten Petechien ca. zwei Wochen nach der Impfung sei, dass der Inhalt dieser Aussagen nirgendwo dokumentiert sei. Weiterhin schwierig sei, dass sich der genaue Zeitpunkt des ersten Auftretens einer ITP nicht genau bestimmen lasse, also unklar sei, ob diese Wochen oder Monate nach dem vorausgegangenen Ereignis (der Impfung mit Havrix(r) 1440) aufgetreten sei.

Prof. Dr. O. hat festgestellt, dass es in der Gesamtschau der Befunde unwahrscheinlich sei, dass eine mögliche Thrombozytopenie die Ursache der von der Klägerin angegebenen starken Regelblutungen sowie Petechien bereits ca. zwei Wochen nach der Impfung darstelle. Sollten die Befunde der Klägerin tatsächlich auf eine mögliche Thrombozytopenie Ende März 2012 zurückzuführen sein, sei sehr unwahrscheinlich, dass danach die Thrombozytopenie (bis 07.08.2012) plötzlich verschwunden wäre, so der Gutachter. Hier hätte man aus klinischer Sicht weitere Beschwerden der Klägerin erwarten müssen im Sinne von weiteren Blutungszeichen.

Zudem hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass der Nachweis der Helicobacter pylori vom August 2012 von Bedeutung sei. Da bekannt sei, dass Helicobacter pylori bei einem Teil der Patienten mit ITP pathogenetisch für die ITP verantwortlich sei, müsse, so Prof. Dr. O., differenzialdiagnostisch auch die Helicobacter pylori-Infektion als mögliche Ursache für die ITP der Klägerin in Betracht gezogen werden.

Die Beschwerden der Klägerin seien auf die ITP zurückzuführen. Diese Diagnose könne dokumentiert frühestens auf den August 2012 datiert werden. Die von der Klägerin vorgetragenen Symptome (verstärkte Regelblutung, Petechien) Ende März 2012 könnten mit großer Wahrscheinlichkeit nicht auf die ITP zurückgeführt werden, da die ITP zu diesem Zeitpunkt noch nicht diagnostiziert worden sei und aller Wahrscheinlichkeit auch nicht vorgelegen habe.

Eine wesentliche Mitursache der Hepatitis A-Impfung für das Auftreten der ITP könne nach den dargelegten Ausführungen weitgehend ausgeschlossen werden (Ausschluss mit mehr als 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit). Ein 100-prozentiger Ausschluss könne nicht gelingen, da im Zeitraum vom 13.03. bis 07.08.2012 keinerlei Blutbildkontrollen erfolgt seien. Dass die von der Klägerin vorgetragenen Beschwerden Ende März auf die ITP tatsächlich zurückzuführen seien, sei theoretisch denkbar, aber in der Zusammenschau „doch eher unwahrscheinlich“.

Sodann hat im Auftrag des SG gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Dr. H. am 05.09.2016 ein Gutachten erstellt. In seinem Gutachten stellte der Sachverständige fest, dass ab April 2012 verstärkte Regelblutungen aufgetreten seien und dass die Klägerin zu dieser Zeit auch die ersten petechialen Blutungen bemerkt habe. Wie deutlich diese frühen Blutungen ausgeprägt gewesen seien und ob sie sich auch vollständig zurückgebildet hätten, sei nicht in den Akten dokumentiert.

Unter anderem hat der Sachverständige auch das Krankheitsbild der Autoimmunthrombozytopenie bzw. Morbus Werlhof kurz zusammengefasst. Die ITP sei eine immunologisch vermittelte isolierte Thrombozytopenie, bei der Antikörper gegen die körpereigenen Thrombozyten gebildet würden. Bei 60 bis 80 % der Patienten dieser Krankheit finde man mit modernen Untersuchungsmethoden Autoantikörper gegen Epitope. Die antikörperbeladenen Thrombozyten würden von Makrophagen und dendritischen Zellen z.B. in der Milz aufgenommen und abgebaut. In den allermeisten Fällen bleibe unklar, was bei der ITP die Immunreaktion gegen die Thrombozyten in Gang gesetzt habe.

Unter anderem hat der Sachverständige in seinem Gutachten auch hervorgehoben, dass eine ITP als seltene Impfkomplikation von Havrix(r) 1440 bekannt und in der Fachinformation auch beschrieben sei. Zudem hat er auf das Risiko der Entstehung einer Autoimmunerkrankung durch das als Adjuvans wirkende Aluminium aufmerksam gemacht.

Von entscheidender Bedeutung für die Frage der Kausalität sei die Frage nach dem ersten Auftreten von Symptomen der Erkrankung. In diesem Zusammenhang hat Dr. H. festgestellt, dass der Verlauf einer ITP unberechenbar sei; Verläufe mit relativ blandem Beginn seien nicht ungewöhnlich und die Beschreibung des Erkrankungsverlaufs durch die Klägerin somit plausibel. Unklar bleibe beim Betrachten der zeitlichen Abläufe der Beginn der Helicobacter pylori-Infektion. Diese sei erst im Rahmen des ersten Klinikaufenthalts im August 2012 festgestellt und behandelt worden. Wie lange diese Infektion schon bestanden habe, bliebe, so der Sachverständige, unklar. Für Autoimmunerkrankungen nach inaktivierten adjuvantierten Impfungen gebe es kein streng definiertes plausibles zeitliches Intervall. Orientierend an neurologischen unerwünschten Wirkungen nach Impfungen werde von vielen Experten ein Intervall von fünf bis 42 Tagen nach der angeschuldigten Impfung für plausibel betrachtet. Allerdings würde das plausible Zeitintervall auch deutlich weiter definiert und es werde die Ansicht vertreten, dass für autoimmune Erkrankungen nach Impfungen auch Intervalle von mehreren Monaten nicht unplausibel seien. Innerhalb dieses als plausibel geltenden Zeitfensters sei es bei der Klägerin also zu ersten Symptomen der ITP-Erkrankung im Sinne von petechialen Blutungen und verstärkten Regelblutungen gekommen.

Die unerwünschte Reaktion einer ITP sei nach der Hepatitis A-Impfung als bekannt zu betrachten. Es gebe plausible Hypothesen zur Pathophysiologie solcher Autoimmunreaktionen nach Impfungen.

Alternative Ursachen im Sinne von nachgewiesenen Infektionen oder anderen immunmodulatorischen Ereignissen zum Zeitpunkt des Beginns der Erkrankung Ende März bis Anfang April 2012 seien in den Akten nicht dokumentiert.

Bei der Klägerin liege nach den WHO-Kriterien mit Wahrscheinlichkeit eine Impfschädigung vor, die durch die verabreichten Impfungen verursacht worden sei. Das Kriterium des „gesicherten Zusammenhangs“ im WHO-Algorithmus verlange einen „positiven“ Reexpositionsversuch (d.h. durch eine nochmalige Impfung die Erkrankung erneut zu provozieren oder zu verstärken). In Anbetracht der Schwere der Erkrankung bei der Klägerin sei ein solches Vorgehen ethisch aber nicht vertretbar. Somit seien im Falle der Klägerin die Kriterien erfüllt, die von der WHO für die Feststellung eines wahrscheinlichen Zusammenhangs gefordert würden, nämlich ein plausibles zeitliches Intervall, eine plausible Hypothese zu Pathophysiologie und Bekanntheit der Reaktion und das Fehlen einer diagnostisch gesicherten anderen möglichen Auslösers einer Autoimmunreaktion im plausiblen Zeitintervall im Sinne einer Infektion.

Diese Bewertungskriterien seien derzeit weltweit medizinisch-wissenschaftlicher Standard bei der Einzelfallbewertung von Verdachtsfällen von unerwünschten Arzneimittelwirkungen und würden von Behörden wie z.B. dem Paul-Ehrlich-Institut und von Arzneimittelherstellern auch bei Impfstoffen verwendet. Diese Kriterien seien somit „der Goldstandard“ zur wissenschaftlichen Kausalitätsbewertung bei unerwünschten Wirkungen nach Impfstoffanwendungen. Die Kriterien seien transparent und würden eine Kausalitätsbewertung nachvollziehbar machen. Die vom BSG bzw. § 61 Satz 1 IfSG vorgegebene Art der Kausalitätsbewertung, wonach Kausalität dann gegeben sei, wenn wenigstens mehr für als gegen sie spreche, sei durchaus problematisch und bei vielen komplexen Verdachtsfällen von unerwünschten Wirkungen von Impfstoffen nicht wirklich anwendbar. Wenn man sich wissenschaftlich wirklich mit den Abläufen einer Impfkomplikation befasse, so sei die Forderung nach einer gesundheitlichen Primärschädigung in Form einer unüblichen Impfreaktion sehr problematisch und entspreche keinesfalls dem aktuellen Kenntnisstand über immunologisch vermittelte Impfkomplikationen. Gerade die von Shoenfeld et al. 2010 etablierten Fälle adjuvansbedingter Autoimmunreaktionen nach Impfungen vermittelten eben keine unmittelbar erkennbare Primärschädigung, sondern verliefen nach einem symptomfreien Zeitintervall mit schleichendem Beginn einer schweren Erkrankung, bis zu deren Diagnosestellung dann wieder einige Zeit vergehe.

Sodann hat sich der Sachverständige mit den Vorgutachten auseinandergesetzt. Im Hinblick auf das Gutachten von Prof. Dr. K. und dessen Hinweis auf eine Helicobacter pylori-Infektion hat Dr. H. erneut darauf hingewiesen, dass unklar bleibe, ob diese zum Zeitpunkt des erstmaligen Auftretens von Anzeichen einer Gerinnungsstörung Ende März und April 2012 bereits vorgelegen habe. Gesichert sei dagegen die zweite Hepatitis A-Impfung. Die Argumentation von Prof. Dr. K. zu den beschriebenen zeitlichen Abläufen sei nicht stichhaltig. Auch für andere Autoimmunerkrankungen werde im Paul-Ehrlich-Institut ein plausibles zeitliches Intervall von bis zu 42 Tagen nach der Impfung angewendet. Zum Gutachten von Prof. Dr. O. hat Dr. H. angemerkt, dass auch dessen Argumentation hinsichtlich des Intervalls nicht nachvollziehbar sei. Eine ITP könne mit Erscheinungen wie bei der Klägerin beginnen und erst nach Monaten zu schweren Blutungen führen. Ein solcher Verlauf sei in keiner Weise für eine Autoimmunerkrankung ungewöhnlich. Es sei also nicht nachvollziehbar, wenn gesagt werde, das etwa zweiwöchige Intervall zwischen Impfung der Klägerin und Auftreten der ersten Petechien mache eine durch die Impfung ausgelöste ITP unwahrscheinlich.

Zusammenfassend hat der Sachverständige festgestellt, dass bei der Klägerin eine unstreitige chronische thrombozytopenische Purpura vorliege und dass die Havrix(r) 1440-Impfung vom 13.03.2012 der wahrscheinliche Auslöser der ITP-Erkrankung der Klägerin sei. Die Impfschadensfolgen seien hier die rezidivierenden Thrombozytopenien mit Blutungen bei immunvermittelter chronischer thrombozytopenischer Purpura. Für die chronische und schwer therapierbare Autoimmunerkrankung mit zum Teil lebensbedrohlichen Gerinnungsstörungen sei ein GdS von 30 anzunehmen. Gegebenenfalls sollte bei einer Veränderung des Gesundheitszustands eine erneute Bewertung des GdS vorgenommen werden.

In der Stellungnahme vom 13.09.2016 hat sich die Klägerseite dem Gutachten von Dr. H. angeschlossen und den Kausalitätsnachweis als geführt angesehen. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Beklagten vom 07.10.2016 ist hervorgehoben worden, dass die Symptome einer Idiopathischen Thrombozytopenischen Purpura frühestens am 06.08.2012 nachgewiesen seien. In den Gutachten vom Prof. Dr. K. und Prof. Dr. O. sei das Intervall von knapp fünf Monaten zwischen Impfung und eindeutigem Nachweis hervorgehoben worden, das einen zeitlichen bzw. Ursachenzusammenhang unwahrscheinlich mache. Die von der Klägerin im Intervall genannte Symptomatik (Petechien, starke Regelblutungen) seien weiterhin, so die Sozialmedizinerin Dr. V., nicht belegt, sie seien offensichtlich auch nicht so ausgeprägt gewesen, dass eine ärztliche Konsultation erforderlich gewesen wäre. Gegen eine chronische Blutungsanämie spreche aber vor allem auch das im Normbereich gelegene Blutbild bei der Erstdiagnose im August 2012, so dass weiterhin ein plausibler zeitlicher Zusammenhang nach den derzeit gültigen und anerkannten Kriterien – Dr. V. ist von einem Zeitraum von fünf bis 42 Tagen ausgegangen – zwischen Impfung und Auftreten der Bluterkrankung nicht gegeben sei. Auf die hypothetische Begründung von Dr. H., die impfstoffunspezifischen Bestandteile, müsse deshalb nicht eingegangen werden.

Mit Urteil vom 24.10.2016 hat das SG sodann den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 22.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.02.2014 verurteilt, die bei der Klägerin ab August 2012 nachgewiesene Idiopathische Thrombozytopenie als Folge der Hepatitis A-Impfung vom 13.03.2012 anzuerkennen und eine Versorgungsrente nach einem GdS von 30 ab 01.08.2012 zu gewähren. In der ausführlichen Begründung hat das SG ausgeführt, der Überzeugung zu sein, dass die Impfung mit Wahrscheinlichkeit eine mindestens gleichwertige Mitursache für die Entstehung der Idiopathischen Thrombozytopenie gewesen sei. Das SG ist in vollem Umfang dem „schlüssigen und nachvollziehbaren“ Gutachten von Dr. H. gefolgt. Nach den konstanten und von Anfang an durchgehend vorgetragenen Angaben der Klägerin gehe das SG davon aus, dass die ersten Zeichen einer Thrombozytopenie bereits ab April 2012 aufgetreten seien, also durchaus in engem zeitlichem Zusammenhang mit der streitigen Impfung. Der zeitliche Zusammenhang zwischen Impfung und Auftreten der Erkrankung spreche für einen Kausalzusammenhang und nicht dagegen, anders als die Sachverständigen Prof. Dr. K. und Prof. Dr. O. annehmen würden. Insgesamt spreche mehr dafür als dagegen, dass die Impfung mit Wahrscheinlichkeit eine mindestens gleichwertige Ursache sei. Zum einen sei die Erkrankung bereits im Nebenwirkungsprofil des Impfstoffes erwähnt. Die Auflistung von Nebenwirkungen in der sog. Roten Liste sei keine juristisch vorbeugende Äußerung der Pharmaindustrie, sondern entspreche vielmehr klinischer Realität. Die Darstellung der Kausalzusammenhänge im Gutachten von Dr. H. sei für das Gericht nachvollziehbar. Es sei in der medizinischen Wissenschaft bekannt, dass Adjuvantien wie Aluminiumhydroxid oder Aluminiumphosphat auch zu unerwünschten immunologischen Reaktionen führen und in Einzelfällen sogar Autoimmunkrankheiten auslösen könnten. Bei der Thrombozytopenie handle es sich um eine Autoimmunerkrankung. Dr. H. habe seine Darstellung der Kausalzusammenhänge darüber hinaus mit hinreichender medizinischer Literatur belegt, so dass man nicht davon ausgehen könne, dass er nur seine eigene Sichtweise darstelle.

Schließlich hat sich das SG auf die Entscheidung des Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) vom 31.07.2012 (Az. L 15 VJ 9/09) berufen, wonach es nicht schade, wenn die untypische Impfreaktion, d.h. die Primärschädigung, nicht allzu deutlich zu Tage getreten sei und sich der gesundheitliche Dauerschaden erst schleichend entwickelt habe und dann erst ab einer gewissen Dramatik der Symptome auffalle und diagnostiziert werde. Bei den im Falle der Thrombozytopenie auftretenden Symptomen handle es sich zunächst um funktionell kaum beeinträchtigende Auffälligkeiten, wie etwa eine verstärkte Regelblutung oder kleine Einblutungen an der Haut. Derartige Symptome würden, so das SG, die meisten Menschen nicht veranlassen, sofort zum Arzt zu gehen, weil sie diese als harmlos ansähen und weil auch auf Grund von fehlenden Schmerzen, fehlendem Krankheitsgefühl etc. kein dringender Anlass zu einem Arztbesuch bestehe. Vor diesem Hintergrund hat das SG die Auffassung vertreten, dass die Beweisanforderungen an den Nachweis der Primärschädigung nicht überspannt werden dürften. Bemerkenswert sei auch, dass nur in wenigen Fällen der Zusammenhang zwischen einer Autoimmunerkrankung und einer Impfung konkret nachgewiesen habe werden können, aber gerade zwischen einer Idiopathischen Thrombozytopenie und einer Masernimpfung nach einem Urteil des BayLSG vom 28.07.2011 (Az. L 15 VJ 8/09).

Schließlich hat das SG dargelegt, dass es von einem GdS von 30 überzeugt sei und hat hierbei auf die Bewertung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG), Anlage 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung, in Teil B, Ziff. 16.7 verwiesen.

Am 07.12.2016 hat der Beklagte gegen das Urteil Berufung zum BayLSG eingelegt und gemäß § 199 Abs. 2 Satz 1 SGG beantragt, die Vollstreckung aus dem Urteil durch einstweilige Anordnung auszusetzen.

Zur Begründung hat er hervorgehoben, es sei letztlich nur Spekulation, dass Adjuvantien (Aluminimumverbindungen) zu unerwünschten immunologischen Reaktionen führen und in Einzelfällen sogar Autoimmunerkrankungen auslösen könnten; es gebe keine Studie, die von den weltweit maßgeblichen medizinisch-wissenschaftlichen Institutionen als glaubhafte Studienergebnisse gewertet würde, die einen solchen ursächlichen Zusammenhang bestätigen würden.

Weiter hat der Beklagte auf die Sachverständigengutachten von Prof. Dr. K. und Prof. Dr. O. und die dortige Argumentation mit dem zeitlichen Ablauf verwiesen. Widersprüchlich sei insoweit auch der Tenor des angefochtenen Urteils: Einerseits werde davon ausgegangen, dass die ersten Zeichen der Thrombozytopenie bereits ab April 2012 aufgetreten seien, andererseits werde der Nachweis aber erst ab August 2012 gesehen. Konsequenterweise hätte man (wegen des daraus folgenden Heilbehandlungsanspruchs) dann bereits ab April 2012 die Schädigungsfolge Thrombozytopenie nach dem IfSG anerkennen müssen, auch wenn ein hieraus resultierender GdS erst später eintrete.

Impfschadensrecht - Anspruch auf Versorgung
(Symbolfoto: Von Studio Romantic/Shutterstock.com)

Außerdem liege schon gar kein rentenberechtigender GdS von 30 vor. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 27.11.2013 nach dem SGB IX sei ein Gesamt-GdB von 30 festgestellt worden, der jedoch nicht mit dem Gesamt-GdS gleichgesetzt werden könne, da die als Blutgerinnungsstörung bezeichnete Thrombozytopenie zeitlich nach dem im angefochtenen Urteil genannten Zeitpunkt bestandskräftig mit einem Einzel-GdB von nur 20 bewertet sei.

Mit Beschluss vom 25.01.2017 hat der Senat die Aussetzung der Vollstreckung aus dem Urteil des SG abgelehnt (Az. L 15 VJ 8/16 ER).

Mit Schriftsatz vom 20.12.2016 hat die Klägerin die Zurückweisung der Berufung beantragt und erneut hervorgehoben, dass sich die ersten Anzeichen einer negativen Reaktion auf den Impfstoff nicht erst Monate nach der Impfung, sondern bereits kurze Zeit danach gezeigt hätten. Zudem sei die Erkrankung eine bekannte Nebenwirkung des Impfstoffs. Eine Bindung des SG an die GdB-Feststellung bestehe nicht.

Im Erörterungstermin des Senats vom 31.07.2018 hat die Klägerin folgende Angaben gemacht:

„Ab April 2012 habe ich verstärkte Regelblutungen bemerkt, die durchgehend jedenfalls bis August 2012 bestanden. Zusätzlich habe ich rote Pünktchen an meinen Oberarmen und an meinem Bauch bemerkt, von denen ich allerdings angenommen habe, dass sie von der Neurodermitis kämen. Diese Pünktchen sind dann geblieben, erst im August haben sie sich verstärkt.“ Weiter hat sie darauf hingewiesen, dass sich bei der Untersuchung im August 2012 gezeigt habe, dass ihr Körper bereits auf die Thrombozytopenie reagiert habe, was sich aus dem Bericht des Klinikums P. vom 13.08.2012 ergebe. Ansonsten gebe es jedoch, so die Klägerin, keine Nachweise für die bemerkten Reaktionen, insbesondere auch keine Arztberichte. Die Abrasio habe ca. 2007 stattgefunden. Das vermehrte Schwitzen, die Sehstörung und gelegentlicher Schwindel seien erst nach der Kortisonbehandlung, also im August 2012 aufgetreten.

Hinsichtlich der „Langzeitwirkungen“ der Thrombozytopenie hat die Klägerin erklärt, schnell erschöpft zu sein und bei Infekten vermehrte Einblutungen zu bemerken. Die leichte Erschöpfbarkeit schlage sich auch auf die Psyche. Seit 2014 sei sie ca. alle drei bis vier Monate beim Hausarzt zur Blutkontrolle gewesen, in den Jahren zuvor noch öfter. Sie habe (neben Kolostrum) nicht regelmäßig Medikamente eingenommen. Allerdings habe sie im Fall einer zu geringen Thrombozytenzahl Kortison eingenommen, was ca. einmal im Jahr der Fall gewesen sei; für Notfälle habe sie auch immer das Medikament Dexamethason dabei.

In einer weiteren Stellungnahme ist von der Klägerseite erneut auf das Gutachten von Dr. H. eingegangen worden. Dieser habe sich auch zu möglichen Alternativursachen durch die diagnostizierte Helicobacter pylori-Infektion geäußert. Klägerseits werde daher davon ausgegangen, dass diese Infektion nicht Ursache der ITP sei, sondern dass „vielmehr Helicobacter pylori-Infektion eine Begleiterscheinung der ITP“ sei. Im Rahmen der Amtsermittlung sei eine ergänzende Stellungnahme bei Dr. H. zu der Frage, ob als Alternativursache für die bei der Klägerin bestehende ITP die diagnostizierte Helicobacter-Infektion in Frage komme oder ob die Havrix(r) 1440-Impfung vom 13.03.2012 der hinreichend wahrscheinliche Auslöser der ITP-Erkrankung der Klägerin sei, einzuholen. Weiter hat die Klägerseite betont, dass die vom 15. Senat wiederholt angenommene Beweiserleichterung hinsichtlich des Nachweises der Primärschädigung gerade im Lichte von nach Impfungen auftretenden Autoimmunerkrankungen sachgerecht und nicht zu beanstanden sei. Entgegen der Einschätzung des 20. Senats des BayLSG widerspreche diese Sichtweise auch nicht dem Willen des Gesetzgebers und verstoße somit auch nicht gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz des Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz. Schließlich hat die Klägerseite unter anderem nochmals darauf hingewiesen, dass der Krankheitsverlauf der Klägerin für eine ITP-Erkrankung typisch schleichend verlaufen sei. Auf Grund der Auswirkung der ITP in allen Lebensbereichen der Klägerin sei ein GdS in Höhe von 30 zustandsgerecht. In dem Schriftsatz hat der Klägerbevollmächtigte auch die Leitlinie zur ITP, Empfehlungen der Fachgesellschaft zur Diagnostik und Therapie hämatologischer und onkologischer Erkrankungen, vorgelegt. Zahlreiche Publikationen, so der Text der Leitlinie, beschrieben eine Assoziation zwischen ITP und Helicobacter pylori-Infektionen der Magenschleimhaut.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 25.09.2018 ist darauf hingewiesen worden, dass das Gericht keine sachverständige Stellungnahme von Prof. Dr. O. oder Dr. H. mehr einholen werde und dass auch einem Antrag gemäß § 109 SGG, da das Antragsrecht bereits verbraucht sei, nicht nachgekommen werden würde. Dr. H. habe bereits selbst zur Frage der Alternativursache bezüglich der Helicobacter-Infektion Stellung genommen.

In den versorgungsmedizinischen Stellungnahmen des Internisten Dr. B. vom 06.09.2018 und 18.10.2018 ist bestätigt worden, dass differenzialdiagnostisch die Helicobacter pylori-Infektion als wahrscheinliche Ursache für die ITP in Betracht gezogen werden müsse, da diese bei der Klägerin auch sicher nachgewiesen sei. Zum anderen ist unter anderem auf den bronchialen Infekt der Klägerin vom 05.01.2012 als mögliche(r) Trigger und Ursache der ITP hingewiesen worden.

Mit Schreiben vom 29.10.2018 haben die Beteiligten sodann gerichtliche Hinweise erhalten. Auf die Anfrage des Gerichts hat die Klägerin am 21.11.2018 erklärt, dass ihrerseits Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren bestehe, wenn auch der Antrag, eine ergänzende Stellungnahme bei Dr. H. einzuholen, aufrechterhalten werde. Am 06.11.2018 hat der Beklagte sein Einverständnis erklärt und dieses am 12.03.2019 wiederholt.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24. Oktober 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise eine ergänzende Stellungnahme bei Dr. H. einzuholen, ob als Alternativursache für die bei der Klägerin bestehende ITP die diagnostizierte Helicobacter-Infektion in Frage kommt oder ob die Havrix(r) 1440-Impfung vom 13.03.2012 der hinreichend wahrscheinliche Auslöser der ITP-Erkrankung der Klägerin ist.

Der Senat hat die erstinstanzliche Akte des SG sowie die Impfschadensakte des Beklagten zum Verfahren beigezogen, auf deren Inhalt sowie auf den Inhalt der streitgegenständlichen Berufungsakte im Übrigen zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen wird. Sämtlicher Inhalt war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG.

Die zulässige Berufung ist begründet.

Das SG hat zu Unrecht der Klage entsprochen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung der Idiopathischen Thrombozytopenie als Folge der am 13.03.2012 erfolgten Impfung mit dem Impfstoff Havrix(r) 1440 gegen Hepatitis A und auf Gewährung einer Versorgungsrente (nach einem GdS von 30) ab 01.08.2012.

Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 22.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG liegen nicht vor, weil es vorliegend schon am Nachweis des Primärschadens, also einer Impfkomplikation, fehlt. Zudem ist auch keine Kausalität gegeben.

1. Das Begehren der Klägerin beurteilt sich nach dem IfSG, weil der Antrag vom 20.02.2013 zu einem Zeitpunkt gestellt worden ist, als das – das Bundesseuchengesetz ohne Übergangsvorschrift ablösende (vgl. Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 Gesetz zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften vom 20.07.2000, BGBl. I, S. 1045) – IfSG (seit dem 01.01.2001) in Kraft war (vgl. BSG, Urteil vom 20.07.2005 – B 9a/9 VJ 2/04 R).

Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erhält, wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, auf Grund dieses Gesetzes angeordnet wurde, gesetzlich vorgeschrieben war oder auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), soweit das IfSG nichts Abweichendes bestimmt.

Der Impfschaden wird in § 2 Nr. 11 IfSG definiert als die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung, wobei ein Impfschaden auch vorliegt, wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft wurde und eine andere als die geimpfte Person geschädigt wurde.

Die Anerkennung als Impfschaden setzt eine dreigliedrige Kausalkette voraus (ständige Rspr., vgl. BSG, z.B. Urteile vom 25.03.2004 – B 9 VS 1/02 R, und vom 16.12.2014 – B 9 V 3/13 R, und das Urteil des Senats v. 11.07.2017 – L 15 VJ 6/14, m.w.N.): Ein schädigender Vorgang in Form einer „Schutzimpfung oder einer anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe“, die die genannten Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfüllen muss (1. Glied), muss zu einer „gesundheitlichen Schädigung“ (2. Glied), also einem Primärschaden (d.h. einer Impfkomplikation) geführt haben, die wiederum den „Impfschaden“, d.h. die dauerhafte gesundheitliche Schädigung, also den Folgeschaden (3. Glied) bedingt.

Diese drei Glieder der Kausalkette müssen – auch im Impfschadensrecht – im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (ständige Rspr., vgl. z.B. BSG, Urteile vom 15.12.1999 – B 9 VS 2/98 R – und vom 07.04.2011 – B 9 VJ 1/10 R; BayLSG, Urteil vom 25.07.2017 – L 20 VJ 1/17; Hessisches LSG, Urteil vom 26.06.2014 – L 1 VE 12/09; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.07.2016 – L 13 VJ 19/15). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 – B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 – 9/9a RV 1/92).

a. In seiner früheren Rspr. hat der Senat im Ergebnis auf das Erfordernis des Vollbeweises beim Primärschaden verzichtet (Urteil vom 31.07.2012 – L 15 VJ 9/09) und dazu u.a. ausgeführt:

„Es wäre allerdings realitätsfremd, in jedem impfschadensrechtlichen Fall zu verlangen, es müsse eine deutlich wahrnehmbare und fixierbare Primärschädigung festgestellt werden. Allgemein dient die Dreigliedrigkeit dazu, bestimmte Geschehnisabläufe bereits auf einer Vorstufe der Prüfung „auszusondern“ und das Fehlen kausaler Zusammenhänge leichter erkennen zu können. Je mehr sich die Kausalitätsprüfung in gedankliche Zwischenschritte „zerlegen“ lässt, desto objektivierbarer kann der Geschehnisablauf rechtlich aufgearbeitet werden (vgl. Kunze, Kausalität in der gesetzlichen Unfallversicherung, VSSR 2005, S. 299 <302>). Diese Differenzierung ist aber dann nicht möglich, wenn die Schädigung, also der (erste) Eingriff in das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit, nicht deutlich zu Tage tritt, sondern wie hier im Verborgenen erfolgt (a.A. wohl Meßling in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Auflage 2012, § 60 IfSG, Rn. 62). Zweifellos ist in solchen Fällen die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung schwieriger, weil sich der Verursachungspfad nicht klar abzeichnet. Dennoch darf nicht per se wegen der Nichterkennbarkeit einer Primärschädigung am Rechtsgut der körperlichen Gesundheit die Wahrscheinlichkeit des kausalen Zusammenhangs negiert werden. Vielmehr muss der Zusammenhang zwischen Impfung und manifestiertem Gesundheitsschaden in einer einzigen gedanklichen „Etappe“ beurteilt werden (vgl. LSG Bayern, Breithaupt 2012, S. 51 <56>).“

b. An dieser Rechtsprechung hält der Senat mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben und die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht mehr fest (vgl. das Urteil des Senats vom 11.07.2017 – L 15 VJ 6/14, in dem die Frage ausdrücklich offen gelassen wurde). So geht das BSG in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. den Beschluss vom 29.01.2018 – B 9 V 39/17 B) davon aus, dass der Primärschaden im Vollbeweis nachgewiesen sein muss. Es hat hierzu im Urteil vom 07.04.2011 – B 9 VJ 1/10 R, Folgendes ausgeführt:

„Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass die Impfung und sowohl die als Impfkomplikation in Betracht kommende als auch die dauerhafte Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – im sog Vollbeweis – feststehen müssen und allein für die zwischen diesen Merkmalen erforderlichen Ursachenzusammenhänge der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit ausreicht (s § 61 Satz 1 IfSG). Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn mehr Umstände für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (s BSGE 60, 58 = SozR 3850 § 51 Nr 9; Rohr/Sträßer/Dahm, aaO Anm 11 mwN). Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat mithin grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind.“

Wie der 20. Senat des BayLSG festgestellt hat (Urteil vom 25.07.2017 – L 20 VJ 1/17) entspricht dies auch der Rechtsprechung im wesensverwandten Rechtsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung. Auch dort ist der Nachweis des unmittelbar nach dem schädigenden Vorgang vorliegenden Gesundheitsschadens, dort auch „Erstschaden“ genannt, im Vollbeweis zu führen (Urteile des BSG vom 24.07.2012 – B 2 U 9/11 R – und B 2 U 23/11 R: „Die den Versicherungsschutz in der jeweiligen Versicherung begründende ´Verrichtung´, die (möglicherweise dadurch verursachte) ´Einwirkung´ und der (möglicherweise dadurch verursachte) ´Erstschaden´ müssen (vom Richter im Überzeugungsgrad des Vollbeweises) festgestellt sein“).

Der Senat sieht entsprechend der Rechtsprechung des BSG und des 20. Senats des BayLSG eine „irgendwie geartete Beweiserleichterung beim Primärschaden“, eine Beurteilung „des Zusammenhangs zwischen Impfung und manifestiertem Gesundheitsschaden in einer einzigen gedanklichen Etappe“ anhand von „Mosaiksteinen“, die den Nachweis des Primärschadens im Vollbeweis als „realitätsfremd“ und damit verzichtbar erscheinen lassen würden, als nicht angezeigt an. Die Anerkennung eines Impfschadens unter reduzierten Beweisanforderungen zu ermöglichen, bliebe dem Gesetzgeber vorbehalten; hierzu müssten die gesetzlichen Vorgaben geändert werden.

Lässt sich der Vollbeweis nicht führen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache nach den allgemeinen Regeln der Beweislast zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs auf ihr Vorliegen stützt.

Demgegenüber reicht es für den zweifachen ursächlichen Zusammenhang der drei Glieder der Kausalkette nach § 61 Satz 1 IfSG aus, wenn dieser jeweils mit Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die Beweisanforderung der Wahrscheinlichkeit gilt sowohl für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999 – B 9 VS 2/98 R – in Aufgabe der früheren Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 24.09.1992 – 9a RV 31/90, die für den Bereich der haftungsbegründenden Kausalität noch den Vollbeweis vorausgesetzt hat) als auch den der haftungsausfüllenden Kausalität. Dies entspricht den Beweisanforderungen auch in anderen Bereichen der sozialen Entschädigung oder Sozialversicherung, insbesondere der wesensverwandten gesetzlichen Unfallversicherung.

Eine potentielle, versorgungsrechtlich geschützte Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977 – 10 RV 15/77), also mehr für als gegen einen Kausalzusammenhang spricht (vgl. BSG, Urteile vom 19.08.1981 – 9 RVi 5/80, vom 26.06.1985 – 9a RVi 3/83, vom 19.03.1986 – 9a RVi 2/84, vom 27.08.1998 – B 9 VJ 2/97 R – und vom 07.04.2011 – B 9 VJ 1/10 R). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei das Wort „hinreichend“ nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 128, Rdnr. 3c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße – abstrakte oder konkrete – Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 26.11.1968 – 9 RV 610/66, und vom 07.04.2011, a.a.O.).

Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, so sind sie nach der versorgungsrechtlichen Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 08.08.1974 – 10 RV 209/73) rechtlich nur dann nebeneinander stehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolgs „annähernd gleichwertig“ sind. Während die ständige unfallversicherungsrechtliche Rechtsprechung (vgl. z.B. BSG, Urteile vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R – und vom 30.01.2007 – B 2 U 8/06 R) demgegenüber den Begriff der „annähernden Gleichwertigkeit“ für nicht geeignet zur Abgrenzung hält, da er einen objektiven Maßstab vermissen lasse und missverständlich sei, und eine versicherte Ursache dann als rechtlich wesentlich ansieht, wenn nicht eine alternative unversicherte Ursache von überragender Bedeutung ist, hat der für das soziale Entschädigungsrecht zuständige 9. Senat des BSG in seinem Urteil vom 16.12.2014 (B 9 V 6/13 R) zur annähernden Gleichwertigkeit festgelegt, dass diese dann anzunehmen ist, wenn eine vom Schutzbereich des BVG umfasste Ursache in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen. Die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinn als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, ist im jeweiligen Einzelfall aus der Auffassung des praktischen Lebens abzuleiten (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2001 – B 9 V 5/00 R).

Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Gesundheitsschäden zu erfolgen (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R).

Kann eine Aussage zu einem (hinreichend) wahrscheinlichen Zusammenhang nur deshalb nicht getroffen werden, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kommt die sogenannte Kannversorgung gemäß § 61 Satz 2 IfSG in Betracht. Von Ungewissheit ist dann auszugehen, wenn es keine einheitliche, sondern verschiedene ärztliche Lehrmeinungen gibt, wobei nach der Rechtsprechung des BSG von der Beurteilung auf dem Boden der „Schulmedizin“ (gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft) auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.08.1998 – B 9 VJ 2/97 R). Aber auch bei der Kannversorgung reicht allein die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs oder die Nichtausschließbarkeit des Ursachenzusammenhangs nicht aus. Es muss vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs positiv vertritt; das BSG spricht hier auch von der „guten Möglichkeit“ eines Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 12.12.1995 – 9 RV 17/94 – und vom 17.07.2008 – B 9/9a VS 5/06). In einem solchen Fall liegt eine Schädigungsfolge dann vor, wenn bei Zugrundelegung der wenigstens einen wissenschaftlichen Lehrmeinung nach deren Kriterien die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs nachgewiesen ist (vgl. Bayer. LSG, Urteile vom 19.11.2014 – L 15 VS 19/11, vom 21.04.2015 – L 15 VH 1/12, vom 15.12.2015 – L 15 VS 19/09 – und vom 26.01.2016 – L 15 VK 1/12). Existiert eine solche Meinung überhaupt nicht, fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht infolge einer Ungewissheit; denn alle Meinungen stimmen dann darin überein, dass ein Zusammenhang nicht hergestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993 – 9/9a RV 41/92).

Lässt sich der Zusammenhang nicht (hinreichend) wahrscheinlich machen und auch nicht über die Kannversorgung herstellen, geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache nach den allgemeinen Beweislastgrundsätzen zu Lasten dessen, der sich zur Begründung seines Anspruchs oder rechtlichen Handelns auf das Vorliegen des Zusammenhangs stützen möchte, also des Anspruchsstellers. Das BSG hat in seiner jüngsten Rechtsprechung Beweiserleichterungen auch in den Fällen besonders schwieriger Nachweiserbringungen (wie hinsichtlich der Blindheit bei zerebralen Schäden) eine eindeutige Absage erteilt (vgl. z.B. Urteil vom 14.06.2018 – B 9 BL 1/17 R).

2. Unter Anwendung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall schon der Primärschaden nicht nachgewiesen. Darauf, dass es (auch) hierauf ankommt, hat der Senat die Klägerin im Übrigen bereits im Erörterungstermin vom 31.07.2018 hingewiesen, was der Bevollmächtigte in seinem Schriftsatz vom 18.09.2018 bestätigt hat.

Zu konkretisieren bleibt, was im vorliegenden Fall für den Nachweis des Primärschadens zu verlangen ist.

a. Nach der oben genannten Definition geht es dabei um eine gesundheitliche Schädigung als 2. Glied der Kausalkette, also um einen Primärschaden (Impfkomplikation), die, um einen Zusammenhang zu vermitteln, die dauerhafte gesundheitliche Schädigung (also den Folgeschaden) bedingen muss. Als Schädigung in diesem Sinne anzusehen ist – entsprechend den insoweit nachvollziehbaren Darlegungen des Sachverständigen Dr. H., der im Einzelnen zur Entstehung der ITP ausgeführt hat – somit die Bildung von Antikörpern gegen die körpereigenen Thrombozyten. Folglich ist ein Auftreten der Blutung bzw. der Einblutungen nicht der Primärschaden, weil diese nur das Zeichen bzw. die Folge der gegen Epitope gebildeten Antikörper sind, jedoch nicht die dauerhafte gesundheitliche Schädigung (3. Glied) bedingen können. Ein Primärschaden ist also vorliegend nicht nachgewiesen, da eine Bildung von Antikörpern vor August 2012 in keinem Fall belegt ist.

b. Andererseits ist jedoch auch denkbar, den Begriff des Primärschadens weiter zu definieren, nämlich als „denjenigen Schaden, der sich als direkte Folge aus der Impfung ergibt“ (vgl. z.B. Meßling, in: Knickrehm, a.a.O., Rn. 62) darunter auch all die Reaktionen zu berücksichtigen, die „über das übliche Maß einer Folgereaktion“ hinausgehen (a.a.O.), und somit auch äußere Anzeichen genügen zu lassen.

Doch auch danach ist vorliegend ein Primärschaden nicht nachgewiesen. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem plausiblen und überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. O. und dem gesamten insoweit in Übereinstimmung stehenden ärztlichen Befundberichten und ferner aus dem vom Beklagten eingeholten Gutachten von Prof. Dr. K.. Der Senat macht sich nach eigener Prüfung diese sachverständigen Feststellungen zu eigen.

Nach der plausiblen Feststellung von Prof. Dr. O. liegt bei der Klägerin eine ITP, Morbus Werlhof, vor. Die Beschwerden im Sinne erhöhter Blutungsneigung, Hämatomen und Petechien, wie am 07.08.2012 festgestellt, sind eindeutig auf diese Diagnose zurückzuführen.

Ein erstmaliges Auftreten von Antikörpern, Petechien und verstärkten Regelblutungen im August 2012 stellt aufgrund des zu großen zeitlichen Abstands zur Impfung keine Impfkomplikation dar. Wie sich aus der gesamten Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats ergibt, ist der Abstand von weit über 42 Tagen zu groß. Als plausibles Zeitintervall für die von der Klägerin vorgetragene pathologischen Immunreaktion nach Impfstoffanwendung sieht der Senat danach einen Zeitraum bis maximal 42 Tagen an. Selbst Dr. H. verweist auf dieses Intervall unter Bezugnahme auf entsprechende Annahmen des Paul-Ehrlich-Instituts (Seite 18 des Gutachtens) und bezeichnet lediglich die weitere Definition durch einzelne Autoren als plausibel, ohne dies jedoch näher zu begründen.

Dass jedoch schon früher Symptome aufgetreten wären, ist entsprechend den fundierten Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. O. nicht nachgewiesen. Das von der Klägerin behauptete Auftreten bereits ca. zwei Wochen nach der Impfung wäre nicht mit der Tatsache vereinbar, dass es dann danach zu einem plötzlichen und anhaltenden Sistieren der Blutungszeichen bzw. zum Verschwinden der Thrombozytopenie bis 07.08.2012 gekommen wäre, was medizinisch-wissenschaftlich kaum so gut wie nicht erklärbar wäre. Wie der Sachverständige nachvollziehbar festgestellt hat, hätte die Thrombozytopenien als Ursache der von der Klägerin benannten Beschwerden (starke Regelblutungen sowie Petechien) eigentlich schon vor der Impfung auftreten müssen, um die von der Klägerin behauptete erhöhte Blutungsneigung bereits Ende März 2012 zu verursachen.

Insbesondere hat die Klägerin selbst bestätigt, dass es keine objektiven Nachweise dafür gibt, dass Blutungszeichen bereits kurze Zeit nach der Impfung, d.h. bereits Ende März/Anfang April 2012 aufgetreten sind. Davon abgesehen, dass nicht ausgeschlossen erscheint, dass die verstärkte Regelblutung auch auf anderen – gynäkologischen – Ursachen beruhen könnte, konnten die verstärkte Regelblutung und auch die anderen Einblutungen weder von anderen Personen bestätigt noch sonst objektiviert werden. Vielmehr geht aus dem Untersuchungsbericht des Klinikums P. vom 13.08.2012 hervor, dass die Klägerin nur von aktuellen verstärkten Blutungszeichen berichtet hat, was gerade gegen ein Auftreten der Beschwerden bereits vier Monate zuvor spricht. Im Übrigen ist das lange Zuwarten der Klägerin auch nicht, wie von ihr dargestellt, mit der irrigen Annahme anderer Gesundheitsstörungen erklärbar. Dass die Klägerin erst vier Monate später (im August) überhaupt ärztliche Hilfe in Anspruch genommen hat und erst im September 2012 einen Frauenarzt aufgesucht hat, auf der anderen Seite aber (in der Widerspruchsbegründung) ausdrücklich sogar „sehr starke Regelblutungen“ bereits kurz nach der Impfung angegeben hat, die sich „zunehmend verschlechtert“ hätten, und deutliche Einblutungen wahrgenommen haben will, erscheint kaum nachvollziehbar.

Wie zudem der Beklagte durch den Internisten Dr. B. (s.o.) plausibel dargelegt hat, wäre bei der Klägerin im Falle der angegebenen „sehr starken“ Regelblutungen ein erniedrigter Hämoglobinwert zu erwarten gewesen; trotz der von der Klägerin (z.B. im o.g. Erörterungstermin) behaupteten über Monate hinweg bestehenden diesbezüglichen Beschwerden und auch der Petechien, lag dieser Wert Anfang/Mitte August 2012 jedoch noch im Normbereich (s. Anlage zum Ärztlichen Bericht des Klinikums P. v. 13.08.2012); ein Hämoglobinabfall trat nicht ein.

Im Übrigen sind die Angaben der Klägerin bzgl. der aufgetretenen Beschwerden auch nicht konsistent.

So hat die Klägerin in ihrem Antrag auf Versorgung angegeben, ab Juli 2012 Petechien und Hämatome bemerkt zu haben. Im Erörterungstermin des Senats hat sie dagegen erklärt, bereits ab April 2012 rote Pünktchen (an Oberarmen und Bauch) wahrgenommen zu haben, die dann geblieben seien und sich erst später verstärkt hätten. In der Klagebegründung wiederum ist formuliert worden, dass sich die kurz nach der Impfung auftretenden Beschwerden zunehmend verschlechtert hätten, was auf eine eher bald beginnende, kontinuierliche Verschlechterung schließen lassen dürfte.

Die Beschwerden vermehrtes Schwitzen, Verschlechterung des Sehvermögens und gelegentlicher Schwindel hat die Klägerin in ihrer Widerspruchsbegründung als Grund dafür angegeben, dass sie dann (im August 2012) ärztliche Hilfe in Anspruch genommen habe. Im Erörterungstermin hat sie dagegen ausdrücklich berichtet, dass diese Beeinträchtigungen erst nach der Behandlung (mit Kortison) im August 2012 aufgetreten seien.

Soweit der gem. § 109 SGG beauftragte Sachverständige Dr. H. in seinem Gutachten feststellt, dass ab April 2012 verstärkte Regelblutungen aufgetreten seien und dass die Klägerin zu dieser Zeit auch die ersten petechialen Blutungen bemerkt habe (und dass der Ausprägungsgrad dieser frühen Blutungen nicht dokumentiert sei), kann der Senat nur feststellen, dass der Gutachter keinerlei objektiven Belege hierfür nennt und sich letztlich ausschließlich auf die Angaben der Klägerin verlässt.

Auch hinsichtlich des fraglichen Zeitintervalls ist nach Auffassung des Senats dem Sachverständigen Dr. H. nicht zu folgen. Wenn er feststellt, dass eine ITP mit Erscheinungen wie bei der Klägerin beginnen und erst nach Monaten zu schweren Blutungen führen könne und dass ein solcher Verlauf in keiner Weise für eine Autoimmunerkrankung ungewöhnlich sei und dass das etwa zweiwöchige Intervall zwischen Impfung und Auftreten der ersten Einblutungen eine durch die Impfung ausgelöste ITP nicht unwahrscheinlich mache, ist festzustellen, dass dies den Senat nicht überzeugen kann. Denn abgesehen davon, dass der Sachverständige insoweit keinerlei Beleg liefert, trifft er auch den Fall der Klägerin nicht, da diese – wie dargelegt – u.a. gerade angegeben hat, dass bereits kurze Zeit nach der Impfung sehr starke Blutungen erfolgt seien.

Auch wenn also nicht in vollem Umfang ausgeschlossen werden kann, dass entsprechende Krankheitsphänomene bei der Klägerin (bereits) zeitnäher zur angeschuldigten Impfung aufgetreten sein könnten, ist dies nach Überzeugung des Senats insbesondere unter Bezugnahme auf das plausible Sachverständigengutachten von Prof. Dr. O. bei Weitem nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen.

3. Selbst wenn man, wovon der Senat wie ausführlich dargelegt nicht ausgeht, einen Primärschaden annehmen würde, wäre die Anerkennung eines Impfschadens vorliegend dennoch nicht möglich. Denn die bei der Klägerin vorliegende ITP ist zur Überzeugung des Senats nicht mit Wahrscheinlichkeit im o.g. Sinn auf die Impfung mit dem Impfstoff Havrix(r) 1440 zurückzuführen. Auch dies folgt aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere aus dem überzeugenden Sachverständigengutachten von Prof. Dr. O. und auch aus dem Gutachten von Prof. Dr. K..

a. Der Senat verkennt nicht, dass die bei der Klägerin vorliegende Krankheit durchaus eine mögliche Nebenwirkung des Impfstoffs darstellt. Dies erlaubt jedoch nicht den zwingenden Rückschluss darauf, dass eine andere Ursache nicht in Betracht käme. Denn auch die Anführung einer Erkrankung unter den Nebenwirkungen in Medizinprodukte-Informationen wie dem Beipackzettel eines Impfstoffs lässt keineswegs den Rückschluss zu, dass ein Kausalzusammenhang (gesichert) besteht (z.B. Friedrich/ Friedrich, Kausalzusammenhang zwischen Impfungen und multipler Sklerose, ZESAR 2017, 491 <403>, m.w.N.).

b. Vor allem ergibt sich aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme für den Senat, dass die Verursachung der ITP durch die Helicobacter pylori-Infektion – ungeachtet der weiteren denkbaren Assoziationen zwischen der ITP und der Infektion – wahrscheinlich ist. Der Senat geht davon aus, dass insoweit – entsprechend dem Hinweis von Dr. H. – im Unklaren bleibt, wann die Infektion genau stattgefunden hat. Wie oben dargelegt, gilt anderes jedoch auch nicht für die aufgetretenen Blutungszeichen etc. Während der genannte Sachverständige im Hinblick auf die Impfkomplikation anscheinend aus einem großzügigen Blickwinkel argumentiert, rückt er den zeitlichen Zusammenhang bzgl. der genannten Infektion in den Mittelpunkt; eine unterschiedliche Betrachtungsweise, die aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse jedoch nicht gerechtfertigt ist. Vor allem hält der Senat die Argumentation des Sachverständigen nicht für vertretbar, dass unklar bleibe, ob die Helicobacter pylori-Infektion zum Zeitpunkt des erstmaligen Auftretens von verstärkten Blutungen und Petechien bereits vorgelegen habe, die „zweite Hepatitis A-Impfung jedoch gesichert“ sei. Denn damit wird der Blick von dem eigentlichen Problem abgelenkt, dass nämlich gerade der Zeitpunkt des erstmaligen Auftretens der Gesundheitsstörungen unklar bleibt und alles andere als sicher ist. Aus Sicht des Senats besteht jedoch eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Infektion, die – wie Dr. B. in der Stellungnahme am 06.09.2018 plausibel hervorgehoben hat – sehr häufig unbemerkt verläuft und mit wenigen bzw. unspezifischen Beschwerden auf sich aufmerksam macht, „zeitlich passend“ vorgelegen hat und die Ursache für die Gesundheitsstörungen der Klägerin ist. Weshalb die Helicobacter pylori-Infektion keine tragfähige konkurrierende Ursache darstellen sollte, wie das SG ausgeführt hat, erschließt sich dem Senat mit Blick auf die durchgeführte Beweisaufnahme nicht.

c. Weiter erscheint auch denkbar, dass, worauf der Beklagte nachvollziehbar hingewiesen hat, der bronchiale Infekt der Klägerin Anfang Januar 2012 zur Triggerung und Entstehung der ITP beigetragen hat.

d. Schließlich gelingt der Kausalitätsnachweis auch nicht durch den von Dr. H. erbrachten Hinweis auf angeblich schädigende Wirkungen des Adjuvans Aluminium. Bei Zusatzstoffen, die Aluminium enthalten, handelt es sich um minimale Mengen. Impfbedingte neurologische Schadensvermutungen beim Menschen sind (bisher) reine Spekulation (vgl. Urteil des BayLSG vom 18.05.2017 – L 20 VJ 5/11 mit Verweis auf LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.05.2016 – L 4 VJ 1/14; siehe hierzu auch die Senatsurteile vom 14.02.2012 – L 15 VJ 3/08 – und 28.07.2011 – L 15 VJ 8/09). Im Vergleich zur Aufnahme über Trinkwasser, Lebensmittel oder Antazida ist die Aufnahme von Aluminium mit Adjuvantien in Impfstoffen gering. Sie liegt deutlich unter dem TDI-Wert (tolerable daily intake) für Aluminium, der Menge, die täglich ein Leben lang ohne gesundheitsschädliche Wirkung aufgenommen werden kann (a.a.O.). Die vom Paul-Ehrlich-Institut vorgenommene und im Bulletin zur Arzneimittelsicherheit (Ausgabe 3, September 2015) veröffentlichte aktuelle Sicherheitsbewertung, die eine mögliche Verursachung von Impfschäden durch Aluminiumverbindungen als Adjuvantien in Impfstoffen zum Gegenstand hat, ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es aus klinischen Studien und aus der Spontanerfassung von Nebenwirkungen in Deutschland kein Signal zu aluminiumbedingter Toxizität nach Impfungen gibt: „Kumulative Vergleichsberechnungen zeigen, dass die systemische Exposition durch die in Deutschland empfohlenen aluminiumhaltigen Impfungen in den ersten beiden Lebensjahren im Bereich der tolerierbaren Aufnahme durch die Nahrung liegt. Der Beitrag von Impfungen zur geschätzten lebenslangen Nettoakkumulation von Aluminium im Organismus ist im Vergleich zur kontinuierlichen Aufnahme von Aluminium aus anderen Quellen gering und vor dem Hintergrund des Nutzens der Impfungen als vertretbar einzustufen. Es sind keine wissenschaftlichen Analysen bekannt, die eine Gefährdung von Kindern oder Erwachsenen durch Impfungen mit aluminiumhaltigen Adjuvantien zeigen.“

e. Im Übrigen kann das Gutachten von Dr. H. bereits deshalb nicht überzeugen, weil dieser die Wahrscheinlichkeit der Verursachung der Gesundheitsstörungen durch die angeschuldigte Impfung anhand der WHO-Kriterien geprüft und, wie aus seinem Gutachten deutlich wird, nicht die oben dargelegten für den Senat verbindlichen Grundsätze des Versorgungsrechts angewandt hat. Es bleibt auch im Einzelnen nicht nachvollziehbar, ob und inwieweit seine Beurteilung den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Inwieweit die von ihm verwendeten Kriterien den „Goldstandard“ zur wissenschaftlichen Kausalitätsbewertung darstellen, wie Dr. H. meint, ist somit nicht von Belang.

Auch nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage unter eingehender Würdigung der vom einzigen Gutachter, der im Sinne der Klägerin zu einem positiven Ergebnis kommt, aufgezeigten Aspekte, kann der Senat vorliegend keine belastbaren Anhaltspunkte dafür erkennen, dass die Verursachung der Immunthrombozytopenie durch die Impfung überwiegend wahrscheinlich wäre.

4. Im Übrigen ist ein Anwendungsbereich der Kannversorgung gemäß § 61 Satz 2 IfSG nicht gegeben, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Es ist hier gerade nicht so, dass über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit bestehen würde, weil es insoweit keine einheitliche, sondern verschiedene ärztliche Lehrmeinungen geben würde. Vielmehr hält die medizinische Wissenschaft eine Verursachung der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankung durch die angeschuldigte Impfung durchaus für möglich, was jedoch auch für die alternative Ursache der Helicobacter pylori-Infektion gilt. Unklar ist vorliegend also nicht, ob durch die Impfung der Gesundheitsschaden entstehen kann, sondern, welche der möglichen Ursachen im konkreten Fall ausschlaggebend gewesen sind.

5. Zu weiteren Ermittlungen bestand kein Anlass und erst recht keine verfahrensrechtliche Pflicht. Auch in diesem (schwierigen) Fall des Nachweises eines Impfschadens – einem Gebiet, auf dem sich bekanntermaßen oftmals fachliche Positionen diametral gegenüberstehen und in dem zu wissenschaftlichen Argumenten oftmals auch weltanschauliche Ansichten hinzu kommen und schließlich die Auseinandersetzungen auch mit hoher Emotionalität geführt werden – sieht sich der Senat veranlasst, vorsorglich darauf hinzuweisen, dass es nicht Sinn eines Gerichtsverfahrens ist, ausschließlich die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft voranzutreiben oder in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen Position zu beziehen (vgl. BSG, Urteil vom 16.09.1997 – 1 RK 28/95). Der Sachverhalt ist soweit möglich aufgeklärt. Vor allem hat die Klägerseite weitere Belege zur Frage des genauen Auftretens der Blutungen etc. nicht in Aussicht gestellt. Auch war dem Antrag der Klägerin auf Einvernahme des Sachverständigen Dr. H. im Wege der Amtsermittlung nicht nachzukommen. Dieser wird vielmehr abgelehnt. Denn die Klägerseite hat keine objektiv sachdienlichen schriftlichen Fragen, sondern im Schriftsatz vom 21.11.2018 lediglich solche allgemeinen Fragen angekündigt bzw. gestellt, die Dr. H. bereits beantwortet hat (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer/ Schmidt, a.a.O., § 118, Rdnr. 12 f). Demgegenüber hätte die Klägerin jedoch besonders detaillierte und differenzierte Fragen vortragen müssen. Denn je mehr Aussagen von Sachverständigen zum Beweisthema bereits vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller auf mögliche Unterschiede und Differenzierungen etc. eingehen (vgl. z.B. Beschluss des BSG vom 16.02.2017 – B 9 V 48/16 B). Dies ist hier nicht erfolgt.

Auf die Höhe des von Dr. H. (und letztlich vom SG) auf 30 festgesetzten GdS kommt es damit nicht an. Nach überschlägiger Prüfung hätte der Senat jedoch starke Bedenken, dass ein GdS von 30 überhaupt erreicht würde.

Nach alldem hat die Berufung somit Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Anerkennung der o.g. Schädigungsfolge und die Zahlung einer Beschädigtenrente durch den Beklagten.

Das Urteil des SG ist aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 22.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2014 abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

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