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Kostenübernahme für mehrschrittige Liposuktionen bei Lipödem

SG Stade – Az.: S 1 KR 198/18 – Urteil vom 21.01.2020

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Kostenübernahme für mehrschrittige Liposuktionen bei Lipödem von der Beklagten nach den Vorschriften des Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).

Die 1981 geborene Klägerin ist im Außendienst tätig. Sie hatte sich im Jahr 2013 einer Magenbandoperation mit anschließendem Gewichtsverlust von 60 kg unterzogen. Danach waren bei ihr Hautstraffungen am Oberschenkel und eine Abdominoplastik am Bauch durchgeführt worden.

Die Klägerin leidet daneben seit Jahren an Lipödemen der Arme und Beine. Sie beantragte mit am 23. Dezember 2016 eingegangenem Antrag mehrschritten Liposuktionen. Beigefügt waren mehrere Atteste behandelnder Ärzte, die ein Lipödem Stadium II bescheinigten. Zur Begründung des Antrages gab die Klägerin an, dass eine extreme Druckempfindlichkeit sowie tägliche Schmerzen in Armen und Beinen bei warmen Temperaturen bestünden. Eine Kompressionstherapie sei erfolglos geblieben.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 6. Januar 2017 ab. Es handele sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, die nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung enthalten sei. Stattdessen seien die Fortführung der Kompressionstherapie sowie Lymphdrainagen empfehlenswert. Die Klägerin erhob Widerspruch mit Schreiben vom 3. Februar 2017. Hierin führte sie aus, dass alle Möglichkeiten der therapeutischen Behandlung ausgeschöpft seien. Der von der Beklagten beauftragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung kam im Gutachten vom 16. Februar 2017 zu dem Ergebnis, dass unter Berücksichtigung der Vorerkrankungen die Liposuktion die wahrscheinlich effektivste und schonende Behandlung sei. Es handele sich aber nicht um eine Kassenleistung, weil sie sich erst im Erprobungsstadium befinde. In einem weiteren Gutachten vom 7. März 2017 führte der MDK aus, dass eine stationäre Behandlung nicht zwingend erforderlich sei, aber von den Fachgesellschaften empfohlen werde. Eventuell sei vorab eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme zu empfehlen.

Die Klägerin unterzog sich im September 2017 einer stationären lymphologischen Rehabilitationsmaßnahme. Sie beantragte am 22. Oktober 2017 die Übernahme wenigstens einer Liposuktion. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26. Oktober 2017 ab. Widerspruch ist hiergegen nicht erhoben worden.

Die Beklagte wies den Widerspruch gegen den Bescheid vom 6. Januar 2017 mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2018 zurück und verwies darin auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. April 2018, B 1 KR 10/17 R. Hiergegen hat die Klägerin am 13. Juli 2018 Klage zu dem Sozialgericht Stade erhoben.

Sie ist der Auffassung, Anspruchsgrundlage für den Anspruch sei § 137 c Abs. 3 SGB V. Die von der Beklagten Bezug genommene Entscheidung des BSG sei verfassungswidrig und willkürlich. Eine ambulante Liposuktion des Lipödems sei nicht möglich.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2018 zu verurteilen, die Kosten für noch durchzuführende stationäre Liposuktionen an den Extremitäten beidseits im Rahmen der Sachleistung zu tragen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, ihre Bescheide seien nicht zu beanstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden sind.

Entscheidungsgründe

Kostenübernahme für mehrschrittige Liposuktionen bei Lipödem
(Symbolfoto: Von Gerain0812/Shutterstock.com)

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Freistellung von den Kosten von zukünftig durchzuführenden Liposuktionen.

Gegenstand der Klage ist dabei ausschließlich der Antrag vom 23. Dezember 2016, der mit dem Bescheid vom 6. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2018 abgelehnt worden ist. Weder sind der weitere Bescheid vom 26. Oktober 2017 noch der Bescheid vom 20. Januar 2020 Gegenstand des Rechtsstreits geworden. Der Bescheid vom 26. Oktober 2017 stellt keine Abänderung im Sinne von § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) des Bescheides vom 6. Januar 2017 dar. Ihm lag ein Antrag mit einem anderen Gegenstand zu Grunde, da er nur auf eine Liposuktion gerichtet war. Hinsichtlich des Bescheides vom 20. Januar 2020 sind die Voraussetzungen von § 96 Abs. 1 SGG nicht erfüllt. Er ändert den angefochtenen Verwaltungsakt nicht im Sinne der Vorschrift ab oder ersetzt ihn. Auch hier liegt ein neuer, eigenständig zu prüfender Antrag zugrunde, der einen eigenen Klagegegenstand bilden kann.

Die Klägerin hat bei so definiertem Streitgegenstand für das vorliegende Klageverfahren keinen Anspruch auf Kostenübernahme für die noch durchzuführenden Liposuktionen. Ein solcher ergibt sich nicht aus Nummer 14 der Anlage 1 der Richtlinie zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus (Richtlinie Methoden Krankenhausbehandlung). In dieser Vorschrift ist durch Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 19. September 2019 mit Wirkung vom 7. Dezember 2019 die Liposuktion bei Lipödem im Stadium III aufgenommen worden. Nach den klägerseits vorgelegten Unterlagen besteht bei der Klägerin kein Lipödem in diesem Stadium. Vielmehr hat die F. im Schreiben vom 25. Oktober 2016 angegeben, dass bei der Klägerin ein Lipödem Stadium II gegeben sei. Gleiches lässt sich dem Attest der G. vom 7. Februar 2018 entnehmen und ist auch so vom Bevollmächtigten der Klägerin im Widerspruchsschreiben vom 21. März 2018 vorgetragen worden. Soweit die Klägerin im Rahmen des Neuantrages von Anfang Januar 2020 offenbar eine abweichende Bescheinigung über das Bestehen des Stadiums III vorgelegt hat, ist diese im hiesigen Verfahren nicht vorgelegt worden, auch ein entsprechender berücksichtigungsfähiger Sachvortrag ist nicht erfolgt.

Die Klägerin hat keinen Sachleistungsanspruch auf Durchführung der Liposuktionen. Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Nr. 5 der Vorschrift gehört zum Sachleistungsumfang auch die Krankenhausbehandlung gem. § 39 SGB V. Die Krankenhausbehandlung wird gem. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V vollstationär, stationsäquivalent, teilstationär, vor- und nachstationär sowie ambulant erbracht; sie umfasst auch Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der Gemeinsame Bundesausschuss bisher keine Entscheidung nach § 137c Absatz 1 getroffen hat und die das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten. Versicherte haben Anspruch auf vollstationäre oder stationsäquivalente Behandlung durch ein nach § 108 zugelassenes Krankenhaus, wenn die Aufnahme oder die Behandlung im häuslichen Umfeld nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Der Anspruch auf Krankenhausumfasst damit bei Vorliegen des Erfordernisses stationärer Behandlungsbedürftigkeit dem Grunde nach sowohl Behandlungsmethoden, die den Anforderungen des Qualitätsgebots gem. § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V entsprechen, als auch (seit der Ergänzung des § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V zum 18. Dezember 2019) solche, die das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten.

In Anwendung dieser Maßgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf die Durchführung der Liposuktionen als Sachleistung. Nach der Rechtsprechung des BSG, Urteil vom 24. April 2018, B 1 KR 10/17 R, juris, Rn. 10, der sich das Gericht anschließt, entspricht die Behandlungsmethode der Liposuktion bei Lipödem nicht den Anforderungen des Qualitätsgebots. Sie ist daher nicht von vornherein in den Leistungsumfang der Krankenhausbehandlung eingeschlossen. Ein Anspruch der Klägerin auf stationär durchzuführende Liposuktion ergibt sich auch dann nicht, wenn man für diese Behandlungsmethode davon ausgeht, dass sie im Falle einer Erkrankung an Lipödem das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet. Dem steht entgegen, dass es für diese Methode „Entscheidungen nach § 137 c Abs. 1 SGB V“ im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V gibt. Vorliegend bestehen mit dem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Richtlinie zur Erprobung der Liposuktion beim Lipödem vom 18. Januar 2018 und dem Beschluss vom 19. September 2019 zur Liposuktion bei Lipödem Stadium III gleich zwei Beschlüsse nach § 137 c Abs. 1 SGB V, die die Liposuktion bei Lipödem betreffen. Außerhalb dieses Rahmens besteht kein Anspruch auf Liposuktion.

Dies gilt ganz offensichtlich für Versicherte mit einem Lipödem des Stadiums III. Der Beschluss zu Nummer 14 Anlage 1 Richtlinie Methoden Krankenhausbehandlung sieht beispielsweise Einschränkungen hinsichtlich des maximal zulässigen Body-Mass-Index (BMI) vor. Wird diese (oder eine andere) Voraussetzung nicht erfüllt, kann ein Anspruch auf stationäre Liposuktion bei Vorliegen eines Lipödems Stadium III nicht unter Umgehung der vom Gemeinsamen Bundesausschuss festgesetzten Bedingungen mit Verweis auf das Potenzial der Maßnahme unmittelbar aus § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V hergeleitet werden. Dieselbe Sperrwirkung tritt erst recht Versicherte mit einem niedrigeren Schweregrad des Lipödems als dem Stadium III ein. Die Bewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses in Nummer 14 der Anlage 1 Richtlinie Methoden Krankenhausbehandlung, die Liposuktion lediglich für den höchsten Schweregrad eines Lipödems als ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten festzulegen, würde unterlaufen, wenn man einen Anspruch auf Liposuktion bei niedrigeren Stadien des Lipödems unter Berufung auf das Potenzial der Maßnahme unmittelbar aus § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V herleiten könnte. Versicherten mit einem Lipödem unterhalb des Stadiums III (und auch solchen mit Stadium III) stehen vielmehr die Ansprüche aus der Richtlinie zur Erprobung der Liposuktion beim Lipödem vom 18. Januar 2018 offen, die dem vom Lipödem betroffenen Personenkreis die Möglichkeit der Teilnahme an kontrollierten Studien eröffnet.

Ein Sachleistungsanspruch ergibt sich auch nicht aus dem ebenfalls mit Wirkung vom 18. Dezember 2019 geänderten § 137 c Abs. 3 Satz 1 SGB V. Zu diesem Zeitpunkt sind die Worte „und von den Versicherten beansprucht“ nach dem Wort „angewandt“ eingefügt worden. Begleitend hat der Gesetzgeber BT-Drs 19/13589, S. 65 folgendes festgehalten:

Durch die Ergänzung in § 137 c Absatz 3 wird auch leistungsrechtlich klargestellt, dass Versicherte im Rahmen einer Krankenhausbehandlung Anspruch auf die Versorgung mit Methoden haben, die das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten. Diese Klarstellung ist erforderlich, weil in der Rechtsprechung des 1. Senats des Bundessozialgerichts ein solcher Anspruch bisher entgegen der Intention des Gesetzgebers negiert wird.

Auch wenn man davon ausgeht, dass § 137 c Abs. 3 Satz 1 SGB V nunmehr einen originären Sachleistungsanspruch begründen kann (und nicht nur, wie nach der Auffassung des BSG zur Vorgängerfassung im Urteil vom 24. April 2018, aaO, einen solchen voraussetzt), kann die Klägerin auch unter Berücksichtigung der Materialien keinen Sachleistungsanspruch zu ihren Gunsten ableiten. Wie im Rahmen von § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V gilt, dass die beiden Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß § 137 c Abs. 1 SGB V zur Liposuktion einem Sachleistungsanspruch auf alle Formen und Schweregrade des Lipödems entgegenstehen. Dem eindeutigen Wortlaut der Norm stehen auch systematische Erwägungen zur Seite. Bereits die parallel zur Änderung des § 137 c Abs. 3 Satz 1 SGB V erfolgte Ergänzung des § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V („bisher keine Entscheidung nach § 137 c Abs. 1 [SGB V] getroffen“) zeigt an, dass ein – naturgemäß anspruchseingrenzender – Vorrang der Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses gezielt vom Gesetzgeber im Normenkonstrukt angelegt wurde und nicht etwa ein Versehen vorliegt. In diesem Sinne ordnet auch § 137 e Abs. 1 Satz 2 SGB V ausdrücklich an, dass die Methode mit Potenzial „aufgrund der [scil: Erprobungs-] Richtlinie [..] in einem befristeten Zeitraum im Rahmen der Krankenbehandlung oder der Früherkennung zulasten der Krankenkassen erbracht“ wird. Dies belegt, dass über die Ansprüche aus der Erprobungsrichtlinie hinausgehende Ansprüche der Versicherten unmittelbar aus § 137 c Abs. 3 SGB V ab dem Erlass einer solchen Richtlinie ausgeschlossen sind. Dies muss selbst dann gelten, wenn die Klägerin die Bedingungen der Erprobungs-Richtlinie zur Liposuktion bzw. des jeweiligen Studiendesigns nicht erfüllen sollte oder sich aus anderen Gründen nicht innerhalb der Bewerbungsfrist zu den Studien angemeldet hätte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.

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