SG Hamburg – Az.: S 2 KR 507/15 – Urteil vom 27.07.2017
1. Die Beklagte wird verurteilt, unter Aufhebung des Bescheides vom 12.8.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.3.2015, an die Klägerin 4.000 EUR zu bezahlen.
2. Die Beklagte erstattet die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
In Streit steht die Übernahme von Kosten einer operativen Narbenkorrektur.
Die Klägerin stellte am 2. August 2014 einen Antrag auf Übernahme der Kosten einer operativen Narbenkorrektur. Durch mehrmalige chirurgische Eingriffe zur Behandlung einer Dünndarm Atresie nach der Geburt sei eine sehr auffällige 25 cm lange Narbe mit zahlreichen Einziehungen und zusätzlichen Fettlappen entstanden. Diese Narbe führe zu unregelmäßigen ziehenden Schmerzen, verursache einen psychischen Leidensdruck und weise eine entstellende Optik auf. Die Klägerin legte Kostenvoranschläge bezüglich der zu erwartenden Operations- und Narkosekosten in Höhe von insgesamt 4.000 EUR vor.
Mit Gutachten vom 12. August 2014 stellte der MDK fest, dass keine medizinische Indikation für die gewünschte Behandlung vorliege. Die Narbe sei das Ergebnis eines physiologischen Ausheilungsprozesses. Im Übrigen sei die Narbe weder übermäßig groß noch wirke sie entstellend. Weiterhin führe die Narbe auch zu keinen Funktionseinschränkungen. Damit werde überwiegend ein kosmetisches Behandlungsziel angestrebt.
Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag auf operative Narbenkorrektur mit Bescheid vom 12. August 2014 ab. Dagegen erhob die Klägerin am 23. August 2014 Widerspruch. Als Zwillingsfrühchen sei sie mit einer Dünndarm Atresie geboren worden. Es seien mehrere operative Eingriffe notwendig gewesen, so z.B. mit 7 Jahren eine Notoperation wegen eines Dünndarmverschlusses. Die Narbe verursache zeitweise ziehende Nervenschmerzen und beim Beklopfen elektrisierende schmerzhafte Beschwerden. Sie fügte ein Attest des A. Krankenhauses bei. Weiterhin teilte sie in der Folgezeit mit, dass die Narbenkorrektur mittlerweile am 9. Oktober 2014 durchgeführt worden sei.
Nachdem sich der MDK mit Gutachten vom 16. Dezember 2014 erneut gegen die begehrte Narbenkorrektur ausgesprochen hatte, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. März 2015 zurück. Die Klägerin leide unter keinem regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, der eine Krankenbehandlung erfordere. Es lägen auch keine Funktionsstörungen vor, die eine Operation rechtfertigten. Grundsätzlich würden keine Kosten für kosmetische Operationen übernommen. Sofern die Klägerin wegen der Narbe psychische Probleme habe, seien diese mit Mitteln der Psychotherapie zu behandeln. Darüber hinaus wirke die Narbe auch nicht entstellend.
Am 15. April 2015 hat die Klägerin Klage erhoben und im Wesentlichen die Antrags- bzw. Widerspruchsbegründung wiederholt. Ergänzend weist sie darauf hin, dass auch eine Versicherte, der wegen Brustkrebs die Brust abgenommen werde, Anspruch auf den Aufbau einer neuen Brust habe.
Die Klägerin beantragt zuletzt, unter Aufhebung des Bescheides vom 12.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.03.2015, die Beklagte zu verurteilen, 4.000 EUR an die Klägerin zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen
und beruft sich im Wesentlichen auf die Ausführungen des MDK in seinen Gutachten vom 12. August 2015, 16. Dezember 2014 und 2. April 2016, in denen die Auffassung vertreten wird, dass die Operation eine überwiegend kosmetische Korrektur zum Ziel habe und im Übrigen auch keine Entstellung vorliege, da die Narbe im Alltag durch die Kleidung bedeckt sei.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens vom 30. Januar 2016.
Hinsichtlich des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Prozess- und beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat in vollem Umfang Erfolg.
Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 12. August 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2015, mit dem die Übernahme der Kosten für eine operative Narbenkorrektur abgelehnt wurde. Wobei die Klägerin nunmehr, nachdem sie die operative Narbenkorrektur bereits hat durchführen lassen, einen Anspruch gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative in Verbindung mit § 27 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) auf Erstattung der angefallen Operations- und Narkosekosten in Höhe von insgesamt 4000 EUR geltend macht.
Die Kammer ist zu der Auffassung gelangt, dass die Beklagte zu Unrecht die Übernahme der notwendigen Operations- und Narkosekosten abgelehnt hat und der Klägerin ein Anspruch auf Erstattung der Kosten in Höhe von insgesamt 4.000 EUR zusteht.
Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative SGB V sind dem Versicherten die Kosten für eine selbst beschaffte Leistung zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, soweit die Leistung notwendig war. Unstreitig scheitert der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch hier nicht bereits an der fehlenden Kausalität zwischen Leistungsablehnung und Kostenbelastung. Die Beklagte geht im Übrigen zu Unrecht davon aus, dass die begehrte Leistung medizinisch nicht notwendig war.
Nach § 27 Abs. 1 SGB V, der hier als alleinige Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankenbeschwerden zu lindern. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich zu erbringen sind und das Maß des Notwendigen nicht überschritten werden darf.
Die Kammer ist auf der Grundlage des medizinischen Sachverständigengutachtens vom 30. Januar 2016 zu der Auffassung gelangt, dass die Klägerin an einer behandlungsbedürftigen Krankheit litt und die am 9. Oktober 2014 durchgeführte operative Narbenkorrektur medizinisch erforderlich war.
Bei der Frage, was unter einer Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne zu verstehen ist, kann auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zurückgegriffen werden. Danach ist unter einer Krankheit ein regelwidriger, vom Leitbild eines gesunden Menschen abweichenden Körper- oder Geisteszustand zu verstehen, der der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (vgl. u.a. BSG vom 28.09.2010 – B 1 KR 5/10 Rnr. 10 mit vielen weiteren Nachweisen, recherchiert nach juris). Krankheitswert im Rechtssinne kommt dabei nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Köperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt (vgl. BSG a.a.O.).
Diese Voraussetzungen werden nach Auffassung der Kammer hier erfüllt. Die Kammer schließt sich insoweit den überzeugenden Ausführungen des medizinischen Sachverständigen in seinem Gutachten vom 30. Januar 2016 an.
So stellt der medizinische Sachverständige in seinem Gutachten fest, dass die ursprüngliche Narbe die Bauchdecke zwar nach zahlreichen operativen Eingriffen stabil verschlossen hatte. Er widerspricht jedoch der Meinung des MDK, dass die Narbe das Ergebnis eines physiologischen Ausheilungsprozesses gewesen sei. Eine physiologische Narbe respektiere die anatomischen Schichten der Bauchdecke und erhalte deren Verschiebbarkeit. Im Übrigen habe eine durch Narbengewebe verzogene Weichteilsituation bestanden, die nicht allein auf die Schnittführung des operativen Eingriffs sondern auf Komplikationen zahlreicher Eingriffe zurückzuführen sei, wodurch sich ein abweichender Befund ergebe. Er stellte heraus, dass sich die Operateure bei den zahlreichen Operationen, die teilweise unter Notfallbedingungen durchgeführt worden seien, vornehmlich auf den jeweiligen interabdominellen Befund konzentrierten hätten und beim Verschluss der Bauchdecke kosmetische Aspekte nicht berücksichtigt worden seien. Ohne diese dringlichen Indikationen hätte man durchaus erwarten können, dass bei einem Bauchdeckeneingriff eine lokale Revision und Korrektur der Narbe erfolgt wäre. Dies sei jedoch auf Grund der ganz anderen Gewichtung der Operationsindikation unterblieben. Die beantragte Narbenkorrektur am Ober- und Unterbauch stelle damit eine logische Konsequenz eines Krankheitsbildes mit zahlreichen Folgeeingriffen dar. Es handle sich vorliegend um einen besonderen Einzelfall und die Narbe sei das Endprodukt dieser zahlreichen Operationen. Die Argumentation, dass es sich in erster Linie um eine kosmetisch/ästhetische Operation gehandelt habe, sei nicht plausibel und entspräche einer verkürzten Betrachtungsweise.
Vorliegend handelte es sich um eine außergewöhnliche, 25 cm große, unregelmäßige und tief verlaufende Narbe, die vom unteren Ende des Brustbeines bis zum Unterbauch entlang der Mittellinie verlief. Die einzelnen Schichten der Bauchdecke waren vor der Narbenkorrektur nicht verschiebbar und es bestand eine durch Narbengewebe verzogene Weichteilsituation. Unter den gegebenen Umständen wird diese Maßnahme als medizinisch erforderlich angesehen, da sie letztlich durch die zahlreichen Voroperationen im Kindesalter verursacht worden war. Den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen ist zu entnehmen, dass lediglich die Tatsache, dass die Operationen teilweise als Notoperationen durchgeführt worden seien, zu dieser Narbensituation führte. Andernfalls wäre die Bauchdecke unter Berücksichtigung der Bauchdeckenschichten geschlossen worden.
Der hier geltend gemachte Anspruch auf Narbenkorrektur resultiert damit aus dem Anspruch der Klägerin, dass notwendige Eingriffe so schonend wie möglich durchgeführt werden und der Körper nach einem Eingriff so weit wie möglich wiederhergestellt wird, sei es mit körpereigenem oder körperfremdem Material. Dies betont das BSG in seiner Entscheidung vom 8. März 2016 (vgl. B 1 KR 35/15 R Rdnr. 18, recherchiert nach juris). Im Zuge der mittlerweile durchgeführten Operation wurde die Narbe mit Unterhautfettschicht unterfüttert und zugleich von der Muskelfaszie gelöst. Damit wurde auch nicht in einen nicht behandlungsbedürftigen natürlichen Körperzustand eingegriffen sondern nur ein Zustand hergestellt, der eigentlich bereits bei den im Kindesalter durchgeführten Operationen hätte berücksichtigt werden müssen.
Darüber hinaus spricht auch der Umstand, dass eine nicht auszuschließende zukünftige Schwangerschaft eine Narbenkorrektur erfordert hätte, für die medizinische Notwendigkeit der durchgeführten Maßnahme. Hierzu fehlt es zwar an einer entsprechenden medizinischen Bestätigung dieser Auffassung, da die Klägerin diesen Aspekt erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 27.Juli 2017 vorgetragen hat. Die allgemeine Lebenserfahrung spricht jedoch dafür, dass jedenfalls ein nicht unerhebliches Risiko bestanden hätte, dass die ursprüngliche, verwachsene Narbe einer entsprechend extremen Belastung wohl nicht Stand gehalten hätte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.