Wegen einer viertägigen Krankengeld-Lücke in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stellte die Krankenkasse die Zahlungen unverzüglich ein. Der Patient argumentierte, die Lücke sei ein Fehler der Arztpraxis gewesen, doch das Gericht stellte überraschend hohe Anforderungen an seine eigenen Bemühungen.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Krankengeld-Lücke: Warum eine verspätete AU-Bescheinigung den Anspruch kippen kann
- Was war der Auslöser für den Rechtsstreit?
- Welche rechtlichen Hürden musste der Versicherte überwinden?
- Warum scheiterte der Versicherte an den strengen Ausnahmeregeln?
- Was bedeutet das Urteil für Ihren Krankengeldanspruch?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wie lange darf die AU-Bescheinigung maximal unterbrochen werden, ohne das Krankengeld zu verlieren?
- Wann kann ich Krankengeld trotz einer Lücke in der AU-Bescheinigung ausnahmsweise noch erhalten?
- Wann muss ich spätestens zum Arzt, um die lückenlose Feststellung der Folge-AU zu gewährleisten?
- Was gilt als zumutbare Bemühung, wenn ich zu krank bin, um die AU-Bescheinigung rechtzeitig zu holen?
- Verliere ich durch das Ende des Krankengeldanspruchs auch automatisch meine Krankenversicherung?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 1 KR 23/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landessozialgericht Hamburg
- Datum: 15.05.2025
- Aktenzeichen: 1 KR 23/24
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Sozialrecht, Gesetzliche Krankenversicherung
- Das Problem: Ein Versicherter erhielt nach dem Ende seiner Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht rechtzeitig eine neue Bescheinigung. Die Krankenkasse stoppte die Zahlung des Krankengelds wegen dieser zeitlichen Lücke.
- Die Rechtsfrage: Muss die Krankenkasse das Krankengeld weiterzahlen, obwohl die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit verspätet und nicht nahtlos eingereicht wurde?
- Die Antwort: Nein. Das Gericht sah die strengen Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Regel nicht erfüllt. Der Kläger konnte nicht schlüssig beweisen, dass er alles Zumutbare unternommen hatte, um die Bescheinigung pünktlich zu erhalten.
- Die Bedeutung: Endet der Anspruch auf Krankengeld durch eine Lücke in der Bescheinigung, erlischt auch die Versicherung mit Krankengeldanspruch. Versicherte müssen nahtlos und spätestens am nächsten Werktag eine Folgebescheinigung sicherstellen.
Krankengeld-Lücke: Warum eine verspätete AU-Bescheinigung den Anspruch kippen kann
Ein Mann ist seit fast einem Jahr krankgeschrieben. Sein Krankengeld sichert seine Existenz. Doch als eine Folgebescheinigung vier Tage zu spät in der Arztpraxis ausgestellt wird, stoppt die Krankenkasse die Zahlung. Der Versicherte argumentiert, er sei zu krank gewesen, um die Praxis rechtzeitig aufzusuchen, und verweist auf eine Zusage des Arztes. Die Kasse bleibt hart: Eine Lücke in der Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung beendet den Anspruch. Dieser Konflikt, der die fundamentalen Regeln des Krankengeldbezugs berührt, landete schließlich vor dem Landessozialgericht Hamburg, das am 15. Mai 2025 ein Urteil fällte, das die strengen Pflichten von Versicherten beleuchtet (Az. 1 KR 23/24).
Was war der Auslöser für den Rechtsstreit?

Der 1960 geborene Kläger war seit Dezember 2016 durchgehend krankgeschrieben und bezog Krankengeld von seiner gesetzlichen Krankenkasse. Sein Arbeitsverhältnis war kurz nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit ausgelaufen, was bedeutete, dass sein Versicherungsschutz direkt vom Fortbestehen des Krankengeldanspruchs abhing. Über Monate reichte er pünktlich Folgebescheinigungen verschiedener Ärzte für wechselnde Diagnosen ein.
Die entscheidende Kette von Ereignissen begann im Oktober 2017. Eine Bescheinigung seiner Hausärztin attestierte ihm Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich Mittwoch, den 18. Oktober 2017. Um seinen Anspruch lückenlos fortzusetzen, hätte er spätestens am nächsten Werktag, also am Donnerstag, dem 19. Oktober, eine neue ärztliche Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit benötigt. Diese erfolgte jedoch erst am Montag, dem 23. Oktober 2017.
Für die Krankenkasse war die Sache damit klar: Durch diese viertägige Lücke sei der Krankengeldanspruch erloschen. Sie lehnte die Weiterzahlung mit Bescheid vom 2. November 2017 ab. Der Versicherte legte Widerspruch ein. Er erklärte, am 19. Oktober wegen hohen Fiebers und Durchfalls außerstande gewesen zu sein, die Praxis aufzusuchen. Er habe einen Freund gebeten, für ihn bei der Ärztin vorzusprechen. Diese habe dem Freund ausgerichtet, er könne später kommen und die Bescheinigung würde dann rückwirkend ausgestellt.
Die Krankenkasse wies den Widerspruch zurück. Es habe keinen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt gegeben, der für die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit notwendig sei. Mit dem Ende des Krankengeldanspruchs am 18. Oktober sei auch seine Mitgliedschaft in der Krankenversicherung erloschen. Er sei danach nur noch über die Familienversicherung anspruchsberechtigt gewesen, welche jedoch keinen Anspruch auf Krankengeld beinhaltet.
Jahre später, im Januar 2021, erhob der Mann Klage vor dem Sozialgericht. Sein Vortrag variierte nun in Details: Mal habe der Freund telefonisch angefragt, mal habe das Praxispersonal ihn auf einen späteren Termin vertröstet. Nach der Niederlage in der ersten Instanz zog er vor das Landessozialgericht, um die Zahlung von rund 3.164 Euro für den strittigen Monat zu erstreiten.
Welche rechtlichen Hürden musste der Versicherte überwinden?
Der Fall dreht sich um die strengen formellen Voraussetzungen für den Bezug von Krankengeld. Das Gesetz knüpft den Anspruch an eine klare Bedingung, um Missbrauch zu verhindern und eine lückenlose Dokumentation sicherzustellen.
Die zentrale Vorschrift ist § 46 Satz 1 Nr. 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V). Sie legt fest, dass der Anspruch auf Krankengeld von dem Tag an entsteht, an dem ein Arzt die Arbeitsunfähigkeit feststellt. Bei einer fortlaufenden Erkrankung bedeutet dies: Die weitere Arbeitsunfähigkeit muss spätestens an dem Werktag festgestellt werden, der auf den letzten Tag der vorangegangenen Krankschreibung folgt. Samstage gelten hierbei nicht als Werktage. Dieses Prinzip wird oft als „Nahtlosigkeitsgebot“ bezeichnet.
Die Konsequenzen einer Verletzung dieses Gebots sind gravierend. Reißt die Kette der Bescheinigungen, erlischt der Anspruch. Für Versicherte wie den Kläger, deren Arbeitsverhältnis beendet ist, hat das eine doppelte Wirkung: Ihr Versicherungsschutz besteht nur, solange sie Krankengeld beziehen (§ 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V). Endet der Krankengeldanspruch, endet auch die eigenständige Mitgliedschaft. Eine spätere Krankschreibung kann dann keinen neuen Anspruch mehr begründen, wenn in der Zwischenzeit nur noch eine beitragsfreie Familienversicherung besteht, da diese keinen Krankengeldanspruch vorsieht (§ 44 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB V).
Allerdings hat das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Rechtsprechung eine Art „Sicherheitsventil“ für Härtefälle entwickelt. Eine verspätete Feststellung kann ausnahmsweise unschädlich sein, wenn drei Bedingungen kumulativ erfüllt sind:
- Der Versicherte hat alles in seiner Macht Stehende und Zumutbare getan, um die Bescheinigung rechtzeitig zu erhalten.
- Er wurde durch eine Fehlentscheidung oder ein Organisationsversäumnis des Vertragsarztes oder der Krankenkasse an der rechtzeitigen Feststellung gehindert.
- Er hat seine Rechte gegenüber der Krankenkasse unverzüglich geltend gemacht, nachdem er von dem Fehler erfuhr.
Genau auf diese Ausnahme berief sich der Kläger. Er musste das Gericht also überzeugen, dass nicht er, sondern die Arztpraxis die Verantwortung für die Verspätung trug.
Warum scheiterte der Versicherte an den strengen Ausnahmeregeln?
Das Landessozialgericht Hamburg wies die Berufung des Klägers zurück. Obwohl das Gericht die Klage formal für zulässig hielt – die Krankenkasse konnte nicht beweisen, wann sie den Widerspruchsbescheid zugestellt hatte –, sah es den materiellen Anspruch auf Krankengeld als nicht gegeben an. Die Richter prüften die vom Bundessozialgericht aufgestellten Ausnahmekriterien Punkt für Punkt und kamen zu dem Schluss, dass der Kläger die hohen Hürden nicht überwinden konnte.
Fehlte es an der lückenlosen ärztlichen Feststellung?
Zunächst stellte das Gericht unstrittig fest, dass die formellen gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllt waren. Die letzte gültige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung endete am 18. Oktober 2017. Die nächste hätte spätestens am 19. Oktober ausgestellt werden müssen. Tatsächlich erfolgte die Feststellung erst am 23. Oktober. Damit lag eine anspruchsbeendende Lücke vor. Die einzige Rettung für den Kläger wäre gewesen, wenn die strengen Voraussetzungen der BSG-Ausnahmerechtsprechung gegriffen hätten.
Hatte der Versicherte alles Zumutbare unternommen?
Hier sah das Gericht das größte Defizit. Um die Ausnahme für sich in Anspruch zu nehmen, hätte der Kläger lückenlos und glaubhaft darlegen müssen, dass er sich mit aller Kraft um eine rechtzeitige Bescheinigung bemüht hat. Seine Schilderungen des Geschehens am entscheidenden 19. Oktober waren jedoch über den Verlauf des Verfahrens widersprüchlich. Mal sollte sein Freund persönlich in der Praxis gewesen sein, dann wieder nur telefonisch angefragt haben. Diese inkonsistenten Angaben schwächten seine Glaubwürdigkeit erheblich.
Entscheidend war die schriftliche Aussage der behandelnden Ärztin. Sie gab an, dass es am 19. und 20. Oktober 2017 keinerlei telefonischen Kontakt mit dem Kläger oder seinem Freund gegeben habe. Ihre Praxisdokumentation enthielt stattdessen einen brisanten Eintrag vom 16. Oktober – also drei Tage vor dem entscheidenden Datum. Demnach hatte der Freund bereits an diesem Tag versucht, eine Folgebescheinigung abzuholen, was die Ärztin jedoch verweigerte, da sie den Kläger persönlich untersuchen wollte. Dieses Detail widersprach nicht nur der Darstellung des Klägers, sondern zeigte auch, dass die Ärztin ihre Pflichten sehr ernst nahm.
Auch das Argument, er sei zu krank gewesen, um die Praxis aufzusuchen oder auch nur zu telefonieren, überzeugte den Senat nicht. Für eine derart schwere Erkrankung legte der Kläger keine medizinischen Belege vor. Das Gericht befand, dass selbst bei einer schweren Erkrankung weitere Bemühungen zumutbar gewesen wären, etwa die Kontaktaufnahme mit einem anderen Arzt oder dem ärztlichen Notdienst.
Lag ein zurechenbarer Fehler der Arztpraxis vor?
Der zweite Baustein der Ausnahme – ein Fehler der Arztpraxis – war für das Gericht ebenfalls nicht nachgewiesen. Die Behauptung des Klägers, die Ärztin habe eine spätere, rückwirkende Krankschreibung zugesagt, wurde durch die Aussage der Ärztin widerlegt. Angesichts der strengen gesetzlichen Regeln für Rückdatierungen (§ 5 Abs. 3 AU-Richtlinie) und ihres dokumentierten Verhaltens vom 16. Oktober erschien eine solche pauschale Zusage dem Gericht als äußerst unwahrscheinlich. Es fand keine Anhaltspunkte für ein Organisationsverschulden oder eine Fehlinformation, die ursächlich für die Verspätung gewesen wäre.
Welche Rolle spielte die Beendigung der Mitgliedschaft?
Schließlich untermauerte das Gericht seine Entscheidung mit dem entscheidenden rechtlichen Dominoeffekt: Da die Lücke nicht durch eine Ausnahme geheilt werden konnte, endete der Krankengeldanspruch am 18. Oktober 2017. Damit endete nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V auch die Mitgliedschaft des Klägers bei der Krankenkasse, die einen Krankengeldanspruch begründete. Als der Arzt am 23. Oktober eine neue Arbeitsunfähigkeit feststellte, war der Mann nur noch im Rahmen der beitragsfreien Familienversicherung versichert. Diese schließt einen Anspruch auf Krankengeld jedoch aus. Die Kette war also nicht nur unterbrochen, sondern endgültig gerissen.
Was bedeutet das Urteil für Ihren Krankengeldanspruch?
Die Entscheidung des Landessozialgerichts Hamburg ist eine klare Mahnung an alle gesetzlich Versicherten, die Pflichten im Zusammenhang mit dem Krankengeldbezug äußerst ernst zu nehmen. Sie zeigt, dass die von der Rechtsprechung geschaffenen Ausnahmen nur in eng begrenzten und gut belegten Fällen greifen. Verlassen Sie sich niemals auf mündliche Zusagen oder die Annahme, eine verspätete Bescheinigung sei unproblematisch.
Checkliste: So sichern Sie Ihren Krankengeldanspruch bei Folgebescheinigungen
- Kennen Sie die Frist: Die ärztliche Feststellung der weiteren Arbeitsunfähigkeit muss spätestens an dem Werktag erfolgen, der auf das Ende Ihrer aktuellen Krankschreibung folgt. Notieren Sie sich diesen Termin im Kalender.
- Handeln Sie proaktiv: Vereinbaren Sie Ihren Arzttermin rechtzeitig, idealerweise einige Tage vor Ablauf der aktuellen Bescheinigung. Warten Sie nicht bis zum letzten Tag.
- Sprechen Sie persönlich vor: Die persönliche Untersuchung durch einen Arzt ist der Regelfall und die sicherste Methode, um eine lückenlose Feststellung zu gewährleisten. Das Abholen von Bescheinigungen durch Dritte ist riskant und kann, wie der Fall zeigt, verweigert werden.
- Dokumentieren Sie Hinderungsgründe: Sollten Sie aus zwingenden gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sein, die Praxis aufzusuchen, dokumentieren Sie dies genau. Notieren Sie Datum und Uhrzeit Ihrer Anrufversuche, den Namen der Person, mit der Sie gesprochen haben, und den Inhalt des Gesprächs. Informieren Sie umgehend auch Ihre Krankenkasse.
- Suchen Sie bei Problemen Alternativen: Wenn Ihre Arztpraxis nicht erreichbar ist oder Ihnen keinen zeitnahen Termin geben kann, sind Sie in der Pflicht, aktiv zu werden. Kontaktieren Sie eine andere Arztpraxis, den ärztlichen Bereitschaftsdienst (Telefon 116 117) oder suchen Sie im Notfall eine Notaufnahme auf. Passivität wird Ihnen im Streitfall negativ ausgelegt.
Die Urteilslogik
Das Sozialrecht verlangt von Versicherten eine strikte Proaktivität, denn die lückenlose Sicherung des Krankengeldanspruchs obliegt allein dem Empfänger.
- Die Nahtlosigkeit der AU-Feststellung ist zwingend: Versicherte müssen die weitere Arbeitsunfähigkeit spätestens am ersten Werktag nach dem Ende der vorangegangenen Krankschreibung ärztlich feststellen lassen, da jeder Tag Verzögerung den gesamten Krankengeldanspruch beendet.
- Ausnahmen erfordern maximalen Einsatz und Fremdverschulden: Ein Versicherter kann die anspruchsbeendende Lücke nur dann heilen, wenn er nachweist, dass er alle ihm zumutbaren Anstrengungen unternommen hat und die Verspätung ausschließlich auf einem organisatorischen Fehler oder einer Fehlinformation des behandelnden Arztes beruhte.
- Der Dominoeffekt des Versicherungsschutzes: Endet der Anspruch auf Krankengeld durch eine zeitliche Lücke, erlischt gleichzeitig die eigenständige Mitgliedschaft in der Krankenversicherung; eine spätere neue Krankschreibung kann dann keinen Anspruch mehr begründen, wenn der Betroffene nur noch über eine beitragsfreie Familienversicherung geschützt ist.
Wer Leistungen des Sozialstaates beansprucht, muss die strengen formalen Anforderungen mit höchster Sorgfalt erfüllen und kann sich im Streitfall nicht auf widersprüchliche oder unbewiesene mündliche Zusagen stützen.
Benötigen Sie Hilfe?
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Experten Kommentar
Viele denken, bei echter Krankheit sei eine Verspätung in der Krankschreibung entschuldbar. Das Landessozialgericht Hamburg legt jedoch schonungslos offen, wie eng die Luft für Ausnahmen ist: Wer die Nahtlosigkeits-Frist reißt, muss im Nachhinein lückenlos und glaubhaft beweisen, dass er alles Zumutbare versucht hat, die Bescheinigung rechtzeitig zu erhalten. Widersprüchliche Aussagen oder bloße Behauptungen, ein Arzt habe eine rückwirkende Ausstellung zugesagt, ziehen nicht, wenn die Praxisdokumentation etwas anderes zeigt. Die praktische Konsequenz ist brutal: Wer den Krankengeldanspruch durch diesen Formalfehler verliert, riskiert direkt den Wegfall der eigenen Krankenversicherung.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wie lange darf die AU-Bescheinigung maximal unterbrochen werden, ohne das Krankengeld zu verlieren?
Die Antwort auf diese Frage ist juristisch hart: Sie dürfen die Kette der Krankschreibungen maximal null Werktage unterbrechen. Das Gesetz verlangt strikte Nahtlosigkeit beim Bezug von Krankengeld. Die ärztliche Feststellung der Folge-Arbeitsunfähigkeit muss spätestens am nächsten Werktag nach dem Ende der vorherigen Krankschreibung erfolgen. Ein Tag Verspätung genügt bereits, um den gesamten Anspruch unwiderruflich zu verlieren.
Dieses strenge Prinzip wird als Nahtlosigkeitsgebot bezeichnet (§ 46 SGB V). Es soll Missbrauch verhindern und eine lückenlose Dokumentation der fortbestehenden Erkrankung gewährleisten. Entscheidend für die Frist ist der Tag der ärztlichen Feststellung, nicht das Datum eines vereinbarten Termins. Wichtig für die Fristberechnung: Samstage zählen nicht als Werktage. Endet Ihre Krankschreibung beispielsweise an einem Freitag, muss die neue Bescheinigung spätestens am darauffolgenden Montag ausgestellt werden.
Reißt die Kette der ärztlichen Feststellungen, sind die Konsequenzen gravierend. Die Krankenkasse stoppt nicht nur die Zahlung des Krankengeldes sofort. Endete das Arbeitsverhältnis bereits, endet automatisch auch die Mitgliedschaft, welche den Krankengeldanspruch überhaupt erst begründet hat. Wer eine viertägige Lücke in seiner Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung zulässt, verliert seinen Anspruch daher endgültig. Eine nachträgliche rückwirkende Ausstellung der AU durch den Arzt kann diese Lücke in der Regel nicht mehr heilen.
Prüfen Sie sofort das genaue Enddatum Ihrer aktuellen Krankschreibung und planen Sie den Arzttermin unbedingt unter Beachtung der Regel, dass Samstage nicht als Werktage zählen.
Wann kann ich Krankengeld trotz einer Lücke in der AU-Bescheinigung ausnahmsweise noch erhalten?
Die Regel zur lückenlosen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ist extrem streng, doch das Bundessozialgericht (BSG) hat eine sogenannte Notfallklausel entwickelt. Diese Ausnahme greift nur, wenn Sie nachweisen, dass drei kumulative Bedingungen gleichzeitig erfüllt sind. Die Lücke kann nur dann geheilt werden, wenn Sie die Frist nicht selbst verschuldet haben und dies lückenlos belegen können. Diese hohen Hürden verhindern, dass Sie sich auf allgemeine Krankheit oder Unwissenheit berufen.
Sie müssen zunächst lückenlos und glaubhaft beweisen, dass Sie alles in Ihrer Macht Stehende und Zumutbare getan haben, um die Feststellung der Folge-AU rechtzeitig zu erhalten. Schon widersprüchliche Angaben zu Ihren Bemühungen untergraben die Glaubwürdigkeit und führen zur sofortigen Ablehnung durch die Kasse. Zusätzlich muss die Verspätung ursächlich auf ein belegbares Organisationsversäumnis oder eine klare Fehlentscheidung Ihres Vertragsarztes oder Ihrer Krankenkasse zurückzuführen sein.
Nehmen wir an, der Arzt hat Ihnen fälschlicherweise zugesagt, eine rückwirkende Krankschreibung sei möglich, obwohl dies unzulässig ist. Solche schwerwiegenden Fehler müssen Sie als Versicherter nachweisen. Außerdem müssen Sie Ihre Rechte gegenüber der Krankenkasse unverzüglich geltend machen, nachdem Sie von dem Fehler oder der Verspätung erfahren haben. Verlassen Sie sich dabei niemals auf mündliche Zusagen des Praxispersonals; diese werden vor Gericht oft durch schriftliche Aussagen der Ärzte widerlegt.
Sammeln Sie sofort alle Beweise und Aussagen, um Ihre Begründung für die Verspätung nicht nur schlüssig, sondern auch durch Dritte belegbar zu machen.
Wann muss ich spätestens zum Arzt, um die lückenlose Feststellung der Folge-AU zu gewährleisten?
Die ärztliche Feststellung der weiteren Arbeitsunfähigkeit (AU) muss zwingend an dem Werktag erfolgen, der unmittelbar auf das Ende Ihrer aktuellen Krankschreibung folgt. Diese strenge Frist, bekannt als Nahtlosigkeitsgebot, lässt keinen zeitlichen Puffer zu. Für Ihren Krankengeldanspruch zählt dabei ausschließlich das Datum der tatsächlichen Feststellung durch den Arzt. Warten Sie daher niemals bis zum letzten möglichen Tag.
Der Gesetzgeber verlangt die lückenlose Folge-AU, um sicherzustellen, dass Ihre Erkrankung ununterbrochen medizinisch dokumentiert wird. Die reine Kontaktaufnahme mit der Arztpraxis oder ein Anruf reichen hierfür nicht aus. Die Bescheinigung begründet den Krankengeldanspruch nur durch die ärztliche Untersuchung und die offizielle Feststellung. Ärzte dürfen eine Folge-AU in der Regel nur nach persönlicher Inaugenscheinnahme ausstellen. Dies soll gewährleisten, dass keine Lücke in der medizinischen Beurteilung entsteht.
Weil volle Praxen oder kurzfristige Schließungen die fristgerechte Feststellung verhindern können, tragen Sie das volle Risiko der Verspätung. Sie sind verpflichtet, alles Zumutbare zu unternehmen, um die Bescheinigung rechtzeitig zu erhalten. Nehmen wir an, Ihre AU endet an einem Freitag. Die Feststellung muss spätestens am darauffolgenden Montag erfolgen, da der Samstag nicht als Werktag zählt. Planen Sie Ihren Arztbesuch daher proaktiv mindestens drei Tage vor Ablauf der aktuellen Krankschreibung ein.
Vereinbaren Sie Ihren Termin zur Feststellung der Folge-AU frühzeitig, um bei unerwarteten Praxisproblemen noch reagieren zu können und Ihren Krankengeldanspruch zu sichern.
Was gilt als zumutbare Bemühung, wenn ich zu krank bin, um die AU-Bescheinigung rechtzeitig zu holen?
Selbst eine schwere Erkrankung oder hohes Fieber entbinden Versicherte nicht von der Pflicht, die lückenlose Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (AU) sicherzustellen. Die Rechtsprechung verlangt, dass Sie alle zumutbaren Bemühungen unternehmen, um die notwendige ärztliche Feststellung fristgerecht zu erhalten. Passivität legt das Gericht negativ aus und kann zum sofortigen Verlust des Krankengeldanspruchs führen.
Juristisch müssen Sie beweisen, dass Ihnen die Kontaktaufnahme mit jeglicher medizinischer Hilfe unmöglich war, was extrem schwer zu führen ist. Zumutbar ist es, alle Versuche zur Kontaktaufnahme sicherzustellen, selbst wenn ein persönlicher Besuch nicht möglich ist. Sie müssen sofort den ärztlichen Bereitschaftsdienst unter 116 117 anrufen oder im äußersten Notfall eine Notaufnahme aufsuchen. Eine bloße Behauptung der zu schweren Erkrankung benötigt zudem medizinische Belege, um vor Gericht überhaupt glaubhaft zu sein.
Nehmen wir an, Sie sind bettlägerig und können das Haus nicht verlassen. Zumutbar ist es dann, Dritte (Freunde oder Familie) zu organisieren, die für Sie beim Bereitschaftsdienst anrufen oder einen Hausbesuch anfordern. Widersprüchliche Aussagen über die unternommenen Anstrengungen vor Gericht, etwa ob ein Freund persönlich oder nur telefonisch anfragte, untergraben Ihre Glaubwürdigkeit vollständig. Derartige Mängel führen in der Regel zur Annahme, dass der Versicherte nicht alles Zumutbare unternommen hat.
Können Sie die Praxis am Stichtag definitiv nicht aufsuchen, rufen Sie sofort den ärztlichen Bereitschaftsdienst (116 117) an und lassen Sie Ihre gesundheitliche Lage und die Unfähigkeit zum Praxisbesuch im Gespräch protokollieren.
Verliere ich durch das Ende des Krankengeldanspruchs auch automatisch meine Krankenversicherung?
Sie verlieren nicht die Krankenversicherung an sich, aber die Art Ihrer Mitgliedschaft ändert sich fundamental und mit gravierenden finanziellen Folgen. Endet der Krankengeldanspruch wegen einer lückenhaften Krankschreibung, zieht das dramatische Konsequenzen für Ihren Versicherungsstatus nach sich. Die eigenständige Mitgliedschaft, die den Anspruch auf Krankengeld einschließt, erlischt sofort.
Der Bezug von Krankengeld ist juristisch die notwendige Basis für Ihre aktive und eigenständige Versicherung. Speziell wenn Ihr Arbeitsverhältnis bereits beendet wurde, sind Sie nur aufgrund des Krankengeldbezugs weiterhin als vollwertiges Mitglied versichert. Wird der Anspruch durch einen Formfehler gestoppt, etwa durch eine AU-Lücke, beendet die Krankenkasse gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V auch diese aktive Mitgliedschaft rigoros.
Viele Betroffene fallen nach dem Ende ihrer aktiven Mitgliedschaft in die beitragsfreie Familienversicherung zurück, sofern die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Diese bietet zwar weiterhin vollen Schutz bei medizinischen Behandlungen und Krankenhausaufenthalten, jedoch schließt sie den Anspruch auf Krankengeld laut Gesetz (SGB V § 44) aus. Ist dieser Zustand eingetreten, können Sie selbst bei einer später wieder lückenlos ausgestellten Krankschreibung keinen neuen Krankengeldanspruch mehr begründen, weil die rechtliche Basis dafür fehlt.
Wenn Ihr Krankengeldbezug gefährdet ist und Ihr Arbeitsverhältnis beendet wurde, rufen Sie sofort die Krankenkasse an, um den genauen Status Ihrer Mitgliedschaft schriftlich zu erfragen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Familienversicherung
Die Familienversicherung ermöglicht es nahen Angehörigen, wie Ehepartnern oder Kindern, beitragsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung mitversichert zu sein, wenn der Hauptversicherte selbst Mitglied ist. Das Sozialgesetzbuch (SGB V) stellt so sicher, dass die grundlegende medizinische Versorgung auch für nicht erwerbstätige Familienmitglieder gewährleistet bleibt.
Beispiel: Nachdem der Krankengeldanspruch des Klägers erloschen war, fiel er automatisch in die Familienversicherung zurück, die ihm jedoch keinen Anspruch auf Krankengeld einräumt.
Folgebescheinigung
Eine Folgebescheinigung ist die ärztliche Arbeitsunfähigkeits-Feststellung, die unmittelbar an eine bereits bestehende Krankschreibung anschließen muss, um den Krankengeldbezug ohne Unterbrechung fortzusetzen. Der Gesetzgeber verlangt diese nahtlose Kette von Bescheinigungen, um die medizinische Notwendigkeit der fortlaufenden Arbeitsunfähigkeit jederzeit lückenlos zu dokumentieren.
Beispiel: Um die viertägige Lücke zu vermeiden, hätte der Versicherte die Folgebescheinigung spätestens am Werktag nach dem 18. Oktober in der Arztpraxis ausstellen lassen müssen.
Kumulative Bedingungen
Juristen sprechen von kumulativen Bedingungen, wenn mehrere, voneinander unabhängige Voraussetzungen zwingend gleichzeitig erfüllt sein müssen, damit eine bestimmte Ausnahme von einer gesetzlichen Regelung greift. Diese strenge Anforderung dient als hohe Hürde, um sicherzustellen, dass Ausnahmen nur in extrem gut belegten und unverschuldeten Härtefällen gewährt werden.
Beispiel: Der Kläger scheiterte vor dem Landessozialgericht, da er nicht alle drei kumulativen Bedingungen der BSG-Rechtsprechung nachweisen konnte, was zu einem Verlust des Krankengeldanspruchs führte.
Nahtlosigkeitsgebot
Das Nahtlosigkeitsgebot (§ 46 SGB V) ist die strenge gesetzliche Vorschrift im Sozialrecht, die verlangt, dass die ärztliche Feststellung der weiteren Arbeitsunfähigkeit spätestens am nächsten Werktag nach dem Ende der vorangegangenen Krankschreibung erfolgen muss. Dieser Grundsatz ist fundamental für den Krankengeldanspruch und zielt darauf ab, jegliche Lücken in der zeitlichen Dokumentation der Erkrankung zu vermeiden.
Beispiel: Die Krankenkasse argumentierte, dass die viertägige Lücke in der AU-Dokumentation eine klare Verletzung des Nahtlosigkeitsgebots darstellte und den Anspruch des Versicherten automatisch beendete.
Organisationsversäumnis
Ein Organisationsversäumnis bezeichnet einen zurechenbaren Fehler oder Mangel im inneren Betriebsablauf der Arztpraxis oder der Krankenkasse, der den Versicherten unverschuldet an der fristgerechten Einhaltung seiner gesetzlichen Pflichten hindert. Dieses Kriterium dient dazu, Versicherte vor Nachteilen zu schützen, die ausschließlich durch organisatorisches Fehlverhalten Dritter, etwa durch eine falsche Auskunft des Praxispersonals, entstehen.
Beispiel: Das Gericht sah keine Anhaltspunkte für ein Organisationsversäumnis der Ärztin, da sie die pauschale Zusage einer rückwirkenden Krankschreibung abstritt und am 16. Oktober korrekt die persönliche Untersuchung des Patienten verlangt hatte.
Das vorliegende Urteil
Landessozialgericht Hamburg – Az.: 1 KR 23/24 – Urteil vom 15.05.2025
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Ich bin Dr. Christian Gerd Kotz, Rechtsanwalt und Notar in Kreuztal. Als Fachanwalt für Verkehrs- und Versicherungsrecht vertrete ich Mandant*innen bundesweit. Besondere Leidenschaft gilt dem Sozialrecht: Dort analysiere ich aktuelle Urteile und erkläre praxisnah, wie Betroffene ihre Ansprüche durchsetzen können. Seit 2003 leite ich die Kanzlei Kotz und engagiere mich in mehreren Arbeitsgemeinschaften des Deutschen Anwaltvereins.


